UPDATEarbeitsrecht | März 2016 Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern Stimmbindungsvereinbarungen helfen Minderheitsgesellschaftern nicht Bundessozialgericht, Urt. v. 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R, B 12 KR 2/14 R und B 12 KR 10/14 R Beiträge zur Sozialversicherung, insbesondere zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung, müssen alle „Beschäftigten“ zahlen. Eine Beschäftigung in diesem Sinne ist laut § 7 SGB VI eine Tätigkeit nach Weisungen bei Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nun handeln Geschäftsführer naturgemäß in der Praxis nur selten nach Weisungen. In der Vergangenheit haben Sozialversicherungsträger und Rechtsprechung daher eine wertende Betrachtung vorgenommen: im Unternehmen tätige Minderheitsgesellschafter wurden als selbständig betrachtet, wenn sich weder aus dem Anstellungsvertrag noch aus anderen Regelungen Einschränkungen im Hinblick auf die Tätigkeit ergaben, und wenn sie aufgrund ihrer Beteiligung und ggf. zusätzlicher Kriterien, etwa der Hergabe von Darlehen oder Bürgschaften, besondere unternehmerische Risiken eingegangen sind. Vor allem familiäre Bindungen haben oft die Selbständigkeit begründet, wenn sie eine gemeinsame Unternehmensführung begründet haben. Vor allem derjenige, der aufgrund seiner Fachkenntnisse und langjährigen Führung als „Kopf und Seele“ des Unternehmens betrachtet werden kann, wurde daher als Unternehmer angesehen, selbst wenn er Anteile auf seine Angehörigen übertrug. Aber auch wenn 2 oder 3 Personen eine Gesellschaft gründeten und gemeinsam führten, waren sie meist selbständig in diesem Sinne. Seit 2012 zeichnete sich eine Änderung dieser Rechtsprechung ab. Dennoch ließen die meisten Urteile des Bundessozialgerichts weiträumige Argumentationsspielräume offen. Mit den drei Urteilen vom 11.11.2015 ist jedoch deutlich geworden, dass in Zukunft Minderheitsgesellschafter kaum eine Chance haben, den Status als Selbständiger zu erhalten. In allen Fällen hatten sämtliche Gesellschafter eine Stimmbindungsvereinbarung getroffen, die für ein einheitliches Stimmverhalten sorgte. Damit sollte es den anderen Gesellschaftern unmöglich gemacht werden, dem Geschäftsführer Weisungen gegen seinen Willen zu erteilen. Entgegen der Auffassung mehrerer Landessozialgerichte entschied das Bundessozialgericht nun, dass solche Stimmbindungsvereinbarungen, wenn sie nicht unmittelbar im Gesellschaftsvertrag enthalten sind, eine Selbständigkeit nicht begründen. Es argumentiert damit, dass für die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Beschäftigten die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse maßgeblich seien. Stimmbindungsvereinbarungen könnten zumindest aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden und gewährten daher keinen absoluten Schutz vor Weisungen. Zudem könne der Geschäftsführer sogar gegen seinen Willen aus wichtigem Grund abberufen werden. Diese Argumentation ist durchaus angreifbar und gesellschaftsrechtlich nicht konsequent. Die bereits veröffentlichten Entscheidungen zeigen jedoch, dass sich Minderheitsgesellschafter künftig darauf einstellen müssen, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein. Praxishinweis: Bei Entscheidungen über die Übertragung von Gesellschaftsanteilen und ihre Verteilung sollte diese Rechtsprechung berücksichtigt werden. Sonst kann beispielsweise die Übertragung von Anteilen auf Kinder, die zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge getroffen wird, auch einen langjährigen Alleingesellschafter plötzlich zum Beschäftigten machen. Wer bei Aufnahme seiner Tätigkeit ein Statusfeststellungsverfahren erfolgreich durchgeführt hat, ist gegen den Rechtsprechungswechsel gesichert. Das gilt aber nicht bei einer wesentlichen Veränderungen der Tätigkeit. Ob darunter auch eine Änderung der Anteile an der Gesellschaft fällt, ist noch nicht abschließend geklärt. Hier ist die weitere Rechtsprechung abzuwarten. Arbeitgeberhaftung Haftung des Arbeitgebers für Diebstahl von Wertsachen im Betrieb ? LAG Hamm, Pressemitteilung vom 21.01.2016 - Az: 18 Sa 1409/15 Ein ungewöhnlicher Diebstahl führte die Parteien eines Arbeitsverhältnisses vor das Landesarbeitsgericht Hamm: Ein Mitarbeiter hatte Schmuck und Uhren im Wert von rund 20.000,00 Euro in den Rollcontainer des Schreibtisches seines Büros eingelegt. Den Rollkoffer habe er verschlossen und die Tür seines Büros abgeschlossen. Einige Tage später sei die Tür zu seinem Büro aufgeschlossen, der Rollcontainer aufgebrochen und die Wertsachen entwendet worden. Nach Auffassung des Mitarbeiters sei die Bürotür mithilfe eines Generalschlüssels geöffnet worden, den eine leichtfertige Mitarbeiterin in ihrer Kitteltasche aufbewahrt hatte. Seines Erachtens hafte der Arbeitgeber, weil er verpflichtet gewesen sei, durch klare Anweisungen oder Vorkehrungen für eine sichere Aufbewahrung des Generalschlüssels zu sorgen und dadurch den Diebstahl der Wertsachen unmöglich zu machen. Nach Auffassung des LAG Hamm dagegen bestehen Schutzpflichten des Arbeitgebers bezüglich Sachen, die ein Arbeitnehmer in den Betrieb mitgebracht hat, regelmäßig nur, wenn es sich um Sachen handelt, die ein Arbeitnehmer zwingend, mindestens aber regelmäßig mit sich führe oder aber unmittelbar oder mittelbar für die Arbeitsleistung benötige. Nur bezüglich solcher Sachen oder Gegenstände muss der Arbeitgeber ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen ergreifen, um den Arbeitnehmer vor Verlust oder Beschädigung zu schützen. Bringt der Arbeitnehmer dagegen Wertgegenstände mit – insbesondere wenn dies ohne Kenntnis und Einverständnis des Arbeitgebers geschieht –, ließen sich Obhuts- und Verwahrungspflichten nicht begründen. Ansonsten würde der Arbeitgeber sich unkalkulierbaren Haftungsrisiken aussetzen. Der Kläger nahm seine Berufung nach Erörterung der Angelegenheit im Termin zurück. Praxishinweis: Anders kann es allerdings aussehen, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit vorsieht, Autoschlüssel, Portemonnaie etc. am Arbeitsort sicher aufzubewahren. Gerade wenn die Mitarbeiter diese Gegenstände nicht in ein eigenes Büro mitnehmen können und freier Zugang zum Umkleideraum etc. besteht, in dem sie ihre Taschen lagern, kommt eine Arbeitgeberhaftung durchaus in Betracht. Befristungsrecht Sachgrundbefristung von Arbeitsverträgen mit Profi-Fußballern LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.2.2016 – 4 Sa 202/15 Der Kläger war seit 2009 Lizenzfußballspieler bei dem Bundesligisten FSV Mainz 05. Dort hatte er zuletzt einen auf 2 Jahre befristeten Vertrag geschlossen, der sich ab einer bestimmten Anzahl Lizenzspiele automatisch - wiederum befristet - verlängern sollte. Nachdem er im Oktober 2013 krankheitsbedingt für längere Zeit ausgefallen war, setzte ihn der Verein in der Rückrunde nur noch im Trainings- und Spielbetrieb der 2. Mannschaft in der Regionalliga ein, so dass er die für eine automatische