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Manuskript
Beitrag: Arbeitsvisa für Balkan-Flüchtlinge –
Zu viele bürokratische Hürden
Sendung vom 8. März 2016
von Jutta Sonnewald
Anmoderation:
Beim wahlkampfbeherrschenden Thema Flüchtlinge setzt die AfD
auf Angst – und lebt davon. Die Bundesregierung versucht
bislang vergebens, Ängste mit Asylpaketen zu beruhigen.
Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge will sie schneller abschieben,
selbst Fachkräfte, die hier gebraucht werden. Ein Arbeitsvisum
können nur wenige beantragen - und das auch nur in ihrem
Herkunftsland. Sie müssen den Weg in eine bessere Zukunft
dreimal gehen: her, zurück und wieder her. Jutta Sonnewald über
einen Hilfesuchenden von heute, der zum Helfer von morgen
werden könnte – wenn Deutschland ihn nur ließe.
Text:
Besim Hasani kommt aus dem Kosovo. Vor einem Jahr ist der
diplomierte Krankenpfleger mit seiner Familie geflohen, weil er in
seiner Heimat jahrelang keinen Job bekam. Doch in Deutschland
bekommt er kein Asyl, dabei wird er hier gebraucht: Sein
Landsmann Zylfi Gashi sucht händeringend einen Alten- und
Krankenpfleger für seinen ambulanten Pflegedienst in München.
O-Ton Zylfi Gashi, Geschäftsführer MediSun Pflegedienst
München:
Die Art und Weise, wie er mit kranken Leuten, mit
pflegebedürftigen Menschen umgeht, die Art, wie er in
Notfallsituationen umgeht, wie er agiert, das hat Spuren bei
mir hinterlassen, das hat mich berührt.
So bietet Gashi Besim Hasani eine Stelle an – besiegelt mit
einem unterschriebenen Arbeitsvertrag.
O-Ton Besim Hasani, Asylsuchender aus dem Kosovo:
Ich fühle wunderschön, ich fühle so gut. Alle die
Schwierigkeiten werde ich vergessen, wenn ich ein Visum
bekomme. Ich sehe, den ersten Schritt für den Erfolg haben
wir schon angefangen.
Ein erster Schritt, denn ein Vertrag allein nutzt ihm nicht viel. Als
Kosovare bekommt er in Deutschland ohne Visum keine
Arbeitserlaubnis.
Im sogenannten Rückführungszentrum in Manching bei Ingolstadt
sind die Hasanis untergebracht, wie insgesamt 800 Flüchtlinge
aus Albanien, dem Kosovo, Serbien und anderen Balkanländern,
nach deutscher Definition sichere Herkunftsländer. Ihre Chancen
auf Asyl sind gleich null. Sie müssen zurück in ihre Heimat, wie
die Hasanis. Wenn sie nicht freiwillig gehen, bekommen sie eine
Einreisesperre. Das heißt, sie dürfen zwei Jahre lang nicht mehr
nach Deutschland zurückkommen.
O-Ton Besim Hasani, Asylsuchender aus dem Kosovo:
Jeder von uns weiß das: Es ist unsere Haltestelle, letzte
Haltestelle hier. Von hier, die wissen schon alle Bescheid,
dass wir müssen alle zurück. Ich will nicht, dass ich eine
Sperre bekomme. Ich muss zurückgehen, dass ich keine
Sperre bekommen – und mit der Hoffnung, dass ich das
Arbeitsvisum bekomme.
O-Ton, Ausländerbehörde:
Sie sind heute erschienen, weil sie uns die freiwillige
Ausreise erklären möchten, weil Sie Deutschland freiwillig
verlassen möchten, damit Sie in Ihr Heimatland zurückkehren
können. Die Vorteile für Sie, dass Sie freiwillig ausreisen, ist,
dass Sie eine Einreisesperre in das Schengen-Gebiet
umgehen. Das heißt, Sie können jederzeit mit einem Visum
wieder in Deutschland einreisen.
