UPDATE kartell-, vergabe- und beihilferecht | April 2015 Vertikale Preisbindung: BKartA verhängt empfindliches Bußgeld gegen Matratzenhersteller BKartA, Beschluss v. 06.02.2015 Als zentrales Element des kartellrechtlich geschützten Preiswettbewerbs muss gewährleistet sein, dass Großund Einzelhändler Produktpreise frei bestimmen können. Hersteller sind hingegen regelmäßig daran interessiert, dass ihre Produkte zu einem bestimmten Preisniveau durch den Handel vertrieben werden. Vor dem Hintergrund dieser divergierenden Interessen ist zu beobachten, dass die Hersteller und Lieferanten oftmals versucht sind, auf die Preisgestaltung ihrer Produktabnehmer der Groß- und Einzelhandelsstufe einzuwirken. Diese Praxis birgt mitunter erhebliche kartellrechtliche Risiken. Grundsätzlich stellt jede Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen Herstellern und Groß- und Einzelhändlern über die Festsetzung von Wiederverkaufspreisen einen nicht freistellungsfähigen Kartellverstoß dar. Kartellrechtlich zulässig sind ohne weiteres das Aussprechen unverbindlicher Preisempfehlungen oder die Vorgabe von Höchstpreisen. Eine Preisempfehlung ist allerdings nur dann unverbindlich, wenn sie nicht mit Druck- oder Anreizmaßnahmen für ihre Einhaltung verbunden wird. Nach Ansicht des Bundeskartellamts kann hierfür bereits eine Fühlungnahme zwischen Hersteller und Händlern ausreichend sein, die eine wiederholte Thematisierung der Preissetzung anstrebt. Die Verfolgung sog. vertikaler Preisbindungen ist so denn auch in der jüngeren Vergangenheit verstärkt in den Fokus der Kartellwächter gerückt. Zuletzt hat das Amt am 06.02.2015 gegen einen Matratzenhersteller eine Geldbuße von nicht weniger als 3,38 Mio. EUR verhängt, weil dieser mit seinen Einzelhändlern wiederholt Vereinbarungen darüber getroffen hat, dass bestimmte Artikel sowohl im stationären als auch im Online-Handel grundsätzlich zu den vom Hersteller vorgegebenen Preisen angeboten werden. So wurden die Händler insbesondere bei bevorstehenden Werbemaßnahmen wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich bei den vorgegebenen Verkaufspreisen um Festpreise ohne Rabattmöglichkeiten handele bzw. dass die jeweiligen Produkte als „preisgebundene Ware“ zu behandeln sei. Ziel war es, ein einheitlich hohes Preisniveau zu garantieren. Die vom Gesetzgeber gerade gewollte Freiheit einer Rabattierung sollte also ausgehebelt werden. Die zunehmende Bedeutung des Online-Handels und die damit einhergehenden Preistransparenz führten in dem Fall dazu, dass sich einzelne Händler wiederholt darüber beschwerten, Konkurrenten würden die vorgegebenen Preise nicht einhalten und baten den Hersteller um Abhilfe. Dieser erwirkte daraufhin erfolgreich, dass abweichende Händler die Produkte wieder einheitlich beworben haben. Das Bundeskartellamt wurde durch die Beschwerde eines Markteilnehmers hierauf aufmerksam und leitete gegen insgesamt vier Matratzenhersteller ein Kartellverfahren ein. Im August 2011 fanden bei mehreren Unternehmen der Branche Durchsuchungen statt. Neben dem zuletzt bebußten Unternehmen verhängte das Amt bereits am 21.08.2014 ein Bußgeld von 8,2 Mio. EUR gegen einen der beteiligten Matratzenhersteller. Gegen zwei weitere Unternehmen laufen die Verfahren noch. Was man hieraus mitnehmen sollte ist, dass Preisbindung in jeder Branche ein wichtiges kartellrechtliches Thema ist. Wettbewerbsverbote auf dem Prüfstand! – BKartA untersagt sog. Radiusklauseln in Mietverträgen BKartA, Beschluss v. 03.03.2015 Das Bundeskartellamt hat in einem aktuellen Fall