"Insolvenz und Sanierung" or

RA Prof. Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK
Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227
Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 / 1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
RA Prof. Dr. Georg Streit
Vorlesung Insolvenz und Sanierung: Grundlagen
F rü h ja h rs s e m e s te r 2 0 1 6
Beginn: 26.02.2016
Zeit:
Freitags von 13:00 bis 15:30 Uhr (Doppelvorlesung mit Pause)
Hörsaal: EW 242
Prof. Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK,
Prinzregentenstr. 48, 80538 München,
Tel.: 089/540 31 227, E-Mail: [email protected]
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Gliederung
I. Einleitung und Grundlagen
II. Die Verfahrensbeteiligten
•
Ziele des Insolvenzrechts.
•
Insolvenzschuldner.
•
Wirtschaftlicher Hintergrund.
•
Insolvenzgericht.
•
Überblick über die Verfahrensarten
der InsO.
•
Insolvenzverwalter.
•
Insolvenzgläubiger (Abgrenzung:
Massegläubiger).
•
Gläubigerversammlung und
Gläubigerausschuss.
•
Überblick über ein
Regelinsolvenzverfahren.
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Gliederung
III. Insolvenzeröffnungsverfahren
IV. Auswirkungen der
Verfahrenseröffnung
•
Eröffnungsantrag.
•
Sicherungsmaßnahmen des
Insolvenzgerichts.
•
Rechtsposition des Schuldners
nach Verfahrenseröffnung.
•
„Starker“ und „schwacher“
vorläufiger Insolvenzverwalter.
•
Beschlagnahme des Schuldnervermögens.
•
Insolvenzgründe.
•
•
Deckung der Verfahrenskosten
(„Massearmut“).
Verfügungen des Schuldners
nach Eröffnung/Verkehrsschutz.
•
•
Entscheidung des
Insolvenzgerichts.
Vollstreckungsverbot und
Rückschlagsperre.
•
Unterbrechung schwebender
Rechtsstreite.
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Gliederung
V. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters/Insolvenzarbeitsrecht
•
Dogmatik des Wahlrechts
(Ablehnung und Erfüllungsverlangen).
•
Einschränkungen des Wahlrechts
(Vormerkung, Eigentumsvorbehalt, Leasing, Miete, Pacht).
•
Insolvenzarbeitsrecht.
VI. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse
(I.)
•
Aussonderung.
•
Absonderung.
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Gliederung
VII. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse
(II.)
•
Aufrechnung.
•
Forderungseinzug.
•
Befriedigung der Massegläubiger.
•
Masseunzulänglichkeit.
•
Insolvenzanfechtung, allgemeine
Voraussetzungen, Anfechtungsgründe, Rechtsfolgen der
Anfechtung.
VIII. Forderungsfeststellung und
Masseverwertung
•
Forderungsanmeldung/prüfung.
•
Widerspruch gegen Forderungsfeststellung.
•
Masseverwertung.
•
Insbesondere: Übertragende
Sanierung.
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Gliederung
IX. Masseverteilung und
Verfahrensbeendigung
•
Abschlagsverteilung.
•
Schlussverteilung.
•
X.
Insolvenzplan und
Eigenverwaltung
•
Überblick/Zweck Insolvenzplanverfahren.
Nachtragsverteilung.
•
Inhalt eines Insolvenzplans.
•
Verfahrensaufhebung.
•
•
Verfahrenseinstellung.
Wirksamkeitserfordernisse
eines Insolvenzplans.
•
Verfahren nach Bestätigung
eines Insolvenzplans.
•
Eigenverwaltung als besondere
Verfahrensart.
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Gliederung
XI. Restschuldbefreiung und
besondere Verfahrensarten
•
Restschuldbefreiung: Ziele des
Gesetzgebers.
•
Schritte bis zur Restschuldbefreiung.
•
Verfahrenskostenstundung bei
Restschuldbefreiung.
•
Verbraucherinsolvenzverfahren
(Ziele des Gesetzgebers, außergerichtliche und gerichtliche
Einigungsversuche, vereinfachtes Insolvenzverfahren).
XII. Internationales Insolvenzrecht
• Gegenstand des internationalen
Insolvenzrechts.
•
EG InsO
•
EUInsVO.
Hinweise:
Die Vorlesung vermittelt die notwendigen
Grundkenntnisse, die jeder Jurist im
Insolvenzrecht besitzen sollte. Sie ist mit den
Blockveranstaltungen der Insolvenzpraktiker
zum selben Thema abgestimmt und deckt die
Grundlagen im Wahlbereich Insolvenz und
Sanierung ab.
Teilnehmer sollten zur Vorlesung den Text der
Insolvenzordnung mitbringen.
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Literatur zur Vorlesung
Lehrbücher:
• Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2014 (Verlag: Mohr Siebeck).
• Foerste, Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2014 (Verlag: C.H. Beck, Grundrisse des Rechts, gut
zu lesen, Beispielfälle, gelungener Umfang).
• Haarmeyer/Frind, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2014 (Kohlhammer, kurzer Überblick).
• Reischl, Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2014 (C. F. Müller, Schwerpunkte-Reihe, übersichtlich
strukturiert, Muster, Schaubilder, Fälle mit Lösungen).
• Zimmermann, Grundriss des Insolvenzrechts, 10. Aufl. 2015 (Verlag C. F. Müller).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 / 9
Literatur zur Vorlesung
Kommentare:
• K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016 (Beck, „Baumbach/Hopt-Format“, Empfehlung).
• Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl. 2015 (Vahlen, „Klassiker“).
• Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015 (ZAP, handlich,
gelungen und praxistauglich).
• Kirchhof u.a., Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 1 bis 2, 3. Aufl.
2013, Bd. 4, erscheint voraussichtlich im März 2016).
• Wimmer, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Aufl. 2015 (Luchterhand).
• Kreft, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 7. Aufl. 2014 (C. F. Müller).
• Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung (Loseblattsammlung, wird immer wieder
ergänzt).
• Kübler/Prütting, Insolvenzordnung (Loseblattsammlung, 3-bändig, wird immer wieder
ergänzt).
• Jaeger/Henkel/Gerhardt, InsO, (umfassender Großkommentar, erscheint in Bänden
seit 2004).
• Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht (Loseblatt, wird immer
wieder ergänzt).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 / 10
Literatur zur Vorlesung
Kommentare (Forts.):
• Braun, Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2014 (Beck, „Palandt-Format“).
• Andres/Leithaus, InsO, 3. Aufl. 2014.
Zeitschriften:
• ZIP (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; gute Abdeckung des Insolvenzrechts).
• ZInsO (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht; Spezialzeitschrift).
• NZI (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht; Spezialzeitschrift).
• KTS (Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen;
Spezialzeitschrift).
Entscheidungssammlung: EWiR (Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht; Zeitschrift mit
sehr prägnanten Zusammenfassungen aller wichtigen Entscheidungen zum
Wirtschaftsrecht, nie mehr als 2 Seiten, dabei ein Schwerpunkt auf InsO;
empfehlenswert).
Wichtig: Nicht in Details verlieren. Die Folien zur Vorlesung, die den relevanten Stoff
enthalten, werden auf der Webseite des ZIS zur Verfügung gestellt. Sinnvoll ist es, die
bewusst knappen Literatur- und Rechtsprechungszitate nachzulesen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
I. Einführung und Überblick über die
Verfahren der InsO
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
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Ziele des Insolvenzrechts (I)
•
Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der
Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere
zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (§ 1 S. 1 InsO).
•
Optimale Haftungsverwirklichung („Heranziehung aller Werte“ im Gegensatz zur
Einzelzwangsvollstreckung: Pfändung bestimmter einzelner Vermögensgegenstände).
•
Optimale Gläubigerbefriedigung in Knappheitssituation (vgl. § 1 S. 1 InsO,
„Verwertung aller Werte“ à Einzelzwangsvollstreckung).
•
Gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger: Außerkraftsetzung des Prioritätsprinzips der Einzelzwangsvollstreckung.
(Vgl. §§ 704 ff., 804 Abs. 3, 808 Abs.1, 829 Abs. 3 ZPO Einzelzwangsvollstreckung
bildlich: „Jeder marschiert für sich, wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“).
à Verhinderung des „Gläubigerwettlaufs“ („concursus creditorum“),
bildlich: „Einer marschiert für alle, nämlich der Insolvenzverwalter.“
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Ziele des Insolvenzrechts (II)
•
Gleiche Bedingungen für alle Gläubiger: par condicio omnium creditorum
(Römisches Recht, Digesten 42.8.6.7, S. 2, zur Insolvenzanfechtung).
Beispiel: Die Schuldner-GmbH hat ein Vermögen von 50 TEURO und die 5 Gläubiger
A bis E, deren Forderungen jeweils 40 TEURO betragen. Die Forderungen werden
nahezu gleichzeitig fällig.
Gläubiger A hat die besten Informationen über die Schuldner-GmbH und könnte sich
durch schnelles Handeln mit Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren nach der
ZPO volle Befriedigung sichern. Für den „zweitschnellsten” Gläubiger B stünden danach
noch 10 TEURO als Haftungsmasse zur Verfügung. Die übrigen 3 Gläubiger würden
ohne die Vorgaben des Insolvenzrechts leer ausgehen. Wie wirkt das Insolvenzrecht in
diesem Beispielfall?
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Ziele des Insolvenzrechts (III)
•
Quotale (bestmögliche) Befriedigung der Gläubiger
Bsp. (vgl. oben): Schuldnervermögen 50 TEURO (Aktivmasse),
Gläubigerforderungen 5 x 40 TEURO = 200 TEURO (Passivmasse), Quote 50/200
TEURO = ¼ = 25%. Gläubiger A mit Forderung 40 TEURO erhält 25% hiervon, also
10 TEURO (vereinfacht, in der Praxis würden Verfahrenskosten, § 54 InsO und
weitere Masseverbindlichkeiten, vgl. § 55 InsO, die vorab aus der Aktivmasse zu
befriedigen sind, vgl. § 53 InsO, die Quote noch schmälern)
Aktivmasse (abzgl. Verbindlichkeiten gem. §§ 54 f. InsO)
Grundsätzlich gilt für alle:
--------------------- = Quote
Passivmasse
Weitere Ziele:
•
Restschuldbefreiung für den „redlichen Schuldner“ (§ 1 S. 2 InsO à
§§ 286 ff. InsO).
•
Ermöglichung einer Erhaltung wirtschaftlicher Werte (im Interesse der
Insolvenzgläubiger!) durch Ermöglichung des Unternehmenserhalts im
Insolvenzplanverfahren (vgl. § 1 S. 1, 2. Alt InsO à §§ 217 ff. InsO).
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Statistische Angaben zur Zahl der Insolvenzen
•
•
Insolvenzen in Deutschland in 2015 (Quelle: Bericht der Creditreform „Insolvenzen
in Deutschland 2015“ v. 08.12.2015):
•
rund 23.230 Unternehmensinsolvenzen (einschließlich Kleingewerbe) (- 3,3 %
ggü. 2014) – niedrigster Stand seit Einführung der Insolvenzordnung (InsO)
vor 15 Jahren.
•
rund 79.030 Verbraucherinsolvenzen (- 8,6 % ggü 2014).
•
rund 126.200 Fälle Insolvenzen insgesamt (inkl. natürliche Personen als
Gesellschafter, ehemals selbständig Tätige, Verbraucher, Nachlassinsolvenzen)
(- 6,5 % ggü. 2014) – niedrigster Stand seit 2004.
Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa 2013 (Quelle: Bericht der Creditreform
„Insolvenzen in Europa 2014/2014 v. 19.05.2015, EU 15-Staaten, Schweiz +
Norwegen):
2014 insgesamt 179.662 Unternehmensinsolvenzen (- 5,4 % ggü. 2013).
•
Besonders markante Zuwächse und Rückgänge:
•
•
•
Italien:
+ 12,8 %
Spanien
- 28,5 %
Niederlande - 20,7 %
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./6
Der gesetzliche Rahmen (I)
•
Insolvenzordnung (InsO), verkündet am 05.10.1994 (BGBl. I, 2866), in Kraft seit
01.01.1999, zahlreiche Änderungen, z.B. mit Gesetz vom
•
26.10.2001 (BGBl. I, 2710), in Kraft seit 01.12.2001 (Änderungen
Verbraucherinsolvenz, Insolvenzausfallgeld),
•
23.10.2008 (BGBl. I, 2026), in Kraft seit 01.11.2008 (MoMiG - Gesetz zur
Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen),
•
07.12.2011 (BGBl. I, 2582), in seinen wesentlichen Teilen in Kraft seit 01.03.2012
(ESUG – Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen),
•
15.07.2013 (BGBl. I, 2379) zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens
und zur Stärkung der Gläubigerrechte.
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Der gesetzliche Rahmen (II)
•
Konkursordnung (KO, „Perle” der „altehrwürdigen” Reichsjustizgesetze vom
10.02.1877, RGBl. I, 351): Abgelöst durch die Insolvenzordnung.
Vor Konkurseröffnung war die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse der
Regelfall geworden (75%, dazu 20% Einstellungen mangels Masse): „Konkurs des
Konkurses” aufgrund der publizitätslosen Sicherheit (Sicherungsübereignung,
Sicherungszession) und Auszehrung der Konkursmassen.
•
Vergleichsordnung (VglO vom 26.02.1935, RGBl. I, 321): Vorläufer des
Insolvenzplanverfahrens, kam in den letzten Jahrzehnten vor Inkrafttreten der InsO
kaum noch zur Anwendung (Mindestquote von 35 % gem. § 7 Abs. 1 VglO).
•
Gesamtvollstreckungsordnung (GesO): Nach dem Einigungsvertrag in den fünf
neuen Bundesländern bis zum Inkrafttreten der InsO und für vorher beantragte
Verfahren (Art. 103 EGInsO) fortgeltendes Insolvenzrecht der DDR (Neufassung vom
23.05.1991 BGBl. I, 1185).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./8
Die Ziele der Insolvenzrechtsreform 1994 / 1999 (I)
•
Vereinheitlichung des Insolvenzrechts (KO, VglO, GesO à InsO).
•
Mehr eröffnete Verfahren / weniger Abweisungen mangels Masse:
•
Neuer Insolvenzgrund „drohende Zahlungsunfähigkeit“ (§ 18 InsO).
•
Kostenstundung bei Privatinsolvenzen nach §§ 4a ff. InsO.
•
Haftungsanspruch zur Absicherung des Verfahrenskostenvorschusses
(§ 26 Abs. 3 InsO).
•
Massestärkung durch Einbeziehung von Neuvermögen (§ 35 InsO).
•
Kostenbeiträge der Sicherungsnehmer (§§ 170, 171 InsO).
•
Verschärfung des Anfechtungsrechts (z.B. Fristanknüpfung an
Eröffnungsantrag und nicht an Verfahrenseröffnung, §§ 129 ff. InsO).
•
Beseitigung der Konkursvorrechte (z.B. Lohnrückstände, vgl. §§ 38, 39 InsO;
aber Insolvenzgeld).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./9
Die Ziele der Insolvenzrechtsreform 1994 / 1999 (II)
•
Erleichterung der Unternehmenssanierung (Insolvenzplan, §§ 217 ff. InsO) und
übertragende Sanierung (vgl. dazu Regelungen in §§ 160 ff. InsO).
•
Größere Flexibilität (Eigenverwaltung, §§ 270 ff. InsO, Insolvenzplanverfahren).
•
Stärkung der Gläubigerautonomie (Insolvenzplanverfahren, §§ 217 ff. InsO).
•
Lösung der „Schuldturmproblematik“ durch erleichterte Restschuldbefreiung
(§§ 286 ff. InsO, 2001: Verkürzung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf sechs
Jahre).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./10
Die Ziele des Reformgesetzgebers (MoMiG 2008)
in Bezug auf die InsO
•
Rechtsformübergreifende, insolvenzrechtliche Anknüpfung der Antragspflicht
(§ 15a InsO) mit Strafbewehrung.
•
Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags auch bei Führungslosigkeit
(§ 15a Abs. 3 InsO).
•
„Abschaffung“ des Eigenkapitalersatzrechts.
•
Liberalisierung des Rechts der Eigenkapitalaufbringung und -erhaltung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./11
Die Ziele des Reformgesetzgebers (ESUG vom
07.12.2011, in seinen wesentlichen Teilen in Kraft
getreten am 01.03.2012, BGBl. 2011, I, 2582)
•
Erleichterung der Unternehmenssanierung.
•
Ausbau und Straffung des Insolvenzplanverfahrens.
•
Vereinfachung des Zugangs zur Eigenverwaltung („Schutzschirmverfahren“ für
Schuldner).
•
Stärkerer Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters.
•
Größere Konzentration der Zuständigkeit der Insolvenzgerichte.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./12
Die Ziele des Reformgesetzgebers (Gesetz zur
Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens
und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom
15.07.2013, BGBl. I, 2379)
•
Erleichterung der Restschuldbefreiung.
•
Verkürzung der Wohlverhaltensperiode bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen
auf drei Jahre zur Verbesserung des internationalen Wettbewerbs der Rechtsordnungen.
•
Klarstellung zahlreicher Detailfragen zu Versagungsgründen und Obliegenheiten im
Zusammenhang mit der Erteilung der Restschuldbefreiung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./13
Überblick über die Verfahrensarten der InsO (I)
1. Reguläres Verfahren
Regelverfahren: Masseverwertung nach gesetzlichen Regelvorschriften,
§§ 35 ff. InsO.
Insolvenzplanverfahren: §§ 217 ff. InsO, Masseverwertung/Verteilung
entsprechend einer vom Gericht bestätigen „Einigung“ zwischen den Gläubigern
untereinander und – mit Einschränkungen, vgl. § 247 InsO – dem Schuldner.
Eigenverwaltung (inkl. „Schutzschirmverfahren“ gem. § 270b InsO) gem.
§§ 270 ff. InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./14
Überblick über die Verfahrensarten der InsO (II)
2. Sonderverfahren
Verbraucher/Kleinverfahren, §§ 304 ff. InsO:
Schuldner natürliche Person, keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit bzw.
überschaubare Vermögensverhältnisse trotz früherer Selbständigkeit.
Außergerichtlicher Schuldenbereinigungsversuch, gerichtlich moderierter
Schuldenbereinigungsversuch, bei Scheitern: Vereinfachtes Insolvenzverfahren.
3. Insolvenzverfahren über Sondervermögen
Nachlassinsolvenz, §§ 315 ff. InsO, Insolvenzverfahren über Gesamtgut,
§§ 332 ff. InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./15
Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (I)
•
Eröffnungsantrag, § 13 InsO durch Schuldner oder Gläubiger (keine Einleitung von
Amts wegen).
•
Zulässigkeitsprüfung durch Insolvenzgericht bei Gläubigeranträgen, § 14 InsO
(Insolvenzfähigkeit des Schuldners, Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds).
•
Zustellung eines zulässigen Gläubigerantrags an den Schuldner, Anhörung des
Schuldners, § 14 Abs. 2 InsO.
•
Begründetheitsprüfung: Tatsächliches Vorliegen eines Insolvenzgrundes
(§§ 16 ff. InsO), verfahrenskostendeckende Masse (§ 26 InsO)?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./16
Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (II)
•
Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts während der Schwebezeit (z.B.
vorläufiger Insolvenzverwalter, allgemeines Verfügungsverbot gegen den Schuldner,
vgl. §§ 21 ff. InsO).
•
Insolvenzeröffnungsbeschluss, § 27 InsO, bei Begründetheit des
Eröffnungsantrags, Veröffentlichung (§ 30 InsO),
•
Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 27, 56 InsO),
•
Fristbestimmung für Forderungsanmeldung (§ 28 InsO)
à max. 3 Monate,
•
Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 157 InsO)
à max. 3 Monate,
•
Prüfungstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 176 InsO)
à max. 3+2 Monate.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./17
Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (III)
•
Beschlagnahme des Schuldnervermögens mit Insolvenzeröffnung, Übergang
der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bzgl. Der Insolvenzmasse auf
Insolvenzverwalter, § 80 InsO („Amtstheorie“).
•
Insolvenzverfahren werden nicht „über Unternehmen“, sondern über das Vermögen
eines Rechtsträgers eröffnet.
•
Insolvenzschuldner ist die juristische Peron/Personengesellschaft. Diese bleibt
auch nach der Eröffnung bestehen. Die Gesellschaftsanteile bestehen zunächst
fort. Die Gesellschaftsanteile fallen nicht in die Insolvenzmasse. Die
Gesellschaftsorgane bestehen neben dem Insolvenzverwalter weiter.
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Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (IV)
•
Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Insolvenzverwalter und Gesellschaftsorganen
durch Einteilung in drei Zonen:
1. Verdrängungsbereich: Insolvenzrecht, Alleinzuständigkeit des Verwalters bei
Vermögensbezug (Verwertung des Gesellschaftsvermögens, auch im Fall des
§ 179a AktG und in „Holzmüller-Fällen“, daher kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich).
2. Schuldnerbereich: Gesellschaftsrecht, Alleinzuständigkeit der
Gesellschaftsorgane bei gänzlich fehlender Masserelevanz.
3. Überschneidungsbereich: Feststellung der Zuständigkeit im Einzelfall,
Abgrenzungskriterium ist die Masserelevanz.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./19
Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (V)
•
Besitzergreifung durch den Insolvenzverwalter (§ 148 InsO), Inventarisierung der
Masse (§ 151 InsO).
•
Von der „Ist-Masse“ zur „Soll-Masse“: Aussonderung massefremder Gegenstände
(§ 47 InsO), Herausgabe unpfändbarer Gegenstände an den Schuldner
(§ 36 InsO à §§ 811 ff., 850 ff. ZPO).
•
Möglichkeit der Freigabe von Massegegenständen, deren Verwertung nicht sinnvoll
oder nicht möglich erscheint. Freigabemöglichkeit auch bei Gewerbebetrieben von
Selbständigen (§ 35 Abs. 3 InsO).
•
Forderungseinziehung durch den Insolvenzverwalter, ggf. Rückholung von
Vermögenswerten durch Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO).
•
Von der „Soll-Masse“ zur „Teilungs-Masse“ durch Verwertung (§ 159 InsO) der
vorhandenen Vermögenswerte („Soll-Masse“ = „Aktiv-Masse“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./20
Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (VI)
•
Feststellung der Insolvenzforderungen (§ 178 InsO) in ihrer Gesamtheit:
„Passivmasse“.
•
Erstellung des Verteilungsverzeichnisses, § 188 InsO, ggf. Abschlagsverteilungen, § 187 Abs. 2 InsO, Schlussverteilung, § 196 InsO.
•
Schlusstermin, § 197 InsO und Aufhebung des Insolvenzverfahrens, § 200 InsO.
•
Anschließend: Freies Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger hinsichtlich ihrer
nicht befriedigten Forderungen, § 201 InsO, ggf. jedoch Restschuldbefreiung,
§§ 286 ff. InsO, Ankündigung durch das Insolvenzgericht im Schlusstermin, §§ 289,
291 InsO, ggf. Erteilung der Restschuldbefreiung nach 3- bis 6- jähriger
Wohlverhaltensperiode, §§ 300, 287 Abs. 2 S. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 I./21
Fälle (Vorbereitung Vorlesung II):
•
In der XY OHG gibt es zwei Gesellschafter (X und Y). X möchte einen Eröffnungsantrag stellen, Y widerspricht. Kann X den Antrag stellen, wenn ja, mit welcher
Begründung?
•
Wie wäre es, wenn es sich um die XY GmbH & Co. KG handeln würde und X und Y
mit ihren unterschiedlichen Auffassungen alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Komplementär GmbH wären: Gibt es in diesem Fall eine Antragspflicht,
wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
II. Die Verfahrensbeteiligten
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./2
• Übersicht:
„Schafft“ Verfahrensrahmen
für die Vermögensverwertung, Aufsicht
über Insolvenzverwalter
„Zentralfigur“, Verwaltung und
Verwertung der Insolvenzmasse, Forderungsfeststellung, Erlösverteilung
§§ 38 ff. InsO
Gläubiger
Gläubigerversammlung
§§ 74 ff. InsO
Insolvenzgericht
§§ 2 ff. InsO
Insolvenzverwalter
§§ 56 ff. InsO
Grds. kontradiktorisches
Verfahren (§ 4 InsO à ZPO),
aber Einschränkungen (insbes.
§ 5 InsO à Ermittlung v.A.w.)
§§ 11, 12 InsO
Schuldner
Gläubigerausschuss
§§ 67 ff. InsO
(nach Eidenmüller)
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./3
Insolvenzschuldner (I)
•
Insolvenzfähigkeit
Fähigkeit, am Insolvenzverfahren als Schuldner beteiligt zu sein, § 11 InsO:
•
Natürliche Personen.
•
Juristische Personen des Privatrechts (AG, GmbH, Genossenschaft, rechtsfähiger Verein, KGaA): Insolvenzeröffnung ist regelmäßig Auflösungsgrund,
beseitigt aber – noch – nicht die Rechtsfähigkeit.
•
Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG, GmbH & Co. KG, PartG,
Partenreederei (§ 489 HGB), EWIV) Ú insolvenzfähig gem. § 11 Abs. 2 Nr. 1
InsO. GbR nur insolvenzrechtsfähig als BGB-Außengesellschaft, nicht als BGBInnengesellschaft. Str., ob Schuldner im Insolvenzverfahren diese Gesellschaften
sind oder deren Gesellschafter (mit Beschränkung des Insolvenzverfahrens
(nicht unbedingt der Haftung!) auf das Gesellschaftsvermögen, sog. „Sonderinsolvenzverfahren“; für ersteres spricht die weitgehende Annäherung der
Personengesellschaften an juristische Personen (§§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB
bzw. die Rechtsfähigkeit der GbR nach der BGH-Rechtsprechung (BGH NJW
2001, 1056)).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./4
Insolvenzschuldner (II)
•
Insolvenzfähigkeit
•
Nicht rechtsfähige Vereine (§ 11 Abs. 1 S. 2 InsO).
•
Vorgesellschaften und Gesellschaften in Liquidation sind ebenfalls
insolvenzfähig.
•
Auch Auslandsgesellschaften, insbesondere die UK Ltd. mit Verwaltungssitz in
Deutschland (vgl. zur Haftung des Direktors für masseverkürzende Zahlungen
EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-594/14, NZI 2016, 48).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./5
Insolvenzschuldner (III)
•
Insolvenzfähigkeit
•
Nicht insolvenzfähig sind die GbR in Form der reinen Innengesellschaft und die
stille Gesellschaft (Grund: rein schuldrechtliche Beziehung der Gesellschafter
untereinander ohne für den Haftungszugriff der Gläubiger abgrenzbaren
Haftungsverband).
•
Einschränkungen bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, § 12 InsO:
•
Nicht insolvenzfähig sind der Bund und die Länder.
•
Nicht insolvenzfähig sind andere juristische Personen des öffentlichen
Rechts, wenn das Landesrecht dies bestimmt (dies gilt insgesamt für
Gemeinden und Gemeindeverbände, Grund: Daseinsvorsorge).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./6
Sonderinsolvenzverfahren
•
Sonderinsolvenzverfahren über einen Nachlass (§§ 315 ff. InsO) und das Gesamtgut
bei Gütergemeinschaft (vgl. § 332 ff. InsO, § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO).
Ú Ausnahmen vom Prinzip der Universalinsolvenz:
Schuldner und Verfahrensbeteiligte sind Erbe bzw. Ehegatten, das Verfahren
beschränkt sich aber auf das ererbte Vermögen bzw. das Gesamtgut.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./7
Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
•
Den Insolvenzschuldner (bzw. dessen Organe) treffen Auskunfts- und
Mitwirkungspflichten (§ 97 InsO).
•
Zweck: Schuldner soll den Insolvenzverwalter unterstützen, um die Massemehrung
zu ermöglichen.
•
Problem: Gefahr der Offenbarung strafbarer Handlungen (z.B. §§ 263, 266 StGB).
•
Lösung: Verwertungsverbot, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./8
Insolvenzgericht,
sachliche und örtliche Zuständigkeit
•
Sachliche Zuständigkeit: Amtsgerichte, in deren Bezirk ein Landgericht seinen Sitz
hat für diesen LG-Bezirk, § 2 Abs. 1 InsO (ausschließliche Zuständigkeit, keine
Prorogation, vgl. § 4 InsO i.V.m. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), wobei § 2 Abs. 2 InsO
abweichende Landesregelungen ermöglicht.
•
Örtliche Zuständigkeit: Gemäß § 3 Abs. 1 InsO ist ausschließlich das
Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen
allgemeinen Gerichtsstand (vgl. §§ 12-17 ZPO), bzw. bei Abweichung vom
allgemeinen Gerichtsstand vorrangig gegebenenfalls den Mittelpunkt seiner
selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat (Verwaltungssitz, nicht Produktion).
à Problematik des „Forum Shopping“ / der „professionellen GmbH Bestattung“.
à „Forum Shopping“ auch im internationalen Bereich, vgl. Vorlesung XII.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./9
Dritte Stufe der Insolvenzrechtsreform
Gesetzgebungsentwurf der Bundesregierung (Drs. 18/407) vom 30.01.2014
Entwurf für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen:
•
•
•
Einführung eines Gruppen-Gerichtstands:
•
Zulässiger Eröffnungsantrag.
•
Verfahrenskonzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger.
•
Keine offensichtlich untergeordnete Rolle des antragstellenden Schuldners
innerhalb der Gruppe.
Bestellung eines einheitlichen Insolvenzverwalters:
•
Im Regelfall, wenn keine Interessenkonflikte.
•
Koordinationsverwalter bei mehreren Insolvenzverwaltern.
•
Koordinationsplan durch Koordinationsverwalter zur Maßnahmenfixierung.
Kooperationspflichten zwischen Verwaltern und Gerichten:
•
Zusammenarbeit, sofern keine Schlechterstellung der eigenen Insolvenzmasse.
•
Pflichten auch für Gerichte.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./10
Insolvenzgericht, funktionelle Zuständigkeit
•
Funktionelle Zuständigkeit:
•
Richter am Amtsgericht als Insolvenzrichter bis einschließlich zum Insolvenzeröffnungsbeschluss (Verwalterauswahl!) (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG). Grund:
Massiver Eingriff in die Rechte des Schuldners.
•
Weitere Kompetenzen des Richters gemäß § 18 Abs. 1, 2 RPflG, insbesondere
für Insolvenzplanverfahren (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG).
•
Im Übrigen ist grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr. 2 lit. e RPflG).
Ú Daher entscheidet der Rechtspfleger grundsätzlich über Aufhebung und
Einstellung des Insolvenzverfahrens und führt die Rechtsaufsicht über den
Insolvenzverwalter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./11
Verfahrensgrundsätze des Insolvenzgerichts
•
Im Insolvenzverfahren sind gemäß § 4 InsO die Vorschriften der ZPO
entsprechend anzuwenden, falls nichts Abweichendes geregelt ist (Insolvenzrecht
als Gesamtv o lls tre c k u n g ).
•
Im Gegensatz zur ZPO (Verhandlungsmaxime) gilt im Insolvenzverfahren allerdings
gem. § 5 InsO der Grundsatz der Amtsermittlung (erst ab Begründetheitsprüfung
nach zulässigem Eröffnungsantrag: BGH NJW 2003, 1187).
•
Hinweis: Der Amtsermittlungsgrundsatz schließt keinesfalls aus, dass Beteiligte,
insbes. Gläubiger und Schuldner, von sich aus Hinweise zum Sachverhalt gegenüber
dem Insolvenzgericht erteilen. Praxis: Sachaufklärung des Insolvenzgerichts über
Sachverständigen oder über vorläufigen Insolvenzverwalter.
•
Das Insolvenzverfahren ist „gläubigeröffentlich“, mündliche Verhandlungen sind
gem. § 5 Abs. 2 InsO freigestellt, Akteneinsicht steht den Verfahrensbeteiligten zu
(vgl. §§ 154, 175 Abs. 1 S. 2, 188 S. 2 InsO); zu Spezialfällen und im Übrigen
§ 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO (Zu Zustellungen und öffentlichen Bekanntmachungen vgl.
§§ 8, 9 InsO, www.insolvenzbekanntmachungen.de)
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./12
Rechtsschutz
•
Rechtsschutz: Sofortige Beschwerde in den durch die InsO selbst zugelassenen
Fällen, § 6 Abs. 1 InsO (gleich ob Entscheidungen des Richters oder Rechtspflegers
angefochten werden, vgl. § 11 Abs. 1 RPflG). Frist: 2 Wochen (§§ 4 InsO,
569 Abs. 1 ZPO, Notfrist!), Abhilfemöglichkeit (§§ 4 InsO, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO).
•
Soweit keine sofortige Beschwerde durch die InsO vorgesehen ist, können
Entscheidungen des Rechtspflegers mit der Rechtspfleger-Erinnerung
(§ 11 Abs. 2 RPflG) angefochten werden.
•
Soweit das Landgericht als Beschwerdegericht über die sofortige Beschwerde gegen
Entscheidungen des Rechtspflegers oder Insolvenzrichters entschieden hat, ist die
Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es diese zugelassen hat (§§ 4 InsO,
574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats zum
Bundesgerichtshof einzulegen (§§ 4 InsO, 575 Abs. 1 S. 1 ZPO, 133 GVG).
•
§ 7 InsO (Rechtsbeschwerde) wurde mit Wirkung vom 27.10.2011 aufgehoben.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./13
Staatshaftung
•
Bei Amtspflichtverletzungen des Insolvenzgerichts (sowohl des Richters wie auch
des Rechtspflegers) haftet das jeweilige Bundesland als Anstellungskörperschaft ggf.
gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB.
•
Das Spruchrichterprivileg gem. § 839 Abs. 2 BGB gilt für Fehler des Insolvenzgerichts regelmäßig nicht (keine „Urteile“ im Sinne des § 839 Abs. 2 BGB).
•
Denkbare Amtspflichtverletzungen sind Fehler bei der Reaktion auf den
Eröffnungsantrag (Verzögerung bzw. voreilige Eröffnung; Außerachtlassung von
Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Insolvenzverfahren; etc.).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./14
Insolvenzverwalter (I)
•
Der Insolvenzverwalter ist die „Zentralfigur“ des Insolvenzverfahrens.
•
Zu unterscheiden ist der Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren von
einem eventuell durch das Insolvenzgericht im Insolvenze rö ffn u n g s verfahren
eingesetzten vo rläu fig en Insolvenzverwalter (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 22 InsO). Für
den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten allerdings die meisten Regelungen zum
Insolvenzverwalter entsprechend.
•
Schwächere Positionen haben der Sachwalter bei einem Insolvenzverfahren in
Eigenverwaltung (vgl. §§ 270 Abs. 1, 274 InsO) und der vorläufige Sachwalter im
Eröffnungsverfahren (vgl. § 270a InsO) oder im „Schutzschirmverfahren“
(vgl. § 270b InsO) und der Treuhänder beim Verbraucherinsolvenzverfahren
(vgl. §§ 304, 311, 313 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./15
Insolvenzverwalter (II)
•
Die grundsätzlich starke Stellung resultiert aus der Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse, die mit Eröffnung des
Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO).
•
Bestellung durch das Insolvenzgericht (Insolvenzrichter) mit Eröffnung des
Insolvenzverfahrens durch Beschluss gem. § 27 InsO (bzw. als vorläufiger
Insolvenzverwalter gem. §§ 21 ff. InsO).
•
Annahme (auch konkludent durch Aufnahme der Tätigkeit) erforderlich.
Bestellungsurkunde (vgl. § 56 Abs. 2 InsO) nur deklaratorisch.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./16
Insolvenzverwalter (III)
•
Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters (§ 56 Abs. 1 S. 3
InsO).
•
Mitwirkungsrecht des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 56a i.V.m. §§ 21 Abs. 2
Nr. 1a, 22a InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./17
Insolvenzverwalter (IV)
•
P e rs ö n lic h e s
„Amt“ (keine Bestellung einer Sozietät). Auswahlkriterien: Eignung im
Einzelfall, Geschäftskundigkeit, Unabhängigkeit gegenüber Gläubigern und
Schuldnern, natürliche Person. Juristische Qualifikation (Examina) nicht erforderlich,
wohl jedoch Kenntnisse des Insolvenzrechts und (bei Unternehmensinsolvenz)
Kenntnisse im Arbeits-, Steuer- und Gesellschaftsrecht, daneben Rechnungslegungskenntnisse. Zumeist RA, häufiger werden auch WP und StB bestellt.
•
Auswahlprozess problematisch („bekannt und bewährt“, „Listenproblematik“),
Art. 12 GG, vgl. BVerfG, ZInsO 2006, 869. Starker Einfluss der Gläubiger auf die
Auswahl des Insolvenzverwalters gemäß § 56 Abs. 1 S. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./18
Insolvenzverwalter (V)
•
Möglichkeit konstruktiver Abwahl des Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung gemäß § 57 InsO mit Summen- und Kopfmehrheit in der e rs te n
Gläubigerversammlung (Berichtstermin, § 156 InsO). Auch wenn ein Verwalter auf
Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses vom Gericht bestellt worden ist,
bleibt es dabei, dass im eröffneten Verfahren die Gläubigerversammlung mit
Summen- und Kopfmehrheit endgültig über die Person des Verwalters entscheidet
(§ 57 InsO), vgl. Begründung zum ESUG, BR-Drs. 127/11, S. 36.
•
Aufsicht des Insolvenzgerichts gemäß § 58 InsO (Rechtspfleger) mit Auskunftsrecht
und Berichtspflicht (Durchsetzung: Zwangsgeld).
•
Überwachung durch den Gläubigerausschuss (§§ 67 ff. InsO).
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Insolvenzverwalter (VI)
•
Ende des Amtes durch:
•
Entlassung aus wichtigem Grund durch das Insolvenzgericht (zuständig:
Insolvenzrichter) gemäß § 59 Abs. 1 InsO,
•
konstruktive Abwahl (§ 57 InsO),
•
Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 200 InsO) bzw. Einstellung des
Verfahrens, §§ 207 ff. InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./20
Insolvenzverwalter (VII)
•
Vergütungsanspruch gem. §§ 63 ff. InsO. Festsetzung durch das Insolvenzgericht
(rgm. Rechtspfleger). Maßgeblich: Wert der Aktivmasse bei Verfahrensbeendigung,
Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, Vergütungsverordnung gem. § 65 InsO (InsVV).
Masseschuld gem. §§ 53, 54 Nr. 2 InsO. Fälligkeit mit Verfahrensbeendigung, bei
längeren Verfahren jedoch regelmäßig Vorschüsse (Stellungnahme durch
Gläubigerausschuss).
•
Änderung der §§ 63, 65 InsO im Rahmen der zweiten Stufe der Insolvenzrechtsreform im Entwurf eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BT Drucks. 17/11268 vom
31.10.2012). Grund: Größere Rechtssicherheit.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./21
Insolvenzverwalterhaftung (I)
•
Schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gem. § 60 Abs. 1 InsO
führt zur Haftung gegenüber den Verfahrensbeteiligten (bei sog. Gesamtschäden
beachte § 92 S. 2 InsO, siehe auch §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 261 Abs. 1 S. 2, 274 Abs. 1,
313 Abs. 1 S. 3 InsO). Haftung für Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB,
Einschränkung jedoch für Personal des Schuldners gem. § 60 Abs. 2 InsO.
Beispiele: Anerkennung unberechtigter Forderungen; Versäumnis, erreichbare
Vermögenswerte zur Masse zu ziehen; Zulassen der Verjährung von
aussichtsreichen Forderungen des Schuldners; Nichtbeachtung von Aus- und
Absonderungsrechten usw.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./22
Insolvenzverwalterhaftung (II)
•
Haftung gegenüber Massegläubigern, Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters, wenn Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt
werden können (Exkulpationsmöglichkeit gem. § 61 S. 2 InsO), vgl. zu dieser
Situation der Masseunzulänglichkeit auch § 208 InsO.
•
Verjährung der Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter gem.
§ 62 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem BGB,
spätestens innerhalb von drei Jahren ab Aufhebung/Einstellung des Insolvenzverfahrens.
•
Daneben allgemeine deliktische Haftung, da den Verwalter (eigene) Verkehrssicherungspflichten treffen (str.), für Delikte des Verwalters haftet die Masse
entsprechend § 31 BGB (Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da auf
Handlungen des Insolvenzverwalters beruhend).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./23
Qualifikation der Stellung des Insolvenzverwalters (I)
•
Im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Stellung des Insolvenzverwalters
werden (wurden) folgende Theorien vertreten:
•
Vertretungstheorien:
a) Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzgläubiger (abzulehnen, der
Insolvenzverwalter vertritt in gewissem Umfang a u c h die Interessen des
Schuldners, Auffassung wird heute auch nicht mehr vertreten).
b) Insolvenzverwalter als Vertreter des Schuldners, wird zwar noch vertreten, ist
aber eher abzulehnen, da die Vertretung der Gläubigerinteressen und die
weitestgehende Beschränkung der Wirkungen des Verwalterhandelns auf die
Insolvenzmasse von dieser Theorie nicht hinreichend erklärt wird.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./24
Qualifikation der Stellung des Insolvenzverwalters (II)
•
Organtheorie (Insolvenzverwalter als Organ der Insolvenzmasse): Diese Theorie
erklärt die auf die Masse beschränkten Wirkungen des Insolvenzverwalterhandelns.
Sie ist indes problematisch in Bezug auf Insolvenzverfahren über das Vermögen
natürlicher Personen.
•
Öffentlich-rechtliche Theorie: Insolvenzverwalter als Beliehener.
•
Amtstheorie (BGH, h.L.): Der Insolvenzverwalter handelt im eigenen Namen als
Partei kraft Amtes. Das Insolvenzverwalterhandeln erfolgt unabhängig vom Willen
des Schuldners aufgrund eigener Rechte. Im Prozess klagt “XY als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S-GmbH”.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./25
Insolvenzgläubiger (I)
Insolvenzgläubiger sind Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben („persönlichen
Anspruch“, vgl. Legaldefinition des § 38 InsO).
Nicht Insolvenzgläubiger sind folglich:
•
Dinglich Berechtigte:
Eigentümer Ú Aussonderung, Grundschuldgläubiger Ú Absonderung; evtl. aber
Insolvenzgläubiger „für den Ausfall“.
•
Neugläubiger:
Entstehung des Anspruchs gegen den Schuldner n a c h Verfahrenseröffnung.
•
Massegläubiger gem. § 53 InsO:
Ansprüche gegen die Masse selbst aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung, § 55 Abs.
1 Nr. 1 InsO bzw. aufgrund von Handlungen eines sog. „starken“ oder mit Spezialermächtigungen versehene vorläufigen Insolvenzverwalters, § 55 Abs. 2 InsO und
evtl. bei Dauerschuldverhältnissen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./26
Insolvenzgläubiger (II)
• Aussonderungsberechtigte gem. § 47 InsO sind nicht Insolvenzgläubiger; dagegen
sind Absonderungsberechtigte mit einem abgesicherten Anspruch g e g e n d e n
S c h u ld n e r , vgl. § 49 InsO, Insolvenzgläubiger, die jedoch vorrangig (abgesondert)
aus dem Erlös bestimmter Gegenstände befriedigt werden.
• Da die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich und gleichmäßig durch Zahlung von Geld
nach der Verwertung der Insolvenzmasse (quotal) befriedigt werden sollen, müssen
die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen in Geld beziffert anmelden. Nicht auf
Geld gerichtete Forderungen sind folglich in einen Geldbetrag umzurechnen
(§ 45 InsO).
• Nur durch den Schuldner erfüllbare Ansprüche (Unterlassung oder unvertretbare
Handlungen, z.B. Erteilung eines Zeugnisses) können nicht umgerechnet werden
und sind folglich keine Insolvenzforderungen. Sie sind außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner geltend zu machen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./27
Insolvenzgläubiger (III)
•
Abgrenzung Insolvenz- und Neu-Gläubiger:
Für die Stellung als Insolvenzgläubiger ist erforderlich und auch ausreichend, dass
der Rechtsgrund der Forderung bei Verfahrenseröffnung gelegt war.
