Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
BÜRGER / REPORT
Das Anti-TTIP-Bündnis - Großer
Spieler Eurozone ... Francisco
Mari im Gespräch
Handelsabkommen EPAs ­ Fuß der
EU in der Tür Afrikas
Interview auf der TTIP Strategie­
und Aktionskonferenz in Kassel am
26. Februar 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Dienstag, 22. März 2016
Die USA gegen Indiens Solarzellen eine Vorschau auf TTP, TTIP, CETA, TISA etc.
Internationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin
von Silvia Swinden, 21. März 2016
(SB) ­ Der Jurist und Sozialpsycho-
loge Francisco Mari ist seit 2009 bei
Brot für die Welt - Evangelischer
Entwicklungsdienst Projektreferent
in den Bereichen Agrarhandel und
Fischerei mit den Schwerpunkten
Welthandelsorganisation ... (S. 9)
SPORT / BOXEN
Weise Entscheidung im rechten
Augenblick
Ola Afolabi hängt die Boxhandschu­
he an den Nagel
Solarpanels in Tamil Nadu, Indien
Bild: By Vinaykumar8687
(Own work)
[CC BY­SA 4.0 (http://creativecom­
mons.org/licenses/by­sa/4.0)],
via Wikimedia Commonshttps://
creativecommons.org/licenses/
by­sa/4.0/deed.en
Vor wenigen Tagen hat Ola
Afolabi anläßlich seines 36. Geburtstags den Rücktritt vom aktiven
Boxsport bekanntgegeben. Afolabi, London ­ 21.03.2016. Die USA hader nigerianische Wurzeln ... (S. 14) ben Indiens Bemühungen zur Ankurbelung der lokalen Produktion von
Solarzellen und Solarmodulen, die
KINDERBLICK
dringend benötigte Energie für Millionen von Menschen erzeugt hätten,
Nicht schnell genug,
blockiert. Sie klagten dies bei der
um zu entkommen ...
Wer kennt schon Meister Lampes WTO World Trade Organisation unter der Behauptung an, die vorrangiNot?
ge Behandlung der lokalen Produk(SB) ­ Da der Hase nicht zu den tion verletze WTO-Regeln.
Nutztieren zählt, über keine für den
Menschen brauchbaren Fähigkeiten Indien hingegen argumentierte, die
verfügt, gerät er leicht aus dem lokale Produktion helfe dem Land,
Blickfeld. Sicherlich als Hasenbraten seine Klimaverpflichtungen gemäß
wird er geschätzt, aber wer kennt der United Nations Framework ConMeister Lampe schon ... (S. 15)
vention on Climate Change (UNFC(SB) ­
CC) einzuhalten, aber die WTO wies
dieses Argument zurück. Sie erklärte, eine Innenpolitik, die WTO Regeln verletze, könne nicht auf Basis
dessen gerechtfertigt werden, dass
sie UNFCCC oder andere internationale Klimaverpflichtungen erfülle.
"Wir unterstützen Indiens ambitioniertes Vorhaben der Solarenergie
und sind bereit, diese Expansion mit
zusätzlichen Finanzhilfen zu beschleunigen", sagte Obama während
seines Besuchs 2015 in Indien.
"Wir haben unsere ambitionierten
nationalen Bemühungen und Ziele
diskutiert, die darauf abzielen, die
Nutzung von sauberer und erneuerbarer Energie zu erhöhen" wiederholte Modi. "Ich habe ihn (Obama)
gebeten, internationale Bemühungen, erneuerbare Energien überall in
der Welt zugänglicher und erschwinglicher zu machen, anzuführen."
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Aber das WTO-Schiedsgericht hat
genau das getan, was die ISDS
Schiedsgerichte für TTIP, TTP, CETA, TISA und andere "Freihandelsabkommen" tun werden, die zur Zeit
überall in der Welt hinter verschlossenen Türen diskutiert werden, nämlich Länder daran zu hindern, gemäß
ihren eigenen Bedürfnissen zu planen und dafür den Profiten von
großen Unternehmen Priorität einzuräumen.
kündigte an, die US-Regierung auf tentional: The Phenomenology ofthe
15 Milliarden US-Dollar verklagen Nonviolent Revolution" - Adonis &
zu wollen, weil diese die Keystone Abbey, London 2006
XL Pipeline, die den dreckigen Teersand transportieren soll, nicht geneh- Der Text steht unter der Lizenz
migt hat."
Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/
Indien kann nun gegen das Urteil licenses/by/4.0/
Einspruch erheben, aber die Handelsregeln sind klar und sie rasen un*
gebremst auf eine Diktatur des Profits zu Lasten der Bedürfnisse der Quelle:
Menschen zu.
Internationale Presseagentur
Pressenza - Büro Berlin
Übersetzung aus dem Englischen Johanna Heuveling
von Evelyn Rottengatter
E-Mail: [email protected]
Internet: www.pressenza.com/de
Die USA, bekannt für ihre protektionistischen Regeln und "Buy local"Politik, haben wieder einmal bewiesen, dass sie mit zweierlei Maß messen und nichts deutet daraufhin, dass
sich ihr Verhalten ändern wird, nach- Über die Autorin:
dem die neuen FreihandelsabkomSilvia Swinden ist die Autorin von
men unterzeichnet sind.
"From Monkey Sapiens to Homo InThe Ecologist schreibt: "Nicht das
erste Mal, dass Handelsabkommen
Umweltpolitik blockieren".
"Handelsabkommen erweisen sich
oft als Stolpersteine für Maßnahmen
gegen den Klimawandel. Geltende
Handelsregeln limitieren die Möglichkeiten der Regierungen, lokale
erneuerbare Energien zu unterstützen, sie unterlaufen den Transfer von
sauberen Energietechnologien und
erlauben Ölfirmen, Klimaschutz vor
geheimen Gerichten anzuklagen.
Handelspolitik behindert somit eine
nachhaltige Zukunft."
"2012 entschied die WTO gegen Ontarios innovativen Green Energy Act,
der erneuerbare Technologien fördern und Arbeitsplätze im Bereich
saubere Energien schaffen sollte.
Ähnlich wie im Falle Indiens enthielt
das Gesetz einen "Feed-in-Tariff"
zur Unterstützung lokaler Versorger.
Dies wurde geändert, um den WTORegeln zu genügen."
"Allein in den letzten drei Monaten
wurde Ecuador dazu verurteilt, eine
Milliarde US Dollar zu zahlen, weil
es einen Vertrag zur Ölförderung unter einem bilateralen Investmentvertrag storniert hatte und TransCanada
Seite 2
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/wirtsch/
pwi00294.html
POLITIK / REPORT / INTERVIEW
Migrationskonferenz Kampnagel - Kollateralschaden
Migration und Flucht ...
Ilhan Akdeniz im Gespräch
In der Fremde sich zu behaupten,
geht nur mit anderen zusammmen
Interview mit Ilhan Akdeniz von der ADHK
am 27. Februar 2016 auf Kampnagel in Hamburg
Hinter der scheinbar so
schlichten Aussage "Flüchtling zu
sein ist keine Wahl!", so auch der Titel des von der Konföderation für
Demokratische Rechte in Europa
(ADHK) gehaltenen Vortrags auf
Kampnagel, verbirgt sich weit mehr
als das auf allen TV-Kanälen ins Gewissen rufende Elend jener Flüchtlinge, die zum Beispiel am griechisch-mazedonischen Grenzübergang Idomeni mit der unversöhnlichen Realität der Abschottung Europas konfrontiert sind. Migration und
Flucht sind immer auch das Resultat
(SB) ­
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einer kapitalistischen Wirtschaftsweise im Bunde mit einer imperialistischen Politik. Produktionsketten
werfen nur Profit ab, wenn Märkte
und Transitwege, der Abbau von
Ressourcen und die Verbilligung der
Arbeitskraft in einer sich rasant vernetzenden Welt frei verfügbar und
jederzeit abrufbar sind. So kann die
Nutzung einer Wasserstraße für den
internationalen Schiffsverkehr so
wertvoll sein, daß für deren Schutz
selbst die Souveränitätsrechte eines
Staates beschnitten oder Regierungen installiert werden, die gegen die
Di, 22. März 2016
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Interessen der eigenen Bevölkerung
einzig und allein dem globalen Kapital dienen. Wenn jetzt Flüchtlinge
vermehrt nach Europa kommen,
wird oft vergessen, daß sie dies nur
tun, weil die westliche Staatenwelt in
ihren Heimatländern Krieg um Bodenschätze und geostrategische Ziele führt.
misch und frei von Ressentiments leben zu können, gleichzeitig aber ein
Rad in Bewegung setzte, für das Soziologen in späteren Jahren den Begriff der Parallelgesellschaften schufen, um darüber hinwegzutäuschen,
daß eine Integration im Sinne eines
multiethnischen Zusammenlebens
von der Politik über Jahrzehnte weder erwünscht noch angestrebt war Ein weiterer unverzichtbarer Bau- die Rückkehrprämie in den 80er Jahstein im System kapitalistischer Pro- ren ist ein gutes Beispiel dafür.
duktion betrifft den regulierten Zustrom von Arbeitsmigranten. Bereits Die ökonomische Situation der etwa
in den 50er Jahren setzte eine Ein- zwei Millionen in Deutschland lewanderungswelle vor allem aus Ita- benden Türken und Kurden hat sich
lien, Griechenland und Spanien nach inzwischen verbessert. Mit über
Deutschland ein, die ihren Höhe- 70.000 türkischstämmigen Unterpunkt in den Anmeldebüros in der nehmen, die fast eine Million MenTürkei fand. Armut, kaum ausrei- schen beschäftigen, stellt ihre Comchende Lebensperspektiven und die munity einen wichtigen WirtschaftsHoffnung, in den Genuß demokrati- faktor dar, auch wenn sich dieser
scher Grundrechte zu kommen, die vornehmlich aus dem Kleingewerbe
sie im eigenen Land entbehren muß- und mittelständischen Betrieben
ten, brachte zigtausende junger tür- speist. Eine politische Gleichstelkischer Männer in die deutschen Me- lung, wie im Grundgesetz verbürgt,
tropolen, wo Arbeitskräfte speziell in ist damit jedoch nicht verbunden.
