Steuererstattungsanspruch der Insolvenzmasse nach

ZInsO 1/2/2016
ZInsO-Aufsätze
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Steuererstattungsanspruch der Insolvenzmasse nach einem Wechsel der örtlichen
Zuständigkeit für den Insolvenzschuldner
Zugleich eine Anmerkung zu BFH, Urt. v. 18. 8. 2015 – VII R 24/131
von Rechtsanwalt Phillip-Boie Harder, LL.M. oec., Düsseldorf
Der BFH hat sich in seiner Entscheidung vom 18.8.2015 dazu geäußert, welche Auswirkungen es haben kann, wenn das
aktuell örtliche Finanzamt eine Steuererstattung auf das Konto des Insolvenzschuldners und nicht des nach § 80 InsO empfangsberechtigten Insolvenzverwalters leistet. Dabei hatte nur das ehemals örtlich zuständige Finanzamt Kenntnis von der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Vorinstanz hatte die Revision zugelassen, um höchstrichterlich klären zu lassen, ob
und ggf. unter welchen Voraussetzungen die nach einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erlangte Kenntnis der abgebenden Finanzbehörde als Kenntnis i.S.d. § 82 InsO weiterhin besteht und ob eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kenntnis
von der Insolvenzeröffnung auch bei einem (länderübergreifenden) Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit eintritt.2
Leider bleibt eine solche Klärung aus. Unabhängig von den Voraussetzungen des § 82 InsO hat der BFH die Verletzung
der steuerlichen Mitwirkungs- und Steuererklärungspflichten durch den Insolvenzverwalter dafür ausreichen lassen, dass
es ihm im Rahmen des § 82 InsO eine Berufung auf die Zurechnung des Wissens des ehemals örtlich zuständigen Finanzamts von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwehrt. Dennoch macht der BFH Ausführungen zu § 82 InsO und dessen
Anwendung bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des Finanzamts in Insolvenzverfahren, die zukünftig zugrunde
gelegt werden können.
I. Insolvenzrechtlicher Hintergrund für Leistungen an den Insolvenzschuldner
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse gem. § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Danach können Leistungen auf massezugehörige Forderungen
schuldbefreiend nur noch an ihn erfolgen; nimmt der Schuldner eine solche Leistung entgegen, stellt dies eine Verfügung
nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO dar, die absolut unwirksam ist.
Als Ausnahme hierzu kann gem. § 82 Satz 1 InsO nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens derjenige noch schuldbefreiend an den Schuldner leisten, obwohl die Verbindlichkeit
zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, der zzt. der Leistung die
Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Zugunsten der Leistenden normiert § 82 Satz 2 InsO dabei eine Vermutungsregelung, wonach von der Unkenntnis auszugehen ist, wenn die
Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens erfolgt. § 82 InsO hat insofern einen
doppelten Schutzzweck, zum einen zugunsten der Insolvenzmasse, indem er sicherstellt, dass schuldbefreiende Leistungen nur noch an die Insolvenzmasse erfolgen können, zum
anderen zugunsten des Leistenden, solange er die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens nicht kennt.3 Der beschränkte Gutglaubensschutz des Leistenden zeigt sich in den Beweislastregeln. Der Leistende muss grds. seine fehlende Kenntnis beweisen; vor Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung muss
jedoch aufgrund des § 82 Satz 2 InsO der Insolvenzverwalter
dessen Kenntnis beweisen. Da nur die positive Kenntnis für
den Leistenden schädlich ist, kann er sich trotz der Veröffentlichung von Insolvenzeröffnungen im Internet noch auf seine
Unkenntnis berufen; eine allgemeine Beobachtungspflicht