Fehlt noch der Eintritt von Bedingungen bzw. ist der Tatbestand zur Entstehung der
Insolvenzforderung noch nicht verwirklicht, deren Entstehung jedoch angelegt, so
handelt es sich gleichwohl um Insolvenzforderungen.
Beispiel:
Der Insolvenzverwalter lehnt die Erfüllung eines beiderseits noch nicht vollständig
erfüllten Vertrages gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO ab. Erst mit der Ablehnung, also
nach Verfahrenseröffnung, entsteht der entsprechende Schadensersatzanspruch, der
Rechtsgrund für die Erstehung ist jedoch bereits mit Insolvenzeröffnung angelegt, der
Schadensersatzanspruch ist als Insolvenzforderung anzumelden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./28
Einige Spezialregelungen zur Reichweite des
Insolvenzgläubigerbegriffs finden sich in §§ 41 ff.
InsO:
•
Nicht fällige Forderungen gelten als fällig, aber Abzinsung (Zahlungsforderung i.H.v.
EUR 100,00 nach Vertrag fällig am 31.12.2013, wg. Insolvenzeröffnung am
01.01.2013 aber vorher fällig bei Zinssatz 10% p.a. Abzinsung um rd. 10%,
Anmeldung zur Tabelle rd. EUR 90).
•
Auflösend bedingte Forderungen werden bis zum Bedingungseintritt wie unbedingte
Forderungen berücksichtigt, § 42 InsO.
•
Aufschiebend bedingte Forderungen nehmen ebenfalls grds. als Insolvenzforderungen am Verfahren teil, vgl. aber § 191 InsO: Anmeldung, Berücksichtigung
bei Schlussverteilung nur, soweit Bedingungseintritt nicht „fernliegt“.
•
In der Praxis wichtig ist § 43 InsO: Bei Haftung mehrerer für dieselbe Leistung auf
das Ganze (Gesamtschuld) kann in jedem Insolvenzverfahren vom Gläubiger der
volle Betrag bis zu seiner vollen Befriedigung angemeldet werden. Wichtig z.B. bei
Konzerninsolvenz oder bei gleichzeitiger Insolvenz von Hauptschuldner und Bürgen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./29
Nachrangige Insolvenzgläubiger (I)
Grundsätzlich sind alle Insolvenzforderungen gleichrangig quotal zu befriedigen.
Allerdings gibt es einige Ausnahmen, in denen bestimmte Insolvenzforderungen
nachrangig sind (vgl. § 39 InsO):
•
Zinsen seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Insolvenzforderung.
•
Kosten für die Teilnahme der Insolvenzgläubiger am Verfahren (n a c h
Verfahrenseröffnung).
•
Geldstrafen, Geldbußen etc.
•
Forderungen auf unentgeltliche Leistungen des Schuldners.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./30
Nachrangige Insolvenzgläubiger (II)
Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen:
•
In der Insolvenz sind Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen
wirtschaftlich entsprechen, nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).
•
Ausnahmen:
• Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4 InsO),
• Kleinbeteiligungsprivileg (§ 39 Abs. 5 InsO).
•
In der Insolvenz Nachrang von Gesellschafterdarlehen (und gleichgestellten
Forderungen) auch ohne Rangrücktritt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).
•
Vorinsolvenzlich im Überschuldungsstatus nach § 19 InsO sind Gesellschafterdarlehen (und gleichgestellte Forderungen, sowie sonstige Drittforderungen) nur mit
Rangrücktritt nachrangig (§ 19 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 39 Abs. 2 InsO):
•
Rangrücktritt „hinter die in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten
Forderungen“(§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO).
•
Kein „qualifizierter“ Rangrücktritt mehr erforderlich seit MoMiG (01.11.2008).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./31
Nachrangige Insolvenzgläubiger (III)
à In der Praxis erhalten die nachrangigen Gläubiger in der Regel keinerlei Zahlungen,
da vorher erst die „nichtnachrangigen“ Insolvenzforderungen vollständig (Quote
100%) bezahlt werden müssten. Daher sind nachrangige Insolvenzforderungen auch
erst nach gesonderter Aufforderung des Insolvenzgerichts zur Insolvenztabelle
anzumelden (§ 174 Abs. 3 InsO).
à Eigenkapital nach Fremdkapital: Liquidationsüberschüsse werden gem. § 199 InsO
erst an den Schuldner bzw. dessen Gesellschafter ausgeschüttet
(Einlagenrückgewähransprüche), wenn alle (auch nachrangige)
Insolvenzforderungen voll bezahlt sind.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./32
Organe der Insolvenzgläubiger
Neben dem Insolvenzgericht und dem Insolvenzverwalter sieht die Insolvenzordnung
zwei weitere Organe im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens vor, die den
Insolvenzgläubigern eine gewisse Einflussnahme (im Gesamtinteresse der
Gläubigergemeinschaft) ermöglichen sollen:
•
Gläubigerversammlung, §§ 74 ff. InsO.
•
Gläubigerausschuss, §§ 67 ff. InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./33
Gläubigerversammlung, §§ 74 ff. InsO
•
Kompetenzen:
•
Konstruktive Verwalterabwahl in der ersten Gläubigerversammlung (§ 57 InsO).
•
Auskunfts- und Berichtsrecht (§ 79 InsO).
•
Einsetzung/Beibehaltung Gläubigerausschuss (§ 68 InsO).
•
Zustimmungsbefugnisse in Sondersituationen, z.B. übertragende Sanierung
(§§ 160 ff. InsO).
•
Beschlüsse erfordern absolute „Summenmehrheit“ der Abstimmenden,
§ 76 Abs. 2 InsO (vgl. aber § 57 S. 2 InsO, bei Wahl eines anderen
Insolvenzverwalters zusätzlich „Kopfmehrheit“ erforderlich).
•
Zur Feststellung des Stimmrechts vgl. § 77 InsO.
•
Einberufung und Leitung der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht
(Rechtspfleger), Anträge auf Einberufung durch Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss oder Insolvenzgläubigerquorum (vgl. §§ 74 ff. InsO), zur unter bestimmten
Voraussetzungen möglichen Aufhebung von Beschlüssen vgl. § 78 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./34
Gläubigerausschuss, §§ 67 ff. InsO
Beaufsichtigendes und unterstützendes Gremium der Insolvenzgläubiger, Bündelung von
Fachkompetenz, repräsentative Zusammensetzung.
•
Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss setzt nicht Gläubigerstellung voraus (vgl.
§ 67 Abs. 3 InsO). Auch juristische Personen können Mitglieder sein.
•
Keine jederzeitige Amtsniederlegung möglich, sondern Entlassung nur bei wichtigem Grund (§ 70 S. 1 InsO). Wichtiger Grund auch notwendig bei eigenem Antrag
auf Entlassung. Kein wichtiger Grund: Arbeitgeberwechsel (str.).
•
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO). Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses können nach h.M. nur Personen sein, die mit Insolvenzeröffnung Insolvenzgläubiger werden.
•
Einsetzung vor der ersten Gläubigerversammlung möglich, § 67 Abs. 1 InsO.
•
Gläubigerversammlung beschließt anschließend gem. § 68 InsO über die Einsetzung
und die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses.
•
Beschlussfassung erfolgt mit absoluter Kopfstimmenmehrheit der Abstimmenden.
•
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten eine Vergütung und haften bei
Pflichtverletzungen (vgl. § 71 ff. InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./35
Wichtige Kompetenzen des Gläubigerausschusses
•
Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung (§ 56a InsO).
•
Pflicht zur Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters (§ 69 InsO).
•
Informations- und Prüfungsrechte und -Pflichten (§ 69 InsO), bei Nichtwahrnehmung
droht Haftung gem. § 71 InsO (insbes. bei Fehlern im Rahmen der Kassenprüfung.
Sinnvoll daher: Beauftragung eines sorgfältig ausgewählten externen Kassenprüfers,
Überwachung des Kassenprüfers; Abschluss einer Versicherung).
•
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben das Gesamtinteresse der
Gläubigergemeinschaft zu wahren – nicht ihre eigenen oder die des Insolvenzgläubigers, für den sie in den Gläubigerausschuss entsandt worden sind. Mitglieder
des Gläubigerausschusses sind nicht an Weisungen gebunden.
•
Zustimmung bei Unternehmensstilllegung vor dem Berichtstermin, § 158 Abs. 1 InsO.
•
Zustimmungsrecht bei Geschäften von besonderer Bedeutung, § 160 InsO; bei
Masseverteilungen und bei Festlegung der Quote für Abschlagsverteilungen, § 187
Abs. 3 S. 2 InsO und § 195 Abs. 1 S. 1 InsO.
•
Mitwirkung bei der Aufstellung eines Insolvenzplans, §§ 218 Abs. 3, 232 Abs. 1 Nr. 1,
233 S. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./36
Lösung Fälle 1 (I)
A: OHG
•
Insolvenzfähigkeit § 11 Abs. 2 Nr. 1 Ú OHG kann Schuldner im Insolvenzverfahren
sein.
•
Antragsberechtigung § 13 Abs. 1 S. 2 InsO Ú Schuldnerin (OHG) kann Antrag
selbst stellen.
•
Interne Antragsberechtigung § 15 Abs. 1 S. 1 letzte Alt. InsO Ú X = persönlich
haftender Gesellschafter.
•
Sondersituation: Antrag nicht von allen persönlich haftenden Gesellschaftern
Ú Glaubhaftmachung durch X, Anhörung des Y, vgl. § 15 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 II./37
Lösung Fälle 1 (II)
B: GmbH & Co. KG
•
Unterscheide KG (mit GmbH als Komplementärin) und GmbH:
(1) KG:
-
Antragspflicht auch bei KG, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO (Strafdrohung:
§ 15a Abs. 4, 5 InsO).
-
Antragspflicht greift bei Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO und auch bei
Überschuldung, § 19 InsO (vgl. dort Abs. 3!).
-
wegen der Uneinigkeit von X und Y gilt wieder § 15 Abs. 2 InsO, vgl.
§ 15 Abs. 3 InsO.
(2) GmbH:
-
Antragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO (Strafdrohung: § 15a Abs. 4, 5 InsO),
Insolvenzgründe: §§ 17, 19 InsO; wegen §§ 128, 161 HGB liegen Insolvenzgründe regelmäßig auch bei der Komplementärin vor, wenn sie bei der KG
eingreifen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
III. Das Insolvenzeröffnungsverfahren
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./2
Voraussetzungen für die Eröffnung
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt Folgendes voraus:
•
einen Eröffnungsantrag,
•
das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und
•
eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./3
Eröffnungsantrag (I)
•
§ 13 Abs. 1 S. 2 InsO: Antragsberechtigt sind Gläubiger und Schuldner.
•
Stellt ein Gläubiger den Eröffnungsantrag (Fremdantrag), muss er gemäß
§ 14 InsO sein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
(fehlt bei vollständiger Absicherung der Forderung z.B. durch eine Grundschuld),
seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft machen.
Glaubhaftmachung erfolgt durch präsente Beweismittel (Urkunden, eidesstattliche
Versicherungen, vgl. § 4 InsO in Verbindung mit § 294 ZPO).
•
Beim Eröffnungsantrag durch den Schuldner (Eigenantrag) ist ein Schuldnerschutz durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung von Forderung, Insolvenzgrund
und rechtlichem Interesse grundsätzlich nicht notwendig. Anders ist dies bei
juristischen Personen und Gesellschaften, bei denen der Eröffnungsgrund
glaubhaft zu machen ist, falls nicht alle Mitglieder des Vertretungsorgans den
Eröffnungsantrag stellen, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 InsO. Die übrigen Mitglieder des
Vertretungsorgans sind zu hören (§ 15 Abs. 2 S. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./4
Eröffnungsantrag (II)
•
Im Fall der Führungslosigkeit ist bei einer juristischen Person auch jeder
Gesellschafter, bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft zudem auch
jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Eröffnungsantrags berechtigt
(§ 15 Abs. 1 S. 2 InsO). Zusätzlich zum Eröffnungsgrund ist die Führungslosigkeit
glaubhaft zu machen (§ 15 Abs. 2 S. 2 InsO). Die übrigen Gesellschafter oder
Mitglieder des Aufsichtsrats sind zu hören (§ 15 Abs. 2 S. 3 InsO).
•
Bei Kapitalgesellschaften und Gesellschaften, für deren Schulden keine
natürliche Person persönlich haftet, besteht ab Eintritt von Zahlungsunfähigkeit
und/oder Überschuldung eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung (§ 15a Abs. 1
InsO). Die Pflicht trifft die Vertretungsorgane (Geschäftsführer / Vorstände), bei
Führungslosigkeit die Gesellschafter bzw. Mitglieder des Aufsichtsrats.
•
Spezialvorschrift für den Verein in § 42 Abs. 2 BGB.
•
Eröffnungsantragspflicht der Vertretungsorgane bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes (Frist hierfür max. 3 Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes: § 15a Abs.
1 InsO; Spezialvorschrift für den Verein in § 42 Abs. 2 BGB).
•
Strafbarkeit der Insolvenzverschleppung, auch bei bloßer Fahrlässigkeit (§ 15a
Abs. 4, 5 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./5
Eröffnungsantrag (III),
weitere Zulässigkeitsanforderungen,
§ 4 InsO i.V.m. ZPO
•
Schriftlicher bzw. zu Protokoll der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts gestellter
Antrag (§§ 4 InsO, 496 ZPO).
•
Parteifähigkeit des Antragstellers (§§ 4 InsO, 50 ZPO).
•
Prozessfähigkeit (§§ 4 InsO, 51 ff. ZPO).
•
Bedingungsfeindlichkeit.
•
Insolvenzfähigkeit des Schuldners (§§ 11 f. InsO).
•
Ggf. Glaubhaftmachung von Forderung, Eröffnungsgrund und Führungslosigkeit.
•
Rechtliches Interesse (§ 14 Abs. 1 InsO bzw. § 15 Abs. 2 u. 3 InsO).
•
Zuständigkeit des Insolvenzgerichts (§§ 2 f. InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./6
Eröffnungsantrag (IV),
weitere Angaben
•
Weitere Angaben erforderlich, um dem Gericht die Entscheidung zu ermöglichen, ob
ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden soll (vgl. § 13 InsO,
§ 22a Abs. 1 Sätze 3 u. 4 InsO):
•
Dem Antrag des Schuldners ist ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer
Forderungen beizufügen.
•
Wenn der Schuldner einen Geschäftsbetrieb hat, der nicht eingestellt ist, sind
bestimmte Forderungen (z.B. die höchsten Forderungen, die höchsten
gesicherten Forderungen, Forderungen des Finanzamts gegen den Schuldner
etc.) besonders kenntlich zu machen.
•
Der Schuldner hat in diesem Fall auch Angaben zur Bilanzsumme, zu den
Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des
vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./7
Rücknahme des Eröffnungsantrages
•
Bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag ist dessen Rücknahme zulässig
(§ 13 Abs. 2 InsO).
•
Wegen Kostenfolge (§ 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 S. 2 u. 3 ZPO) ist bei Bezahlung
nach Antragstellung aus Gläubigersicht allerdings Erledigungserklärung sinnvoll (vgl.
§ 4 InsO i.V.m. §§ 91, 91a ZPO).
•
Problem: Rücknahme durch andere Organpersonen, ggf. nach Abberufung der
antragstellenden Organperson, wohl h.M.: Rücknahme unter den Voraussetzungen
des § 13 Abs. 2 InsO möglich, wenn sich dies nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt
(BGH NJW-RR 2008, 1439), Gläubigerschutz durch Antragspflichten mit
Strafbewehrung ausreichend.
•
Problem: Rücknahme nach Eigenantrag und Sicherungsmaßnahmen (werden
wirkungslos, Beschluss zur Klarstellung auf Antrag).
•
Folgen der Rücknahme bzgl. Anfechtungsrecht, §§ 129 ff. InsO und
Rückschlagsperre, § 88 InsO. Daher in der Praxis trotz Anträgen anderer Beteiligter
(Rücknahmerisiko nach „bevorzugter Befriedigung“ durch den Schuldner) evtl. für
Gläubiger eigener Antrag bis zum Eröffnungsbeschluss sinnvoll.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./8
Haftung von Organen (I)
Außenhaftung: Hinsichtlich der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bei
Insolvenzverschleppung (Verstoß gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des
Eröffnungsantrags gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO) wird unterschieden
zwischen
•
dem so genannten „Quotenschaden“ (Altgläubiger) und
•
dem so genannten „Individualschaden“ (Neugläubiger, negatives Interesse).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./9
Haftung von Organen (II)
•
Innenhaftung: An die Antragspflicht wird eine Haftung der Organe gegenüber der
Gesellschaft („Innenhaftung“, nach Insolvenzverfahrenseröffnung also gegenüber
der Insolvenzmasse) angeknüpft (§ 64 GmbHG, §§ 92, 93, 116 AktG,
§§ 130a, 177a HGB, § 42 Abs. 2 BGB, § 99 GenG).
•
Zahlungsverbot ab Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung):
•
Die Geschäftsführer/Vorstände sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen
verpflichtet, die die Gesellschaft ab Insolvenzreife leistet (§ 64 S. 1 GmbHG,
§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG).
•
Zweck: Vermögen für die Gläubiger im Insolvenzverfahren beisammen halten.
Keine Bevorzugung einzelner Gläubiger. Ermöglichung der gleichmäßigen
Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren (vgl. § 1 InsO).
•
Zeitpunkt: Zahlungsverbot besteht auch innerhalb der 3-Wochen-Frist zur
Stellung des Eröffnungsantrags (3-Wochen-Frist ist keine „Gnadenfrist“).
•
Erkennbarkeit der Insolvenzreife genügt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./10
Haftung von Organen (III)
•
Zahlungsverbot ab Insolvenzreife:
•
Unerheblich ist, ob die Gesellschaft ansonsten zur Zahlung verpflichtet war.
•
Auch ansonsten berechtigte Forderungen (z.B. von Lieferanten) darf die
Gesellschaft nicht mehr erfüllen (kein Schadensersatzanspruch der Lieferanten).
•
Grundsätzlich unerheblich ist, ob der Gesellschaft ein ausreichender Gegenwert
zufließt. Aber BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13: „Die Ersatzpflicht des
O rgans für Zahlungen nach Insolvenzreife entfällt, soweit die durch die Zahlung
verursachte Schm älerung der M asse in einem unm ittelbaren Zusam m enhang
m it ihr ausgeglichen wird “, vgl. hierzu Haneke: Ausgleichende
Gegenleistungen im Rahmen von Organhaftungsansprüchen, NZI 2015, 499.
•
Scharfes Schwert“ des Insolvenzverwalters:
• Zahlungen addieren sich zu hohen Beträgen (nicht begrenzt durch
Verbindlichkeiten der Gesellschaft).
• Zahlungen sind durch den Insolvenzverwalter leicht nachweisbar.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./11
Haftung von Organen (IV)
•
Zahlungsverbot ab Insolvenzreife:
•
Der Zahlungsbegriff ist weit zu verstehen. Erfasst werden:
•
Geldzahlungen, gleich ob bar oder per Überweisung vom Guthabenkonto,
z.B. Bezahlung alter Rechnungen.
•
Einzugsermächtigungen.
•
Zahlungseingänge von Kunden auf Bankkonten der Gesellschaft im „Soll“
-> Daher Pflicht der Geschäftsführung, den Kunden andere, nichtdebitorische Bankkonten mitzuteilen.
•
Lieferung von Waren und Gütern.
•
Übertragung von Rechten.
•
Erbringung von Dienstleistungen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./12
Haftung von Organen (V)
•
Zahlungsverbot ab Insolvenzreife:
•
Trotz Insolvenzreife zulässige Zahlungen / Leistungen:
•
Herausgabe bei Eigentumsvorbehalt.
•
Zahlung an Absonderungsberechtigte bis zum Wert des Sicherungsgegenstandes.
•
Zahlungseingänge von Kunden auf Bankkonten der Gesellschaft im „Soll“,
wenn die Bank ein Absonderungsrecht hat aufgrund Sicherungszession von
Kundenforderungen an die Bank (BGH, Urt. v. 08.12.2015 – II ZR 68/14;
BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13; OLG Hamburg, Urt. v. 06.03.2015 –
11 U 222/13).
•
Zahlungen vom Konto im „Soll“, da nur „Gläubigertausch“.
•
Begründung von Verbindlichkeiten (aber ggf. Außenhaftung wegen Betrugs
und Neugläubigerschaden).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./13
Haftung von Organen (VI)
Keine Haftung für Zahlungen, die auch nach Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind (§ 64 S. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2
AktG). Diese Ausnahme ist sehr eng. Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist Maßstab
nicht der ordentliche Geschäftsmann, sondern erlaubt sind nur Zahlungen, die auch ein
vorläufiger Insolvenzverwalter leisten würde. Ein vorläufiger Insolvenzverwalter würde die
meisten Forderungen von Gläubigern nicht bezahlen. Er würde nur das bezahlen, was
zwingend bezahlt werden muss, um weitere Schäden vom Unternehmen abzuwenden
oder ggf. auch, um das Unternehmen weiter betreiben zu können.
Beispiel:
Stromrechnungen, um eine Stromlieferungssperre und den
Verderb von Gütern zu verhindern und um den
Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.
Gegenbeispiel: Alte Stromrechnungen.
RA Prof. Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./14
Haftung von Organen (VII)
•
Zahlungspflicht trotz § 64 S. 1 GmbHG bei Lohn- und Umsatzsteuer (§§ 34, 69 AO)
und Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB), hierzu Streit/Bürk,
DB 2008, 742 ff.; BGH, Urt. v. 25.01.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422.
•
Haftung für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit
der Gesellschaft führen mussten (§ 64 S. 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG), vgl.
hierzu BGH, Urt. v. 09.10.2012 – II ZR 298/11, BB 2013, 17.
•
Verfügt der Geschäftsführer einer GmbH nicht über ausreichende persönliche
Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Eröffnungsantrag
stellen muss, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich
unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung
der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten zu lassen (BGH, Urt. v.
27.03.2012 − II ZR 171/10, NZI 2012, 567):
•
Der Berater ist vollständig und wahrheitsgemäß zu informieren.
•
Auf eine rasche Vorlage des Prüfungsergebnisses ist hinzuwirken.
•
Es ist dem Rat gemäß zu handeln.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./15
Haftung von Organen (VIII)
•
Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG, Haftung wegen Zahlungen nach
Insolvenzreife: Pflicht, auf rechtzeitige Insolvenzantragstellung durch den Vorstand
hinzuwirken und darauf, dass der Vorstand keine verbotenen Zahlungen mehr leistet
(vgl. § 116 AktG; BGH, Urt. v. 16.03. 2009 – II ZR 280/07, NZI 2009, 490).
•
Mitglieder des Aufsichtsrats einer GmbH:
•
Freiwillig gebildeter Aufsichtsrat: Keine Haftung wegen Zahlung nach
Insolvenzreife (BGH, Urt. v. 20.09.2010 – II ZR 78/09, NZI 2010, 913 –
Doberlug). Grund: Keine Verweisung in § 52 GmbHG auf § 92 Abs. 2 S. 1, 93
Abs. 3 Nr. 6 AktG.
•
Obligatorischer Aufsichtsrat: Haftung wegen Zahlung nach Insolvenzreife.
Grund: Verweisung auf § 116 AktG ohne weitere Differenzierung in § 1 Abs. 1
Nr. 3 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./16
Insolvenzstrafrecht (I)
•
Insolvenzverschleppung ist strafbar, auch bei bloßer Fahrlässigkeit: Verstöße
gegen die Pflicht zur (rechtzeitigen) Stellung des Eröffnungsantrags können gem.
§ 15a Abs. 4 und 5 InsO strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
•
Strafbewehrung bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19
InsO), nicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO).
•
Drei-Wochen-Frist ist eine Höchstfrist (darf nicht immer ausgeschöpft werden, nur
solange Sanierungsbemühungen aussichtsreich).
•
Strafbewehrte Insolvenzantragspflicht dient dem Schutz der Gläubiger, wenn
Haftungsfonds aufgezehrt bzw. fällige Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können.
•
Entgegenstehende Weisungen oder Beschlüsse der Gesellschafter sind
unbeachtlich, wenn Insolvenzantragspflicht gegeben.
•
Erkennbarkeit der Insolvenzreife wird bei objektivem Vorliegen vermutet, d.h. im
Prozess durch das in Anspruch genommene Organ zu widerlegen (arg.: ständige
Überprüfungspflicht).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./17
Insolvenzstrafrecht (II)
•
Die Strafdrohung des § 15a Abs. 4, 5 InsO gilt nicht nur für die bestellten Organe der
Gesellschaft, sondern auch für sog. faktische Geschäftsführer / Vorstände, die die
Geschäfte der Gesellschaft leiten und auch nach außen „wie ein Geschäftsführer“
auftreten, ohne tatsächlich bestellt zu sein (BGH, Beschl. v. 18.12.2014 – 4 StR
323/14, 4 StR 324/14, ZIP 2015, S. 218 ff.).
•
Über § 15a Abs. 3 InsO sind auch die Gesellschafter (bei GmbH), Aufsichtsratsmitglieder (AG und Genossenschaft) in der strafbewehrten Antragspflicht, wenn und
soweit die Gesellschaft führungslos ist.
•
Damit die Gesellschaft auf eine Krise reagieren und eine Insolvenz durch geeignete
Restrukturierungsmaßnahmen verhindern kann, besteht eine strafbewehrte Pflicht
der Geschäftsführer, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des
Stammkapitals anzuzeigen (§ 84 GmbHG; für AG: §§ 92 Abs. 1, 401 AktG). Verlust
in Höhe der Hälfte des Stammkapitals: Gesellschaftsvermögen nach Abzug der
Schulden/Rückstellungen deckt nur noch die Hälfte des Nennkapitals, maßgeblich:
HGB-Bilanz, grds. keine Aufdeckung stiller Reserven.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./18
Insolvenzstrafrecht (III)
Ergänzende Straftatbestände neben der Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4,
Abs. 5 InsO enthält u.a. das StGB in §§ 283 ff.:
•
§ 283 StGB Bankrott (v.a. Beiseiteschaffung von Vermögen und zu späte Aufstellung
der Bilanz (sehr leicht nachweisbar)) (Aufgabe der „Interessentheorie“ durch BGH,
Urt. v. 15.05.2012 – 3 StR 118/11: Strafbarkeit setzt nicht mehr voraus, dass die
Tathandlung im Interesse der Gesellschaft liegt),
•
§ 283b StGB Verletzung der Buchführungspflicht (im „Chaos“ wird die Aufstellung der
Bilanz „vergessen“),
•
§ 283c StGB Gläubigerbegünstigung (Schuldner zahlt „auf sanften Druck“ à
Anfechtung),
Wichtig auch § 266a StGB: Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (nur
Arbeitnehm er beiträge, Tilgungsbestimmung bei Teilzahlung wichtig, § 4 BVV).
Folge neben der Strafbarkeit der Beteiligten: Schadensersatzansprüche, u.a. aus
à § 823 Abs. 2 BGB.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./19
Insolvenzstrafrecht (IV)
•
Wer wegen vorsätzlich begangener Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO)
oder Insolvenzstraftaten (§§ 283 bis 283c StGB) rechtskräftig verurteilt wurde, kann
für die Dauer von fünf Jahren seit Rechtskraft nicht mehr Geschäftsführer werden
(§ 6 Abs. 2 GmbHG, auch zu weiteren Fällen).
•
Haftung der Gesellschafter für Schäden, die eine Person verursacht, die nicht
Geschäftsführer sein kann, wenn die Gesellschafter dieser Person vorsätzlich oder
grob fahrlässig die Führung der Geschäfte überlassen (§ 6 Abs. 5 GmbHG)
(à faktische Geschäftsführer).
•
Hinweis: In der Praxis stehen nach realistischen Schätzungen bei über 80% der
Unternehmensinsolvenzen Straftatbestände im Raum. Für Berater ist Vorsicht
geboten (Beihilfe ist gegeben, wenn ein Rat gegeben wird, der bei der Begehung von
Insolvenzstraftaten genutzt werden soll, der Berater dies erkennt und dennoch
seinen Rat erteilt).
•
MiZi (Mitteilungen in Zivilsachen): Jede Eröffnung / Abweisung mangels Masse
wird der StA vom Insolvenzgericht gemeldet à Kenntnis der StA; regelmäßig
Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./20
Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts (I)
Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 InsO zur Sicherung gegen nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners in der Zeit bis zur Entscheidung über den
Eröffnungsantrag alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen. Möglich sind
insbesondere:
•
Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. vorläufigen Sachwalters,
§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO (sehr wichtig bei der Unternehmensinsolvenz).
•
Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen den Schuldner („starker
vorläufiger Verwalter“) oder Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten eines vorläufigen
Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO à §§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO).
•
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO).
•
Anordnung einer vorläufigen Postsperre, § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO. Folge: Der (vorl.)
Insolvenzverwalter liest die Post des Schuldners vor diesem; führt zum Teil zur
überraschenden Auffindung von später in die Masse fallendem Vermögen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./21
Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts (II)
•
Einstellung der (eingeleiteten) Zwangsvollstreckung in das Mobiliarvermögen
(nicht Immobiliarvermögen!). Folge: Verhinderung bereits eingeleiteter Zwangsvollstreckung über § 775 Nr. 2 ZPO möglich, Rangwahrung, bei Eröffnung
Rückschlagsperre: § 88 InsO bzw., hierüber hinausgehend, Untersagung der
(künftigen) Mobiliarvollstreckung (Folge: Vorwegnahme des Vollstreckungsverbots
gemäß § 89 InsO).
•
Zur Abgrenzung: Einstellung der Immobiliarzwangsvollstreckung gemäß
§ 30d Abs. 4 ZVG erfordert einen Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters.
Neben dem eigentlichen Grundstück erfasst die Grundschuld/Hypothek und damit die
Immobiliarzwangsvollstreckung auch den zugehörigen Haftungsverband gem.
§ 865 ZPO i.V.m. §§ 1192 Abs. 1, 1120 ff. BGB, also auch das Zubehör (§ 97 BGB)
im Eigentum des Grundstückseigentümers.
•
Verwertungs- und Einziehungsstopp gegen die nach Eröffnung Aussonderungsund Absonderungsberechtigten, Einziehung durch Schuldner/vorläufigen Verwalter
mit Kostenbeiträgen entsprechend §§ 170, 171 InsO möglich. Unzulässig jedoch
Verwendung des Einziehungserlöses zur Fortführung des Geschäftsbetriebs („kein
erzwungener Massekredit“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./22
Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts (III)
•
Die vorstehend genannten Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 InsO sind nicht abschließend („insbesondere“), das Insolvenzgericht kann alle Maßnahmen treffen, die
geeignet und erforderlich erscheinen. Als „ultima ratio“ ist gem. § 21 Abs. 3 InsO
sogar die Haft des Schuldners (bei juristischen Personen: Organpersonen) möglich.
•
Die Maßnahmen des Insolvenzgerichts haben von Amts wegen zu erfolgen. Bei
Nichtergreifung naheliegender Maßnahmen und entsprechenden Schäden kommt
eine Amtshaftung gem. Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB in Betracht.
•
Die Entscheidungen erfolgen durch Beschluss, vgl. § 23 InsO, der bei Einsetzung
eines vorläufigen Insolvenzverwalters und Ausspruch von Verfügungsbeschränkungen öffentlich bekannt zu machen und dem Registergericht (§ 23 Abs. 2 InsO)
und dem Grundbuchamt (§ 23 Abs. 3 InsO) für entsprechende Eintragungen zu
übermitteln ist (wichtig wg. § 24 InsO i.V.m. §§ 81 Abs. 1 S. 2, 82 InsO, Gutglaubensschutz).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./23
Vorläufiger Insolvenzverwalter
Für den vom Insolvenzgericht im vorläufigen Insolvenzverfahren eingesetzten
vorläufigen Insolvenzverwalter gelten die auf den Insolvenzverwalter anwendbaren
Regelungen weitgehend entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Im übrigen ist zu
unterscheiden:
Bei allgemeinem Verfügungsverbot (nicht bei bloßem Zustimmungsvorbehalt!) gegen
den Schuldner gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO geht die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Schuldnervermögens auf den vorläufigen
Insolvenzverwalter über.
Folge: §§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO = Absolutes Verfügungsverbot.
à „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter.
à Ansonsten: Schuldner verfügungsbefugt, „schwacher" vorläufiger Verwalter (evtl.
aber § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO: Einziehungsbefugnis durch Anordnung möglich).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./24
Starker vorläufiger Insolvenzverwalter (I)
Die Rechtsposition des starken vorläufigen Insolvenzverwalters ist derjenigen des
Insolvenzverwalters im eröffneten Insolvenzverfahren weitgehend angenähert:
•
Umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, § 22 Abs. 1 S. 1 InsO (nicht:
Verwertungsbefugnis).
•
Recht/Pflicht zur Massesicherung und Erhaltung (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InsO).
•
Pflicht zur Unternehmensfortführung bis zur Insolvenzeröffnung
(§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO), Betriebseinstellung mit Zustimmung des
Insolvenzgerichts möglich.
•
Prüfungspflicht hinsichtlich verfahrenskostendeckender Masse und regelmäßig
zusätzlich Auftrag zur Überprüfung des Eröffnungsgrundes
(§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO).
•
Recht zur Aufnahme von Prozessen gem. § 24 Abs. 2 InsO i.V.m. §§ 85 Abs. 1 S. 1
und 86 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./25
Starker vorläufiger Insolvenzverwalter (II)
Gem. § 55 Abs. 2 InsO sind von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter
begründete Verbindlichkeiten und Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen, deren
Gegenleistung der starke vorläufige Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hat,
Masseschulden. Sinn: Erst aufgrund dieser Regelungen hat der starke vorläufige
Insolvenzverwalter die Möglichkeit, weiterhin Verträge zu schließen und Leistungen in
Anspruch zu nehmen, um den Geschäftsbetrieb des Schuldners fortzuführen und so die
Entscheidungsfreiheit der Gläubigerversammlung (§ 157 S. 1 InsO: Unternehmensfortführung?) zu erhalten.
Problem: Es kommt, etwa mangels „verfahrenskostendeckender“ Masse, nicht zur
Insolvenzeröffnung. Schutz der Vertragspartner des starken vorläufigen
Insolvenzverwalters dann über § 25 Abs. 2 InsO (vorrangige Befriedigung aus dem
vorläufig verwalteten Vermögen vor Aufhebung der Bestellung).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./26
Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (I)
Eine wichtige Ausnahme von § 55 Abs. 2 S. 2 InsO mit dem Masseschuldcharakter
von Forderungen aus der Inanspruchnahme von Leistungen aus Dauerschuldverhältnissen durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter regelt
§ 55 Abs. 3 InsO: Bei Zahlung von Insolvenzausfallgeld (Lohn- und Gehaltsrückstände
aus den letzten 3 Monaten vor Insolvenzeröffnung, § 165 SGB III) durch die
Bundesagentur für Arbeit gehen die entsprechenden Forderungen der Arbeitnehmer
gem. § 169 S. 1 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit über. Die Bundesagentur für
Arbeit kann gem. § 55 Abs. 3 InsO diese Forderungen jedoch nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen.
Exkurs:
Das Problem: Das Insolvenzgeld wird für Lohnrückstände aus den letzten drei
Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. Ablehnung der Eröffnung
mangels Masse von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt. Die Zahlung erfolgt jedoch
erst nach dem Eröffnungsbeschluss bzw. dem Beschluss, der die Eröffnung mangels
Masse ablehnt. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Löhne mehrerer Monate nicht gezahlt
worden sind, haben jedenfalls die besten Mitarbeiter das schuldnerische Unternehmen
bereits verlassen. Dies wiederum kann Sanierungsbemühungen zunichte machen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./27
Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (II)
Lösung (vgl. Klüver, WM 2010, 1483):
Um Löhne und Gehälter zu zahlen, wird das Insolvenzgeld daher in der Unternehmensinsolvenz regelmäßig über eine Bank vorfinanziert. Die Lohnforderungen, auf
die später das Insolvenzgeld bezahlt wird, werden dabei von den Arbeitnehmern an die
finanzierende Bank (mit Zustimmung der Agentur für Arbeit, § 170 Abs. 4 SGB III)
verkauft und abgetreten.
Mit dem Kaufpreis werden gleichsam die „Löhne der Arbeitnehmer gezahlt“. Diese
sind nicht gezwungen, sich neue Arbeitsplätze zu suchen und arbeiten weiter. Das
Unternehmen ist von den laufenden Lohnkosten entlastet. Hereinkommende Cash Flows
verstärken die Liquidität und sichern häufig eine die Verfahrenskosten und Masseschulden deckende Aktivmasse, welche die Verfahrenseröffnung erst ermöglicht.
Die Bank erhält nach Insolvenzeröffnung das Insolvenzgeld von der Agentur für
Arbeit. Diese erwirbt zwar die Lohnforderungen (cessio legis, § 169 S. 1 SGB III), ist mit
diesen jedoch nur Insolvenzgläubigerin.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./28
Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (III)
Findet ein vorläufiger Insolvenzverwalter ein Umsätze erzielendes Unternehmen mit
Belegschaft vor, deren Lohnzahlungen bisher (vollständig) erfolgt sind, so wird er in
Abstimmung mit dem Insolvenzgericht das vorläufige Insolvenzverfahren über drei
Monate führen und die Lohnzahlungen mittels einer Vorfinanzierung von
Insolvenzgeld sicherstellen. In dieser Zeit wird der vorläufige Insolvenzverwalter
aufgrund der Entlastung des schuldnerischen Unternehmens von den Lohnzahlungen
Aktivmasse sammeln. Die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels
Masse ist in dieser Situation weniger wahrscheinlich als wenn der „ Insolvenzgeldzeitraum“ bereits „verbraucht“ ist.
Vorteil: Das Insolvenzverfahren wird eröffnet, die Masse kann durch insolvenzrechtsspezifische Maßnahmen – z.B. durch Anfechtung – gemehrt werden, die Gläubiger
erhalten eine Quote.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./29
„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (I)
•
Vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den nicht die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis aufgrund eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen den
Schuldner übergegangen ist (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 2. Alt. InsO). Die Aufgaben
und Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmt das
Insolvenzgericht, vgl. § 22 Abs. 2 InsO. Insbes. kann es einen Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters anordnen (§§ 21 Abs. 2
Nr. 2, 2. Alt., 24 Abs. 1, 81, 82 InsO). Soweit der Umfang im Einzelnen festgelegt
wird, kann das Insolvenzgericht auch Verfügungsbefugnisse auf einen
„schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter überleiten.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./30
„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (II)
•
Hinweis: Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters sind nach
Verfahrenseröffnung möglicherweise anfechtbar gem. §§ 129 ff. InsO, da sie vor
Insolvenzeröffnung (und durch den Schuldner) erfolgen und bei Erfüllung der
Voraussetzungen vom Wortlaut der Anfechtungsregelungen erfasst werden.
•
Dies gilt allerdings nicht für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter, der
gem. § 55 Abs. 2 InsO Masseschulden begründet. Dem Zweck dieser Regelung, dem
starken vorläufigen Insolvenzverwalter den Abschluss von Verträgen zu ermöglichen,
würde entgegengewirkt, wären diese Verträge hinterher möglicherweise anfechtbar.
Ú Auch bei Aufhebung der vorläufigen Insolvenzverwaltung bleiben Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam. Insoweit gilt die Regelung für
die Aufhebung des eröffneten Insolvenzverfahrens gem. § 34 Abs. 3 S. 3 InsO
entsprechend.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./31
Schutzschirmverfahren, vorläufige Eigenverwaltung,
vorläufiger Sachwalter
•
Schutzschirmverfahren:
•
Nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht mehr bei
eingetretener Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 270b Inso).
•
Angestrebte Sanierung darf nicht aussichtslos sein.
•
Bescheinigung erforderlich.
•
Im Beschluss nach § 270b InsO bestellt das Gericht einen vorläufigen Sachwalter
nach § 270a InsO.
•
Vorläufige Eigenverwaltung.
•
Kein vorläufiger Insolvenzverwalter, kein allgemeines Verfügungsverbot.
•
Vorläufiger Gläubigerausschuss möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO).
•
Schutzschirmverfahren zielt auf spätere Eigenverwaltung und Insolvenzplan.
•
Nach Ablauf der Frist entscheidet das Insolvenzgericht über die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens (§ 270b Abs. 4 S. 3 InsO).
•
Das Gericht kann mit Eröffnung auch einen Insolvenzverwalter bestellten statt
Eigenverwaltung anzuordnen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./32
Insolvenzgründe
Die Insolvenzordnung sieht drei Insolvenzgründe vor:
•
Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO).
•
Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO).
•
Überschuldung (§ 19 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./33
Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO (I)
•
„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen
Zahlungspflichten zu erfüllen“ (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO).
•
Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO: Allgemeiner Insolvenzeröffnungsgrund (gilt bei
natürlichen und juristischen Personen sowie Gesellschaften im Falle von
Gläubigerantrag und Eigenantrag).
•
Vermutungsregelung für Zahlungsunfähigkeit bei Zahlungseinstellung
(§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO):
•
Zahlungseinstellung insbesondere, wenn der Schuldner ständig fällige
Verbindlichkeiten vor sich herschiebt und ersichtlich am Rande des
finanzwirtschaftlichen Abgrunds operiert.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./34
Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO (II)
•
„Fällige“ Zahlungspflichten:
•
Zivilrechtlich (§ 271 BGB),
•
Insolvenzrechtlich (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO).
•
Zivilrechtlich ergibt sich die Fälligkeit aus der zugrundeliegenden vertraglichen
Vereinbarung; hilfsweise aus den Umständen; im Zweifel ist eine Forderung sofort
fällig (§ 271 BGB).
•
Zivilrechtlich gestundete/betagte Verbindlichkeiten bleiben außer Betracht
(„Zeitpunktilliquidität“, nur was im Moment fällig ist, ist relevant).
•
Insolvenzrechtlich nicht fällig sind Forderungen, die nicht ernstlich eingefordert
werden (BGH, Beschl. v. 19.07.2007 – IX ZB 36/07, ZinsO 2007, 939).
•
Voraussetzung: Aktives Signal des Gläubigers, wonach er „in eine spätere
Befriedigung einwilligt“.
•
Nicht genügend: Bloßes nicht (oder nicht nochmaliges) Einfordern oder
erzwungene Einwilligung oder stillschweigende Einwilligung.
•
Genügend: Laufende Verhandlungen über spätere Bezahlung.
•
Nicht erforderlich: Rechtlich bindende Vereinbarung oder Stundung.
•
Wichtig wegen Beweislast: Dokumentation, z.B. Mailkorrespondenz.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./35
Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO (III)
•
Bei streitigen Verbindlichkeiten kommt es auf deren objektives Bestehen oder
Nichtbestehen an (K. Schmidt, InsO, § 17 Rn. 8). Ernsthaft streitige Verbindlichkeiten bleiben außer Betracht (vgl. BGH NJW-RR 2006, 1641) bzw. sind ggf. nur mit
einem Schätzwert zu berücksichtigen. Das Insolvenzverfahren dient nicht dazu, den
Bestand rechtlich zweifelhafter Forderungen zu klären (BGH ZIP 1992, 947 ff.).
•
Grundsatzentscheidung des BGH vom 24.05.2005: Zahlungsunfähigkeit
regelmäßig dann, wenn 10% oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten über mehr als
3 Wochen nicht beglichen werden können (BGH, Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04,
ZInsO 2005, 807, bitte lesen).
Ú Kurzfristige Zahlungsstockungen (bis drei Wochen) werden nicht als
Zahlungsunfähigkeit angesehen, deswegen auch „begrenzte Zeitraumilliquidität“.
Ú Geringfügige Liquiditätslücken (bis 10% Liquiditätsunterdeckung) bleiben
außer Betracht.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./36
Insolvenzgründe: Drohende Zahlungsunfähigkeit,
§ 18 InsO
•
Insolvenzgrund nur im Fall des Eigenantrags (nicht bei Fremdanträgen von
Gläubigern), gilt bei natürlichen und juristischen Personen sowie Gesellschaften. Es
kommt auf bereits bestehende (nicht: künftige) Zahlungspflichten an, deren
Begleichung im Fälligkeitszeitpunkt voraussichtlich nicht möglich sein wird (str.,
a. A.: auch nur drohende Verbindlichkeiten sind einzubeziehen, K. Schmidt, InsO,
§ 18 Rn. 14 ff.).
