Hermann Hesses Lyrik seiner “bürgerlichen Epoche”

독일언어문학 제69집(2015.9). 241-269
Hermann Hesses Lyrik seiner “bürgerlichen Epoche”
- unter Hauptakzent auf die philosophischen und Künstler-Gedichte
Noh, Tae-Han (Dankook Uni)
Ⅰ. Einleitung
Hermann Hesses im Februar 1904 veröffentlichter Romanerstling Peter Camenzind
war für den damals 26-jährigen Buchhändler und Möchtegerndichter in Basel ein
großer Durchbruch zum freien Schriftsteller. Durch diesen Bucherfolg über Nacht
sehr berühmt und auch finanziell gesicherter geworden, hat er sich Anfang August
mit einer um 9 Jahre älteren Basler Fotografin Maria Bernoulli vermählt, die
zusammen mit ihrer Schwester ein Atelier für Kunstfotografie betrieb. Kurz nach der
Hochzeit zog Hesse mit seiner Frau nach dem entlegenen Dorf Gaienhofen am
Untersee, einem Teil des Bodensees um. Dort wohnte er zuerst drei Jahre in einem
primitiven Bauernhaus, dann baute er sich selbst ein eigenes Haus, in dem er bis
zum September 1912 wohnte. In Gaienhofen lebte er insgesamt acht Jahre, während
er gemäß den lebensreformerischen Tendenzen der Zeit ein ländliches, einfaches und
möglichst natürliches Leben zu führen versuchte, und dort wurden auch seine drei
Söhne geboren. Diese Periode seines Lebens am Bodensee nennt Hesse selbst in
einer biografischen Skizze seine “bürgerliche Epoche”(Hesse 2002, 21).
Die Jahre von 1904 bis 1912 in Gaienhofen nehmen in Hesses persönlicher und
literarischer Entwicklung einen wichtigen Platz ein. In diesen Jahren entscheidet sich
ganz wesentlich die weitere Ausrichtung seines dichterischen Schaffens, was eng mit
dem Bewusstwerden seiner Haltung zum Leben mit Familie und in Bürgerlichkeit
zusammenhängt. Hesse versucht, seine schriftstellerische Arbeit zu vereinbaren mit
der Funktion eines Familienvaters und Ehemanns. Ausgleich sucht er während der
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Gaienhofener Zeit mehr und mehr in der Beschäftigung mit der Natur wie auch im
Reisen(Rothfuss 1997, 71).
In dieser Gaienhofener Zeit hat der durch den Peter Camenzind-Erfolg berühmt
gewordene junge Dichter Hesse neben dem bürgerlichen Familienleben mit Frau und
Kindern, den regen Freundschaften mit verschiedenartigen Künstlern und den
vielfältigen literarischen Tätigkeiten als Rezensent, Herausgeber und Mitarbeiter
zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften eine Reihe von Romanen und sehr viele
Prosaerzählungen und vor allem zahlreiche Gedichte geschrieben. Äußerlich so
erfolgreich erschien es, war aber sein ländlich-naturnahes, bescheiden-stilles Leben in
Gaienhofen doch im Laufe der Zeit innerlich auf Grund seiner “unverbrauchten,
zwiespältigen Natur”(Ball 1947, 118) nicht frei von Problemen und öfters von
Gefühlen der Unzufriedenheit und Unsicherheit überschattet worden, die ihn sehr oft
zu kürzeren und längeren Reisen trieben1) und die vor allem in seinen schon in den
ersten Jahren entstandenen “Bodensee-Berichten”(Ball 1947, 121), aber auch in den
damals geschriebenen Gedichten vielgestaltig Ausdruck fanden.
In der vorliegenden Arbeit wird nun versucht, die Gedichte Hesses “bürgerlicher
Epoche” vor dem Hintergrund seines Erlebens und Denkens in den Gaienhofener
Jahren interpretierend zu lesen.2) Dabei soll der Schwerpunkt der Betrachtung vor
allem auf jene Gedichte gelegt werden, die das Motiv der Vergänglichkeit und
Todesverfallenheit allen Seins, eins der Kernthemen von Hesses gesamtem lyrischem
Werk, behandeln. Auch die Gedichtwerke, die den Konflikt zwischen Künstlertum
und Bürgertum zum Inhalt enthalten, sollen in den Mittelpunkt der ausführlichen
1) “[...] Unterirdisch freilich war ich auch damals von Problematik erschüttert, 1911 trat
ich aus lauter innerer Not eine indische Reise an. [...]”(Hesse 2002, 21f.).
2) Vgl. zu Prosaerzählungen Hesses ‘bürgerlicher Epoche’ den Aufsatz: Hermann
Hesses bürgerliche Epoche und ihre Prosawerke(Kim 1976). Obwohl es einzelne
Interpretationen zu ganz wenigen Gedichten (z. B. Im Nebel) jener Epoche Hesses
gab, wurde es trotz ihres wichtigen Platzes in der Entwicklung Hesses Lyrik bisher
nicht versucht, eine Gesamtdarstellung der Gedichte jener ‘bürgerlichen Epoche’ zu
unternehmen.