besteht nicht.4 Gehen Informationen bei einer am Rechtsverkehr teilnehmenden Organisation ein, muss sie im Rahmen
des Zumutbaren dafür sorgen, dass die Informationen unverzüglich an die entscheidenden Personen weitergeleitet und
zur Kenntnis genommen werden. Werden Informationen in
einem internen elektronischen Datenverarbeitungssystem er-
fasst und verarbeitet, kann sich der Leistende nach dem Verstreichen einer angemessenen Frist zur Kenntnisnahme nicht
mehr auf eine fehlende Kenntnis berufen.5
II. Aktuelle Entscheidung
Der BFH nimmt im aktuellen Urteil Bezug auf seine frühere Rechtsprechung und formuliert einige Grundaussagen. Er
stellt erneut fest, dass nur die positive Kenntnis von der Insolvenzeröffnung den Gutglaubensschutz des § 82 InsO ausschließt. Weiterhin lässt er die Anwendbarkeit der zu § 173
AO entwickelten Grundsätze auf die Fragen, wessen Kenntnis entscheidend ist und unter welchen Voraussetzungen ein
Finanzamt Kenntnis erlangt, offen. Im Rahmen des § 173 AO
kommt es auf die Kenntnis der für die Bearbeitung zuständigen Person an, wobei diesem nicht nur den Inhalt der Akten,
sondern auch sämtliche im elektronischen Datenverarbeitungssystem erfassten Informationen als bekannt gelten.6
Entschieden hat der BFH hingegen, dass eine einmal bekannt
gewordene Tatsache nicht durch einen Zuständigkeitswechsel unbekannt werden kann. Ebenso kann sich das Finanzamt
nach Treu und Glauben nicht auf seine Unkenntnis berufen,
wenn es bei ordnungsgemäßer Erfüllung der amtlichen Ermittlungspflichten Kenntnis erlangt hätte; das soll allerdings
nur bei gleichzeitiger Erfüllung der Mitwirkungspflichten
durch den Steuerpflichtigen gelten.7 Schließlich rekurriert der
BFH auf die Rechtsprechung des BGH zu § 82 InsO bzgl. am
Rechtsverkehr teilnehmender Organisationen.
1 BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 24/13, ZInsO 2015, 2581.
2 FG Saarland, Urt. v. 13.3.2013 – 4 K 1499/09.
3Nerlich/Römermann/Kruth/Wittkowski, InsO, 28. Aufl. 2015, § 82 Rn. 2.
4Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. 2015, § 82 Rn. 12, 13; Leithaus/Riewe,
DStR 2014, 2194, 2198.
5 Leithaus/Riewe, DStR 2014, 2194, 2197.
6 BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 24/13, ZInsO 2015, 2581 Rn. 14, 15.
7 BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 24/13, ZInsO 2015, 2581 Rn. 16.
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Aufgrund fehlender Feststellungen der Erstinstanz darüber, ob und wie das leistende Finanzamt seine Unkenntnis
nachgewiesen hat, und unklarer Feststellungen zum genauen zeitlichen Ablauf des Zuständigkeitswechsels und
der Kenntniserlangung trifft der BFH hier keine Aussage.
Zu der vermuteten zeitlichen Reihenfolge (Kenntniserlangung beim früher zuständigen Finanzamt vor dem Zuständigkeitswechsel) formuliert der BFH nur die dann zu entscheidenden Punkte (s.u.). Im Ergebnis verwehrt es dem
Insolvenzverwalter die Berufung auf den durch Wechsel der
örtlichen Zuständigkeit eingetretene Wissenszurechnung
zwischen den Finanzämtern bzw. die Argumentation, dass
sich das Finanzamt nach Treu und Glauben nicht auf seine
Unkenntnis berufen könne. Grundlage hierfür war es, dass
der Insolvenzverwalter seinerseits steuerliche Mitwirkungsund Erklärungspflichten verletzt hatte. Er hatte das Finanzamt nicht über den Wohnsitzwechsel informiert. Aus Sicht
des BFH geschah dies entweder wissentlich oder der Insolvenzverwalter hatte keine ausreichenden Vorkehrungen zur
Nachverfolgung des Wohnsitzes der Insolvenzschuldnerin
getroffen. Seine Erklärungspflichten verletzte er dadurch,
dass er mehrere Jahre weder Steuererklärung abgegeben hat
noch Besteuerungsgrundlagen an das Finanzamt mitteilte.
