30 Verschiedenes KV-Blatt 05.2015 KV-Jurist Norbert Schein zweifelt Freiwillige Herausgabe und Schweigepflicht – wie geht das zusammen? Wegen des möglicherweise vorsätzlich herbeigeführten Absturzes einer Germanwings-Maschine über den französischen Alpen, bei dem am 24. März 150 Menschen zu Tode kamen, gibt es eine rege Diskussion über den Umfang der ärztlichen Schweigepflicht (siehe dazu auch eigenen Beitrag). Im Zusammenhang mit Ermittlungen zum Co-Piloten der Maschine hatte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf angeblich unter anderem auch fünf Arztpraxen durchsucht, in denen der Co-Pilot vorstellig geworden sein soll. Entsprechende Medienberichte haben auch bei uns zu Nachfragen von Ärzten geführt. Durften die Ärzte solche Unterlagen freiwillig herausgeben, wie die Presse am Beispiel der Düsseldorfer Universitätsklinik berichtet hat? Dazu haben wir den Juristen Norbert Schein (Foto) in der Rechtsabteilung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin befragt. KV-Blatt: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat nach Presseberichten Arztpraxen durchsucht und Patientenakten beschlagnahmt. Ärzte fragen sich nun, wie das angesichts der bestehenden ärztlichen Schweigepflicht sein kann … Norbert Schein: Zunächst muss man festhalten, dass die Beschlagnahmung von Patientenakten durch Staatsanwaltschaften gar nicht so ungewöhnlich ist, wie es im Augenblick den Anschein hat. Das KV-Blatt selbst berichtete bereits mehrmals über solche Maßnahmen, meist vor dem Hintergrund des Verdachts, dass gegen Vorschriften des Leistungsrechts bzw. der Leistungsabrechnung verstoßen wurde und ein strafrechtlicher Hintergrund nicht auszuschließen war. Dann dienen solche Maßnahmen in erster Linie Beweiszwecken. Die Strafverfolgungsbehörden haben eine Wahrheitserfoschungs pflicht und müssen etwaigen Verdachtsmomenten nachgehen. KV-Blatt: Und im vorliegenden Fall? Norbert Schein: Den kennen wir alle nur aus der Presse. Ich will ausdrücklich betonen, dass die Ermittlungen hierzu noch nicht abgeschlossen sind. Aber es dürfte auf der Hand liegen, dass im Zuge der Ermittlungen zu möglicherweise strafrechtlichen Vorwürfen auch hier Beweismittel gesucht und gesichert werden müssen. Für den Staatsanwalt sind die Krankenunterlagen eine unverzichtbare Erkenntnisquelle. Dass beschlagnahmte Patientenakten im Zusammenhang mit der schrecklichen Flugzeugtragödie besonders emotional diskutiert werden, verwundert mich nicht. Erste Forderungen zur Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht im Zusammenhang mit der Rolle des Co-Piloten dieses Germanwings-Fluges gab es schließlich zu einem recht frühen Zeitpunkt nach Bekanntwerden des Unglücks und seiner möglichen Ursachen. Wenn dann bekannt wird, dass angeblich auch Arztpraxen, bei denen der CoPilot möglicherweise oder tatsächlich vorgesprochen hat, durchsucht werden, dann sind die Reaktionen auch bei Ärzten, von denen Sie berichten, nachvollziehbar. KV-Blatt: Und berechtigt? Norbert Schein: Dazu sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die ärztliche Schweigepflicht ihren Ursprung im sogenannten „Hippokratischen Eid“ hat. Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht durch „Medizinpersonal“ wurde erstmals durch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 unter Strafe gestellt. Heute sind Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten berufsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Verletzung der Schweigepflicht ist nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten und Psychotherapeuten vertraulich zu behandeln. Sie dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen weitergegeben werden. Zudem haben Ärzte und Psychotherapeuten nach § 53 Absatz 1 Ziffer 3 Strafprozessordnung (StPO) das Recht, das Zeugnis über das, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden ist, zu verweigern. § 97 Absatz 1 und 2 StPO ergänzt dies um ein Beschlagnahmeverbot. KV-Blatt: Das klingt recht eindeutig … Norbert Schein: …ich komme gleich darauf zu sprechen, will zuvor aber noch erwähnen: Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich zu der Frage der Patientenakte geäußert: „Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt.“ Wann die Schweigepflicht gebrochen werden darf, kann immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Ich möchte hier nur auf den sogenannten rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB verweisen. Hier kann das Interesse an der Abwehr konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit im Einzelfall höherwertiger sein als das Geheimhaltungsinteresse des Patienten. Was immer ich sehe und höre … „Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behand lung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen aus geplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf!“ (Aus dem Hippokratischen Eid) Verschiedenes KV-Blatt: Wie kommt es nun zu den Beschlagnahmungen seitens der Staatsanwaltschaft Düsseldorf; vorausgesetzt, die Presseberichte stimmen? Norbert Schein: Den Sachverhalt und den derzeitigen Ermittlungsstand kenne ich, wie schon gesagt, nur aus der Presse, sodass es für mich schwierig ist, aus der Ferne eine verbindliche rechtliche Einschätzung abzugeben. Grundsätzlich ist jedoch zu sagen, dass Krankenakten nach der oben erwähnten Vorschrift des § 97 StPO beschlagnahmefrei sind, das heißt, sie dürfen nicht beschlagnahmt werden. Die Vorschrift schützt gerade das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Der Arzt soll nicht gezwungen sein, im Verfahren gegen seinen Patienten Beweismaterial liefern zu müssen. Aus diesem Grund schützt § 203 Strafgesetzbuch auch die Vertraulichkeit dessen, was sich zwischen Arzt und Patient abspielt. KV-Blatt: Soweit die Theorie? Norbert Schein: Diese Regel erfährt immer dann eine Einschränkung, wenn der Patient den Arzt von seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbindet. Fehlt es an einer wirksamen Entbindung durch den Patienten oder an der Erforderlichkeit eines anderen Grundes, um ein höherwertiges Rechtsgut zu schützen, so darf die Krankenakte nicht beschlagnahmt werden. Es ist immer der Patient selbst, der diese Entbindungserklärung abgeben muss, da es sich hierbei um ein höchstpersönliches Recht handelt. Diese Tatsache ist für den Arzt von besonderer Bedeutung, wenn der Patient gestorben ist. Aus der Höchstpersönlichkeit des Rechts folgt nämlich, dass etwa von den Erben keine wirksame Entbindungserklärung abgegeben werden kann. KV-Blatt: Was heißt das für die Beschlagnahmung von Patientenunterlagen? Norbert Schein: Für die Beschlagnahmung heißt das, dass diese Krankenakten dem Zugriff der Staatsanwaltschaft entzogen sind. Wie eine Staatsanwaltschaft die Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschlüsse am Beispiel des Absturzes der Germanwings-Maschine begründen würde, kann von hier aus nur vermutet werden. Foto: Schlitt KV-Blatt 05.2015 KV-Blatt: Nehmen wir an, es stimmt, was die Presse schreibt … Norbert Schein: … in der Presse wurde teilweise berichtet, dass die Patientenunterlagen freiwillig herausgegeben worden sind. Dann befindet sich der herausgebende Arzt oder Psychotherapeut jedoch in einem Konflikt mit § 203 StGB. Zudem gebe ich zu bedenken, dass meines Wissens Andreas L. nicht als Beschuldigter geführt wird. Der CoPilot des Gemanwings-Flugs U49525 hat – allen Vermutungen zufolge – den Freitod gewählt. Die Beschuldigtenstellung endet jedoch mit dem Tod, sodass § 97 Absatz 1 StPO nicht greift, da diese Vorschrift auf das Verhältnis des Arztes oder Psychotherapeuten zum Patienten als Beschuldigten bezogen ist. KV-Blatt: Nochmal gefragt, durfte die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen? Norbert Schein: Ich verstehe Ihren Drang nach Konkretem, aber ich erwähnte schon, dass ich bislang nur Presseberichte und wenige offizielle Informationen zum Ermittlungsstand kenne. Das betrifft auch das Vorgehen der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, wie ich eben schon sagte. KV-Blatt: Ihr Fazit? Norbert Schein: Kein Fazit, aber vielleicht gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion die Erinnerung daran, dass die Schweigepflicht unmittelbar dem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs, sprich der Privatsphäre einer Person dient, die sich bestimmten Berufsgrup- pen oder bestimmten staatlichen oder privaten Institutionen anvertraut. Sie ist von grundlegender Bedeutung für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Die Schweigepflicht schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches in Deutschland Verfassungsrang genießt und zählt zum Kernbereich der ärztlichen Berufsethik. Ein Patient muss sich darauf verlassen können, dass seine persönlichen Anliegen und Diagnosen nicht an Dritte weitergegeben werden. Indiskretionen können den Patienten nicht nur in seiner beruflichen Existenz gefährden – oder diese gar zerstören –, sondern ihn auch in seinem privaten Umfeld stigmatisieren. KV-Blatt: Danke für Ihre Zeit. Die Fragen stellte Reinhold Schlitt 31
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