•
Ziel des Gesetzgebers: Frühzeitige Stellung von Eröffnungsanträgen, um Sanierungschancen zu fördern.
•
Voraussetzung: Prognose über Zeitraum von rund einem Jahr (str.).
•
Neu seit ESUG: Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO). Voraussetzung (unter
anderem): Eigenantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung
(Ú Kein Schutzschirmverfahren bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./37
Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (I)
„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden
Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“ (§ 19 Abs. 2 S. 1
InsO).
Insolvenzgrund bei Eigen- und Fremdantrag, jedoch nur für juristische Personen und
Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ohne natürliche Person als persönlich
haftenden Gesellschafter (insbes. GmbH & Co. KG, AG & Co. KG).
•
Grund: Beschränkte Haftung der juristischen Personen bedeutet tendenziell höheres
Risiko für Gläubiger (Exit-Option des Unternehmers). Beschränkte Haftung beruht
auf Zurverfügungstellung eines „Haftungsfonds“ (Eigenkapital). Ist dieser
aufgezehrt (Verbindlichkeiten > Vermögen), soll der Rechtsverkehr geschützt
werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./38
Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (II)
•
Es gilt der „zweistufige Überschuldungsbegriff“:
1. Positive Fortführungsprognose? Wenn ja: Keine relevante Überschuldung
2. Wenn nicht: Überschuldung bei Ansatz von Liquidationswerten?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./39
Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (III)
Bei positiver Fortführungsprognose wird die Überschuldung eines Unternehmens
verneint.
Fortführungsprognose:
•
„Überwiegend wahrscheinlich“: Mehr als 50%.
•
Subjektiv erforderlich: Fortführungswille.
•
Objektiv erforderlich: Ein dokumentiertes aussagekräftiges Unternehmenskonzept (Ertrags- und Finanzplan). Planerisch Einnahmeüberschüsse, aus denen
die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten gedeckt werden können.
•
Prognosezeitraum:
•
Regelmäßig laufendes und folgendes Geschäftsjahr.
•
Nach Besonderheiten des Einzelfalls auch kürzer oder länger.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./40
Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (IV)
Bei fehlender Fortführungsprognose:
•
Rechnerische Überschuldungsprüfung nach Zerschlagungswerten.
•
Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva (Überschuldungsbilanz, besser:
Überschuldungsstatus):
•
•
Bei den Aktiva alle werthaltigen Vermögensbestandteile. Im Gegensatz zur
HGB-Bilanz/Steuerbilanz sind alle stillen Reserven zu „heben“.
•
Bei den Passiva alle bestehenden Verbindlichkeiten, auch Gesellschafterdarlehen ohne Rangrücktritt.
Der Handelsbilanz kommt lediglich eine indizielle Bedeutung für die insolvenzrechtliche Beurteilung zu. Wichtig bei nicht durch Eigenkapital gedecktem
Fehlbetrag.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./41
HGB-Bilanz und Überschuldung im
insolvenzrechtlichen Sinne, § 19 InsO
•
Handelsbilanz ist von insolvenzrechtlicher Überschuldungsbilanz (besser: Überschuldungsstatus) strikt zu unterscheiden.
•
Vorliegen eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages in der Handelsbilanz hat Indizwirkung hinsichtlich insolvenzrechtlicher Überschuldung.
•
Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) gilt nur für Handelsbilanz.
•
Maßgeblich im Rahmen des Überschuldungsstatus ist der Ansatz von „wahren
Werten“. Insbesondere gilt im Überschuldungsstatus:
•
Stille Reserven (z.B. infolge von Abschreibungen) sind aufzudecken.
•
Verdeckte Verbindlichkeiten sind anzusetzen (z.B. keine ausreichenden
Pensionsrückstellungen bislang in der Handelsbilanz angesetzt, Art. 28 EGHGB).
•
Gesellschafterdarlehen sind wegen der §§ 19 Abs. 1 S. 2, 39 Abs. 2 InsO bis
zur Vereinbarung eines Rangrücktrittes zu passivieren. Rangrücktritt nicht
vertraglich aufhebbar, soweit Vertrag zu Gunsten Dritter und ohne Zustimmung
der Dritten (BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14 BKR 2015, 510), Folge bei
Rückzahlung: Kondizierbar (vgl. Berger, ZIP 2016, 1). Zum steuerpflichtigen
Sanierungsgewinn vgl. BFH, Urt. v. 15.04.2015 – I R 44/14).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./42
Auswirkungen einer Unternehmenskrise auf Handelsbilanz und Überschuldungsprüfung anhand der
M-GmbH
Ø
Ø
Ø
Malerbetrieb
Rechtsform: GmbH
Gezeichnetes Kapital (Stammkapital) gemäß Satzung 25.000 Euro
Ø
Vermögen:
o Betriebsgrundstück mit Lagerschuppen (GuB)
o Lieferwagen (neu), Kaufpreis bei Anschaffung (BGA)
o Zubehör, z.B. Leitern, Gerüst, etc. (BGA)
o Vorräte, z.B. Farben, Lacke etc. (RHB)
o Barkasse
25.000 Euro
20.000 Euro
5.000 Euro
4.000 Euro
1.000 Euro
Schulden:
o Bankkredit in Höhe von
30.000 Euro
Ø
_______________________________________________________________
GuB = Grund und Boden; BGA = Betriebs- und Geschäftsausstattung; RHB = Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./43
Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise
am Bsp. der M-GmbH, hier: Rücklagen aufgezehrt
Bilanz zum 31.12.2010
Aktiva (Vermögen)
Passiva (Schulden und EK)
Anlagenvermögen
- Grund und Boden
- BGA
- Fuhrpark
- Zubehör
Eigenkapital (EK)
- Gezeichnetes Kapital
- Kapitalrücklage (Agio)
- Gewinnrücklage
- Andere Rücklagen
25.000 Euro
20.000 Euro
5.000 Euro
25.000 Euro
0 Euro
0 Euro
0 Euro
50.000 Euro
Umlaufvermögen
- RHB (Vorräte)
- Kasse
Summe Aktiva
25.000 Euro
Rückstellungen
4.000 Euro
1.000 Euro
5.000 Euro
55.000 Euro
Ø Bilanzsumme: 55.000 Euro
Verbindlichkeiten
0 Euro
30.000 Euro
Summe Passiva
(Schulden und EK)
Ø EK in Höhe der Differenz von Vermögen und Schulden
Ø Wegen EK als Residualgröße ("Differenz wird aufgefüllt"), ist Bilanz immer ausgeglichen
Ø Gezeichnetes Kapital (Stammkapital bei GmbH; Grundkapital bei AG) noch vorhanden; keine Rücklagen mehr
Ø Vereinfacht, gesetzliches Bilanzgliederungsschema in § 266 HGB
30.000 Euro
55.000 Euro
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./44
Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise,
hier: Unterbilanz
Bilanz zum 31.12.2011
Aktiva (Vermögen)
Passiva (Schulden und EK)
Anlagenvermögen
- Grund und Boden
- BGA
- Fuhrpark
- Zubehör
Eigenkapital (EK)
- Gezeichnetes Kapital
- Kapitalrücklage (Agio)
- Gewinnrücklage
- Andere Rücklagen
- Bilanzverlust/ Verlustvortrag
25.000 Euro
20.000 Euro
5.000 Euro
50.000 Euro
Umlaufvermögen
- RHB (Vorräte)
- Kasse
Summe Aktiva
(Gesamtvermögen)
4.000 Euro
1.000 Euro
Rückstellungen
25.000 Euro
0 Euro
0 Euro
0 Euro
(-) 20.000 Euro
5.000 Euro
0 Euro
5.000 Euro
55.000 Euro
Verbindlichkeiten
Summe Passiva
(Schulden und EK)
50.000 Euro
50.000 Euro
55.000 Euro
Ø Gezeichnetes Kapital von 25.000 Euro steht in der Bilanz.
Ø Gezeichnetes Kapital ist aber durch Verlustvortrag/ Bilanzverlust in Höhe von 20.000 Euro bis auf 5.000 Euro aufgezehrt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./45
Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise,
hier: „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag":
Bilanz zum 31.12.2012
Aktiva (Vermögen)
Passiva (Schulden und EK)
Anlagenvermögen
- Grund und Boden
- BGA
- Fuhrpark
- Zubehör
Eigenkapital (EK)
- Gezeichnetes Kapital
- Kapitalrücklage (Agio)
- Gewinnrücklage
- Andere Rücklagen
- Bilanzverlust/ Verlustvortrag
25.000 Euro
20.000 Euro
5.000 Euro
50.000 Euro
Umlaufvermögen
- RHB (Vorräte)
- Kasse
4.000 Euro
1.000 Euro
Rückstellungen
0 Euro
0 Euro
5.000 Euro
Verbindlichkeiten
Nicht durch EK gedeckter
Fehlbetrag "Unterdeckung"
Summe Aktiva
(Gesamtvermögen)
25.000 Euro
0 Euro
0 Euro
0 Euro
(-) 25.000 Euro
70.000 Euro
70.000 Euro
15.000 Euro
70.000 Euro
Summe Passiva
(Schulden und EK)
70.000 Euro
Ø Bilanzverlust ist so groß, dass das gezeichnete Kapital vollständig aufgezehrt ist. Die Verbindlichkeiten übersteigen das Vermögen.
Ø Die Differenz von Vermögen und Schulden ist daher negativ, sog. "nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag", § 268 Abs. 3 HGB. Dieser ist auf
der Aktivseite auszuweisen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./46
Deckung der Verfahrenskosten (I)
Reicht das Vermögen voraussichtlich nicht aus („Massearmut“), um die Kosten des
Insolvenzverfahrens zu decken (Gerichtskosten, Vergütung und Auslagen des vorläufigen
Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters sowie des Gläubigerausschusses,
§ 54 InsO), so stellt dies ein Insolvenzverfahrenshindernis dar,
vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 InsO.
•
Das Insolvenzgericht lässt die Verfahrenskostendeckung regelmäßig durch den
vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO) bzw. ein
Sachverständigengutachten prüfen.
•
Massearmut lässt sich durch Zahlung eines Verfahrenskostenvorschusses
überwinden, § 26 Abs. 1 S. 2 InsO. Hierzu werden Insolvenzgläubiger
möglicherweise dann bereit sein, wenn das Insolvenzverfahren Chancen bietet,
bisher unbekanntes Vermögen des Schuldners aufzudecken.
•
Ein Verfahrenskostenvorschuss ist als Masseschuld nach Eröffnung des
Verfahrens vor Befriedigung der Insolvenzgläubiger aus der Masse zurückzuzahlen.
Soweit der Eröffnungsantrag bei juristischen Personen (und GmbH & Co. KG etc.)
pflichtwidrig und schuldhaft nicht bzw. verspätet gestellt wurde, haben die
entsprechenden Personen (mit Exkulpationsmöglichkeit) dem Vorschussleistenden
Ersatz zu leisten, § 26 Abs. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./47
Deckung der Verfahrenskosten (II)
•
Stundungsmöglichkeit: In Bezug auf die Verfahrenskosten bei Eröffnungsanträgen
natürlicher Personen mit Antrag auf Restschuldbefreiung möglich, vgl. §§ 4a ff. InsO
à Eröffnung trotz (derzeit) fehlender Verfahrenskostendeckung gem. § 26 Abs. 1
S. 2, 2. Alt. InsO.
Bei Antragsabweisung mangels Masse ergeben sich folgende Rechtsfolgen:
•
Der Schuldner behält seine Verfügungsbefugnis (bzw. diese fällt an ihn zurück),
Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger bleiben (werden wieder)
zulässig und eventuell auch sinnvoll, soweit eine gewisse, wenn auch nicht
verfahrenskostendeckende, Masse vorhanden ist. Arbeitnehmer haben
gegebenenfalls Anspruch auf Insolvenzgeld (§§ 169 SGB III).
•
Eintrag des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis (Verkehrsschutz),
§ 26 Abs. 2 InsO, §§ 915 ff. ZPO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./48
Deckung der Verfahrenskosten (III)
•
Aufhebung von Sicherungsmaßnahmen, § 25 InsO (starker vorläufiger Insolvenzverwalter berichtigt die Kosten und erfüllt von ihm begründete Verbindlichkeiten,
seine Rechtshandlungen bleiben entspr. § 34 Abs. 3 S. 3 InsO wirksam).
•
Bei Kapitalgesellschaften: Auflösung der Gesellschaft (vgl. § 60 Abs. 1
Nr. 5 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Diese Gesellschaften treten in die
Liquidation ein und werden nach Verteilung ihres Vermögens an die Gläubiger im
Handelsregister gelöscht, § 394 Abs. 1 S. 2 FamFG. Das Registergericht erhält gem.
§ 31 Nr. 2 InsO von der Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse durch
das Insolvenzgericht Kenntnis (Fortführungsbeschluss unzulässig).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./49
Entscheidung über den Eröffnungsantrag (I)
Der Eröffnungsantrag ist abzuweisen, wenn er unzulässig oder unbegründet ist:
•
Zulässigkeit: Antragsberechtigung, Zuständigkeit, Insolvenzfähigkeit, Rechtsschutzinteresse, Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes und der Forderung?
•
Begründetheit: Eröffnungsgrund zur Überzeugung des Gerichts festgestellt,
verfahrenskostendeckende Masse vorhanden?
Ú Amtsermittlung (ab Zulässigkeit), § 5 Abs. 1 S. 1 InsO, soweit das Gericht den
Eröffnungsantrag abweist, ist dies mit sofortiger Beschwerde anfechtbar,
§§ 34 Abs. 1, 6 Abs. 1, 4 InsO i.V.m. §§ 567 ff. ZPO. Bei Abweisung mangels Masse
kann auch der Schuldner sofortige Beschwerde erheben (wegen Eintragung in das
Schuldnerverzeichnis).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./50
Entscheidung über den Eröffnungsantrag (II)
•
Bei Zulässigkeit und Begründetheit des Eröffnungsantrags ergeht der
Insolvenzeröffnungsbeschluss durch den Richter gem. § 27 InsO:
•
Wirksamkeit mit Verlautbarung (Herausgabe durch die Geschäftsstelle)
•
Sofortige öffentliche Bekanntmachung, § 30 Abs. 1 InsO (anders: der
Eröffnungsantrag; bekannt gemacht wird der Sicherungsbeschluss).
Praxishinweis: Veröffentlichung unter www.insolvenzbekanntmachungen.de,
vgl. § 9 InsO
•
Zustellung an Gläubiger und Schuldner, § 30 Abs. 2 InsO
•
Eintragung ins Grundbuch, § 32 InsO (Verhinderung redlichen Erwerbs!)
•
Anfechtungsmöglichkeit nur für den Schuldner, §§ 34 Abs. 2, 6 Abs. 1, 4 InsO
i.V.m. §§ 567 ff. ZPO: Sofortige Beschwerde, maßgeblich für Begründetheit ist
Zeitpunkt der Eröffnung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./51
Inhalt des Eröffnungsbeschlusses
•
Bezeichnung und Anschrift des Schuldners (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 InsO).
•
Name und Anschrift des Insolvenzverwalters (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 InsO) bzw.
Sachwalters.
•
Aufforderung an die Insolvenzgläubiger zur Forderungsanmeldung (mit
Begründung und Beifügung von Unterlagen) innerhalb einer festzusetzenden
Anmeldefrist (zwei Wochen bis zu drei Monaten), § 28 Abs. 1 InsO.
•
Aufforderung zur Mitteilung von Mobiliarsicherheiten, vgl. § 28 Abs. 2 InsO.
•
Aufforderung an Drittschuldner, nicht mehr an den Schuldner, sondern nur noch
an den Verwalter zu leisten (§ 28 Abs. 3 InsO).
•
Bestimmung des Berichtstermins (sechs Wochen bis drei Monate nach
Verfahrenseröffnung), §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO.
•
Bestimmung des Prüfungstermins (eine Woche bis zwei Monate nach Ablauf der
Anmeldefrist, eventuell gemeinsam mit Berichtstermin,
§§ 29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 176 InsO).
•
Angabe des genauen Beschlusszeitpunkts (Uhrzeit, wichtig wegen der
Beschlagnahmewirkungen), § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./52
Fälle
a) Die Klein GmbH erwirtschaftet seit März 2015 stark rückläufige Umsätze. Löhne,
Steuern und Sozialabgaben sind jedoch bis Mai 2015 bezahlt. Die Zahlungen für den
Juni sind indes nicht mehr sichergestellt.
Muss bzw. kann die Geschäftsführung Ende Mai Eröffnungsantrag stellen?
b) Wie a), Anfang Juni meldet die Buchhaltung der Geschäftsführung, dass von einem
monatlich eingehenden Rechnungsvolumen i.H.v. EUR 300.000 (netto) EUR 50.000
(netto) seit einem Monat fällig sind und nicht bezahlt wurden (davon sind aber bisher
nur EUR 10.000 angemahnt).
Muss im Juni Eröffnungsantrag gestellt werden?
c) Geschäftsführer X stellt nunmehr Eröffnungsantrag. Geschäftsführer Y will den
Antrag zurücknehmen, X widerspricht.
Kann Y zurücknehmen, nachdem die Gesellschafterversammlung X abberufen
hat (beide GF sind alleinvertretungsberechtigt)?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./53
Fälle
d) Die Groß Bau AG ist aufgrund einer bestehenden, nicht voll ausgeschöpften
Kreditlinie liquide. Allerdings ist ihr bilanzielles Eigenkapital (EK) vollständig
aufgebraucht (Bilanzsumme EUR 30 Mio.). Kurz vor vollständigem Verbrauch des EK
gab Vorstand und Alleinaktionär Z ein Darlehen von EUR 2 Mio. Dann stellte sich
heraus, dass ein neues verkauftes Wohnhochhaus auf einem Altlastengrundstück
gebaut wurde (berechtigte Haftungsansprüche der Käufer gggen die AG:
EUR 2,5 Mio.).
Auf der Aktivseite steht ein abgeschriebener Fuhrpark (Erinnerungswert EUR 1), der
tatsächlich noch einen Teilwert von EUR 3 Mio. hat, bei Zerschlagung der Bau AG
aber nur für EUR 1 Mio. an Konkurrenzunternehmen verkauft werden kann.
Welche Maßnahmen muss/kann Z ergreifen?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./54
Fälle: Lösungen
a) Eröffnungsantragspflicht der Klein GmbH im Mai? Nein, weder Zahlungsunfähigkeit (Zeitpunktilliquidität) gem. § 17 InsO noch Überschuldung gem. § 19 InsO nach
Sachverhalt gegeben, jedoch Antrag möglich gem. § 18 InsO, da Zahlungsunfähigkeit
droht.
b) Zahlungsunfähigkeit? Von 300 TEuro können „nur“ 50 TEuro nicht bezahlt werden,
dies sind jedoch mehr als die 10%, die noch als toleriert angesehen werden können.
Auf Mahnung kommt es nicht an (entscheidend: Fälligkeit, Verzug für § 17 InsO nicht
erforderlich).
c) Antragsrücknahme durch Y möglich? Rücknahme in § 13 Abs. 2 InsO vorgesehen.
Bei GmbH ist GF für Stellung und damit auch für Rücknahme zuständig. Alleiniger GF
ist nach Abberufung des X der Y. Er darf daher zurücknehmen (BGH NJW-RR 2008,
1439), wenn sich dies nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./55
Fälle: Lösungen
d) Eröffnungsantragspflicht des Z?
(i) Keine Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO, da Kreditlinie noch offen, zudem
EUR 2 Mio. aus Darlehen vorhanden.
(ii) Überschuldung gem. § 19 InsO?
Bei positiver Fortführungsprognose: keine Eröffnungsantragspflicht gem.
§ 19 Abs. 2 InsO.
Bei fehlender positiver Fortführungsprognose gilt:
Bilanz nach HGB nur Ausgangspunkt, hier EK nach HGB zunächst Null Euro, zu
passivieren dann EUR 2,5 Mio. (Rückstellung für zu erwartende Haftungsansprüche),
bilanzielle Überschuldung nach HGB damit EUR 2,5 Mio.
Überschuldung im Überschuldungsstatus nach § 19 InsO zu korrigieren, da stille
Reserve zu heben. Diese liegt im Fuhrpark und beträgt EUR 1 Mio. im hier
maßgeblichen Zerschlagungsfall (mangels Fortführungsprognose nicht maßgeblich
ist der Fortführungsfall, nicht anzusetzen sind daher EUR 3 Mio.) à Mangels
positiver Fortführungsprognose Überschuldung EUR 1,5 Mio. Daher Antragspflicht
wegen insolvenzrechtlicher Überschuldung (wenn Fortführungsprognose fehlt).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 III./56
Fälle: Lösungen
(iii) Sanierungsmaßnahme: Darlehensrückzahlungsanspruch des Z ist in der HGBBilanz und grundsätzlich auch im relevanten Überschuldungsstatus zu passivieren.
Möglich ist jedoch ein Rangrücktritt, der im Überschuldungsstatus die Passivierungspflicht beseitigt (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO). Dann fallen die EUR 2 Mio. Darlehensverbindlichkeit weg. Dann keine insolvenzrechtliche Überschuldung mehr. Daher
keine Antragspflicht mehr, und zwar auch dann nicht, wenn die Fortführungsprognose
fehlt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
IV. Auswirkungen der Verfahrenseröffnung
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./2
Rechtsposition des Schuldners nach
Verfahrenseröffnung
I.
Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis:
•
Der Schuldner verliert mit Insolvenzeröffnung die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, § 80
Abs. 1 InsO.
Ú Ausnahme: Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 InsO.
•
Der „Insolvenzbeschlag“ (Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf
den Insolvenzverwalter) erfasst die „Insolvenzmasse“. Dies ist das gesamte
Vermögen des Schuldners (Universalinsolvenz).
Ú Ausnahme: Insolvenzverfahren über Sondermassen (Nachlassinsolvenz,
Insolvenzverfahren über Gesamtgut).
•
Geringe Teile des schuldnerischen Vermögens gehören nicht zur Insolvenzmasse,
der Schuldner bleibt insoweit verwaltungs- und verfügungsbefugt (§ 36 Abs. 1
S. 1 InsO: Unpfändbare Gegenstände, §§ 811 ff. ZPO, Unpfändbare
Forderungen, §§ 850 ff. ZPO).
•
Möglichkeit der Freigabe schuldnerischen Vermögens aus der Insolvenzmasse
durch den Insolvenzverwalter (wichtig bei Altlasten auf Grundstücken).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./3
II. Sonstige Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf den Schuldner:
•
Auskunftspflicht über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse,
§ 97 Abs. 1 InsO (flankiert durch Pflicht, ggf. eidesstattliche Versicherung abzugeben,
§ 98 Abs. 1 InsO).
•
Mitwirkungspflicht, Unterstützung des Insolvenzverwalters, § 97 Abs. 2 und 3 InsO
(z.B. Herausgabe von Schlüsseln, Informationen über Aktenführung und
Geschäftsvorgänge).
•
Bei Verweigerungshaltung: Vorführung und Haftanordnung, § 98 Abs. 2, 3 InsO.
•
Zu Überwachungszwecken (Aufdeckung von verheimlichtem Vermögen):
Postsperre, § 99 InsO.
Ú Sind juristische Personen Schuldner, treffen die genannten Schuldnerpflichten
Geschäftsführer (GmbH), Vorstände/Aufsichtsräte (AG) bzw. bei
Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit die vertretungsberechtigten persönlich
haftenden Gesellschafter, vgl. § 101 Abs. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./4
•
Keine Erstreckung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auf Gesellschafter einer
Kapitalgesellschaft, Ausnahme: bei Führungslosigkeit Auskunftspflicht von Personen,
die an dem Schuldner „beteiligt sind“, § 101 Abs. 1 S. 2 HS 2 InsO. Pflichten der
Gesellschafter ggf. als faktische Geschäftsführer.
•
Bei Verweigerungshaltung von Organpersonen/Gesellschaftern neben Vorführung
und Haftanordnung auch Auferlegung von Verfahrenskosten möglich bei Abweisung
des Eröffnungsantrags mangels Masse (vgl. § 101 Abs. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./5
III. Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf Gesellschaften
•
Insolvenzeröffnung ist Auflösungsgrund (§§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG,
262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB, 728 Abs. 1 S. 1 BGB).
•
Auflösung (Handelsregistereintragung, § 31 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./6
Beschlagnahme des Schuldnervermögens (I)
Mit Ausnahme unpfändbarer und freigegebener Vermögensgegenstände umfasst der
Insolvenzbeschlag das gesamte Schuldnervermögen:
•
Dingliche Rechte.
•
Immaterialgüterrechte (bei Urheberrechten Besonderheiten, §§ 31, 113 ff. UrhG).
•
Forderungen (Ausnahmen im Umfang der Unpfändbarkeit).
•
Das Unternehmen als Ganzes (Geschäftswert und Kundenstamm als denkbare
eigene vermögenswerte Positionen, vgl. §§ 160 Abs. 2, 162 InsO).
•
Die Firma / der „Handelsname“, auch bei Personenfirma, auch dann, wenn die Firma
den Namen des Schuldners enthält, weil der Name nicht zwangsläufig Firmenbestandteil sein muss, str.
•
Gesellschaftsrechte (Aktien, GmbH-Geschäftsanteile, Anteile an
Personengesellschaften):
•
Nicht: Die Gesellschaftsrechte an der insolventen Gesellschaft selbst. Anteile an
der insolventen Gesellschaft gehören nicht in die Masse. Aber Regelung im
Insolvenzplan möglich (§ 225a Abs. 3 InsO).
•
Anders Anteile von Gesellschaften, an denen die insolvente Gesellschaft beteiligt
ist: Diese fallen als Teil des schuldnerischen Vermögens in die Masse.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./7
Beschlagnahme des Schuldnervermögens (II)
Auch nach Insolvenzeröffnung erworbenes „Neuvermögen“ fällt in die Insolvenzmasse,
vgl. § 35 InsO.
Ú Hinsichtlich der Insolvenzmasse gilt das Prinzip der dinglichen Surrogation:
Vermögenswerte, die an die Stelle aus der Insolvenzmasse ausscheidender Vermögenswerte treten, fallen in die Insolvenzmasse.
Ú Dies ergibt sich mittelbar aus § 35 InsO (das Surrogationsprinzip ist z.B. geregelt in
§ 2041 BGB für den Nachlass).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./8
Wirkungen des Insolvenzbeschlags (I)
•
Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
hinsichtlich der Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter über.
Ú Schuldner bleibt Eigentümer/Forderungsinhaber (ohne Verfügungsbefugnis)
etc., er bleibt auch Eigenbesitzer, der Insolvenzverwalter ist Fremdbesitzer,
§ 148 Abs. 1 InsO.
•
Es handelt sich bei § 81 InsO um ein absolutes Verfügungsverbot gegenüber dem
Schuldner. Verfügungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung über Massegegenstände sind absolut unwirksam.
Beispiel: Schuldner tritt nach Insolvenzeröffnung eine ihm im Eröffnungszeitpunkt zustehende Forderung gegen Drittschuldner D an Zessionar Z ab. Z fordert Zahlung von D.
Obwohl D und Z nicht am Insolvenzverfahren beteiligt sind, kann sich D gegenüber Z
wegen der absoluten Wirkung des Verfügungsverbots auf die Unwirksamkeit der
Abtretung berufen. Zahlung von D kann nur der Insolvenzverwalter fordern, nur der
Insolvenzverwalter kann die Forderung erlassen oder abtreten.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./9
Wirkungen des Insolvenzbeschlags (II)
•
§ 82 InsO regelt, dass Zahlungen auf Forderungen des Schuldners an diesen
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann befreiend wirken, wenn der
Leistende bei Vornahme der Leistung die Verfahrenseröffnung nicht kannte. Soweit
die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung erfolgt, trägt der
Insolvenzverwalter die Beweislast für Bösgläubigkeit, danach muss der Leistende
Gutgläubigkeit darlegen und ggf. beweisen (vgl. § 82 S. 2 InsO).
Ú Dem Schuldner fehlt die Empfangszuständigkeit, Forderungseinzug ist auch
eine Art von Verfügung über Massegegenstände und vom Verfügungsverbot
erfasst.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./10
Verfügungen nach Eröffnung/Verkehrsschutz (I)
•
Verfügungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung sind unwirksam,
§ 81 Abs. 1 S. 1 InsO. Unwirksam sind also:
•
Belastungen, Übertragungen, Aufhebungen und inhaltliche Änderungen des
Schuldners über Schuldnerrechte (Vermögen).
à Folge: Verfügt der Schuldner über einen zur Insolvenzmasse gehörigen
Gegenstand nach Verfahrenseröffnung, so kann der Insolvenzverwalter eine
weggegebene bewegliche Sache gem. § 985 BGB herausverlangen bzw.
eine vom Schuldner (unwirksam) abgetretene Forderung weiterhin gegen
den Drittschuldner geltend machen.
•
Schutz des Vertragspartners des nichtberechtigten Schuldners:
§ 81 Abs. 1 S. 3 InsO, Herausgabeanspruch sow eit die Masse bereichert ist.
•
Verfügungen am Tag der Insolvenzeröffnung: Beachte § 81 Abs. 3 InsO
(Vermutung der Unwirksamkeit).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./11
Verfügungen nach Eröffnung/Verkehrsschutz (II)
•
Kein Gutglaubensschutz bei beweglichen Sachen (Verweis in § 81 Abs. 1 S. 2
InsO nur auf § 892 f. BGB, nicht auf § 932 BGB). Anwendbarkeit von § 932 BGB
jedoch evtl. bei Weiterveräußerung (evtl. kein Abhandenkommen).
•
Kein gutgläubiger Erwerb von zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen
(schon nach allgemeinen Grundsätzen des BGB).
•
Der gute Glaube an die Richtigkeit des Grundbuchs wird geschützt, vgl.
§ 81 Abs. 1 S. 2 InsO, §§ 892, 893 BGB.
•
Ausschluss des Gutglaubensschutzes: Insolvenzvermerk im Grundbuch, vgl. dazu
§ 32 InsO (vorl. Verwaltung: § 23 Abs. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./12
Fallbeispiele zum Verkehrsschutz:
1. Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen des S am 01.06., anschließend
verkauft und übergibt S noch sein Geschäftsfahrzeug mit KFZ-Brief an den
gutgläubigen D am Folgetag gegen Barzahlung von EUR 5.000,00 (Wert des
Fahrzeuges EUR 7.000,00). Dieser veräußert das bereits auf ihn umgeschriebene
Fahrzeug im Rahmen seines Gebrauchtwagenhandels noch am gleichen Tag an E.
Der Insolvenzverwalter nimmt die Masse am 03.06. in Besitz.
2. Schuldner S tritt kurz nach Insolvenzeröffnung eine Briefhypothek formgültig an D ab,
der von der Insolvenzeröffnung noch nichts weiß.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./13
Lösungen zu den Beispielsfällen:
1. S verfügte an D zwar als Eigentümer, jedoch ohne Verfügungsberechtigung, da
gem. § 80 Abs. 1 InsO die Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen war. Die Verfügung des S an D ist gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO absolut
unwirksam. Ein Gutglaubensschutz des D kommt nicht in Betracht (bew egliche
Sache, § 81 Abs. 1 S. 2 InsO). Somit blieben Eigentum und Verfügungsberechtigung
bei S bzw. dem Insolvenzverwalter. Die Verfügung von D an E könnte dagegen gem.
§§ 929, 932 BGB wirksam sein, da §§ 80, 81 Abs. 1 S. 1 InsO insoweit nicht
eingreifen (keine Verfügung des Schuldners). Da die Verfügung S-D noch vor
Besitzergreifung des Insolvenzverwalters (vgl. § 148 Abs. 1 InsO) erfolgte, liegt
kein Abhandenkommen gem. § 935 BGB vor. Dann wirksamer Eigentumserwerb
des E und kein Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters gem. § 985 BGB.
2. Der Erwerb des D hängt davon ab, ob im Zeitpunkt des Rechtserwerbs ein
Insolvenzvermerk im Grundbuch bereits eingetragen war (vgl. §§ 32, 23 Abs. 3
InsO). Soweit dies nicht der Fall ist, erwirbt er die Briefhypothek gutgläubig gem.
§ 81 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 892 BGB.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./14
Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs gem. § 91 InsO
•
§§ 80, 81 InsO (Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners) werden durch
§ 91 InsO ergänzt, der einen Rechtserwerb an Gegenständen der Insolvenzmasse
nach Verfahrenseröffnung auch für die durch § 81 InsO nicht erfassten Fälle ausschließt, in denen keine Verfügung des Schuldners (nach Verfahrenseröffnung)
und keine Zwangsvollstreckung für Insolvenzgläubiger (§ 89 InsO) vorliegt.
•
Beispiele für § 91 InsO:
•
•
Mehraktige Erwerbstatbestände mit Verfügung des Schuldners vor Verfahrenseröffnung kommen nach Verfahrenseröffnung zum Abschluss.
•
Rechtserwerb kraft Gesetzes; Rechtserwerb von Neugläubigern durch
Vollstreckung in die Insolvenzmasse.
•
Wichtige Ausnahmen vom Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs regelt § 91
Abs. 2 InsO: §§ 878, 892, 893 BGB bleiben unberührt.
Beispiel: Schuldner S lässt vor Insolvenzeröffnung ein Betriebsgrundstück an D auf
(§ 925 BGB) und bewilligt die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch
(§ 19 GBO). D stellt den Eintragungsantrag (§ 13 GBO) noch vor der am 08.06.
erfolgenden Insolvenzeröffnung. Am 10.06. erfährt D anschließend von der
Insolvenzeröffnung, die Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch erfolgt am
20.06. Rechtslage?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./15
Lösung des Beispielfalles:
1. Eigentumserwerb des D?
§§ 873, 925 BGB (Auflassung und Eintragung)à (+)
2. Unwirksamkeit gem. § 81 InsO?
Nein, S verfügte (Auflassung, Bewilligung) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
3. Unwirksamkeit gem. § 91 InsO?
Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt vor
(Eigentumsumschreibung und damit Rechtserwerb erst nach Insolvenzeröffnung).
4. Gutglaubensschutz gem. § 91 Abs. 2 InsO?
Ja: Gem. § 892 Abs. 2 BGB kommt es für die Gutgläubigkeit auf den Zeitpunkt des
Eintragungsantrages an. Bösgläubigkeit des D im Zeitpunkt der Eintragung selbst
schadet nicht, zudem Schutz über § 878 BGB, da Eintragungsantrag vor Wegfall der
Verfügungsbefugnis gestellt war (Schutzzweck: Verzögerungen, etwa durch
Überlastung des Grundbuchamtes, sollen nicht zu Lasten des Erwerbers gehen).
5. Ergebnis: Wirksamer Erwerb des D, Gegenleistung (Geld/Forderung) = Masse.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./16
Sonderproblem: Grundbuchumschreibung nach
Kenntnis des Grundbuchamts von
Verfahrenseröffnung
Es ist zu unterscheiden:
1. Fallgruppe: § 81 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 892 BGB
a) Veräußerung (Eintragungsantrag) nach Insolvenzeröffnung
b) an gutgläubigen (C), noch kein Insolvenzvermerk eingetragen aber
c) Kenntnis des Grundbuchamtes von der Insolvenzeröffnung
Folge:
h.M.: Keine Grundbucheintragung, dem Erwerber darf nicht zu einem materiell
unberechtigten Erwerb verholfen werden („Grundbuchsperre“ mit Insolvenzeröffnung);
a.A.: Reihenfolgeprinzip gem. § 17 GBO, Eintragungen zu Gunsten Dritter müssen
erfolgen, wenn entsprechende Eintragungsanträge vor dem Antrag auf Eintragung
des Insolvenzvermerks erfolgen (Haftung gem. Art. 34 GG, § 839 BGB bei
Durchbrechung des Reihenfolgeprinzips). Zur Problematik vgl. Ott, in: MK-InsO
§ 81 Rn. 23.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./17
2. Fallgruppe: § 91 Abs. 2 InsO i.V.m. § 878 BGB, Voraussetzung:
a) Eintragungsantrag vor Insolvenzeröffnung.
b) Bindung an die Einigung (§§ 873 Abs. 2, 875 Abs. 2, 877 BGB).
Folge:
Unstreitig ist der vor Insolvenzeröffnung gestellte Eintragungsantrag vom
Grundbuchamt abzuarbeiten (§ 81 InsO greift nicht ein, da der Schuldner vor
Eröffnung noch als Berechtigter verfügt).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./18
Vollstreckungsverbot (I)
Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) können während des Insolvenzverfahrens keine
Einzelzwangsvollstreckung betreiben, § 89 Abs. 1 InsO.
•
§ 89 Abs. 1 InsO erfasst alle Maßnahmen nach § 803 ff. ZPO sowie Arrest und
Einstweilige Verfügung, §§ 916 ff., 935 ff. ZPO.
•
Auch Neugläubiger (anders Massegläubiger!) können nicht (wirksam) in die
Insolvenzmasse vollstrecken, vgl. § 91 Abs. 1 InsO.
•
Für künftige Lohnforderungen vgl. § 89 Abs. 2 S. 1 InsO (Sperre für
Insolvenzgläubiger und Neugläubiger, da künftiges Arbeitseinkommen für die
Restschuldbefreiung im Rahmen der „Wohlverhaltensperiode“ zur Verfügung
stehen soll), siehe auch § 81 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./19
Vollstreckungsverbot (II)
•
Zwangsvollstreckungen in Auslandsvermögen sind nach Sinn und Zweck des
§ 89 Abs. 1 InsO nach Insolvenzeröffnung unzulässig (BGHZ 88,147; a.A.: OLG
Hamm, ZIP 1982, 1343, beide Entscheidungen noch zur KO).
•
Faktische Vollstreckungsmöglichkeit im Ausland eventuell gegeben (IPR-Frage),
solchermaßen erlangtes Vermögen ist jedenfalls gem. § 812 BGB (Eingriffskondiktion) an den inländischen Insolvenzverwalter herauszugeben (§ 826 BGB bei
ungekürzter Tabellenanmeldung?).
•
Beachte hierzu insbes. Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. f) EuInsVO und Art. 19 EuInsVO:
Anerkennung der Wirkungen des eröffneten Insolvenzverfahrens im EU-Ausland und
Erstreckung der Wirkung der lex fori concursus auf das ausländische Vollstreckungsverfahren (näher dazu Teil XII).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./20
Vollstreckungsverbot (III)
Vollstreckungsanträge sind abzulehnen, soweit die Vollstreckungsverbote aus
§§ 89, 91 InsO reichen. Dennoch eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen kann der
Insolvenzverwalter mit der Erinnerung (§ 766 ZPO) vor dem Insolvenzgericht
(vgl. § 89 Abs. 3 InsO) anfechten.
Für Aussonderungsberechtigte gilt § 89 InsO in Bezug auf die Aussonderung nicht,
Ansprüche aus §§ 985, 546 BGB können gegen die Masse geltend gemacht und
erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchgesetzt werden.
Unzulässige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen begründen kein Pfändungspfandrecht,
können aber zur Verstrickung und zum wirksamen Erwerb des Ersteigerers führen
(gemischt privatrechtlich öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrechtstheorie). Daher sollte
der Insolvenzverwalter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anfechten.
Soweit ein Pfändungspfandrecht vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden ist,
bleibt es wirksam und berechtigt den entsprechenden Gläubiger zur abgesonderten
Befriedigung gem. § 50 Abs. 1 InsO (Ausn.: § 88 InsO bzw. §§ 129 ff. InsO greifen ein).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./21
Rückschlagsperre, § 88 InsO
•
§ 88 InsO sperrt Zwangsvollstreckungen mit Rückwirkung („§ 88 InsO schlägt
zurück“).
•
Zeitliche Reichweite: Ein Monat vor Eröffnungsantrag (oder später).
•
Sachliche Reichweite: Alle Sicherungen aufgrund von Vollstreckungen in
Massegegenstände (z.B. Pfändungspfandrechte, Zwangshypotheken,
Beschlagnahmen nach § 20 ff. ZVG).
•
Auswirkung: Automatische Unwirksamkeit kraft Gesetzes.
Die Rückschlagsperre ist im Ergebnis eine gesetzliche und automatische
Insolvenzanfechtung. Ziel: Materielle Gerechtigkeit, zeitliche Vorverlagerung der „par
conditio creditorum “, besondere Bedeutung in Verfahren ohne Insolvenzverwalter
(Eigenverwaltung; Verbraucherinsolvenz, dort auf Antrag des Schuldners
gem. § 88 Abs. 2 InsO n.F. ab 01.07.2014 zeitliche Reichweite von sogar 3 Monaten).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./22
Unterbrechung laufender Rechtsstreitigkeiten
Gemäß § 240 ZPO werden anhängige Prozesse unterbrochen, soweit sie die
Insolvenzmasse betreffen. Prozessführungsbefugt ist mit Verfahrenseröffnung
gem. § 80 Abs. 1 InsO nicht mehr der Schuldner sondern der Insolvenzverwalter. Die
Unterbrechung endet mit Wiederaufnahme des Prozesses (bzw. Beendigung des
Insolvenzverfahrens). Im Einzelnen:
•
Bei vorläufiger Insolvenzverwaltung erfolgt eine Prozessunterbrechung nur,
wenn ein starker Insolvenzverwalter bestellt wird (§ 240 S. 2 ZPO).
•
Im selbständigen Beweisverfahren erfolgt keine Unterbrechung (str.), Grund:
Zweck der schnellen Beweissicherung, BGH ZIP 2004, 186 f.
•
Prozesse ohne Beziehung zur Insolvenzmasse laufen auch nach
Verfahrenseröffnung weiter (Bsp.: Scheidungsverfahren des Schuldners,
Strafverfahren gegen den Schuldner).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./23
Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (I)
Aktivprozesse (Schuldner ist Kläger):
•
Aufnahmemöglichkeit des Insolvenzverwalters, § 85 Abs. 1 S. 1 InsO, § 250 ZPO
(Erträge fließen der Masse zu, Kostenerstattungsanspruch des Gegners bei
Unterliegen des Insolvenzverwalters ist Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO)
à Rechtskraftwirkung auch über das Insolvenzverfahren hinaus.
•
Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme des unterbrochenen Aktivprozesses ab (z.B. wegen geringer Erfolgsaussichten), wirkt dies als Freigabe.
Schuldner und Gegner können dann das Verfahren aufnehmen, § 85 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./24
Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (II)
Passivprozesse (Schuldner ist Beklagter):
•
Aufnahmemöglichkeit ausnahmsweise (Grundsatz: Unterbrechung dauert an, da
Feststellung/ Durchsetzung von Insolvenzforderungen der Gläubiger im Insolvenzverfahren, vgl. sogleich) für beide Seiten gem. § 86 Abs. 1 InsO bei Aussonderungsberechtigten, Absonderungsberechtigten w egen der abgesonderten
B efriedigung (soweit diese nicht Insolvenzgläubiger sind) und Massegläubigern.
•
Möglichkeit sofortigen Anerkenntnisses durch Insolvenzverwalter gem. § 86 Abs. 2
InsO mit ähnlichen Folgen wie § 93 ZPO (Kostenerstattungsanspruch = Insolvenzforderung).
•
Erkennt der Verwalter nicht an, ist der Kostenerstattungsanspruch des Gegners
nach dessen Obsiegen Masseschuld, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./25
Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (III)
Passivprozesse (Forts.):
•
Prozesse von Insolvenzgläubigern bleiben gem. § 87 InsO unterbrochen.
•
Zu den Insolvenzgläubigern zählen auch solche Gläubiger, die eine Insolvenzforderung haben, die durch Sicherungsgut abgesichert ist, dessen Gewährung
zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Der oben genannte Ausnahmefall (§ 86
Abs. 1 Nr. 2 InsO) betrifft nur zur abgesonderten Befriedigung Berechtigte, die nicht
Insolvenzgläubiger sind (Sicherungsgut aus der Masse zur Absicherung der Schuld
eines Dritten, der nicht der Insolvenzschuldner ist).