Berufsbranchen dringend gesucht Nach wie vor besitzen Menschen mit
wurden, die deutschen Erwerbstäti- Migrationshintergrund, unabhängig
gen keinen Anreiz boten, schlecht davon, ob sie einen deutschen Paß
bezahlt waren und Knochenarbeit er- besitzen oder nicht, schlechtere Beforderten.
rufsperspektiven, weisen eine höhere Arbeitslosenquote auf und sind
Daß Betriebe und Berufsverbände verstärkt seit den 90er Jahren Diskriden Ali aus Anatolien mit offenen minierungen und rassistischen ÜberArmen empfangen haben, ist ein sich griffen ausgesetzt, die unter anderem
bis heute hartnäckig haltendes Ge- in Solingen und Mölln Todesopfer
rücht. Die Wirklichkeit sah viel tri- forderten.
ster aus. Das Einquartieren in firmeneigene Holzbaracken unweit des In der Schwebe zwischen ihrem HerArbeitsplatzes, eine latente bis offe- kunftsland, zu dem sie oft keine
ne Ablehnung der einheimischen Be- emotionale Bindung haben, und
völkerung und die sich bald einstel- Deutschland als ihrer ideellen Heilende Gewißheit, in vielen Bereichen mat fühlen sie sich bisweilen wie
der gesellschaftlichen Teilhabe un- Fremde im eigenen Herzen, nirgends
terprivilegiert und ausgegrenzt zu zugehörig. In dem Kampf um Selbstsein, gaben dem Willkommensgruß wert und Souveränität sind Migranden schalen Beigeschmack, gedul- tenorganisationen keine wirkliche
det, vielleicht toleriert, aber als Hilfe, da diese in der Regel als Folie
Mensch nicht akzeptiert zu werden. des türkischen Generalkonsulats
All das führte in der Folge zu einer fungieren. Nicht erst seit den FlüchtGhettoisierung, die den türkischen lingsströmen des letzten Jahres
Gastarbeitern allerdings einen Teil wachsen wieder Mauern und stachelihrer kulturellen Identität und das drahtbewehrte Grenzen in Europa
Gefühl zurückgab, wenigstens inner- empor, werden Gesetze bis an den
halb engumgrenzter Stadtviertel hei- Rand der Legitimität verschärft, die
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die Gesellschaften nachhaltig verändern und das Kleinod in der Erinnerung, daß alle Menschen einen Nabel besitzen, in unerreichbare Sphären verrücken. Die ADHK will ein
Bewußtsein für den Reichtum der
kulturellen Vielfalt wecken und daran gemahnen, daß die größte Gefahr
immer schon von der Vereinheitlichung des gesellschaftlichen Lebens
ausgegangen ist. Im Anschluß an den
besagten Workshop hatte der Schattenblick Gelegenheit, dem Vortragsredner Ilhan Akdeniz einige Fragen
zu stellen.
Ilhan Akdeniz
Foto: © 2016 by Schattenblick
Schattenblick (SB): Die Konföderation für Demokratische Rechte in
Deutschland (ADHK) ist 1976 gegründet worden. Was war das Motiv
für den politischen Aufbau Ihrer Organisation?
Ilhan Akdeniz (IA): Die ADHK wurde von der türkischstämmigen Arbeiterschaft, aber auch von türkischen Studenten gegründet, um ein
Sprachrohr für die Interessen des migrantischen Anteils in der bundesdeutschen Bevölkerung zu schaffen
und eine Teilhabe am gesellschaftspolitischen Leben zu fördern. Damals war der Verein als Föderation
nur in Deutschland aktiv, aber nach
einigen Jahren entstanden auch in
der Schweiz, in Österreich, Frankreich und England Niederlassungen.
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SB: Sind die politischen Ziele der deutsche Politik nicht lernt, warum
ADHK heute noch dieselben wie in diese Menschen hier sind, kann sie
nicht lautstark und unreflektiert Inteder Gründungszeit?
gration fordern. Es geht um ein echtes
IA: Für die Gruppe der türkischen Zusammenleben mit- und nicht um ein
Migranten hat sich nicht viel geän- erzwungenes nebeneinander.
dert, denn sowohl die deutsche Politik als auch das Mutterland Türkei SB: Welche Voraussetzunge müßten
sahen in den türkischen Migranten aus Ihrer Sicht von deutscher Seite
nur Gastarbeiter. Die Bundesrepu- erfüllt werden, damit ein Mensch
blik ging davon aus, daß sie hierher hier heimisch werden kann - komzum Arbeiten kommen, ein bißchen munales Wahlrecht für alle, gleiche
Geld verdienen und nach ein paar Ausbildungschancen?
Jahren wieder zurückkehren. Aber
das Gegenteil ist eingetreten. Das IA: Es geht nicht nur um das Komwar eine Fehleinschätzung der deut- munalwahlrecht. Die Menschen, die
schen Politiker wie auch der politi- hierhergekommen sind, haben ein
schen Elite in der Türkei, die diese Recht auf Bildung, Wohnunterkunft
Zielgruppe als Devisenbringer auf- und daß die Abschlüsse in den Herfaßte, damit Geld in die Türkei fließt. kunftsländern anerkannt werden.
Tatsächlich war es so, daß sich die Das gilt vor allem für die NeuanArbeiter aus der Türkei hier für eine kömmlinge. Über ein Wahlrecht für
längere Zeit nur als Gäste gefühlt ha- die Türken und Kurden oder Italieben. Erst, als sie ihre Familien nach- ner, die in den 60er Jahren hierherholten und hier Kinder bekamen, gekommen sind, kann man dann imentschieden sie sich dafür, zu blei- mer noch sprechen.
ben, damit ihre Kinder eine bessere
Zukunft haben und Bildung erfahren. SB: Die erste Generation der Gastarbeiter hat im Grunde keine IntegratiSB: Es geht dabei auch um das Pro- on genossen - man hat sie einfach arblem der Integration. Man kann Inte- beiten lassen. Inzwischen hat sich die
gration in erster Linie als Forderung an dritte Generation selbst integriert,
die Zuwanderer stellen, sich den deut- sowohl sprachlich als auch kulturell.
schen Verhältnissen anzupassen. Das Im Vortrag erwähnten Sie, daß Ihr
wäre eine Deutungsart, eine weniger Sohn in der Türkei Urlaub macht und
zwingende bestünde darin, Vorausset- nicht mehr die Heimat besucht. Was
zungen zu schaffen, damit sich die Mi- müßte die deutsche Politik Ihrer Angranten mit allen Aspekten ihrer Kul- sicht nach jetzt leisten, damit sich die
tur und Identität hier heimisch fühlen alten Fehler mit den türkischen Gastund die bundesdeutsche Gesellschaft arbeitern nicht wiederholen?
dadurch bereichern. Diese Art der Entwicklung hat es in der Geschichte zu IA: Die Verschärfungen im Asylgeallen Zeiten gegeben. Wo sehen Sie die setz müssen weg. Jetzt fordert die
größten Mängel in der deutschen Poli- Bundesrepublik von Italien und
tik, die sich über Jahrzehnte auf den Griechenland auch noch, daß sie die
Standpunkt stellte, Deutschland sei Flüchtlinge gemäß dem Abkommen
kein Einwanderungsland, obwohl dies von Dublin aufnehmen und versorgen. Deutschland muß einräumen,
faktisch längst so war?
einen Fehler gemacht zu haben, und
IA: Die Politik muß endlich begreifen, sich bei den betroffenen Staaten entdaß eine einseitige Forderung nicht schuldigen. Richtig ist dagegen die
zielführend sein kann. Wir erleben deutsche Forderung für eine gerechjetzt dasselbe Problem mit den Flücht- te Verteilung der Flüchtlinge auf allingen. Wenn man von Fluchtursachen le europäischen Staaten. Es geht aber
spricht, muß man auch über Verant- nicht an, daß der Bundesinnenminiwortlichkeiten reden. Solange die ster Thomas de Maizière in einer einSeite 4
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zigen Nacht das Asylgesetz verändert und die Menschen in gute und
schlechte Flüchtlinge aufteilt. Daß
man die Menschen aus Albanien,
Serbien, Rumänien oder dem Kosovo, die seit 20 Jahren hier leben, jetzt
plötzlich zurückschickt, weil ihre
Staaten zu sicheren Herkunftsländern deklariert wurden, ist durch
nichts zu rechtfertigen. Daß diese
Länder sicher sein sollen, glaube ich
nicht. Unsere Forderung ist ein Asylrecht für alle, unabhängig von den
Heimatländern der Flüchtlinge.
SB: Die ADHK hat sich von ihren
Gründungsjahren an vornehmlich für
die Interessen der in Europa lebenden
Türken und Kurden eingesetzt. Versteht sich die Konföderation heute
auch als politische Stimme der Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Iran, Afghanistan und afrikanischen Staaten?
IA: Ich bin selber Kurde und habe viele Erstaufnahmeunterkünfte besucht.
Ich habe immer die Forderung aufgestellt, daß wir als Konförderation die
Interessen aller Geflüchteten verteidigen müssen. Für uns gibt es keinen
Unterschied zwischen Migranten und
Flüchtlingen, jeder ist ein Mensch,
egal, wo er herkommt, ob aus Togo,
Eritrea, Kurdistan oder der Türkei.
ADHK fordert Verständnis für die
Lage der Flüchtlinge
Foto: © 2016 by Schattenblick
Di, 22. März 2016
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SB: Die Konferenz hier auf Kampnagel ist nicht unwesentlich von der
Organisation Lampedusa in Hamburg ausgerichtet worden. Arbeitet
die ADHK auch mit Gruppen zusammen, die speziell von den Flüchtlingen in Selbstorganisation gegründet
worden sind und gibt es eine Basis
für einen gemeinsamen politischen
Kampf?
IA: Ich bin Mitglied der KarawaneGruppe Hamburg und habe mich
persönlich sehr dafür eingesetzt, daß
die Menschen, die hierherkommen,
ein Bleiberecht bekommen. Zum Teil
haben wir es geschafft und den Rest
kriegen wir auch noch hin.