Genau das hat Besim Hasani jetzt vor: Er will freiwillig zurück, um
im Kosovo ein Arbeitsvisum beantragen zu können. Möglich
macht dies die neue Beschäftigungsverordnung, die im
vergangenen Oktober bei der Verschärfung des Asylrechts
beschlossen wurde. Sie sieht zwar vor, dass sogenannte
Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Westbalkan schneller
abgeschoben werden, im Gegenzug können sie aber ganz legal
zum Arbeiten nach Deutschland kommen.
O-Ton Jutta Eckenbach, CDU, MdB, Mitglied Ausschuss
Arbeit und Soziales:
Ich glaube, es ist eine Chance für die Menschen, dass sie
eben halt über Arbeitsmigration auch nach Deutschland
kommen können. Das ist alles besser, als übers Asylrecht zu
kommen.
Doch die Hürden sind hoch:
- Der Antragsteller braucht einen unterschriebenen Arbeitsvertrag
eines deutschen Arbeitgebers.
- Er darf erst nach Inkrafttreten der neuen Verordnung - also nach
dem 24. Oktober 2015 - Deutschland verlassen haben.
Und:
- Er darf in den letzten zwei Jahren keine Leistungen für
Asylbewerber erhalten haben, zum Beispiel Taschengeld oder
Sachleistungen.
Besim Hasani erfüllt alle drei Voraussetzungen. Soweit – so gut.
Doch nun muss er bei der Deutschen Botschaft im Kosovo das
Arbeitsvisum beantragen. Er bittet vor der Rückreise den
Bayerischen Flüchtlingsrat um Hilfe. Schon bei der
Terminvergabe wird es schwierig: Die Buchung geht nur online,
und außerdem nur auf Deutsch oder Englisch.
Für die nächsten zwei Monate ist nichts frei - stattdessen der
lapidare Hinweis: Neue Termine werden in regelmäßigen
Abständen freigeschaltet.
O-Ton Stephan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat:
Regelmäßige Abstände kann alles Mögliche heißen:
wöchentlich, monatlich, sonst wie. Die Terminvergabe ist
eine der Restriktionen mit der tatsächlich Einwanderung
kontrolliert wird und Einwanderung blockiert wird – selbst
wenn die Leute rein formal alle Voraussetzungen für eine
Einwanderung mitbringen würden.
O-Ton Besim Hasani, Asylsuchender aus dem Kosovo:
Wirklich, ich bin überrascht. Wirklich, ich bin sehr
überrascht. Ich dachte, es ist nicht so schwer einen Termin
zu machen, weil ich einfach den normalen Weg gehe – und
als Krankenpfleger. Die sind ganz schön gesucht in
Deutschland - ich weiß nicht, ich weiß nicht, was ich auch
den anderen sage. Wirklich, es ist schwer.
Viel zu viele bürokratische Hürden, bemängelt die Opposition.
O-Ton Irene Mihalic, B‘90/GRÜNE, MdB Obfrau im
Innenausschuss:
Also wenn man eine aufenthaltsrechtliche Regelung schaffen
möchte, die in der Praxis nicht zur Anwendung kommt, dann
macht man das im Prinzip genau so. Und so wird es
wahrscheinlich weiterhin so bleiben, dass diese Menschen
jede Chance nutzen werden – auch wenn sie noch so gering
ist – und es vielleicht wieder über das Asylverfahren
probieren und das kann ja nicht im Sinne dieser Regel sein.
Sechs Uhr morgens beim Balkanzentrum in Manching. Die
Hasanis sind auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle und dann
weiter zum Flughafen von München. Acht Monate Deutschland
gehen für sie zu Ende. Besim Hasani hat auf eigene Kosten einen
Deutschkurs gemacht, doch die Kinder konnten keine Schule und
keinen Kindergarten besuchen.
Gemeinsam mit den Hasanis fliegen an diesem Morgen viele
andere Kosovaren zurück nach Pristina. Auch sie haben sich für
eine freiwillige Ausreise entschieden.