•
Die Insolvenzgläubiger, deren Prozesse unterbrochen bleiben, müssen ihre
eingeklagten Forderungen/Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch
Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend machen, §§ 87, 174 ff. InsO.
•
Zur Aufnahme des Prozesses kann es nur dann kommen, wenn die Forderung im
Prüfungstermin bestritten wird (vgl. §§ 180 Abs. 2, 184 S. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./26
Übungsfragen (I):
Schuldner S und Gläubiger G einigen sich vor Insolvenzeröffnung über folgende
Abtretungen:
1. Eine künftige Forderung, die erst nach Insolvenzeröffnung entsteht.
2. Eine aufschiebend bedingte Forderung, wobei Bedingungseintritt nach Insolvenzeröffnung erfolgt.
3. Lohnforderungen des Schuldners, die erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens fällig werden.
Frage:
Sind diese Abtretungen gegen den Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung
wirksam?
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Übungsfragen (II):
4. D kauft von S vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des S eine
Maschine unter Eigentumsvorbehalt. Bei Verfahrenseröffnung steht die Zahlung der
letzten Rate durch D an S noch aus.
Wie ist die Rechtslage nach Verfahrenseröffnung?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./28
Lösungen zu den Übungsfragen:
1. Rechtshandlung ist die Vorausabtretung, diese erfolgt vor Verfahrenseröffnung.
Daher keine Verfügung gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO. Es greift aber § 91 Abs. 1 InsO
ein, da der Rechtserwerb erst mit Entstehung der Forderung und somit nach
Insolvenzverfahrenseröffnung eintritt.
2. Keine Verfügung nach Insolvenzeröffnung gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO, da
Vorausabtretung. Anders als bei 1. wegen der Rückwirkung des Bedingungseintritts
bzw. aufgrund des entsprechend anwendbaren § 161 Abs. 1 BGB auch kein Fall des
§ 91 Abs. 1 InsO. Ergebnis: Wirksamer Rechtserwerb.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IV./29
Lösungen zu den Übungsfragen:
3. Mangels Verfügung nach Verfahrenseröffnung greift § 81 Abs. 2 InsO nicht ein.
Aus § 287 Abs. 3 InsO geht auch hervor, dass die Vorausabtretung vor Verfahrenseröffnung trotz der Bedeutung künftiger Bezüge für die Restschuldbefreiung möglich
ist. § 114 InsO beschränkt die Vorausabtretung aber auf einen Zeitraum von rund
2 Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
4. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO steht einem Rechtserwerb des D nicht entgegen, die
Verfügung des S erfolgte vor Verfahrenseröffnung. § 91 Abs. 1 InsO greift wegen
der Verfügung unter aufschiebender Bedingung nicht ein (vgl. Frage 2.).
Problematisch wäre grundsätzlich das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gem.
§ 103 InsO. § 107 Abs. 1 InsO steht der Nichterfüllungswahl jedoch als lex
specialis entgegen und schützt das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers D.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
V. Das Wahlrecht des
Insolvenzverwalters/Insolvenzarbeitsrecht
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./2
Wahlrecht, §§ 103 ff. InsO, Grundsätze (I)
•
Sind bei Insolvenzeröffnung gegenseitige Verträge (§ 320 BGB, Synallagma) von
beiden Vertragspartnern nicht/nicht vollständig erfüllt, gelten bezüglich der
Abwicklung die §§ 103 ff. InsO.
•
§ 103 InsO ist Generalnorm: Wahlrecht des Insolvenzverwalters (keine analoge
Anwendung auf vorläufigen Insolvenzverwalter).
•
§§ 104 ff. InsO enthalten Spezialvorschriften für Sonderfälle (Ausnahmen).
•
Nicht erfasst sind Verträge ohne Synallagma (einseitig verpflichtende Verträge,
z.B. Schenkung, unentgeltliche Bürgschaft, unverzinsliches Darlehen) und
unvollkommen zweiseitige Schuldverhältnisse (Leihe).
•
§§ 103 ff. InsO sind unanwendbar auf synallagmatische Verträge, die von einer
Seite schon vollständig erfüllt worden sind.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./3
Wahlrecht, §§ 103 ff. InsO, Grundsätze (II)
Beispiele:
1. V verkauft der S GmbH eine Maschine, die nach Anzahlung vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S GmbH geliefert und übereignet,
jedoch nicht mehr vollständig bezahlt wurde.
Zwar liegt ein synallagmatischer und von der S GmbH bei Insolvenzeröffnung noch
nicht vollständig erfüllter Vertrag vor. Jedoch hat V voll erfüllt, so dass § 103 InsO
nicht eingreift und V den Restkaufpreisanspruch nur zur Insolvenztabelle anmelden
kann, während die Maschine in die Masse fällt (vgl. § 105 S. 2 InsO).
2. Wie Beispiel 1, jedoch hat die S GmbH die Maschine vor Insolvenzeröffnung
vollständig bezahlt, die von V noch nicht geliefert wurde.
Auch hier greift kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters. V kann (soweit keine
Anfechtbarkeit gem. §§ 129 ff. InsO gegeben ist) das Geld behalten, die
Insolvenzmasse hat jedoch einen Anspruch auf Lieferung der Maschine, den der
Insolvenzverwalter geltend machen bzw. „verkaufen“ wird.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./4
Dogmatik und Zweck des Wahlrechts
gem. § 103 InsO (I)
Ist ein gegenseitiger Vertrag von beiden Parteien noch nicht vollständig erfüllt, wäre
vor dem Hintergrund der bloß quotalen Befriedigung der Insolvenzgläubiger die
Leistungspflicht der Vertragspartner des Schuldners unbillig.
•
Bei isolierter Betrachtung der Ansprüche aus synallagmatischen Verträgen könnte
der Insolvenzverwalter Erfüllung zur Masse fordern, während der Vertragspartner
seinen Anspruch zur Insolvenztabelle (quotale Befriedigung) anmelden müsste.
•
Ähnlich wie im Bereicherungsrecht („Saldotheorie“) setzt sich die Verknüpfung
gegenseitiger Ansprüche durch das Synallagma auch im Insolvenzrecht zumindest
teilweise durch und vermeidet Ungerechtigkeiten.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./5
Dogmatik und Zweck des Wahlrechts
gem. § 103 InsO (II)
Die rechtstechnische Funktionsweise des § 103 InsO wird nicht einheitlich beurteilt:
•
Erste Ansicht: Insolvenzeröffnung lässt Erfüllungsansprüche unberührt,
Erfüllungsablehnung wandelt Vertrag um und führt zu einseitigem Anspruch des
Vertragspartners auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (Teile Lit.).
•
Zweite Ansicht: Insolvenzeröffnung führt zum Fortfall der gegenseitigen
Erfüllungsansprüche, Erfüllungsablehnung hat deklaratorische und Erfüllungswahl
rechtsgestaltende Bedeutung (frühere Rspr.).
•
BGH (NJW 2002, 2783): „Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt kein
Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen ... (diese)
verlieren vielmehr ihre Durchsetzbarkeit ... wählt der Verwalter Erfüllung, so
erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von
originären Forderungen der und gegen die Masse“.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./6
Die Ausübung des Wahlrechts
•
Wahlrechtsausübung erfolgt durch formfreie einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärung gegenüber dem Vertragspartner, Wirksamkeit mit Zugang
(§ 130 BGB).
•
Unwiderruflichkeit, allerdings ggf. Anfechtung gem. § 119 Abs. 1 BGB,
Bedingungsfeindlichkeit.
•
Wahlrechtsausübung auch konkludent möglich (z.B. Inanspruchnahme von
Leistungen nach Verfahrenseröffnung).
•
Schutz des Vertragsgegners: Aufforderung zur Erfüllungswahl,
§ 103 Abs. 2 S. 2 InsO Ú Unverzügliche bindende Wahlrechtsausübung, sonst
Ablehnungsfiktion (§ 103 Abs. 2 S. 3 InsO). Keine feste Frist, Fallumstände
maßgeblich.
•
Ohne Wahlrechtsausübung/Fiktion nach Aufforderung ergibt sich ein
Schwebezustand, der Vertragspartner bleibt Insolvenzgläubiger, muss seinerseits
jedoch auch nicht erfüllen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./7
Rechtswirkungen der Wahlrechtsausübung
•
Verlangt der Insolvenzverwalter Erfüllung, so wird die Forderung des Vertragspartners zur Masseschuld, § 55 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. InsO.
•
Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab bzw. tritt die Fiktionswirkung des
§ 103 Abs. 2 S. 3 InsO ein, so bleibt der beiderseitig nicht voll erfüllte synallagmatische Vertrag zwar bestehen, der Anspruch der Masse auf Erfüllung kommt
jedoch in Fortfall und der Anspruch des Vertragspartners ist nunmehr (einseitig)
auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtet, § 103 Abs. 2 S. 1 InsO.
•
§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO ist Rechtsgrundverweisung (str.). Der Schadensersatzanspruch folgt aus den BGB-Vorschriften, ersatzfähig (als Insolvenzforderung,
Anmeldung zur Tabelle!) ist das Erfüllungsinteresse gem. §§ 249 ff. BGB (auch
entgangener Gewinn).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./8
Reichweite des Wahlrechts (I)
Die BGH-Rechtsprechung zur Reichweite des Wahlrechts ist verwalterfreundlich. Die
Ausübung des Wahlrechts soll nur Ansprüche des Vertragspartners auf Entgelt für
ausstehende Leistungen erfassen.
•
Erfüllungswahl:
Ein dem Vertragspartner zustehender Anspruch, der bereits vor Verfahrenseröffnung durch Leistung des Vertragspartners „werthaltig“ wurde, bleibt trotz
Erfüllungswahl Insolvenzforderung.
Ú Vorleistungen vor Verfahrenseröffnung erfolgten „auf eigenes Risiko“ des
Leistenden.
•
Erfüllungsablehnung:
Die Erfüllung soll nicht gänzlich ausgeschlossen sein; der Masse soll anteiliges
Entgelt für Vorleistungen des Insolvenzschuldners zustehen (BGHZ 129,
336, 340). Vorleistungen des Vertragspartners begründen dagegen eine zur
Tabelle anzumeldende Insolvenzforderung (nicht mit dem Schadensersatzanspruch
wegen Nichterfüllung zu verwechseln, der ggf. neben diesen Entgeltanspruch tritt
und auch zur Insolvenztabelle anzumelden ist).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./9
Reichweite des Wahlrechts (II)
Beispielsfall zur Wahlrechtsausübung:
Die S GmbH vereinbart Renovierungsarbeiten mit Hauseigentümer A zum Festpreis von
EUR 60.000, die von ihr bei Insolvenzeröffnung zur Hälfte durchgeführt und von A
abgenommen, diesem aber noch nicht in Rechnung gestellt sind. Der Insolvenzverwalter
der S GmbH lehnt die weitere Vertragsdurchführung ab und verlangt EUR 30.000,00 für
die erbrachte Teilleistung.
Für A wird der Wechsel zu einem anderen Bauunternehmen nach Beginn der Arbeiten
teuer (Mehrkosten EUR 20.000,00).
Frage: Wie ist die Rechtslage und was sollte A tun?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./10
Reichweite des Wahlrechts (III)
Lösung:
Der Werklohnanspruch und der Anspruch auf Werkerstellung (Renovierung) sind (je
nach dogmatischer Auffassung) entweder mit Insolvenzverfahrenseröffnung in Fortfall
gekommen bzw. undurchsetzbar geworden oder aber spätestens aufgrund der
Erfüllungsablehnung hinfällig (§ 103 Abs. 1 und 2 S. 1 InsO).
Nach der BGH-Dogmatik soll der Masse wegen ihrer teilweisen Vorleistung das
anteilige Entgelt (trotz Erfüllungsablehnung) zustehen (BGHZ 129, 336, 340,
NJW 1995, 1966, 1967).
A steht aufgrund der Erfüllungsablehnung ein Schadensersatzanspruch wegen
Nichterfüllung zu, dessen Herleitung („zivilrechtlich“, Rechtsgrundverweisung in
§ 103 InsO bzw. „insolvenzrechtlich“, Rechtsfolgenverweisung) strittig ist. Unabhängig
von dem Theorienstreit sind die Mehrkosten aufgrund der Nichterfüllungswahl als
Nichterfüllungsschaden ersatzfähig.
A kann mit seinem Schadensersatzanspruch gem. § 94 InsO aufrechnen (str., a.A. =
§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO, vertretbar). Grund: Forderung resultiert aus vor Insolvenzeröffnung
geschlossenem Vertrag, BGH ZIP 1991, 945 ff. Ergebnis: A schuldet der Masse (nur)
EUR 10.000,00.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./11
Schutz des Wahlrechts, § 103 InsO, durch § 119 InsO
§ 119 InsO regelt ausdrücklich, dass Vereinbarungen im Vorfeld der Insolvenz, die einen
Ausschluss des Wahlrechts des Insolvenzverwalters vorsehen, unwirksam sind.
Ú Die Wirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln (kein ausdrücklicher Ausschluss
des Wahlrechts) vor dem Hintergrund des § 119 InsO ist in der Praxis sehr
umstritten. Beispiele häufig verwendeter und umstrittener Klauseln sind:
•
Auflösende Bedingungen
•
Rücktrittsrechte
•
Kündigungsrechte
Im Fall von Insolvenzgrund,
à
Eröffnungsantrag oder
Insolvenzverfahrenseröffnung
à Beispiel: BGH, Urteil vom 15.11.2012 – IX ZR 169/11: Unwirksam sind
Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder
Energie, die an Insolvenzantrag oder Insolvenzeröffnung anknüpfen.
à Lösungsklausel in § 8 Nr. 2 VOB/B: Unwirksam (OLG Frankfurt, Urt. v. 16.03.2015 –
1 U 38/14, BeckRS 2015, 06216; a.A. Scheef/Uyani-Wietz, ZIP 2016, 250; OLG
Schleswig, NZI 2012, 293; OLG Koblenz, NZI 2014, 807; OLG Celle, NZI 2014, 807).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./12
Übersicht zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters
nach BGH-Rechtsprechung (I)
Gegenseitiger
Vertrag
Wahlrecht
Rechtslage bzw. Folgen
der Ablehnung
Vom Partner (P)
voll erfüllt
Nein
Für P Insolvenzanspruch
auf Gegenleistung
Vom Schuldner (S)
voll erfüllt
Nein
Für Verwalter Anspruch auf
Gegenleistung
(einklagbar!)
Von niemandem
voll erfüllt
Ja
Für P Insolvenzanspruch
auf Schadensersatz
Folgen der
Erfüllungswahl
Erfüllungsansprüche
für Verwalter und P
(Masseanspruch);
einklagbar, Zug-umZug
(nach Foerste)
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./13
Übersicht zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters
nach BGH-Rechtsprechung (II)
Gegenseitiger Vertrag
Wahlrecht
Rechtslage bzw. Folgen
der Ablehnung
Folgen der
Erfüllungswahl
Nur von P zu 1/3 erfüllt
Nur für restl.
2/3
Für P Insolvenzanspruch
auf Gegenleistung i.H.v. 1/3,
im Übrigen auf
Schadensersatz
Für P Insolvenzanspruch auf
Gegenleistung i.H.v. 1/3,
Masseanspruch auf
restliche 2/3
Nur von S zu 1/3 erfüllt
Nur für restl.
2/3
Für Verwalter Anspruch auf
Gegenleistung i.H. v. 1/3
(einklagbar!);
Für P Insolvenzanspruch
auf Schadensersatz
Für Verwalter Anspruch
auf volle Gegenleistung,
für P Masseanspruch auf
restl. Leistung
Von P wie von S zu 1/3
erfüllt
Nur für restl.
2/3
Für P Insolvenzanspruch
auf Schadensersatz für
übrige 2/3
Erfüllungsansprüche auf
restl. 2/3 für Verwalter
wie für P
(Masseanspruch);
einklagbar, Zug-um-Zug
(nach Foerste)
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./14
Einschränkungen des Wahlrechts/Besonderheiten
Einschränkungen und Besonderheiten in Bezug auf das Wahlrecht gelten bei folgenden
Sachverhalten:
•
Kauf unter Eigentumsvorbehalt.
•
Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte.
•
Vormerkungsgesicherte Ansprüche.
•
Miet- und Pachtverträge (Immobilien).
•
sowie insbesondere in Bezug auf Dienst- und Arbeitsverhältnisse.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./15
Kauf unter Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO
•
•
Insolvenz des Vorbehaltskäufers: Es bleibt beim Wahlrecht des Verwalters,
§ 107 Abs. 2 InsO:
•
Nichterfüllungswahl lässt Besitzrecht entfallen, Aussonderungsrecht des
Verkäufers (§§ 985 BGB, 47 InsO).
•
Erfüllungswahl macht Kaufpreisanspruch des Verkäufers zur Masseschuld,
soweit die Masse nicht erfüllt, Rücktrittsrecht des Verkäufers mit Aussonderungsrecht.
Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers: Der Käufer (Anwartschaftsrecht!) wird
dadurch geschützt, dass dem Verwalter kein Wahlrecht zusteht, § 107 Abs. 1 InsO.
Das Anwartschaftsrecht ist folglich insolvenzfest und erstarkt zum Eigentum des
Vorbehaltskäufers bei Erfüllung des (restlichen) Kaufpreisanspruchs der Masse. Bei
Nichtzahlung des Vorbehaltskäufers gelten die allgemeinen Regelungen: Rücktritt,
Herausgabeverlangen des Verwalters.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./16
Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte, § 104 InsO
•
Fixgeschäfte über Lieferung von Waren mit Markt- oder Börsenpreis müssen zu
einem genau bestimmten Termin erfüllt werden, ein Wahlrecht (mit entsprechenden
Verzögerungen) ist hier unangemessen und vom Gesetzgeber ausgeschlossen,
vgl. § 104 Abs. 1 InsO.
Ú Preisunterschied ggf. Insolvenzforderung des Geschäftsgegners.
•
Finanztermingeschäfte: Auch hier gibt es kein Verwalterwahlrecht, vgl.
§ 104 Abs. 2 InsO. Devisen und Indextermingeschäfte, Termingeschäfte mit
Wertpapieren und Gold sowie Optionen werden mit Insolvenzeröffnung als
beendet angesehen und saldiert. Folglich kann der Insolvenzverwalter nicht durch
(verzögerte) Ausübung bzw. Nichtausübung seines Wahlrechts auf Kosten des
Vertragspartners spekulieren.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./17
Vormerkung, § 106 InsO
•
Vormerkungsgesicherte Ansprüche müssen aus der Masse erfüllt werden,
§ 106 Abs. 1 S. 1 InsO, es besteht kein Wahlrecht (Grund: „Die Vormerkung“ muss
insolvenzfest sein, um dieses Rechtsinstitut, das gerade für den Krisenfall geschaffen
ist, funktionsfähig zu machen).
•
Sonderfall: Neben dem vormerkungsgesicherten Anspruch (regelmäßig
Übereignung) bestehen weitere Leistungspflichten des insolventen Schuldners.
§ 106 Abs. 1 S. 2 InsO klärt das Verhältnis zu § 103 InsO zu Gunsten der
Vormerkung, die trotz des Wahlrechts des Insolvenzverwalters bezüglich der
übrigen Leistungen „insolvenzfest“ ist:
Beispiel: Bauträgervertrag, Errichtung eines Wohnhauses auf vom insolventen Bauträgerunternehmen zu übereignendem Grundstück unter Finanzierung durch den Käufer
(Teilzahlungen nach Baufortschritt vor Eigentumsumschreibung) mit Absicherung durch
Vormerkung. Insolvenzeröffnung vor Baufertigstellung und Eigentumsumschreibung.
Rechtslage?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./18
Lösung des Beispielfalls (Insolvenz des Bauträgers):
Der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Übereignung des Grundstücks ist
insolvenzfest (§ 106 Abs. 1 S. 1 InsO). Dass neben der Übereignung auch die
Errichtung und Fertigstellung des Bauwerks geschuldet wurde, ändert hieran nichts,
§ 106 Abs. 1 S. 2 InsO.
Der Vormerkungsschutz bezieht sich jedoch nur auf das Grundstücksrecht. Das
werkvertragliche Element (Bauwerkserrichtung) wird nicht geschützt, dieser „Teil des
Anspruchs“ des K ist nicht insolvenzfest.
Ú Der Insolvenzverwalter kann Erfüllung wählen oder die Erfüllung ablehnen,
§ 103 InsO (betrifft nur die Bauleistung, im Einzelnen ist vieles streitig, grundlegend:
BGHZ 79, 103).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./19
Miet- und Pachtverträge, §§ 108 ff. InsO (I)
Mobilien (bewegliche Sachen):
•
Insoweit besteht grundsätzlich das Insolvenzverwalterwahlrecht gem. § 103 InsO,
das Kündigungsrecht des Vermieters aufgrund Verzugs mit Mietzinszahlungen vo r
Eröffnungsantrag und wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse ist
gem. § 112 InsO eingeschränkt: n a c h Eröffnungsantrag kann bei Insolvenz des
Mieters nicht gekündigt werden (strittig: Kündigungssperre wegen Zahlungsverzug
mit Mietzinsraten n a c h Eröffnungsantrag? Richtig wohl: Insoweit keine Kündigungssperre (vgl. BGH NJW 2002, 3326, 3330 f.).
•
Ausnahme vom Verwalterwahlrecht bei beweglichen Sachen in der Vermieterinsolvenz: refinanzierte Vermietungen/Verpachtungen (Leasing!), vgl. § 108 Abs. 1
S. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./20
Miet- und Pachtverträge, §§ 108 ff. InsO (II)
Immobilien:
Miet- und Pachtverhältnisse über Immobilien bestehen fort,
§ 108 Abs. 1 S. 1 InsO, insoweit besteht kein Insolvenzverwalterwahlrecht.
Besonderheiten:
•
Vermieterinsolvenz: Vertragsfortbestand, Mietzinsansprüche fallen in die Masse
(großenteils auch im Fall von Abtretung, Verpfändung oder Pfändung, § 110 Abs. 1
u. 2 InsO, Aufrechnungseinschränkung, § 110 Abs. 3 InsO).
•
Mieterinsolvenz: Vor Übergabe der Immobilie Rücktrittsrecht beider Teile, § 109
Abs. 2 InsO; nach Übergabe Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters innerhalb
gesetzlicher Frist auch im Fall von Festlaufzeiten, § 109 Abs. 1 S. 1 InsO (nach
Vertragsende Aussonderung des Vermieters, soweit er Eigentümer ist, § 47 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./21
Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge
•
Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge, die der Schuldner erteilt bzw.
geschlossen hat, erlöschen mit der Insolvenzeröffnung, §§ 115 Abs. 1, 116 InsO.
Beispiele: Verträge mit Rechtsanwälten, Architekten, Spediteuren, Vermögensverwaltern.
•
Bei Notgeschäftsführung (§ 672 BGB) und bei Unkenntnis des
Geschäftsbesorgers/Beauftragten vom Insolvenzverfahren gilt das Auftragsverhältnis
als fortbestehend, § 115 Abs. 2, 3 InsO.
•
Noch offene Vergütungsansprüche sind regelmäßig Insolvenzforderungen. Wie stets
gilt: Die Honorarvorlage (§ 9 RVG, auch für „voraussichtlich entstehende“
Honorarforderungen!) ist der Eigentumsvorbehalt des Anwalts!
Ú Vom Schuldner erteilte Vollmachten, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen,
erlöschen (vgl. § 117 Abs. 1 InsO, § 168 S. 1 BGB). Sonderregelung zum Schutz
„gutgläubiger“ Vertreter: § 117 Abs. 3 InsO (keine Haftung gem. § 179 BGB).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./22
Grds. keine Insolvenzfestigkeit von Lizenzen
in der Insolvenz des Lizenzgebers (I)
Frühere Rechtslage unter der Konkursordnung:
•
Konkursfestigkeit von Lizenzen. Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 17
Abs. 1 KO. Ausnahme: Lizenzen hiervon analog § 21 Abs. KO nicht erfasst.
Rechtslage seit der Insolvenzordnung vom 01.01.1999: Grds. keine Insolvenzfestigkeit von Insolvenzen:
•
§ 21 Abs. 1 KO wurde durch § 108 Abs. 1 S.1 InsO ersetzt. Dieser bezieht sich aber
nur noch auf unbewegliche Gegenstände.
•
Folge: Wahlrecht gemäß § 103 Abs. 1 InsO gilt grds. auch für Lizenzverträge in der
Insolvenz des Lizenzgebers.
•
Versuche, durch vorinsolvenzliche vertragliche Gestaltungen eine Insolvenzfestigkeit einer Lizenzvereinbarung herbeiführen zu wollen, scheitern grds. an § 119
InsO: Doppeltreuhand, Sicherungsabtretung, Sicherungsnießbrauch, Nießbrauch
(vgl. Rektorschek/Nauta, BB 2016, 264), Pfandrecht, Lizenzeinräumung als
Einmalakt, insolvenzunabhängige Kündigungsklausel mit aufschiebend bedingter
Lizenzeinräumung etc.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./23
Grds. keine Insolvenzfestigkeit von Lizenzen
in der Insolvenz des Lizenzgebers (II)
Insolvenzfestigkeit einer Lizenzvereinbarung wurde vom BGH lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen anerkannt:
•
Ein Lizenzvertrag ist im Falle eines Lizenzkaufs regelmäßig beiderseits vollständig
erfüllt (§ 103 Abs. 1 InsO), wenn die gegenseitigen Hauptleistungen erbracht
sind, also der Lizenzgeber die Lizenz erteilt und der Lizenznehmer den Kaufpreis
gezahlt hat (BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, GRUR 2016, 201 – „Ecosoil“).
•
Gewährung einer ausschließlichen Lizenz und gleichzeitige Übertragung des geschützten Rechts gegen einmalige angemessene Vergütung – fällig bei Kündigung –
aufschiebend bedingt durch Kündigung aus wichtigem Grund, bei gleichem
Kündigungsrecht beider Teile (BGH NJW 2006, 915).
•
Fortbestand der Unterlizenz bei Erlöschen der ausschließlichen Hauptlizenz in
Folge Ausübung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO (BGHZ
180, 344, NJW-RR 2010, 186 – „Reifen Progressiv“) oder in Folge einvernehmlicher Aufhebung des Hauptlizenzvertrags (BGH NJW-RR 2012, 1127 – „Take Five“)
oder in Folge wirksamer Kündigung des Hauptlizenzvertrags wegen Zahlungsverzugs
(BGH NJW 2012, 3301 – „M2Trade“; vgl. LG München I, ZIP 2012, 1770 – „Qimonda/Infineon“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./24
Grds. keine Insolvenzfestigkeit von Lizenzen
in der Insolvenz des Lizenzgebers (III)
•
Bedürfnis einer gesetzlichen Regelung:
•
Nach derzeit geltendem Recht kann der Insolvenzverwalter in der Insolvenz des
Lizenzgebers grds. die weitere Erfüllung des Lizenzvertrags ablehnen und
Lizenzen neu vergeben oder Hauptrechte an einen Dritten (Investor) übertragen.
•
Folge: Mögliche Existenzgefährdung von Lizenznehmern (Automobilindustrie,
Pharmahersteller, Musikverlage, Nutzer von Computerprogrammen).
•
Mehrfach gescheiterte Reformvorhaben zur Einführung eines neuen § 108a
InsO (Gesetzesentwürfe vom 22.08.2007, 18.01.2012).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./25
Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (I)
Grundnorm: § 108 Abs. 1 S. 1 InsO: Dienstverhältnisse (Arbeitsverhältnisse)
bestehen nach Insolvenzeröffnung fort, ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters gem.
§ 103 InsO ist nicht gegeben.
•
§ 113 Abs. 1 S. 1, 2 InsO gewährt jedoch Arbeitnehmern wie Arbeitgebern ein
besonderes Kündigungsrecht.
•
Lohn- und Gehaltsansprüche:
•
Ansprüche aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung: Insolvenzforderungen,
§ 108 Abs. 3 InsO, jedoch Insolvenzgeld durch Bundesagentur für Arbeit für
die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (§§ 165 ff. SGB III, cessio legis,
regelmäßig: Vorfinanzierungslösung).
•
Ansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bei Weiterbeschäftigung und
Freistellung bis Kündigungswirksamkeit: Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1
Nr. 2, 2 Alt. InsO, auch wenn wegen Freistellung Arbeitslosengeld gezahlt wird
(cessio legis à Arbeitsamt, daneben Anspruch auf Aufstockungslohn).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./26
Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (II)
•
Kündigung: Die Arbeitsverhältnisse bestehen fort, vgl. oben, die Insolvenzeröffnung stellt keinen wichtigen Grund für a.o. Kündigungen dar. Ordentliche
(betriebsbedingte) Kündigungen sind möglich. Fristgemäße Kündigungen sind
auch bei vereinbarter Unkündbarkeit/Festvertragszeiten mit Frist von drei
Monaten zum Monatsende möglich, § 113 Abs. 1 S. 2 InsO. Vertragliche kürzere
Fristen gehen vor.
Ú Jedenfalls innerhalb von drei Monaten kann der Insolvenzverwalter die
Arbeitnehmer „freisetzen“. Die Kündigungsbestimmungen gelten grundsätzlich
(Beteiligung des Betriebsrats, Kündigungsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz;
Kündigungsschutzklage innerhalb von Drei-Wochen-Frist, § 4 S. 1 KSchG bzgl.
a lle r Kündigungsgründe mit Ausnahme der Geltendmachung der Nichtigkeit einer
Kündigung wegen mangelnder Schriftform (§ 623 BGB).
Ú Aber: Keine Zuständigkeit eines Konzernbetriebsrats für Interessenausgleichsverhandlungen nach Insolvenzeröffnung (LAG Stuttgart, Urt. v. 23.06.2015 – 22
Sa 61/14, ZIP 2016, 232).
Ú Kündigungsrecht bzgl. belastender Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO
(3 Monate nach vorheriger Beratung über Herabsetzung), auch betriebliche
Altersvorsorge, BAG ZIP 2000, 322.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./27
Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (III)
•
Kündigungserleichterungen zu Gunsten des Insolvenzverwalters gem.
§ 125 InsO bei geplanter Betriebsänderung unter Interessenausgleich mit
Namensliste (= Betriebsvereinbarung, § 111 BetrVG):
•
Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse bei Kündigung.
•
Eingeschränkte Sozialauswahl, eingeschränkte Überprüfung (Vorsicht:
Anhörung BR gem. § 102 Abs. 1 BetrVG bleibt erforderlich!).
à Erleichtertes Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gem. § 126 InsO bei
Nichtzustandekommen eines Interessenausgleichs innerhalb von drei Wochen
nach Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen.
à Sozialplan (= Betriebsvereinbarung) bei Betriebsstilllegung oder Betriebsänderung gem. §§ 111 ff. BetrVG mit Ergänzung durch § 123 InsO als Spezialnorm: 2,5 Monatslöhne aller zu entlassender Arbeitnehmer sowie 33 % der
Aktivmasse als Obergrenze.
à Widerrufsrecht gem. § 124 InsO für in den letzten drei Monaten vor
Verfahrenseröffnung vereinbarte Sozialpläne (offene Forderungen aus noch
älteren Sozialplänen sind Insolvenzforderungen, § 38 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./28
Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (IV)
•
Vorsicht: Ohne Versuch des Interessenausgleichs gem. §§ 111 BetrVG wird bei
Kündigung aufgrund Betriebsänderung Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3
BetrVG fällig.
•
Nachteilsausgleich begründet Masseschuld, Schutz der Gläubiger durch
Verwalterhaftung gem. § 60 Abs. 1 InsO. Dies gilt auch bei nur geringer Masse.
Diese bleibt bei der Bemessung des Nachteilsausgleichs außer Betracht.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./29
Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (V)
•
BAG hält Erleichterungen der InsO für abschließend (NZA 2004, 93):
à Abschließend ist daher Recht des Verwalters gem. § 122 InsO, bei Nichtzustandekommen eines Interessenausgleichs die Zustimmung des ArbG zur
Betriebsänderung einzuholen (Ersatz für Schutz des Verwalters bei Kündigung
nach Interessenausgleich mit Namensliste gem. § 125 InsO ist dann § 126 InsO).
à Wegen unterschiedlicher Zielsetzungen von Interessenausgleich (Regeln fü r
Betriebsänderung) und Sozialplan (Ausgleich von Nachteilen a u s Betriebsänderung) ist ersterer auch erforderlich, wenn Mittel für Sozialplan fehlen.
• Vorsicht: Auch bei Interessenausgleich mit Namensliste ist Anhörung des
Betriebsrats vor den Kündigungen notwendig (§ 102 BetrVG), wenn diese fehlt
drohen trotz § 125 InsO erfolgreiche Kündigungsschutzklagen. Allerdings dürfen
Informationsanforderungen dabei nicht überspannt werden, wenn Betriebsrat wg.
Verhandlungen über Interessenausgleich schon notwendige Kenntnisse hat.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./30
Betriebsrenten, BetrAVG
Betriebsrenten (Ansprüche, unverfallbare Anwartschaften für Versorgungsfall
Alter/Tod/Invalidität) sind im Fall der Arbeitgeberinsolvenz regelmäßig durch das Gesetz
zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung von 1974 (BetrAVG) geschützt. Bei
Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. Antragsabweisung mangels Masse (§ 7 ff. BetrVG)
besteht ein Anspruch gegen den Pensionssicherungsverein (PSV), dem alle Arbeitgeber beitragspflichtig angehören, die eine betriebliche Altersversorgung gewähren (§ 10
BetrVG). Pflichtmitgliedschaft, „Beliehener“.
Akzessorischer Anspruch gg. PSV gem. § 7 Abs. 1 BetrAVG (Empfänger) bzw. Abs. 2
(Anwartschaftsberechtigte) führt gem. § 9 BetrAVG zu einer cessio legis, PSV meldet
als Insolvenzgläubiger übergegangene Forderungen/Anwartschaften an (diese werden
gem. § 45 InsO wie fällige Ansprüche behandelt, ggf. unter Abzinsung, so BAG, teilw.
a.A. BGH, jedoch § 9 Abs. 2 S. 3 BetrAVG) und zahlt Betriebsrenten weiter (Empfänger)
bzw. ab dem Versorgungsfall (Anwartschaften).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 V./31
Betriebsübergang, § 613a BGB
•
Besonders im Fall der übertragenden Sanierung ist bedeutsam, dass § 613a BGB
auch im Insolvenzverfahren gilt. Die Arbeitsverhältnisse gehen daher bei einer
Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen („Asset Deal“) auf den Erwerber
über, § 613a Abs. 1 BGB. Wichtig ist auch die Kündigungsschutzbestimmung des
§ 613a Abs. 4 BGB.
•
Dies sind Sanierungshindernisse, die durch die Haftungsbeschränkung des
Erwerbers (keine Haftung für Lohnrückstände aus der Zeit v o r dem Betriebsübergang, BAG, NJW 1993, 2259) nicht ausreichend kompensiert werden.
•
Die Praxis behilft sich mit Transfergesellschaften / Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaften (BQG nach dem Modell des „Dörries-ScharmannUrteils“, BAG in ZIP 1999, 320 ff.; vgl. aber BAG, Urt. v. 25.10.2012, ZInsO 2013,
946: Dreiseitige Vereinbarung über Wechsel in BQG wegen Umgehung des
§ 613a BGB unwirksam, wenn es für den Arbeitnehmer klar war, dass alsbald seine
Neueinstellung durch den späteren Betriebserwerber erfolgen wird).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
VI. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (I)
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./2
Aussonderung, § 47 InsO
•
Aussonderungsberechtigt ist, wer aufgrund eines dinglichen oder persönlichen
Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse
gehört, § 47 S. 1 InsO.
•
Dem Aussonderungsrecht gem. § 47 S. 1 InsO entspricht § 771 Abs. 1 ZPO
(Drittwiderspruchsklage) in der Einzelzwangsvollstreckung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./3
Geltendmachung des Aussonderungsrechts (I)
Das Aussonderungsrecht wird gem. § 47 S. 2 InsO unabhängig vom Insolvenzverfahren geltend gemacht.
Ú Aussonderungsrechte werden nicht zur Tabelle angemeldet.
•
Der Insolvenzverwalter hat fremde Sachen, die sich in der Masse befinden, jedoch
nicht zu dieser gehören, an die Berechtigten herauszugeben (ergibt sich mittelbar
aus § 148 Abs. 1 InsO).
•
Herausgabeanspruch z.B. gemäß § 985 BGB. Wichtig: Sachenrechtliches
Bestimmtheitsgebot, Problem z.B. bei Warenlager.
•
„Fremde“ Sachen: Sachenrechtliche Prüfung des Eigentums nach Vorschriften
außerhalb des § 47 InsO.
•
Der Aussonderungsberechtigte kann seinen Anspruch erforderlichenfalls gerichtlich
geltend machen (Gerichtsstand: § 19a ZPO, massebezogene Passivprozesse), ggf.
kann auch gegen die Masse vollstreckt werden.
•
Das Vollstreckungsverbot gem. § 89 InsO gilt nicht, weil der Aussonderungsberechtigte (zumindest mit dem Aussonderungsanspruch) kein Insolvenzgläubiger
gem. § 38 InsO ist.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./4
Geltendmachung des Aussonderungsrechts (II)
•
Wurde vom Aussonderungsberechtigten bereits gegen den Schuldner auf Herausgabe geklagt, kann der gem. § 240 ZPO unterbrochene Prozess ggf. wieder
aufgenommen werden (§§ 85, 86 InsO). Titelumschreibung vom Schuldner auf
Insolvenzverwalter/Insolvenzmasse gem. § 727 Abs. 1 ZPO ist möglich.
•
Auch Forderungen können dem Aussonderungsrecht unterliegen. Der Aussonderungsberechtigte macht dann geltend, Forderungsinhaber zu sein. Berühmt sich der
Insolvenzverwalter einer Forderungsinhaberschaft der Masse, ist Feststellungsklage möglich (Prätendentenstreit, § 75 ZPO).
•
Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist eine Einschränkung des Aussonderungsrechts durch Sicherungsanordnung möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./5
Ersatzaussonderung, § 48 InsO (I)
Ist der auszusondernde Gegenstand vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter
veräußert worden, ist häufig eine Ersatzaussonderung gem. § 48 InsO möglich:
•
Entweder der Schuldner veräußert vor Insolvenzeröffnung (nach Insolvenzeröffnung fehlt Verfügungsbefugnis, absolute Unwirksamkeit, § 81 Abs. 1 S. 1 InsO)
•
oder der Insolvenzverwalter veräußert nach Insolvenzeröffnung.
•
Weitere Voraussetzung: Entgeltlichkeit („Gegenleistung“), noch vorhandener
Anspruch auf die Gegenleistung (dann Abtretung) bzw. noch unterscheidbar in der
Insolvenzmasse vorhandene Gegenleistung.
•
Str., ob Wirksamkeit erforderlich ist (Rspr. verneint dies, BGH NJW 1977, 901, zur
Problematik vgl. K. Schmidt, InsO, § 48 Rn. 20).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./6
Ersatzaussonderung (II)
Rechtsfolge:
Abtretung des Anspruchs auf Gegenleistung bzw. Aussonderung der Gegenleistung,
soweit noch unterscheidbar vorhanden (immer bei Sachleistung, bei Überweisung dann,
wenn durch Buchungsbelege nachweisbar; soweit im Kontokorrent verrechnet wurde, ist
zudem Habensaldo in Höhe der Gegenleistung erforderlich).
Beispiel: Schuldner S bezieht eine Maschine XYZ von Gläubiger G unter verlängertem
Eigentumsvorbehalt und veräußert diese an Drittschuldner D. Anschließend wird das
Insolvenzverfahren eröffnet. Insolvenzverwalter I findet die Rechnung des S an D, fordert
D zur Zahlung auf und erhält dessen Überweisung auf sein Insolvenzverwalteranderkonto mit Betreff „Zahlung auf Rechnung vom … für Maschine XYZ.“
Frage: Wie ist die Rechtslage?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./7
Lösung Fallbeispiel
zum Ersatzaussonderungsrecht (I)
I.
Aussonderungsrecht des G gem. § 47 InsO?
1. Verl. EV ist Eigentumsvorbehalt mit Vorauszession. Forderungserwerb gegeben, da
Abtretung vor Insolvenzeröffnung, § 81 Abs. 1 S. 1 InsO greift nicht ein. Forderung
kann grundsätzlich gem. § 47 InsO ausgesondert werden, ggf. Feststellungsklage
gegen Insolvenzverwalter, der Inhaberschaft des Dritten an der Forderung
bestreitet.
2. Inhaberschaft des G an der Forderung ist gegeben; Vorauszession i.V.m.
verlängertem Eigentumsvorbehalt v o r Insolvenzeröffnung, §§ 81, 91 InsO greifen
nicht ein.
3. Forderung jedoch durch Erfüllung des D gegenüber der Insolvenzmasse des
Zedenten S erloschen, vgl. §§ 407, 362 BGB.
à Keine Aussonderung gem. § 47 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./8
Lösung Fallbeispiel
zum Ersatzaussonderungsrecht (II)
II.
Ersatzaussonderung, § 48 InsO?
1. „Veräußerung“ gegeben (Einzug fremder Forderung fällt unter §§ 47, 48 InsO),
Entgeltlichkeit ebenfalls gegeben (Zahlung an die Insolvenzmasse).
2. Problem: „Recht auf Gegenleistung“ der Insolvenzmasse gegen D besteht nicht
(mehr).
3. Jedoch Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden (Einzahlung
auf Insolvenzverwalteranderkonto, zudem Kontoauszug mit Einzelbuchung
Ú Unterscheidbarkeit gegeben).
à Ergebnis: Der Insolvenzverwalter muss den eingegangenen Überweisungsbetrag an
den Ersatzaussonderungsberechtigten G herausgeben.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./9
Aussonderungsberechtigte (I)
•
Eigentum berechtigt zur Aussonderung.
•
Eventuell jedoch Anfechtung des Eigentumserwerbs (§§ 129 ff. InsO).
•
Aussonderungssperre gegenüber Gesellschafter gemäß § 135 Abs. 3 InsO:
Kein Aussonderungsrecht des Gesellschafters während der Dauer des
Insolvenzverfahrens, höchstens aber für die Zeit von einem Jahr ab der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn betriebsnotwendiger Gegenstand (vgl.
hierzu BGH, Urt. v. 29.01.2015 – IX ZR 279/13, NJW 2015, 1109).
Dafür: Ausgleichsanspruch des Gesellschafters, § 135 Abs. 3 S. 2 InsO.
•
Forderungen (auch Rechte, die dem Schuldner nicht bzw. nicht mehr zustehen)
können ausgesondert werden (vgl. Beispielsfall, Ersatzaussonderung);
„Aussonderung“ ggf. durch Feststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter
(Feststellung, wer Forderungsinhaber ist).
•
Vorbehaltseigentum (auch bei vertragswidrigem EV): Der Vorbehaltsverkäufer bleibt
bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung (Eintritt einer aufschiebenden Bedingung)
Eigentümer, vgl. § 449 Abs. 1 BGB. Die Aussonderung ist jedoch erst dann möglich,
wenn der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht (ggf. auch durch Untätigkeit) zu Gunsten
der Nichterfüllung ausgeübt hat, §§ 107 Abs. 2, 103 InsO (Bedenkzeit bis zum
Berichtstermin).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./10
Aussonderungsberechtigte (II)
•
Sicherungseigentum: Es ist zu unterscheiden:
•
Insolvenzverfahren des Gläubigers (Sicherungsnehmers): Nach Erfüllung der
gesicherten Forderung kann der Schuldner aussondern (Sicherungszweck erfüllt,
Sicherungsbedürfnis fortgefallen).
•
Insolvenzverfahren des Schuldners (Sicherungsgebers): Der Gläubiger ist
als Sicherungseigentümer (Sicherungsnehmer) zwar grundsätzlich vollwertiger
Eigentümer (daher in der Einzelzwangsvollstreckung: § 771 Abs. 1 ZPO zu
Gunsten des Sicherungsnehmers bei Vollstreckung in die zur Sicherheit
übereignete Sache, str., a.A.: Nur Klage auf vorzugsweise Befriedigung,
§ 805 Abs. 1 ZPO), im Insolvenzverfahren greift jedoch nur ein Absonderungsrecht ein, § 51 Nr. 1 InsO (Grund: dem Sicherungsnehmer gebührt nicht die
Sache sondern nur deren Wert b is zu r H ö h e seiner gesicherten Forderung.