entschieden dass der Betreiber eines Factory Outlet Centers den ansässigen Markenartikelherstellern nicht verbieten darf, innerhalb eines Radius von 150 km weitere Ladenlokale zu eröffnen. Bei Factory Outlet Centern handelt es sich um großflächige Verkaufsstätten mit bis zu 100 Einzelläden, die im Regelfall von einem einzigen Betreiber geplant und verwaltet werden. Der Betreiber hatte im vorliegenden Fall den meisten Markenartikelherstellern im Mietvertrag untersagt, in einem Umkreis von 150 km eigene OutletGeschäfte zu betreiben oder in einem anderen Factory Outlet Ladenlokale zu eröffnen. Der gewählte Radius dürfte vorliegend nicht zufällig getroffen worden sein, gab es doch in 147 km Entfernung noch ein weiteres Outlet Center, welches mit Blick auf die Radiusklausel erhebliche Schwierigkeiten bei der Akquise neuer Mieter erleiden musste. Nach Auffassung des Betreibers diente die Klausel jedoch lediglich dazu, die Exklusivität im Angebot von Premiumware zu sichern und sei daher wirtschaftlich erforderlich. Das Amt hingegen bewertete das Wettbewerbsverbot als weder für die Durchführung der Mietverträge funktional notwendig noch verhältnismäßig, um die vorgetragenen Vertragszwecke zu erreichen. Stattdessen ziele die Radiusklausel darauf ab, den Wettbewerb zu den bestehenden Factory Outlet Centern in unzulässiger Weise zu beschränken. Außerdem werde der Markteintritt bei der Gründung neuer Verkaufsstätten wesentlich behindert. Gleichwohl erteilte das BKartA den sog. Radiusklauseln hiermit keine vollkommene Absage. Es erkennt an, dass der Betreiber des Factory Outlet Centers durchaus ein berechtigtes Interesse besitzt, vor unmittelbarer Konkurrenz seiner Mieter geschützt zu werden. Zur Sicherung dieses Interesses sei es hingegen ausreichend, dass der Radius auf 50 km und die vertragliche Laufzeit des Verbots auf 5 Jahre begrenzt werden. Damit verdeutlicht das Amt abermals, dass eine pauschale Aussage über die Zulässigkeit von vertraglichen Wettbewerbsverboten nicht möglich und stets von den Voraussetzungen des jeweiligen Einzelfalls abhängig ist. Insbesondere Unternehmen, die eine gewerbsmäßige Vermietung oder Verpachtung von Grundstücksflächen, Immobilien etc. betreiben, ist vor diesem Hintergrund anzuraten, etwaige vertragliche Wettbewerbsverbote einer sorgfältigen kartellrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Die Bündelung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche – Zulässige Sammelklage oder sittenwidrige Abtretung? OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.02.2015 - VI-U (Kart) 3/14 Das OLG Düsseldorf hat durch Urteil vom 18.02.2015 die Berufung der Cartal Damage Claims S.A. (CDC) gegen das abweisende Urteil des LG Düsseldorf vom 17.12.2013 zurückgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Was dieses Urteil wegweisend macht, ist die jedenfalls teilweise Absage an das Geschäftsmodell der CDC. Die CDC ist eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts und wurde speziell zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche gegründet. Sie verfolgte in diesem Verfahren das Ziel, eine Vielzahl von Forderungen gebündelt geltend zu machen. Zu diesem Zweck ließ sich CDC ab dem Jahr 2002, die Ansprüche von mehr als zwei Dutzend vom Zementkartell geschädigten Unternehmen abtreten und verklagte sodann aus abgetretenem Recht sechs der Kartellanten auf insgesamt 176 Mio. Euro. Die Forderungskaufverträge zwischen CDC und den geschädigten Unternehmen sahen vor, dass CDC an die Zedenten einen Kaufpreis zu zahlen hat, der aus einem