Verhältnis zwischen beiden Ethnien
auch angesichts der angespannten
Situation in der Türkei?
IA: Supertoll.
SB: Der Südosten der Türkei, wo
mehrheitlich Kurden leben, ist
strenggenommen Kriegsgebiet. Immer wieder verhängt die Armee Ausgangssperren, riegelt ganze Städte ab
und läßt Scharfschützen auf Passanten schießen. Viele Menschen sind
gestorben. Beeinflußt die kriegstreiberische Kurdenpolitik des Recep
Tayyip Erdogan das Zusammenleben
von Kurden und Türken hier in
Deutschland?
SB: Erfahren Sie für Ihre Arbeit Un- IA: Die Menschen schon, aber die
terstützung von etablierten politi- Politik nicht. Wenn ich auf eine Deschen Parteien?
monstration gegen Erdogans Krieg
gegen die Kurden gehe, sehe ich
IA: Die großen Parteien haben wir einen Deutschen, einen Peruaner
bereits abgeschrieben, aber mit klei- oder auch jemanden aus Eritrea,
nen Parteien oder Ortsgruppen gibt aber keinen deutschen Politiker. Sies Formen der Zusammenarbeit bei cherlich gibt es innerhalb des kurdibestimmten Themen. Wir sind unab- schen Mittelstands in der Türkei
hängig, aber wenn ein Parteipro- Anhänger von Erdogan, aber auch
gramm unseren Forderungen entge- Gegner seiner Politik. Unter den
genkommt, kann sich darüber ein Kurden hier in Deutschland sind
Konsens bilden.
viele gegen Erdogans Repressionsregime, aber auch in der türkischen
SB: Gewerkschaften werden durch Community macht man sich verArbeiterbeiträge getragen. Wie fi- mehrt Sorgen über den Kurs der
nanziert sich Ihre Organisation, er- Türkei und die Zerwürfnisse in der
halten Sie öffentliche Fördermittel? Gesellschaft dort. In Anti-ErdoganDemonstrationen wie in Köln 2014
IA: Ich persönlich finde es gut, kamen Zigtausende zusammen, um
wenn Gewerkschaften oder Bürger- ihren Protest auszudrücken. Daruninitiativen nicht als Anhängsel einer ter waren auch etliche türkische KePartei arbeiten. Tun sie es doch, malisten, auch wenn sie mit der kurkann man von ihnen nicht viel er- dischen Freiheitsbewegung nicht
warten. Das haben wir immer wie- unbedingt sympathisieren. Erdogan
der erleben müssen. Nein, wir be- ist der Pfad, auf dem die politische
kommen keine öffentlichen Gelder. Repression voranschreitet, aber
Wir sind eine Selbstorganisation auch vor seiner Amtszeit als Miniund haben vom Staat bis jetzt kei- sterpräsident ist es von seiten des
nen Cent bekommen. Im wesentli- Staates wiederholt zu Übergriffen
chen finanzieren wir uns durch auf den kurdischen BevölkerungsSpenden, Mitgliederbeiträge und anteil gekommen. Jetzt ist alles viel
andere Aktivitäten. Aber Geld ist schlimmer geworden, so daß sich
auch nicht das Thema.
auch unter den Türken, vor allem,
wenn sie modern eingestellt sind,
SB: In der ADHK arbeiten Türken ein wachsender Unmut gegen Erdound Kurden zusammen. Wie ist das gan regt.
Di, 22. März 2016
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Foto: © 2016 by Schattenblick
SB: Die HDP ist im letzten Jahr ins
türkische Parlament gewählt worden,
was Anlaß zu großer Hoffnung gab,
weil endlich eine echte Opposition
gegen Erdogan die politische Bühne
betrat. Die HDP spannt einen Bogen
von den kurdischen Interessen hinüber zu den säkularen zivilgesellschaftlichen Kräften. Wie schätzen
Sie die Wirkung dieser Partei auf eine mögliche Veränderung in der Türkei ein?
IA: Als Kurde und linksorientierter
Mensch sehe ich in der HDP eine
Bereicherung, weil sie das demokratische Element im türkischen Parlament verstärkt. Allerdings glaube ich
nicht, daß sich mit einem politischen
Instrument wie der HDP viel ändern
wird, sondern bin vielmehr der
Überzeugung, daß sich Kurden und
Türken zusammentun und für eine
Demokratie in der Türkei kämpfen
müssen.
SB: Für einen Schulterschluß stehen
die Zeichen im Moment nicht gerade günstig. Was wäre Ihrer Meinung
nach im politischen Sinne nötig, um
die Türkei zu demokratisieren Druck von außen oder müßte sich eine Kraft von innen heraus erheben?
IA: Ich glaube, die Menschen in der
Türkei haben von Gezi gelernt, daß
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etwas machbar ist. Die Kräfte im Inneren tun bereits, was sie können.
Natürlich wäre es denkbar, daß die
westlichen Staaten mit Erdogans Politik brechen und die Türkei so gezwungen wäre, sich für einen anderen Weg zu entscheiden, aber das
halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Jedenfalls war es nicht unbedingt
hilfreich, daß Angela Merkel Erdogan eine Wahlspende von drei Milliarden Euro gegeben hat.
SB: Dieses Geld soll aus deutscher
Sicht eigentlich der Flüchtlingsabwehr dienen, um die Politik in der
EU wieder ins Lot zu bringen.
IA: Mag sein, aber dennoch ist die
Einbindung der Türkei in das System
der Flüchtlingsregulation kein geeignetes Mittel, um Erdogans Politik zu
stoppen. Zum einen hat Erdogan kein
Interesse daran, sich wie ein Esel vor
den Karren der EU spannen zu lassen
und zum anderen kann die Flüchtlingsfrage letztendlich nur durch einen
Frieden in Syrien gelöst werden. Also
müßte viel stärker daran gearbeitet
werden, den Bürgerkrieg dort zu beenden, sonst werden sich Flüchtlinge immer wieder aufden Weg machen.
SB: Es heißt zwar, die Türkei habe
2,8 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, aber ein Teil davon hat sich
wieder in Richtung Europa aufgemacht. Was halten Sie von der These, daß Erdogan die Flüchtlinge nach
Europa durchgewunken hat, um die
EU an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen?
IA: Das läßt sich schwer überprüfen.
Erdogan hat mit Rußland Probleme
wie auch mit dem Irak, mit Syrien,
Bulgarien und Griechenland. Tatsächlich hat sich die Türkei unter seiner Amtszeit als Ministerpräsident
kein Jota in Richtung einer EU-Mitgliedschaft bewegt. Vielmehr wurde
er von den europäischen Staaten isoliert. Jetzt versucht er, die Flüchtlingspolitik als Instrument zu nutzen,
um die Europäer, in erster Linie jedoch Deutschland, für eine AufnahSeite 6
me in die EU zu gewinnen. Mehr hat ist sein Ansehen bei den Moslems
Erdogan nicht in Händen, aber das weltweit enorm gestiegen. In der
macht er gut, und Merkel spielt mit. Folge knüpfte Erdogan Bande zu den
islamistischen Staaten Katar und
SB: Rojava ist für die Türkei ein ro- Saudi-Arabien und erhielt von beites Tuch. Sie will im Nachbarland den Ländern großzügige Geldmittel,
keine kurdische Autonomieregion, die er dazu nutzte, über die Türkei
geschweige denn einen eigenständi- Terror nach Syrien zu exportieren.
gen kurdischen Staat. Mit den Assad ist kein Waisenknabe und der
Flüchtlingen kommen auch syrische lebende Beweis dafür, daß auch ein
Kurden in die Türkei. Sieht Erdogan Alawit ein Diktator sein kann. Erdogan schwebt wahrscheinlich vor, aus
in ihnen eine Gefahr?
Syrien ein zweites Katar oder SaudiIA: Nein, keine Gefahr, vielmehr Arabien zu machen und so für das
versucht er, aus den geflüchteten Sunnitentum weitere Gebiete zu erMenschen insgesamt Kapital für sei- obern.
ne politischen Interessen zu schlagen. Erdogans Alptraum ist ein Kur- SB: Die ADHK setzt sich für demodistan, soviel ist sicher. Diejenigen, kratische Rechte in Deutschland und
die dort für eine kurdische Autono- Europa ein. Inwiefern weist
mie kämpfen, sind in seinen Augen Deutschland Demokratiedefizite auf?
allesamt Terroristen. Ihm wäre es am
liebsten, wenn Rojava vollständig IA: Ein Beispiel dazu: Die Schweiz
entvölkert wäre. Dazu dienen auch steht für eine direkte Demokratie. Dort
die Bombardierungen der türkischen werden wichtige Gesetzesänderungen
Luftwaffe als Teil seiner regionalpo- durch Volksabstimmungen getroffen,
aber wenn es um Wirtschafts- und nalitischen Strategie.
tionale Fragen geht, existiert diese diSB: Assad und Erdogan waren frü- rekte Demokratie nicht mehr. Dasselher so etwas wie politische Freunde. be gilt auch für Deutschland. Als die
Inzwischen ist daraus eine tiefe USA den Irak angegriffen haben, hat
Feindschaft geworden. Wie erklären Kanzler Schröder eine uneingeSie sich den Umschwung in den po- schränkte Solidarität zugesagt, obwohl
litischen Beziehungen zwischen der BND-Mitarbeiter in Bagdad saßen und
wußten, daß Saddam keine MassenTürkei und Syrien?
vernichtungswaffen besaß. Wenn so
IA: Für die Türkei war Syrien unter etwas möglich ist, bedeutet dies, daß
Hafiz Assad eine Diktatur, und auch es eine Demokratie, wie wir sie uns
sein Sohn Baschar wird inzwischen wünschen, in Deutschland nicht gibt.
als Diktator gesehen. Als sich Abdul- Das heißt, das bestehende System muß
lah Öcalan in den 1990er Jahren in geändert werden.
