Die Stille und der Trost - ePaper

KU N D E N S E RVI C E 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7
D 2,30 E URO
D I E N STAG , 3 1 . M Ä RZ 2 015
KO M M E N TA R
Zippert zappt
Umweltschutz
verliert an
Bedeutung
D
THEMEN
Deutsche sorgen sich
jetzt eher um ihre Rente
Unvergesslicher Charme
Monaco Franze und Baby Schimmerlos – Helmut Dietl schuf als
Regisseur Figuren, die seit über 30 Jahren unvergessen sind. Mit
„Kir Royal“ errichtete Dietl (l.) 1986 dem Münchener BoulevardReporter Schimmerlos, gespielt von Franz Xaver Kroetz (r.), ein
schillerndes Denkmal. 2013 erhielt Dietl die Diagnose Lungenkrebs, für ihn kein Grund zum Verdruss: Es sei angesichts seiner
Raucherei ein Wunder, dass alles so lange gut gegangen sei. Nun
Seite 21
ist Dietl im Alter von 70 Jahren gestorben.
Copilot laut Krankenakte
selbstmordgefährdet
Andreas L. war über längeren Zeitraum in therapeutischer Behandlung.
Gesundheitsexperten wollen ärztliche Schweigepflicht lockern
Aus aller Welt
Die unfassbare
Sucht nach einer
Dating-App
Seite 24
Finanzen
Hedgefonds wetten
gegen den Euro
Seite 13
Politik
Israel lässt
Smartphones vor
Raketen warnen
Seite 8
Wissenschaft
So kämpft das
Immunsystem
gegen Krebszellen
D
er Copilot der abgestürzten
Germanwings-Maschine ist
nach Justizangaben vor mehreren Jahren psychotherapeutisch behandelt worden –
wegen möglicher Suizidgefährdung. Der
27-Jährige habe sich vor Erlangung des Pilotenscheins „über einen längeren Zeitraum mit vermerkter Suizidalität in psychotherapeutischer Behandlung“ befunden, erklärte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Montag. In der Folgezeit und
bis zuletzt hätten „weitere Arztbesuche
mit Krankschreibungen stattgefunden, ohne dass Suizidalität oder Fremdaggressivität attestiert worden ist“.
Die entsprechenden ärztlichen Dokumentationen wiesen laut Staatsanwaltschaft bislang keine organische Erkrankung bei Andreas L. aus, der nach bisherigen Erkenntnissen den Absturz der Maschine mit weiteren 149 Menschen an Bord
vorsätzlich einleitete. Insbesondere fehle
es weiterhin sowohl „an der belegbaren
Ankündigung einer solchen Tat“ als auch
an einem Tatbekenntnis. „Ebenso wenig
sind im unmittelbaren persönlichen und
familiären Umfeld oder am Arbeitsplatz
besondere Umstände bekannt geworden,
die tragfähige Hinweise über ein mögli-
DAX
waltschaft inzwischen Zugriff auf Krankenhaus-Akten über den Copiloten. Knapp
eine Woche nach dem Absturz übermittelte das Uniklinikum Düsseldorf seine Unterlagen am Montag der Ermittlungsbehörde. Andreas L. war vor einigen Wochen
als Patient an das Uniklinikum gekommen.
Dabei ging es den Angaben zufolge um „diagnostische Abklärungen“, die aber bislang
offiziell nicht näher erläutert wurden.
Derweil diskutieren Politiker über die
ärztliche Schweigepflicht. CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer forderte eine Lockerung der Schweigepflicht für sensible Berufe: „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die
vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der
ärztlichen Schweigepflicht entbunden
sein“, sagte er der „Rheinischen Post“.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach
betonte in der „Bild“-Zeitung, wenn Leib
und Leben anderer Menschen gefährdet
seien, sei „der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren“. Dagegen warnte der Präsident der Bundesärztekammer,
Frank Ulrich Montgomery, die ärztliche
Schweigepflicht sei „ein hohes Gut und ein
Menschenrecht“.
OHNE FEIER?
Nach dem Absturz der GermanwingsMaschine vor einer Woche stellt der
Mutterkonzern Lufthansa die geplante
Feier zu seinem 60. Jubiläum auf den
Prüfstand. „Ob und in welcher Form eine
Feier stattfindet, prüfen wir derzeit“,
erklärte ein Konzernsprecher. Ursprünglich wollte die Fluggesellschaft am 15.
April auf ihre Unternehmensgeschichte
nach dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Den Absturz des GermanwingsAirbus hatte Lufthansa-Chef Carsten
Spohr als „schwärzesten Tag in der
60-jährigen Geschichte unseres Unternehmens“ bezeichnet.
Seiten 2 und 6
Dax
Rettet diesen Mann!
Im Plus
Wie ein betrunkener Bretone ein Schlauchboot beatmete
EURO
DOW
Xetra-Schluss
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17.45 Uhr
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Punkte
ches Motiv geben können“, hieß es in der
Erklärung der Ermittler.
