Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag EUROPOOL / REDAKTION Steht Großbritannien eine Verfassungskrise bevor? Elektronische Zeitung Schattenblick Dienstag, 28. April 2015 Die andere Türkei - Wahlproporz und Daueropfer ... Metin Kaya im Gespräch Englische Tories ziehen gegen die schottischen Nationalisten zu Felde Die Kandidatur der HDP bei den Parlamentswahlen zeitigt Wirkung Bis zu den Wahlen zum 650sitzigen Unterhaus des Parlaments des Vereinigten Königreichs sind es nur noch zehn Tage. Zwei Dinge haben den bisherigen Wahlkampfdominiert und werden die britischen Politiker auch nach dem Urnengang am 7. Mai beschäftigen: erstens, die bereits jetzt absehbare Tatsache, daß keine der beiden großen Parteien ... (S. 9) Interview mit Metin Kaya am 12. April 2015 in HamburgAltona Pressekonferenz der Initiative zur Unterstützung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) KUNST / REPORT Aus dem Dunkel der Geschichte Tabubruch, Vision und Beispiel ... Franziska Schnoor im Gespräch Ausgrenzung und Diskriminierung sichtbar machen Interview am 18. März in Hamburg Die Dramaturgin Franziska Schnoor gehört dem Zentralrat der Asozialen in Deutschland (ZAID) an. Nach der feierlichen Inauguration des Metin Kaya ZAID auf Kampnagel in Hamburg Foto: © 2015 by Schattenblick berichtete sie dem Schattenblick über ihre Beweggründe, ... (S. 11) Am 7. Juni 2015 finden in der Türkei Parlamentswahlen statt, bei dedie HDP (Demokratische Partei UMWELT / REDAKTION nen der Völker) erstmals kandidiert. in der kurdischen BeweEU-Kommission spielt Konzernen Wenngleich gung verwurzelt, tritt sie doch ihrer in die Hände Satzung zufolge mit dem Ziel an, eiOptoutRegelung ein Danaer ne demokratische Volksherrschaft zu Geschenk errichten und allen in der Türkei leGVO-Novelle der EU-Kommission benden Menschen ein Dasein in richtet sich nicht gegen die USA, Würde und ohne Repression, Aussondern gegen die europäische Anti- beutung und Diskriminierung zu erGentechnikbewegung ... (S. 13) möglichen. In Hamburg wurde am (SB) 12. April bei der Partei Die Linke im Bezirk Altona ein Kontakt- und Informationsbüro der HDP eröffnet. Auf einer Pressekonferenz hieß Metin Kaya vom Bezirksverband Altona der Linkspartei die Interessierten und Medienvertreter willkommen und beantwortete gemeinsam mit der Bürgerschaftsabgeordneten der Linksfraktion Cansu Özdemir und Yavuz Fersoglu, Sprecher des Deutsch-Kurdischen Kulturvereins, zahlreiche Fragen. Im Anschluß daran bot sich dem Schattenblick die Gelegenheit, im Elektronische Zeitung Schattenblick Gespräch mit Metin Kaya verschie- Nahen und Mittleren Osten stärker dene Themen im Kontext dieser wahrgenommen? Kandidatur zu vertiefen. MK: Der Kampf insbesondere der Schattenblick (SB): Auf der Websei- PKK und der PYD gegen den Islamite der Partei Die Linke in Hamburg schen Staat in Syrien ist so offenwurde die heutige Veranstaltung sichtlich, daß die Menschen in nicht angekündigt. Wie kommt es, Deutschland Fragen wie die folgendaß sie von der Linksfraktion in Al- de stellen: Warum wird diese Partei tona unterstützt, aber dennoch in hier in den Terrorlisten geführt und Hamburg nicht beworben wird? verboten, während sie gegenwärtig die einzige Kraft ist, die dort gegen Metin Kaya (MK): Offiziell ist es den IS kämpft? Diesen Widerspruch nicht gestattet, daß Parteien aus der nehmen viele Menschen im Kontext Türkei ein Wahlbüro in Deutschland der Diskussionen um den IS wahr. eröffnen. Deshalb nennen wir es Vorher wurde die öffentliche WahrKontaktbüro. Was wir machen dür- nehmung der PKK in hohem Maße fen, ist Informationen zu geben und von der deutschen Regierungspolitik Material zur Verfügung zu stellen, lanciert. Anfang der 1990er Jahre aber direkt darauf hinarbeiten, daß kam es in Deutschland zu Hausbedie Wählerinnen und Wähler ihre setzungen, Autobahnblockierungen Stimme der HDP geben, ist uns nicht und Selbstverbrennungen, für die erlaubt. In diesem Sinne haben wir sich die PKK-Führung in den letzten zu einer Konferenz eingeladen, zu- Tagen entschuldigt hat. In diesem mal der Bundesvorstand der Links- Sinne waren die Kurden immer eine partei die HDP unterstützt. Die Lin- Gruppe, die in eine bestimmte Richke solidarisiert sich und stellt die tung eingeordnet und von staatlicher Räumlichkeiten zur Verfügung. Seite verboten wurde. SB: Gibt es gesetzliche Vorgaben, was SB: Das Verhältnis der deutschen Die Linke in dieser Hinsicht machen Regierungspolitik zur Türkei mutet darf und was ihr nicht gestattet ist? sehr kompliziert an. Es gibt zum einen die enge Verbindung der NAMK: Das ist gesetzlich geregelt. TO-Partner, zum andern wiederum Ausländische Parteien dürfen in Kritik an der Türkei, bei der sich verDeutschland nicht für ihre Kandida- schiedene Interessen vermischen. tur werben. Es hat sich jedoch inzwi- Die Einschätzung Erdogans ist in schen eingebürgert, zumal der türki- jüngerer Zeit ins Negative umgesche Präsident selbst hierher gekom- schlagen, da immer mehr Ereignisse men ist und für sich Propaganda ge- aus der Türkei berichtet werden, die macht hat. den in Deutschland vorgehaltenen demokratischen Standards nicht entSB: Das kam selbst bei der deutschen sprechen. Regierungspolitik nicht gut an. MK: Das ist eine zweischneidige MK: Er hat die in Deutschland leben- Geschichte. Auf der einen Seite den Türkinnen und Türken dazu auf- wünscht man aus deutscher Sicht eigerufen, sich nicht zu assimilieren. ne Regierung in der Türkei, die von Aber in seinem eigenen Land dürfen einer Mehrheit getragen wird und eidie Kurden nicht ihre Sprache spre- ne gewisse Stabilität auch im Umchen und sollen sich assimilieren. gang mit den NATO-Partnern und der EU garantiert. Auf der anderen SB: Wird dieser Widerspruch in den Seite verselbständigt sich Erdogan in deutschen Medien und in der Öffent- zunehmendem Maße auch aufgrund lichkeit inzwischen angesichts der seiner Herkunft im islamischen Beaktuellen Auseinandersetzungen im reich. Er wird zum Teil unberechenSeite 2 www.schattenblick.de bar für die NATO und die EU. Man weiß natürlich, daß viele seiner Äußerungen populistisch sind, doch wirken seine Stellungnahmen natürlich auch nach außen, wenn er beispielsweise Israel beschimpft oder seine Landsleute in Deutschland auffordert, weiter ihre eigene Sprache zu sprechen und nicht in der deutschen Bevölkerung aufzugehen. Auch die neuen Polizeigesetze in der Türkei, die es den Sicherheitskräften unter anderem erlauben, ohne Gerichtsbeschluß Menschen zu inhaftieren, oder die Sperrung sozialer Medien, die sich kritisch geäußert haben, sind im Gefüge der Bündnispartner nicht mehr vertretbar. Zudem ist Erdogans direkte Unterstützung des Islamischen Staats bekannt, dessen Kämpfern er die Grenzen öffnet wie auch Rückzugsräume und Behandlung in türkischen Krankenhäusern gewährt. Der IS wird über die Türkei mit Waffen und technischer Ausrüstung versorgt. Auch Erdogans Ambitionen, die Türkei zu einem Staat in der Tradition des Osmanischen Reichs auszubauen, stößt nicht nur in Europa, sondern auch den Ländern des Mittleren Ostens aufAblehnung. Der Iran und Syrien fühlen sich bedroht, Israel ohnehin, obwohl hinter verschlossenen Türen mit Sicherheit eine Zusammenarbeit stattfindet. Erdogan spielt in dieser Region ein gefährliches Spiel, das auch in der Türkei selbst auf zunehmende Ablehnung stößt. Die EUBeitrittsverhandlungen sind auf Eis gelegt worden. SB: In Hamburg kam es im Oktober 2014 zu einer Auseinandersetzung zwischen Salafisten und Kurden. Wurden daraufhin Ermittlungen eingeleitet und sind in dieser Hinsicht Ergebnisse bekannt? MK: Ergebnisse sind mir nicht bekannt. Ich weiß aber, daß Kurden nicht nur, was diesen Zwischenfall in Hamburg betrifft -, sondern generell wegen ihrer Nähe zu dem besagten Verein oder der Partei unter BeobDi, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick achtung gestellt werden. Ob Ermittlungen durchgeführt und abgeschlossen worden sind, weiß ich nicht. Da bin ich überfragt, zumal ich kein Mitglied dieses Vereins bin. Was die von Ihnen angesprochene Auseinandersetzung betrifft, ist es ein offenes Geheimnis, daß in bestimmten Hamburger Moscheen junge Menschen teilweise offiziell und intensiv rekrutiert werden, in anderen etwas weniger. Das geschieht insbesondere in bestimmten Stadtteilen wie Harburg, Wilhelmsburg und Billstedt, in denen besonders viele Menschen aus der Türkei leben. Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, ob man auf deutscher und europäischer Seite gewillt ist, tatsächlich gegen Bestrebungen wie den Salafismus und den IS vorzugehen. Auf der einen Seite steht man einem Staat wie Saudi-Arabien mit dem Verkauf von Panzern und moderner Technik zur Seite, obwohl dieses Land dieselben Methoden wie der IS anwendet, nämlich die Gesetze der Scharia oder die Entrechtung und den Verkaufvon Frauen. Diesen Widerspruch erlebte man auch im arabischen Frühling, wo je nach den Interessen westlicher Staaten die einen unterstützt und die andern fallengelassen wurden. So konnte Saudi-Arabien mit europäischen Waffen ungehindert in Bahrein militärisch intervenieren. Es kommt offensichtlich eine Doppelmoral zum Tragen. Man könnte eine Organisation wie den IS in kürzester Zeit eliminieren, indem man Staaten wie der Türkei, Saudi-Arabien oder Katar die materielle Grundlage entzieht. Die NATO und die EU hätten durchaus die Mittel, die genannten Unterstützer des IS zu verpflichten, ihre Hilfe einzustellen. Im Falle Rußlands und der Ukraine ging man sehr schnell vor, sperrte die Konten und verhängte Sanktionen. Warum dort, aber nicht im Falle des Islamischen Staats und seiner Unterstützer? Warum kauft die Türkei das Öl des IS auf? Warum wird dieses Öl über die Türkei beiDi, 28. April 2015 spielsweise an Israel verkauft? Warum wird es nach Europa verschifft? Das ist alles kein Geheimnis, sondern allgemein bekannt. Man könnte den Sumpf trockenlegen, schützt aber vor, Fliegen in diesem Sumpf einzeln fangen zu müssen, und das geht natürlich nicht. SB: Die Bundesregierung muß sich fragen lassen, warum die PKK nach wie vor auf der Terrorliste steht, wenn sie doch Minderheiten in der Region schützt. MK: Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag hatten ihre Immunität verloren, weil sie auf einem Foto mit der PKK-Fahne zu sehen sind. Sie machten geltend, daß die PKK zusammen mit der PYD den Kampf in Rojava führt, aber dennoch auf der Terrorliste geführt wird. Was hat der Westen dazu beigetragen, daß eine terroristische Gruppierung wie der IS bekämpft wird? Man fliegt Luftangriffe, die jedoch teilweise sehr unwillig durchgeführt werden, so daß mitunter Bomben kurzerhand in freiem Gelände abgeworfen wurden. Die einzige effektive Kraft in dieser Auseinandersetzung sind die Kurden selbst. Im Nachhinein hat man sich entschlossen, Waffen zu liefern, jedoch nicht etwa an die Kämpfenden, sondern an Barsani und die Peschmerga. Von diesen wissen wir, daß sie anfangs gezögert haben, die PKK und die PYD zu unterstützen. Auch was den humanitären Korridor betrifft, hat der Westen recht wenig getan. Wiederum waren es die Kurden, die unter hohen Opfern eingriffen. Das haben auch die westlichen Medien berichtet, so daß es viele Menschen erfuhren. Daher mußte sich die Bundesregierung dazu äußern. Ist es hinnehmbar, daß die PKK noch immer auf den Terrorlisten steht, obwohl sie dort den Kampf gegen den IS führt? SB: Die Terrorliste wird seitens der EU geführt, während das Betätigungsverbot gegen die PKK in Deutschland 1993 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanwww.schattenblick.de ther verhängt wurde. Ließe sich also diese Verbotsverfügung auch durch die Bundesregierung wieder aufheben, wenn sie es denn wollte? MK: Nachdem sich die PKK für weit zurückliegende Aktivitäten in Deutschland entschuldigt hat, könnte ich mir diesen Schritt vorstellen, da er längst überfällig ist. Die Terrorlisten gehen indessen nicht allein auf die EU zurück, sondern werden aus Übersee diktiert. Andererseits wissen wir um die Vormachtstellung Deutschlands in der EU, so daß es auf deutsche Initiative hin ein leichtes wäre, die PKK auf europäischer Ebene aus der Liste zu streichen. SB: Würde die Bundesregierung den 10-Punkte-Plan der PKK für eine Friedenslösung ernst nehmen, in dem Forderungen erhoben werden, die nach deutschen Standards durchweg plausibel und vertretbar sind, müßte sie diese Initiative eigentlich unterstützen. MK: Auf jeden Fall. Deutschland und die gesamte EU müßten den Plan unterstützen, da er ihren Standards entspricht. Dem Mittleren Osten wird jedoch ein weitreichender strategischer Plan aufgezwungen, in dessen Rahmen mit Barsani und Talabani im Norden des Irak ein Kurdistan errichtet worden ist. Der Irak und Syrien werden zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden aufgeteilt. Der Iran gewinnt teilweise an Einfluß, Israel verfolgt wiederum eigene Interessen. Das Öl in den kurdischen Regionen spielt dabei eine zentrale Rolle. Man hat der Türkei gedroht, daß im Falle ihrer Weigerung, weiterhin Militärbasen auf ihrem Territorium zur Verfügung zu stellen, Alternativen im BarsaniKurdistan möglich seien, wozu auch schon einige Schritte unternommen wurden. Die USA akzeptieren dieses Kurdistan, nehmen es als Partner wahr und reden direkt mit den dortigen politischen Akteuren, während sich die EU in dieser Hinsicht noch schwertut. Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick SB: An wen richtet sich der 10-Punkte-Plan des inhaftierten PKK-Vorsitzenden? Zielt er nur aufdie türkische Regierung ab oder wendet er sich auch an die westlichen Länder? Und wie ist der aktuelle Stand dieser Friedensinitiative? MK: Es gab eine gemeinsame Presseerklärung der türkischen Regierung mit Vertretern der HDP, sprich der kurdischen Minderheit. Dabei wurde das 10-Punkte-Programm, eine Forderung der Kurden auf Initiative Abdullah Öcalans, ausdrücklich akzeptiert. Derzeit steht jedoch die Wahl vor der Tür, und die Regierung weiß, daß sie dabei eine Schlappe erleben wird. Was macht sie also? Sie geht auf das rechte Spektrum zu und versucht, dessen Wählerstimmen zu gewinnen, indem sie wieder Stimmung gegen die Kurden macht. Das findet vor jeder Wahl statt, da die AKP-Regierung dann einen gewissen Konsens mit dem konservativen und rechten Lager etabliert, um dort auf Stimmenfang zu gehen. Ich glaube jedoch nicht, daß diese Rechnung aufgeht. Inzwischen haben die HDP und die Kurden überall in der Türkei eine große Akzeptanz erlangt, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Heute sind viele Menschen der Auffassung, daß die Kurden gleiche Rechte bekommen sollen. Die Regierung kann es sich jedoch nicht erlauben, das gesamte Programm offen zu unterstützen, weil ihr andernfalls die Rechten vorwerfen würden, sie lasse sich vor den Karren der Kurden spannen, und Abdullah Öcalan habe ihr das diktiert. Um dem entgegenzuwirken, heißt es offiziell, der 10-Punkte-Plan bedürfe noch einiger Korrekturen, und die PKK müsse die Waffen niederlegen. Dabei spricht doch schon die gemeinsame Presseerklärung für eine Übereinkunft. Nach den Wahlen sieht es ganz anders aus, dann sind auch die Töne nicht mehr dieselben wie zuvor. tanz gefunden. Sehr viele Menschen - Intellektuelle, Künstler, Wissenschaftler und Kulturschaffende - haben es für gut befunden. Die HDP spricht in ihrem WahlkampfThemen an, die alle Bereiche des Lebens und alle gesellschaftlichen Gruppen betreffen, ob das die Kurden, die Aleviten, die Türken, die Genderfrage, die Kulturschaffenden, die Jugendlichen oder die Studierenden sind - alles wird dargestellt, und das findet Zuspruch. Derzeit unternimmt die Regierung gravierende Schritte, um das Bildungssystem reaktionär zu gestalten. Streiks werden verboten. Seit Jahren kämpfen die Menschen dafür, ihren 1. Mai aufdem Taksim-Platz zu feiern. In der Regierungszeit Erdogans sind mehrere tausend Menschen bei Arbeitsunfällen umgekommen, die Zahl getöteter Frauen ist erschreckend hoch. All das sind Anzeichen dafür, daß ein reaktionäres System aufgebaut wird. Dem steht entgegen, was die HDP repräsentiert und vorschlägt, wobei die zehn Punkte eine konzentrierte Zusammenfassung dessen sind, was auch von der HDP propagiert wird. Genau die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten sind Frauen, was es in keiner anderen Partei gibt. Die HDP hat überall eine Doppelspitze, und auch das finden die Menschen gut. Sie praktiziert, worüber andere bestenfalls reden. In westlichen Ländern ist dieses 10Punkte-Programm nicht so intensiv wahrgenommen oder absichtlich ausgeblendet worden, aber in der Türkei zeigt es Wirkung. SB: Selahattin Demirtas hat bei der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr fast zehn Prozent erreicht. Würden Sie für das Ergebnis der HDP bei der bevorstehenden Parlamentswahl eine Prognose wagen? den Namen Demirtas und die HDP in der Öffentlichkeit weithin bekannt zu machen. Die Inhalte des 10-Punkte-Plans waren schon vorher in der Diskussion, das gesamte Programm der HDP trat während der Präsidentschaftswahl immer wieder in Erscheinung und wurde in den sozialen Medien ausgiebig diskutiert. Selahattin Demirtas hat knapp 10 Prozent bekommen, und nun tritt die HDP als Partei an und erreicht noch ein ganz anderes Spektrum. Damals argumentierten viele, dieser Kandidat sei noch jung und unerfahren und repräsentiere lediglich einen Teil der Bevölkerung. Er betonte jedoch, daß er ein Kandidat der gesamten Gesellschaft sei, und das ist vielen Menschen bewußt geworden, wie das Wahlergebnis zeigt. Bei den anstehenden Parlamentswahlen kommt noch etwas anderes hinzu, das bei der Präsidentschaftswahl nicht der Fall war: Ein sehr breites Spektrum von Organisationen und Gruppen hat offen ihre Unterstützung erklärt. Ob das nun die Aleviten, die Jesiden, verschiedene Parteien oder gesellschaftliche Gruppen im In- und Ausland sind, die aktiv an dem Bündnis mitarbeiten. In diesem Sinne hat sich das Niveau seit der Präsidentschaftwahl noch gesteigert, und das sehen die Menschen. Insofern sind 14 Prozent realistisch. SB: Herr Kaya, vielen Dank für dieses Gespräch. Bericht über die Pressekonferenz der Initiative zur Unterstützung der HDP in HamburgAltona im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT: MK: Ich persönlich wünsche mir natürlich eine zweistellige Zahl von BERICHT/191: Die andere Türkei deutlich mehr als 10 Prozent. Man das Schlimmste verhindern ... (SB) geht von einem Ergebnis zwischen http://www.schattenblick.de/ 11 und 14 Prozent aus, was durchaus infopool/politik/report/ Das Programm der HDP hat meines realistisch ist. Die Präsidentschaftsprin0252.html Erachtens in der Türkei große Akzep- wahl stellte einen ersten Versuch dar, Seite 4 www.schattenblick.de Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA El Salvador: Die Rückkehr der Todesschwadronen Kampfansage an Bandengewalt weckt böse Erinnerungen an Bürgerkriegszeiten IPSInter Press Service Deutschland GmbH IPSTagesdienst vom 24. April 2015 von Edgardo Ayala IPAZ hat führende Vertreter unterschiedlicher Glaubensrichtungen mit dem Ziel zusammengebracht, eine politische Lösung des Problems der Bandengewalt in dem verarmten 6,3 Millionen Einwohner zählenden Land zu erreichen. Gefahr der Militarisierung Beerdigung des Polizisten Justo Germán Gil, der von Bandenmitglie dern am 10. Januar 2015 in der Stadt San Juan Opico im Osten El Salva dors ermordet worden ist Bild: © Vladimir Girón/IPS San Salvador, 24. April (IPS) In El von 1980 bis 1992 etliche Massaker an Zivilisten begangen haben. So hatten Mitglieder der Atlacatl-Battalion 1981 in El Mozote, einer Ortschaft im nördlichen Departement Morazán, mehr als 1.000 Menschen abgeschlachtet. Salvador hat die drastische Zunahme von Banden- und staatlicher Gegengewalt ein Klima geschaffen, das an die traumatischen Zeiten des zwölfjährigen Bürgerkrieges mit 75.000 Toten und 8.000 Verschwundenen erinnert. Derzeit diskutieren die Sicherheitskräfte und die von der Bandengewalt betroffenen Bürger offen die Gründung solcher bewaffneter Gruppen mit dem Ziel, die kriminellen Gangs zu eliminieren. Seit den jüngsten Anschlägen auf Polizisten und Soldaten denkt die Regierung darüber nach, den Ausnahmezustand über die von den Gangs kontrollierten städtischen Gebiete zu verhängen. Außerdem hat sie die Gründung von drei Sonderbataillonen angekündigt, die an die berüchtigten Todesschwadronen erinnern, die im bewaffneten Konflikt Doch Félix Arévalo, der Koordinator der ökumenischen Pastoralen Initiative für Frieden und Leben (IPAZ), warnt vor den Folgen, die die Gründung paramilitärischer Verbände im Stil der Todesschwadronen und die Verhängung des Ausnahmezustands nach sich ziehen. Sie seien eine Gefahr für den nach wie vor fragilen Demokratieprozess, sagte er. Di, 28. April 2015 www.schattenblick.de Sollte das Parlament in der nächsten Sitzungsperiode, die nach den Märzwahlen am 1. Mai beginnt, für den Ausnahmezustand stimmen, steht es der Regierung frei, grundlegende Verfassungsrechte wie Versammlungs- und Bewegungsfreiheit einzuschränken. Gleichzeitig werden in den Gebieten mit hohen Mordraten Militärs abgestellt. Das letzte Mal, dass in El Salvador der Ausnahezustand verhängt worden war, war während der Guerilla-Offensive 'Hasta el Tope' ('Bis zum Limit') im November 1989 inmitten des Bürgerkrieges. Derzeit wird das Land von einem ehemaligen Guerilla-Kommandanten, Salvador Sánchez Cerén von der linken Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), geführt. Die ehemalige Rebellenorganisation wurde nach den Friedensabkommen von 1992 in eine reguläre politische Partei umgewandelt. Sie ist seit 2009 an der Macht. Die Regierung führt die neue Welle der Bandengewalt zum Teil auf die Überstellung von 14 Anführern im Februar in das HochsicherheitsgeSeite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick fängnis in der Stadt Zacatecoluca, 41 sie uns über den Weg laufen, werKilometer östlich der Hauptstadt San den wir sie töten", erklärte ein verSalvador, zurück. mummter Polizeioffizier gegenüber einem Fernsehsender. Im Netz zirVon der Überstellung betroffen wa- kulieren zudem Amateuraufnahmen ren auch Bandenchefs der berüchtig- von Polizisten und Bürgern, die die ten Gangs 'MS13' und 'Barrio 18', die Menschen auffordern, die 'mararerim März 2012 einen Waffenstillstand os' auf ähnliche Weise zu töten, wie geschlossen hatten und damit einen die linken Dissidenten von den Todrastischen Rückgang der tödlichen desschwadronen während des BürGewaltverbrechen bewirkten. gerkrieges umgebracht wurden. Raúl Mijango, der am Zustandekommen der Feuerpause mitgewirkt hatte, erklärte gegenüber IPS, dass die Entscheidung, die Bandenchefs zu isolieren, zum Teil dafür verantwortlich sei, dass jüngere und fanatischere Gangmitglieder Gewalt zu einer Art Lebensstil erhoben hätten. "Diesen jungen Männern geht es bestimmt nicht darum, den Konflikt zu beenden", versicherte er. Roberto Valent, lokaler Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) führt die Zunahme der Bandenübergriffe zum Teil auf die staatlichen Versuche zurück, die von den Maras dominierten städtischen Gebiete mit Hilfe einer stärkeren Polizeipräsenz zurückzugewinnen. Valent ist technischer Koordinator des Nationalen Rats für bürgerliche Sicherheit und Koexistenz. Die Einrichtung, die der salvadorianische Staatspräsident im September 2014 etabliert hatte, wurde mit dem Mandat ausgestattet, Vorschläge zur Bekämpfung der Kriminalität unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Sektoren ausarbeiten. Finanziert wird die Arbeit von internationalen Gebern. Im März verbuchte das Land die bisher höchste Mordrate der letzten zehn Jahre. Nach Polizeiangaben kam es zu 481 tödlichen Gewaltverbrechen - durchschnittlich 16 pro Tag. Das war ein Anstieg von 56,2 Prozent gegenüber dem März 2014. Sollte sich der Trend fortsetzen, werden bis Ende des Jahres mehr als 5.000 Morde begangen worden sein. Das entspräche einer Mordrate von 86 pro 100.000 Einwohnern. Der Waffenstillstand war im Mai Schon im letzten Jahr war sie mit 63 Kritik an Politik der harten Hand 2013 beendet worden, als sich der pro 100.000 extrem hoch gewesen. damalige Staatspräsident Mauricio Im Januar unterbreitete der Rat 124 Funes (2009-2014) von der FMLN El Salvador gehört zu den gewalttä- Vorschläge, die die Regierung umaufgrund eines Verfahrensfehlers ge- tigsten Ländern der Welt, warnt das setzen will, um die Welle der Verzwungen sah, seinen Justiz- und Si- UN-Büro für Drogen- und Verbre- brechen und Gewalt zu brechen. cherheitsminister David Munguía zu chensbekämpfung (UNODC). Die Ein Teil der zwei Milliarden Dolentlassen, der bei den Waffenstill- durchschnittliche Mordrate für La- lar, die für die Umsetzung des standsverhandlungen eine wichtige teinamerika beträgt 29 pro 100.000 Fünf-Jahres-Planes erforderlich Rolle gespielt hatte. Einwohner, während der globale sind, ist bereits verfügbar. VorgeseDurchschnittswert bei 6,2 liegt. hen sind Bildungs-, GesundheitsBis zum 20. April hatten die Maras, und Freizeitprogramme und wie die Gangs in den zentralameri- Die treibenden Kräfte hinter dem 250.000 Arbeitsplätze für junge kanischen Ländern genannt werden, Ruf nach Verhängung des Ausnah- Leute, die besonders gewaltanfälaußer zahlreicher Zivilisten 20 Poli- mezustands sind Abgeordnete der lig sind. zisten, sechs Militärs, einen Staats- Großen Allianz der Nationalen Einanwalt und sechs Gefängniswärter heit, die elf der 84 Parlamentssitze Doch die Praxis zeigt, dass die Reermordet. Das Ausmaß der Gewalt in dem Einkammerparlament El gierung vor allem auf eine Politik war nicht zuletzt eine Folge von Ein- Salvadors halten. der harten Hand setzt, um die Gesätzen der Sicherheitskräfte, bei dewalt in dem zentralamerikanischen nen Dutzende Gangmitglieder ums "Die Eskalation der Gewalt hätte Land einzudämmen. So kündete der Leben kamen. Am 18. April tötete ei- durch Gespräche, an denen die Staatspräsident eine Strukturierung ne Militärschwadron in Uluapa Arri- Gangs beteiligt worden wären, ver- und Stärkung der Polizei und die ba in der Stadt Zacatecoluca neun hindert werden können", meinte Gründung weiterer Eliteeinheiten Bandenmitglieder. Arévalo. Doch die Idee war nach ei- zur Bekämpfung der Gangs an. nem öffentlichen Aufschrei von fast allen politischen Fraktionen abge- Arévalo hält ein Weniger an PoliAufruf zum Mord lehnt worden. Im Januar machte die zeiaktionen und ein Mehr an PräRegierung von Sánchez Cerén jede vention und Wiedereingliederung Einige Polizisten haben öffentlich Möglichkeit eines Dialogs mit den für die bessere Option. "Wir haben erklärt, dass sie bereit seien, Gang- auf 60.000 Mitglieder geschätzten in ein Hornissennest gestochen. Die mitglieder umzubringen. "Sollten Gangs zunichte. Regierung hat einen Fehler beganSeite 6 www.schattenblick.de Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick gen. Es ist falsch, einen Plan zu verfolgen, bei dem es jeden Tag Tote gibt." (Ende/IPS/kb/2015) BÜRGER UND GESELLSCHAFT / MEINUNGEN Entwicklung: 