Verlängerung des Vertrages notwendige Anzahl von Erstligaspielen nicht erreichte. Daraufhin klagte er gegen die Wirksamkeit seiner Befristung. Während das Arbeitsgericht seiner Klage stattgegeben hatte, wies das LAG Rheinland-Pfalz sie nun ab: Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein solcher Sachgrund kann bei Verträgen zwischen einem Fußballverein der Bundesliga und einem Lizenzspieler in der Eigenart der Arbeitsleistung begründet sein. Nur so kann den Besonderheiten der Branche Rechnung getragen werden – die Rechtsprechung argumentiert hier vor allem mit dem „Verschleiß“ im Mannschaftsgefüge. Dem Trainer und Management muss es möglich sein, die Mannschaft entsprechend den sportlichen Gegebenheiten zusammenzustellen. Unkündbare Dauerarbeitsverhältnisse würden dies grundlegend erschweren. Praxishinweis: Dem deutschen Profifußball bleiben damit radikale Umwälzungen erst einmal erspart – Erleichterung sowohl auf Seiten der Vereine als auch auf Seiten der Fußballfans. Allerdings ist eine Überprüfung des Urteils durch das Bundesarbeitsgericht oder den Europäischen Gerichtshof noch möglich. Betriebsverfassungsrecht Umkleidezeit kann mitbestimmungspflichtige Arbeitszeit sein BAG, Beschluss vom 17.11.2015 – 1 ABR 76/13 Im November 2015 hatte das Arbeitsgericht über Unstimmigkeiten zwischen einem Arbeitgeber und seinem Betriebsrat bei der Dienstplangestaltung zu entscheiden. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit mitzubestimmen. Nach der Rechtsprechung des BAG gehören Umkleidezeiten zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden dem Bedürfnis des Arbeitgebers dient, etwa bei einer besonders auffälligen Dienstkleidung, durch die die Zugehörigkeit zum Arbeitgeber gekennzeichnet wird. Wenn die vorgeschriebene Dienstkleidung bereits zuhause angelegt wird, ist grundsätzlich weder das Umkleiden noch der in der Kleidung zurückgelegte Weg zur Arbeit Arbeitszeit. Jedoch handelt es sich in aller Regel um betriebliche Arbeitszeit, wenn Arbeitnehmer sich im Betriebshof umkleiden und anschließend den Weg zu einer externen Arbeitsstelle in ihrer Dienstkleidung zurücklegen. Dies gilt gleichermaßen, wenn sie nach Schichtende zum Betriebshof zurückkehren, um dort ihre Dienstkleidung abzulegen. In diesem Fall besteht also ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates – das beispielsweise dahingehend ausgeübt werden kann, dass diese Zeiten pauschaliert in die Arbeitszeiten eingerechnet werden. Praxishinweis: Über die Vergütung für die Umkleide- und Wegezeiten ist durch diesen Beschluss freilich noch nichts gesagt. Sie richtet sich nach dem Arbeitsvertrag und ggf. geltenden tariflichen Bestimmungen. Aufgrund der Aktualität können die angesprochenen Themen nur schlagwortartig und in gedrängter Kürze dargestellt werden. Die Lektüre ersetzt also in keinem Fall eine Rechtsberatung. Nähere Informationen erhalten Sie bei den Rechtsanwälten unseres Arbeitsrechtsteams: Dr. Achim Tempelmann [email protected] Florian Zahn [email protected] Inken Hansen [email protected] Dr. Bastian-Peter Stenslik [email protected] Dr. Ralf Heine, M.M. [email protected] Büro Bochum Büro Essen AULINGER Rechtsanwälte I Notare Josef-Neuberger-Straße 4, 44787 Bochum Telefon +49 (0)234 68779-0 Telefax +49 (0)234 68779-993 AULINGER Rechtsanwälte I Notare Frankenstraße 348, 45133 Essen Telefon +49 (0)201 95986-0 Telefax +49 (0)201 95986-99 www.aulinger.eu
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