Herfried Münkler über Demokratie und starke Führer – Kultur, Seite 25 Baut auf diese Stadt! Serie zum Anstich: In Beelitz geht die Spargelsaison los – Weltspiegel, Seite 30 Architekturpreis Berlin – Mehr Berlin, Seiten 22 + 23 BERLIN, SONNABEND, 2. APRIL 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 716 WWW.TAGESSPIEGEL.DE Heute: Mit Mobil, Immobilienmarkt und Stellenangeboten BERLIN / BRANDENBURG 1,70 €, AUSWÄRTS 2,20 €, AUSLAND 2,40 € Obamas Nukleargipfel Die dritte Gefahr Von Christoph von Marschall B Der Staatsmann Von Stephan-Andreas Casdorff G Fotos: Stefan Thomas Kroeger/laif, Architekturpreis Berlin erade erst hatte er Geburtstag, den 89. Ein stolzes Alter, zumal für einen, der sein Leben lang nie bei besterGesundheit war. Kämpfen musste. Als junger Mann mit Tuberkulose, später immer mal wieder die Probleme mit dem Herzen. Aber er besiegte noch jede Krankheit. Zu guter Letzt konnte man meinen, Hans-Dietrich Genscher sei unsterblich. Und das wird er auch sein, im kollektiven Gedächtnis seiner Partei, der FDP, wie der Deutschen, die ihm viel, sehr viel verdanken. „Der Mann mit den Ohren“ wurde er genannt, und „der mit dem gelben Pullunder“. Den machte er zu seinem Markenzeichen, und im Haus der Geschichte der Bundesrepublik hat er seinen Platz. Die Deutsche Einheit – ohne „Dieter“ wär sie nie möglich gewesen. Ohne seine fortgesetzte Entspannungspolitik seit 1974 im Außenamt, ohne seine „Wende“ zu Helmut Kohl 1982. Kohl, der ohne Genscher, seinen Freund, nie Bundeskanzler geworden wäre. Kohl, der dann zum Kanzler der Einheit wurde. Und Genscher? War nicht nur Herold, wie auf dem Balkon in Prag, als er unter Jubel den tausenden DDR-Bürgern ihre Ausreise in den Westen mitteilte, sondern insgesamt ihr Wegbereiter. Viele Jüngere wissen nicht, welch ein Staatsdiener, besser: Staatsmann, Genscher war. Er hatte schon knapp fünf Jahre das Amt des Bundesinnenministers unter Willy Brandt inne, als Helmut Schmidt übernahm. Da begann seine ganz große Zeit, 1974. Die KSZE, die Abrüstung, die Politik des Ausgleichs, der guten Nachbarschaft – er wurde zu einer Institution, zum dienstältesten Außenminister zum Zeitpunkt seine Ausscheidens 1992. Der dann doch überraschend kam. Die Kritik an der Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken Kroatiens und Sloweniens 1991 reichte bis hin zum UN-Generalsekretär. Aber seine Verdienste sind unbestritten. Als Innenminister, als Außenminister, als Liberaler. Keiner, bis heute, der sich nicht auf ihn beruft. Der gebürtige Hallenser, der nahe Bonn wohnte, hatte große geschichtliche Ereignisse mit zu bewältigen. Genscher tat das mit Mut und Entschlusskraft. Er sah politisch vieles voraus und hörte alles vor anderen, das meinte seinerzeit Herbert Wehner. Dazu gehörte eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit. Selbst das Witzeerzählen gelang ihm politisch. Als Innenminister bot er sich den palästinensischen Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München als Geisel zum Austausch an, schuf anschließend die Antiterrortruppe GSG 9. Kein Fluss führte Hochwasser, ohne dass Genscher nach dem Rechten schaute. Als Außenminister trat er Polens Solidarnosc mit Lech Walesa an die Seite, begradigte den Streit um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, in den Gesprächen mit der damaligen Sowjetunion förderte er die Politik Michail Gorbatschows wie kein Zweiter. Unvergessen der Besuch in Moskau, als Genscher dessen Kurs „unumkehrbar“ nannte. Der Spruch von Erich Honecker „Hallenser, Haloren, Halunken“ – der wird Genscher nicht geärgert haben. Die Einheit war sein Lebenstraum. Der Freidemokrat, der Liberale schon zu DDR-Zeiten – Genscher war 1952 über Berlin nach Bremen gekommen, wo er dann als Rechtsanwalt arbeitete – half, dass einer der Seinen in Halle das erste Direktmandat der FDP für den Bundestag schaffte. Als Ehrenvorsitzender der Partei seit 1992 hatte er noch mehr Einfluss als vorher in elf Jahren als Parteichef. Die parteipolitische Wende 1982, die ihm durchaus verübelt worden war, führte immerhin im weitesten Sinn