Ausdrücklich betonte die Staatsanwaltschaft, dass sie sich nicht an Spekulationen zur Motivlage des Copiloten beteiligen
wolle und könne. „Die Ermittlungsbehörden haben sich allein an Fakten zu halten.“
Bei den Ermittlungen zur GermanwingsKatastrophe in den Alpen hat die Staatsan-
US-$
Punkte
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mit Inge Steiner
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Siehe Kommentar und Seite 5
Seltsamer Tod
einer Zeugin
im NSU-Prozess
20-Jährige stirbt
an Lungenembolie
N
U L L I KU L K E
Welche
Umwelt?
mweltschutz ist in den Augen
der Deutschen auf der Skala ihrer drängendsten Probleme
deutlich abgesackt. Wundert es jemand? Wirtschaft, Frieden, Sicherheit
stehen im Zeitalter von Euro-Krise
und neuem kalten Krieg weiter oben.
Was soll man sich in einem Staat
auch für Sorgen machen, in dem allerorten Wasser in Hülle und Fülle vorhanden ist, das Sparen aber dennoch
zum guten Ton gehört, in dem – anders als in vielen Ländern – nahezu alle Plastiktüten recycelt werden, das
Verbot trotzdem nur noch eine Frage
der Zeit zu sein scheint? Und wenn
grüne Spitzenpolitiker jetzt schon fordern, unsere Naturschutzgebiete für
Monsterwindräder zu öffnen, weil Klimaschutz inzwischen alles andere aus
der Agenda drängt, an wen soll man
sich da noch halten? Die Maßstäbe ge-
U
Gegendarstellung
In der Welt vom 29. Dezember 2014
wird auf Seite 1 unter dem Titel „Falsche Freunde“ behauptet, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs fordert aber immer noch in der Türkei
die Durchsetzung der Scharia in aller
Welt.
Hierzu stellen wir fest:
Diese Forderung wird von uns nicht
erhoben.
Kerpen, 06.01.2015
IGMG Islamische Gemeinschaft
Milli Görüs e.V.
Kemal Ergün, Vorsitzender
Mustafa Yeneroglu, Generalsekretär
Anmerkung der Redaktion:
Die „Welt“ ist gesetzlich zum Abdruck
der
Gegendarstellung
verpflichtet,
unabhängig von deren Wahrheitsgehalt.
Die Redaktion bleibt bei ihrer Darstellung.
ach dem überraschenden Tod
einer Zeugin im Stuttgarter
NSU-Untersuchungsausschuss wollen die Ermittler alle Zweifel an der Todesursache ausräumen.
Nach der Obduktion, die keine Hinweise auf ein Fremdverschulden am
Tod der 20-Jährigen aus Kraichtal
(Kreis Karlsruhe) ergab, ordnete die
Staatsanwaltschaft weitere Untersuchungen an. „Wir sind uns der Brisanz
des Falles bewusst“, sagte Staatsanwalt Tobias Wagner. Zum einen wird
die Leiche auf Spuren von Medikamenten oder Giften untersucht, zum
anderen wird sie mikroskopisch etwa
auf Gewebeveränderungen geprüft.
Die Frau sei an den Folgen einer Lungenembolie gestorben, hieß es. Das sei
das vorläufige Ergebnis der Universität Heidelberg. Bei der Toten handelt
es sich um eine Ex-Freundin von Florian H., einem ehemaligen Neonazi,
der im Herbst 2013 in einem Wagen in
Stuttgart verbrannt war. Florian H.
soll gewusst haben, wer die Polizistin
Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn getötet hatte.
raten durcheinander. Durchaus vorhandene tatsächliche Probleme, wie eine artenschutzfeindliche Landwirtschaft, deren Monokulturen dafür sorgen, dass die Städte für Tiere vielfach
schon lebenswerter sind als das Land,
liegen dagegen außerhalb der Wahrnehmung.
Ein Ergebnis aber ist deutlich und
sollte der Politik zu denken geben. Autolärm zählt zu den am drängendsten
wahrgenommenen Umweltproblemen.
Und vier von fünf Deutschen fordern
eine Abkehr von der autogerechten
Stadt. Unter den 14- bis 17-Jährigen,
die früher von – fast – nichts anderem
träumten als von ihrem ersten Auto,
sogar neun von zehn. Sie wünschen
sich den Ausbau von Radwegen und
öffentlichem Nahverkehr sowie die
Förderung von Carsharing. Als Statussymbol hat bei ihnen der eigene
Wagen wohl vollends ausgespielt.
Seite 4
[email protected]
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Seite 15
Für immer mehr Deutsche
gehört der Umweltschutz nicht mehr
„zu den aktuell wichtigsten Problemen Deutschlands“. Nur noch jeder
fünfte ist dieser Ansicht (19 Prozent).