Parallele zum Pfandrecht. Zur Verwertung vgl. § 166 Abs. 1 InsO, Kostenbeiträge).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./11
Aussonderungsberechtigte (III)
Vorausabtretung beim Factoring: Beim Factoring werden dem Factor Kundenforderungen im Voraus global aufgrund eines Rahmenvertrages gem. § 398 BGB gegen
Zahlung des Nennwerts abzgl. Provision abgetreten. Zu unterscheiden sind:
•
Echtes Factoring (Factor trägt Delcredere-Risiko (Bonitätsrisiko = Risiko der
Uneinbringlichkeit)) Ú Forderungskauf nach Rechtsprechungsauffassung; daher
Aussonderungsrecht gegeben.
•
Unechtes Factoring (Factor trägt Uneinbringlichkeitsrisiko nicht). Die Rechtsprechung geht insoweit von einem Darlehen mit Zession der Forderungen zur
Sicherung aus. Folge: Kein Aussonderungsrecht, nur abgesonderte
Befriedigung, § 51 Nr. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./12
Aussonderungsberechtigte (IV)
•
Leasing: Beim Leasing ist das Finanzierungsleasing vom Operating Leasing
(reiner Mietvertrag) zu unterscheiden. Liegt rechtlich ein Mietvertrag vor (Operating
Leasing), kann der Leasinggeber als Vermieter aussondern, soweit der Vertrag
nicht aufgrund entsprechender Ausübung des Wahlrechts fortbesteht (§§ 108 ff. InsO
greifen hier regelmäßig nicht ein (diese betreffen Immobilien bzw. das refinanzierte
Leasing in der L e a s in g g e b e ri nsolvenz)). Beim Finanzierungsleasing ist nach h.M.
ebenfalls ein Aussonderungsrecht gegeben.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./13
Aussonderungsberechtigte (V)
•
Uneigennützige Treuhand (Bsp. Strohmann hält GmbH-Anteil):
•
Bei Insolvenz des Treuhänders kann der Treugeber übertragene Gegenstände
und Rechte aussondern (diese stehen nur formell im „Eigentum“ des
insolventen Schuldners, materiell gehören sie dem Treugeber und nicht der
Insolvenzmasse).
•
Im Insolvenzverfahren des Treugebers ist das Treugut zur Insolvenzmasse
zu ziehen (Treuhandverhältnis erlischt mit Verfahrenseröffnung, §§ 115, 116
InsO).
•
Eigennützige Treuhand wird behandelt wie Sicherungseigentum. In der Insolvenz
des Treugebers = Sicherungsgebers hat der Treuhänder = Sicherungsnehmer nur ein
Absonderungsrecht.
•
Doppelnützige Sanierungstreuhand:
•
Das Insolvenzverfahren des Treugebers bleibt ohne Einfluss auf die
Wirksamkeit eine doppel- oder mehrseitigen Treuhandvereinbarung, wenn dies
zur Wahrung der Rechte eines Drittbegünstigten erforderlich ist (BGH, Urt. v.
24.09.2015 – IX ZR 272/13).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./14
Aussonderungsberechtigte (VI)
•
Mietkaution: Auch Mietkautionen, die gem. § 551 Abs. 3 S. 3 BGB vom Vermögen
des Vermieters getrennt anzulegen sind, unterfallen dem Aussonderungsrecht des
Mieters in der Vermieterinsolvenz (nach Beendigung des Mietverhältnisses).
•
Anderkonten (z.B. von Rechtsanwälten). Das Guthaben ist Treugut und fällt nicht
in die Insolvenzmasse des Kontoinhabers. Die von einem Rechtsanwalt etwa zu
Gunsten seiner Mandanten eingezogenen Gelder können daher von diesen in der
Anwaltsinsolvenz ausgesondert werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./15
Aussonderungsrecht: Abgrenzung
persönliches Recht / Verschaffungsansprüche
•
Aussonderungsrechte können auf dingliche und auf persönliche Rechte gestützt
werden (vgl. § 47 S. 1 InsO).
•
Klassisches Beispiel eines Aussonderungsrechts: § 985 BGB.
•
Aussonderungsberechtigt sind Vermieter und Verleiher unabhängig davon, ob
ihnen die vermietete bzw. verliehene Sache auch als Eigentum gehört (auch
Untervermieter/Unterverleiher: Persönliche Berechtigung).
•
Verschaffungsansprüche: Ein Anspruch auf Leistung oder Verschaffung einer
Sache genügt nicht, um hierauf ein Aussonderungsrecht zu stützen.
•
Der Übereignungsanspruch aus Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB) begründet
keinen Anspruch auf Aussonderung der Sache (derartige Verträge unterfallen
ggf. dem Insolvenzverwalterwahlrecht gem. § 103 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./16
Aussonderungsrecht: Gläubigerpool
zur Lösung von Beweisproblemen (I)
Ist klar, dass bestimmte Gegenstände nicht in die Masse gehören und gleichzeitig die
Zuordnung von Aussonderungsrechten zu einer bestimmten Gläubigergruppe, nicht
jedoch zu deren einzelnen Mitgliedern eindeutig und beweisbar ist, so bietet sich die
Bildung eines Gläubigerpools an:
•
Der Gläubigerpool ist eine GbR (Zweck: Gemeinsame Rechtsverfolgung /
Geltendmachung von Aussonderungsrechten).
•
Die Mitglieder des Gläubigerpools würden in jeweils einzelnen Prozessen gegen die
Masse mangels Beweisbarkeit ihres je w e ilig e n Aussonderungsrechts unterliegen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./17
Aussonderungsrecht: Gläubigerpool
zur Lösung von Beweisproblemen (II)
Haben alle fraglichen Aussonderungsberechtigten ihre jeweiligen (möglichen) Rechte
in den Pool eingebracht und geht dieser gegen die Insolvenzmasse vor, obsiegt der Pool
(irg e n d e in Poolmitglied war Inhaber des zur Aussonderung berechtigenden Rechts und
hat dieses in den Pool eingebracht Ú der Pool ist definitiv Inhaber eines zur Aussonderung berechtigenden Rechts).
Beispiel für einen Gläubigerpool:
Zusammenschluss der betrogenen Leasinggesellschaften im Fall FlowTex. Bei mehreren
tausend Leasingverträgen waren rund 250 der vermieteten Bohrmaschinen tatsächlich
vorhanden. Die eigentumsrechtliche Zuordnung ließ sich nicht mehr nachvollziehen.
Ohne „Poolung“ der einzelnen Leasinggesellschaften hätte keine von ihnen gegenüber
dem Insolvenzverwalter ihr jeweiliges Eigentum an einer konkret bestimmten Bohrmaschine nachweisen können. Durch die Einbringung aller Rechte an den Maschinen in den
Pool stand diesem das Eigentumsrecht an den vorhandenen Bohrmaschinen zu. Einige
Millionen Euro konnten auf diese Weise durch Verwertung ausgesonderter Bohrmaschinen vereinnahmt und (ohne Beteiligung der anderen Insolvenzgläubiger) abseits der
Insolvenzmasse an die Leasinggesellschaften ausgeschüttet werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./18
Absonderungsrecht, §§ 49 ff. InsO (I)
Absonderungsberechtigt ist, wer einen zur Zeit der Insolvenzeröffnung begründeten
Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus einem bestimmten Massegegenstand
hat, vgl. §§ 49 bis 52 InsO.
•
Absonderung bezieht sich auf Gegenstände, die zur Insolvenzmasse gehören
(Gegensatz: Aussonderung von Gegenständen, die n ic h t zur Masse gehören).
•
Parallele zum Absonderungsrecht im Insolvenzverfahren ist die Klage auf vorzugsweise Befriedigung in der Einzelzwangsvollstreckung (§ 805 Abs. 1 ZPO).
•
Der Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung muss schon vo r der Insolvenzeröffnung erworben worden sein (Ausnahmen: Erwerb nach Insolvenzeröffnung mit
Zustimmung des Insolvenzverwalters bzw. Gutgläubigkeit oder durch Zwangsvollstreckung von Massegläubigern in Massegegenstände).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./19
Absonderungsrecht, §§ 49 ff. InsO (II)
Im Rahmen der Anmeldung von Forderungen zur Tabelle sind Sicherungsrechte /
Absonderungsrechte an beweglichen Sachen oder Rechten des Schuldners dem
Insolvenzverwalter mitzuteilen, vgl. § 28 Abs. 2 InsO.
Ein förmliches Feststellungsverfahren für Absonderungsrechte gibt es nicht.
Widerspricht der Insolvenzverwalter einem Absonderungsrecht, kann auf
Feststellung geklagt werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./20
Absonderungsrecht, §§ 49 ff. InsO (III)
•
Die Verwertung von Gegenständen, die dem Absonderungsrecht unterliegen, erfolgt
im Insolvenzverfahren wie auch sonst üblich: Zwangsversteigerung, Pfandverkauf.
Dabei besteht ein weitgehendes Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters,
vgl. §§ 166, 173 InsO.
•
Ein Verwertungsrecht ist auch gegeben bei nur im mittelbaren Besitz des Insolvenzverwalters stehenden beweglichen Sachen soweit nicht der Absonderungsberechtigte unmittelbaren Besitz hat.
•
Verwertungsrecht streitig bei zur Sicherheit abgetretenen Gesellschaftsanteilen,
Marken- und Patentrechten. Der Wortlaut des § 166 Abs. 2 InsO bezieht sich nur auf
Forderungen.
•
Besonders wichtig sind die Kostenbeiträge der Absonderungsberechtigten
(Anreicherung der Insolvenzmasse), vgl. §§ 165-173 InsO (§ 171 InsO: 4% + 5% für
Feststellung und Verwertung + 19% USt.).
•
Bei Forderungseinzug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter sind Kostenbeiträge
auch im Eröffnungsverfahren möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO).
•
Keine Kostenbeiträge zur Feststellung und keine Pauschalkostenbeiträge für
Verwertung von Sicherungsgut dagegen bei Eigenverwaltung, § 282 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./21
Absonderungsrecht, §§ 49 ff. InsO (IV)
•
Absonderungsberechtigte sind danach zu unterscheiden, ob sie zugleich Insolvenzgläubiger sind (§ 52 S. 1 InsO, Bsp: Darlehensgeber erhält zur Sicherung
seiner Darlehensrückzahlungsforderung Sicherungseigentum an einem Gegenstand
des Schuldners) oder ob ihnen nur der Anspruch aus einer Sicherungsabrede
zusteht (der spätere Insolvenzschuldner I übereignet seinen PKW dem Gläubiger G
als Sicherheit für dessen Darlehen gegenüber seinem Bruder X).
•
Der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger meldet seine Forderung „für
den Ausfall“ in voller Höhe an (§ 175 InsO). Die Insolvenzquote erhält er auf den
Betrag, mit dem er bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen ist (§ 52 S. 2
InsO, Nachweispflicht gem. § 190 Abs. 1 InsO).
•
Der Absonderungsberechtigte, der nicht Insolvenzgläubiger ist, macht nur sein
Absonderungsrecht geltend.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./22
Ersatzabsonderung
So wie der Aussonderungsberechtigte bei Ersatzaussonderung geschützt wird, kann
auch der Absonderungsberechtigte auf eine in der Insolvenzmasse noch unterscheidbar vorhandene Gegenleistung zugreifen, soweit der Schuldner oder der Insolvenzverwalter das Absonderungsrecht durch Verfügung über den ihm unterliegenden Gegenstand vereiteln (§ 48 InsO analog).
Beispiel: Veräußerung von Sicherungseigentum durch den Insolvenzverwalter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./23
Die einzelnen Absonderungsberechtigten (I)
•
Absonderungsrecht an Grundstücken, § 49 InsO: Vor allem Grundpfandgläubiger
(Grundschuld, Hypothek), § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG, persönliche Gläubiger, die eine
Beschlagnahme des Grundstücks erwirkt haben (§ 20 ZVG), unwirksam allerdings,
soweit nicht früher als einen Monat vor Eingang des Eröffnungsantrages bewirkt
(Rückschlagsperre, § 88 InsO). Rangfolge: §§ 10 ZVG, 879-881 BGB. Beachte
§ 30d ZVG: Einstellungsmöglichkeit vor Berichtstermin bzw. bei Betriebsnotwendigkeit, Zinsen und Wertersatz gem. § 30e ZVG zu ersetzen.
•
Pfandgläubiger, § 50 InsO: Vertragspfandgläubiger (§§ 1204 ff., 1273 ff.,
1279 ff. BGB); gesetzliche Pfandgläubiger (Vermieter § 562 BGB, Verpächter,
§ 592 BGB, Werkunternehmer, § 647 BGB, Frachtführer, § 441 HGB, Spediteur,
§ 464 HGB, Gastwirt, § 704 BGB). Wichtig: Entstehung vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens, sonst unwirksam gem. § 91 Abs. 1 InsO.
•
Beschränkung bei gesetzlichen Pfandrechten: § 50 Abs. 2 InsO, § 562 BGB (Mietund Pachtzinsforderungen sind für max. 12 Monate vor Eröffnung gesichert).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./24
Die einzelnen Absonderungsberechtigten (II)
•
Pfändungspfandgläubiger (vgl. § 808 ZPO, §§ 828, 829, 846, 857 ZPO).
Rückschlagsperre beachten: Pfändungspfandrechte die jünger sind, als einen
Monat vor dem Eröffnungsantrag, sind unwirksam, § 88 InsO.
•
Sicherungseigentümer, § 51 Nr. 1 InsO: Grundsätzlich liegt zivilrechtlich vollwertiges Eigentum vor. Dennoch hat der Sicherungseigentümer kein Aussonderungsrecht
gem. § 47 InsO, sondern nur einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung (anders
in der Einzelzwangsvollstreckung, dort Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO).
Grund: Sicherungseigentum als Form des „besitzlosen Pfandrechts“.
•
Sicherungsabtretungen bei Insolvenz des Sicherungsgebers, § 51 Nr. 1 InsO (gilt
auch für die zur Sicherung im Wege eines verlängerten Eigentumsvorbehalts
abgetretene Forderung des insolventen Schuldners gegen einen Drittschuldner).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VI./25
Die einzelnen Absonderungsberechtigten (III)
•
Zurückbehaltungsrechte wegen Verwendungen, § 51 Nr. 2 InsO (notwendige und
nützliche Verwendungen im Rahmen eines EBV, §§ 994, 996, 1000 ff. BGB:
Absonderungsrecht an den zurückbehaltenen beweglichen Gegenständen). Keine
insolvenzrechtliche Wirkung haben dagegen Zurückbehaltungsrechte nach
§ 273 BGB oder vertragliche Zurückbehaltungsrechte.
•
Handelsrechtliche Zurückbehaltungsrechte, § 51 Nr. 3 InsO (vgl. dazu §§ 369 ff.
HGB: Forderungen eines Kaufmanns gegen einen anderen Kaufmann aus beiderseitigen Handelsgeschäften werden durch im Besitz des Gläubigers befindliche
bewegliche Sachen des anderen gesichert).
•
Bruchteilsgemeinschaft/Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit,
§ 84 Abs. 1 S. 2 InsO: Anteile haften den Gemeinschaftsgenossen / Gesellschaftern
für Ansprüche aus den entsprechenden Rechtsverhältnissen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
VII. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (II)
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./2
Aufrechnung, § 94 InsO, Grundsatz
Das Recht zur Aufrechnung wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
grundsätzlich nicht berührt.
Folge:
•
Zur Aufrechnung befugte Insolvenzgläubiger müssen nicht ihre Forderungen im
Insolvenzverfahren anmelden (Quote) und Forderungen der Masse (voll) erfüllen.
Vielmehr können sie aufrechnen. § 94 InsO regelt die Insolvenzfestigkeit der
Aufrechnungslage.
•
Aufrechnungsberechtigte haben daher eine ähnliche Situation wie Absonderungsberechtigte (sie befriedigen sich durch die Aufrechnung abgesondert an der Forderung
der Masse, mit der eine Aufrechnungslage besteht. Kein Kostenbeitrag gem. §§ 170,
171 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./3
Voraussetzungen der Aufrechnung in der Insolvenz,
§ 94 InsO
•
Notwendig ist eine Aufrechnungslage. Diese kann gem. § 94 InsO kraft Gesetzes
oder aufgrund Vereinbarung bestehen (zu Verrechnungsklauseln und deren
fehlender Insolvenzfestigkeit vgl. BGH, ZIP 2004, 1764 ff.; 2006, 1740 ff.).
•
Aufrechnung kraft Gesetzes, § 94 1. Alt InsO: §§ 387 ff. BGB (Gegenseitigkeit,
Gleichartigkeit, Vollwirksamkeit und Fälligkeit, Erfüllbarkeit der Hauptforderung).
Aufrechnungsausschlüsse kraft Gesetzes oder Vereinbarung gelten allerdings auch
im Insolvenzverfahren (vgl. §§ 390, 393, 394 BGB: Einrede, vorsätzl. unerlaubte
Handlungen, Unpfändbarkeit).
•
Aufrechnung kraft Vereinbarung, § 94 2. Alt. InsO (Verrechnungsvereinbarungen
im Bankverkehr).
•
Sonderfall auflösend bedingte Forderung: Diese können nach vorstehenden
Grundsätzen uneingeschränkt aufgerechnet werden (sie werden bis zum
Bedingungseintritt auch nach §§ 387 ff. BGB wie unbedingte Forderungen
behandelt).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./4
Nachträglich eintretende Aufrechnungslagen,
§ 95 InsO (I)
•
§ 94 InsO betrifft Aufrechnungslagen, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bestehen.
•
§ 95 InsO erstreckt den Schutz (Insolvenzfestigkeit der Aufrechnungslagen)
grundsätzlich auch auf nach Verfahrenseröffnung eintretende Aufrechnungslagen:
•
Aufschiebend bedingte Forderungen des Insolvenzgläubigers können nach
Bedingungseintritt aufgerechnet werden (§ 95 Abs. 1 S. 1 InsO).
•
Voraussetzung ist aber, dass die Gläubigerforderung vor der Forderung der
Masse durch Bedingungseintritt fällig wird (§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./5
Nachträglich eintretende Aufrechnungslagen,
§ 95 InsO (II)
•
Voraussetzung: Fälligkeit der Gläubigerforderung vor Fälligkeit der Forderung
des Schuldners (der Masse), § 95 Abs. 1 S. 3 InsO (beachte : § 95 Abs. 1 S. 2 InsO
mit Ausschluss des § 41 InsO, also keine Herbeiführung der Aufrechnungslage mit
Fälligkeitsfiktion der Gläubigerforderungen mit Abzinsung gem. § 41 InsO).
•
Bei Ungleichartigkeit (Gleichartigkeit ist Aufrechnungsvoraussetzung gem.
§§ 387 ff. BGB) tritt keine Gleichartigkeit durch Umrechnung auf den Schätzwert
(§ 45 InsO) ein, da § 95 Abs. 1 S. 2 InsO neben § 41 InsO auch die Anwendung des
§ 45 InsO ausschließt Ú Aufrechnung erst nach eventuellem rechtzeitigen Eintritt der
Gleichartigkeit „auf natürlichem Weg“.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./6
Unzulässigkeit der Aufrechnung, § 96 InsO
In der Praxis besonders wichtig sind die Regelungen zum Ausschluss der
Aufrechnung (Schutz der par conditio creditorum):
•
Insolvenzgläubiger wird erst nach Eröffnung etwas zur Insolvenzmasse
schuldig, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO: Lieferant L ist Insolvenzgläubiger. Nach Verfahrenseröffnung kauft er vom Insolvenzverwalter I Waren aus der Masse. Als I Zahlung
fordert, rechnet L auf Ú Aufrechnung unwirksam, L muss zahlen und seine Forderung zur Tabelle anmelden.
•
Insolvenzgläubiger erwirbt seine Forderung erst nach Verfahrenseröffnung von
einem anderen Gläubiger, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Bsp.: K schuldet der Insolvenzmasse EUR 5.000 gem. § 433 Abs. 2 BGB. Insolvenzgläubiger G hat eine Forderung
in gleicher Höhe gegen die Masse. Erwartete Quote: 10 %. K kauft Forderung des G
für EUR 1.000 und erklärt die Aufrechnung Ú Unwirksam, K muss EUR 5.000 zahlen
und kann die gekaufte Forderung nur zur Tabelle anmelden.
•
Erlangung der Aufrechnungsmöglichkeit durch anfechtbare Rechtshandlung,
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Nr. 4 ist in der Praxis kaum relevant).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./7
Massebereinigung und Forderungseinzug
Massebereinigung:
•
Aussonderung, § 47 InsO.
•
Absonderung, §§ 49 ff. InsO.
•
„Faktische Absonderung“ durch Aufrechnung, §§ 94 ff. InsO.
Masseanreicherung:
•
Durchsetzung von Ansprüchen und Rechten des Schuldners, insbesondere
Forderungseinzug:
•
Forderungen des Schuldners zieht der Insolvenzverwalter mittels seiner
Verwaltungsbefugnis ein, § 80 Abs. 1 InsO.
•
Forderungen der Insolvenzgläubiger werden ausnahmsweise auch durch den
Insolvenzverwalter eingezogen, vgl. §§ 92, 93 InsO.
Fallbeispiel: Die XY GmbH & Co. KG befindet sich im Insolvenzverfahren. Es besteht
Vermögen von rund EUR 100.000 und eine "Überschuldung" i.H.v. EUR 100.000
(10 Gläubiger mit Insolvenzforderungen von jeweils EUR 20.000). Komplementär X
verfügt über ein Vermögen von EUR 25.000. Abwandlung: Die (einzige) Komplementärin ist eine GmbH, sie verfügt noch über ein Reinvermögen von EUR 20.000. Wie ist
jeweils die insolvenzrechtliche Situation? Was gilt bzgl. der Kommanditisten?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./8
Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung
(I)
•
Forderungen der Insolvenzgläubiger zieht der Insolvenzverwalter ausnahmsweise
im Wege der Gesamtschadensliquidation gem. § 92 S. 1 InsO ein
(Bsp.: Quotenschäden bei verspätetem Eröffnungsantrag, §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
§ 64 GmbHG, BGHZ 126, 181, 190 ff. (jetzt § 15a InsO); ähnlich: Verwalterhaftung,
§ 60 InsO, der Einzug erfolgt in diesem Fall durch einen Sonderverwalter,
§ 92 S. 2 InsO).
•
Funktionsweise der §§ 92, 93 InsO: Sperr- und Ermächtigungsfunktion:
Gesetzliche Prozessstandschaft. Der Insolvenzverwalter macht gleichsam
treuhänderisch für „seine“ Gläubiger die Ansprüche gegen den Dritten geltend. Die
Geltendmachung durch die Dritten selbst ist während der Dauer des Verfahrens
gesperrt (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2015 – IX ZR 143/13, ZIP 2016, 274). Aber keine
cessio legis.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./9
Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung
(II)
•
Zweck der §§ 92, 93 InsO: Vermeidung des Gläubigerwettlaufs in einer sich
abzeichnenden Insolvenz eines Dritten (Ausdehnung des Grundsatzes der
gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger), Prozessökonomie, Vermeidung
widersprechender Urteile.
•
Detailfragen: Inanspruchnahme von ausgeschiedenen Gstern (Haftung nur für
Altschulden mit Fälligkeit innerhalb 5 Jahren gem. § 160 HGB; Nachhaftung bei
Dauerschuldverhältnissen auch für später als zum erstmöglichen Kündigungstermin
fällig werdende Verbindlichkeiten („begründet“); Sondermasse für die berechtigten
Altgläubiger); Umfang der Geltendmachung der Forderungen gegenüber dem
Gesellschafter durch den Insolvenzverwalter bei Doppelinsolvenz („Ausfallprinzip“,
volle Anmeldung/Quote nur auf den Ausfall oder „Grundsatz der Doppelberücksichtigung“, volle Anmeldung/Quote in beiden Verfahren?).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./10
Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung
(III)
Persönliche Haftung der Gesellschafter, § 93 InsO:
•
Anwendungsbereich: Gesellschafter-Haftung bei der OHG und GbR (vgl. BGH,
Beschl. v. 12.07.2012 – IX ZR 217/11, NZI 2012, 858), Komplementärhaftung bei der
KG und KGaA.
•
Reichweite:
•
•
Nur die „akzessorische Gesellschafterhaftung“, Paradebeispiel § 128 HGB.
•
Keine Analogien z.B. für Haftung gem. §§ 191, 69, 34 AO (str).
•
Auch keine Analogie für § 303 AktG (Gläubigerschutz bei Beendigung eines
Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags) (str.).
Vergleichbare Regelung: Für die (beschränkte und daher nicht von § 93 InsO
erfasste) Kommanditistenhaftung gem. § 171 Abs. 2 HGB bei Insolvenz der KG.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./11
Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung
(IV)
Lösung Fallbeispiel: „Klassischer“ Fall des § 93 InsO, zur Verhinderung eines
Gläubigerwettlaufs macht der Insolvenzverwalter der KG die Ansprüche gegen X geltend.
Dies gilt auch bzgl. Abwandlung. Dort zwar sofort Eröffnungsantragspflicht bei der
Komplementärin gem. § 15a InsO, § 19 InsO und Schutz über § 88 InsO, § 93 InsO
erfasst aber auch diesen Fall nach seinem Wortlaut eindeutig.
Bzgl. Kommanditisten vgl. § 171 Abs. 2 HGB.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./12
Klagen des Insolvenzverwalters
Bei gerichtlicher Durchsetzung von Forderungen der Masse bzw. Geltendmachung von
Gesamtschäden bzw. persönlicher Gesellschafterhaftung klagt der Insolvenzverwalter als
Partei kraft Amtes (h.M.: Amtstheorie).
Im gerichtlichen Rubrum heißt es dann: „Kläger: Rechtsanwalt XY als
Insolvenzverwalter über das Vermögen der Z-AG.“
Unterliegt der Insolvenzverwalter, so ist der Kostenerstattungsanspruch des Gegners
Masseschuld (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./13
Befriedigung der Massegläubiger (I)
Masseverbindlichkeiten (Ansprüche der Massegläubiger) sind vor Verteilungen an die
Insolvenzgläubiger aus der Masse vorweg und voll zu befriedigen, § 53 InsO. Zu denken
ist insbesondere an folgende Masseverbindlichkeiten:
•
Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren, § 54 Nr. 1 InsO.
•
Vergütung und Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses, § 54 Nr. 2 InsO.
•
Verbindlichkeiten aufgrund von Handlungen des Insolvenzverwalters und aufgrund
von Erfüllungswahl (§ 103 InsO), § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 1. Alt. InsO.
•
Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2 Alt. InsO (z.B. fortbestehende Mietverträge).
•
Ungerechtfertigte Bereicherung der Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Bsp.: Irrtümliche
Überweisung von Geld auf ein Konto der Masse durch einen Dritten).
•
Verbindlichkeiten aufgrund Handlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 22 Abs. 1 S. 1 InsO), § 55 Abs. 2 S. 1 InsO.
•
Verbindlichkeiten aus nach Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Sozialplänen,
§ 123 Abs. 2 S. 1 InsO (Grenzen: 2,5 Monatsverdienste der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, maximal 1/3 der Verteilungsmasse).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./14
Befriedigung der Massegläubiger (II)
•
Bei ausreichender Insolvenzmasse werden alle Massegläubiger (vor den
Insolvenzgläubigern) voll befriedigt, § 53 InsO.
•
Bei nicht ausreichender Masse ist zu unterscheiden:
•
Massearmut (Masse reicht noch nicht einmal für Verfahrenskosten gem.
§ 54 InsO): Keine Eröffnung, § 26 InsO bzw. Einstellung, § 207 InsO; Masse wird
für die (nicht vollständig gedeckten) Verfahrenskosten herangezogen.
•
Masseunzulänglichkeit (Masse reicht für Verfahrenskosten, nicht jedoch für
sonstige Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO): „Insolvenz im Rahmen des
Insolvenzverfahrens“. Der Insolvenzverwalter zeigt die Masseunzulänglichkeit
dem Insolvenzgericht unverzüglich an, § 208 Abs. 1 S. 1 InsO.
à Veröffentlichung der Anzeige der Masseunzulänglichkeit, Zustellung an die
Massegläubiger, § 208 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./15
Rangordnung bei Masseunzulänglichkeit
Bei Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO gilt folgendes:
•
Bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind alle Massegläubiger voll zu
befriedigen (keine Rückzahlungspflicht erhaltener Leistungen).
•
Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Befriedigung nach Rangordnung:
•
Kosten des Insolvenzverfahrens (Gericht, Verwalter, Ausschuss, § 54 InsO).
•
Neumassegläubiger (nach Masseunzulänglichkeitsanzeige, § 55 InsO).
•
Altmassegläubiger (§ 55 InsO).
•
Forderungen aus Sozialplänen (§ 123 InsO).
à Zur Rangordnung bei Masseunzulänglichkeit vgl. § 209 InsO.
à Wegen der in dieser Situation im Raum stehenden Haftung des Insolvenzverwalters vgl. § 61 InsO (Verwalter muss sich exkulpieren).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./16
Geltendmachung von Masseansprüchen
•
Masseansprüche sind keine Insolvenzforderungen, daher keine Anmeldung zur
Insolvenztabelle, sondern Erhebung der Ansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter.
•
Bei Nichterfüllung sind Klagen gegen den Insolvenzverwalter uneingeschränkt
möglich, aus solchermaßen erlangten Titeln kann in die Insolvenzmasse vollstreckt
werden.
•
Ausnahmen:
•
Sozialplangläubiger, § 123 Abs. 3 S. 2 InsO.
•
Masseverbindlichkeiten, die nicht aus Handlungen des Insolvenzverwalters
herrühren, sog. „oktroyierte Masseverbindlichkeiten“, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt.
InsO), für diese gilt eine temporäre Vollstreckungssperre von 6 Monaten ab
Eröffnung, § 90 Abs. 1 InsO.
•
Altmasseansprüche bei Masseunzulänglichkeit (nur noch Feststellungsklage
möglich).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./17
Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO,
Hintergrund und Ziel (I)
à Hintergrund des Anfechtungsrechts:
•
Im Vorfeld der Insolvenzeröffnung erfolgen häufig Transaktionen (des
Schuldners), welche zugunsten einzelner Gläubiger oder Dritter (oft nahestehender Personen) die Masse schmälern.
•
Hiergegen schützt das Insolvenzanfechtungsrecht für die Zeit bis zur
Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO: „...vor der Eröffnung
vorgenommen...“).
•
Nach der Insolvenzeröffnung schützen dagegen die §§ 81, 82 InsO
(Verfügungen des Schuldners), §§ 87, 89, 91 InsO (Maßnahmen von
Insolvenzgläubigern), für Ausnahmefälle vgl. § 147 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./18
Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO,
Hintergrund und Ziel (II)
à Zielrichtung des Anfechtungsrechts ist folglich die Gleichbehandlung aller
Gläubiger („par conditio creditorum“).
à Vorsicht: Ins Visier von Insolvenzverwaltern und Rechtsprechung geraten zunehmend auch die Zahlungen an Sanierungsberater (BGH, ZInsO 2008, 101 ff.: Im
Einzelfall kein Bargeschäft gem. § 142 InsO bei Zahlung für Erstellung des
Eröffnungsantrags/Insolvenzplanes; BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 205/11, NJW
2013, 694 ff.: Steuerberater als nahestehende Person).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./19
Insolvenzanfechtung: Abgrenzung
•
Neben der Anfechtung im Insolvenzverfahren gibt es auch die Anfechtung nach
dem Anfechtungsgesetz. Diese schützt im Gegensatz zum Insolvenzanfechtungsrecht nicht die Gläubigergesamtheit („par conditio creditorum“) sondern den
einzelnen Gläubiger, der die Einzelzwangsvollstreckung betreibt, vor
vollstreckungshindernden Maßnahmen des Schuldners.
Die Insolvenzanfechtung ist auch abzugrenzen von der Anfechtung von Willenserklärungen nach §§ 119 ff. BGB, die auf die Beseitigung von Rechtsgeschäften
gerichtet ist.
•
Anfechtungsnormen sind keine Verbotsgesetze, begründen per se keine
Sittenwidrigkeit der erfassten Transaktionen und keine Deliktshaftung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./20
Insolvenzanfechtung: Wirkungsweise, Dogmatik
à Die Insolvenzanfechtung sieht einen kraft Gesetzes bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen bestehenden Rückgewähranspruch der Masse vor, der durch den
Insolvenzverwalter geltend zu machen ist (h.M., schuldrechtliche Theorie, vgl.
§ 143 InsO, a.A.: „Haftungsrechtliche Theorie“, „Dinglichkeitstheorie“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./21
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (I)
•
Allgemeine Voraussetzungen jeder Anfechtbarkeit sind nach der Grundnorm des
§ 129 InsO (die selbst kein Anfechtungstatbestand ist) das Vorliegen von:
1. einer Rechtshandlung und
2. deren Nachteilhaftigkeit für die Insolvenzgläubiger.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./22
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (II)
•
1. Rechtshandlung:
•
Jedes Handeln mit rechtlicher Wirkung, nicht nur Rechtsgeschäfte.
•
Zahlungen.
•
Sicherheitenbestellungen.
•
Willenserklärungen.
•
Gesellschafterbeschlüsse.
•
Geschäftsähnliche Handlungen.
•
Die Folgen müssen nicht stets gewollt sein.
•
Unterlassen steht aktivem Tun gleich, § 129 Abs. 2 InsO, z.B. Unterlassung der
Einlegung von Rechtsmitteln gegen gerichtliche Entscheidungen oder Vollstreckungsmaßnahmen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./23
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (III)
•
1. Rechtshandlung (Forts.):
•
Vornahme der Handlung durch den Schuldner selbst ist nur ausnahmsweise
erforderlich (§§ 132 Abs. 1, 2; 133 Abs. 1, 2; 134 Abs. 1 InsO = Unmittelbar
nachteilige Rechtshandlungen, Vorsatzanfechtung, „Schenkungsanfechtung“).
•
Vornahme der Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
(ausnahmsweise Anfechtung von Handlungen nach Eröffnung gemäß
§ 147 InsO: z.B. Beseitigung gemäß §§ 892, 893 BGB nach Eröffnung wirksam
werdender Handlungen). Vornahmezeitpunkt: Regelmäßig rechtliche Wirksamkeit
entscheidend, § 140 Abs. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./24
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (IV)
•
2. Gläubigerbenachteiligung:
•
Erforderlich ist ein objektiver Nachteil für die Insolvenzgläubiger in ihrer
Gesamtheit (Verkürzung, Verminderung, Vereitelung, Erschwerung, Gefährdung
oder Verzögerung der Befriedigung).
•
Mindestens mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Nachteilseintritt muss nicht
direkt mit Rechtshandlung erfolgen, Vorliegen bei letzter mündlicher Verhandlung
über Anfechtungsanspruch genügt.
•
Beispiel: Ausreichend grundschuldbesicherte Darlehensgewährung an Insolvenzschuldner mit „Verflüchtigung“ der Valuta kurz vor Verfahrenseröffnung, zunächst
Geld gegen besicherten Rückzahlungsanspruch à Kein unmittelbarer Nachteil
für Gläubiger bei Vertragsschluss/Sicherheitengewährung gegen Valutierung,
aber bei Eröffnung liegt Nachteil vor: Drohende Grundstücksversteigerung,
Insolvenzforderung für den Ausfall, Valuta als Gegenwert für diese Belastung
nicht mehr vorhanden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./25
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (V)
•
2. Gläubigerbenachteiligung (Forts.):
•
Ausnahme: §§ 132, 133 Abs. 2 InsO, vgl. auch § 134 InsO: Unmittelbarer
Nachteil erforderlich (unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, unmittelbar
nachteilige entgeltliche Verträge mit „Nahestehenden“, „Schenkungsanfechtung“).
•
Beispiele: Verkauf von Gegenständen unter Marktwert, § 132 Abs. 1 InsO /
§ 133 Abs. 2 InsO, Wegschenken von Vermögenswerten, § 134 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./26
Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung,
§ 129 InsO (VI)
•
2. Gläubigerbenachteiligung (Forts.):
•
Zur Ermittlung, ob ein Nachteil vorliegt, ist stets zu fragen: Hätte sich die
Befriedigung der Insolvenzgläubiger günstiger gestaltet, wenn die
(anfechtbare) Handlung unterblieben wäre?
Die Frage ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beantworten.
•
•
Keine Nachteiligkeit (Anfechtbarkeit) bei:
•
Weggabe von wertlosen Gegenständen.
•
Quote von 100% auch für nachrangige Gläubiger (§ 39 InsO).
•
Herausgabe von Treugut, Aussonderungsgut oder dessen Ablösung.
•
Herausgabe von voll belastetem Absonderungsgut. Laut BGH ZInsO 2003,
1137 sind entgangene Kostenbeiträge kein Nachteil gem. §§ 129 ff. InsO, str.
Eine Vorteilsausgleichung soll nicht stattfinden (K. Schmidt, InsO, § 129
Rn. 47).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./27
Bargeschäft gem. § 142 InsO (I)
Hintergrund: Auch der direkte Austausch gleichwertiger Leistungen kann (bei
getrennter Betrachtung von Kausal- und Erfüllungsgeschäft bzw. der Erfüllungsgeschäfte
beider Seiten) grundsätzlich als nachteilige Rechtshandlung angesehen werden:
à Bei jedem durchgeführten gegenseitigen Vertrag gibt der spätere Insolvenzschuldner
(„begriffsjuristisch“) etwas weg, was ohne die Transaktion in der Masse sein könnte.
à Käme man hier durch Trennung von Leistung und Gegenleistung mangels
Vorteilsausgleichung zu einem Nachteil im Sinne des § 129 InsO und so zu einer
Anfechtbarkeit, wäre der Schuldner in der Krise praktisch von allen Geschäften
ausgeschlossen, was nicht gewollt und nicht vom Schutzzweck umfasst ist
(§§ 129 ff. InsO sollen nicht zu einer Bereicherung der Masse führen).
•
Lösung des Gesetzes: § 142 InsO kodifiziert den schon früher geltenden Grundsatz, dass Bargeschäfte keine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger darstellen,
Leistung und Gegenleistung bleiben für die Beurteilung der Nachteiligkeit verknüpft
(bzw. insoweit greift eben doch Vorteilsausgleichung ein): „Die Benachteiligung durch
die Leistung des Schuldners bleibt hier außer Betracht, da sie durch die Gegenleistung wieder ausgeglichen wird “ (Uhlenbruck § 142 Rz. 3; RGZ 100, 62, 64; BGH
ZIP 1993, 1653).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./28
Bargeschäft gem. § 142 InsO (II)
Voraussetzung von Bargeschäften gem. § 142 InsO:
•
Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung (Wortlaut:
„...für die ...“) à Kein Bargeschäft bei abweichender Leistung ohne vorherige
Änderung der Parteivereinbarung (BGH ZIP 1992, 778, 780).
•
Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung („Klassiker“: Ausgewogener
Kaufvertrag, z.B. aber auch bei Sanierungs-Darlehen gegen angemessene
Sicherheit, kein Bargeschäft dagegen bei deutlicher Übersicherung).
•
Austausch gleichwertiger Leistungen Zug um Zug oder mit nur geringer zeitlicher
Differenz:
•
Länge der zeitlichen Differenz abhängig von der Art des Geschäfts, regelmäßig
ein bis zwei Wochen, bei Beraterleistungen auch bis zu 30 Tage zwischen
Zahlung und Erbringung der Beratungsleistung.
•
Längere zeitliche Differenz bei Lohnzahlungen: 3 Monate laut BAG (Urt. v.
06.10.2011 – 6 AZR 262/10; Urt. v. 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372;
Urt. v. 27.02.2014 – 6 AZR 367/13) bzw. 30 Tage (nach Fälligkeit, nicht nach
Leistungserbringung) laut BGH (Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./29
Bargeschäft gem. § 142 InsO (III)
•
Wichtig bei Sanierungsberatung: Honorar-Vorschussrechnung in Höhe der
wertäquivalenten Vergütung für die nächsten (max.) 30 Tage, Bezahlung, (z.B.
anwaltliche) Tätigkeit und Abrechnung über die Tätigkeit nebst Vorschussverrechnung müssen innerhalb eines Zeitraums von (max.) 30 Tagen liegen
(BGH ZInsO 2006, 712; BGH NJW 2008, 659).
•
Einschränkung des Bargeschäftsprivilegs: § 142 InsO greift nicht bei Vorsatzanfechtungen (§ 133 InsO). Bei diesen reicht mittelbare Benachteiligung aus, die
auch nach Austausch gleichwertiger Leistungen noch eintreten kann
(„Verflüchtigung“), so dass keine Privilegierung eingreift, wenn tatsächlich Vorsatz
bzgl. Benachteiligung vorliegt (schwer nachweisbar bei gleichwertigen Leistungen,
Uhlenbruck, § 142 Rz. 3; BGH ZIP 1997, 1551, 1553). Eine bargeschäftsähnliche
Lage ist im Rahmen der Vorsatzanfechtung ein Indiz gegen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und Kenntnis hiervon. Die h.M. will auch bei Inkongruenzanfechtungen § 142 InsO verneinen (Uhlenbruck § 142 Rz. 4), wohl zu Recht, da
dann Abweichung von der Parteivereinbarung vorliegt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./30
Insolvenzanfechtung bei Gläubigervollstreckung
•
Rechtshandlungen von Gläubigern sind insbesondere auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Das Vorliegen eines wirksamen Vollstreckungstitels steht
der Anfechtbarkeit der Vollstreckungsmaßnahmen nicht entgegen, vgl. § 141 InsO.
•
Durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangte Sicherungen
(Pfändungspfandrecht) an zur Insolvenzmasse gehörendem Schuldnervermögen
(bewegl. und unbewegl., auch, soweit im Ausland belegen) im letzten Monat vor
Eröffnungsantrag werden bereits durch § 88 InsO (Rückschlagsperre) erfasst.
•
Dies gilt auch, wenn sich der Gläubiger den Titel selbst schaffen kann (Verwaltungsvollstreckung bei Verwaltungsakt/Bescheid, insbesondere also Vollstreckung der
Finanzämter) und auch für Vollstreckung im einstweiligen Rechtsschutz.
•
Einzelzwangsvollstreckung ist i.d.R. inkongruent gem. § 131 InsO und damit
vergleichsweise leicht anfechtbar (st. Rspr. BGHZ 167, 11; a.A. Niesert, NZI 2014,
592: § 130 InsO), soweit nicht schon § 88 InsO greift. Aber keine Rechtshandlung
des Schuldners bei gänzlich fehlender Mitwirkung des Schuldners.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./31
Insolvenzanfechtung: Zeitpunkt der Rechtshandlung
Zeitpunkt der Rechtshandlung (wichtig für Berechnung der Anfechtungsfristen):
Regelfall gem. § 140 Abs. 1 InsO ist Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen
Wirkungen.
Eintritt der rechtlichen Wirkung in Sonderfällen:
•
Bei Grundstücken kommt es gemäß § 140 Abs. 2 InsO nicht auf die Eintragung an,
soweit die Willenserklärung des Schuldners bindend geworden und der Antrag des
Vertragspartners auf Grundbucheintragung gestellt worden ist.
•
Bedingungen und Befristungen bleiben außer Betracht (§ 140 Abs. 3 InsO)
à sofortiger Anlauf der Frist für die Anfechtbarkeit, auf den späteren Zeitpunkt des
Bedingungseintritts/Fristablaufs kommt es nicht an.
•
Bei Anfechtung von Globalzessionen/Vorauszessionen kommt es nicht auf den
Abtretungszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen
Forderung an (BGH ZInsO 2008, 91). Evtl. trotz lange zurückliegender Globalabtretung noch anfechtbare Forderungsübergänge. Allerdings nur Anfechtung gem.