zur großen innerdeutschen und zur weltpolitischen. Legendär ist seine Amtsführung im Außenamt. Er zieht dort Spuren bis heute. Viele im Amt sind und waren stolz, sich „Genscheristen“ zu nennen. Guido Westerwelle, jüngst verstorben, wollte nicht zuletzt aus Verehrung für ihn kein anderes Ministerium übernehmen. arack Obama hatte einst das Ziel einer atomwaffenfreien Welt verkündet. Guido Westerwelle wollte als Außenminister alle Atomwaffen aus Deutschland verbannen. Hans-Dietrich Genscher unterstützte beide Forderungen – als er nicht mehr Minister war. Im Amt hatte er der verhandelten Abrüstung den Vorzug gegeben: Reduzierung im selben Maß wie der Gegner. Deutschland nimmt Abschied von Westerwelle und Genscher, Obama von Global Zero. Zu Obamas viertem und letztem Nukleargipfel, dessen Ziel die Reduzierung spaltbaren Materials ist, brachte Chinas Präsident Xi ein besonderes Gastgeschenk mit: neue Interkontinentalraketen, die jeden Punkt in den USA erreichen. Zuvor hatte Obama die Verlegung einer Panzerbrigade nach Mitteleuropa angekündigt, zum Schutz gegen Russland – auch da fehlen Abrüstungssignale. Chinas Raketen und Moskaus aggressive Nachbarschaftspolitik sind nicht die größte Sorge der mehr als 50 Staats- und Regierungschefs beim Gipfel. Priorität haben Vorkehrungen, damit spaltbares Material nicht in Terrorhände gelangt. Das Fernziel Global Zero hilft da weniger als Reduzierung und sichere Verwahrung. Die Welt der Atomkontrolle wird widersprüchlicher und unübersichtlicher – auch wegen der Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen in verschiedenen Regionen und bei diversen Akteuren. Die klassischen Atommächte bauen Nuklearwaffen zur Abschreckung, nicht zum Einsatz. Der IS möchte damit töten. Je mehr Sprengköpfe es gibt, desto höher das Risiko des Missbrauchs. Abrüstung muss das Ziel bleiben. Mit Russland hatte Obama 2010 die Verschrottung eines Drittels der strategischen Atomwaffen vereinbart. Generell reduzieren westliche Nuklearmächte ihr Potenzial. China ist die Ausnahme unter den Großen. Größer ist die Gefahr durch Weiterverbreitung von Atomwaffen. Sie kann zu einem Wettrüsten führen. Indien und Pakistan sind das abschreckende Beispiel. Nordkoreas Atomprogramm lässt Japan über nukleare Bewaffnung nachdenken, Irans Ehrgeiz ermuntert die Saudis. Das internationale Vertragswerk zur „Non Proliferation“ wackelt. Der Atomdeal mit dem Iran war pragmatisch richtig, hat aber das Prinzip weiter ausgehöhlt. Die dritte Bedrohung ist jedoch die drängendste: radioaktives Material in den Händen von Terroristen. Das Risiko, dass sie Sprengköpfe aus hoch gesicherten Militäranlagen entwenden, ist begrenzt. Leichter könnten sie an Material aus zivilen Einrichtungen gelangen oder diese sprengen: Forschungsreaktoren, Kernkraftwerke, Entsorgungsanlagen. Die IS-Terroristen in Belgien hatten sich entsprechende Lagepläne besorgt. Obamas Gipfel-Ziele: erstens hoch angereichertes Material minimieren; die Reaktoren der US-Kriegsschiffe werden in der Hoffnung auf Nachahmer auf niedrig angereicherten Stoff umgerüstet. Zweitens spaltbares Material generell reduzieren, militärisch wie zivil, durch Abrüstung und Modernisierung. Drittens verbrauchtes Material verlässlich vernichten; das geschieht im Westen, weniger in Russland und China. Viertens den Zugriff erschweren. Je rascher dieser Plan Erfolg hat, desto größer die Chance, dass Global Zero doch noch ein Ziel für alle wird. ISSN 1865-2263 ANZEIGE / +# 01 2 3 3 3 3 !" 3 #$ 3 %# & !!! 3 # 3 '!( )*!+ 3 , * 3 ,"" -!!+( 3 ./ 0+ 3 01!" 2 ! & ""+ 3 ,"( 3 2 '!+ * !" #$ %& '(&) !"#$% & " ' () $ " & & *'6 9(D 7(&' !2 GG5:EC #? 3 1&'D "I2 E. 555G5C :.5 3 09 >!2 JJ 5E:JB55 3 7: 0 ;! E 55JCE5 3 :( K!1!2 G: 55.J:5EE5 3 6# = 2 GE 55EJJ5C5 3 ; '!2 G 5BBE5 5G5 3 <' I!!!2 JC 55GJCC:5 3 !! EG/ ! *(& + ' ! ,& -. ! "" 4 56 0% 7%877%""" 42 2555 6 7 8 0( 9+! ( : ; < 7 2 =>? + 8( @ 44A(2 BCC 6 7 #! !! @ 2 !D :C 6 @ 0(D 2555 6 @ (D : 25 , ! @ 0+ ) ! -+ @ 444.5 2 9E 2 F & . 2 ! - 90!!! F?? +(2 G55 , + !(!! H1 =!+ @ 0++2 ( !!2
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