'Peak Plutocracy' Die Grenze des Erträglichen ist erreicht Links: IPSInter Press Service Deutschland GmbH http://www.ipsnoticias.net/2015/04/ambiente-belicistaIPSTagesdienst vom 24. April 2015 en-el-salvador-por-ola-de-violenciacriminal ein Meinungsbeitrag von Soren Ambrose (*) http://www.ipsnews.net/2015/04/talk-of-deathNairobi, 24. April (IPS) Verzagte chen und öffentlichen Seilschaften squads-to-combat-new-wave-ofEltern, die nicht in der Lage sind, ih- vorzugehen und die technischen Mitgang-violence-in-el-salvador/ ren Kindern den Besuch einer nahen tel, über die die großen Konzerne und © IPS-Inter Press Service Deutsch- Privatschule zu ermöglichen. Fami- die reichsten Personen der Welt verlien, die keinen Zugang zu einer Ba- fügen, die immer stärkere Konzentraland GmbH sisgesundheitsversorgung haben, tion von Reichtum selbst in den weltweil das Bergbauunternehmen, das größten Staaten und die weltweite Quelle: IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015 ihren Fluss verseucht hat, die Steu- Anhäufung von Ressourcen, Macht ern einbehält, die der Staat so drin- und Verbindungen sorgen dafür, dass gend für die medizinische Behand- wichtige demokratische Entscheihttp://www.schattenblick.de/ lung seiner Bürger braucht. dungen unterlaufen werden und der infopool/politik/ausland/ Raum für ein Leben schwindet, dem pala1507.html Frauen, die Nacht für Nacht nur vier die materialistischen Werte der PlutoStunden schlafen, weil sie fast rund kratie nichts anhaben können. um die Uhr arbeiten müssen, um ihre Familien durchzubringen. Ge- Das zugrundeliegende Problem - die meinschaften, die von ihrem Land Gier nach Geld, Macht und Kontrolvertrieben werden, um ausländischen le - ist unethisch und ungeeignet, ein Unternehmen Platz zu machen. Ar- Umfeld zu schaffen, in dem sich Lebeiter, die so schlecht bezahlt wer- bewesen entwickeln können. Im beiden, dass sie unterernährt sind. nahe gesamten Verlauf der GeIPS-Inter Press Service schichte der Menschheit haben wir Deutschland GmbH Dies sind nur einige Fehlentwicklununausgeglichene politische und soKooperationspartner gen, wie sie mir Kollegen in den letzziale Systeme ertragen müssen. von Schattenblick ten Monaten geschildert haben. Wir erleben, wie Menschen an der Macht Die heutige Marktwirtschaft hat IPS-Inter Press Service Deutschder Plutokraten verzweifeln. jahrhundertealte Wurzeln, doch sind land GmbH berichtet seit 30 Jahren über die Belange der Mensie erst in diesem Jahrhundert so gischen in Afrika, Asien, LateinEine Plutokratie ist eine Gesellschaft gantisch geworden, dass sie prakamerika und Nahost. Schwerpunkt oder ein System, das von einer klei- tisch die ganze Welt durchsetzen. der Nachrichtenagentur sind Thenen, besonders reichen Minderheit men der menschenwürdigen und regiert und dominiert wird. Die Rei- Wir leben in einem Zeitalter des Hynachhaltigen Entwicklung, der chen waren immer schon mächtig, perkapitalismus: Wir haben die InVölkerverständigung sowie der und bis zu einem gewissen Grad hat dustrialisierung und Wertschöpinternationalen Zusammen-arbeit es in allen Gesellschaften Plutokra- fungsmaxime so weit getrieben, dass für eine 'faire Globalisierung'. tie gegeben. Financiers und die Finanzindustrie unsere Gesetze schreiben und zum IPS-Inter Press Service Doch das Ausmaß der Kontrolle, die politisch mächtigsten Industriezweig Deutschland GmbH Marienstr. 19/20, 10117 Berlin die Plutokraten heutzutage ausüben, der Geschichte geworden sind. Telefon: 030 / 54 81 45 31, der Anteil der Superreichen, die sich Fax: 030 / 54 82 26 25 politische Macht erkaufen, die fast Eine kurze Zeit relativer Gleichheit E-Mail: [email protected] unmögliche Hartnäckigkeit, die er- in den reicheren Ländern nach dem Internet: www.ipsnews.de forderlich ist, um gegen die rechtli- Zweiten Weltkrieg hatte Ende der Di, 28. April 2015 www.schattenblick.de Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick 1970er Jahre einer einflussreichen Ideologie des freien Wettbewerbs, des unendlichen Wachstums und uneingeschränkten Profits das Feld überlassen. Diese Ideologie haben sich Institutionen zu Eigen gemacht, die von Plutokraten finanziert werden. Die Weigerung, hier Grenzen zu setzen, eine Überbetonung der Bedeutung von Wettbewerb und Profit und die Kapitulation der Regierungen vor der Macht des Geldes hat die moderne Plutokratie zu einer vorherrschenden Realität gemacht, die es dringend umzukehren gilt. Ebenso zeigt sie sich in dem betrügerischen Einverständnis der Regierungen, Unternehmen zu erlauben, die Kontrolle über Land und Ressourcen an sich zu reißen, um zu Lasten der lokalen Bevölkerung Profite für privilegierte Außenseiter zu generieren. ven Systemen zur Kontrolle der Frau, ihres Körpers, ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte, ihrer Arbeit, ihrer Mobilität und ihrer politischen Stimme erkennen. Sie zeigt sich ferner in der Privatisierung der Schulen zu Lasten eines ordentlichen öffentlichen Bildungssystems, obwohl der Nutzen der Privatschulen nicht erkennbar ist; in der ungerechtfertigten Verachtung des öffentlichen Sektors und der ständig wiedergekauten Ansicht, dass es die Privatwirtschaft ist, die entwicklungsfördernd wirkt. Sie tritt in einem 'Race to the bottom'-Steuerwettbewerb zwischen verschiedenen Staaten zutage, durch den Unternehmen in den Genuss von Steuerbefreiungen kommen, die als Investitionsanreize beworben werden, obwohl der Nutzen nicht erkennbar oder unbedeutend ist [und Es ist zur Routine geworden, dass zu Lasten lokaler Umwelt-, Arbeits- Dann offenbart sie sich in der 'FetiKommentatoren davon sprechen, wie und Sozialstandards geht]. schisierung' der ausländischen Didie Menschen "zur Wirtschaft beitrarektinvestitionen in Ländern mit gen können". Die Wirtschaft dient Sie lässt sich an dem Versagen von niedrigen Einkommen, obwohl es nicht der menschlichen Gesellschaft, Staaten ablesen, für Gesetze zu sor- bisher keinem Land gelungen ist, die Menschen leben, um der Wirt- gen, die die lokalen Arbeitskräfte vor sich mit Hilfe ausländischen Kapitals schaft zu dienen. 'Freiheit' wird heu- Rechtsverstößen wie Menschenhan- zu entwickeln. Beobachten lässt sie te eher als Freiheit, unter vielen Kon- del, unzumutbaren Löhnen und ge- sich weiter in den zunehmend sumgütern auszuwählen, verstanden fährlichen Arbeitsbedingungen deckungsgleichen Interessen von und nicht als Möglichkeit, über das schützen, die etwa Frauen in prekä- Staaten, Konzernen und Eliten, die eigene Leben zu bestimmen. re, schlechtbezahlte und unmensch- Handlungsfreiheiten sozialer Beweliche Arbeitsverhältnisse zwingen. gungen und Gruppen, die im öffentVor einigen Jahren fand eine Debatlichen Interesse handeln, zu bete über das Konzept des 'Peak Oil' Auszumachen ist sie ferner am Ver- schneiden und den politischen Spielstatt - der Stunde null, in der wir an sagen, die systematischen Verstöße raum in allen Teilen der Welt einzudie Grenzen unser nutzbaren Erdöl- gegen die Frauenrechte in den unter- schränken. reserven stoßen. Wir dürften uns schiedlichsten Bereichen zu untermittlerweile einem weitaus gefährli- binden. Insbesondere sind da die Sie tritt in der zunehmenden Domicheren Punkt nähern: der 'Peak Plu- nicht entlohnten Dienste zu nennen, nanz reicher Konzerne und Personen tocracy', in der die Gesellschaft und die Frauen den Volkswirtschaften in den UN-Debatten und -Prozessen die Umwelt eine weitere Konzentra- leisten, indem sie für wenig oder gar zutage, in einer unverfroren vorgetion von Macht und Reichtum nicht kein Geld ihre Familien und Gesell- brachten ideologischen Rechtfertimehr ertragen können. schaften am Laufen halten. gung von Ungleichheit und einer drastischen Macht- und RessourcenEs ist beunruhigend, von Kollegen in Darüber hinaus tritt die Peak Pluto- konzentration in den Händen einaller Welt zu erfahren, wie sehr cracy als Druck auf Länder - und in flussreicher Persönlichkeiten und der mächtige Menschen die Macht der jüngster Zeit in geheimen Abspra- Institutionen, die sie finanzieren. anderen beschneiden. Diese Peak chen zwischen Regierungen und Un- Zudem werden die zunehmenden Plutocracy hat viele Gesichter. Sie ternehmen - in Erscheinung, die die Katastrophen und Krisen als Gelezeigt sich in den erfolgreichen Bemü- Handelsregeln und die Verbraucher- genheit gesehen, Profit zu machen, hungen von Unternehmen, bedeuten- rechte so verändern, dass ausländi- da es die Plutokraten sind, die die de Klimaaktivitäten zu verhindern sche Konzerne die Märkte dominie- betroffenen Gebiete nach ihrem Gutund einer hochgradig pestizidlasti- ren können. dünken wiederaufbauen. gen, stark technisierten und die Kleinbauern verdrängenden Land- Sie lässt sich an der Nötigung inklu- Die Peak Plutocracy drückt sich in wirtschaft das Ruder zu überlassen, sive der Anwendung von Gewalt der Weigerung von Regierungen aus, die ausgerechnet diejenigen, insbe- durch einflussreiche Eliten in Privat- der weltweiten Jugendarbeitslosigsondere Frauen, trifft, die den Groß- unternehmen, an fundamentalisti- keit mit staatlichen Beschäftigungsteil der Weltbevölkerung ernähren. schen Bewegungen und an repressi- programmen zu Leibe zu rücken und Seite 8 www.schattenblick.de Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick dem hinlänglich bekannten NiederEUROPOOL / REDAKTION / PARTEIEN gang der Infrastrukturen entgegenzuwirken. Sie manifestiert sich in der Entscheidung von Regierungen, Steht Großbritannien eine Verfassungskrise bevor? Steuergelder für Kriege und für die Rettung von Banken auszugeben, Englische Tories ziehen gegen nicht aber für die Bekämpfung von die schottischen Nationalisten zu Felde Arbeitslosigkeit, Hunger und Krankheiten und für die Förderung erneuBis zu den Wahlen zum 650sitzigen ihnen die britischen Liberaldemoerbarer Energien. Unterhaus des Parlaments des Verei- kraten - bisher elf Sitze nördlich des Die Hyperkonzentration von Reich- nigten Königreichs sind es nur noch Hadrianwalls - werden wie einst die tum in den Händen von Wenigen hat zehn Tage. Zwei Dinge haben den verhaßten Tories zu Splitterparteien sowohl in den reichen als auch in den bisherigen Wahlkampf dominiert und in Schottland. armen Ländern die demokratischen werden die britischen Politiker auch Systeme korrumpiert. Wir müssen nach dem Urnengang am 7. Mai be- Mehrere Faktoren beflügeln den akdie Macht wieder demokratisieren. schäftigen: erstens, die bereits jetzt tuellen Siegeszug der schottischen Doch ist es nicht mit einer Verbesse- absehbare Tatsache, daß keine der Nationalisten. Nach der für die SNP rung der Wahlbeobachtung getan. beiden großen Parteien, weder die re- im vergangenem September verloVielmehr muss Macht horizontal gierenden Konservativen um Pre- rengegangenen Volksbefragung über umgestaltet werden, sie muss mehr mierminister David Cameron noch die Unabhängigkeit, hat die KoalitiMenschen erreichen, und zwar die- die oppositionelle, sozialdemokrati- onsregierung von Konservativen und jenigen, die von den politischen Ent- sche Labour Party um Ed Milliband, Liberaldemokraten in London das eine absolute Mehrheit erringen wird, Versprechen, Schottland bei einem scheidungen berührt werden. und zweitens der gewaltige Drang Verbleib in der Union mit England, Es gibt keine einheitlichen Rezepte, Schottlands nach Unabhängigkeit. Wales und Nordirland noch weiterum diese Ziele zu erreichen. Die Ersterer Umstand dürfte sich durch gehende Autonomie einzuräumen, Veränderungen müssen sich immer einen der üblichen parteipolitischen nicht eingelöst. Viele unentschlosseaufs Neue, Tag für Tag, überall und Deals bewältigen lassen, der zweite ne Schotten, die sich erst in letzter flächendeckend vollziehen, damit jedoch birgt die Gefahr einer regel- Minute gegen die Unabhängigkeit entschieden hatten, fühlen sich bewir nicht von den Reichen und rechten Verfassungskrise in sich. trogen und wenden sich nun der SNP Mächtigen überwuchert werden. Wir müssen das verlorene Terrain zu- Laut allen demoskopischen Progno- zu. Des weiteren präsentieren sich rückerobern und es dann Stück für sen, die sich seit Wochen kaum ver- die schottischen Nationalisten, angeändert haben, wird sich die Zahl der führt von ihrer jungen und dynamiStück ausweiten. konservativen Abgeordneten im neu- schen Parteichefin Nicola Sturgeon, (Ende/IPS/kb/2015) en Parlament von derzeit 306 auf als die einzigen Kämpfer gegen Au(*) Soren Ambrose ist politischer rund 280 reduzieren. Dennoch wer- steritätspolitik und soziale KürzunLeiter bei ActionAid International. den die Tories damit immer noch vor gen und haben dadurch die SozialdeLabour, welche die Zahl ihrer Sitze mokraten in Schottland links übervon derzeit 258 aufrund 270 steigern holen und weit hinter sich zurücklasdürfte, die größte Fraktion stellen. sen können. Link: Drittstärkste Kraft wird aller Voraushttp://www.ipsnews.net/2015/04/opinion-has-the- sicht nach die Scottish National Par- Das Angebot der SNP, nach der Wahl ty (SNP) sein, die seit 2011 allein im als Mehrheitsbeschafferin einer world-reached-peak-plutocracy/ Regionalparlament in Edinburgh re- Minderheitsregierung Labour zur © IPS-Inter Press Service Deutsch- giert. Man geht davon aus, daß die Macht zu verhelfen, hat die KonserSNP rund 50 der insgesamt 55 schot- vativen in Rage versetzt. Doch die land GmbH tischen Sitze im Londoner Unterhaus Bemühungen der Tories, die SNP erobern wird. Größter Verlierer der quasi zur Partei der Staatsverräter Quelle: IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015 