Syrien aufhielt, hat die Türkei dies
als Unterstützung von Terroristen SB: Wenn Sie sich ein Bild für die
ausgewiesen. Es stimmt schon, daß Zukunft ausmalen könnten, wie würzwischen Erdogan und Baschar As- de eine gelungene Demokratie für
sad für eine lange Zeit gute Kontak- Sie dann aussehen?
te bestanden. Das änderte sich, als
Erdogan über die Moslembrüder aus IA: Hier auf Kampnagel habe ich
Ägypten versucht hat, sich als Füh- Demokratie erlebt, weil die Menrer der islamischen Welt zu verkau- schen friedlich miteinander sprechen
fen. Man denke in diesem Zusam- konnten. Wenn die Politik dazu bemenhang an den Eklat beim Welt- reit ist, wird auch eine solche Demowirtschaftsgipfel in Davos 2009, als kratie möglich sein.
er zu Israels Präsidenten Schimon
Peres sagte, die Israelis wüßten sehr SB: Herr Akdeniz, vielen Dank für
gut, wie man Kinder tötet. Dadurch das Interview.
www.schattenblick.de
Di, 22. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Bisherige Beiträge zur Hamburger
Flüchtlingskonferenz im Schatten­
blick unter www.schattenblick.de →
INFOPOOL → POLITIK →
REPORT:
BERICHT/231: Migrationskonferenz Kampnagel - Teilen und
Verweilen (SB)
INTERVIEW/300: Migrationskonferenz Kampnagel - Historische
Pflicht und humane Selbstverständlichkeit ... Beate Gleiser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/301: Migrationskonferenz Kampnagel - Nah! und solidarisch Asmara Habtezion im Gespräch (SB)
INTERVIEW/302: Migrationskonferenz Kampnagel - Die Geschichte
der Opfer ... Ibrahim Arslan im Gespräch (SB)
INTERVIEW/303: Migrationskonferenz Kampnagel - Am eigenen
Leib ... Kokou Theophil Ayena im
Gespräch (SB)
INTERVIEW/304: Migrationskonferenz Kampnagel - Halbherzig ...
Nadya Hareket im Gespräch (SB)
ADHK tritt für die Völkerverständigung ein
Foto: © 2016 by Schattenblick
POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA
Brasilien - Lula soll es richten
poonal ­
Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
von Andreas Behn
INTERVIEW/305: Migrationskonferenz Kampnagel - Fremdbestimmt
und kriegsgetrieben ... Tahir Khair (Rio de Janeiro, 19. März 2016, npl) endgültige Entscheidung trifft das
Khowa im Gespräch (SB)
- Der politische Machtkampf in Bra- Oberste Gericht.
silien geht in eine neue Runde. Die
INTERVIEW/306: Migrationskon- angeschlagene Präsidentin Dilma Lula hat jetzt den zweitwichtigsten
ferenz Kampnagel - Fluchtgrund Rousseff kürte ihren Vorgänger Lu- politischen Posten inne, er amtiert als
Neubeginn ... Zohair Mahmoud im la da Silva zum neuen Kabinetts- eine Art Premierminister. Zurecht
Gespräch (SB)
chef. Sofort gab es neue Proteste im spotten Kommentator*innen, dass
ganzen Land, die Stimmung auf den Rousseff "sich selbst zu einer KöniINTERVIEW/307: Migrationskon- Straßen wird rauer und die Polari- gin von England" degradiert hat. Luferenz Kampnagel - der Sprung ins sierung nimmt zu. Der Chefermitt- la hat das Charisma und das politische
Netz und weiter ... Larry Macauley ler in Sachen Korruptionsaffäre Fingerspitzengefühl, das Rousseff,
im Gespräch (SB)
gießt weiter Öl ins Feuer: Er veröf- die er selbst gegen den erklärten Wilfentlichte ein abgehörtes Telefonat len seiner Arbeiterpartei PT zu seiner
zwischen Rousseff und Lula. Zu- Nachfolgerin kürte, vermissen lässt.
http://www.schattenblick.de/
dem blockierte der Richter am Er regierte von 2003 bis 2010 und gilt
infopool/politik/report/
Obersten Gericht, Gilmar Mendes, als Architekt der erfolgreichen Soziprin0308.html
am Freitag Lulas Amtsantritt und alpolitik, mit der das größte Land Laordnete die Wiederaufnahme von teinamerikas jahrelang erfolgreich
Korruptionsermittlungen an. Die die Armut bekämpft hat.
Di, 22. März 2016
www.schattenblick.de
Seite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
Rousseff-Fraktionen kaum noch
Mehrheiten zusammen bringt, hat
die konservative Opposition ein
Amtsenthebungsverfahren auf den
Weg gebracht.
Demonstration in Brasilia gegen
das Amtsenthebungsverfahren.
Foto: Fabio Rodrigues
Pozzebom/Agência Brasil
(CC BY 3.0 BR)
[https://creativecommons.org/
licenses/by/3.0/br/deed.de]
Ex-Präsident plädiert für
Abkehr von Sparpolitik
Kaum jemand zweifelt daran, dass
Lula jetzt mehr oder weniger alleine das Ruder übernehmen wird. Vor
allem in der Wirtschaftspolitik. Im
Gegensatz zu der Sparpolitik von
Rousseff fordert er "die Wiederaufnahme eines Wachstumskurses"
durch staatliche Regulierung. Innerhalb der PT und seitens der Gewerkschaften wird Rousseff seit
längerem wegen ihrer Austeritätspolitik und einem Entgegenkommen an die marktorientierte Politik
der konservativen Opposition kritisiert.
"Lula als Minister bedeutet eine
Stärkung meiner Regierung". Er
werde "mit den nötigen Vollmachten
ausgestattet, um dem Land zu helfen", erklärte Rousseff nach der Ernennung am Mittwoch. Doch es ist
unklar, ob diese Machtrochade die
PT-Regierung retten kann. Kurze
Zeit später gingen Tausende in zahlreichen Städten auf die Straße und
Seite 8
forderten den Rücktritt von Rousseff
und jetzt auch von Lula. In wohlhabenden Vierteln von Sao Paulo, Rio
de Janeiro und der Hauptstadt Brasília war Topfschlagen als Zeichen des
Protests zu hören, als eine RousseffAnsprache im Fernsehen gezeigt
wurde.
Proteste und Polarisierung
nehmen zu
Im Gegensatz zu den friedlichen
Massendemos am Sonntag, 13. März
kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und vereinzelt zu
Handgreiflichkeiten zwischen Kritiker*innen und Anhänger*innen der
PT. Auch Tausende Unterstützer*innen der Regierung demonstrierten
unter dem Motto "Es wird keinen
Staatsstreich geben". Gewerkschaften und soziale Bewegungen riefen
für Freitag, 18. März zu landesweiten Demonstrationen auf.
Aufgrund der mutmaßlichen Verwicklung in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und einer dramatischen Wirtschaftskrise steht
Rousseff mächtig unter Druck. Ihre
Beliebtheit beträgt zumindest in
Umfragen kaum noch zehn Prozent.
Im Kongress, wo die Regierung
aufgrund der Spaltung ihrer Koalitionspartner in pro- und contra
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Untersuchungsrichter Sergio Moro,
der auf den Demonstrationen aufgrund seiner spektakulären und medial aufgebauschten Ermittlungen
im Korruptionsskandal als Held gefeiert wird, steht ein weiteres Mal
im Mittelpunkt der erregten Diskussionen. Den Telefonmitschnitt,
den er am Mittwoch Nachmittag
veröffentlichte, werten er und die
Opposition als Beweis dafür, dass
Lula nur zum Minister ernannt wurde, um ihn vor einem Strafprozess
in Schutz zu nehmen. Die Regierung bezeichnete die Veröffentlichung in einer Erklärung hingegen
als "gesetzeswidrig und Verstoß gegen die Verfassung". Sie kündigte
aufgrund des Vorgangs juristische
Schritte an. In linken Kreisen wird
Moro vorgeworfen, er habe durch
politisch gefärbte Ermittlungen
einen Ausnahmezustand im Land
geschaffen.
Putschgefahr
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit,
die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff und die Arbeiterpartei
in Brasilien zu verteidigen. Beide
stecken bis zum Hals in einem Korruptionsskandal. Gemeinsam mit
korrupten Bauunternehmen haben
sie Milliarden öffentlicher Gelder
veruntreut und zum Kauf von politischen Gefälligkeiten von noch dubioseren Politiker*innen verwendet, mit denen eine einst fortschrittliche Partei wie die PT niemals eine Koalition hätte eingehen dürfen.
Und es ist schon der zweite Skandal
dieser Art. Schon damals, im Jahr
2005, wandten sich viele Linke von
der Partei ab, die sie alle gemeinsam
in 20 Jahren Aktivismus aufgebaut
haben. Hinzu kommt, dass Rousseff
auf den Druck der konservativen
Opposition mit Entgegenkommen
Di, 22. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
beispielsweise in der Wirtschaftspolitik reagiert und damit auch noch
die ihr verbliebene Basis gegen sich
aufbringt.
Doch heute muss diese PT-Regierung gegen einen Umsturzversuch
verteidigt werden. Die konservative Opposition und wenig durchsichtige rechte Seilschaften blasen
mit kräftiger Unterstützung der
Massenmedien nicht nur zum Sturz
auf eine demokratisch gewählte Regierung, sondern stellen den
Rechtsstaat überhaupt in Frage.
Dass der Korruptionsermittler
Stunden nach der umstrittenen Ernennung von Ex-Präsident Lula
zum Kabinettschef ein abgehörtes
Telefonat zwischen ihm und
Rousseff veröffentlichte, ist eine
Provokation, die die aufgeheizte
Stimmung im Land zum Überkochen bringen kann. Der bislang
friedliche Protest von Hunderttausenden gegen eine unbeliebte Regierung beginnt, in handgreifliche
Auseinandersetzungen umzuschlagen. Zurecht warnen Jurist*innen,
Intellektuelle und Aktivist*innen
davor, dass die Stimmung für einen
Staatsstreich geschaffen werde.