§ 130 InsO, rgm. keine Inkongruenz (BGH ZInsO 2008, 91, str.).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./32
Berechnung von Anfechtungsfristen, § 139 InsO
Alle nachfolgend zu behandelnden Anfechtungstatbestände sehen bestimmte materiellrechtliche Fristen (Ausschlussfristen, keine Verjährungsfristen) vor, innerhalb derer die
die anzufechtende Handlung liegen muss:
•
Die Fristen werden anhand des Eingangs des ersten zulässigen Eröffnungsantrags beim Insolvenzgericht berechnet (dies muss nicht der Eröffnungsantrag
sein, auf den hin die Verfahrenseröffnung erfolgt, vgl. § 139 Abs. 2 InsO, mangels
Masse abgewiesene Anträge bleiben ggf. relevant).
•
Gem. § 13 Abs. 2 InsO zurückgenommene Eröffnungsanträge bleiben außer
Betracht.
•
Es kommt für die Berechnung der Monats- und Jahresfristen auf den Tag an, dessen
Zahl dem Eingangstag entspricht, vgl. § 139 Abs. 1 InsO.
•
Rückrechnung, insoweit Unterschied zu § 222 Abs. 1 ZPO/BGB-Fristen, die über
§ 4 InsO auch im Insolvenzrecht gelten.
Beispiel: Eingang des Eröffnungsantrags am 08.08.
Ú Monatsfrist: 08.07., Dreimonatsfrist 08.05.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./33
Beweislast
•
Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter darlegen und ggf. beweisen, dass die
Tatbestandsvoraussetzungen einer Anfechtung tatsächlich vorliegen.
•
Anders ist die Beweislastverteilung bei nahestehenden Personen im Sinne des
§ 138 InsO (insb. Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte in auf- und absteigender
Linie, Personen in häuslicher Gemeinschaft; bei juristischen Personen/Gesellschaften: Organpersonen etc.).
•
Bei nahestehenden Personen wird Kenntnis von der Benachteiligung anderer
Insolvenzgläubiger bzw. der finanziellen Krise des Schuldners vermutet (vgl.
§§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2, 132 Abs. 3, 137 Abs. 2 S. 2 InsO, siehe auch
§ 133 Abs. 2 S. 2 a.E.).
•
Soweit es auf die Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags bzw.
einer Gläubigerbenachteiligung ankommt, genügt teilweise bereits die Kenntnis der
zugrundeliegenden „zwingenden“ Umstände (vgl. §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2, 132
Abs. 3, 137 Abs. 2 S. 2 InsO).
•
Beweislast des Anfechtungsgegners für den Wegfall seiner Kenntnis von der
Zahlungsunfähigkeit aufgrund nachträglich eingetretener Umstände (BGH, Urt. v.
17.12.2015 – IX ZR 61/14, ZIP 2016, 173).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./34
Deckungsanfechtung, §§ 130, 131 InsO (I)
§§ 130, 131 InsO (ebenso wie § 132 InsO) sind besondere (nicht auch für die
Einzelzwangsvollstreckung im AnfG enthaltene) Anfechtungstatbestände:
•
Kongruente Deckung, § 130 Abs. 1 InsO:
•
Insolvenzgläubiger erhält Sicherung oder Befriedigung (= Deckung), die ihm in
dieser Form und zu dieser Zeit gebührt (Anspruch auf genau dieses jetzt, ohne
Auswahlrecht des Schuldners).
•
Insolvenzgläubiger hat dabei Kenntnis von gleichzeitig bestehender
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (Frist: maximal drei Monate vor
Eröffnungsantrag, daneben auch nach dem Eröffnungsantrag, wenn dieser oder
die Zahlungsunfähigkeit dem Gläubiger bekannt war).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./35
Deckungsanfechtung, §§ 130, 131 InsO (II)
•
Inkongruente Deckung, § 131 InsO:
•
Insolvenzgläubiger erhält Sicherung oder Befriedigung, die er nicht, nicht in
dieser Art oder nicht zu dieser Zeit beanspruchen konnte (Inkongruenz, solche
Leistungen des Schuldners sind „per se verdächtig“).
•
Frist: 1. Monat: Anfechtbar ohne weitere Voraussetzungen (Abs. 1 Nr. 1).
•
Frist 2./3. Monat: Zusätzl. Voraussetzung entweder Schuldner zahlungsunfähig
bei Leistung (Abs. 1 Nr. 2) oder Benachteiligungscharakter dem
empfangenden Gläubiger bekannt (Abs. 1 Nr. 3).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./36
Deckungsanfechtung, §§ 130, 131 InsO (III)
•
Abgrenzung §§ 130/131 InsO:
•
Schaffung von Kongruenz durch Vertrag kann inkongruent sein. Aber BGH, Urt.
v. 17.12.2015 – IX ZR 287/14, ZIP 2016, 279: Eine in der kritischen Zeit
geschlossene Kongruenzvereinbarung, die einen Baraustausch ermöglichen soll,
kann als solche nicht Gegenstand der Deckungsanfechtung sein.
•
Pfandrecht / Nachbesicherungsanspruch nach AGB-Banken immer inkongruent
(kein Bezug auf bestimmte Sicherheiten, Auswahlrecht des Kreditnehmers).
à Praxisrelevant: BGH ZInsO 2008, 91 ff. zu Globalzession und Inkongruenzanfechtung (bankenfreundlich).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./37
Anfechtungstatbestand gem. § 132 InsO
(unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen)
•
Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, § 132 Abs. 1 InsO.
•
Rechtsgeschäfte des Schuldners oder Aufgabe von Rechten (Abs. 2).
•
Auffangtatbestand (keine Deckungsanfechtung, Gegner kann Dritter sein).
•
Frist: Letzte drei Monate vor Eröffnungsantrag bzw. danach.
•
Unm ittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (Bsp.: Verkauf unter
•
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.
•
Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon (bzw. von dem Eröffnungsantrag).
Wert).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./38
Anfechtungstatbestand gem. § 133 InsO
(vorsätzliche Benachteiligung) (I)
•
Vorsatzanfechtung, § 133 Abs. 1 InsO:
•
Rechtshandlung des Schuldners.
•
Frist: Zehn Jahre vor Eröffnungsantrag.
•
Mittelbarer Nachteil für die Insolvenzgläubiger (§ 142 InsO nicht anwendbar).
•
Hierauf bezogener Vorsatz des Schuldners, dolus eventualis ausreichend.
•
Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./39
Anfechtungstatbestand gem. § 133 InsO
(vorsätzliche Benachteiligung) (II)
•
Vorsatzanfechtung, § 133 Abs. 1 InsO (Forts.):
•
•
Beweisbarkeit: Objektive Beweisanzeichen. Wichtigste Beweisanzeichen
(zusammenfassend Kayser, NJW 2014, 422):
•
Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit. Aber: Bloßes Ersuchen
um Ratenzahlungsvereinbarung im Rahmen der Gepflogenheiten des
Geschäftsverkehrs ist kein Indiz (BGH, Urt. v. 16.04.2015 – IX ZR 6/14).
•
Inkongruente Deckung. Die Stärke der Indizwirkung hängt von Art und
Ausmaß der Inkongruenz ab. Inkongruenz als Beweisanzeichen nur bei
zweifelhafter Liquiditätslage.
•
Gesamtwürdigung erforderlich.
Entkräftung / Widerlegung der Beweisanzeichen durch:
• Bargeschäftsähnliche Lage.
• Ernsthaftes Sanierungskonzept, Umsetzung begonnen (str.).
• Zeitlicher Abstand zwischen Leistung und Eröffnungsantrag.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./40
Anfechtungstatbestand gem. § 133 InsO
(vorsätzliche Benachteiligung) (III)
•
Verträge mit Nahestehenden, § 133 Abs. 2 InsO:
•
Entgeltlicher unmittelbar nachteiliger Vertrag mit Nahestehenden.
•
Frist: Zwei Jahre.
•
Vorsatzerfordernis mit Beweislastumkehr für die Vorsatzkenntnis des
Anfechtungsgegners und die Frist („Rückdatierungen unter Verwandten“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./41
Anfechtungstatbestand gem. § 134 InsO
(unentgeltliche Leistung)
•
Schenkungsanfechtung, unentgeltliche Leistungen, § 134 InsO:
•
Unentgeltliche Leistungen.
•
Frist: Vier Jahre.
•
Kein Vorsatzerfordernis. Grund: unentgeltlicher Erwerb ist nicht zu Lasten der
Insolvenzgläubiger schutzwürdig.
•
Erfasst sind auch gemischte Schenkungen.
•
Schenkungsanfechtung im Drei-Personen-Verhältnis besonders problematisch:
•
Bestimmung der Unentgeltlichkeit aus Perspektive des Leistungsempfängers (hat er ein Vermögensopfer erbracht, z.B. durch Verlust eines
werthaltigen Anspruchs gegen den eigentlichen Schuldner (vgl. § 267 Abs.
2 BGB), bzw. Erbringung einer Leistung an einen Dritten).
•
Bei Doppelinsolvenz von Leistendem und Schuldner des Anfechtungsgegners grds. Vorrang der Deckungsanfechtung wegen mittelbarer
Zuwendung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./42
Anfechtungstatbestand gem. § 135 InsO
(Gesellschafterdarlehen) (I)
•
Gesellschafterdarlehen § 135 InsO:
•
Änderung von § 135 InsO durch das am 01.11.2008 in Kraft getretene MoMiG:
Insolvenzrechtliche Lösung für alle Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich
entsprechende Forderungen. Das MoMiG hat das frühere Eigenkapitalersatzrecht abgeschafft.
•
Anfechtbarkeit aller Deckungen (Befriedigung/Sicherung) für Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen, für Gewährung von Sicherungen in
den letzten 10 (!) Jahren (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO), für Befriedigungen im
letzten Jahr vor Eröffnungsantragstellung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
•
Eine Krise ist keine Voraussetzung für die Anfechtung der Rückgewähr eines
Gesellschafterdarlehens (BGH, Beschl. v. 30.04.2015 – IX ZR 196/13, Rn. 5).
•
Anfechtbarkeit gegenüber Gesellschafter, soweit die Gesellschaft ein Darlehen
oder eine gleichgestellte Forderung gegenüber einem Dritten zurückführt und der
Gesellschafter dadurch aus einer von ihm gestellten Sicherheit oder Bürgschaft
frei wird (vgl. § 135 Abs. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./43
Anfechtungstatbestand gem. § 135 InsO
(Gesellschafterdarlehen) (II)
•
Gesellschafterdarlehen § 135 InsO (Forts.): Durchsetzbarkeit unanfechtbar
bestellter Sicherheiten des Gesellschafters in der Insolvenz streitig:
•
Argumente für Durchsetzbarkeit: Nachrang ist insolvenzrechtliche Verteilungsregel, geänderte Rechtslage seit MoMiG, begrenzte Finanzierungsentscheidung bei Darlehensvergabe gegen Sicherheit, Undurchsetzbarkeit der
Gesellschaftersicherheit nur bei Anfechtbarkeit, keine Gläubigerbenachteiligung bei unanfechtbarer Sicherheit, Sicherheiten nicht per se missbilligt (Bitter,
ZIP 2013, 1497; ZIP 2013, 1998; BGH, Urt. v. 17.07.2008 – IX ZR 132/07, NJW
2008, 3064; HambKomm, § 135 Rn. 29; Uhlenbruck, § 135 Rn. 13, § 142 Rn. 9,
§ 35 Rn. 19; Thole, NZI 2013, 745, 746; Mylich, ZIP 2013, 2444).
•
Argumente gegen Durchsetzbarkeit: Gesetzgeber will auch das besicherte
Gesellschafterdarlehen subordinieren. Gewährung von Gesellschafterdarlehen,
die durch Gesellschaftsvermögen gesichert werden, führt nicht zu einer vorrangigen Befriedigung des Gesellschafters, weil der Gesellschafter sonst zu
unangemessenen geschäftlichen Wagnissen neigt, deren negative Folgen
die ungesicherten Gläubiger treffen (BGH, Urt. v. 18.07.2013 – IX ZR 219/11,
Rn. 19 (obiter dictum); BGH, Urt. v. 26.01.2009 – II ZR 213/07, ZInsO 2009, 530,
532 Rn. 17; Hölzle, ZIP 2013, 1992, 1997; Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1752).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./44
Anfechtungstatbestand gem. § 136 InsO
(Stille Gesellschaft)
•
Stille Gesellschaft, § 136 InsO:
•
Anfechtung der vorzeitigen Einlagenrückgewähr (bzw. Sicherung) oder des
Erlasses der Verlustbeteiligung, Frist: ein Jahr vor Eröffnungsantrag.
•
Voraussetzung jedoch, dass bei Vereinbarung über Einlagenrückgewähr bzw.
Erlass der Eröffnungsgrund bereits vorlag, insoweit allerdings Beweislast bei
„dem Stillen“, vgl. § 136 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./45
Geltendmachung der Anfechtung (I)
•
Insolvenzverwalter, § 129 InsO.
•
Sachwalter, § 280 InsO bei Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO).
•
Anfechtung durch Insolvenzgläubiger, § 313 Abs. 2 InsO im vereinfachten
Insolvenzverfahren (Schuldner: natürliche Person mit geringfügiger oder keiner
wirtschaftlichen Tätigkeit, vgl. § 304 Abs. 1 InsO).
•
Kein Anfechtungsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters.
•
Insolvenzanfechtungsansprüche sind abtretbar (BGH ZInsO 2011, 1154;
BGH, ZInsO 2013, 441). Unwirksam wäre nur eine insolvenzzweckwidrige Abtretung
(BGH, ZInsO 2013, 441, obiter dictum).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./46
Geltendmachung der Anfechtung (II)
•
Insolvenzverwalter verlangt die Rückgabe des aus dem Schuldnervermögen
weggegebenen Gegenstands (erforderlichenfalls klageweise Geltendmachung),
§ 143 Abs. 1 InsO bzw. erhebt Einreden (wenn z.B. anfechtbar vom Schuldner
veräußerter Gegenstand noch in der Masse vorhanden ist Ú Verteidigung gegen
Aussonderungsbegehren).
•
Verjährungsfrist: Regelmäßige Verjährung nach BGB (§ 146 Abs. 1 InsO).
Anspruchsentstehung: mit Insolvenzeröffnung.
à Anfechtung ist regelmäßig innerhalb von drei Jahren ab dem Schluss desjenigen
Jahres geltend zu machen, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Späterer
Verjährungsbeginn möglich bei späterer Kenntniserlangung des Insolvenzverwalters
(vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Soweit Anfechtung im Wege der Einrede erfolgt, gilt
keine Verjährungsfrist, § 146 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./47
Rechtsfolgen der Anfechtung (I)
•
Die Anfechtung hat (nur) schuldrechtliche Wirkung
(Behandlung in der Insolvenz des Anfechtungsgegners aber str., nach h.M. und BGH
dort Recht auf abgesonderte Befriedigung, Grund: Wert ist den Gläubigern des
weggebenden Insolvenzschuldners und nicht denen des empfangenden Insolvenzschuldners wirtschaftlich zugewiesen).
•
Der Anfechtungsgegner ist verpflichtet, dasjenige, was aus dem Vermögen des
Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben wurde, zur Insolvenzmasse
zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 InsO.
•
Grundsatz: Rückgewähr des anfechtbar aus der späteren Masse weggegebenen
Gegenstands in Natur, bei Unmöglichkeit Geldersatz.
•
Grundsätzlich keine Vorteilsausgleichung (Anfechtungsanspruch ist kein
Schadensersatzanspruch).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./48
Rechtsfolgen der Anfechtung (II)
•
Die Rückgewährpflicht des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung ist beschränkt
auf die Bereicherung (vgl. § 143 Abs. 2 InsO).
•
Forderung des Anfechtungsgegners lebt bei Rückgewähr des anfechtbar
geleisteten Gegenstands wieder auf (vgl. § 144 Abs. 1 InsO).
•
Gegenanspruch auf noch vorhandene Gegenleistung des Anfechtungsgegners
gegen die Insolvenzmasse, soweit die Gegenleistung noch unterscheidbar in der
Insolvenzmasse vorhanden oder zumindest noch um deren Wert bereichert ist
(ansonsten nur Insolvenzforderung, keine Aufrechnungsmöglichkeit, vgl. § 144
Abs. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./49
Reform des Anfechtungsrechts (I)
•
Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.12.2015, BT-Drucks. 18/7054.
•
Abschaffung der Inkongruenz von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen:
§ 131 Abs. 1 S. 2 InsO-Entwurf:
•
„Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer solchen nach
Satz 1, dass die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung
erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden ist. “
•
Noch in der politischen Diskussion (vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 150. Sitzung vom 15.01.2016, Plenarprotokoll 18/150,
S. 14808 ff.): Einschränkung auf vollstreckbare Titel, die in einem
gerichtlichen Verfahren erlangt wurden.
•
Hintergrund: Öffentlich-rechtliche Gläubiger können ihre Forderungen z.T.
selbst titulieren. Ohne die Einschränkung bestünde ein Privileg des Fiskus.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./50
Reform des Anfechtungsrechts (II)
•
Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.12.2015, BT-Drucks. 18/7054.
•
Einschränkung der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO-Entwurf):
•
Verkürzung der Anfechtungsfrist von 10 auf 4 Jahre bei Deckungsanfechtung.
•
Bei Kongruenz ist eingetretene Zahlungsunfähigkeit erforderlich. Nicht
mehr genügend bei Kongruenz: Drohende Zahlungsunfähigkeit.
•
Ratenzahlungsvereinbarung: Vermutung, dass der Gläubiger die
Zahlungsunfähigkeit nicht kannte.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VII./51
Reform des Anfechtungsrechts (III)
•
Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.12.2015, BT-Drucks. 18/7054.
•
Konkretisierung des Bargeschäftsprivilegs (§ 142 InsO-Entwurf):
•
Einfügung einer weiteren Voraussetzung für die Anfechtbarkeit: Wenn „der
andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte “.
•
Neuer § 142 Abs. 2 S. 1 InsO-Entwurf: Definition Unmittelbarkeit: „Wenn er
nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der
Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen
Zusammenhang erfolgt. “
•
•
Anfechtungszinsen (§ 143 Abs. 1 S. 3 InsO-Entwurf):
•
•
Erst ab Verzug oder Rechtshängigkeit. Nicht mehr ab Insolvenzeröffnung.
Fremdinsolvenzantrag: Stärkung des Gläubigerantragsrechts:
•
•
Neuer § 142 Abs. 2 S. 1 InsO-Entwurf: Zeitliche Differenz bei
Lohnzahlungen: max. 3 Monate.
Wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird (§ 14
Abs. 1 S. 2 InsO-Entwurf). Kein Erfordernis eines Erstantrags mehr.
Entsprechende Änderungen auch im Anfechtungsgesetz (AnfG).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
VIII. Forderungsfeststellung und Masseverwertung
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./2
Forderungsanmeldung (I)
•
Anzumelden sind Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Hieraus folgt:
•
•
Persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Insolvenzeröffnung begründeten
Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, müssen diesen zwecks
Teilnahme am Verfahren anmelden.
Nicht anzumelden sind:
•
Masseansprüche (§§ 53 ff. InsO): Klageweise Geltendmachung gegen
Insolvenzverwalter.
•
Absonderungsansprüche (soweit nicht auch Insolvenzforderung gegen den
S chuldner = gegen die M asse, insow eit A nm eldung und B erücksichtigung „für
den A usfall “).
•
Neuforderungen (Begründung nach Insolvenzeröffnung gegen den S chuldner).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./3
Forderungsanmeldung (II)
Sonderfälle:
•
Nachrangige Insolvenzforderungen (§ 39 InsO): Anmeldung nur nach Aufforderung
des Gerichts, §§ 174 Abs. 3, 177 Abs. 2 InsO, Grund: Regelmäßig gibt es für diese
Gläubiger keine Quote.
•
„Vergessene“ Insolvenzforderungen: Grundsätzlich kein Verlust der Forderung,
jedoch nach Auflösung von Gesellschaften „Wegfall“ des Schuldners bzw. faktisches
Erlöschen durch Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 1 S. 2 InsO. Während des
Verfahrens zudem Sperre für gerichtliche und vollstreckungsrechtliche
Geltendmachung (vgl. §§ 87 ff. InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./4
Forderungsanmeldung (III)
Anmeldungsformalitäten:
•
Anmeldung erfolgt schriftlich beim Insolvenzverwalter, § 174 Abs. 1 S. 1 InsO.
•
Urkunden (die Forderung belegende Unterlagen) sollen beigefügt werden
(Rechnungen, Verträge, Wechsel etc.), § 174 Abs. 1 S. 2 InsO.
•
Anmeldung erfolgt beziffert unter Angabe des Grundes (z.B. Kaufvertrag) in Euro
(§ 174 Abs. 2 InsO) (vgl. zur Bestimmtheit der Forderungsanmeldung BGH, Beschl.
v. 12.11.2015 – IX ZR 313/14, ZIP 2016, 30). Ggf. Umrechnung, Fälligkeitsfiktion
und Abzinsung (vgl. §§ 41, 45, 46 InsO).
•
Hinsichtlich Zinsen ist zu unterscheiden: Altzinsen sind zu berechnen und
anzumelden. Neuzinsen (ab Verfahrenseröffnung) sind gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO
nachrangig und folglich gem. § 174 Abs. 3 InsO nur nach Aufforderung des
Insolvenzgerichts anzumelden.
•
Auf Nachrangigkeit (soweit überhaupt Anmeldung erfolgt) und auf Forderungsbegründung aus unerlaubter Handlung ist gesondert hinzuweisen (vgl. § 174
Abs. 2 und 174 Abs. 3 S. 2 InsO), Grund: grundsätzlicher Ausschluss von Quotenausschüttung bzw. Ausnahme bei Restschuldbefreiung, § 302 InsO.
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Forderungsanmeldung (IV)
Anmeldungsfrist:
•
Die Anmeldefrist wird durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss bestimmt,
§ 28 Abs. 1 InsO (zwei Wochen bis drei Monate nach Eröffnung).
•
Verspätet gemeldete Forderungen werden im Prüfungstermin dennoch geprüft,
vgl. § 177 Abs. 1 S. 1 InsO (gesonderter Prüfungstermin bei Widerspruch mit
Kostenlast für Zusatztermin, § 177 Abs. 1 S. 2 InsO).
•
Anmeldung nach Prüfungstermin: Gesonderter Prüfungstermin, Kostenfolge,
keine Berücksichtigung bei Abschlagsverteilungen (vorrangige Berücksichtigung bei
Verteilung noch vorhandener Restmasse, §§ 189, 192 InsO, Masseschulden gehen
aber vor und bereits berücksichtigte Gläubiger müssen bezogene Abschlagszahlungen nicht zwecks Gleichbehandlung zurückzahlen, vgl. BGH, ZIP 1984, 980).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./6
Folgen der Anmeldung
•
Verjährungshemmung, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB (wichtig z.B. bei Aufhebung oder
Einstellung des Insolvenzverfahrens).
•
Tabelleneintragung durch den Insolvenzverwalter, § 175 Abs.1 S. 1 InsO
(unabhängig von einem eventuellen Widerspruch anderer Insolvenzgläubiger oder
des Schuldners).
•
Teilnahmeberechtigung des anmeldenden Gläubigers an Gläubigerversammlungen (einschließlich Recht auf Einsicht in die Gerichtsakte, fraglich bei unberechtigten Anmeldungen).
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Forderungsprüfung (I)
•
Die Prüfung der angemeldeten Forderungen erfolgt im Prüfungstermin (regelmäßig
ist dies die zweite Gläubigerversammlung maximal 5 Monate nach Eröffnung,
nämlich 3 Monate maximale Anmeldefrist plus 2 Monate maximale Frist zwischen
Ende Anmeldefrist und Prüfungstermin), § 176 InsO.
•
Terminsbestimmung durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss,
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO (öffentl. Bekanntmachung im Internet unter
www.insolvenzbekanntmachungen.de, ggf. auch Gerichtsblatt sowie Zustellung an
Gläubiger, § 30 Abs. 2 InsO durch Gericht bzw. – Praxis – Verwalter).
•
Leitung dieser Gläubigerversammlung durch den Rechtspfleger, Tabelleneintragungen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Anwesenheitspflicht
des Insolvenzverwalters, Anwesenheitsrecht des Schuldners und der Insolvenzgläubiger (keine Öffentlichkeit).
•
Prüfung aller angemeldeten Forderungen (bei Anmeldung nach Ablauf der
Anmeldefrist auf Widerspruch gesonderter Prüfungstermin, vgl. § 177 Abs. 1 InsO).
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Forderungsprüfung (II)
•
Im Einzelnen erörtert werden Forderungen, denen Schuldner, Insolvenzverwalter oder anw esende Insolvenzgläubiger (Vertretungsmöglichkeit, insb. durch
Anwälte) widersprechen, § 176 S. 2 InsO. Erörterung bestrittener Forderungen nach
Grund und Höhe.
•
Problem: „Vorläufiges“ Bestreiten („vorläufiger Widerspruch“) durch den
Insolvenzverwalter: Von InsO nicht vorgesehen, in der Praxis verbreitet. Ziel:
Zeitgewinn des Verwalters, Widerspruchsrücknahme jederzeit möglich, Beseitigung
der Feststellungswirkungen dagegen nicht.
Ú Feststellungsklage möglich, jedoch Gefahr des sofortigen Anerkenntnisses durch
Verwalter mit Kostenfolge gem. §§ 4 InsO, 93 ZPO zu Lasten des Gläubiger.
•
Protokoll über die Forderungserörterung, Erstellung einer Tabelle mit Hinweis auf ein
eventuelles Bestreiten.
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Forderungsprüfung (III)
•
Wird im Prüfungstermin oder einem (bei Verspätung der Anmeldung) angeordneten
schriftlichen Verfahren kein Widerspruch vom Insolvenzverwalter oder einem
Insolvenzgläubiger gegen die Forderung erhoben, gilt die Forderung als
festgestellt, § 178 Abs. 1 S. 1 InsO.
•
Folge der Forderungsfeststellung: Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil
gegenüber Insolvenzgläubigern/Insolvenzverwalter, vgl. § 178 Abs. 3 InsO
Ú Ausschüttung Insolvenzquote.
•
Rechtskraftwirkung, Rechtsmittel gegen festgestellte Forderung/Titel folglich nur
(vgl. Willmer/Berner, Die Änderung von Insolvenztabelle und Schlussverzeichnis, NZI
2015, 877):
•
Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO.
•
Restitutionsklage, § 580 ZPO.
•
Durchbrechung der Rechtskraft mittels Leistungsklage aufgrund § 826 BGB.
•
Eintragungsberichtigung analog §§ 319, 320 ZPO (versehentlich falscher
Tabelleneintrag).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./10
Schuldnerwiderspruch gegen
Forderungsanmeldung (I)
•
Widerspricht nur der Schuldner der Feststellung einer angemeldeten Forderung,
so wird diese dennoch festgestellt, vgl. § 178 Abs. 1 S. 2 InsO (anders bei
Eigenverwaltung, vgl. § 283 InsO).
•
Der Schuldnerwiderspruch steht der Forderungsfeststellung nicht entgegen, vgl.
§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO, er hat (nur) Wirkung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens:
•
Grundsätzlich kann nach Verfahrensbeendigung die Restforderung gegen den
Schuldner geltend gemacht werden, § 201 Abs. 1 InsO (Ausnahme:
Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3 InsO bzw. abweichender Insolvenzplan,
§ 217 InsO).
•
Titulierung ist nicht mehr notwendig (und auch nicht zulässig), da Tabelleneintrag
wie rechtskräftiges Urteil wirkt, vgl. § 201 Abs. 2 i.V.m. § 178 Abs. 3 InsO.
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Schuldnerwiderspruch gegen
Forderungsanmeldung (II)
•
Die vorgenannte Titulierungswirkung der Tabelleneintragung tritt nicht ein, soweit
der Schuldner der Anmeldung der Forderung widersprochen hat, vgl. § 201 Abs. 2
InsO.
•
Titelnutzung nach Verfahrensende: Beantragung vollstreckbarer Ausfertigung
aus der Tabelle beim Insolvenzgericht, §§ 4 InsO, 724 Abs. 2 ZPO (jedoch eventuell
Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3 InsO, § 301 InsO).
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Forderungsfeststellung nach Bestreiten durch
Insolvenzverwalter/Gläubiger (I)
•
Während das Bestreiten nur durch den Schuldner keine Auswirkung während des
Insolvenzverfahrens hat, wirkt sich ein Bestreiten durch den Insolvenzverwalter
bzw. Insolvenzgläubiger bereits während des Verfahrens aus:
•
Wird eine nicht titulierte Forderung im Prüfungstermin bestritten, wird dies in
der Tabelle vermerkt.
•
Der anmeldende Gläubiger muss dann grundsätzlich gegen den bzw. die
Bestreitenden Feststellungsklage (§ 256 ZPO) erheben, vgl. § 179 Abs. 1 InsO
(Ausschlussfrist 2 Wochen, § 189 InsO, jedoch nachträgliche Berücksichtigung
gem. § 192 InsO).
•
Dies gilt auch für Gläubiger, die sich ihren Titel außerinsolvenzlich selbst schaffen
können (Verwaltungsvollstreckung bei Verwaltungsakt). Ein Anfechtungsverfahren gegen den Verwaltungsakt wandelt sich in ein Insolvenzfeststellungsverfahren mit dem Finanzamt als Kläger und dem Insolvenzverwalter als
Beklagten um (BFH, Urt. v. 18.08.2015 − V R 39/14, NZI 2016, 92).
•
Streitwert nicht gem. angemeldeter Forderung, sondern gemäß zu erwartender
Insolvenzquote, vgl. § 182 InsO. Zur Rechtskraft vgl. § 183 InsO (Erstreckung
auf alle Beteiligten des InsO-Verfahrens).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./13
Forderungsfeststellung nach Bestreiten durch
Insolvenzverwalter/Gläubiger (II)
•
Gerichtszuständigkeit nach allgemeinen Vorschriften, örtliche Zuständigkeit
jedoch AG/LG am Sitz des Insolvenzgerichts (nicht: Insolvenzgericht).
•
Urteilswirkung: § 183 Abs. 1 InsO, bei Obsiegen des anmeldenden Gläubigers
Berichtigung der Insolvenztabelle (Beseitigung des Widerspruchs), vgl. § 183 Abs. 2
InsO.
•
Ein bei Insolvenzeröffnung bereits laufender Prozess hinsichtlich der angemeldeten
Forderung kann nach zunächst erfolgter Unterbrechung gem. § 240 ZPO gem.
§ 180 Abs. 2 InsO aufgenommen werden (Antragsänderung auf Feststellung,
Parteiwechsel, der Bestreitende tritt in Parteirolle des Schuldners ein).
•
Ausnahmefall Klaginitiativlast des Bestreitenden: Ist die angemeldete und
bestrittene Forderung bereits tituliert, nimmt die Forderung trotz des Bestreitens
am Verfahren teil, der Bestreitende muss seinerseits „den Widerspruch
verfolgen“, vgl. § 179 Abs. 2 InsO. Da diese Norm keinen zusätzlichen
Rechtsbehelf gegen den Titel gibt, kann der Bestreitende nur ggf. noch
offenstehende Rechtsbehelfe nutzen (z.B. Berufungseinlegung, soweit der
insolvente Schuldner noch Berufung hätte einlegen können).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./14
Übersicht Prüfungsverfahren
Niemand bestreitet
eine Forderung
Nur der Schuldner
bestreitet eine
Forderung
Nichttitulierte
Forderung wird
vom Verwalter/Gl.
bestritten
Titulierte Forderung
wird vom Verwalter/
Gl. bestritten
Forderung gilt als
festgestellt, § 178
Abs. 1
Forderung gilt als
festgestellt, § 178
Abs. 1
Feststellungsklage
des anmeldenden
Gl., § 179 Abs. 1
Neg. Feststellungsklage, § 179 Abs. 2,
gegen den Titel
Gl. erhält Quote
Gl. erhält Quote
Klageerfolg:
Quote,
anderenfalls:
Nichts
Quote, Ausn.
Klagerfolg des
Bestreitenden
Nach Verfahrensabschluss: Vollstr.
wg. Rest aus
Tabellenauszug,
§ 201 Abs. 2
Nach Verfahrensabschluss: Vollstr.
wg. Rest nicht aus
Tabellenauszug,
Klage gg. Sch.
notwendig
Nach Verfahrensabschluss: Vollstr.
wg. Rest aus
Tabellenauszug,
bei Bestreiten Sch.
Klage nötig
Nach Verfahrensabschluss: Vollstr.
wg. Rest aus
Tabellenauszug,
bei Bestreiten Sch.
aus dem Titel
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./15
Masseverwertung (I)
Neben dem Verwaltungsrecht (§ 80 Abs. 1 InsO), z.B. der Anlage und Verwaltung von
Geldmitteln und Wertpapieren, ist die Verwertung der Masse (Liquidation des
vorhandenen Massevermögens) eine der wichtigsten Aufgaben des
Insolvenzverwalters:
•
Die Verwertungsart bestimmt der Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen,
möglich sind freihändiger Verkauf, vgl. z.B. § 166 Abs. 1 InsO, z.B. über
Verwertungsgesellschaften oder im Wege eines Asset-Deals; Problem: nach h.M.
kein Verwertungsrecht bei nicht verkörperten Rechten, an denen ein Absonderungsrecht besteht (Ausnahme: Forderungen, § 166 Abs. 2 InsO), Sicherungsrechte
müssen daher abgelöst werden, Versteigerungen (regelmäßig unter Einschaltung
professioneller Auktionatoren), regelmäßig werden bei wertvollen Vermögensgegenständen Wertgutachten eingeholt.
•
§ 159 InsO beschränkt den Insolvenzverwalter nur insoweit, als Beschlüsse der
Gläubigerversammlung bei der Verwertung zu beachten sind.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./16
Masseverwertung (II)
Einschränkungen der Freiheit des Insolvenzverwalters bezüglich der Verwertung gelten
wie folgt:
•
Beschluss der Gläubigerversammlung (erst!) im Berichtstermin über
Unternehmensstilllegung oder Fortführung, § 157 S. 1 InsO.
Ú Übertragende Sanierung vor Berichtstermin auch nur mit Zustimmung des
vorläufigen Gläubigerausschusses möglich (vgl. § 158 InsO).
•
Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens „unverzüglich nach
Berichtstermin“, § 159 InsO.
•
Zustimmungserfordernis bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen,
§ 160 InsO.
•
Zuständig für Zustimmung: Gläubigerausschuss, (nur) falls keiner bestellt ist:
Gläubigerversammlung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./17
Masseverwertung (III)
•
§ 160 InsO, besonders bedeutsame Rechtshandlungen.
Verkauf des ganzen Unternehmens/Betriebswarenlagers, Immobilien aus freier
Hand, Beteiligungen, Recht zum Bezug wiederkehrender Einkünfte (Nießbrauch,
Rente), Darlehensaufnahme, bedeutende Prozesse à Zustimmung notwendig (vor
Zustimmung Schuldner zu unterrichten, auf dessen Antrag evtl. Versagungsmöglichkeit durch Gericht). Zustimmungsfiktion bei Fernbleiben der Gläubiger von
der Gläubigerversammlung (§ 160 Abs. 1 S. 3 InsO).
•
§ 162 InsO, Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (Erwerber =
nahestehende Personen, § 138 InsO, „große“ absonderungsberechtigte
Gläubiger/Insolvenzgläubiger bzw. derartige Person zu 25% an Erwerber beteiligt).
•
Betriebsveräußerung unter Wert, § 163 InsO: Anordnung der Zustimmungspflichtigkeit (Gl-Versammlung) durch Gericht auf Antrag, wenn bessere
Verwertungsmöglichkeit glaubhaft gemacht.
•
Zustimmungserfordernisse wirken nur im Innenverhältnis, § 164 InsO,
Unwirksamkeit aber evtl. über „Insolvenzzweckwidrigkeit“ entsprechend der
Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht, daneben evtl. Verwalterhaftung
gem. § 60 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./18
Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei
Absonderungsrechten, §§ 165 ff. InsO (I)
Immobilien:
•
§ 165 InsO, Verwertung nach ZVG (Zwangsversteigerung, Zwangsverwaltung, als
Ergänzung für die Fälle der Belastung mit Grundpfandrechten zu der allgemeinen
Norm des § 159 InsO).
à Der Insolvenzverwalter kann – mit Zustimmung des Gläubigerausschusses, § 160
Abs. 2 Nr. 1 InsO – Antrag auf Zwangsversteigerung des belasteten Grundstücks
stellen (es gilt dann das ZVG, wie bei vom Gläubiger eingeleiteter Versteigerung).
à Die gesicherten Gläubiger sind daneben aus § 49 InsO berechtigt, die Zwangsversteigerung (oder -verwaltung, in der Praxis z.T. auch sog. „kalte Zwangsverwaltung“) zu
betreiben. Umschreibung der Vollstreckungsklausel auf Insolvenzverwalter notwendig.
•
Beachte: § 171 Abs. 1 InsO (Feststellungskostenbeitrag 4% wg. Zubehör), Einstellung
in das geringste Gebot, § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG. Kein Kostenbeitrag bei freihändiger
Verwertung (aber in der Praxis regelmäßig Vereinbarungen mit den Gläubigern).
•
Beachte: §§ 30 d ff. ZVG, der Insolvenzverwalter kann Gläubigervollstreckung
einstweilig einstellen lassen, Interessenabwägung, wenn Grundstück „betriebsnotwendig“, dann jedoch Auflage der Zahlung laufender schuldrechtl. Zinsen ab
Berichtstermin und Ersatz des Wertverlusts des Grundstücks.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./19
Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei
Absonderungsrechten, §§ 165 ff. InsO (II)
•
Bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht und die der
Insolvenzverwalter in (unmittelbarem, str.) Besitz hat, darf der Insolvenzverwalter
verwerten (§ 166 Abs. 1 InsO), bei unmittelbarem Gläubigerbesitz Verwertungsrecht
des Gläubigers, § 173 InsO.
•
Forderungen, die der Insolvenzschuldner zur Sicherung eines Anspruchs an Dritte
abgetreten hat, darf der Insolvenzverwalter verwerten (§ 166 Abs. 2 InsO).
•
Keine Befugnis des Insolvenzverwalters zur Verfügung über andere nicht
verkörperte Rechte als Forderungen (wie z.B. Patente, Marken, Anteile), die an
Dritte verpfändet oder als Sicherheit abgetreten sind (str.). Kein gutgläubiger Erwerb
möglich. Lösung: Zustimmung des Pfandgläubigers einholen (gegen Zahlung eines
Ablösebetrages).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./20
Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei
Absonderungsrechten, §§ 165 ff. InsO (III)
•
Besonders wichtig in der Praxis: Erlösverteilung und Kostenbeiträge,
§§ 170, 171 InsO. Feststellungs- und Verwertungskosten sind bei Mobilien und
Forderungen aus dem Erlös vorab zu entnehmen, gleiches gilt für die Umsatzsteuer.
Der Verwalter erhält pauschal 4% (Feststellung) und 5% (Verwertung) sowie ggf.
die Umsatzsteuer, die er an das Finanzamt abführen muss. Zweck: Masseanreicherung, Zurückdrängung der Abweisung mangels Masse, Auswirkung auf die
Sicherheitenkalkulation insb. bei den Banken.
•
Diese Regelung gilt durch eine Ergänzung der Sicherungsmassnahmen gem.
§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO bei Anordnung der Einziehungsbefugnis des vorläufigen
Verwalters auch im Eröffnungsverfahren.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./21
Wirkung des Absonderungsrechts
•
Nach Verwertung einer dem Absonderungsrecht eines Gläubigers unterliegenden
Sache (SÜ; §§ 1204 ff. BGB; gesetzliche Pfandrechte, z.B. des Werkunternehmers,
Vermieters und Gastwirts; Pfändungspfandrecht, § 804 ZPO): Der Absonderungsberechtigte ist aus dem Erlös abgesondert zu befriedigen (dingliche Surrogation,
Absonderungsrecht setzt sich am Erlös fort).
•
Wird der Erlös mit Massegeldern so vermischt, dass eine Unterscheidung nicht mehr
möglich ist, ergibt sich eine entsprechende Masseverbindlichkeit auf wertmäßige
Erlösherausgabe gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 InsO (Problem bei Masseunzulänglichkeit gem. § 209 InsO, dann ggf. Verwalterhaftung gem. § 60 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./22
Verwertung von Unternehmen und Betrieben
Es bestehen zwei Möglichkeiten:
•
Sanierung des Unternehmersträgers selbst (des Schuldners). Vorbild: Verfahren
nach Chapter 11 US Bankruptcy Code („Reorganization“ genannt). Die insolvente
AG, GmbH etc. wird durch einen Insolvenzplan gem. §§ 217 ff. InsO saniert.
•
Häufiger ist die übertragende Sanierung: Asset Deal, die betriebsnotwendigen
Vermögensgegenstände werden als Gesamtheit (notwendig: sachenrechtliche
Bestimmtheit) veräußert. Regelmäßig höherer Erlös durch „Fortführungswerte“ im
Gegensatz zu „Zerschlagungswerten“ bei Einzelveräußerung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./23
Übertragende Sanierung (I)
•
Der Insolvenzverwalter löst alle vorhandenen betriebsnotwendigen Vermögenswerte
vom insolventen Rechtsträger (Asset Deal), die Schulden „kleben“ an dem
insolventen Rechtsträger, die betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände
werden von einem Erwerber übernommen Ú Entschuldung des Unternehmens.
Der Erwerber muss Verbindlichkeiten nicht mit erwerben.
•
Das vom Erwerber im Wege des Asset Deals (Kaufvertrag gem. § 433 BGB über
die einzelnen Vermögensgegenstände die in ihrer Gesamtheit den Betrieb bilden)
gezahlte Geld fließt an Stelle der Vermögenswerte in die Masse und wird an die
Gläubiger verteilt.
•
Wichtig ist der Zeitpunkt: § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 157 InsO: Zunächst Fortführung, Beschluss der Gläubigerversammlung im Berichtstermin, bei vorheriger
Stilllegung oder Veräußerung Gläubigerausschusszustimmung, Schuldnerunterrichtung, Untersagungsmöglichkeit des Insolvenzgerichts, vgl. § 158 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./24
Übertragende Sanierung (II)
•
Zustimmung von Gläubigerausschuss/Gläubigerversammlung, § 160 InsO
(beachte aber § 164 InsO, ggf. Verwalterhaftung § 60 InsO, evtl. Insolvenzzweckwidrigkeit).
•
Besondere Zustimmungserfordernisse (Gläubigerversam m lung ) bei Betriebsveräußerung an besonderes Interessierte bzw. unter Wert, §§ 162, 163 InsO.
•
Die Übertragung der Assets erfolgt nach allgemeinen Regeln (Sachen z.B. gem.
§ 929 BGB, Forderungen durch Abtretung gem. § 398 BGB). Notwendig: Sachenrechtliche Bestimmtheit. Sorgfältige Zusammenstellung der Anlagen zum
Kaufvertrag.
•
Übertragung von Kundenverträgen / Mietvertrag auf Erwerber bedarf der
Zustimmung des Kunden / Vermieters.
•
Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber, da § 613a BGB auch
im Insolvenzverfahren nach Rechtsprechung des BAG anwendbar ist
Ú Sanierungshindernis!
•
Ggf. zulässige „Umgehung“ der Wirkung des § 613a BGB über Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaften / Transfergesellschaften. Die Strukturierung der
Übernahme der benötigten Belegschaft sollte möglichst rechtzeitig begonnen
werden, da sich diese regelmäßig sehr zeitintensiv und rechtlich komplex gestaltet.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./25
Übertragende Sanierung (III)
•
Einschränkung der Rechtswirkungen des § 613a BGB auf die Übernahme von
Schulden nach Insolvenzeröffnung (BAG NJW 1980, 1124, 1125 f.).
•
Keine Haftung des Erwerbers eines Unternehmens aus der Insolvenzmasse bei
Firmenfortführung gem. § 25 HGB. Grund: Gläubigerschutzfunktion des § 25 HGB
würde bei Anwendbarkeit ins Gegenteil verkehrt, da übertragende Sanierung mit
Quotensteigerung zugunsten der Gläubiger bei Übernahme der Schulden ausgeschlossen würde.