Die vom Insolvenzverwalter erfolgte Nachfrage bei der Insolvenzschuldnerin zur Ausübung einer einkommensteuerpflichtigen Tätigkeit lässt der BFH nicht genügen. Er hätte
sich um die gemeinsame Steuererklärung mit dem Ehemann
kümmern müssen.
III. Offene Fragen
Für den vom BFH vermuteten – und wohl auch in der Praxis wahrscheinlicheren – Fall, dass das ursprünglich zuständige Finanzamt von der Insolvenzeröffnung Kenntnis erlangt, dann eine Wohnsitzänderung mit damit verbundenem
Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des Finanzamts erfolgt
und das nunmehr zuständige Finanzamt eine Steuererstattung an den Insolvenzschuldner auszahlt, formuliert der
BFH die aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Fragen
wie folgt:8
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• Kann es bei jährlichen Veranlagungen darauf ankommen, dass die neu zuständige Finanzbehörde aus Rationalisierungsgründen bzw. bei aktenlosen Vorgängen
von einer Beiziehung der Vorgänge vergangener Jahre
absieht?
• Wie ist im Rahmen des § 82 InsO zwischen zulässiger
Wissenszurechnung und unzulässiger Ausdehnung auf
schuldhafte Unkenntnis abzugrenzen?
• Stellt der Fiskus eine „am Rechtsverkehr teilnehmende
Organisation“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung dar?
• Kann die Rechtsprechung des BGH zu einer am Rechtsverkehr teilnehmenden Organisation aufgrund der besonderen Pflichtverhältnisse zwischen Finanzbehörden
und Steuerpflichtigen, insbesondere der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, angewendet werden und
inwieweit ist diese Rechtsprechung ggf. durch einen
Rückgriff auf die zu § 173 AO entwickelten Grundsätze
zu modifizieren?
Leider lässt der BFH diese Fragen weiterhin unbeantwortet,
sodass hier für zukünftige Fallkonstellationen eine Rechtsunsicherheit verbleibt.
IV.Fazit
Aus Sicht des Insolvenzverwalters zeigt die Entscheidung
erneut die Bedeutung der Erfüllung sämtlicher steuerlicher
Pflichten, nicht nur der reinen Erklärungspflichten. Ob man
dem Urteil eine Überwachungspflicht des Insolvenzverwalters gegenüber dem Insolvenzschuldner entnehmen kann
oder muss, lässt der BFH offen. Im Rahmen der Mitteilung
des Wohnsitzwechsels an das nunmehr zuständige Finanzamt sollte ein – ggf. erneuter – Hinweis auf die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens erfolgen, um den Gutglaubensschutz des § 82 InsO auszuschließen.
• Kann zumindest dann, wenn das zuständig gewordene
Finanzamt von dem Zuständigkeitswechsel durch die
Angabe der ehemaligen Steuernummer und des ehemaligen Finanzamts in der Steuererklärung wusste, ein
Rückgriff auf die zu § 173 AO entwickelten Grundsätze
zur Zurechnung des Wissens des ehemals zuständigen
Finanzamts führen?
Rein insolvenzrechtlich lässt sich über das Urteil durchaus
streiten. § 82 InsO stellt in Bezug auf den Gutglaubensschutz eine Ausnahmevorschrift zur grds. durch § 81 InsO
normierten absoluten Unwirksamkeit dar. Klar verteilt ist
dabei die Beweislast, wonach der Leistende für nach der
Veröffentlichung der Insolvenzeröffnung erfolgte Zahlungen nachweisen muss, dass er die Eröffnung nicht kannte.
Ob eine Verletzung steuerlicher Pflichten des Insolvenzverwalters die Rechtswirkungen der §§ 80 ff. InsO, insbesondere des § 82 InsO beeinflussen kann, erscheint fraglich.
• Kann im Rahmen des § 82 InsO eine einmal bekannt
gewordene Tatsache durch einen Wechsel der Zuständigkeit der Finanzbehörde und/oder einen Wechsel des
Bearbeiters wieder unbekannt werden?
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BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 24/13, ZInsO 2015, 2581.
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