BÜRGER UND GESELLSCHAFT / REPORT / INTERVIEW
Das Anti-TTIP-Bündnis - Großer Spieler Eurozone ...
Francisco Mari im Gespräch
Handelsabkommen EPAs ­ Fuß der EU in der Tür Afrikas
Interview auf der TTIP Strategie­ und Aktionskonferenz
in Kassel am 26. Februar 2016
(SB) ­ Der Jurist und Sozialpsycho-
loge Francisco Mari ist seit 2009 bei
Brot für die Welt - Evangelischer
Entwicklungsdienst Projektreferent
in den Bereichen Agrarhandel und
Fischerei mit den Schwerpunkten
Welthandelsorganisation (WTO),
EU-Handelsabkommen mit Afrika
(EPAs), Meerespolitik und EU-Fischereiabkommen.
Aufder TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel gehörte er zu den
Vortragenden eines Workshops zum
Thema "Was können wir aus dem Widerstand gegen die EPAs lernen?".
Darin ging es um die langjährigen Versuche der Europäischen Union, mit
Hilfe der EPAs (Economic Partnership
Agreements) ihre Freihandelsagenda,
völlig abseits der Öffentlichkeit und
weitestgehend unbemerkt, auch gegen
URL des Artikels:
Afrika durchzusetzen, Erörtert wurde
https://www.npla.de/poonal/lulainsbesondere, welche Ziele die EU mit
soll-es-richten/
diesen Abkommen verfolgt, welche
Auswirkungen den afrikanischen Län*
dern drohen, wie der Widerstand gegen die EPAs bislang verlaufen ist und
Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerika- welche Folgerungen für die weitere
Vorgehensweise daraus abzuleiten
nischer Nachrichtenagenturen
sind. Im Anschluß daran beantwortete
Herausgeber: Nachrichtenpool
Francisco Mari dem Schattenblick eiLateinamerika e.V.
Köpenicker Straße 187/188, 10997 nige Fragen.
Berlin
Schattenblick (SB): Francisco, du
Telefon: 030/789 913 61
bist bei Brot für die Welt Referent für
E-Mail: [email protected]
Welternährung, Agrarhandel und
Internet: http://www.npla.de
Meerespolitik. Das sind zweifellos
zentrale Themen, die die Welt heute
http://www.schattenblick.de/
bewegen.
infopool/politik/ausland/
pala1543.html
Di, 22. März 2016
und Politik abgefragt werden, weil sie
den Lebensalltag der Menschen in
Afrika infolge der Globalisierung fast
tagtäglich berühren. Es geht um die
Frage, was in der Landwirtschaft produziert wird, und vor allem darum,
welche Konkurrenzprodukte den
afrikanischen Landwirten die Märkte
wegnehmen. Es geht um die Fischerei mit ähnlich negativen Einflüssen
durch europäische Flotten und die anderer Länder. Und es geht grundsätzlich um die Handelsbeziehungen, die
heute auf das tägliche Leben vor allem von Bäuerinnen und Fischern unmittelbar Einfluß nehmen.
SB: Mit Blick auf die Welternährung
stehen zwei Thesen im Raum: Die eine besagt, daß die Menschheit zu ernähren wäre, ginge die Verteilung
gerechter vonstatten. Die andere geht
davon aus, daß die produzierten Nahrungsmittel längst nicht mehr für alle ausreichen und dieser Mangel angesichts des Klimawandels dramatisch zunehmen und insbesondere
Weltregionen wie Afrika heimsuchen
wird. Wie ist dieser Widerspruch aus
deiner Sicht einzuschätzen?
FM: Beides stimmt. Aktuell gibt es
in manchen Regionen zu wenig Nahrungsmittel, während zugleich auf
den Äckern der Welt Nahrungsmittel
angebaut werden, die neun bis zwölf
Milliarden Menschen ernähren
könnten. Das Problem besteht darin,
daß die Hälfte der angebauten Nahrungsmittel nicht zur Nahrung verwendet wird. Ein Großteil geht
Francisco Mari (FM): Es sind The- schon auf den Äckern als Nachernmen, die immer wieder von Medien teverlust verloren, weil es einfach
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keine Infrastruktur gibt, die Ernten
zu lagern, zu transportieren und zu
verarbeiten, damit sie später als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen.
Hinzu kommt, daß wir fast zwanzig
Prozent der Ernten in Futtermittel
umwandeln, um Fleisch zu produzieren, wodurch ein Vielfaches an potentiellen Lebensmitteln verlorengeht. Das betrifft vor allem Südamerika, aber auch Asien und Europa.
Überdies wachsen die nichtagrarischen Anforderungen an die Landwirtschaft, aus Nahrungsmitteln
Energie zu gewinnen. Das hat vor allem mit den Agrotreibstoffen angefangen und setzt sich im nächsten
großen Schub durch die sogenannte
Bioökonomie fort. Wir sind dabei,
aus Klimaschutzgründen aus der
Kohlenstoffchemie auszusteigen,
und wollen Ersatzwerkstoffe aus
nachwachsenden Rohstoffen haben.
Dadurch wächst der Druck auf die
Äcker, dort Nahrungsmittel als nachwachsende Rohstoffe abzuziehen.
blematisch ansehen, weil es sich vor
allem um nicht als Nahrungsmittel
verwendete Agrarprodukte handelt.
Wenngleich man Bananen natürlich
auch auf den lokalen Markt bringen
könnte, geht es bei den Ausfuhren
nach Europa doch vor allem um
Edelprodukte wie Früchte und insbesondere Kaffee und Kakao. Da der
Anbau von Gemüse weniger flächenintensiv als beispielsweise Getreide
ist, könnte dies eine Möglichkeit
sein, Einkommen zu schaffen, wenn
ein größerer Anteil an der Wertschöpfung in diesen Ländern bliebe. Was
die Agrotreibstoffe betrifft, hat die
Kontroverse um Landgrabbing zumindest in Europa so hohe Wellen
geschlagen, daß die Reduzierung des
Zugriffs auf Agrarprodukte für die
Treibstoffversorgung und das Einfrieren der Beimischungsquoten einigen Druck genommen und auch das
Interesse der Investoren etwas abgekühlt hat. Das kann natürlich durch
diesen Run auf die Bioökonomie
wieder umschlagen, aber vorerst ist
Es gäbe also genug Nahrungsmittel der Einfluß aus Europa, solche Rohfür alle Menschen und doch gibt es sie stoffe aus Afrika abzuziehen, nicht
nicht. Läßt man diese Aufteilung der das größte Problem.
Nutzung vorhandener Ackerfläche zu
und projiziert das auf die nächsten 50 Viel problematischer ist seit JahrJahre, kommt man zwangsläufig zu zehnten, daß Afrika zunehmend der
dem Schluß, daß wir nicht genug Markt für unsere riesigen AgrarüberNahrungsmittel produzieren, um alle schüsse wird. Wenngleich das weniForderungen abzudecken. Möglicher- ge Erzeugnisse betrifft, die in der
weise gelingt es uns, die Nachernte- Folge vor Ort nicht mehr produziert
verluste zu reduzieren, doch wenn die werden können, betrifft es doch Prodadurch gewonnenen Nahrungsmittel dukte wie beispielsweise Fleisch und
gleich wieder in Agrotreibstoffe um- Milch, die ja Luxusprodukte in Afrigewandelt werden, haben wir nicht ka sind und deswegen eine große Gegenug Nahrungsmittel, um den welt- winnspanne für kleinbäuerliche Proweiten Bedarf zu decken.
duzenten zulassen würden, wenn
man ihnen die Märkte gäbe, die jeSB: Im Rahmen des gesamten Han- doch zunehmend von Importen aus
dels der Europäischen Union spielt europäischen Ländern besetzt werAfrika eher eine untergeordnete Rol- den. Seit etwa einem halben Jahr gilt
le. In welchem Maße verschärft der das neben dem Fleischmarkt auch für
Export von Nahrungsmitteln oder den Milchmarkt, den wir schon in
Rohstoffen zur Herstellung von Westafrika haben. Traditionell hanAgrotreibstoff nach Europa dennoch delt es sich bei 80 Prozent der Agrardie Ernährungslage in den afrikani- produkte aus Europa nach wie vor
schen Ländern?
um Weizen und zunehmend nur noch
um Weizenmehl, so daß noch nicht
FM: Den Export von Agrarerzeug- einmal das Mahlen des Weizenkorns
nissen würde ich als nicht allzu pro- als Wertschöpfung in Afrika möglich
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ist, da wir ihnen gleich die Mehlsäcke schicken.
SB: Neben dem europäischen Einfluß sind auch die Interessen der
USA zu nennen, die unter Clinton die
Aufteilung Afrikas in Einflußsphären vorangetrieben und ihr Afrikakommando in Deutschland stationiert haben. Hinzu kommt als dritter
bedeutender Akteur China, das insbesondere mit Landgrabbing in Verbindung gebracht wird. Wie verteilt
sich deiner Erfahrung nach diese
Einflußnahme derzeit?
FM: Der US-amerikanische Einfluß
vor allem als Präferenz für afrikanische Produkte auf dem amerikanischen Markt, dieser sogenannte African Growth and Opportunity Act,
den Clinton damals eingeführt hat
und der jetzt verlängert wurde, ist
das in Aussicht gestellte Wirtschaftswunder schuldig geblieben. Zwar
werden diverse Erzeugnisse wie bestimmte Stoffe vermehrt von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern gekauft, doch hat die Öffnung
des Textilmarktes bislang noch nicht
zu wirklich bedeutsamen Investitionen geführt, weil Asien immer noch
billiger als jede afrikanische Fabrik
produzieren kann. Hinzu kommen
einige Agrarprodukte, aber ebenfalls
nicht im erhofften Umfang. Der
Streit um die afrikanischen Rohstoffe wird über angebliche Möglichkeiten wie offene Märkte mit den USA,
aber auch die berüchtigte Visa-Lotterie, ausgetragen, die Einflußnahme
der USA ist also durchaus präsent.