•
Keine Haftung für Steuerschulden des insolventen Unternehmensträgers bei
Erwerb des Unternehmens im Wege des Asset Deals aus der Insolvenzmasse
(§ 75 Abs. 2 AO).
•
Kein Insolvenzanfechtungsrisiko für den Erwerber, da grds. nur solche
Rechtshandlungen der Anfechtung unterliegen, die vor der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind.
•
Exklusivität für Kaufvertragsverhandlungen wird regelmäßig nicht gewährt.
•
Weitreichende Garantien und Gewährleistungen sind unüblich.
•
Due Diligence des Erwerbers daher von Bedeutung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 VIII./26
Übertragende Sanierung (IV)
•
Die vorgenannten Punkte (Vorteile des Erwerbs aus der Insolvenzmasse hinsichtlich
der Schuldenhaftung) verdeutlichen, warum der Erwerb vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens seltener erfolgt: Die Risiken vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Schuldenhaftung und daneben auch aufgrund späterer
Anfechtungsmöglichkeiten bei „günstigen“ Erwerbspreisen (insbes. §§ 132, 133
InsO) sind viel höher.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
IX. Masseverteilung und Verfahrensbeendigung
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./2
Masseverteilung, §§ 187 ff. InsO
•
Nach dem Prüfungstermin kann mit der Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch
Verteilung der Aktivmasse begonnen werden.
•
Verteilungen an die Insolvenzgläubiger setzen voraus, dass „hinreichende
Barmittel“ in der Insolvenzmasse vorhanden sind.
•
Voraussetzung für Verteilungen an die Insolvenzgläubiger ist folglich die Deckung
der Verfahrenskosten (§ 54 InsO) und der Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO)
sowie die Sicherstellung der Bedienung der Absonderungsrechte und ggf.
abgeschlossener Sozialpläne (vgl. § 123 Abs. 2 S. 1).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./3
Formen der Verteilung der Masse an die Gläubiger
•
Abschlagsverteilung, § 187 Abs. 2 InsO.
•
Schlussverteilung, § 196 InsO.
•
Nachtragsverteilung, § 203 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./4
Abschlagsverteilungen, § 187 Abs. 2 InsO
•
Die Vornahme von Abschlagsverteilungen liegt im pflichtgemäßen Ermessen des
Insolvenzverwalters. Einen klagbaren Anspruch auf Durchführung einer
Abschlagsverteilung haben Insolvenzgläubiger nicht (allenfalls Anregung an das
Insolvenzgericht, den Insolvenzverwalter zu einer Abschlagsverteilung anzuhalten,
§ 58 InsO).
•
Berücksichtigung von Insolvenzforderungen Absonderungsberechtigter
(Anmeldung für den Ausfall), wenn Ausfall glaubhaft gemacht ist (Einbehalt des
entsprechenden Anteils, § 190 InsO).
•
Berücksichtigung bestrittener Forderungen, wenn Erhebung der
Feststellungsklage nachgewiesen ist (Einbehalt, § 189 Abs. 1, 2 InsO).
•
Aufschiebend bedingte Forderungen werden berücksichtigt (Einbehalt,
§ 191 InsO).
•
Verteilungsverzeichnis, § 194 InsO; Bruchteilsfestsetzung gem. § 195 InsO
durch Gläubigerausschuss (Vorschlag Insolvenzverwalter) bzw. Insolvenzverwalter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./5
Schlussverteilung, § 196 InsO
Die Schlussverteilung hat so rasch als möglich zu erfolgen und umfasst die
Ausschüttung der gesamten restlichen Teilungsmasse, die nach endgültiger
Verwertung der Insolvenzmasse und eventuellen Abschlagsverteilungen noch verbleibt:
•
Schlussverteilung, sobald Insolvenzmasse mit Ausnahme eines laufenden
Einkommens verwertet ist, § 196 Abs. 1 InsO.
•
Zustimmung des Insolvenzgerichts erforderlich, § 196 Abs. 2 InsO.
•
Antrag des Insolvenzverwalters auf Schlussverteilung an Insolvenzgericht, ggf.
Zustimmung des Gläubigerausschusses gem. § 187 Abs. 3 S. 2 InsO.
•
Schlusstermin, § 197 InsO
•
Schlussverzeichnis mit allen geprüften und festgestellten Forderungen,
Schlussverteilungsbericht (vgl. § 197 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./6
Nachtragsverteilung, § 203 InsO
Nachtragsverteilungen können von Amts wegen oder auf Antrag (Insolvenzverwalter,
Insolvenzgläubiger) vom Insolvenzgericht gem. § 203 Abs. 1 InsO in folgenden Fällen
angeordnet werden:
•
Zurückbehaltene Beträge werden für die Verteilung frei.
•
Rückfluss von Mitteln an die Insolvenzmasse.
•
Ermittlung „neuer“ Massegegenstände.
Ú Auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens sind Nachtragsverteilungen
möglich, § 203 Abs. 2 InsO.
•
Sofortige Beschwerde bei Ablehnung von Nachtragsverteilungen für den
Antragsteller, § 204 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./7
Sonderproblem: Zu kurz gekommener
Insolvenzgläubiger
Umstritten sind die Folgen, soweit ein Insolvenzgläubiger mangels Eintrag in die
Insolvenztabelle/das Schlussverzeichnis zu kurz gekommen ist:
•
Die anderen Insolvenzgläubiger haben bei Nichtberücksichtigung eines Insolvenzgläubigers aufgrund einer geringeren Passivmasse „zuviel“ an Quotenzahlungen
erhalten. Vertretbar ist ein Bereicherungsanspruch gegen die durch die Nichtberücksichtigung begünstigten Gläubiger.
•
Der BGH lehnt Bereicherungsansprüche jedoch ab (Rechtsfrieden durch
Schlussverzeichnis, vgl. BGH NJW 1984, 2154). Anders soll es sein, wenn der
betreffende Gläubiger trotz Berücksichtigung im Schlussverzeichnis keine Zahlung
erhalten hat.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./8
Beendigung des Insolvenzverfahrens, §§ 200 ff. InsO
Das Insolvenzgericht beendet das Insolvenzverfahren durch Beschluss. Dabei gibt es
folgende Beendigungsarten:
•
Aufhebung des Insolvenzverfahrens.
•
Einstellung des Insolvenzverfahrens.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./9
Aufhebung des Insolvenzverfahrens
•
Voraussetzung: Zweckerreichung.
•
Nach Vollzug der Schlussverteilung, § 200 Abs. 1 InsO.
•
Nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans, § 258 Abs. 1 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./10
Einstellung des Insolvenzverfahrens
•
Voraussetzung: Vorzeitige Beendigung erforderlich:
•
Keine kostendeckende Masse (Massearmut) mehr vorhanden,
§§ 207, 209 InsO.
•
Sonstige Masseunzulänglichkeit, §§ 208, 211 InsO.
•
Wegfall des Eröffnungsgrunds und entsprechender Schuldnerantrag, § 212 InsO.
•
Auf Antrag des Schuldners mit Zustimmung aller Gläubiger, § 213 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./11
Auswirkungen der Verfahrensbeendigung
•
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis fallen an den Schuldner zurück,
vgl. § 215 Abs. 2 S. 1 InsO.
•
Ende der Unterbrechung von Prozessen, § 240 ZPO.
•
Parteiwechsel in für die Masse geführten Prozessen des Insolvenzverwalters:
Schuldner wird Partei.
•
Mangels Verfügungsbefugnis vorher unwirksame Rechtshandlungen des
Schuldners werden wirksam, § 185 Abs. 2 BGB.
•
Keine Änderungen aufgrund der Verfahrensbeendigung dagegen hinsichtlich der im
Insolvenzverfahren eingetretenen rechtsgestaltenden Wirkungen gem. §§ 41 ff. InsO
(Inhaltsänderungen von Forderungen) und §§ 103 ff. InsO (Einwirkung auf
Rechtsverhältnisse).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./12
Rechtsposition des Schuldners nach
Verfahrensbeendigung
•
Soweit der Schuldner nicht durch Insolvenzeröffnung aufgelöst und mit Verfahrensabschluss liquidiert ist (vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG;
§§ 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB, Löschung im HReg: § 394 FamFG: Löschung
v.A.w.) und keine Restschuldbefreiung eingreift (in Aussicht gestellt wurde, vgl.
§§ 291 Abs. 1, 201 Abs. 3 InsO, 301 InsO), greift die Nachhaftung gem. § 201 Abs.1
InsO ein.
•
Abweichendes kann jedoch in einem Insolvenzplan vereinbart werden, vgl. § 217 ff.
InsO à Erhalt des Rechtsträgers mit Schuldenbefreiung möglich (z.B. um günstige
Mietverträge einer insolventen GmbH oder die Börsenzulassung einer AG zu
erhalten). Hierzu siehe Vorlesung Teil X.
•
Für nicht selbstständig tätige Personen bzw. nur geringfügig selbständig Tätige
kann das Schuldenbereinigungsverfahren (§§ 305 ff. InsO) bzw. ein
vereinfachtes Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung (§ 311 ff. InsO)
eingreifen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./13
Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrensbeendigung / Fallbeispiel zum Insolvenzplan
Die XY Teppich GmbH („GmbH“) verkauft Teppiche und Bodenbeläge an Handwerker
und Endverbraucher. Sie hat 50 Filialen. Davon sind 20 sehr profitabel, 30 indes sehr
defizitär. Die Ergebnisse der Filialen hängen direkt mit deren Standorten und Mietkonditionen zusammen.
Aufgrund der 30 verlustbringenden Filialen ist die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet, das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.
Erwerbsinteressent Z möchte die 20 „guten“ Filialen übernehmen. Die Vermieter dieser
Filialen wollen drastisch die Mieten erhöhen, da sie den Erfolg dieser Filialen sehen, der
auch auf den günstigen Mietzinsen beruht.
Die Insolvenzgläubiger A und B wollen möglichst hohe Quoten auf ihre Forderungen (je
EUR 0,5 Mio.). Die Quote bei Zerschlagung würde 10% betragen. Z würde für den
gesamten Geschäftsbetrieb der insolventen GmbH EUR 0,5 Mio. bezahlen, wenn er die
Mietverträge der 20 „guten“ Filialen zur Fortführung des Unternehmens übernehmen
kann.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 IX./14
Lösungsskizze (Fallbeispiel zum Insolvenzplan):
Bei einem Regelinsolvenzverfahren kann sich der Insolvenzverwalter zwar gem. § 109
Abs. 1 S. 1 InsO auch von lang laufenden Mietverträgen der schlechten Filialen lösen.
Die Mietverträge der guten Filialen erlöschen jedoch nach Liquidation der GmbH im
Insolvenzverfahren und ihrer Löschung im Handelsregister (Untergang der GmbH als
Mietvertragspartei).
•
Ziel muss es daher sein, die GmbH als Mietvertragspartei der aus ihrer Sicht
günstigen Filialen zu erhalten (während die „schlechten“ Mietverträge auch bei
Festlaufzeiten vom Insolvenzverwalter gekündigt werden).
•
Dieses Ziel kann mit einem Sanierungsinsolvenzplan erreicht werden. Die GmbH
„einigt“ sich mit ihren Gläubigern A und B über eine Reduzierung der Forderungen
(Beseitigung der Überschuldung, ggf. Stundung zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit). Im Gegenzug erhalten A und B Anteile an der GmbH (Anteilsübertragung, § 225a Abs. 2 InsO, oder Debt-Equity-Swap, § 225a Abs. 3 InsO), die sie
dann an Z verkaufen können.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
X. Insolvenzplan und Eigenverwaltung
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./2
Insolvenzplanverfahren, §§ 217 ff. InsO
Ziele des Insolvenzplanverfahrens sind:
•
Stärkung der Gläubigerautonomie
•
Zusätzliche Option der Beteiligten durch Abweichung vom Regelverfahren
(vgl. § 217 InsO):
•
Abweichende Verwertung der Insolvenzmasse
•
Abweichende Verteilung der Insolvenzmasse
•
Abweichende Haftungsregelungen für den Schuldner
•
Erhaltung des Rechtsträgers bei juristischen Personen möglich, falls
„Standardverfahren“ der übertragenden Sanierung im Wege eines Asset-Deals nicht
gangbar ist, z.B. wegen nicht übertragbarer Gestattungen, Lizenzen, Verträge etc.
•
Zu den rechtlichen Anforderungen an einen Insolvenzplan: BGH, Beschl. v.
07.05.2015 – IX ZB 75/14.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./3
Insolvenzplanverfahren – Vorteile gegenüber
Regelverfahren
Vorteile des Insolvenzplanverfahrens:
•
Höhere Quoten für die Insolvenzgläubiger regelmäßig gegeben.
•
Raschere Zahlung an die Insolvenzgläubiger möglich, insb. bei Dotierung des
Insolvenzplans durch Erwerber und/oder Gesellschafter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./4
Erhaltung des Rechtsträgers
möglich, dadurch
•
Möglichkeit der weiteren Nutzung vorteilhafter Rechtspositionen, die im Wege
des Asset Deals nicht ohne Zustimmung Dritter übertragbar sind oder neu erlangt
werden müssten.
•
Weitere Nutzung vorteilhafter Verträge mit Dritten möglich: Dritte müssen
Verträge mit der Insolvenzschuldnerin weiter erfüllen, pacta sunt servanda,
gleichzeitig u.U. Möglichkeit, nachteilige Verträge mit (weiteren) Dritten zu beenden
(§ 103 InsO).
•
Weitere Nutzung von Börsenzulassung, Gestattungen, Lizenz etc. möglich.
•
Anteile am Schuldner können wieder werthaltig werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./5
Planinitiativrecht, § 218 InsO
•
Vorlageberechtigt sind der Schuldner (nicht dessen Gesellschafter) und der
Insolvenzverwalter – sowie bei Eigenverwaltung auch der Sachwalter, § 284 InsO
(str.).
Ú Der Schuldner kann die Vorlage eines Insolvenzplans mit seinem Eröffnungseigenantrag verbinden. Dies ermöglicht ihm die Initiative in der Krisensituation,
die er mit einem Antrag auf Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) insbesondere in
Form eines Schutzschirmantrags ggf. noch steigern kann.
•
Die Gläubigerversammlung kann den Insolvenzverwalter beauftragen, einen
Insolvenzplan auszuarbeiten, § 218 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./6
Plangestaltung, §§ 219 ff. InsO (I)
Der Insolvenzplan gliedert sich in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil sowie
Anlagen:
Ú Darstellender Teil, § 220 InsO: Information der Gläubiger und des Insolvenzgerichts über Planziel und Planverlauf (Beschreibung aller Handlungen, die
Grundlage der geplanten Gestaltung der Rechte der Beteiligten sind und
durchgeführt wurden bzw. angestrebt werden):
•
Bestandsaufnahme bezüglich Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage.
•
Maßnahmen (Betriebsänderungen, Teilstilllegungen, Entlassungen etc.).
•
Begründete und noch zu begründende Masseverbindlichkeiten.
•
Art der Verwertung und deren Sicherung (Abweichung von gesetzlichen
Bestimmungen? Liquidation, Übertragung, Sanierung des Rechtsträgers)
•
Vergleichsrechnung (Gegenüberstellung Insolvenzquoten
Regelverfahren/Plan).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./7
Plangestaltung, §§ 219 ff. InsO (II)
Ú Der gestaltende Teil (§§ 221 ff. InsO) enthält die Änderungen der Rechtsstellung der Beteiligten durch den Insolvenzplan, wobei die Gestaltungsfreiheit
durch §§ 222 ff. InsO eingeschränkt ist:
•
Die Rechtsstellung der absonderungsberechtigten Gläubiger sowie der
Insolvenzgläubiger kann geändert werden, ebenso die Rechtsstellung der
Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers (siehe weiter unten).
•
Die Festlegung der Rechte der Beteiligten erfolgt in Gruppen (Berücksichtigung
gleichgelagerter Interessen).
•
Möglichkeit dinglicher Regelungen, § 228 InsO: Aufnahme der erforderlichen
Willenserklärungen in den gestaltenden Teil (auch: Übertragung von Grundstücken, GmbH-Anteilen etc.; Bestimmtheitsgrundsatz!); Rechtskräftige
Planbestätigung ist aufschiebende Bedingung für Wirksamkeit, neben
Willenserklärungen erforderliche weitere Akte zur Rechtsänderung (Registerumschreibung bzw. Übergabe gem. § 929 S. 1 BGB) werden nicht ersetzt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./8
Bildung von Gläubigergruppen, § 222 InsO
•
•
Zwingend ist die Bildung folgender Gruppen (§ 222 Abs. 1 InsO) (daneben weitere
Gruppen möglich):
•
Absonderungsberechtigte Gläubiger (soweit der Insolvenzplan Eingriffe in ihre
Rechte vorsieht).
•
Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger.
•
Nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht gemäß
§ 225 InsO als erlassen gelten (Erlass ist der Regelfall, falls der Insolvenzplan
nichts anderes vorsieht).
•
Die am Schuldner beteiligten Personen (Gesellschafter/Aktionäre), wenn
deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen wurden
(§ 222 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 InsO).
Daneben ist die Bildung weiterer Gruppen mit gleichartigen wirtschaftlichen
Interessen möglich (sachgerechte Abgrenzung erforderlich). Arbeitnehmer sollen
eine Gruppe bilden, soweit sie in nicht unerheblichem Umfang Insolvenzgläubiger
sind.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./9
Grundsatz der Gleichbehandlung, § 226 InsO
Innerhalb einer Gruppe gilt gem. § 226 Abs. 1 InsO der Grundsatz der
Gleichbehandlung:
•
Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung nur bei Zustimmung der
Beteiligten.
•
Unzulässigkeit von Sonderabkommen mit Vorteilsgewährung, vgl.
§ 226 Abs. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./10
Weitere Anforderungen an den Planinhalt
•
Mindestquoten für die Gläubiger sind nicht vorgeschrieben.
•
Kein Gleichbehandlungserfordernis zwischen den einzelnen Gruppen (vgl. aber
zum Obstruktionsverbot § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO).
•
Grundsätzlich keine Regelungen zu folgenden Beteiligten:
•
Massegläubiger mit den unstreitigen, fälligen Masseansprüchen sind voll zu
befriedigen. Für die streitigen oder nicht fälligen Masseansprüche hat der
Verwalter Sicherheit zu leisten. Für die nicht fälligen Masseansprüche kann
auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung
gewährleistet ist, vgl. dazu § 258 Abs. 2 InsO.
•
Aussonderungsberechtigte (diese „holen“ ihre Vermögensgegenstände aus
der Masse, § 47 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./11
Dingliche Regelungen
•
Möglichkeit dinglicher Regelungen, § 228 InsO: Aufnahme der erforderlichen
Willenserklärungen in den gestaltenden Teil.
•
Übertragung von Anteilen am Schuldner im Ergebnis auch ohne Zustimmung
der Anteilsinhaber möglich, §§ 225a, 217 S. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./12
Plananlagen
•
•
Wesentlich für die Informationen des Gerichts und der Insolvenzgläubiger sind die
Plananlagen:
•
Allgemeiner Teil (Jahresabschlüsse, Unternehmensinformationen),
•
Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO) mit Listen von
Vermögensgegenständen, Verbindlichkeiten, Plan-GuV (jeweils für die Zeit der
geplanten Durchführung, Liquiditätsplan).
Je nach Einzelfall u.U. ergänzende Regelungen möglich: Kapitalmaßnahmen,
Finanzierungen, Investitionen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./13
Vorprüfung des Insolvenzplans durch das
Insolvenzgericht, §§ 231 ff. InsO
Das Insolvenzgericht prüft Folgendes:
•
Planinitiativrecht, § 218 InsO.
•
Gliederung und Inhalt des Plans, §§ 219 ff. InsO.
•
Bei Schuldner-Plan: Erfolgsaussichten (Befriedigung der Ansprüche aufgrund des
gestaltenden Teils? § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
Ú Bei Zurückweisung: Sofortige Beschwerde des Vorlegenden möglich,
§ 231 Abs. 3 InsO.
•
Bei Nichtzurückweisung: Stellungnahme des Gläubigerausschusses und des
Schuldners bzw. Insolvenzverwalters gem. § 232 Abs. 2 InsO. Die Frist für die
Stellungnahme soll 2 Wochen nicht überschreiten, § 232 Abs. 3 InsO. Ggf. Aussetzung von Verwertung und Verteilung gem. § 233 InsO (Ziel: Sicherung der
Planungsgrundlagen bis zur Entscheidung über dessen Annahme) auf Antrag von
Schuldner oder Insolvenzverwalter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./14
Annahme und Bestätigung des Insolvenzplans,
§§ 235 ff. InsO
•
In einer besonderen Gläubigerversammlung (Erörterungs- und Abstimmungstermin) wird innerhalb eines Monats über den Plan abgestimmt, § 235 Abs. 1 InsO.
Der Termin kann gleichzeitig mit der Einholung der Stellungnahmen zum
vorgelegten Insolvenzplan gem. § 232 InsO anberaumt werden, § 235 Abs. 1 S. 3
InsO.
•
Öffentliche Bekanntmachung des Termins, Ladung der Gläubiger etc., § 235
Abs. 2, 3 InsO. Sind die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner
beteiligten Personen in den Plan einbezogen, sind auch diese Personen zur der
Gläubigerversammlung zu laden, § 235 Abs. 3 S. 3 ff. InsO.
•
Möglichkeit der Verbindung des Erörterungs- und Abstimmungstermins mit dem
Prüfungstermin (Sinn: Einsparung eines Termins, Abhängigkeit des Stimmrechts von
der Forderungsprüfung), § 236 InsO, ggf. gesonderter Abstimmungstermin,
§ 241 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./15
Stimmrecht und Abstimmung
•
§§ 237, 77 InsO: Stimmrecht von Gläubigern mit angemeldeten und nicht
bestrittenen Forderungen, kein Stimmrecht nachrangiger Gläubiger, Stimmrecht
Absonderungsberechtigter, soweit sie auch Insolvenzgläubiger sind (nur für den
Ausfall), daneben Stimmrecht Absonderungsberechtigter bei Eingriff in ihre
Rechtsstellung, § 238 InsO.
•
Das Stimmrecht der Anteilsinhaber des Schuldners bestimmt sich allein nach
deren Beteiligung am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners
(§ 238a Abs. 1 S. 1 InsO). Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder
Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht (§ 238a Abs. 1 S. 2 InsO).
•
Abstimmung in den einzelnen Gruppen gem. § 243 InsO, dabei Kopf- und
Summenmehrheit erforderlich, vgl. § 244 InsO. Notwendigkeit der Zustimmung mit
beiden Mehrheiten (Kopf- und Summenmehrheit) in allen gem. § 222 Abs. 1 InsO
gebildeten Gruppen. Für die Anteilsinhaber des Schuldners tritt – abweichend von
den übrigen Beteiligten – an die Stelle der Summe der Ansprüche die Summe der
Beteiligungen, § 244 Abs. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./16
Obstruktionsverbot
•
•
Auch wenn die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht worden sind, gilt die
Zustimmung einer Gruppe als erteilt, wenn (§ 245 Abs. 1 InsO)
•
die Angehörigen dieser Gruppe voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden,
als sie ohne den Plan stünden, wenn
•
sie angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der
Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll und wenn
•
die Mehrheit der Gruppen zugestimmt hat.
Eine angemessene Beteiligung liegt vor, wenn (neben weiteren Voraussetzungen)
kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der
Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger (vgl.
§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./17
Mehrheiten und Zustimmung
•
Stimmrechtskauf (Geld für Vollmacht oder für bestimmtes Abstimmungsverhalten)
unzulässig, jedenfalls bei verdeckter Vornahme, Versagung Planbestätigung gem.
§ 250 Nr. 2 InsO, wegen unlauterer Herbeiführung der Annahme des Plans.
•
Zulässig dagegen offener Forderungskauf („debt trading“). Zweifelhaft bei
verdecktem Forderungskauf. Gibt sich der neue Gläubiger nicht zu erkennen, wohnt
dem evtl. ein Täuschungsmoment ggü. den übrigen abstimmenden Gläubigern inne.
•
Zur Zustimmung des Schuldners vgl. § 247 InsO (Fiktion, Widerspruch unbeachtlich,
wenn keine Schlechterstellung durch Plan / keine Quoten > 100%).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./18
Gerichtliche Planbestätigung, § 248 InsO (I)
•
Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten gem. §§ 244 ff. InsO
und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Zustimmung durch das
Insolvenzgericht, § 248 Abs. 1 InsO. Die gerichtliche Bestätigung ist zu versagen,
wenn im Plan vorgesehene Bedingungen nicht erfüllt sind oder wesentliche
Verfahrensvorschriften nicht beachtet wurden, §§ 249, 250 InsO.
•
Antrag auf Bestätigungsversagung gem. § 251 InsO (Minderheitenschutz).
Voraussetzungen:
•
•
Widerspruch des antragstellenden Gläubigers im Abstimmungstermin.
•
Voraussichtliche Schlechterstellung dieses Gläubigers durch den Plan.
„Salvatorische Entschädigungsklausel“:
•
Ein Antrag auf Bestätigungsversagung ist abzuweisen, wenn der Plan Mittel
vorsieht für den Fall, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist (vgl.
§ 251 Abs. 3 InsO).
•
Ob der Gläubiger einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb des
Insolvenzverfahrens zu klären (§ 251 Abs. 3 S. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./19
Gerichtliche Planbestätigung, § 248 InsO (II)
•
Planbestätigung erfolgt durch Beschluss des Insolvenzgerichts, § 252 InsO.
•
Vorherige Anhörung von Insolvenzverwalter, Schuldner und ggf. Gläubigerausschuss.
•
Sofortige Beschwerde für Schuldner und Insolvenzgläubiger gegen die Bestätigung
bzw. Versagung der Bestätigung, § 253 InsO. Ausnahme: „Salvatorische
Entschädigungsklausel“, §§ 251 Abs. 3, 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO.
•
Erfordernis der gerichtlichen Bestätigung einer Planberichtigung, § 248a InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./20
Wirkung der Planbestätigung (I)
•
Ist ein Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt, so treten die im gestaltenden Teil
festgelegten Wirkungen (Rechtsänderungen) für und gegen alle Beteiligten ein,
§ 254 Abs. 1 InsO.
•
Willenserklärungen im Plan gelten als abgegeben (ggf. jedoch noch Registerumschreibungen erforderlich), § 254a Abs. 1 InsO.
•
Wenn die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten
Personen in den Plan einbezogen sind (§ 225a InsO), gelten die in den Plan
aufgenommenen Beschlüsse der Anteilsinhaber oder sonstigen Willenserklärungen
der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben.
•
Gesellschaftsrechtlich erforderliche Maßnahmen (z.B. Ladungen, Bekanntmachungen) gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt, vgl. § 254a Abs. 2
InsO.
•
Die Haftung von Mitschuldnern und Bürgen wird durch den Insolvenzplan nicht
geändert bzw. beseitigt, § 254 Abs. 2 InsO.
•
Die Planwirkungen erfassen auch Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht
angemeldet haben und solche Beteiligte, die dem Plan widersprochen haben,
vgl. § 254b InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./21
Wirkung der Planbestätigung (II)
•
´Wiederauflebensklausel, § 255 Abs. 1 S. 1 InsO: Sind auf Grund des gestaltenden
Teils des Insolvenzplans Forderungen von Insolvenzgläubigern gestundet oder
teilweise erlassen worden, so wird die Stundung oder der Erlass für den Gläubiger
hinfällig, gegenüber dem der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich in
Rückstand gerät.
•
Ein erheblicher Rückstand ist erst anzunehmen, wenn der Schuldner eine fällige
Verbindlichkeit nicht bezahlt hat, obwohl der Gläubiger ihn schriftlich gemahnt und
ihm dabei eine mindestens zweiwöchige Nachfrist gesetzt hat (§ 255 Abs. 1 S. 2
InsO).
•
Die Wiederauflebensklausel ist disponibel, allerdings kann sie nicht zu Lasten des
Schuldners geändert werden (§ 255 Abs. 3 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./22
Wirkung der Planbestätigung (III)
•
Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Rechtskraft der Planbestätigung durch
gesonderten Beschluss, § 258 InsO.
•
Zunächst hat der Insolvenzverwalter unstreitige Masseansprüche zu berichtigen
(Sicherheitsleistung bei streitigen Masseansprüchen), anschließend wird das
Insolvenzverfahren gem. § 258 Abs. 1 InsO nach Rechtskraft der Planbestätigung aufgehoben. Für die nicht fälligen Masseansprüche kann auch ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich ergibt, dass ihre Erfüllung gewährleistet ist
(vgl. § 258 Abs. 2 InsO).
•
Mit der Aufhebung enden die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder
des Gläubigerausschusses, das Verwaltungs- und Verfügungsrecht fällt an den
Schuldner zurück, vgl. § 259 Abs. 1 InsO.
•
Die Gläubiger können aus dem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan in Verbindung
mit der Eintragung in die Tabelle die Zwangsvollstreckung betreiben.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./23
Planüberwachung
•
Der Insolvenzplan kann vorsehen, dass die Planerfüllung überwacht wird,
§ 260 Abs. 1 InsO. Dies ist Aufgabe des Insolvenzverwalters, dessen Amt neben
dem des Gläubigerausschusses zu diesem Zweck fortbesteht, § 261 InsO (siehe
hierzu Lissner, ZInsO 2012, 1452 ff.).
•
Bei Verstößen gegen die Planerfüllung Anzeigepflicht des überwachenden
Insolvenzverwalters gem. § 262 InsO (dann ggf. neuer Eröffnungsantrag).
•
Aufhebung der Überwachung, soweit alle Ansprüche erfüllt sind bzw. seit
Aufhebung des Insolvenzverfahrens 3 Jahre verstrichen sind, ohne dass ein neuer
Eröffnungsantrag gestellt wurde, § 268 InsO.
•
Zu den Überwachungskosten vgl. § 269 InsO (Kostentragung durch den
Schuldner).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./24
Eigenverwaltung, §§ 270 ff. InsO (I)
•
Vorbild: „debtor in possession“, Chapter 11 US Bankruptcy Code.
•
Zum Schutz der Insolvenzmasse und der Insolvenzgläubiger verliert der Schuldner
mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig seine Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis an den Insolvenzverwalter, § 80 InsO (zur Sicherung bereits
im Insolvenzeröffnungsverfahren vgl. §§ 21, 22 InsO: Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis ggf. auf den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter).
•
Bei der Eigenverwaltung bleibt der Geschäftsführer „Herr des Verfahrens“ und ist
nicht auf die Zustimmung eines Insolvenzverwalters angewiesen (à kein
„Kontrollverlust“). Anstatt eines Insolvenzverwalters bestellt das Insolvenzgericht
einen Sachwalter als Aufsichtsperson.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./25
Eigenverwaltung §§ 270 ff. InsO (II)
Vorteile:
•
Vermeidung von Kostenbeiträgen bei der Feststellung von Sicherungsgut
(§ 282 InsO); nur tatsächliche Verwertungskosten.
•
Kostenvorteil auch aufgrund gegenüber Insolvenzverwaltervergütung geringerer
Vergütung des Sachwalters.
•
Nutzung von Unternehmens- und Branchenkenntnis des Schuldners.
Risiken:
•
Risiken: „Verschiebung“ von Massegegenständen, Gläubigerbegünstigungen.
Ú Sinnvoll ist Eigenverwaltung nur bei unzweifelhafter Vertrauenswürdigkeit des
schuldnerischen Managements.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./26
Voraussetzungen der Eigenverwaltung
•
Antrag des Schuldners (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO) und
•
keine Nachteile der Anordnung der Eigenverwaltung für die Gläubiger (gem.
§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO).
•
Weitere Voraussetzungen (§ 270 Abs. 3 InsO):
„Vor der Entscheidung über den Antrag [auf Anordnung der Eigenverw altung] ist
dem vorläufigen G läubigerausschuss G elegenheit zur Äußerung zu geben, w enn
dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Verm ögenslage
des Schuldners führt. Wird der Antrag von einem einstimmigen Beschluss
des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so gilt die Anordnung
nicht als nachteilig für die Gläubiger.“
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./27
Anstelle des Insolvenzverwalters:
Sachwalter, § 274 InsO
•
Der Schuldner behält seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, soweit
Eigenverwaltung angeordnet ist (§ 270 Abs. 1 S. 1 InsO).
•
Sicherung der Insolvenzmasse mittels Überwachung des Schuldners durch den
Sachwalter (Prüfung der wirtschaftlichen Lage und der Geschäftsführung,
§ 274 Abs. 2 InsO).
•
Rechtsstellung des Sachwalters: Bestellung und Aufsicht durch das Insolvenzgericht, Haftung und Vergütung ähnlich einem Insolvenzverwalter, vgl. § 274
Abs. 1 InsO.
•
Anzeigepflicht des Sachwalters gegenüber dem Insolvenzgericht und dem
Gläubigerausschuss bzw. der Gläubigerversammlung bei Anhaltspunkten von
Nachteilen für die Gläubiger aufgrund der Eigenverwaltung.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./28
Kompetenzen von Sachwalter und Schuldner bei
Eigenverwaltung (I)
•
•
Der Schuldner verwaltet und verwertet die Insolvenzmasse (auch Sicherungsgut,
§ 282 InsO) selbst, § 270 Abs. 1 S. 1 InsO. Hieraus folgt:
•
Aufstellung der Verzeichnisse (Masse-, Gläubiger-, Vermögen-) durch den
Schuldner, § 281 Abs. 1 InsO.
•
Wahlrechtsausübung bei gegenseitigen Verträgen (§§ 103 bis 128 InsO) durch
den Schuldner.
•
Berichterstattung im Berichtstermin gegenüber den Gläubigern durch den
Schuldner, § 281 Abs. 2 S. 1 InsO (Sachwalter nimmt Stellung, § 281 Abs. 2
S. 2 InsO).
•
Widerspruchsrecht des Schuldners als Eigenverwalter im Forderungsprüfungstermin (Feststellungsverfahren, §§ 178 ff. InsO).
Das Schuldnerhandeln ist am Zweck des Insolvenzverfahrens auszurichten
(Gläubigerbefriedigung als Leitbild, zumeist Liquidation).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./29
Kompetenzen von Sachwalter und Schuldner bei
Eigenverwaltung (II)
•
Die Befugnisse des Sachwalters sind gegenüber denjenigen des Insolvenzverwalters
deutlich eingeschränkt. Befugnisse sind insbesondere:
•
Insolvenzanfechtung durch den Sachwalter, § 280 InsO.
•
Geltendmachung der Haftung bei Gesamtschäden und der persönlichen
Gesellschafterhaftung, § 280 i.V.m. §§ 92, 93 InsO.
•
Widerspruchsrecht im Prüfungstermin, § 283 Abs. 1 S. 1 InsO.
•
Der Schuldner soll nur mit Zustimmung des Sachwalters Verbindlichkeiten
außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs eingehen, § 275 Abs. 1
S. 1 InsO (bei Verstoß evtl. Aufhebung der Eigenverwaltung).
•
Bei Verbindlichkeiten im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs hat der
Sachwalter ein Widerspruchsrecht, § 275 Abs. 1 S. 2 InsO.
•
Der Sachwalter kann verlangen, dass Gelder von ihm entgegenzunehmen und
Zahlungen an ihn zu richten sind, § 275 Abs. 2 InsO („Kassenführung“).
•
§ 276 InsO enthält das Zustimmungserfordernis des Gläubigerausschusses
bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./30
Kompetenzen von Sachwalter und Schuldner bei
Eigenverwaltung (III)
•
Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe haben
keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners (§ 276a S. 1 InsO).
•
Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nur
wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt (§ 276a S. 2 InsO).
•
Das Insolvenzgericht kann Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Sachwalters
auf Antrag der Gläubigerversammlung anordnen, vgl. § 277 InsO.
•
Der Sachwalter hat Prüfungs- und Betretungsrechte. Insbesondere hat er die
Verteilungen von Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger, die vom Schuldner
vorzunehmen sind, zu prüfen, vgl. § 283 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 X./31
Nachträgliche Anordnung und Aufhebung
der Eigenverwaltung
•
Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 272 InsO erfolgt bei:
•
Antrag der Gläubigerversammlung mit der in § 76 Abs. 2 genannten Mehrheit
und der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
•
Antrag des Schuldners.
•
Antrag eines Absonderungsberechtigten oder eines Insolvenzgläubigers,
wenn die Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO weggefallen ist und dem
Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen,
§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Glaubhaftmachung, Anhörung des Schuldners, vgl.
§ 272 Abs. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
XI. Restschuldbefreiung und besondere Verfahren
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Streit, München
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./2
Nachforderungsrecht und Restschuldbefreiung
•
Grundsatz: Freies Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger nach
Verfahrensaufhebung, § 201 Abs. 1 InsO (Tabelleneintrag = Vollstreckungstitel,
§ 201 Abs. 2 InsO).
•
Ausnahme: Restschuldbefreiung, vgl. § 201 Abs. 3 InsO.
•
Umfangreiche Spezialregelungen zur Restschuldbefreiung für natürliche Personen
in §§ 286 ff. InsO.
•
Alternative: Insolvenzplan gem. §§ 217 ff. InsO (nach Streichung des § 312 InsO
a.F. auch auf Verbraucher anwendbar).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./3
Gründe für die gesetzliche Regelung der
Restschuldbefreiung
Die Restschuldbefreiung soll die „soziale Komponente“ des neuen Insolvenzrechts
sein, vgl. § 1 S. 2 InsO:
„Dem redlichen S chuldner w ird G elegenheit gegeben, sich von seinen restlichen
Verbindlichkeiten zu befreien. “
•
Vorbild: „Discharge“ gem. Chapter 13 US-Bankruptcy Code mit Ermöglichung
eines „Fresh Start“ für Unternehmer und Verbraucher.
•
Vergleichbare Vorschriften in zahlreichen Rechtsordnungen (bes. GB, F, IR).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./4
Gründe für die gesetzliche Regelung der
Restschuldbefreiung
•
Ziel der §§ 286 ff. InsO: Vermeidung des Abdriftens überschuldeter Personen in die
Illegalität. Möglichkeit für redliche Schuldner, legal dem Leben an der Pfändbarkeitsgrenze zu entgehen, Minderung von Arbeitslosigkeit, Erhöhung von Sozialversicherungseinnahmen, Zurückdrängung von Schwarzarbeit, soziale Gerechtigkeit.
•
Beseitigung von Ungleichheiten:
•
Freie Nachforderung bei juristischen Personen formell gegeben, praktisch
Auflösung und Löschung (vgl. z.B. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1
Nr. 4 GmbHG, § 394 Abs. 1 S. 2 FamFG).
•
demgegenüber ohne Restschuldbefreiung „lebenslange Schuldknechtschaft“
bei gescheiterten Unternehmungen von Personengesellschaften (Ausnahme
GmbH & Co. KG, AG & Co. KG etc.) und Einzelkaufleuten.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./5
Restschuldbefreiung, Voraussetzungen (I)
•
Eröffnung des Insolvenzverfahrens (keine Restschuldbefreiung bei Abweisung des
Insolvenzeröffnungsantrags mangels Masse gem. § 26 InsO).
•
Eröffnungsmöglichkeit auch bei Massearmut durch Kostenstundung gem.
§ 4a InsO (auch zur Verhinderung von Massearmut nach Verfahrenseröffnung), bei
Masseunzulänglichkeit ist Restschuldbefreiung möglich, vgl. § 289 InsO.
•
Persönliche Voraussetzung: Restschuldbefreiung steht nur natürlichen Personen
offen, § 286 InsO.
•
Bei Gesellschaften/juristischen Personen: Haftungsbefreiung eventuell über
Insolvenzplan, § 227 InsO, ansonsten Liquidation und Löschung.
à § 227 Abs. 1 InsO: Ist nichts anderes im Plan bestimmt, so wird der Schuldner mit
der im gestaltenden Teil des Plans vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von den übrigen Verbindlichkeiten befreit, ebenso gem. Abs. 2 bei
Personengesellschaften bzgl. der Haftung der Gesellschafter (§§ 128, 161 Abs. 2
HGB, akzessorische Gesellschafterhaftung bei der GbR).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./6
Restschuldbefreiung, Voraussetzungen (II)
•
Fristgemäßer Schuldnerantrag auf Restschuldbefreiung (bei Eigenantrag
frühestens mit Antragstellung, spätestens zwei Wochen nach Belehrung über
Möglichkeit der Restschuldbefreiung, die mit Antragstellung erteilt werden soll,
vgl. §§ 20 Abs. 2, 287 Abs. 1 S. 2 InsO).
•
Dem Antrag ist eine Erklärung des Schuldners beizufügen, dass kein Versagungsgrund nach § 287a Abs. 2 S. 1 InsO vorliegt (vorherige Versagung der Restschuldbefreiung), § 287 Abs. 1 S. 3 InsO.
•
Dem Antrag beizufügende Abtretungserklärung bzgl. der pfändbaren Bezüge aus
Dienstverhältnissen (bzw. Äquivalent bei Selbständigkeit), vgl. § 287 Abs. 2 InsO.
•
Abtretungsempfänger: Treuhänder.
•
Dauer: sechs Jahre.
•
Zweck: Primäres Mittel der Massemehrung, da Lohn/Gehalt bei natürlichen
Personen die typische Einnahmequelle ist.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./7
Abtretung der pfändbaren Bezüge,
§ 287 Abs. 2 InsO (I)
•
Laufzeit der Abtretungserklärung: 6 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 287 Abs. 2 InsO.
•
Abtretungsempfänger: Treuhänder, Vorschlagsrecht § 288 InsO (Schuldner und
Gläubiger), Rechtsstellung: § 292 InsO (Aufgabe: informiert Drittschuldner =
Arbeitgeber, „sammelt Gelder“ ein und kehrt diese an die Insolvenzgläubiger aus,
ggf. Überwachung der Erfüllung der Schuldnerobliegenheiten).
•
Während der Wohlverhaltensperiode vereinnahmt der Treuhänder (geeignete
Person, z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater, Schuldnerberater etc.) die pfändbaren
Bezüge (Arbeitseinkommen bzw. Äquivalent bei Selbstständigkeit) und darüber
hinaus gehende Zahlungen an den Schuldner (z.B. den hälftigen Wert von
Erbschaften, vgl. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./8
Abtretung der pfändbaren Bezüge,
§ 287 Abs. 2 InsO (II)
•
Vorausabtretungen des Schuldners, sind unwirksam, soweit sie die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO vereiteln oder beeinträchtigen würden, § 287
Abs. 3 InsO.
•
Schutz der Zahlungen gem. § 294 InsO aufgrund der Abtretungserklärung:
•
•
Keine Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der
Laufzeit der Abtretungserklärung, § 294 Abs. 1 InsO.
•
Keine Aufrechnung gegen die Forderung auf Bezüge, § 294 Abs. 3 InsO.
Ausnahme § 300a InsO:
•
Nicht zur Insolvenzmasse gehört Neuerwerb nach Erteilung der Restschuldbefreiung oder Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 S. 2 InsO
(vorzeitige Erteilung).
•
Rückausnahme: Erwerb durch Verwertungs- und Anfechtungshandlungen des
Insolvenzverwalters.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./9
Entscheidung des Insolvenzgerichts, § 287a InsO (I)
•
•
Das Insolvenzgericht stellt durch Beschluss gem. § 287a Abs. 1 InsO fest, dass der
Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn
•
der Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig ist,
•
der Schuldner seine Obliegenheiten nach § 295 InsO erfüllt und
•
keine Versagungsgründe nach den §§ 290, 297 bis 298 InsO vorliegen.
Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde des Schuldners (§ 287a Abs. 1. S. 3 InsO, § 6
InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./10
Entscheidung des Insolvenzgerichts, § 287a InsO (II)
•
Zweck: Frühzeitige Klarheit über die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung, da
wesentliche Versagungsgründe bereits nach § 287a Abs. 2 InsO zu Beginn des
Verfahrens zur Unzulässigkeit des Antrags führen.