sofort fälligen Betrag von lediglich100 Euro und einem variablen Kaufpreisanteil bestand. Der variable Anteil sollte nur im Erfolgsfall gezahlt werden und umfasste zwischen 65 und 85 Prozent der realisierten Klageforderung. Genau dieses Abtretungsmodell zur gebündelten Gel- tendmachung wurde CDC letzten Endes zum Verhängnis. Das OLG Düsseldorf urteilte, dass die Forderungskaufverträge, soweit sie Abtretungen betreffen, die vor dem 01.07.2008 vorgenommen wurden, gegen das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) verstießen, da die CDC zum Zeitpunkt der Abtretung nicht die nach Art. 1 § 1 Abs.1 S.1 RBerG erforderliche behördliche Erlaubnis zur Einziehung fremder Forderung besaß. Von größerer Tragweite sind noch die Ausführungen des OLG zu den Abtretungen, welche die CDC nach dem 01.07.2008 vornahm. Das RBerG trat mit Wirkung zum 01.07.2008 außer Kraft. Die Abtretungen nach diesem Zeitpunkt sind jedoch nach Auffassung des OLG sittenwidrig und daher gem. § 134 BGB nichtig, so dass CDC nie Inhaber der Forderung geworden ist und die Klage somit abzuweisen war. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich in diesem Fall daraus, dass CDC zum Zeitpunkt der Abtretungen nicht über die notwendige finanzielle Ausstattung verfügte, im Falle eines Prozessverlustes die Prozesskosten, insbesondere die Erstattungsansprüche der Beklagten, zu tragen. Dies ergibt sich daraus, dass das Stammkapital der CDC lediglich 100.000 Euro betrug und die Zedenten zwar Kostenzuschüsse zur Prozessfinanzierung leisteten, diese jedoch nur ausreichten, um ausschließlich die laufenden Kosten von CDC zur Vorbereitung des Prozesses zu decken. Im Falle einer Niederlage hätten die Beklagten ihre Erstattungsansprüche zumindest zum Zeitpunkt der Abtretung, auf den es hier ankommt, nicht realisieren können. Eine solche Verlagerung des Prozessrisikos auf die Beklagten ist unzulässig und hat die Nichtigkeit der Abtretungen zur Folge. Die mangelnde finanzielle Ausstattung der CDC ließ die Sammelklage somit scheitern. Daher drängt sich die Frage auf, ob die – gerade für mittelständische und kleinere Unternehmen – so wichtige Bündelung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach dem Urteil überhaupt noch möglich ist. Die von einem Kartell Geschädigten können ihre Ansprüche auch weiterhin gemeinsam geltend machen, indem sie bspw. Ansprüche an einen unter ihnen abtreten, der die Forderungen sodann im eigenen Namen einklagt. Aber auch die Abtretung an ein sog. Prozessvehikel, wie in dem Fall von CDC, bleibt zulässig. Jedoch muss in diesem Fall darauf geachtet werden, dass dieses bereits bei Abtretung mit ausreichend Kapital ausgestattet ist, um alle Prozesskosten – also auch im Fall des Unterliegens – begleichen zu können. Da bei einer kartellrechtlichen Schadensersatzklage, welche Forderungen mehrerer Geschädigter umfasst, schnell ein sehr hoher Streitwert erreicht wird, der wiederrum hohe Prozesskosten mit sich bringt, ist die Abtretung an das größte und solventeste Unternehmen unter den Geschädigten in Zukunft wohl die sicherste Variante der gebündelten Geltendmachung von Schadensersatzforderungen. Die Vergabe kommunaler Wegerechte für Strom- und Gasnetze – Immer häufiger ein Fall für die Kartellbehörde BKartA, Beschl. v. 29.01.2015 (Konzessionsvergabe der Gemeinde Titisee-Neustadt) Das Bundeskartellamt hat durch Beschluss vom 29.01.2015 die Vergabe von Wegerechten für Stromund Gasnetze durch die Gemeinde Titisee-Neustadt gerügt und festgestellt, dass die Kommune missbräuchlich gehandelt hat. Den