erdrutschartigen Veränderung der abzustempeln, feuert den Nationalispolitischen Landschaft wird die La- mus der Schotten nur noch mehr an. bour Party sein, die von ihren bisher Aus Angst, englische Wechselwähhttp://www.schattenblick.de/ 40 schottischen Sitzen nur eine ler an die Conservatives zu verlieren, infopool/buerger/meinung/ Handvoll wird retten können. Die hat Milliband das Angebot Sturgeons bmsp0098.html britischen Sozialdemokraten und mit zur bedingten Zusammenarbeit ausDi, 28. April 2015 www.schattenblick.de Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick geschlagen. Mit dieser Position hat der Labour-Chef den eigenen linken Flügel enttäuscht, dessen Anhänger es gut fänden, wenn man sich aufdas Angebot der SNP einließe und deren Forderung, die britische TridentAtom-U-Boot-Flotte zu verschrotten und den Betrieb in deren Heimathafen im schottischen Faslane einzustellen, erfüllte. Der absolute Wille der Tories zum Machterhalt hat sie dazu verleitet, Pandoras Büchse des englischen Nationalismus aufzumachen. Um der EU-kritischen, fremdenfeindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP) um den "Little Englander" Nigel Farage den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Cameron für 2016 eine Volksbefragung über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU angekündigt. Darüber hinaus hat der Tory-Chef eine grundlegende Veränderung des parlamentarischen Geschäfts in Westminster in Aussicht gestellt, wonach künftig nur englische Abgeordnete über Angelegenheiten, die nur England betreffen, abstimmen dürfen. Die britischen Konservativen können sich einen solchen Vorschlag nur leisten, weil sie in Schottland praktisch keine Anhängerschaft mehr haben. Bei der letzten Wahl 2010 gewannen sie dort nur einen einzigen Sitz. Den derzeitigen Prognosen und Berechnungen zufolge könnte eine Koalition aus Konservativen, Liberaldemokraten, deren Abgeordnetenzahl von derzeit 57 auf etwa 30 zusammenschrumpfen wird, und der Democratic Unionist Party (DUP), die ihre acht Sitze in Nordirland verteidigen dürfte, Cameron eine zweite Amtszeit als Premierminister bescheren. Doch zwischen den potentiellen Koalitionspartnern gibt es derzeit Krach. Nigel Dodds, DUPFraktionsführer in Westminster, hat Camerons Tories bezichtigt, mit ihrer hysterischen Kampagne gegen die SNP "nationalistische Paranoia" der englischen Art entfacht und durch den Vorschlag, das Stimmrecht Seite 10 der schottischen Abgeordneten einSCHACH - SPHINX zuschränken, die Union zwischen den Einzelteilen des Königreichs geRenaissance oder Fraktur? schädigt zu haben. Durch einen Mini-Skandal der unappetitlicheren Sorte hat sich die DUP in den Augen der LibDems um Nick Clegg desavouiert. Am 27. April sah sich Jim Wells von der DUP gezwungen, von seinem Posten als Gesundheitsminister in der nordirischen Provinzregierung zurückzutreten. Vier Tage zuvor war er bei einer Wahlkampfdiskussion im nordirischen Fernsehen durch homophobe Bemerkungen, wofür er sich später entschuldigte, recht negativ aufgefallen. Nur zwei Tage später, am 25. April, geriet er, als er in der Kleinstadt Downpatrick Wahlkampf für die DUP machte, mit einem lesbischen Paar in einen heftigen Meinungstreit über das Für und Wider der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die beiden Frauen, die eine erwachsene Tochter haben, erstatteten anschließend bei der Polizei Anzeige wegen schwer beleidigender Äußerungen des Volksvertreters. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Libdems, Clegg, hat die Affäre um Wells gezeigt, daß die einst von Ian Paisley gegründete DUP nach wie vor ein Sammelbecken reaktionärer, protestantisch-fundamentalistischer Hinterwäldler ist. Inwieweit DUPChef Peter Robinsons öffentlich geäußertes Verständnis für die ungeschickten Gebärden des Parteikollegen Wells die zu erwartenden Koalitionsverhandlungen in London erschwert, muß sich noch zeigen. Doch selbst wenn sich Cameron, Clegg und Robinson zu einem Modus vivendi zusammenraufen sollten, wird die im Wahlkampf deutlich sichtbar gewordene, zunehmende Entfremdung zwischen England und Schottland die Innenpolitik Großbritanniens maßgeblich bestimmen. http://www.schattenblick.de/ infopool/europool/redakt/ prtn296.html www.schattenblick.de R.G. Collingwood ist mit Sicherheit kein Kulturpessimist im engeren Sinne, geschweige denn blind für die Fakten, und partout will er nicht glauben, was sich Schönredner und Historiker mit Scheuklappen gern alles zusammenreimen über den Unwert des Mittelalters. Ein Wasserklosett macht schließlich noch keinen Evolutionssprung aus. Aber hören wir ihn selbst: "Im ersten Licht jenes Tagesanbruchs, als Kunst, Religion und Philosophie, gekräftigt durch ihre lange mittelalterliche Tradition intimer gegenseitiger Beziehungen, sich verselbständigten und plötzlich Wunder zu wirken begannen, möchte man es den Menschen nachsehen, daß sie glaubten, das Geheimnis ihres Erfolges läge in ihrer Verselbständigung. Aber das Gegenteil wurde bald offenbar. Jeder einzelne Wissenszweig neigte mehr und mehr dazu, seine Anhänger in eine Art Wüste zu führen, wo die Welt menschlichen Lebens aufhörte und jedes Motiv zum Vorwärtsschreiten verlorenging. Jeder einzelne Zweig tendierte dahin, zu einer spezialisierten Beschäftigung zu werden, der Spezialisten um des Beifalls anderer Spezialisten willen nachgingen, die aber für die übrige Menschheit nutzlos und sogar für den Spezialisten unbefriedigend war, wenn er sich selbst fragte, warum er ihr nachginge. Dies ist der Punkt, an dem wir heute angelangt sind." Im Schachspiel wird das Spezialistentum nicht minder hochgehalten als Schild gegen die Dümmlichkeit der sogenannten Schachraubritter von früher. Wieviel ist dran an diesem Vergleich und Waffengang? Die Verstorbenen können sich natürlich nicht mehr mit Wort und Tat wehren, und die Demontage selbst großer Schachlichter wie Paul Morphy kommt immer mehr in Mode. Schachtalent besaß er wohl, sagen die Historiennörgler, aber seine Umwelt spielte auch schwach und war kaum geübt in moderner Schach(SB) Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick strategie! Wie bewertet Collingwood diesen Streitpunkt, gemessen an allgemeineren Maßstäben: "Im Mittelalter war der Künstler vielleicht kein großer Künstler, der Philosoph war nach unseren Maßstäben nur mäßig philosophisch und der Fromme war nicht übertrieben fromm, aber sie alle waren Menschen, mit ungeteiltem Herzen und sicherer Lebensauffassung. Heutzutage können wir uns so künstlerisch, so philosophisch, so religiös gebärden, wie wir wollen, aber wir verstehen einfach nicht mehr, Mensch zu sein. Wir sind menschliche Bruchstücke und Wracks und wissen nicht, wie wir das Leben in den Griff bekommen und wie wir es anfangen sollen, das Glück zu finden, das wir nach eigenem Wissen nicht besitzen." Glücklich, wer mit den schwarzen Steinen eine solche Angriffsstellung im heutigen Rätsel der Sphinx aufbauen konnte. Der englische Großmeister Miles fühlte sich daher in der Tat wie ein Renaissancemensch, und er hatte Grund dazu. Ob sein rumänischer Kontrahent Lupu die Schottische Partie nun mittelalterlich behandelt hatte oder nicht, nach dem zu erwartenden schwarzen Zug 1...Sb4xd5 hoffte er, sich mit der Rochade aus dem Schlimmsten retten zu können. Ob ihm dies gelang, Wanderer? Lupu Miles Amsterdam 1994 Auflösung letztes SphinxRätsel: Auch ohne Computerbeistand fand Meister Polajzer den siegreichen Zug 1...Tb5xb2! Wegen akuter Grundreihenschwäche gab Meister Mihalcisin umgehend auf, denn 2.Td2xb2 scheiterte an der Mattverstopfung 2...Td4- d1+ und 2.Kh1-g1 verlor prompt wegen 2...Tb2xd2. http://www.schattenblick.de/ infopool/schach/schach/ sph05457.html Di, 28. April 2015 KUNST / REPORT / INTERVIEW Aus dem Dunkel der Geschichte Tabubruch, Vision und Beispiel ... Franziska Schnoor im Gespräch Ausgrenzung und Diskriminierung sichtbar machen Interview am 18. März 2015 in Hamburg Die Dramaturgin Franziska Schnoor gehört dem Zentralrat der Asozialen in Deutschland (ZAID) an. Nach der feierlichen Inauguration des ZAID auf Kampnagel in Hamburg berichtete sie dem Schattenblick über ihre Beweggründe, auf künstlerische Weise Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben. (SB) daher habe ich mich viel mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. An dieses Projekt bin ich aber tatsächlich erst durch Tucké Royale gekommen, der mir das Konzept zugeschickt hatte. Freilich muß ich gestehen, daß ich mich vorher nicht wirklich mit der Verfolgung von sogenannten Asozialen auseinandergesetzt hatte. In der Schule oder verwandten Kontexten ist das nie thematisiert worden, was ich im nachhinein ziemlich skandalös finde. Ich kann mich jedoch mit dem Thema identifizieren oder fühle mich aus verschiedenen Gründen zugehörig, zum einen, weil ich mit dem Prekariat und den Problemen, die Geld und Besitz oder vielmehr Nichtbesitz in unserer Gesellschaft mit sich bringen, sehr vertraut bin. In unserem Team hat jeder irgendeine Biographie in Form von Arbeitslosigkeit und großen Geldnöten. Ich will das gar nicht so leidend thematisieren, aber man fragt sich schon, in was für eiFranziska Schnoor ner Gesellschaft man eigentlich lebt, Foto: © 2015 by Schattenblick wenn einen systematisch das Gefühl Schattenblick (SB): Frau Schnoor, beschleicht, verschweigen zu müswie sind Sie als jüngerer Mensch, sen, wo man selber gestrauchelt ist. den keine biographischen Wurzeln mit dem Thema sogenannter Asozia- Es gibt aber auch eine persönliche lität im NS-Staat verbinden, zu dem Verbindung zu dem Thema. Wir sind ein queeres Team. Auch wenn lesbiProjekt gekommen? sche Frauen nicht unter dem rosa Franziska Schnoor (FS): Ich persön- Winkel per se verfolgt wurden, stanlich habe es immer so wahrgenom- den sie in Einzelfällen unter dem men, daß ich per Geburt eine Verbin- schwarzen Winkel, was ihr Leben, dung zu dieser Geschichte habe, ein- um es einmal vorsichtig zu sagen, fach dadurch, daß ich in Deutschland systematisch erschwert hat. Wenn lebe und meine Großeltern im Drit- man selber in einem solchen Lebensten Reich aufgewachsen sind. Von entwurf steckt, hat man durchaus www.schattenblick.de Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick einen persönlichen Bezug zu dem nicht nur mit meiner Arbeit zu tun. Thema. Das Problem ist vielmehr, daß Arbeit gesamtgesellschaftlich verlangt wird SB: Sie begreifen sich als Gruppe und daß ich, wenn ich zum Jobcenvon Menschen mit einem gemeinsa- ter gehe, bereit sein muß, mich für men Projekt, das für Sie wie auch für eine Zeitarbeitsfirma zur Verfügung die anderen Gruppenmitglieder zu stellen. So kann es geschehen, daß wahrscheinlich mehr als nur ein vor- ich ab morgen kellnern gehen muß. übergehender Job ist, zumal es mit Das hat nichts mit einer Hierarchigroßer Ernsthaftigkeit von Ihnen be- sierung zu tun. Ich habe absolut kein trieben wird. Verbinden Sie mit dem Problem mit dem Kellnern, ich arProjekt auch ein politisches Anlie- beite selbst in einer Bar. Es geht dargen? um, daß diese Gesellschaft in ihrer neoliberalen Gestaltung eine komFS: Die ganze Situation ist für mich plette Entidentifizierung von einem äußerst ambivalent, weil ich mich ei- fordert, aber es gleichzeitig üblich nerseits mit Nicht-Arbeit solidarisie- ist, jemanden, den man gerade kenre und andererseits damit beschäfti- nengelernt hat, nach seinem Beruf zu ge, wie Leute behandelt werden, die fragen. Und sofort macht man sich nicht arbeiten können oder wollen. ein Bild über diesen Menschen, was Natürlich definiere ich mich irgend- ich schrecklich finde. Natürlich kann wie auch über meine Arbeit, ich ar- man in diesem Zusammenhang auch beite gerne und finde meine Arbeit darüber sprechen, inwieweit künstlegut und freue mich, im Moment rische Berufe neoliberale Strukturen überhaupt eine zu haben. Bei einer befördern oder in sich tragen oder ob künstlerischen Arbeit kann man die neoliberale Arbeitsform vielnicht einfach sagen, das ist ein Job, leicht künstlerische Selbstausbeuder am Sonntag vorbei ist. Natürlich tung für sich instrumentalisiert. bekomme ich keinen Mindestlohn, zumindest habe ich den Stundenlohn SB: Wenn Sie sich mit dem Projekt niemals ausgerechnet. Ich arbeite an nicht nur auf die NS-Zeit und daraus diesem Projekt, weil es ein Herzen- resultierende Entschädigungsfordesprojekt ist, von dem man aber auf rungen beziehen, sondern den histoDauer sicherlich nicht leben kann. rischen Brückenschlag zwischen gestern und heute mit künstlerischen SB: Sie arbeiten als Künstlerin und Ausdrucksmitteln anstreben, beweDramaturgin an einem Projekt, das gen Sie sich in einem größeren polizumindest hier auf Kampnagel kul- tischen Kontext, der bereits von Arturgefördert ist. Der Begriff "Krea- beitsloseninitiativen, Hartz-IVtivwirtschaft" ist für jeden Künstler, Gruppen oder linken Organisationen der mit seiner Arbeit mehr erreichen beackert wird. Welche konkrete Abwill, als nur Geld zu verdienen, ein sicht verfolgen Sie mit dem Projekt? Reizwort, weil er im Grunde die Abhängigkeit seiner Tätigkeit von öko- FS: In dem künstlerischen Projekt nomischen Zwecken zum Ausdruck bzw. Pre-Enactment sehen wir die bringt. Der Stachel des Widerspruchs Chance, neue gesellschaftliche Kontritt immer dann zutage, wenn sich texte herzustellen. Daß es ab heute der Mensch über seine bezahlte Ar- einen Zentralrat gibt, bedeutet, daß beit definiert. Wie gehen Sie mit die- uns jeder ab heute seine Probleme sem Problem um? mitteilen kann. Ich glaube, daß Kunst in dem Moment die