Genauso präsent sind aber auch China, Indien und Brasilien, wobei es
insbesondere China, aber auch Saudi-Arabien angesichts der weltweiten Nahrungskrise 2008 vor allem
darum ging, auf fruchtbarem Boden
in Afrika Teile ihrer Nahrungssicherheit zu gewährleisten, die darüber jedoch keineswegs vollständig gedeckt
werden kann. Im Zuge dieser Offensive wurde sehr viel Land unter dubiosen Bedingungen aufgekauft, die
sich als ausgesprochen nachteilig für
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die dort ansässigen Bäuerinnen und
Bauern erwiesen haben, denen insbesondere der Zugang zu Wasser
entzogen wurde. Dieser Vorgang ist
nach wie vor präsent. Hinzu kommen
natürlich auch internationale Fonds,
die wissen, daß angesichts eines
großen Bevölkerungszuwachses
Land in Afrika immer knapper wird,
und die sich schon jetzt dort festsetzen wollen. Länder wie Äthiopien,
Sierra Leone oder Liberia bieten sogar offensiv auf Märkten in Europa
und Asien ihr Land zu Lasten kleinbäuerlicher Produzenten an. Das ist
wirklich ziemlich übel, weil die Nahrungssicherheit in diesen Ländern
noch nicht so gefestigt ist, daß sie
sich das leisten könnten.
SB: TTIP ist in Deutschland inzwischen ein recht geläufiges Thema geworden. Wie kommt es, daß demgegenüber die Freihandelsabkommen
der EU mit Afrika nach wie vor weithin unbekannt sind?
FM: Weil es dabei anders als bei
TTIP von europäischer Seite, wie
man ehrlicherweise einräumen
muß, für sich genommen eigentlich
um nichts geht. Selbst wenn durch
die EPAs afrikanische Märkte für
europäische Produkte geöffnet werden sollten, würde das nicht zu erheblich anwachsenden Chancen für
europäische Erzeugnisse führen,
schon gar nicht für die teuren und
wirklich Gewinne schaffenden
technologischen Produkte. Wo diese benötigt werden, können sie afrikanische Investoren ohnehin schon
kaufen, und auf der anderen Seite
ist die Rohstoffzufuhr aus afrikanischen Quellen auch nie versiegt.
Auf europäischer Seite handelt es
sich angeblich um ein entwicklungspolitisches Instrument, denn
die EU verkauft diese Abkommen
nicht als Teil ihrer offensiven Interessen in der Rohstofffrage, sondern
als Entwicklungsabkommen, als ein
Zurückstellen eigener Interessen
zugunsten einer Entwicklungsförderung in Afrika, was sie natürlich
mitnichten sind.
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In Afrika hat die Debatte um die
EPAs zehn Jahre voller vermeintlicher Durchbrüche, gefolgt von erneuten Rückschlägen, überdauert,
weil der Widerstand afrikanischer
Zivilgesellschaften und Regierungen
nach 2008 erheblich gewachsen ist.
Hätte es diese Erpressung von seiten
der EU nicht gegeben, die Mitteleinkommensländer mit Strafsteuern zu
belegen, wäre das Thema längst vom
Tisch. Die Entscheidung des Europaparlaments, auf der Umsetzung der
EPAs zu beharren, war dem Prinzip
geschuldet, daß man in Angriff genommene Handelsabkommen auch
abschließen muß, da ein Scheitern
ein höchst unerwünschtes Signal für
alle anderen Verhandlungen um Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA
und vor allem mit den ostasiatischen
Entwicklungsländern wie den Philippinen, Indonesien und Vietnam
wäre. Man hat offenbar gehofft, mit
Afrika zügig voranzukommen, und
als sich dort unverhofft Widerstand
regte, jenen Ländern Daumenschrauben angelegt, die tatsächlich bestraft
werden konnten.
SB: Könnte man also sagen, daß es
bei der Vielzahl von geplanten oder
bereits geschlossenen Freihandelsabkommen nicht in jedem einzelnen
Fall um unmittelbare ökonomische
Erfolge der EU, sondern insbesondere eine langfristig angelegte Gesamtstrategie geht?
FM: Auf jeden Fall! Es gibt auch in
Afrika Mitteleinkommensländer mit
einem wachsenden Bedarf der Mittelschicht, entweder aufgrund von
Öleinnahmen oder auch besserer Regierungsführung wie in Ghana, Kenia, Namibia und gerade im südlichen Afrika Botswana, wo die EU
einen Fuß in die Tür gestellt hat. Soweit es um Märkte geht, haben diese
Länder meistens nur mit Europa regelrechte Abkommen geschlossen,
während es sich mit Blick aufAsien,
Rußland oder Brasilien lediglich um
Präferenzen handelt. Die EU ist also
schon da, und sollten andere etwas
Besseres kriegen, würden es die Euwww.schattenblick.de
ropäer auch bekommen, da sie die
Nase vorn haben.
Bei anderen Entwicklungsländern
gibt es besonders ausgeprägte Interessen der EU, wenn man aktuell an
Vietnam denkt, mit dem ein unglaublich neoliberales Abkommen
geschlossen wurde. So werden europäischen Investoren selbst Krankenhäuser in Hanoi und Ho-Chi-MinhStadt angeboten, was bislang beispiellos ist. In Afrika steht die zweite Debatte noch an, weil sich die
Länder dort geweigert haben,
Dienstleistungen zu diskutieren. Es
handelt sich zunächst um ein reines
Güterabkommen, dessen Abschluß
jedoch mit der Verpflichtung verbunden ist, sechs Monate später auch
über Dienstleistungen zu verhandeln.
Das ist ein Sektor, auf dem Europa
stark ist, weshalb die EU bei Dienstleistungen, Eigentumsrechten, Banken, Versicherungen und dem öffentlichen Beschaffungswesen mitbieten will. Diese Tür hat Europa
durch die EPAs aufgestoßen.
SB: Im Falle von TTIP wurden die
Inhalte und der Stand der Verhandlungen regelrecht geheimgehalten.
Gilt dieses Prozedere hinter verschlossenen Türen auch für die
EPAs?
FM: Vom gegenwärtigen Stand ausgehend würde ich es nicht so einschätzen, daß die Verhandlungen um
die EPAs im Geheimen vorangetrieben werden. Zum einen war bei ihnen die Veröffentlichung immer vorgesehen, was bei allen bereits abgeschlossenen Abkommen auch umgesetzt wurde. Die dennoch stattfindende Verzögerung hängt nur mit der
Rechtsförmigkeitsprüfung zusammen, in der noch einmal gecheckt
wird, ob man alles genauso verstanden hat wie sein Gegenüber. Zudem
muß in Europa alles in 28 Sprachen
übersetzt werden, was üblicherweise
eine gewisse Zeit dauert. Ein Vorteil
war zudem, daß bei diesen Verhandlungen im Unterschied zu TTIP aufgrund des Cotonou-Vertrages [1] ziSeite 11
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die weiterhin an der Regierung beteiligten Parteien dafür, die Oppositionsparteien jedoch dagegen. Unter
Schwarz-Gelb war die Sozialdemokratie aufeinmal gegen die EPAs, die
sie zuvor jahrelang befürwortet hatte, und seit drei Jahren, in denen die
SPD wieder mit in der Regierung ist,
spricht sie sich - angeblich zähneknirschend - wieder für die EPAs
aus. Die CDU war durchgängig dafür, die FDP spielt jetzt keine Rolle
mehr. Allein Die Linke, der auch eiWo derzeit noch Ungewißheit nige der ersten Aktivistinnen gegen
herrscht, hängt das zumindest in die EPAs angehören, war durchgänWestafrika mit den dortigen Regie- gig gegen diese Handelsabkommen.
rungen zusammen, die ihrer Bevölkerung die Information vorenthalten, SB: Die deutsche Entwicklungspoliob sie die Abkommen schon unter- tik ist nicht das, was ihr Name verzeichnet haben oder nicht, was der- spricht. Muß man sie grundsätzlich
zeit vor allem für Togo und Maure- als Strategie zur Umsetzung deuttanien gilt. Grundsätzlich würde ich scher Wirtschaftsinteressen auch in
sagen, daß wir um alles wissen, was Afrika ausweisen oder gibt es deines
uns freilich zum Teil nichts nützt. Erachtens dennoch Anteile, die verWohl können die Zivilgesellschaften tretbar sind?
und andere Akteure Einfluß nehmen,
bevor diese Verträge in die Parla- FM: Sie ist von ihrem Umfang und
mente gehen. Das grundsätzliche ihrer Wirkung her zu unwichtig, als
Problem besteht jedoch darin, daß in daß sie tatsächlich WirtschaftsinterAfrika nur wenige Menschen wissen, essen durchsetzen könnte. Dennoch
was da auf sie zukommt, aber das ist ist es die Grundidee aller Länder, die
ja bei uns in Europa auch nicht an- Entwicklungszusammenarbeit betreiben, zumindest Bedingungen zu
ders.
schaffen, in denen es eigenen Firmen
SB: Welche Position nehmen die möglich ist, zu Anbietern zu werden
deutschen Parteien hinsichtlich der oder ihre Produkte zu verkaufen. AlEPAs ein? Gibt es unter ihnen einen lerdings läuft das nicht immer nach
zuverlässigen Bündnispartner, was dem schlichten Schema, ich baue
die Gegnerschaft zu den Freihan- einen Brunnen, und dann kommt
Siemens und macht das Telefon.
delsabkommen betrifft?
Grundsätzlich herrscht das Interesse
FM: Deutschland ist insofern ein be- vor, mittels der Entwicklungszusamsonderer Fall, weil sich die Verhand- menarbeit in den Ländern Fuß zu
lungen nun schon zwölf Jahre hin- fassen, aber diese Länder zugleich
ziehen und es während dieser Zeit auch wirtschaftlich so voranzubrindie unterschiedlichsten Regierungs- gen, daß ihre Produkte überhaupt gekoalitionen gegeben hat. Manche kauft werden. Insofern verbindet
Parteien haben das Hemd gewech- sich Armutsbekämpfung mit wirtselt, je nachdem, ob sie an der Regie- schaftlichen Interessen.
rung oder in der Opposition waren.