Zuschlag erhielt in dem Vergabeverfahren die eigens von der Stadt gegründete Energieversorgung Titisee-Neustadt GmbH (EvTN). Bei der Neuvergabe verstieß die Gemeinde nach Ansicht des Bundeskartellamtes gleich gegen eine Vielzahl von zu beachtenden Regularien. So geht das BKartA davon aus, dass die Gemeinde bei der Vergabe ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, indem sie ein diskriminierendes Auswahlverfahren durchgeführt, einen bestimmten Bieter einseitig ohne sachlichen Grund bevorzugt, unzulässige und rechtswidrige Auswahlkriterien verwendet sowie gegen den Geheimwettbewerb und das Nebenleistungsverbot verstoßen hat. Rechtsfolge dieses missbräuchlichen Handelns und der feststellenden Verfügung des BKartA ist, dass der mit der EvTN geschlossene Konzessionsvertrag nichtig ist. Des Weiteren muss die Konzession zum Betrieb des Stromnetzes erneut ausgeschrieben werden. Es besteht für die Kleinstadt im Schwarzwald jedoch noch die Möglichkeit gegen den Beschluss Beschwerde beim OLG Düsseldorf einzulegen, was bis Redaktionsschluss noch offen war. Die Konzessionsvergabe der Stadt Titisee-Neustadt ist bei weitem nicht die erste und einzige Ausschreibung von Strom- und/oder Gaskonzessionen, die vom BKartA beanstandet wurde. So hat das BKartA bereits 2012 in einem prominenten Verfahren die Zuschlagserteilung im Rahmen der Neukonzessionierung durch die Stadt Mettmann untersagt und das missbräuchliche Verhalten der Kommune festgestellt. Ebenfalls im Jahr 2012 rügte das BKartA die Konzessionsvergabe der Stadt Pulheim, sowie im Jahr 2013 das missbräuchli- che Verhalten der Gemeinde Cölbe in Hessen. Zudem ist derzeit noch ein Missbrauchsverfahren gegen das Land Berlin anhängig. bewerblichen Kriterien erfolgen. Durch diese Regularien soll sichergestellt werden, dass der wirtschaftlichste Bieter zum Zuge kommt. Der rechtliche Hintergrund dieser Verfahren kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Vergabe von Wegenutzungsrechten durch die Gemeinden ist eine unternehmerische Tätigkeit, so dass das Kartellrecht uneingeschränkt Anwendung findet. Die Kommunen sind im Rahmen der Konzessionierung auch marktbeherrschend, da die Wegerechte ausschließlich ihnen zustehen und somit auch nur durch sie vergeben werden können. Folglich unterliegen die Kommunen bei dieser Tätigkeit dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot nach § 19 GWB. Eine Bevorzugung bspw. der eigenen Stadtwerke ist dabei nicht zulässig, auch nicht nach den Grundsätzen der sog. Inhouse-Vergabe. Auch Gesichtspunkte, wie die lokale Nähe des zuschlagerhaltenden Betreibers, sind keine statthaften Kriterien. Da Kommunen jedoch oft beabsichtigen den Zuschlag ihren eigenen Stadtwerken zu erteilen, so auch im Verfahren der Stadt Titisee-Neustadt geschehen, kommt es immer wieder zu fehlerhaften Verfahren, die die Aufmerksamkeit des BKartA oder der Gerichte auf sich ziehen. Eine solche „Rekommunalisierung“ des Strom- und Gasnetzbetriebes ist dabei jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern ist durchaus durch eine sorgfältige Verfahrensgestaltung möglich. Die Neuvergabe ist zudem teilweise in § 46 EnWG geregelt. Danach ist die Gemeinde bei der Neukonzessionierung vorrangig den Zielen des § 1 EnWG verpflichtet. Die Kommune hat sich bei der Vergabe daher daran zu orientieren, dass der Netzbetrieb sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich erfolgt. Darüber hinaus folgen aus den europäischen Grundfreiheiten des AEUV weitere allgemeine Vergabeprinzipien, die es zu beachten gilt. Die