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2012 waren noch fast
doppelt so viele (35 Prozent) dieser
Meinung. Das geht aus der am Montag
in Berlin veröffentlichten zehnten
„Umweltbewusstseinsstudie“ hervor.
Wichtiger sind den Bürgern demnach
die soziale Sicherung (37 Prozent), die
Wirtschafts- und Finanzpolitik (29
Prozent), die Rentenpolitik (24 Prozent) und der Themenbereich Kriminalität, Frieden, Sicherheit (20 Prozent). Dass der Umweltschutz so abgerutscht ist, sei vor allem darauf zurückzuführen, dass wegen der
„turbulenten Weltlage“ die Aufmerksamkeit auf andere Problemfelder verlagert wurde, heißt es dem Bericht zufolge in der 80-seitigen Expertise. Der
Umweltpolitik der Bundesregierung
gaben die Bürger mittelmäßige Noten.
Etwa ein Drittel bescheinigt ihr, „genug“ oder „eher genug“ für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun.
BERLIN –
INTERFOTO/SB64, TETRA IMAGES
ie Ermittlungen zum
Flugzeugabsturz fördern ständig neue
Details zutage. Der Copilot
war anscheinend psychisch
schwer gestört. Seine Unauffälligkeit war so groß, dass
es unbedingt hätte auffallen
müssen. Talkshow-Moderatoren fragen sich, wie viele gefährliche Piloten noch unterwegs sind und woran man sie
erkennt. Eine unverständliche
Durchsage während des Flugs
ist aber noch kein Hinweis.
Fast alle Airlines haben inzwischen die Zwei-PersonenRegel eingeführt. Es müssen
sich immer zwei Personen im
Cockpit befinden, eine davon
sollte wissen, wie man ein
Flugzeug fliegt. Auch zwei
Stewardessen sind nach Ansicht von Experten durchaus
befähigt, eine Maschine zu
landen. Wer überfüllte Servierwagen sicher durch enge
Gänge bugsieren kann, beherrscht wohl auch ein Flugzeug. Fragt sich nur, ob zwei
Personen wirklich genug sind.
Ein Psychiater, ein Seelsorger
und ein Arzt sollten sich auf
jeden Fall auch im Cockpit
aufhalten, am besten auch ein
Heilpraktiker, ein Feng-ShuiMeister und ein Journalist.
Dazu noch ein Mediator, damit es keinen Streit gibt.
B **
D
ie Bretagne ist bekannt für raue Landschaften von einzigartiger Schönheit. Auch die Menschen dort sind durchaus
ein wenig rauer als im Rest Frankreichs – böse Zungen
behaupten, es handele sich eigentlich um Engländer und nicht
um feingeistige Franzosen. Vielleicht ist es so zu erklären, dass in
der Bretagne in den grauen Wintermonaten gern der ein oder
andere Tropfen Alkohol zu viel getrunken wird. Die Rede ist hier
selbstverständlich nicht vom gesunden Glas Rotwein am Abend.
Wie das in der Praxis ausgehen kann, wenn sich Alkohol, Liebe
zum Meer und lange Dunkelheit mischen, davon kann die Polizei
in der Hafenstadt Vannes berichten.
Was dort am Wochenende geschah, klingt wie ein Ostfriesenoder eben Bretonenwitz, soll sich aber tatsächlich so zugetragen
haben. Die Beamten einer örtlichen Polizeistreife wurden demnach spät in der Nacht zum Sonntag auf einen Mann aufmerksam, der sich auf der örtlichen Werft in Vannes höchst auffällig
verhielt. Es war gegen 4.15 Uhr, als die beiden Männer den 22-
Jährigen bemerkten, der auf allen vieren über einem Schlauchboot kniete und eifrig in das Ventil blies. Den Beamten berichtete
der junge Mann dem Sprecher zufolge, „dass eine Person unter
dem Boot nicht ansprechbar ist und gerettet werden muss“. Er
habe bereits einen Krankenwagen alarmiert und es mit einer
Herzdruckmassage versucht. „Er atmet nicht mehr. Wir müssen
ihn retten“, so habe der äußerst besorgt wirkende Betrunkene die
Beamten um Hilfe gebeten.
Die beiden Polizisten hätten daraufhin einen Blick unter das
Boot geworfen und schnell festgestellt, dass dort niemand war.
„Sein Alkoholpegel war genauso hoch wie sein Bürgersinn“, amüsierten sich die Polizisten im Nachhinein. Sie bestellten den alarmierten Krankenwagen ab und nahmen den jungen Mann mit auf
die Wache. Dort verbrachte er die Nacht zum Sonntag in einer
Ausnüchterungszelle. Das war auch bitter nötig. Der Polizei zufolge hatte der Mann auch am nächsten Tag um 11.30 Uhr noch
einen Alkoholgehalt von 1,6 Promille im Blut. pku
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