Unter der rot-grünen Regierung wur- Wenn man das jetzt auf die Frage rede das Vorhaben als Entwicklungs- duziert, was konkret passiert, hat
abkommen deklariert, weswegen ja sich tatsächlich mit der neuen Regieauch das Entwicklungsministerium rung, anders als noch in der schwarzdie Verhandlungen führt. Als dann gelben, zumindest im Bereich Landdie erste große Koalition kam, waren wirtschaft etwas bewegt. Seit der
vilgesellschaftliche Vertreter dabei
waren. Wir wußten zwar von Behinderungen auch seitens der Regierungen in Afrika selber, doch in der Regel galt das Recht, daß mindestens
zwei zivilgesellschaftliche Vertreter
aus den NGOs, Gewerkschaften oder
Kirchen an den Verhandlungen teilnahmen. Wenngleich sie einer Verschwiegenheitspflicht unterlagen,
war der Vorgang längst nicht so intransparent wie bei TTIP.
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großen Ernährungskrise 2008 hat
sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß
die von der neoliberalen Ideologie
vertretende These als Katastrophe
erwiesen hat. Der heute für gescheitert erachtete Ansatz sah vor, daß
Entwicklungsländer aufgrund ihrer
vergleichsweisen Kostenvorteile auf
dem Weltmarkt möglichst viel von
ihren Agrarprodukten verkaufen
sollten, um mit den Devisen auf den
sehr günstigen Nahrungsmärkten
Lebensmittel einzukaufen. Als die
Nahrungsmittelpreise vor der Finanzkrise dramatisch stiegen, bevölkerten hungernde Menschen vor allem in den Großstädten die Straßen
dieser Länder.
Dieser grassierende Hunger hat die
Weltgemeinschaft aufgeschreckt,
weil man plötzlich sah, daß Hunger
zu einer Waffe werden kann, und die
schleichende Migration in eine Massenwanderung überging. Seither hat
auch die deutsche Regierung in ihrer
Entwicklungszusammenarbeit einen
stärkeren Fokus auf die Landwirtschaft gelegt, was während der rotgrünen Zeit nicht der Fall war. Unter
dem früheren Entwicklungsminister
Dirk Niebel führte das zur Maßgabe,
die Landwirtschaft so zu gestalten,
wie sie bei uns "erfolgreich" gewesen ist: Unter Einbezug des deutschen Agrobusineß in Afrika sogenannte Potentialbauern zu schaffen,
die dort auf den Nahrungsmärkten
unter Input wie Dünger, Pestizide
und Hybridsaatgut möglichst schnell
möglichst viel Ertrag liefern. Das hat
sich angesichts heftiger Proteste seitens der Zivilgesellschaft unter dem
neuen Entwicklungsminister tatsächlich geändert. Ansätze wie die
Sonderinitiative "Eine Welt ohne
Hunger" [2] werden von Brot für die
Welt begleitet. Diese Ausrichtung
sieht vor, daß Nahrung für die Menschen vor Ort von kleinbäuerlichen
Produzenten erzeugt werden soll und
daß ihre Märkte an Wert gewinnen.
Das schafft die Grundlage dafür, daß
nicht in jeder Krise wie der gegenwärtig herrschenden Dürre Hunger
um sich greift, sondern weiterhin
Di, 22. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Nahrung produziert wird. Wir begleiten das durchaus wohlwollend,
aber natürlich mit einem bitteren
Beigeschmack, weil man nicht davon abläßt, das Agrobusineß, wenngleich in etwas abgefederter Form,
mitzunehmen, um dessen Möglichkeiten auszuloten.
Ausgleich für die wirtschaftliche Benachteiligung schufen, hin zu Freihandelsabkommen zwischen ungleich starken Partnern. Denn das
Cotonou-Abkommen sieht die graduelle Handelsliberalisierung gemäß
den Bestimmungen des WTOGATT-Abkommens vor.
http://www.sopos.org/aufsaetWir verwahren uns auch dagegen, ze/45bf8f72d52d0/1.phtml
daß die steigenden Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in Folge [2] Im Januar 2016 stieß die vor rund
der Flüchtlingskrise als Abstandshal- einem Jahr gestartete Sonderinitiatiter gegenüber den Menschen, die als ve "Eine Welt ohne Hunger" des
Migranten zu uns kommen wollen, Bundesministeriums für wirtschafteingesetzt werden. Brot für die Welt liche Zusammenarbeit und Entwicksetzt sich für Bedingungen ein, in de- lung (BMZ) im Entwicklungsausnen die Menschen überhaupt eine schuß erneut auf Kritik. AbgeordneEntscheidung treffen können, ob sie te aus den Reihen von SPD, Bündnis
bleiben oder gehen wollen. Wenn sie 90/Die Grünen und Die Linke wargehen wollen, brauchen sie sichere fen dem Ministerium vor, bei der
Fluchtwege und legale Migrations- Hungerbekämpfung auf die falsche
möglichkeiten, weil es einfach ihr Strategie und die falschen Partner zu
Recht ist, sich angesichts unerträgli- setzen. Ihrer Meinung nach zielt die
cher Verhältnisse dafür zu entschei- Sonderinitiative einseitig auf eine
den. In vielen Bereichen wider- Steigerung der landwirtschaftlichen
spricht der Entwicklungsminister in Produktivität in den Entwicklungsscharfer Form seiner eigenen Partei ländern und nimmt zu wenig die neund vertritt Positionen, die unseren gativen Auswirkungen der internagleichen. Vieles davon ist allerdings tionalen Agrar- und Handelspolitik
bislang nur angekündigt und ob es auf die lokalen Strukturen in den
tatsächlich umgesetzt wird, muß man Blick. Darüber hinaus kritisierten sie
sehen. Doch lieber so als wie unter die Kooperation mit Unternehmen
Niebel, wo eindeutig Tore für das eu- im Rahmen der "Grünen Innovatiropäische Agrobusineß im Nah- onszentren".
rungsbereich geöffnet werden soll- https://www.bundestag.de/presten.
se/hib/201601/-/403892
SB: Francisco, vielen Dank für dieses Gespräch.
Anmerkungen:
[1] Im Juni 2000 wurde das CotonouAbkommen zwischen der EU und ihren 79 assoziierten AKP-Staaten
(Afrika, Karibik, Pazifik) unterzeichnet. Es löste die Lomé-Abkommen ab, die den AKP-Staaten Handelspräferenzen für ihre Exportgüter
einräumten, die nun entfielen. Das
war ein Paradigmenwechsel von Präferenzabkommen zugunsten der ehemaligen Kolonien der europäischen
Mächte, die zumindest partiell einen
Di, 22. März 2016
TTIP Strategie­ und Aktionskonfe­
renz in Kassel im Schattenblick
www.schattenblick.de →
INFOPOOL → BUERGER →
REPORT:
BERICHT/068: Das Anti-TTIPBündnis - Widerstand und Kompromiß ... (SB)
BERICHT/069: Das Anti-TTIPBündnis - Lackmustest Verschärfung
... (SB)
INTERVIEW/097: Das Anti-TTIPBündnis - die Säge am Überlebensast
... Pia Eberhardt im Gespräch (SB)
www.schattenblick.de
INTERVIEW/098: Das Anti-TTIPBündnis - Kulturelle Errungenschaften im Ausverkauf ... Olaf Zimmermann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/099: Das Anti-TTIPBündnis - Konsens ... Nelly Grotefendt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/100: Das Anti-TTIPBündnis - Rechtsprechung statt Verträge ... Petra Pinzler im Gespräch
(SB)
INTERVIEW/101: Das Anti-TTIPBündnis - Korrumption im Zangengriff der Basis ... John Hilary im
Gespräch (SB)
INTERVIEW/103: Das Anti-TTIPBündnis - der Kriegsführung entlehnt ... Uwe Hiksch im Gespräch
(SB)
http://www.schattenblick.de/
infopool/buerger/report/
brri0104.html
SCHACH - SPHINX
Réti, Krethi und Plethi
Siegbert Tarrasch war ein
schulmeisterlicher Charakter. Zur
Biederkeit erzogen und streng nach
den Maßstäben eines bürgerlichen
Haushalts lebend, war ihm Rechthaberei zur zweiten Natur geworden.
Wohl mag er sich als Vorkämpfer einer von Vernunft durchtränkten
Schachtheorie verstanden haben,
weswegen er auch so hartnäckig gegen vermeintliche Auswüchse der
reinen Lehre vorging. Ein besonderes verwerflicher Dorn im Auge seiner Theoriebeflissenheit war, ohne
daß er davon Abstriche machte, Richard Réti. Dessen 'zentrumsfeindliche' Flügeleröffnungen erregten aufs
heftigste Tarraschs Widerwillen,
glaubte er doch, ein Bewahrer der
klassischen strategischen Richtlinien
(SB) ­
Seite 13
Elektronische Zeitung Schattenblick
zu sein. Im ironischen Spott sprach
Tarrasch dann von "Réti, Krethi und
Plethi", was ihn jedoch nicht zum
besseren Taktiker machte, denn gegen Réti hatte er häufig das Nachsehen. Ein anderer Zug, der sein Mißfallen fand, war 1.c2-c4, den der
Bremer Meister Carls salonfähig
machte. Für Tarrasch ein "ganz dummer Zug". In Breslau 1912 revanchierte sich Carls für diese abfällige
Bemerkung und barbierte Tarrasch
nach allen Regeln der Kunst über den
sprichwörtlichen Löffel. Im heutigen
Rätsel der Sphinx kannst du es ihm
gleichtun, Wanderer.
Carls - Tarrasch
Breslau 1912
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Rétis Jagd auf den weißen König begann mit dem schönen Läuferopfer
1...Ld5xg2+!, worauf Bogoljubow
nach 2.Tg1xg2 Ta2-a1+ 3.Tg2-g1
Db6-b7+ die stumpfen Waffen
streckte.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05782.html
Weitere Sphinx­Rätsel:
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/ip_schach_
schach_schach­sphinx.shtml
Seite 14
KINDERBLICK / NATURKUNDE / TIERE
Nicht schnell genug, um zu entkommen ...