Konzessionierung muss diskriminierungsfrei, transparent und nach wett- Aufgrund einer Vielzahl von in den 1990er Jahren geschlossenen Konzessionsverträgen und der in § 46 Abs. 2 EnWG normierten maximalen Laufzeit von 20 Jahren stehen in den nächsten Jahren mehrere tausend Kommunen vor der Herausforderung der rechtssicheren Gestaltung der Neukonzessionierung. Dabei ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund des kartellbehördlichen Fokus auf eine sorgfältige und präzise Ausgestaltung der Konzessionsvergabe zu achten. Angebotsprüfung im Vergabeverfahren: Müssen Angebote ohne Aussicht auf Zuschlagserteilung zwingend vollständig durchgeprüft werden? VK Baden-Württemberg, Beschluss v. 12.06.2014 – 1 VK 24/14 Auftraggeber kennen das Problem: Nach Öffnung der Angebote wird relativ schnell klar, dass manche Angebote wegen des zu hohen Angebotspreises keine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags haben. Dann stellt sich die Frage: Müssen diese aussichtslosen Angebote trotzdem vollständig durchgeprüft werden? Mit dieser Frage musste sich zuletzt die VK BadenWürttemberg auseinandersetzen. Und die Antwort lautet: Nein, müssen sie nicht. Im Fall der VK Baden-Württemberg hatte der Auftraggeber den Preis als einziges Wertungskriterium festgesetzt und sich bei der Angebotsprüfung auf das Angebot des Bieters mit dem niedrigsten Preis beschränkt. Diese Beschränkung hatte ein konkurrierender Bieter gerügt. Nach Auffassung der Kammer aber zu Unrecht: Gerade wenn der Preis einziges Wertungskriterium sei, dürfe sich der Auftraggeber darauf beschränken, das Angebot zuerst zu prüfen, auf das der Zuschlag erteilt werden müsste, wenn es vollstän- dig ist. Ein solches Vorgehen sei vergaberechtskonform und verstoße insbesondere weder gegen den Transparenz- noch den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch die grundsätzliche Abfolge der einzelnen Prüfschritte – Formelle Vollständigkeit der Angebote, Eignung der Bieter, Auskömmlichkeit der Preise, Wirtschaftlichkeit der Angebote – könne nicht als Argument herangezogen werden. Denn diese Reihenfolge müsse nicht um ihrer selbst willen eingehalten werden. Aber selbst wenn das der Fall wäre, würden die Bieterrechte nicht dadurch verletzt, dass das aussichtsreichste Angebot zuerst und ein abgeschlagenes Angebot ggf. nicht mehr geprüft werde. Dem Bieter entstehe durch dieses Vorgehen kein Schaden, denn auch bei einer Einhaltung der Prüfungsreihenfolge habe er keine Chance, den Zuschlag zu erhalten. Das Zurückstellen aussichtsloser Angebote ist im Übrigen nicht auf Verfahren beschränkt, in denen der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Vielmehr dürfen Auftraggeber auch in anderen Verfahren so vorgehen. Wenn ersichtlich ist, dass ein Angebot auch bei Erreichen der höchsten Punkte bei allen sonstigen Zuschlagskriterien außer dem Preis keinerlei Aussicht auf den Zuschlag hat, können sich Auftraggeber den Aufwand einer kompletten Prüfung sparen. Im Falle unvollständiger Erklärungen und Nachweise müssen diese auch nicht mehr nachgefordert werden. Wichtiges Argument hierfür ist, dass Vergabeverfahren zügig durchzuführen sind (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.05.2012 – VK 2-11/12). Der Auftraggeber muss daher die Belange der am Auftrag interessierten Unternehmen nur im Rahmen des Zumutbaren berücksichtigen. Die Grenzen der Zumutbarkeit werden nicht nur durch den kurzen Zeitraum, in dem die Entscheidung über die Auftragsvergabe zu treffen ist bestimmt, sondern auch durch die begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers, weitere Überprüfungen vorzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2012 – VII-Verg 13/12). Auftraggeber müssen ersichtlich aussichtslose Angebote also nicht vollständig durchprüfen, wenn dies eine bloße Förmelei wäre und lediglich unnötigen Aufwand verursachen würde. Die Entscheidung gegen die Prüfung ist zu dokumentieren, d.h. im Vergabevermerk muss ausgeführt werden, aus welchen konkreten Gründen auf die Prüfung verzichtet wurde. Daraus muss hervorgehen, dass Rechte der betroffenen Bieter durch den Verzicht auf die detaillierte Prüfung nicht verletzt sein können. Befreiung vom Herstellerrabatt nach §130a SGB V: EU-Kommission sieht keine unzulässige staatliche Beihilfe Pressemitteilung der EU-Kommission v. 27.03.2015 Das deutsche Gesundheitswesen unterliegt seit Jahren umfangreichen Vorgaben, die darauf abzielen, die Kosten zu senken. Es soll wirtschaftlicher und sparsamer ausgestaltet werden. Die vielfältigen Regelungen betreffen letztlich alle Beteiligten des Gesundheitssektors, so auch pharmazeutische Unternehmer. Diese werden in § 130a SGB V dazu verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen umfangreiche Rabatte auf den Abgabepreis der von ihnen hergestellten Arzneimittelwirkstoffe zu gewähren. Von dieser gesetzlichen Rabattpflicht können pharmazeutische Unternehmer nach § 130a Abs. 4 S. 2 ff. SGB V eine Befreiung beantragen. Wird diese gewährt, muss der Hersteller den Rabattbetrag nicht an die gesetzlichen Krankenkassen erstatten. Er erhält folglich den vollen Abgabepreis für seine Arzneimittelwirkstoffe. Die höheren Kosten trägt in diesem Fall die Krankenkasse. Im Vergleich zu anderen pharmazeutischen Unternehmern, die zur Zahlung der Herstellerrabatte verpflichtet sind, erhält das befreite Unternehmen damit einen wirtschaftlichen Vorteil. Mit der Frage, ob es sich dabei um eine unzulässige staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) handelt, hat sich nunmehr die Europäische Kommission beschäftigt. Angerufen hatte die Kommission ein konkurrierendes Pharmaunternehmen, das gegen die deutsche Regelung Beschwerde eingelegt hatte, weil es darin eine unzulässige staatliche Beihilfe sah. Im Ergebnis hat die Kommission dies verneint. Zum Hintergrund: Mit der Regelung in § 130a Abs. 4 s. 2 ff. SGB V setzt Deutschland eine Vorgabe der Richtlinie 89/105/EWG betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme um. Denn diese sieht zum einen vor, dass die Mitgliedstaaten Preisstopps für Arzneimittel einführen dürfen, um die Ausgaben des öffentlichen Gesundheitswesens für Arzneimittel zu kontrollieren. Gleichzeitig dürfen die Mitgliedstaaten aber Ausnahmen vorsehen für den Fall. dass diese durch besondere Gründe gerechtfertigt sind. : Fest steht nach Auffassung der Kommission zwar, dass es sich bei der Befreiung vom Herstellerrabatt um eine staatliche Beihilfe handelt. Denn der darin liegende Vorteil beeinträchtige den Wettbewerb der pharmazeutischen Unternehmer untereinander und zugleich den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Die Beihilfe sei jedoch zulässig, weil sie die Vorgaben der Richtlinie 89/105/EWG korrekt umsetze und den Wettbewerb im Binnenmarkt nicht übermäßig verzerre (vgl. Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV). Dies sei der Fall, weil die Befreiung nur solchen Unternehmen gewährt wird, die nachweislich gerade durch den Herstellerrabatt in nicht hinnehmbarer Weise finanziell belastet werden. Damit werde die in der Befreiung von der Rabattpflicht liegende staatliche Beihilfe auf das erforderliche Minimum begrenzt. Streit um EEG geht in die nächste Runde: Deutschland klagt gegen EU-Kommission Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft u. Energie v. 17.02.2015 Wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mitteilte, hat die Bundesregierung am 02.02.2015 Klage gegen den Beschluss der Europäischen Kommission vom 25.11.2014 erhoben. Es soll grundsätzlich geklärt werden, ob das EEG dem europäischen Beihilferecht unterliegt und wie der Beihilfebegriff im europäischen Recht auszulegen ist. Zum Hintergrund: Betroffen ist das (alte) EEG 2012. Dieses hatte die Europäische Kommission als Beihilfe eingeordnet. Bereits gegen den Eröffnungsbeschluss hatte die Bundesregierung im Februar 2014 geklagt. Da die Europäische Kommission das EEG in dem Beschluss vom 25.11.2014 aus ähnlichen Erwägungen als Beihilfe einstufte, klagte die Bundesregierung erneut. Nicht betroffen von der Klage ist das mittlerweile geltende EEG 2014. Dieses wurde von der Europäischen Kommission unter Auflagen genehmigt. Der Gesetzesentwurf wurde bereits im April 2014 von der Bundesrepublik bei der EU-Kommission angemeldet. Im Juli 2014 kam die EU-Kommission zu dem Schluss, dass das EEG 2014 zur Verwirklichung der umweltund energiepolitischen Ziele der EU beitragen wird, ohne den Wettbewerb im Binnenmarkt übermäßig zu verfälschen. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet nicht mit einer zeitnahen Klärung. Es schätzt die durchschnittliche Verfahrensdauer bei einer solchen Klage auf voraussichtlich vier Jahre. EU-Kommission muss Vorteil bei der Rückforderung von Beihilfen konkret ermitteln EuGH, Urteile v. 05.02.2015 - T-473/12 (Aer Lingus Ltd/Kommission) u. T-500/12 (Ryanair Ltd/Kommission) Bei der Rückforderung von Beihilfen muss die EUKommission den zurückzufordernden Beihilfebetrag konkret ermitteln. Die Rückforderung muss sich auf die wirtschaftlichen Vorteile beschränken, die dem Beihilfeempfänger entstanden sind. Werden diese teilweise an die Kunden weitergegeben, ist dies bei der Berechnung zu berücksichtigen. Dies entschied des EuGH mit Urteilen vom 05.02.2015. Zum Hintergrund: Seit dem 30. März 2009 müssen die Fluggesellschaften in Irland „für jeden Abflug eines Fluggastes mit einem Flugzeug von einem Flughafen“ in Irland eine „air travel tax“ (ATT, Fluggast- und Flugpreissteuer) entrichten. Transfer- und Transitfluggäste sind von der Zahlung dieser Steuer ausgenommen. Bei Einführung wurde die ATT auf der Grundlage der Entfernung zwischen dem Startflughafen und dem Zielflughafen berechnet und betrug zwei Euro für Flüge zu Zielflughäfen, die höchstens 300 km vom Flughafen Dublin (Irland) entfernt lagen, und zehn Euro in allen übrigen Fällen. Im Juli 2009 legte Ryanair bei der EU-Kommission Beschwerde ein und beanstandete mehrere Aspekte der von Irland eingeführten ATT. Mit Beschluss vom 25. Juli 2012 stellte die EU-Kommission fest, dass die Anwendung eines niedrigeren Steuersatzes für Kurzstreckenflüge eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstelle. Dieser habe Inlandsflüge nämlich widerrechtlich gegenüber grenzüberschreitenden Flügen begünstigen können. Die EU-Kommission ordnete daher die Rückforderung an. Den Beihilfebetrag setzte sie in Höhe der Differenz zwischen dem niedrigeren ATT (zwei Euro) und dem Standardsatz von zehn Euro mit acht Euro pro Fluggast fest. Hiergegen wandten sich Aer Lingus und Ryanair, die zu den Begünstigten der staatlichen Beihilfe gehören. Mit seinen Urteilen vom 05.02.2015 erklärte der Europäische