•
Unzulässigkeitsgründe (die Fristen sind abgestuft nach der Bedeutung für den
Schuldner und die Gläubigergemeinschaft) gem. § 287a Abs. 2 InsO:
•
Erteilung einer Restschuldbefreiung in den letzten zehn Jahre (keine dauernde
Wiederholung der Restschuldbefreiung).
•
Verweigerung der Restschuldbefreiung in den letzten fünf Jahren wegen einer
Insolvenzstraftat nach § 297 InsO (Sperre für „unredliche“ Schuldner).
•
Verweigerung der Restschuldbefreiung wegen einer Verletzung bestimmter
Obliegenheiten in den letzten drei Jahren (Sperre für „unredliche“ Schuldner).
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Versagung der Restschuldbefreiung, § 290 InsO (I)
Versagung der Restschuldbefreiung, § 290 InsO u.a. in folgenden Fällen:
•
Rechtskräftige Verurteilung wegen Insolvenzstraftaten (Abs. 1 Nr. 1):
•
Nur §§ 283 bis 283c StGB; auch ohne Zusammenhang mit dem konkreten
Insolvenzverfahren; nicht erfasst ist Insolvenzverschleppung gem.
§ 15a Abs. 4, 5 InsO (BGH, Beschl. v. 26.06.2014 – IX ZB 80/13, NZI 2014, 817).
•
Überschreitung der Mindestgrenze: mehr als 90 Tagessätze oder 3 Monate
Freiheitsstrafe (Orientierung an den Regelungen des BZRG).
•
Vorsätzliche / grob fahrlässige falsche schriftliche Angaben des Schuldners in den
letzten drei Jahren zur Kredit-/Leistungserlangung (unredlicher Schuldner, der den
Neustart nicht „verdient“ hat).
•
Gläubigerschädigung durch Verschwendung und Verfahrensverzögerung.
•
Verletzung von Mitwirkungspflichten.
•
Falsche Angaben gem. §§ 287 Abs. 1 S. 3, 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./12
Versagung der Restschuldbefreiung, § 290 InsO (II)
•
Schuldhafte Verletzung der Erwerbsobliegenheit gem. § 287b InsO (Zweck:
frühzeitige Masseanreicherung durch die typische Einnahmequelle natürlicher
Personen aus Lohn/Gehalt bzw. selbständiger Tätigkeit, Beweislast für fehlendes
Verschulden liegt beim Insolvenzschuldner).
•
Formalia:
•
Antrag eines Insolvenzgläubigers.
•
Zeitpunkt: Spätestens bis zum Schlusstermin oder der Entscheidung gem.
§ 211 Abs. 1 InsO.
•
Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes notwendig.
•
Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde des Schuldners und jedes antragstellenden Insolvenzgläubigers, § 290 Abs. 3 S. 1 InsO.
•
Überwachung der Obliegenheitserfüllung des Schuldners durch Treuhänder
im Auftrag der Gläubigerversammlung bei entsprechender Vergütung, § 292
Abs. 2 InsO.
•
Bei nachträglichem Bekanntwerden binnen sechs Monaten Versagungsmöglichkeit nach § 297a InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./13
Verletzung einer Obliegenheit, §§ 295, 296 InsO
•
Formalia:
•
Antrag eines Insolvenzgläubigers.
•
Frist: 1 Jahr ab Kenntnis des Antragstellers.
•
Glaubhaftmachung erforderlich.
•
Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde des Antragstellers und des Schuldners
•
Obliegenheiten zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und Ende der
Abtretungsfrist gem. § 295 InsO u.a.:
•
Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit (Ergänzung zu § 287b InsO)
bzw. bei einer selbständigen Tätigkeit Abführung von Beträgen, die einem
angemessenen Dienstverhältnis entsprechen.
•
Herausgabe von (vorweggenommenen) Erbschaften zur Hälfte ihres Wertes
•
Auskunfts- und Mitteilungspflichten.
•
Keine Sondervorteile für einzelne Insolvenzgläubiger (par conditio creditorum).
•
Schuldhafte Obliegenheitsverletzung des Schuldners.
•
Rechtsfolge: Versagung der Restschuldbefreiung (§§ 296 Abs. 1, § 300 Abs. 2
InsO), Widerruf der bereits erteilten Restschuldbefreiung (§ 303 Abs. 1 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./14
Entscheidung über die Restschuldbefreiung,
§ 300 InsO
•
•
Erteilung der Restschuldbefreiung durch das Gericht nach Anhörung der
Beteiligten, wenn
•
Abtretungsfrist von sechs Jahren (§ 287 Abs. 2 InsO) verstrichen ist.
•
Bei Tilgung der Verfahrenskosten Verkürzung möglich, wenn
•
keine Forderungen angemeldet sind (sofortige Entscheidung),
•
die Verfahrenskosten gedeckt sind und fünf Jahre verstrichen sind
(Verkürzung um ein Jahr),
•
eine Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger von 35 % binnen drei
Jahren erreicht ist (Erteilung der Restschuldbefreiung nach drei Jahren
möglich) (vgl. § 300 Abs. 1 S. 2 InsO).
Versagung der Restschuldbefreiung, u.a. wenn die Voraussetzungen der
§§ 290 Abs. 1, 296, 297 f. InsO vorliegen („unredlicher Schuldner“).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./15
Probleme der vorzeitigen Restschuldbefreiung (I)
•
Befriedigungsquote von 35 % angemessen?
•
Befriedigungsquote von 35 % de facto nur von „reichen“ Schuldnern mit gutem
Einkommen oder noch vorhandenem Vermögen bzw. „wohlhabenden Sponsoren“
erreichbar.
•
Verkürzungsoption sinnvoll? Der gutverdienende Schuldner (Hauptprofiteure
dieser Regelung) kann gerade nach längerer wirtschaftlicher Tätigkeit eine höhere
Quote erreichen. Warum soll ausgerechnet dieser Schuldner eine Verkürzung zu
Lasten der Gläubiger erhalten?
•
Notwendige Zahlungsquote wegen Verfahrenskosten deutlich höher als 35 %.
(Berechnungsbeispiel bei Schmerbach, NZI 2014, 554)
•
Im Einzelfall kann ein Insolvenzplan vorzugswürdig sein.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./16
Probleme der vorzeitigen Restschuldbefreiung (II)
•
Pflicht zur Offenlegung des Vermögenserwerbs (§ 300 Abs. 2 S. 1 InsO),
Folgeproblem: Herkunft der Gelder?
•
Einbeziehung des sozialen Umfelds des Schuldners, um die Quote zu erreichen
(Darlehen oder Schenkung durch „Erbtante“). Ggf. unzulässiger sozialer Druck auf
Verwandte und Freunde des Schuldners.
•
Zeitpunkt, zu dem die 35 % erreicht sein müssen: nach drei Jahren oder genügt
auch die spätere Erreichung mit daran anschließender sofortiger Restschuldbefreiung? (Str.)
•
Zeitpunkt, zu dem die Forderungen feststehen müssen, auf deren Basis die 35 %
berechnet werden. Problem:
•
Liefe die Drei-Jahresfrist des § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO vor dem Schlusstermin
des Insolvenzverfahrens ab (häufig bei langlaufenden Anfechtungsprozessen),
könnten noch Forderungen nachgemeldet werden (vgl. § 177 InsO),
•
der Schuldner wüsste aber nicht, auf welcher Basis er die 35 % berechnen und
erbringen soll (wichtig insbes. bei Zuwendungen Dritter, die ansonsten völlig
verloren wären, wenn nicht mit einer weiteren Zahlung „nachgebessert“ werden
kann).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./17
Wirkung der Restschuldbefreiung, § 301 InsO (I)
•
Forderungen der Insolvenzgläubiger verlieren ihre Erfüllbarkeit, vgl. § 301
Abs. 1, 3 InsO (Naturalobligationen).
•
Auch nicht angemeldete Insolvenzforderungen werden von der Restschuldbefreiung erfasst, vgl. § 301 Abs. 1 S. 2 InsO.
•
Auch Regressforderungen von Bürgen und Mitschuldnern etc. erlöschen, § 301
Abs. 2 S. 2 InsO, während Mitschuldner und Bürgen den Gläubigern weiterhin haften,
§ 301 Abs. 2 S. 1 InsO (wichtig insbes. für akzessorische Sicherheiten).
•
Gegen Vollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern (vollstreckbare Ausfertigungen der Insolvenztabelle gem. § 201 Abs. 2 InsO) ist die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO das richtige Rechtsmittel des Schuldners (Wirkung
des § 301 InsO ist neue Einwendung gegen den titulierten Anspruch).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./18
Wirkung der Restschuldbefreiung, § 301 InsO (II)
Nicht von der Restschuldbefreiung erfasst sind Forderungen gem. § 302 InsO.
•
Sog. „Attributsklage“ auf Feststellung des Schuldgrunds der vorsätzlichen
unerlaubten Handlung (möglichst schon im Rahmen der gerichtlichen Titulierung als
zusätzlicher Feststellungsantrag. Wegen § 302 Nr. 1 InsO und § 850f Abs. 2 ZPO
liegt ein Feststellungsinteresse vor).
•
Alternativ: Anmeldung der Forderung zur Tabelle unter entsprechender Angabe des
Schuldgrundes gem. § 174 Abs. 2 InsO. Nachmeldung des Charakters aus
vorsätzlich unerlaubter Handlung bis zum Ende der Abtretungserklärung möglich
(BGH NJW 2013, 3300).
•
Steuerschulden im Zusammenhang mit einer (rechtskräftigen) Steuerstraftat.
•
Geldstrafen und die in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten
(Schuldner soll die Wirkung „persönlich spüren“, diese Verbindlichkeiten sind gem.
§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangig, so dass während des Verfahrens typischerweise
keine Zahlungen erfolgen).
•
Darlehen zur Begleichung der Verfahrenskosten (Schuldner soll zurückzahlen,
was der Staat ihm vorgestreckt hat, damit die Allgemeinheit nicht auch die Kosten
des Restschuldbefreiungsverfahrens zu tragen hat).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./19
Widerruf der Restschuldbefreiung, § 303 InsO
•
Zweck: Durchbrechung der Rechtskraft einer fehlerhaft erteilten
Restschuldbefreiung
•
Formalia:
•
•
Antrag eines Gläubigers.
•
Frist: 1 Jahr (Abs. 1 Nr. 1 u. 2) bzw. sechs Monate (Abs. 1 Nr. 3 InsO).
•
Glaubhaftmachung des Widerrufsgrunds und seiner Unkenntnis bis zur
Rechtskraft der Erteilung (Grund: Gläubiger hätte Rechtsmittel nutzen können).
Widerrufsgründe:
•
Vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheiten und
Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung
•
Rechtskräftige Verurteilung i.S.d. § 297 InsO erfolgt oder binnen der Jahresfrist
zu erwarten.
•
Vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Mitwirkungs- und
Auskunftspflichten.
•
Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde des Antragstellers und des Schuldners.
•
Rechtsfolge: Rückwirkende Beseitigung der Restschuldbefreiung, Vollstreckung aus
Titel wieder möglich (beachte v.a. § 201 Abs. 2 InsO).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./20
„Verbraucherinsolvenzverfahren“
§§ 304 ff. InsO sehen ein vereinfachtes Insolvenzverfahren (mit zwei Vorstufen) vor:
• Gesetzliche Bezeichnung Verbraucherinsolvenzverfahren ist missverständlich, vgl.
§ 304 Abs. 1 S. 2 InsO (vereinfachtes Verfahren auch bei selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit wenn wirtschaftliche Verhältnisse überschaubar und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen).
• §§ 304 ff. InsO sind zwingend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen gem.
§ 304 vorliegen:
1. Natürliche Person und
2.a) Keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit
oder (anstelle von 2.a) bei vorheriger selbständiger Tätigkeit:
2.b) (1) Vermögensverhältnisse überschaubar (weniger als 20 Gläubiger) und
(2) keine Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./21
Ablauf des „Verbraucherinsolvenzverfahrens“ (I)
Mit dem Eröffnungsantrag hat der Schuldner gem. § 305 Abs. 1 InsO eine Bescheinigung über einen erfolglosen außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern und einen Plan für eine gerichtliche Schuldenbereinigung vorzulegen (Formulare für
den Antrag gem. § 305 Abs. 5 InsO i.V.m. VbrInsVV). Daraus ergeben sich zwei Vorstufen des „Verbraucherinsolvenzverfahrens“, die dessen Notwendigkeit möglichst
vermeiden sollen:
1. Schuldenbereinigungsversuch (§§ 304, 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO, außergerichtlich
und vor Schuldnerantrag, § 305 Abs. 1 InsO bzw. Gläubigerantrag,
§ 306 Abs. 3 InsO)
2. Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren, § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Bis zur
Entscheidung ruht das Verfahren über den Eröffnungsantrag gem. § 306 Abs. 1 InsO
(Dauer: möglichst nicht über 3 Monate).
•
§ 307 InsO: Zustellung des Schuldenbereinigungsplans nebst Vermögensübersicht an die Gläubiger (Notfrist: 1 Monat für Stellungnahme).
•
§ 308 InsO: Annahmefiktion soweit keine Einwendungen erfolgen, Wirkung: wie
Vergleich gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, Fiktion bzgl. Rücknahme des Eröffnungsantrags und Restschuldbefreiungsantrags.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./22
Ablauf des „Verbraucherinsolvenzverfahrens“ (II)
Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren (Forts.):
•
§ 309 InsO: Zustimmungsersetzung auf Gläubiger- oder Schuldnerantrag bei
gegebenen Einwendungen wenn Kopf- und Summenmehrheit zustimmender
Gläubiger.
•
Keine Zustimmungsersetzung bei Schlechterstellung des widersprechenden
Gläubigers gegenüber den übrigen Gläubigern oder gegenüber der Situation bei
Durchführung des Insolvenzverfahrens mit Restschuldbefreiung. Vgl. die geplante
zweite Stufe der Insolvenzrechtsreform: Danach ggfs. Ersetzung der Zustimmung
ablehnender Gläubiger durch Insolvenzgericht.
Ú Gläubigerwiderspruch daher regelmäßig sinnvoll, wenn weniger als
pfändungsfreies Einkommen für 6 Jahre verteilt wird.
•
Zulässigkeit sogenannter „Nullpläne“.
•
Nicht durch Zustimmung ersetzte Einwendungen gegen den Schuldenbereinigungsplan führen gem. § 311 InsO zur Wiederaufnahme des Verfahrens über den
Insolvenzeröffnungsantrag.
Alternative zum Schuldenbereinigungsverfahren: Insolvenzplan auch für Verbraucher
(Streichung des § 312 InsO a.F., der diese Verfahrensart ausschloss).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./23
Nachlassinsolvenzverfahren, §§ 315 ff. InsO (I)
Sonderinsolvenzverfahren (Partikularinsolvenzverfahren) über bestimmte
Vermögensmasse:
•
Ziel: Beschränkte Erbenhaftung, vgl. §§ 1975, 2013 BGB, Gleichbehandlung der
Nachlassgläubiger.
•
Antragsfrist: Gem. § 319 InsO 2 Jahre (für Nachlassgläubiger).
•
Insolvenzgrund: Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, § 320 S. 1 InsO
(drohende Zahlungsunfähigkeit bei Insolvenzantrag des Erben, Nachlasspflegers
etc.).
•
Bei bloßer Zahlungsunfähigkeit ohne Überschuldung (reine Illiquidität trotz
ausreichender Vermögenswerte) ist Nachlassverwaltung gem. § 1975 BGB
möglich.
•
Antragsberechtigung gem. § 317 InsO: Erbe, Nachlassverwalter, Nachlasspfleger, Testamentsvollstrecker, Nachlassgläubiger.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./24
Nachlassinsolvenzverfahren, §§ 315 ff. InsO (II)
•
Erweiterung der Masseverbindlichkeiten gem. § 324 InsO auf die durch den
Erbfall erforderlich gewordenen Aufwendungen (z.B. Kosten der Beerdigung, vgl.
§ 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
•
Insolvenzforderungen sind alle Nachlassverbindlichkeiten, vgl. § 325 InsO, zur
Nachrangigkeit vgl. § 327 InsO (alle Forderungen die gegen den Erblasser selbst
nicht eingeklagt werden können, z.B. Ansprüche aus Pflichtteilen, Vermächtnissen
und Auflagen).
Ú Letztlich führt das Nachlassinsolvenzverfahren zur Trennung von Nachlass
(Insolvenzmasse) und Eigenvermögen des Erben sowie Nachlassgläubigern und
Eigengläubigern des Erben.
Ú Ansprüche des Erben gegen den Erblasser leben bei Insolvenzeröffnung
wieder auf, § 1976 BGB, vgl. § 326 InsO (keine Schlechterstellung des Erben).
•
Zur Doppelinsolvenz des Erben und des Nachlasses vgl. § 331 InsO Nachlassgläubiger, denen der Erbe auch unbeschränkt haftet, sind absonderungsberechtigt).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XI./25
Insolvenzverfahren über Gesamtgut, §§ 332 ff. InsO
•
Bei fortgesetzter Gütergemeinschaft (§§ 1483 ff. BGB) kann der überlebende
Gatte seine persönliche Haftung wegen Gesamtgutsverbindlichkeiten nach § 1489
Abs. 1 und 2 BGB auf das Gesamtgut beschränken. Es ergibt sich dann ein Insolvenzverfahren über eine Sondermasse (sog. Partikularinsolvenzverfahren).
§ 332 InsO verweist insoweit auf §§ 315 ff. InsO.
•
Bei Gütergemeinschaft hat das Gesamtgut beider Ehegatten (Gesamthandsgemeinschaft), das durch einen oder beide Gatten gemeinschaftlich verwaltet wird
(§§ 1421 ff. BGB, 1450 ff. BGB) eine Sonderstellung:
•
Es fällt nur in die Insolvenzmasse des Ehegatten, der das Gesamtgut allein
verwaltet.
•
Verwalten beide Gatten das Gesamtgut, fällt es nicht in die Insolvenzmasse
des jeweils insolventen Ehegatten.
•
Zum Ausgleich gibt es für die Gesamtgutsgläubiger im Sinne von §§ 1459 ff.
BGB ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesamtgut als Sondermasse,
vgl. § 333 f. InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./1
Universität Mannheim
Fakultät für Rechtswissenschaft
Vorlesung Insolvenz und Sanierung
XII. Internationales Insolvenzrecht
Frühjahrssemester 2016
Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen
Vortrag.
Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./2
Gegenstand des Internationalen Insolvenzrechts (I)
Das Internationale Insolvenzrecht trifft nationale und internationale Regelungen zu den
Rechtswirkungen, die ein in einem Land eröffnetes Insolvenzverfahren in einem anderen
Land auslöst. Dabei stellen sich u.a. folgende Fragen:
1. Welches Recht ist anwendbar?
2. Welche formale Wirkungen hat die ausländische Insolvenzeröffnung im Inland?
3. Welche formale Wirkungen hat die inländische Insolvenzeröffnung im
Ausland?
Beispielsfall: Insolvenzverfahren über das Vermögen des FlowTex-Haupttäters Manfred
Schmider (M.S.) in Deutschland (Insolvenzgericht Karlsruhe). Kurz vor Verhaftung und
Stellung des Eröffnungsantrages „verschenkt“ M.S. wertvolle Vermögensgegenstände in
Spanien an einen Schweizer Treuhänder.
Welche Fragen stellen sich hier?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./3
Gegenstand des Internationalen Insolvenzrechts (II)
Überlegungen zum Beispielsfall:
•
Welches Gericht ist für diesen Fall zuständig?
•
Materiell-rechtlich stellt sich (u.a.) die Frage der Anfechtbarkeit der Transaktion.
•
•
Nach welchem Recht kann der Insolvenzverwalter die Transaktion anfechten?
•
Kann sich der Treuhänder unter Berufung auf der für ihn „üblicherweise“ geltenden Rechtsordnung verteidigen?
Bedeutsame IPR-Vorfrage: Nach welchem Recht ist die Frage der Anfechtbarkeit zu
prüfen?
•
Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde:
Insolvenzstatut
oder
•
Recht des Staates, dem das anzufechtende Rechtsgeschäft unterliegt:
Vertragsstatut?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./4
Wichtige Fragen des Internationalen Insolvenzrechts (I)
Das Internationale Insolvenzrecht regelt insbesondere folgende wichtige Fragen:
•
In welchem Staat kann das Insolvenzverfahren durchgeführt werden?
•
Entfaltet ein in einem Staat eröffnetes Insolvenzverfahren in einem anderen Staat
Wirkungen?
•
Insolvenzbeschlag/Zugriffsmöglichkeit des Insolvenzverwalters auf außerhalb
des Anordnungsstaats belegene Vermögensgegenstände?
•
Einzelzwangsvollstreckungsverbot für inländisches Vermögen bei ausländischem
Insolvenzbeschlag?
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./5
Wichtige Fragen des Internationalen Insolvenzrechts
(II)
•
Sperrung inländischer Insolvenzverfahrenseröffnung bei im Ausland eröffneten
Verfahren?
•
Wie erfolgt die Durchsetzung von Ansprüchen der Masse (Insolvenzanfechtung,
Geltendmachung von sonstigen Ansprüchen der Masse)?
•
Materiell-rechtliche Folgen eines Auslandsverfahrens im Inland (z.B. bzgl. Verjährung: Hemmung bzw. Unterbrechung durch Anmeldung zur Tabelle im Ausland?).
•
Anerkennung bzw. Vollstreckung von Entscheidungen bzgl. Ansprüchen aus
einem Insolvenzverfahren (z.B. ausländische Tabelleneintragungen als Vollstreckungstitel).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./6
Grundprinzipien des Internationalen Insolvenzrechts
Das Internationale Insolvenzrecht kennt zwei Grundprinzipien, die in den jeweiligen
Staaten in unterschiedlichen Ausprägungen gelten:
•
Territorialitätsprinzip: Wirkungen der Insolvenzeröffnung beziehen sich nur auf
das Staatsgebiet des eröffnenden Insolvenzgerichts.
•
Universalitätsprinzip: Wirkungen der Insolvenzeröffnung beziehen sich auch auf
das Ausland.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./7
Rechtsgrundlagen des deutschen Internationalen
Insolvenzrechts
Lange Zeit galt in Deutschland Richterrecht (BGHZ 88, 147; 95, 256: Universalitätsprinzip, Zwangsvollstreckung in Auslandsvermögen war unzulässig, § 89 InsO, § 14 KO,
bei ausländischem Territorialitätsprinzip und Erfolg eines Gläubigerzugriffs im Ausland
daher im Inland Herausgabepflicht gem. § 812 BGB) und anschließend die rudimentäre
Regelung in Art. 102 EGInsO a.F.
Vor einiger Zeit sind jedoch wichtige normative Grundlagen geschaffen worden:
•
Gesetz zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts (in Kraft seit
20.03.2003) à §§ 335 bis 358 InsO.
•
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren
à EuInsVO.
•
EuInsVO wesentlich ergänzt und neugefasst als VO (EU) 2015/848 vom
20.05.2015.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./8
EuInsVO, Grundlagen (I)
Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben, insbesondere
gestützt auf Art. 81 AEUV, die VO (EU) 2015/848 vom 20.05.2015 erlassen (ABl. EU Nr. L
141/19 ff.). Diese Verordnung ist die Neufassung der bisher geltenden Verordnung (EG)
Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren vom 29.05.2000 (ABl. EG Nr. L 160/1 ff.).
Hintergrund:
•
Nach Art. 46 EuInsVO a.F. war bereits angelegt, dass die EuInsVO a.F. zehn Jahre
nach Inkrafttreten überprüft und ggf. geändert/ergänzt werden sollte.
•
Im Zuge der Überprüfung der EuInsVO a.F. wurden zahlreiche Stellungnahmen zum
Reformbedarf eingeholt.
•
Die Ergebnisse dieser Stellungnahmen und Diskussionen spiegeln sich in der
Neufassung wider.
Hinweis: Zur EuInsVO in der derzeit geltenden Fassung vgl. die Vorlesungsfolien für das
FS 2015, verfügbar auf der Homepage des ZIS. Für Zwecke dieser Vorlesung werden die
Vorschriften der VO (EG) Nr. 1346/2000 mit „EuInsVO a.F.“ bezeichnet, die noch in Kraft
tretende neue Fassung der VO (EU) 2015/848 wird als „EuInsVO“ bezeichnet.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./9
EuInsVO, Grundlagen (II)
•
Zeitliche Geltung: Insolvenzverfahren, die nach dem 26.06.2017 eröffnet werden,
Art. 84, 91 EuInsVO. Für vor dem 26.06.2017 eröffneten Insolvenzverfahren gilt die
EuInsVO in ihrer bisherigen Fassung fort, Art. 84 Abs. 2 EuInsVO.
•
Unmittelbar geltendes Recht in den EU-Staaten (Ausnahme: Dänemark).
•
Auslegung durch den EuGH.
•
Vorläufer: Europäisches Insolvenzübereinkommen (EuInsÜ), das zwar von den EUStaaten gezeichnet, aber nicht ratifiziert wurde, sodann EuInsVO a.F.
•
Wichtige Abgrenzung: Die EuGVVO nimmt Insolvenzverfahren von ihrem Anwendungsbereich aus (Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO 2015).
•
Die EuInsVO gilt vorrangig vor dem deutschen Ausführungsrecht (Art. 102 EGInsO,
BGH NZI 2008, 572).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./10
EuInsVO, Grundlagen (III)
•
Die EuInsVO ersetzt bilaterale Abkommen zwischen den beteiligten EU-Staaten,
vgl. Art. 85 EuInsVO.
•
In Bezug auf Staaten, die nicht der EU angehören, gilt das jeweilige IZPR bzw.
IPR, soweit keine bilateralen Abkommen getroffen sind (derartige Abkommen gibt
es z.B. zwischen verschiedenen Kantonen der Schweiz und einzelnen deutschen
Bundesländern).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./11
EuInsVO, Anwendungsbereich
•
Sachlicher Anwendungsbereich gem. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO :
•
Gesamtverfahren, die die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und
•
einen vollständigen/teilweisen Vermögensbeschlag mit Verwalterbestellung
beinhalten,
•
Unterstellung des Vermögens des Schuldners der Kontrolle durch das
Gericht oder
•
bestimmte Vorverfahren, die der Insolvenz vorgeschaltet sind.
•
Verbindliche Benennung der Verfahren in Anhang A zur EuInsVO.
•
Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich: Versicherungsunternehmen,
gewisse Wertpapierunternehmen; vgl. Art. 1 Abs. 2 EuInsVO.
•
Zeitlicher Geltungsbereich: Insolvenzverfahren, die nach dem 26.06.2017 eröffnet
werden, Art. 84, 91 EuInsVO.
•
Räumlicher Anwendungsbereich: Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der
hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb der Mitgliedstaaten liegt
(„COMI“) (Ausnahme: Dänemark, vgl. Erwägungsgrund 88).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./12
EuInsVO, Eröffnungszuständigkeit (I)
•
Internationale Zuständigkeit, Art. 3 EuInsVO: Zuständigkeit des Insolvenzgerichts.
•
Es ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den
Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat („Centre of Main Interest“,
kurz: „COMI“).
•
Das COMI ist grundsätzlich verlegbar (vgl. die Grundfreiheiten).
•
Forum Shopping ist vom Verordnungsgeber missbilligt (vgl. Erwägungsgründe 5,
29 ff.). Gleichwohl lässt die EuInsVO den Wechsel des COMI zu.
•
Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen, Art. 4 EuInsVO.
•
Überprüfung der Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen
Zuständigkeit nach Art. 5 EuInsVO (Ziel: Gläubiger, die sonst keine Anfechtungsmöglichkeit haben, vgl. § 34 Abs. 2 InsO, können das Fehlen der internationalen
Zuständigkeit rügen).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./13
EuInsVO, Eröffnungszuständigkeit (II)
Bestimmung des COMI des Schuldners:
•
Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist,
Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO.
•
Bei Gesellschaften oder juristischen Personen: Vermutung, dass COMI am
Gesellschaftssitz liegt. Die Vermutung greift aber nur, wenn die Verlegung des Sitzes
nicht in einem Zeitraum von drei Monaten Stellung des Eröffnungsantrags erfolgte
(sog. „periode suspecte“). Zweck: Verhinderung von Forum Shopping durch
„kurzfristige“ Verlagerung des COMI.
•
Natürliche Personen mit selbständiger Tätigkeit: Vermutung des COMI am Ort
der Hauptniederlassung. Periode suspecte von drei Monaten.
•
Verbraucher: COMI am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts. Periode suspecte von
sechs Monaten.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./14
EuInsVO, Eröffnungszuständigkeit (III)
Probleme der Praxis:
•
Feststellung des COMI („Wo ist das Zentrum “).
•
Unterscheidung des tatsächlich verlagerten vom simulierten COMI:
•
Tatsächliche Verlagerung des COMI ist ggf. wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich.
•
Simulierte (vorgetäuschte) Verlagerung des COMI ist nie geschehen. COMI nach
wie vor am bisherigen Ort.
Wechsel des COMI nach Antragstellung:
•
Das zuerst befasste Gericht bleibt zuständig, wenn der Schuldner den Mittelpunkt
seiner hauptsächlichen Interessen nach Einreichung des Eröffnungsantrags, aber
vor der Eröffnungsentscheidung verlegt (sog. perpetuatio fori, EuGH, Urt. v.
17.01.2006, C-1/04 – Staubitz-Schreiber).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./15
EuInsVO, Zuständigkeit für Annexklagen
•
Internationale Zuständigkeit auch für Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, Art. 6 EuInsVO.
•
Zweck: Zusammenfassung der internationalen Zuständigkeit.
•
Bestimmung des konkret zuständigen Streitgerichts nach nationalem Recht.
•
Anwendbar auf bestimmte Ansprüche:
•
Schadenersatzansprüche, z.B. Geschäftsführerhaftung (EuGH, Urt. v.
10.12.2015 – Rs C-594/14 „Kornhaas“ zur Anwendbarkeit des § 64 GmbHG auf
ausländische Gesellschaften; EuGH, Urt. v. 04.12.2014 – C-295/13 – „H“ zur
Geschäftsführerhaftung im Anwendungsbereich des Lugano II-Übereinkommens
[Schweiz]).
•
Insolvenzanfechtung (bereits zur EuInsVO a.F., in der noch keine ausdrückliche
Regelung vorhanden war EuGH Urt. v. 20.10.2011 – C-396/09 – Deko Marty
Belgium).
•
Auch bei Insolvenzanfechtung bei einem Gegner, der seinen Sitz im Drittstaat hat
(EuGH Urt. v. 16.01.2014 – C-328/12 – Schmid).
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./16
EuInsVO, Sekundärinsolvenzverfahren
Sekundärinsolvenzverfahren als Durchbrechung des Universalitätsgrundsatzes
•
Ist in einem Mitgliedsstaat ein Verfahren gem. Art. 3 EuInsVO eröffnet worden, so
kann in einem anderen Mitgliedsstaat nur noch ein Sekundärinsolvenzverfahren
eröffnet werden (Sperrwirkung der Ersteröffnung).
•
Voraussetzung für Sekundärinsolvenzverfahren: Niederlassung in einem anderen
Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, Art. 2 Nr. 10 EuInsVO)
•
Anwendbares Recht gem. Art. 35 EuInsVO: lex fori concursus secundarii.
•
Insolvenzverfahren über ein „Sondervermögen“. Es ist nur Vermögen erfasst, das zu
dieser Niederlassung gehört.
•
Praktische Probleme:
•
Koordination mit dem Hauptinsolvenzverfahren.
•
Ausübung der Gläubigerrechte im Haupt- und im Sekundärinsolvenzverfahren.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./17
EuInsVO, Anwendbares Recht
Anwendbares Recht, Art. 7 EuInsVO:
•
Es gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wird
(„Staat der Verfahrenseröffnung“), also die „lex fori concursus“.
•
Nicht abschließender Katalog in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO:
•
Insolvenzfähigkeit des Schuldners.
•
Befugnisse des Insolvenzverwalters.
•
Formalia des Insolvenzverfahrens.
•
Insolvenzanfechtung.
•
Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./18
EuInsVO, Sonderanknüpfungen
Besonderer (Vertrauens-)Schutz bestimmter Personengruppen durch Sonderanknüpfungen, insbesondere
•
Dingliche Rechte an Gegenständen, die sich zum Zeitpunkt der
Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat befinden, insbesondere das
Recht zur Verwertung, Art. 8 EuInsVO.
•
Schutz bestimmter Aufrechnungslage, Art. 9 EuInsVO.
•
Eigentumsvorbehalt, Art. 10 EuInsVO, differenziert nach Insolvenz des Käufers und
des Verkäufers.
•
Arbeitsverträge werden ausschließlich nach dem auf den Arbeitsvertrag
anzuwendenden Recht beurteilt, Art. 13 EuInsVO.
•
Insolvenzanfechtung, Art. 16 EuInsVO
•
„Meistbegünstigung des Anfechtungsgegners“, wenn nach IPR das Recht eines
anderen Mitgliedstaats für die angefochtene Handlung maßgebend ist und nach
diesem Recht die Handlung in keiner Weise angreifbar ist.
•
Beweislast jedoch beim Anfechtungsgegner.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./19
EuInsVO, Verwalterbefugnisse
•
•
Befugnisse des in einem Hauptverfahren in einem Mitgliedsstaat bestellten
Verwalters im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats:
•
Der Verwalter kann alle Befugnisse nach dem Recht der lex fori concursus
ausüben, insbesondere Massegegenstände in Besitz nehmen und in den
Eröffnungsstaat verbringen, Art. 21 EuInsVO.
•
Der vorläufige Verwalter kann gem. Art. 52 EuInsVO alle Sicherungsmaßnahmen in anderen Mitgliedsstaaten beantragen, die nach d e re n Recht im Eröffnungsverfahren zulässig sind.
•
Vermeidung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch schriftliche
Zusicherung des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens, dass die Gläubiger
eines potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrens nicht schlechter gestellt werden
als bei Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens, Art. 36 EuInsVO.
Befugnisse eines Sekundärinsolvenzverwalters beschränkt, da er nur auf das
Vermögen der Niederlassung zugreifen darf. Vermeidung von Konflikten mit dem
Hauptinsolvenzverfahren durch Kooperation und Kommunikation, vgl.
Art. 41 EuInsVO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./20
EuInsVO, Universalitätsprinzip und Anerkennung
•
Wechselseitige Anerkennung von Eröffnungsentscheidungen, Art. 19 EuInsVO
(hierzu grundlegend EuGH, Urt. v. 02.05.2006 – C-341/04 – Eurofood).
•
Universalitätsprinzip innerhalb der EU: Wird ein Insolvenzverfahren in einem
EU-Staat eröffnet, so wirkt dies auch in den anderen Mitgliedstaaten (Ausnahme:
Dänemark).
•
Es gilt das Prioritätsprinzip zur Vermeidung eines positiven Kompetenzkonflikts.
•
Zur Anerkennung genügt die Wirksam keit der Eröffnungsentscheidung,
Rechtskraft ist nicht erforderlich, vgl. Art. 2 Nr. 8 EuInsVO.
•
Praktisches Problem: Welche Art von Sicherungsbeschluss nach deutschem
Recht genügt, um eine „wirksame Eröffnungsentscheidung“ im Sinne des
Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu begründen?
•
Keine „Anerkennungsformalitäten“ im Anerkennungsstaat, Art. 20 EuInsVO.
•
Anerkennung auch von Verfahren, die ihrer Art nach im Anerkennungsstaat nicht
bekannt sind (z.B. Restschuldbefreiungsverfahren).
•
Gilt nach EuGH auch bei fehlerhaft angenommener Zuständigkeit trotz des
Wortlauts des Art. 19 EuInsVO („durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht“), str.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./21
EuInsVO, Ordre Public (I)
Ordre public gem. Art. 33 EuInsVO als einziges „echtes“ Anerkennungshindernis
•
Es müssen klare Verhältnisse herrschen. Daher müssen Eröffnungen in EUStaaten bis zur Grenze des Ordre Public anerkannt werden.
•
Aber: „Ultima ratio“, restriktive Auslegung des Ordre Public, um zu verhindern,
dass missliebige Entscheidungen nicht anerkannt werden müssen (insbes. eine als
„zu kurz“ empfundene Restschuldbefreiungsphase).
•
Vorrangig vor Art. 33 EuInsVO sind grundsätzlich die die Rechtsmittel der lex fori
concursus zu nutzen.
•
Rechtliche Konsequenz:
•
Wegen Verstoßes gegen den Ordre Public gem. Art. 26 EuInsVO können
Entscheidungen eines ausländischen Insolvenzgerichts unbeachtlich sein.
•
Ermessen des Gerichts, in der Regel bei Vorliegen eines Verstoßes aber auf Null
reduziert.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./22
EuInsVO, Ordre Public (II)
Beispiele für mögliche Verstöße gegen Ordre Public:
•
Zuständigkeitserschleichung durch vorgetäuschte Wohnsitzverlegung
(AG Göttingen, Beschl. v. 10.12.2012 – 74 IN 28/12).
•
Forum Shopping und rechtsmissbräuchliche Verlagerung des COMI.
•
Fehlerhafte Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit.
•
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
•
Verstoß gegen das Prioritätsprinzip.
Nach h.M. müssen vor Versagung der Anerkennung die Rechtsbehelfe nach der lex
fori concursus ausgeschöpft werden.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./23
EuInsVO, Kooperation in Insolvenzverfahren
Verbesserte Kooperation in Insolvenzverfahren.
•
Ziele: Erhöhung der Verfahrenseffizienz, Vermeidung von Kompetenzkonflikten
•
Europaweit verbundene Insolvenzregister, Art. 24 ff., 78 ff. EuInsVO.
•
Erleichterte Verfügbarkeit von Informationen über fremde Rechtsordnungen,
Art. 86 EuInsVO.
•
Kooperation zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren
•
•
Kooperation zwischen Insolvenzverwaltern, Art. 41 EuInsVO.
•
Kooperation zwischen Insolvenzgerichten, Art. 42 EuInsVO.
•
Kooperation zwischen Insolvenzverwaltern und Insolvenzgerichten, Art. 43
EuInsVO.
Regelungen zu Gruppeninsolvenzen, Art. 56 ff. EuInsVO,
•
Kooperation in den verschiedenen Verfahren, Art. 60 ff. EuInsVO.
•
Koordination der Verfahren über einen Koordinator, Art. 71 ff. EuInsVO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./24
EuInsVO, Beispielsfälle
•
Zahnarzt X, Wohnung in Salzburg, eigene Praxis in München, insolvent, EuInsVO
anwendbar?
Gem. Art. 3 Abs. 1: selbständige Tätigkeit, Vermutung des COMI in München.
•
Zahnarzt X, Wohnung in München, eigene Praxis in Salzburg, Ferienhaus in Genf.
EuInsVO?
Ja, BezG Salzburg, bzgl. Vermögen in der Schweiz Anerkennung des
österreichischen Verfahrens nach dem schweizerischen SchKG notwendig.
•
X zieht zwischen Antrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Spanien und
schließt vorher die Praxis, EuInsVO?
Ja, Gedanke der perpetuatio fori, vgl. EuGH C-1/04 – Staubitz-Schreiber.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./25
Das IPR der InsO,
„Allgemeine Vorschriften“ §§ 335 ff. InsO (I)
Wichtige Regelungsbereiche des IPR der InsO sind:
•
lex fori concursus, § 335 InsO (das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen
regeln sich nach dem Recht des Eröffnungsstaats).
Sonderregelungen:
•
Verträge über Immobilien, § 336 InsO (Belegenheitsgrundsatz, lex rei sitae).
•
Arbeitsverhältnisse, § 337 InsO (Verweis auf EGBGB).
•
Aufrechnung, § 338 InsO; Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers bleibt möglich,
soweit sie nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht im
Zeitpunkt der Eröffnung möglich wäre.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./26
Das IPR der InsO,
Anfechtung und Herausgabe, §§ 335 ff. InsO (II)
•
Insolvenzanfechtung, § 339 InsO: Recht des Staats der Verfahrenseröffnung (lex
fori concursus, Heimrecht des Verwalters), Ausnahme: Anderes Recht für die
Rechtshandlung maßgeblich und nach diesem Recht keinerlei Angreifbarkeit bzgl.
der Rechtshandlung.
•
Herausgabepflicht bei Auslandserlangung, § 342 InsO, nicht im Eröffnungsstaat
von Insolvenzgläubigern auf Kosten der Insolvenzmasse erlangtes Vermögen ist an
den Insolvenzverwalter herauszugeben (Bereicherungsrecht). Bloße Anrechnung
bei Erlangung im Rahmen eines anderen Insolvenzverfahrens außerhalb des
Eröffnungsstaats, Auskunftspflicht des Insolvenzgläubigers gegenüber dem
Insolvenzverwalter.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./27
Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen
Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (I)
•
Universalitätsprinzip/Anerkennungsgrundsatz: Die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens wird in Deutschland grundsätzlich anerkannt, vgl.
§ 343 Abs. 1 S. 1 InsO.
(vgl. bejahend zur Unterbrechungswirkung eines Verfahrens nach Chapter 11 US
Bankruptcy Code OLG Frankfurt, Juris Praxis Report 1/2008, 11 m. Anm. Rattunde).
•
•
Ausnahmen, § 343 Abs. 1 S. 2 InsO:
•
Mangelnde Zuständigkeit der Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung
nach deutschem Recht.
•
Ordre Public Grundsatz (Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts, insbesondere Grundrechten).
Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen, § 343 Abs. 2 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./28
Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen
Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (II)
•
Möglichkeit von Sicherungsmaßnahmen gem. § 344 InsO zu Gunsten eines im
Ausland bestellten vorläufigen Verwalters durch das im Inland zuständige Insolvenzgericht gem. § 21 InsO (§ 343 InsO, mit der Anerkennung der Verfahrenseröffnung,
der sich auch auf Sicherungsmaßnahmen n a c h Eröffnung im Ausland erstreckt, gilt
insoweit nicht).
•
Möglichkeit öffentlicher Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung auf Antrag des
ausländischen Insolvenzverwalters, § 345 InsO; ggf. Grundbucheintrag, § 346 InsO.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./29
Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen
Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (III)
•
Schutzvorschriften bei inländischen Transaktionen/Rechten:
•
Gutglaubensschutz bei Immobilien, § 349 InsO (§§ 878, 892, 893 BGB,
Vormerkung, § 106 InsO).
•
Gutgläubige Leistungserbringung an Schuldner, § 350 InsO.
•
Schutz von Aussonderungs- und Absonderungsrechten gem. § 351 InsO.
•
Unterbrechungswirkung (§ 240 ZPO) bei Eröffnung ausländischer Insolvenzverfahren, § 352 InsO.
•
Partikularinsolvenzverfahren, §§ 354 ff. InsO bei Inlandsniederlassung bzw.
sonstigem Inlandsvermögen mit besonderem Gläubigerinteresse, auf gesonderten
Gläubigerantrag.
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Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2016 XII./30
Internationales Insolvenzrecht,
zusammenfassende Hinweise
•
Wichtigste Vorfrage, Ausgangspunkt der Prüfung: Territorialitätsprinzip
(Wirkungsbeschränkung auf das eigene Staatsgebiet) oder Universalitätsprinzip
(Wirkungserstreckung vom Ausland ins Inland und umgekehrt).
•
Die fünf Grundfragen (vgl. Ehricke, ZIP 2005, 1104 ff.):
•
Anwendbarkeit des IPR/IZPR der §§ 335 ff. InsO oder der EuInsVO?
•
Internationale Zuständigkeit (innerstaatliche örtliche Zuständigkeit, § 3 InsO
bzw. Art. 3 EuInsVO: Mittelpunkt schuldnerischer Interessen „COMI“)?
•
Anwendbares Recht (Bestimmung durch Kollisionsrechtsgrundsatz: lex fori
concursus, § 335 InsO, Art. 7 Abs. 1 EuInsVO)?
•
Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren (grds. gegeben,
Universalitätsprinzip, § 343 InsO, Art. 19 Abs. 1, 20 EuInsVO)?
•
Schutzvorschriften bei inländischen Transaktionen/Rechten mit Abweichung
von der lex fori concursus im Einzelfall?