Kraft hat, FS: Das Problem ist nicht, daß ich die Gesellschaft zu verändern oder mich zum Teil über meine Arbeit de- zumindest über Reizwörter und in eifiniere, denn ich definiere mich na- nem gewissen Sinne auch Provokatürlich wie jeder andere Mensch auf tionen Sachen anzustoßen. Es geht sehr unterschiedliche Weise. Das hat zu keinem Zeitpunkt darum, irgend Seite 12 www.schattenblick.de etwas zu relativieren, zu banalisieren oder zu instrumentalisieren, sondern schon darum, mit den Mitteln der Kunst Menschen aufzurütteln. In den letzten Tagen haben mich viele Leute aufden Button mit dem schwarzen Winkel angesprochen. Ich habe ihnen dann erklärt, welche Bewandtnis es damit hat. Die häufigste Reaktion war: "Das wußte ich ja gar nicht, aber was habe ich jetzt damit zu tun?" Genau das ist für mich die Brücke in die Gegenwart. Wir haben alle mit Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, mit Refugees - man könnte die Reihe fast endlos ausdehnen - zu tun. Das sind gesellschaftliche Herausforderungen der Gegenwart und der nächsten Zukunft, die wir lösen müssen. Die Krisen betreffen Griechenland, Frankreich wahrscheinlich, und irgendwann sind wir dran. SB: Die Darstellung des Projekts fand in einem öffentlichen Rahmen statt und glich in gewisser Weise einer Inszenierung. Sie haben mit dem schwarzen Winkel ein sehr starkes Symbol genommen, was sich erstaunlicherweise bisher keine deutsche Arbeitslosen- und Erwerbsloseninitiative getraut hat, möglicherweise, weil sie den NS-Vergleich gescheut haben, der ihnen zur Last gelegt werden könnte. Wie bewerten Sie insgesamt den ästhetischen Umgang mit derart prekären gesellschaftlichen Themen, nicht nur bezogen auf die Vergangenheit, sondern auch auf die heutige Realität von Erwerbslosen, um Aufmerksamkeit zu erregen, vielleicht sogar etwas in Bewegung zu setzen? FS: Die Kunst hat den Vorteil, daß sie sich Sachen erlauben kann, die man sich im Feld ernsthafter Politik nicht erlauben könnte. Im besten Fall würde man uns unterschätzen, und dann könnten wir zeigen, wieviel dahintersteckt. Das Inszenatorische ist natürlich auch ein Spiel mit einer bestimmten Macht von Bildern, wie es ganz klassisch auch in der Politik gemacht wird. Zur Zeit dreht hier eine Regisseurin einen Film über dieses Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick Projekt. Sie inszeniert uns genauso, wie wir uns die ganze Zeit selber inszenieren, um gute Bilder zu bekommen. Es ist so, wie wenn Amtsträger ein Band durchschneiden oder sich Politiker bei einem Gipfeltreffen die Hand geben. Diese Bilder sind immer gestellt, damit sie veröffentlicht werden. Dennoch glaube ich wirklich an die Macht von Bildern. SB: Der Begriff der Subversion wird manchmal auch in der Kunst verwendet, um etwas unterschwellig anzustoßen, was auf der plakativen Ebene möglicherweise verkannt würde. Hat das Projekt in diesem Sinne auch einen subversiven Ansatz? FS: Ja, auf eine gewisse Art schon, aber nicht nur subversiv, sondern auch ein bißchen auf die Zwölf. Es geht auch darum, einen gewissen Knall zu inszenieren. SB: Dazu bedienen Sie sich auch der Medien. Wäre es für Sie eine akzeptable Option, wenn sich die Tagesschau bei Ihnen melden würde? FS: Ja. In dem Moment geht es erst einmal darum, Inhalte, die man wichtig findet, zu verbreiten und nach außen zu tragen, so daß sie möglichst viele Leute mitbekommen. Um das zu erreichen, muß man auch eine gewisse Öffentlichkeitswirksamkeit an den Tag legen. Aber es gibt Grenzen für mich, so würde ich niemals mit der Bildzeitung reden. Tucké Royale, Franziska Schnoor und Daniel Cremer Foto: © 2015 by Schattenblick Anmerkung: Vom 30. April bis zum 2. Mai ist der ZAiD im Gorki Studio und an anderen Orten in Berlin aktiv: sen auseinandersetzen. Ich würde http://zentralrat-der-asozialen.de/ aber nicht von einer Repolitisierung sprechen, weil ich nie anders gelebt Beiträge zum Zentralrat der Asozia habe oder je ein anderes Selbstver- len in Deutschland im Schattenblick ständnis hatte. Das gilt auch für unter www.schattenblick.de → meinen Freundeskreis. Wenn wir INFOPOOL → KUNST → REPORT: Demokratie ernst nehmen, dann BERICHT/044: Aus dem Dunkel der möchte ich daran glauben, daß ich Geschichte - und viele am Rande ... (SB) Anteil daran habe, diese Gesell- INTERVIEW/030: Aus dem Dunkel schaft mitzugestalten. Ein solcher der Geschichte - nach vorne voran ... Blick auf die Gesellschaft wäre mir Tucké Royale im Gespräch (SB) wichtig. INTERVIEW/031: Aus dem Dunkel der Geschichte - Werkzeug der SoliSB: Frau Schnoor, vielen Dank für darität ... das Gespräch. Daniel Cremer im Gespräch (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kuri0032.html UMWELT / REDAKTION / GENTECHNIK SB: Haben Sie den Eindruck, daß es in den Künsten und kunstschaffenEU-Kommission spielt Konzernen in die Hände den Berufen noch einmal zu einer Renaissance oder Repolitisierung für OptoutRegelung ein DanaerGeschenk Fragen der Arbeitsgesellschaft, des Prekariats und der herrschenden Ver- GVONovelle der EUKommission richtet sich nicht gegen die hältnisse kommen wird? USA, sondern gegen die europäische AntiGentechnikbewegung FS: Ja, mein Freundeskreis besteht (SB) Die EU-Kommission hat das schriften vorgelegt. Herausgekomaus linken queer-feministischen Zulassungsverfahren für genetisch men ist ein Danaer-Geschenk an die Menschen, die sich alle in irgendei- veränderte Organismen (GVO) in Mitgliedstaaten. Ihnen sollen mehr ner Form mit Ausgrenzung, Preka- Lebens- und Futtermitteln überprüft Möglichkeiten eingeräumt werden, risierung und Herrschaftsverhältnis- und eine Novelle der Rechtsvor- "die Verwendung von auf EU-Ebene Di, 28. April 2015 www.schattenblick.de Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick zugelassenen GVO in Lebens- und motivierte Handelsbarriere der EuFuttermitteln in ihrem Hoheitsge- ropäer empfundene Beschränkung biet zu beschränken oder zu unter- von GVO aufzuheben. sagen". [1] Nachdem also die EU-Kommission Der Vorschlag könnte jedoch dazu am 22. April ihren Legislativvorverleiten, daß demnächst GVO-Zu- schlag präsentiert hat, der anschlielassungsanträge nahezu wider- ßend an das Europäische Parlament spruchslos durchgewunken werden, und den Rat weitergeht, äußerte weil der einzelne Mitgliedstaat die sich zwei Tage darauf im Anschluß Möglichkeit des "Opt-outs" sowohl an die neunte Verhandlungsrunde bereits für den Anbau von GVO- des TTIP US-Chefunterhändler Pflanzen als auch - nach der jetzt vor- Dan Mullaney in New York dazu. gelegten Novelle - für GVO-Futter- Man sei von dem EU-Kommissiund -Lebensmittel hat. Opt-out be- onsvorschlag, demzufolge die eindeutet, daß ein Mitgliedstaat die Zu- zelnen Mitgliedstaaten die Einfuhr lassung von GVO auf seinem Terri- von Biotechprodukten verbieten torium untersagen kann - wenn er das können, "bitter enttäuscht". Es sei gut zu begründen weiß. schwer, den Vorschlag einerseits mit den bestehenden internationaIndem die EU-Kommission ausge- len Verpflichtungen der EU, anderechnet an dieser Stelle auf das rerseits mit ihrem Wunsch nach eiSubsidiaritätsprinzip zurückgreift nem einheitlichen Binnenmarkt in und keine EU-weit einheitliche Re- Übereinstimmung zu bringen. [2] gelung für die Zulassung von GVO festlegt, spielt sie der Gentech- Sicherlich hätten sich die USA ein Lobby in die Hände. Denn eigent- weitergehendes Entgegenkommen lich sind die EU-Bürgerinnen und seitens der EU gewünscht. Aber -Bürger mehrheitlich gegen GVO, Mullaney wäre niemals Washingwas theoretisch dazu hätte führen tons Chefunterhändler für TTIP gekönnen, daß sich alle anderen der worden, wenn er nicht das DanaerMehrheitsmeinung anschließen geschenk der EU-Kommission an müssen. Eine Überprüfung des Zu- die Gentechnikkritiker erkannt hätlassungsverfahrens hätte somit te. Indem er den Legislativvorauch zu einem generellen GVO- schlag undiplomatisch heftig kritiVerbot führen können. siert, gibt er den "bösen Bullen", gegenüber dem sich die EU-KomDamit war natürlich nicht zu rech- mission mit ihrem vermeintlich nen. Bekanntlich befürwortet die "guten" Vorschlag profilieren kann. EU-Kommission die grüne Gen- Dem widerspricht nicht, daß die technik und beruft sich dabei auf USA eine uneingeschränkte Freigadie Expertise der als wirtschafts- be von GVO anstreben. Doch wenn freundlich geltenden Europäischen Mullaneys Aussage dazu beiträgt, Lebensmittelsicherheitsbehörde von einigen "Sonderbarkeiten" der (EFSA - European Food Safety Au- Opt-out-Regelung abzulenken, hätthority), wohingegen im EU-Rat te sie ihre Funktion erfüllt. bislang keine Mehrheit für die GVO-Zulassung zusammenkam Denn die Möglichkeiten der EU(und auch nicht dagegen). Mit Mitgliedstaaten, die Verwendung Blick auf die Verhandlungen mit von GVO zu verbieten, werden draden USA über das Freihandelsab- stisch eingeschränkt. So heißt es in kommen TTIP (Transatlantic Trade der Pressemitteilung der EU-Komand Investment Partnership) wächst mission zum Opt-out: der Druck auf die Europäische Union, die von der US-Regierung so- "Die Mitgliedstaaten müssen dabei wieso als bloße wirtschaftspolitisch belegen, dass ihre Opt-out-MaßSeite 14 www.schattenblick.de nahmen mit dem EU-Recht, einschließlich der Grundsätze des Binnenmarkts, und mit den internationalen Verpflichtungen der EU (unter anderem den WTO-Regeln) vereinbar sind. Opt-outs müssen auf legitimen Gründen beruhen, die nicht mit denen identisch sein dürfen, die bereits auf EU-Ebene bewertet wurden, also Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt." [1] Wenn ein Mitgliedstaat die "Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt" anders bewertet als die EU-Administration, darf er damit nicht das Opt-out begründen. Das ist eine bemerkenswerte Regelung, wenn man bedenkt, daß im Laufe der letzten Jahre innerhalb des EU-Rats über die Bewertung der Gefährlichkeit von GVO Dissens bestand. Jetzt auf einmal wird der Knoten zugunsten der GVO-Befürworter gelöst. Die Fachminister im EU-Rat könnten in Zukunft aber um so eher geneigt sein, einen GVO-Zulassungsantrag abzunicken, wenn sie noch die Optout-Regelung in der Hinterhand wissen. Wenn diese dann aus rechtlichen Gründen nicht durchkommt, kann ein Ratsmitglied gegenüber der eigenen, gentechnik-kritischen Bevölkerung den Standpunkt vertreten, man habe alles versucht, aber es habe nicht geklappt, weil die Brüsseler Betonköpfe das Sagen haben ... Im Anschluß an Mullaneys Kritik auf der Pressekonferenz in New York versicherte EU-Verhandlungsführer Ignacio Garcia Bercero, daß alle Maßnahmen, die von einem EU-Mitgliedstaat ergriffen werden, auf einer "nicht-diskriminierenden" Grundlage beruhen müßten. "In keiner Weise" unterminiere der Vorschlag der EU-Kommission "unsere Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten". Wenn es zutrifft, was Bercero hier sagt, dann ist das ein weitgehendes Entgegenkommen, denn die USA betrachten Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick jedes Gentech-Verbot als "Diskriminierung". UMWELT / REPORT / INTERVIEW Fazit: Die EU-Kommission hört Trümmertief - der Griff daneben ... auf ihre erfahrungsgemäß wirtDr. Werner Zittel im Gespräch schaftsnahe EFSA und erteilt GVO grünes Licht; die gentechFracking versus Klimaziele nik-ablehnenden Mitgliedstaaten werden auf die Zuschauerbank ab- Vorstellung der neuen Studie "Fracking eine Zwischenbilanz" geschoben. Der zukünftige von Dr. Werner Zittel im Auftrag der Energy Watch Group Flickenteppich an GVO-Bestimam 19. März 2015 in Berlin mungen innerhalb der EU dürfte sich allein schon aufgrund der Dr. Werner Zittel dazu, warum ein Paradigmenwechsel enormen Schwierigkeiten, eine unseres energetischen Weltbildes unabdingbar ist. Trennung aufrechtzuerhalten, tendenziell in Richtung Zulassung der umstrittenen Technologie auf- Seit mehr als fünf Jahren warnt Dr. sen mit dem Thema Fracking in den Werner Zittel in Studien und Vorträ- USA und Deutschland auseinanderlösen. gen vor einem noch ungelösten Wi- gesetzt. Seine jüngste Studie Am Freitag hat die EU-Kommis- derspruch unserer Gesellschaft: Das "Fracking - eine Zwischenbilanz" sion zum Abschluß eines zehnjäh- für das Wirtschaftswachstum not- stellte die Energy Watch Group am rigen Genehmigungsprozesses 19 wendige "Weiter so wie bisher" führt 19. März 2015 in Berlin vor. [1] Im GVO-Produkte zugelassen. Elf geradewegs in den Klimakollaps, der Anschluß an die Pressekonferenz im davon stammen vom US-Konzern nur durch gewaltige Emissionsein- Hotel Albrechtshof ergab sich das Monsanto, zu den weiteren An- sparungen noch zu verhindern wäre. folgende Gespräch. tragstellen gehören DuPont, Bayer Dr. Zittel ist Vorstand der Ludwigund BASF. [3] Wenn das kein Bölkow Stiftung, studierte Physik an Dammbruch für GVO-Produkte der Ludwig-Maximilians-Universität in München und promovierte an ist ... der Technischen Universität Darmstadt. Er war Mitbegründer der Friedensinitiative "Garchinger NaturAnmerkungen: wissenschaftler" und von 1987 bis [1] http://europa.eu/rapid/press-re- 1989 in der Forschung am Institut für Thermodynamik der DFVLR (heute lease_IP-15-4777_de.htm DLR) in Stuttgart sowie dem Fraun[2] https://ustr.gov/about-us/policy- hofer Institut für Festkörpertechnooffices/press-office/speechestrans- logie tätig. Seit 1989 arbeitet er bei cripts/2015/april/opening-remarks- der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH (LBST) in Ottous-and-eu-chief brunn/Deutschland, einem Beratungsunternehmen für Energie und [3] http://www.seeddaily.com/reUmwelt, mit den Schwerpunkten: ports/US_says_new_EU_plan_Umweltaspekte der Energieversorfor_GMO_imports_is_no_solugung, energiewirtschaftliche Grundtion_999.html satzfragen und die Analyse von Dr. Werner Zittel Energieversorgungssystemen. Dar- Foto: © 2015 by Schattenblick http://www.schattenblick.de/ über hinaus sitzt er im Vorstand der infopool/umwelt/redakt/ Association for the Study ofPeak Oil Schattenblick (SB): Ottmar Edenhoumge302.html and Gas (ASPO) in Deutschland. fer, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPSeit mehreren Jahren widmet sich CC), faßte in einem Symposium zu der Ressourcenexperte der Energy Hartmut Graßls Geburtstag die zum Watch Group, insbesondere der Zu- Einhalten der 2-Grad Grenze notkunft fossiler Energieträger, und hat wendigsten Maßnahmen wie folgt sich in mehreren gründlichen Analy- zusammen: 80 Prozent der KohlereDi, 28. April 2015 www.schattenblick.de Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick serven, 40 Prozent an Gas und 40 Prozent Öl müssen im Boden bleiben, damit sie gar nicht erst zu Kohlenstoffdioxid verbrannt werden und den Treibhauseffekt weiter anheizen. Warum macht man sich dann eigentlich noch Gedanken darüber, wie sinnvoll es ist, den letzten Rest dieser fossilen Energieträger mit ungeheurem, ebenfalls energiekostenden Aufwand aus der Erde zu holen? hängigkeit, zum anderen verschiebt man den Zeitpunkt und verkürzt den Zeitraum zum eigentlichen Handeln. Und wenn die Menge an Klimagasen in der Atmosphäre in einer immer kürzer werdenden Frist reduziert werden muß, wird es wesentlich komplizierter. Das heißt, je länger man dieses Spiel treibt, umso schwerer wird es, und das kann sich dann als durchaus katastrophal erweisen. Dr. Werner Zittel (WZ): Das ist eine berechtigte Frage, denn wir haben schon jetzt viel zu viel Kohlenstoffdioxid in der Luft. Hartmut Graßl ist dafür die beste Referenz. Viel wichtiger ist mir, was ich bereits in meinem Vortrag vorhin andeutete: Wir haben uns mit unserer Politik dazu bekannt, daß wir bis zum Jahr 2050 von mindestens 80 bis 95 Prozent der Emissionen gegenüber 1990 reduzieren wollen, innerhalb von 35 Jahren. Das ist nicht viel Zeit. Deshalb sollten wir, wenn wir uns darüber klar sind, daß wir CO2 einsparen müssen, zu dieser Entscheidung stehen und vernünftigerweise neue Investitionen dafür verwenden und nicht - jetzt sag ich's mal bösartig einer sterbenden Industrie Geld in den Rachen schmeißen, damit sie ein paar Jahre länger lebt. Das ist kontraproduktiv und leider zeigen historische Beispiele, daß das Kliff, das wir zu bewältigen haben, immer steiler werden wird, wenn sich die Menschheit so benimmt. SB: Könnte man sagen, die Bundesregierung gefährdet ihre Klimaziele? SB: Erdölunternehmen aus Kanada und den Vereinigten Staaten haben WZ: Ja. Sie nimmt sie nicht ernst. sich bereits in verschiedenen Ländern von der Förderung der unkonSB: Wäre Wasserstoffaus Ihrer Sicht ventionellen Lagerstätten zurückgeeine Alternative? zogen, weil der Ölpreis drastisch abgesunken ist. Ist langfristig mit eiWZ: Ja und nein. Er ist kein alternati- nem erneuten Anstieg des Ölpreises ver Brennstoff, weil Wasserstoffkein zu rechnen? Primärenergieträger ist. Bei der Energiewende geht es darum, Primärener- WZ: Da fragen Sie mich nach Kafgie erneuerbar zu machen. Und Was- feesatzlesen, ich will es mal anders serstoff hat für sich allein keinen Wert, formulieren: Der Preis generell hat sondern nur im Kontext einer um- die Funktion, Angebot und Nachfrastrukturierten Energieversorgungsge- ge in Einklang zu bringen. Wenn alsellschaft, in welcher der Anteil der so die Nachfrage da ist, aber die BeVersorgung durch Erneuerbare sehr reitstellung und Förderung nicht hoch ist und in der wir es mit einer vorhanden sind, dann geht natürlich Umkehr unseres energiewirtschaftli- der Preis hoch. Wenn aber umgechen Weltbildes zu tun haben. In der kehrt, wie in den letzten Jahren bei Vergangenheit hatten wir als 'Base- Erdgas der Fall, die Förderung in load' [Grundlast] immer fossile Ener- Europa zurückgeht und gleichzeitig gieträger. Die haben wir irgendwo ge- auch der Verbrauch, dann entsteht lagert und wenn Energiebedarf da war, keine Notwendigkeit dafür, daß der schürte man das Kraftwerk an und Preis ansteigt. Es kann also auch produzierte auf diese Weise Strom mit sein, daß die Ölförderung geologisch relativ kleinen Fluktuationen. bedingt zurückgeht und trotzdem der Preis niedrig bleibt. Das macht den Im "Erneuerbaren"-Weltbild ist es Öl- und Gasfirmen auch große Angst genau umgekehrt. Da sind wir von und deshalb wehren sie sich so gedem Angebot an Sonne und Wind ab- gen wissenschaftliche Erkenntnisse hängig. Wenn etwas da ist, müssen über "Peak Oil" und den Rückgang wir das ernten, unabhängig von der der Ressourcen. Denn wenn ihnen potentiellen Nachfrage. Schlauer- die Kunden aufgrund dieser Inforweise sollte man die Nachfrage er- mationen schneller wegbleiben als stens an die neuen Gegebenheiten notwendig, wäre das natürlich aus anpassen, was durchaus möglich wä- ihrer Sicht der "GAU". re. Und zweitens sollte man eine den Bedarf übersteigende größere Ener- SB: Gäbe es denn Voraussetzungen, gieernte natürlich speichern, bis man unter denen sich Fracking dann sie braucht. Genau da hat Wasser- überhaupt noch lohnen könnte? stoff dann eine Funktion als Spei- Würde es eventuell wieder rentabel chermedium. werden? Die ursprüngliche Intention der Enquete-Kommissionen war, eine klare Strategie zu der Frage zu entwickeln: Wie können wir die Wende von den fossilen Energieträgern zu erneuerbarer Energiegewinnung schaffen? Wie könnte so ein Umbau aussehen? An solche Pläne müßte man sich dann allerdings halten und nicht jedes Jahr erneut sagen: 'Jetzt verschieben wir das alles noch ein bißchen. Erst muß es der Wirtschaft gut gehen, damit sie ausreichend Geld hat, um dann auch mal so etwas zu machen ...' Damit begibt man sich zum einen in eine noch größere AbSeite 16 www.schattenblick.de Das heißt, im Gesamtkontext der Umstrukturierung macht Wasserstoff sehr wohl Sinn und erlaubt insbesondere eine Kopplung mit dem Verkehrssektor. Das ist aus Sicht der Naturwissenschaftler natürlich sehr attraktiv, zumal die begrenzte Ressource Erdöl hier immer mehr zum Problem werden wird. Brennstoffzellen-Antriebe könnten in diesem Sektor in Zukunft eine größere Gesamteffizienz erzielen. Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick WZ: Wenn die Anleger hoffen, daß der Preis hoch genug steigt, ja. Das ist genau in den letzten Jahren in Amerika passiert. Durch die Spekulation der Anleger, die Geld in Fracking-Projekte investiert haben. Andere spekulieren mit Gold oder sogar mit "Google". Man gibt Geld und hofft, damit in zehn Jahren dicke Gewinne einzufahren. versuche, in welchen wissenschaftlichen Publikationen bereits etwas zum Thema nachgewiesen worden ist, ob die US Umweltbehörde EPA oder entsprechende Homepages davon berichtet haben, um bestimmte Zusammenhänge - ein Großteil meiner Studie befaßt sich mit den Umweltauswirkungen - nochmal zu verdeutlichen. giegeschäft vergleichen: Schweine sind regenerativ, die wachsen immer wieder nach, Gasfelder aber nicht. Die werden kleiner. Übertragen auf die Schweinezucht würde das bedeuten, daß man im nächsten Zyklus kleinere Schweine hätte, die mehr fressen, die somit mehr kosten, so daß sich der Erfolg der ersten Phase nicht wiederholen läßt. Sie stellt genaugenommen eine schwerpunktmäßige Zusammenfassung unter der Fragestellung dar: Was waren die bisherigen Erfolge der unkonventionellen Förderung WZ: Natürlich, aber massiv würde und welche Probleme waren damit ich diese noch nicht nennen. Die Erd- verbunden? ölbranche ist in Hinblick auf die Anzahl der Arbeitsplätze gar nicht mal Die Anzahl von drei Jahren war keiso groß und vom Anteil der Eigener- ne exakte Prognose. Sie basiert allerzeugung ebenfalls nicht. Aber sie hat dings nicht nur auf meinen eigenen eine lange Tradition und ist eng mit Analysen, sondern auch auf Berechden entsprechenden Kreisen verbun- nungen von J. David Hughes oder den. Das müssen sich die Erneuerba- Arthur E. Berman. [2] Das sind proren erst erkämpfen. Natürlich ma- minente amerikanische Kritiker der chen die teilweise mit schwächeren Branche, welche die einzelnen FelKräften bereits Lobbyarbeit und sind der mit großer Sachkenntnis danach durchaus schon stärker geworden. abgeklopft haben, wie weitläufig die Das sind keine Anfänger mehr. sogenannten "Sweet Spots", die besonders ertragreichen Gebiete innerDie wichtigsten Phasen mit den er- halb der Shale-Formationen, sind, sten Windenergieprojekten und der wie groß insgesamt die Bohrdichte Einspeisevergütung hat man etwa ist und wie viel man davon noch erum das Jahr 2000 hinter sich gelas- warten kann. Entsprechende Hochsen. Das heißt, man kann nur die rechnungen können somit ein bißnächsten Schritte des Umbaus verzö- chen daneben liegen oder durch Zugern, aber die Entwicklung nicht fall vielleicht auch stimmen. Aber sie mehr aufhalten. laufen alle mehr oder weniger auf drei Jahre hinaus. SB: 2013 haben Sie eine Studie herausgegeben, in der Sie dem Erdöl- Vielleicht war die Prognose 'bis 2017 boom in Amerika nur noch drei Jah- geht das gut' aus heutiger Sicht ein re gegeben haben. Unterscheidet sich bißchen vorsichtig, aber ich würde Ihre aktuelle Studie von den damali- noch immer dazu stehen. Der Zugen Berechnungen und wieso konn- sammenbruch der Energiepreise beten sich die US-Erdölexperten derart schleunigt den Verfall der Branche, verrechnen? weil neue Investitionen künftig fehlen werden. WZ: Nein, verrechnet hat man sich nicht (lacht). Die wissen schon, was Sicher werden hierzu manche wieder sie machen. Zu Ihrer Frage: Die heu- das Argument von den Schweinezytige Studie unterscheidet sich von klen [3] in die Diskussion einbrinder alten dadurch, daß ich hier keine gen, damit weiteres Geld investiert Szenarien entwerfe, sondern zu- wird. Doch läßt sich diese Wirtnächst möglichst genau zu belegen schaftstheorie nicht mit dem Ener- SB: Bei früheren Studien wurde immer kritisiert, daß bei der Debatte um die Zukunftsfähigkeit der erneuerbaren Energien der gern erwähnte kumulierte Energieaufwand für die Berechnung des Erntefaktors [4] nicht weit genug greift. SB: Gibt es nicht auch, abgesehen von den Erdölinteressen, eine ganz massive Lobby der regenerativen Energien? Di, 28. April 2015 www.schattenblick.de WZ: Der Erntefaktor ist nur ein Detailaspekt, aber ein wichtiger. Wenn Sie Energie mit Hilfe der Sonne erzeugen, ist der Erntefaktor in der Regel größer als eins, das heißt, es wird zweifellos mehr Energie gewonnen als reingesteckt. Das ist übrigens bei keinem fossilen Energieträger der Fall. Dort ist der Erntefaktor immer negativ, weil Sie immer mehr Energie investieren müssen, als Sie hinterher rausbekommen, da es sich um eine begrenzte Ressource handelt. Bei den Erneuerbaren wird die Effizienz deshalb wichtig, weil es natürlich auch um die spezifischen Kosten und um den Flächenertrag geht. Damit wird berechnet, wie viel Verlust an Landschaft in Kauf genommen werden muß, um den entsprechenden Ertrag zu erhalten. Insofern spielt der Erntefaktor hier für den Vergleich einzelner Technologien eine Rolle. Es macht allerdings wenig Sinn, Fossile mit Erneuerbaren auf dieser Basis zu vergleichen. SB: Was geht beim Fracking an aufgewendeter Energie in den Erntefaktor ein? Wo zieht man die Grenze? Sie erwähnten bereits die erforderliche Infrastruktur, die Baumaßnahmen für ein solches Vorhaben oder auch die Anzahl der Lastwagenfuhren, die das nötige Material heranschaffen für einen Fracking-Vorgang. Die Lastwagen müssen aber Seite 17 Elektronische Zeitung Schattenblick auch gebaut werden, die Rohstoffe wa 90 Tonnen Stahl und noch einmal dafür gewonnen werden - wo hört das Zwei-bis Dreifache an Zement man auf, den erforderlichen Energie- und Beton im Boden zurückgelassen. aufwand mit einzubeziehen? SB: Weiß man, wie sich das auf die WZ: In der Regel gehen Lastwagen Bodenumwelt auswirkt? Gibt es damit in die Rechnung ein. Nicht der für spezielle UmweltverträglichEnergiewert, der beim Produzieren keitsprüfungen? der Lkws entsteht, aber der Energiewert des ganzen Materials, das durch WZ: Nein, etwas in der Art gibt es sie herangeschafft wird wie Geräte, dazu nicht. Auch keine UntersuchunGestänge, Rohre und sonstige Ver- gen dazu, ob die alten Bohrungen brauchsmaterialien, wird mit einbe- überhaupt noch dicht sind. Letzteres rechnet. Auch der Energieverbrauch ist einer der Verdachtsmomente in der Lastwagen ist in der Regel noch den USA. Dort soll es über eine MilBestandteil dieser Kalkulation. Aber lion alte, vergessene Bohrungen geSie können die Grenze nie exakt zie- ben, deren genaue Standorte unbehen, weil - und das ist das Problem - kannt sind. An diesen Stellen könnSie es immer mit Koppelproduktio- ten durch eventuelle Undichtigkeiten nen und -nutzungen zu tun haben und Schadstoffe in den Boden austreten. deshalb mit der Frage, welcher An- Das ist ein äußerst kritischer Faktor, teil des Energieaufwandes diesem der bislang an keiner Stelle überprüft Produkt oder dieser Nutzung zuge- wurde. schlagen wird. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bergbau, wenn Kupfer Deep Water Horizon ist ein Mustermit Silber, Zinn oder Zink vergesell- beispiel dafür, daß oft auch schlamschaftet vorkommt, welchem Ele- pig gearbeitet wird. Da wurde gement lasten Sie den durch die Förde- pfuscht, weil man zu schnell bauen rung entstandenen Energieaufwand wollte und hatte es dann mit Luftblajetzt an? Üblicherweise wird es dem sen und dergleichen zu tun. Im Lauf ökonomischen Wert entsprechend der Zeit verschiebt sich das Erdreich, aufgeteilt. Eine weitere Möglichkeit der Zement altert, wird mürbe und wäre anteilig zum Ertrag: Wenn bei- zerbröselt möglicherweise. Das spielsweise eine Tonne Erz einige heißt, man hat keine Garantie dafür, Prozent an Kupfer ergibt, aber nur daß diese alten Bohrungen da drauwenige Promille Gold, dann würde ßen noch dicht sind. Man sollte beder aufgewendete Energiebetrag im reits bei der Planung über Jahrzehngleichen Verhältnis aufgeteilt.. Das te hinaus weiter denken, nicht bloß läßt sich nicht scharf trennen. Aus über die nächsten Jahre. gutem Grund strebt man in der Chemie solche Koppelproduktionen an, SB: Das heißt, um feststellen zu könum eine möglichst gute Gesamtener- nen, ob eine alte Bohrung undicht ist, gie- und Kostenbilanz zu erreichen. müßte man eine neue Bohrung ansetzen und dann Bodenproben nehmen, SB: Noch einmal zurück zum das Grundwasser analysieren oder Fracking, wo bleibt eigentlich die etwas in der Art? komplette Ausrüstung, wenn das Bohrloch aufgegeben wird? WZ: Ja oder noch mal die alte Bohrung aufmachen und dann mit einem WZ: Im Boden. sogenannten Cement-Bond-Log (CBL) die Qualität und Konsistenz SB: ... also auch die Rohre, die in den der Zementierung mit Ultraschall Boden gerammt wurden? überprüfen, der durch die ganze Hülle dringen kann. Das ist eigentlich WZ: In der Bakken-Formation in Pflicht bei jeder Bohrung, aber erst Norddakota werden pro Bohrung et- nach dem abgeschlossenen BohrvorSeite 18 www.schattenblick.de gang. Nach einer Hydraulischen Fraktionierung müßte man das allerdings unbedingt machen, denn dabei entsteht ein gewaltiger Druck ... SB: ... den das Material halten muß. Das heißt aber doch, nach dem Fracking läßt sich nur überprüfen, wie weit der Schaden reicht, der bereits angerichtet worden ist. Davor wird nicht geprüft, ob ein potentieller Schaden vorausgesehen werden kann? WZ: Genau so wird es gemacht. SB: Gibt es denn im Verlauf der Bohrung auch keine Verpflichtung zu einem breit angelegten "Monitoring", also einer den Prozeß begleitenden laufenden Kontrolle? WZ: Nein, nicht im notwendigen Umfang. SB: Oder gibt es vergleichende Beobachtungen von Erschließungsgebieten oder Fracking-Feldern, meinetwegen in den USA, wo man so etwas schon gemacht hat und Daten existieren, aus denen sich der Schaden im Vorfeld abschätzen ließe? WZ: Manchmal schon. Allerdings hat man bereits im Vorfeld mit einem besonderen Kunstgriff beim "Energy Policy Act" dafür gesorgt, daß sämtliche Erdgas- und Erdölunternehmen vom "Save Drinking Water Act" [Trinkwasserschutzgesetz] ausgenommen wurden. Damit wurde der Umweltbehörde jedwede Rechtfertigung genommen, ein Monitoring durchzuführen, für das sie ein bestimmtes Budget benötigt, das mit dem Haushaltsplan genehmigt werden muß. Erst als dann später entsprechende Proteste kamen und Henry Arnold Waxman, einer der Oppositionsführer und einer der Engagiertesten in dieser Sache, sehr viel Druck gemacht hat, wurde von der Umweltbehörde verlangt, etwas zu unternehmen. Die versprach dann 2010, eine Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick neue Studie zu erstellen, die 2013 veröffentlicht werden sollte. Grundlage sollten zahlreiche Proben und eine gründliche Beobachtung der verschiedenen Bohrsonden sein. Sie ist bis heute noch nicht erschienen. Solche Umweltuntersuchungen werden in den USA gewöhnlich von der Industrie stark torpediert. Es gibt dort eine ganz enge Verbindung zwischen Regierung und Erdöl-Industrie, aber einige Daten gibt es, das ist erstmal richtig. WZ: In den USA schwankt die Radioaktivität in den verschiedenen Lagerstätten stark. Ob sie im Barnett Shale hoch ist, kann ich nicht sagen, doch im Jahr 2006/2007 machte dort eine Firma von sich reden, weil sie allein vier Tonnen radioaktiven Müll entsorgen mußte. Diese Menge hatte sie angemeldet. Allerdings war es die einzige von 67 Firmen im Barnett Shale, die das getan hat. Da muß man sich doch fragen, haben die anderen wirklich keinen radioaktiven Müll gehabt? Oder was haben die mit dem ganzen Zeug eigentlich gemacht? Das Marcellus Feld im US-Bundesstaat New York ist sogar für eine extrem hohe Radioaktivität bekannt ... [5] In dem deutschen Gesetzentwurf ist ein solches Monitoring bereits enthalten. Fraglich ist derzeit noch, wie umfangreich es werden soll. Will man es bei jeder Bohrung oder nur beim Fracken von Shalegas durchführen? Da gibt es noch viel zu tun. SB: Das Verpressen von Lagerstättenwasser in Versenkbohrungen ist SB: Ein Thema in Ihrem Bericht sind zwar umstritten, aber derzeit noch die sogenannten NORM-Teilchen, immer erlaubt, das Verpressen von also die in tiefen Gesteinschichten Flowback und Fracking-Fluiden so natürlich vorkommenden radioakti- nicht. Wie kann man das eigentlich ven Elemente, die mit dem Lager- unterscheiden? stättenwasser und Flowback zusammen ausgespült werden. Weiß man WZ: Das kann man nicht. Beides von den deutschen Aufsuchungsge- vermischt sich natürlich, weil es zubieten her, inwiefern dort radioakti- sammen herauskommt. Man kann ve Substanzen vorkommen? Das versuchen, die schädlichen chemikann ja durchaus von Lagerstätte zu schen Substanzen abzutrennen und Lagerstätte verschieden sein. Wird das sollte eigentlich auch passieren. das in Deutschland überprüft? Dem Gesetz nach müßte man es zumindest überprüfen, aber ich denke, WZ: Generell hat man überall mit damit wären die Behörden überforRadioaktivität zu tun. In der Erde dert. kommen bestimmte Konstellationen von Uran im Gestein vor und Uran SB: Also besteht grundsätzlich die zersetzt sich, wobei seine radioakti- Gefahr, daß mit dem Lagerstättenven Zerfallsprodukte, Radon und wasser, das man versenkt, auch raRadium, entstehen. Wie stark sie im dioaktive Stoffe legal verpreßt werBoden vertreten sind, hängt von den den? geologischen Verhältnissen ab. Für Deutschland kann ich dazu keine WZ: Genau. Wesentlicher ist aber konkrete Aussage machen, die Ra- die sogenannte Konkurrenznutzung. dioaktivität ist hier vergleichsweise Das heißt, bei Versenkbohrungen gering. läßt sich der Boden nicht mehr anderweitig nutzen, da er zu viele SB: Radon kommt in Deutschland Schadstoffe [6] enthält. Darüber hinvor allem im Schwarzwald, im Baye- aus kann der Druck beim Verpressen rischen Wald, im Fichtelgebirge und oder Injizieren von LagerstättenwasErzgebirge natürlich vor. Dort gibt es ser seismische Aktivitäten auslösen, teilweise schon Aufsuchungsgebiete. je nachdem wie die Vorspannung in der Gegend ist. Letzteres ist eigentDi, 28. April 2015 www.schattenblick.de lich schon seit über 20 Jahren in der Branche bekannt und auch von den Regierungsbehörden akzeptiert. SB: Inwiefern akzeptiert? WZ: Im Staat Arkansas hat beispielsweise die seismische Aktivität, das heißt, die Erdbebenhäufigkeit über die letzten 20, 30 Jahre um etwa den Faktor 100 zugenommen und das korreliert schon ein bißchen mit der Aktivität der Bohrungen. Es wird aber nichts dagegen unternommen. SB: Wieso wird das Fracking von Tight Gas in dem neuen FrackingGesetzentwurf anders gewertet, als das Fracken von Schiefergas? Auch hier werden Flüssigkeiten in den Erdgrund gepreßt und auch hier lassen sich fast überall Risse an Häusern nachweisen, wenn solche Aktivitäten stattgefunden haben. Ebenso besteht ein Risiko von seismischen Veränderungen. Woher leitet man die Toleranz dafür ab? WZ: Im Prinzip ist es das gleiche, aber die Quantität ist eine andere. Die Menge an Fluiden, die dabei verpreßt werden müssen, ist um eine Größenordnung geringer und ebenso der Druck. Angesichts potentieller Schädigungen und möglicher Begleitstoffe ist es eigentlich genau das gleiche. Man hat nur lange Zeit gar nicht über Tight Gas gesprochen. Es wurde einfach gefrackt und hinterher sagt man dann, 'was regt ihr euch eigentlich auf, das haben wir doch schon immer gemacht.' SB: So kann man es auch sehen. WZ: De facto ist es so. Sie haben nie ein homogenes Feld über 100 Quadratkilometern, sondern sie haben ein konventionelles Feld. Das zeichnet sich durch hohe Fließfähigkeit aus. Wenn sie dort irgendwo eine Bohrung einbringen, dann strömt das Gas oder Öl dorthin, beziehungsweise es drückt dorthin. Darüber hinaus gibt es aber auch dichtere Bereiche. Da lagert das Gas oder Öl in den PoSeite 19 Elektronische Zeitung Schattenblick ren des Gesteins. Und um daran zu kommen, muß man am Anfang gar nicht viel nachhelfen. Aber je dichter das Gestein wird und je näher man diesem Bereich kommt, umso größer wird der Aufwand, die darin enthaltenen Energieträger freizusetzen. Schiefergas ist dann noch mal um Größenordnungen dichter, was für das Fracking eine ganz neue Dimension ergibt. chen Raum, die energiewirtschaftliche Umstrukturierung, mitzufinanzieren. Und vor kurzem wurden dort Kohlekraftwerke aus Klimaschutzgründen verboten. Das wären deutliche Signale der Regierung, wenn man die eigene Politik ernst nimmt. BERICHT/097: Trümmertief - Wirtschaftswetten, Fehlerketten ... (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0097.html Deshalb sollte die Politik hier ein eindeutiges Signal setzten. Sie hat Klimaschutzziele und die soll sie gefälligst verfolgen. WZ: Genau, die Politik sollte das große Ganze im Auge behalten und mit ihrem Geld nicht etwas aufrecht erhalten, das sich schon lange als schlecht erwiesen hat. Drilling Deeper, David Hughes, Post Carbon Institut, 27. Oktober 2014, siehe http://www.postcarbon.org/publications/drillingdeeper/ Frankreich hat damit kein Problem. Es hat zwar Schwierigkeiten gegeben, aber dort darf nicht mehr gefrackt werden. Es geht also. Als in den Siebzigern der Ölpreis hoch war und dann zusammenbrach, hat die Regierung in Dänemark beispielsweise einfach den Ölpreis gehalten, um die Diversifizierung im ländli- SB: Herr Zittel, haben Sie herzlichen [3] Schweinezyklus ist ein in der Dank für das ausführliche Gespräch. Wirtschaftswissenschaft verbreiteter Begriff, der ursprünglich aus der Agrarwissenschaft stammt und eine Anmerkungen: periodische Schwankung auf der Angebotsseite bezeichnet, wie sie [1] Einen weiteren Bericht sowie ein exemplarisch ursprünglich auf dem Interview zu dieser Veranstaltung Markt für Schweinefleisch von Arfinden Sie hier: thur Hanau in seiner Dissertation SB: Wenn ein weniger dichtes Gestein, Sandstein oder Tight Gestein, leichter zu fracken ist, dann heißt das doch auch, daß es leichter nachgibt und sich leichter durch den aufgewendeten Druck bewegen läßt. Müßte dann nicht der Schaden entsprechend sein? WZ: Das ist schon richtig, ja. Die Dichtigkeit ist nicht so hoch und der Aufwand entsprechend geringer. Aber wie gesagt, von der Sache ist es genau der gleiche Vorgang, nur mit anderen Mengen. SB: Was erhoffen Sie sich von Ihrer Studie? WZ: Die Risiken der Technologie sind bekannt. Man kann natürlich viel Aufwand treiben, um zu versuchen, sie möglichst klein zu halten. Das macht man bestenfalls bei der ersten Probebohrung. Wenn es dann aber kommerziell werden soll, wird in der Regel alles darangesetzt möglichst schnell, möglichst viel und möglichst billig zu produzieren. Seite 20 INTERVIEW/176: Trümmertief Widerstand auf gutem Grund ..., Andy Gheorghiu im Gespräch (SB) SB: Wie sollte denn eine ernst ge- http://www.schattenblick.de/infomeinte staatliche Intervention ausse- pool/umwelt/report/umri0176.html hen? Hierzulande herrscht doch eher eine neoliberale oder wirtschaftliche [2] Arthur E. Berman, Orientierung in der Politik vor ... http://www.resilience.org/author-detail/1150928-arthur-e-berman WZ: Für mich ist das schönste Beispiel eigentlich die Autoindustrie mit Die Studie verweist auf das Interihren Klimaschutzzielen. Wie hat sie view: Why Today's Shale Era Is The sich dagegen gewehrt, Autos zu pro- Retirement Party For Oil Production, duzieren, die nur noch 95 Gramm Adam Taggart, 7.2.2015, siehe Kohlenstoffdioxid pro Kilometer http://www.peakprosperiausstoßen. Doch selbst wenn sich das ty.com/podcast/91722/arthur-berdurchsetzt, hat man überhaupt nichts man-why-todays-shale-eraretiregewonnen, denn die Autoindustrie ment-party-oil-production will ihre Verkaufszahlen steigern. J.David Hughes Das heißt, die Politik müßte neben http://www.postcarbon.org/our-peoden Grenzwerten auch ein Mengen- ple/david-hughes/ ziel festlegen. Es dürften also nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen die Studie verweist auf zwei seiner auf den Markt, die gemäß dem heu- Bücher: tigen Fahrverhalten eine entspre- http://www.postcarchend geringe Menge CO2 emittie- bon.org/books_and_reports/ ren. Darauf wird sich die Industrie nie einlassen, weil das gegen ihr Drill, Baby, Drill: Can UnconventioGrundverständnis geht. Und das nal Fuels Usher in a New Era of müßte sich ändern, das Grundver- Energy Abundance? David Hughes, ständnis! Post Carbon Institut, 19. Februar 2013, siehe SB: ... von einem Erneuerbaren- http://www.postcarbon.org/publicaWeltbild? tions/drill-baby-drill/ www.schattenblick.de Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick über Schweinepreise 1927 dargestellt wurde: Bei hohen Marktpreisen kommt es zu verstärkten Investitionen, die sich wegen der Aufzuchtzeit erst mit einem Verzögerungseffekt ("Time Lag") auf das Angebot auswirken, dann aber zu einem Überangebot und Preisverfall führen. Infolgedessen kommt es zur Reduzierung der Produktion, die sich ebenfalls erst zeitverzögert auswirkt - und dann wiederum zu einem relativen Überschuß der Nachfrage (Angebotslücke) und dadurch steigenden Preisen führt. Ebenso könnten sich auch bei der Förderung von Rohstoffen wie etwa Erdöl Märkte nach dem Schweinezyklus verhalten. [4] Der Erntefaktor (englisch Energy Returned on Energy Invested, ERoEI, manchmal auch EROI) ist eine Kennziffer für die Effizienz eines Kraftwerks oder die Ausbeutung von Energiequellen. Der Erntefaktor beschreibt das Verhältnis der genutzten Energie zur investierten Energie. Unklar ist hier oft, welche Voraussetzungen in diesen "kumulierten Energieaufwand" einberechnet werden. [5] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-173.html [6] Je nach Förderstelle und Gesteinsbeschaffenheit können in diesem Lagerstättenwasser neben stark salzhaltigen Lösungen, Kohlenwasserstoffen wie Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol (kurz BTEX) auch andere Stoffe wie Quecksilber, Blei oder natürliche, schwach radioaktive Stoffe, sogenannte NORM-Teilchen, enthalten sein. http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0141.html http://www.schattenblick.de/ infopool/umwelt/report/ umri0178.html Di, 28. April 2015 UMWELT / INTERNATIONALES / PROTEST Brasilien: Widerstand gegen geplanten Mega-Hafenkomplex in Bahia IPSInter Press Service Deutschland GmbH IPSTagesdienst vom 27. April 2015 von Fabiola Ortiz Die Stadt Ilhéus im nordostbrasilia nischen Bundesstaat Bahia Bild: © 'Instituto Nossa Ilhéus' Rio de Janeiro, 27. April (IPS) Mit Protesten und Gerichtsverfahren ziehen Umweltschützer und Anrainer derzeit gegen den geplanten Bau eines fast 50 Quadratkilometer großen Hafenterminals im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia zu Felde. 