Gerichtshof den Beschluss der EUKommission teilweise für nichtig. Der EU-Kommission sei bei der Festlegung des zurückzufordernden Beihilfebetrags ein Fehler unterlaufen. Die EU-Kommission durfte nicht davon ausgehen, dass der den Fluggesellschaften erwachsende Vorteil automatisch in allen Fällen acht Euro je Fluggast betrug. Sie habe nicht dargetan, inwieweit den Fluggesellschaften, für deren Flüge die ATT zum reduzierten Satz galt, ein Vorteil in Höhe der Differenz zwischen den beiden ATT-Sätzen erwachsen sei. Nach Ansicht des Gerichts habe die EU-Kommission im Übrigen nicht davon ausgehen können, dass der sich aus der Anwendung des reduzierten ATT-Satzes ergebende wirtschaftliche Vorteil in keiner Weise an die Fluggäste weitergegeben wurde. Sie hätte zur Quantifizierung des Vorteils feststellen müssen, inwieweit diese Gesellschaften tatsächlich den sich aus der Anwendung der ATT zum reduzierten Satz ergebenden wirtschaftlichen Vorteil an ihre Fluggäste weitergegeben haben. Das Urteil ist zu begrüßen, denn der EuGH macht damit klare Vorgaben für die EU-Kommission. Bei der Ermittlung des wirtschaftlichen Vorteils, der dem Beihil- feempfänger entstanden ist, sind die tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Aktuelle Veröffentlichungen, die wir Ihnen gern zur Verfügung stellen: Dr. Stefan Mager/Silke Ganschow, LL.M. (London), Das Aus für den vergabespezifischen Mindestlohn? NZBau 2/2015, Seiten 7982. Dr. Stefan Mager/Silke Ganschow, LL.M. (London), Das Projekt Abfallentsorgung – Teil 2: Hinweise zur Gestaltung des Vergabeverfahrens, VergabeNavigator 2/2015, Seiten 5-7. Dr. Nicola Ohrtmann, Compliance im Beschaffungswesen, Vergaberecht 2a/2015, Seiten 327-341. Aktuelle Veranstaltungen, zu denen wir Sie gern einladen: 20./21.04.2015 in Köln: Dr. Andreas Lotze, Deutscher Kartellrechtstag 2015 – Aktuelles zur Organhaftung bei gegen Unternehmen verhängten Geldbußen. 28.04.2015 in Düsseldorf: Dr. Stefan Mager, NRW-Vergaberecht 2015 – einschließlich TVgG NRW, EU-Vergaberichtlinie und eVergabe. 07.05.2015 in Essen: Dr. Nicola Ohrtmann, vhw-Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. – Compliance in der öffentlichen Verwaltung und in kommunalen Unternehmen. 02.06.2015 in Bochum: Dr. Andreas Lotze, Dr. Stefan Mager, Silke Ganschow, LL.M. (London), Round Table Beihilferecht 2015. 11.06.2015 in Frankfurt: Dr. Stefan Mager, Forum Institut – Ausschreibung von Gebäudemanagementleistungen. 17.06.2015 in Hattingen: Dr. Stefan Mager, AAV-Fachtagung Recht – Rechtliche Probleme beim Einsatz von öffentlich geförderten Flächenrecyclingmaßnahmen. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Aufgrund der Aktualität können die angesprochenen Themen nur schlagwortartig und in gedrängter Kürze dargestellt werden. Die Lektüre ersetzt also in keinem Fall eine Rechtsberatung. Nähere Informationen erhalten Sie bei den Rechtsanwälten unseres Kartell-, Vergabe- und Beihilferechtsteams: Dr. Andreas Lotze [email protected] Sebastian Smolinski [email protected] Dr. Stefan Mager [email protected] Birgit Lotz, LL.M. (Bristol) [email protected] Dr. Nicola Ohrtmann [email protected] Silke Ganschow, LL.M. (London) [email protected] Toni Ebbighausen [email protected] Büro Bochum Büro Essen AULINGER Rechtsanwälte I Notare Josef-Neuberger-Straße 4, 44787 Bochum Telefon +49 (0)234 68779-0 Telefax +49 (0)234 680642 AULINGER Rechtsanwälte I Notare Frankenstraße 348, 45133 Essen Telefon +49 (0)201 95986-0 Telefax +49 (0)201 95986-99 www.aulinger.eu
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