Wer kennt schon Meister Lampes Not?
(SB) ­ Da der Hase nicht zu den Nutz-
tieren zählt, über keine für den Menschen brauchbaren Fähigkeiten verfügt, gerät er leicht aus dem Blickfeld.
Sicherlich als Hasenbraten wird er geschätzt, aber wer kennt Meister Lampe schon persönlich? Wer weiß, wie
er lebt, was er gerne frisst, wo er am
liebsten wohnt oder wovor er am meisten Angst hat?
Aber halt! Einmal im Jahr denken doch
viele Menschen an ihn, besonders die
kleinen Kinder zur Osterzeit. Da spielt
das Langohr eine wirklich große Rolle - allerdings nicht als braungrauer
Feldhase, sondern als Osterhase. Dann
gibt es die hübschen Postkarten und
Werbefotos mit den niedlichsten Häschen, die neben Ostereiern hocken inmitten von bunten Blumen. Geliebt
wird er auch als Schokoladenhase in
farbenfroher Verpackung oder gar in
goldenem Gewand mit rotem Band
und Glöckchen um den Hals.
Wie kam der Feldhase zu seinem
Job als Eierverstecker?
Es heißt, zum Osterfest kommt der
Osterhase und legt bunt bemalte Eier
in versteckte Moosnester im Garten.
Für die ganz kleinen Kinder ist es ein
großer Spaß, sich auf die Suche nach
den Ostereiern zu begeben. Dieser
Brauch gehört zum christlichen Osterfest seit Jahrhunderten. Doch wie
kommt es, dass ausgerechnet der Hase die Eier bringt? Man kann sich das
vielleicht so erklären: Im Frühjahr
kommen viele Hasenbabys zur Welt.
Deren "Nester", wobei es sich eigentlich nur um eine Erdmulde, die Sasse
genannt wird, handelt, befinden sich
zumeist aufden Feldern, an Feldrändern, in Gärten oder am Waldrand.
Und wenn schon überall die Hasen
und kleinen Häschen auftauchten, so
www.schattenblick.de
dachte man sich, könnten sie es doch
auch sein, die die Ostereier bringen.
Außerdem war den Menschen bekannt, dass die Hasen sich sehr
schnell vermehren, was sie als Zeichen für rasches Wachsen und Gedeihen nahmen. Das Ei ist ebenfalls ein
Symbol für neues Leben und Fruchtbarkeit und so wurden Ei und Hase als
frohe Boten für blühendes Leben.
Foto: 2004, by MOdmate [Public do­
main], via Wikimedia Commons
Das Erwachen des Frühlings, die Geburt von Tieren und das Erblühen der
Pflanzen hatte für die Menschen von
einst eine viel lebenswichtigere Bedeutung als für uns heute. Früher gab
es noch keine Tiefkühltruhen oder
Supermärkte. Wenn die Vorräte, die
man im Herbst des vorangegangenen
Jahres im Keller oder auf dem Boden
gelagert hatte, im Frühjahr zur Neige
gingen, mussten viele Menschen mit
sehr wenig Essen auskommen oder
gar Hunger leiden. Dass sie den Frühling voller Freude und Hoffnung begrüßten, ist nur allzu verständlich. Als
die ersten großen und kleinen Langohren immer öfter anzutreffen waren,
galt das als sicheres Zeichen, dass nun
bald mit dem Umpflügen der Felder
begonnen werden konnte, um Getreide, Kartoffeln, Mais, Rüben, Kohl
und vieles mehr anzubauen. Das Zusammentreffen des Osterfestes im
Frühjahr mit dem Auftauchen der vieDi, 22. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
len Hasen mag dann der Grund gewesen sein, warum gerade Meister Lampe die Aufgabe des Eierversteckens
und fortan den Titel "Osterhase" erhielt. Aber der Hase begegnet einem
noch an ganz anderen wundersamen,
märchenhaften Orten.
Der Hase im Märchen
In vielen verschiedenen Märchen aus
allen Teilen der Welt trifft das Langohr auf die unterschiedlichsten Gesellen, wie beispielsweise auf den Igel,
den Wolf, den Fuchs, sogar auf eine
listige Schildkröte, eine verfressene
Ziege oder einen goldenen Vogel.
Nicht immer ergeht es dem Hasen dabei gut. Manchmal ist er der Schlaue,
ein anderes mal der Dumme. In einigen Märchen wird von der Traurigkeit
berichtet, die den Hasen befällt, weil
niemand ihn fürchtet, er aber vor allen Gefahren davon läuft. Daher
stammt letztlich auch sein Ruf als
Angsthase. Wenn Menschen vor etwas zurückschrecken oder flüchten,
nennt man sie gerne "Hasenfuß" oder
"Angsthase", oder den wenig Mutigen
wird gar ein "Hasenherz" bescheinigt.
Foto: 2015, by Frank Liebig
[Copyrighted free use],
via Wikimedia Commons
In den märchenhaften Erzählungen
erfährt man zum Beispiel, warum der
Hase eine gespaltene Lippe hat. Auch
wird ihm nachgesagt, dass er zu eingebildet auf seine Laufkunst sei und
deshalb einen Wettstreit mit dem Igel
oder der Schildkröte verliert. Und es
wird berichtet, wie sehr sich der Hase
wünscht, dass sich jemand vor ihm
fürchtet. Aber die Märchen sind schon
alt und werden immer wieder zur
Freude vieler großer und kleiner Zuhörer erzählt. Sicher enthalten sie ein
Di, 22. März 2016
Fünkchen Wahrheit, lassen ein wenig
vom Verhalten und Aussehen des Hasen ahnen. Doch wie ergeht es Meister Lampe heute?
Der Hase kämpft ums Überleben
Unsere Welt hat sich so sehr verändert, dass für einen wie ihn kaum noch
Platz ist. Sein Lebensraum wird mehr
und mehr eingeengt. Die Landwirtschaft wurde im letzten Jahrhundert
stark verändert, die Felder umgestaltet. Sie werden nur noch selten von
dem für den Hasen so wichtigen Feldrand umsäumt, der mit Büschen, Blumen und Gäsern bewachsen ist. Die
Anbauflächen werden größer und größer, damit beispielsweise die riesigen
Erntemaschinen dort arbeiten können.
Da stören Busch und Strauch. Was
den Tieren auch zu schaffen macht, ist
die moderne Anbauweise. Über weite
Gebiete wird nur Mais, nur Raps oder
nur Kohl angebaut. Der Landwirt
bringt Kunstdünger aufs Feld und versprüht Pflanzenschutzmittel. Für die
Hasen und all die anderen Tiere die
dort leben, stellt das eine große Gefahr dar, denn diese Mittel sind für sie
giftig. Einst wuchsen auf Äckern und
Feldern zwischen Getreide und Mais
auch all die Blumen und Kräuter, die
heute als "Unkraut" vernichtet werden. So fehlt dem Hasen das Futter,
denn er ernährt sich ausschließlich
von Grünzeug. Aufseinem Speiseplan
stehen Kräuter, Gräser, Wurzeln und
Knollen, aber auch Getreide und
Kohl. Im Winter knabbert er die Rinde von Baum und Strauch, sowie
Knospen und Zweige.
Für die Häsin ist ein gutes, abwechslungsreiches Pflanzenangebot wichtig,
weil durch reichhaltige Ernährung die
Milch für ihre Jungen besonders nahrhaft wird. Die kleinen Hasenbabys
brauchen von Anfang an viel Kraft und
Energie. Sie sind Nestflüchter, werden
mit Fell und offenen Augen geboren.
Schon kurz nach der Geburt sind sie in
der Lage, vor Gefahren davon zu rennen. Das ist überlebenswichtig, denn
ihre Heimstatt bietet nur wenig Schutz,
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da sie nicht mehr ist als eine Erdmulde.
Hasen, insbesondere die Hasenkinder,
werden von Fuchs, Wildschwein, Marder, aber auch vom Bussard oder Rabenvögeln gern gefressen. Droht Gefahr, ducken sich die kleinen Langohren tiefin die Sasse und bewegen sich
nicht. Ihre rötlichbraungraue Fellfarbe,
die dem Erdboden sehr ähnlich ist, dient
dabei als gute Tarnung. Außerdem riechen sie nicht solange sie klein sind und
ihr Feind kann sie nicht wittern. Das
hilft oft, aber leider nicht immer. Über
die Hälfte der Hasenbabys überlebt das
erste Lebensjahr nicht. Doch nicht nur
Tiere machen ihnen den Garaus, sondern auch das Wetter. Im Frühjahr ist es
oft noch sehr kalt, das können die Kleinen eigentlich ziemlich gut verkraften.
Doch wenn es viel regnet, ihr Fell
durchnässt wird, kühlen sie aus und
sterben. Zudem fallen jedes Jahr viele
Hasen dem Autoverkehr zum Opfer.
Eine andere große Bedrohung für Meister Lampe sind die Jäger, die Hasen in
großer Zahl erschießen. Eine Häsin
kann 3 bis 4 mal im Jahr Junge kriegen
und das ist wohl der einzige Überlebenstrick, den diese Tiere haben, ansonsten
wäre der Feldhase bereits ausgestorben.
In einigen Regionen Deutschlands steht
er aufder Roten Liste als vom Aussterben bedrohte Tierart.
Ein Feldhase lässt sich nicht wie ein
Kaninchen im Haus halten. Als echtes
Wildtier braucht er Feld, Wald und
Wiese als Lebensraum. Doch der
Mensch beansprucht immer mehr Gebiete. Straßen verbinden die neu gebauten Städte und zerschneiden Wald
und Wiese. Was könnte getan werden,
um Meister Lampe zu retten?
Diesem Artikel liegen folgende
Quellen zugrunde:
- http://www.br.de/themen/wissen/hasefeldhase-ostern-100.html#
- http://www.wasistwas.de/archiv-naturtiere-details/der-feldhase.html
- http://www.planet-wissen.de/natur/haustiere/hasen_und_kaninchen/pwiederfeldhaseindeutschland100.html
http://www.schattenblick.de/infopool/
kind/natur/knti0091.html
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