O-Ton Bahri Bequiri, Kosovo-Rückkehrer
Ich habe hier seit zwei Monaten als Fliesenleger gearbeitet.
Nun hat man mich aufgefordert zurückzukehren und mir
geraten, ein Arbeitsvisum zu beantragen. Das möchte ich
versuchen, denn mein Chef möchte mich hier unbedingt
haben.
Besim Hasani verlässt Deutschland mit der bangen Frage: Wie
wird es mit seiner Familie weitergehen?
O-Ton Besim Hasani, Asylsuchender aus dem Kosovo:
Ich muss auch kämpfen. Ich muss bis zur letzten Möglichkeit,
bis zur letzten Kraft kämpfen. Da stehen meine zwei Kinder,
meine Frau, meine Zukunft und ich muss mich um sie
kümmern. Ich bin verantwortlich für sie.
Anflug auf Pristina, die Hauptstadt des Kosovo. Das Land leidet
noch immer unter den Folgen des Krieges Ende der 90er Jahre.
Es herrschen bittere Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Dazu
lähmen Korruption und Vetternwirtschaft das Land.
Zwei Monate ist es nun her, dass Besim Hasani um einen Termin
für den Visumsantrag gebeten hat, doch noch immer hat er keine
Rückmeldung von der Deutschen Botschaft. Als er dort nachfragt,
erfährt er beiläufig, dass seine eingereichten Unterlagen gar nicht
ausreichen: Für eine zügige Bearbeitung seines Antrags benötigt
er eine Vorab-Zustimmung der Ausländerbehörde in München.
Das stünde seit ein paar Wochen neu auf der Internetseite - wohl
nicht die letzte bürokratische Hürde, die Besim Hasani nehmen
muss.
O-Ton Besim Hasani, Asylsuchender aus dem Kosovo:
Vielleicht kommt noch etwas, das ich machen soll. Kommt
vielleicht noch ein anderes Gesetz oder was weiß ich! Und
um es ehrlich zu sagen, ich bin ganz im Stress, ich bin ganz
nervös bis ich etwas Genaues, Richtiges höre - so ist es und
basta. Ich bin mir nicht sicher, es ist nicht leicht.
Die Linken im deutschen Parlament bezweifeln, dass die
Bundesregierung es mit den Arbeitsvisa überhaupt ernst gemeint
hat.
O-Ton Ulla Jelpke, Die LINKE, MdB Mitglied Innenausschuss:
Das ist im Grunde genommen ein Scheinangebot. Also, man
hat nicht wirklich hier ein ehrliches Angebot vorlegt für diese
Menschen, die hier arbeiten möchten oder aus Armut
hergekommen sind, sondern man hat sie getäuscht. Man hat
sie getäuscht und hat im Grunde genommen gesagt: Geht
zurück, dann könnt ihr – wenn ihr einen Arbeitsplatz habt –
hier wieder herkommen. Und wir sehen, dass ist sehr, sehr
bürokratisch angelegt ist und wird auch nur für eine ganz
kleine Gruppe von Menschen überhaupt umsetzbar sein.
Wir fragen nach bei der zuständigen Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles. Keine Stellungnahme. Stattdessen schickt man
uns eine Mail – darin eine Art Bedienungsanleitung, wie man ein
Arbeitsvisum beantragt.
Seit Anfang des Jahres wurden von den sechs
Auslandsvertretungen im Westbalkan rund 400 Arbeitsvisa erteilt,
etwa 30 davon im Kosovo.
Besim hat inzwischen einen Termin bei der Deutschen Botschaft
in Pristina bekommen. Anfang April kann er endlich den Antrag
stellen für sein Arbeitsvisum. Ob das genehmigt wird und wann,
bleibt ungewiss.
Abmoderation:
Ein Wirtschaftsflüchtling, den keiner will, aber jeder braucht. Denn
im Gesundheitswesen fehlen schon jetzt Fachkräfte, wie Sie zu
Beginn der Sendung sehen konnten.
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