'Porto Sul' soll zu Kosten von 2,2 Milliarden US-Dollar in Aratiguá am Stadtrand von Ilhéus gebaut werden. In der Nähe verläuft die so genannte Kakaoküste mit ihren langen Traumstränden. Die Bewohner der Region leben seit jeher vom Tourismus und von der Kakaoproduktion. Die Gerichte haben bereits vier Vorsorgemaßnahmen angeordnet. Doch Gegner aus den Reihen der Zivilgesellschaft sind fest entschlossen, mit www.schattenblick.de allen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln den Mega-Hafen aufzuhalten. Der Porto-Sul-Komplex wird mit öffentlichen Mitteln aus einem staatlichen Programn zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums finanziert. Der Bau des Tiefseehafens und des Terminals soll in Spitzenzeiten etwa 2.500 Jobs in der wirtschaftlich schwachen Region schaffen. Umweltfolgen von ungekanntem Ausmaß erwartet Anwohner und Sozialverbände leisten jedoch entschiedenen Widerstand, weil sie ökologische Auswirkungen von einem bislang beispiellosen Ausmaß befürchten. Kritiker nennen das Projekt in Anspielung auf einen riesigen Staudamm, der am Xingú-Fluss im nordbrasilianischen Seite 21 Elektronische Zeitung Schattenblick Amazonasstaat Pará entsteht, 'Belo Monte von Bahia'. Das Kraftwerk soll nach seiner Fertigstellung die weltweit dritthöchste Stromproduktionskapazität haben. Küstengemeinde Vila Juerana, die durch das Projekt zum Umzug gezwungen werden. "Die Bodenerosion wird sich auch hier, rund zehn Kilometer von dem Terminal entfernt, bemerkbar machen. Das Meer wird Laut den Umweltaktivisten in Bahia bis zu 100 Meter landeinwärts vorgefährdet der Hafenterminal einen dringen", sagt er. ökologischen Korridor, der zwei Naturschutzgebiete miteinander verbin- Abéde zufolge war der Hafenkomdet. In dem 93 Quadratkilometer plex als Teil von 'Pedra de Ferro' großen Nationalpark 'Sierra de Con- geplant, einem gemeinsamen duru' ist eine Vielzahl von Tier- und Bergbauprojekt von 'Bahia MinePflanzenarten heimisch. Auch der raçao' (Bamin), einer Niederlas4,4 Quadratkilometer große Stadt- sung des brasilianischen Unternehpark 'Boa Esperança' in Ilhéus ist ein mens 'Eurasian Natural Resources Refugium für zahlreiche, auch selte- Corporation' (ENRC), und von der ne Spezies. afrikanischen Firma 'Zamin Ferrous'. "Die Terminalbaupläne sind Ausdruck einer gravierenden Respektlosigkeit gegenüber dem regionalen Tourismus und Umweltschutz", protestiert die Aktivistin Maria Mendonça, Vorsitzende des 'Instituto Nossa Ilhéus' ('Institut Unser Ilhéus'). Nahe der Stadt mit rund 180.000 Einwohnern verläuft die längste Küste von Bahia, die unter anderem Schauplatz vieler Romane des brasilianischen Schriftstellers Jorge Amado ist. Eine im Jahr 2013 durchgeführte Umweltverträglichkeitsstudie hat 36 mögliche Negativfolgen, die in 42 Prozent der Fälle nicht verhindert werden können, aufgezeigt. Unter anderem werden die Bauarbeiten Wale und Delphine vertreiben und Lebewesen vernichten, die auf dem Meeresgrund leben. Aratiguá, das Zentrum des künftigen Hafens, sei reich an Fischbeständen, berichtet Mendonça. Im Umkreis lebten mehr als 10.000 kleine Fischer davon, an einer etwa zehn Kilometer langen Küste ihre Netze auszuwerfen. Im Zuge des Bauprojekts sollen geschätzte 100 Millionen Tonnen Erde in die ökologisch fragile Region gebracht werden. Ein Teil des künftigen Hafens von Porto Sul in Aratiguá in der Stadt Ilhéus Bild: © Regierung des Bundesstaa tes Bahia In der Mine soll bis zur Fertigstellung des Megahafens in der Kleinstadt Caetité im Landesinnern jährlich eine Million Tonnen Eisen produziert werden. Danach sollen etwa 20 Millionen Tonnen Eisen jährlich gefördert werden, die auf einer neuen 400 Kilometer langen Eisenbahnstrecke zwischen Caetité und Der Umweltaktivist Ismail Abéde ist Ilhéus zum neuen Hafen transporeiner von etwa 800 Einwohnern der tiert werden. Seite 22 www.schattenblick.de 'Pedra de Ferro' wird nach Aussagen von 'Bahia Mineraçao' 6.600 Arbeitsplätze schaffen. Die gesamten Investitionen des Unternehmens in das Bergwerk und den Hafenkomplex werden mit etwa drei Milliarden Dollar veranschlagt. Die Behörden hatten das Bergbauprojekt 2012 für ökologisch unbedenklich erklärt. Eine Betriebslizenz wurde im Juni 2014 vergeben. Die Baugenehmigung für das Hafenprojekt 'Porto Sul' liegt seit 19. September vergangenen Jahres vor. Spätestens im kommenden September sollen die Bauarbeiten beginnen. Ende 2019 soll dann der drittgrößte Hafen Brasiliens seinen Betrieb aufneh- men. Das Umschlagvolumen in den ersten zehn Jahren wird mit 60 Millionen Tonnen angegeben. Waren sollen den Hafen hauptsächlich auf dem Schienenweg erreichen. Geplant sind außerdem ein nahegelegener internationaler Flughafen, neue Straßen und eine Gaspipeline. Das mit dem Hafen verbundene Projekt 'Pedra de Ferro' erfordert Investitionen im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar. Die Eisenerzvorkommen in der Mine werden mit 398 Millionen Tonnen veranschlagt. Diese Menge reicht aus, um das Bergwerk 20 Jahre lang zu betreiben. Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick "Die Mine ist nicht nachhaltig, und die Eisenbahnlinie verläuft durch Schutz- und Wohngebiete", kritisiert Mendonça. Andere Aktivisten warnen vor einem gewaltigen Staubaufkommen durch die Transporte auf der gesamten Strecke vom Bergwerk bis zum Hafen - mit negativen Folgen für Natur, Kakaopflanzungen und Flüsse. Enteignungen zugunsten von Privatunternehmen Abéde kritisiert zudem die Art und Weise, wie die von den Projekten betroffenen Familien informiert wurden. Weder das Unternehmen noch die Behörden hätten einen Dialog mit den Anwohnern gesucht. "Der Staat darf Enteignungen vornehmen, wenn diese dem Wohl der Allgemeinheit dienen, nicht aber zugunsten eines in- demnach im ersten Quartal dieses ternationalen Privatkonzernes." Jahres begonnen. (Ende/IPS/ck/2015) ENRC, ein kasachischer Konzern mit Sitz in Astana und London, wurde im November 2013 nach Betrugs- Links: und Korruptionsvorwürfen vom http://www.ipsnoticiHandel an der Londoner Börse aus- as.net/2015/04/megaproyecto-porgeschlossen. "Wir arbeiten an Be- tuario-en-brasil-amenaza-rica-regirichten für Banken, um diese davon on-ecologica/ abzuhalten, die Projekte zu finanzie- http://www.ipsren", erläutert Abéde. news.net/2015/04/planned-megaport-in-brazil-threatens-rich-ecoloBehördenvertreter in Bahia teilten gical-region/ mit, dass das Umweltamt bereits zehn öffentliche Anhörungen zum © IPS-Inter Press Service DeutschThema abgehalten habe. Eine Fläche land GmbH von etwa 17 Quadratkilometern soll zu einem Naturschutzgebiet erklärt Quelle: werden. Alle betroffenen Familien IPS-Tagesdienst vom 27. April 2015 werden angeblich von einem Umsiedlungsprogramm profitieren. Mit http://www.schattenblick.de/info Entschädigungszahlungen wurde pool/umwelt/internat/uipt0095.html SPORT / BOXEN / MELDUNG Tyson Fury hat wieder einmal Oberwasser Klitschkos durchwachsener Auftritt läßt den Briten hoffen (SB) Wie nicht anders zu erwarten, versichert Tyson Fury, Wladimir Klitschkos Sieg im Kampf gegen Bryant Jennings habe ihn überhaupt nicht beeindruckt. Wenngleich der Brite, dessen großes Mundwerk seine imposante Statur noch übertrifft, auch im Falle einer glanzvollen Titelverteidigung des Ukrainers kaum anders argumentiert hätte, war der mühsame Auftritt des Weltmeisters im Madison Square Garden natürlich Wasser auf die Mühlen des mutmaßlich nächsten Herausforderers. Wie der in 24 Profikämpfen ungeschlagene Fury versicherte, habe Klitschko nichts zuwege gebracht, was ihn beunruhigen könnte. Der Ukrainer ging bei seinem ungefährdeten Punktsieg kein Risiko ein und Di, 28. April 2015 kontrollierte Jennings weitgehend mit dem Jab. Hingegen kam seine Rechte eher selten ins Spiel, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, daß sich der körperlich unterlegene Herausforderer weitgehend auf die Defensive beschränkte, so daß er dem Champion kaum ein Ziel für einen Volltreffer bot. Sollte Klitschko seine Meinung nicht ändern, wird er im Herbst entweder in Deutschland oder England vor zweifellos ausverkauftem Haus gegen den 2,06 m großen Hünen antreten. Man werde ja sehen, wie es dem Weltmeister ergeht, wenn er auf einen körperlich ebenbürtigen, formstarken, schnelleren und schlaggewaltigen Kontrahenten - nämlich Tyson Fury trifft, stellte der Brite sein www.schattenblick.de Licht einmal mehr nicht unter den Scheffel. Er sei höchst zuversichtlich, die Ära Klitschko zu beenden und seine eigene zu eröffnen. [1] Klitschkos Manager Bernd Bönte hat bereits angekündigt, daß er die Verhandlungen mit dem Lager des Briten umgehend aufnehmen werde. Während der Ukrainer erst einmal in Urlaub geht, bleibt es Bönte vorbehalten, Fury am Verhandlungstisch auf beiderseits akzeptable Konditionen einzuschwören, was nicht einfach sein dürfte. Für Wladimir Klitschko ist der Pflichtherausforderer beim Verband WBO lediglich eine weitere Zwischenstation vor einem möglichen Duell mit Deontay Wilder, der zu Recht als seit Jahren gefährlichster Kandidat einzuschätSeite 23 Elektronische Zeitung Schattenblick zen ist, den der Ukrainer vor die Fäu- kämpfe, entbehren bislang einer fundierten Begründung. Der Brite bietet ste bekommen könnte. dem Ukrainer ein leichteres Ziel als Der unbesiegte US-Amerikaner ist der kleinere und ständig auspendelnWeltmeister nach Version des Ver- de Jennings. Zudem verfügt Fury bands WBC und hat damit weit mehr trotz seiner imposanten Statur nur erreicht als Tyson Fury, der sich bis- über eine vergleichsweise geringe lang nur gegen eine vergleichsweise Schlagwirkung und dürfte Klitschko schwache Konkurrenz durchsetzen auch in technischer Hinsicht klar unkonnte. Sollte Klitschko gegen den terlegen sein. Daß sich der WeltmeiBriten verlieren, müßten die Karten ster dabei verausgaben und seinen 39 natürlich neu gemischt werden. Ob Jahren Tribut zollen müßte, ist eine Wilder dem Briten in diesem Fall eine bloße Mutmaßung, für die es kaum Chance eröffnen würde, um den WBC- Anhaltspunkte in den letzten AuftritTitel zu kämpfen, hinge dann nicht zu- ten Klitschkos gibt. letzt von seinem Berater Al Haymon ab, der für die bei ihm unter Vertrag Wenngleich der Ukrainer erklärterstehenden Boxer nach strategischen maßen unzufrieden war, sich eine Gesichtspunkten die Fäden zieht, in- triumphale Rückkehr in die USA dem er vor allem seinen eigenen Ein- verbaut zu haben, hatte er doch das Erforderliche getan, um seine Gürfluß Zug um Zug weiter ausbaut. tel sicher zu verteidigen. Man könnSpekulationen, Wladimir Klitschko te wie immer einige Schwergewichtwerde gegen Tyson Fury verlieren, ler wie Lucas Browne, Chris Arreowenn er dabei nicht besser als gegen la, Andy Ruiz oder Carlos Takam Kubrat Pulew und Bryant Jennings nennen, gegen die der Weltmeister noch nicht gekämpft hat. Daraus abzuleiten, er gehe gefährlichen Kontrahenten aus dem Weg, hat jedoch weder Hand noch Fuß. Klitschkos Sicherheitsboxen ist nicht schön anzusehen, wenig riskant und mithin kein ausgesprochenes Ruhmesblatt des zeitgenössischen Boxsports. Seine inzwischen neun Jahre währende Regentschaft läßt jedoch darauf schließen, daß der Konkurrenz außer großen Worten im Vorfeld des Kampfs nichts einfällt, wie diese Dominanz zu brechen sei. Anmerkung: [1] http://www.boxingnews24.com/2015/04/fury-unimpressedwith-klitschkos-win-over-jennings/#more-191613 http://www.schattenblick.de/ infopool/sport/boxen/ sbxm1694.html SPORT / MEINUNGEN / KOMMENTAR Zinkerspiele Von wegen Chancengleichheit: IAAF verscherbelt LeichtathletikWM 2021 ohne Bewerberverfahren an die USA (SB) Schweigen kann auch ein State- ment sein, nur noch aggressiver. "Zu dieser Entscheidung gebe ich keinen Kommentar ab", zitiert die Süddeutsche Zeitung (online) Helmut Digel, seit 1995 Mitglied im Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF und dort für das Ressort Marketing und Fernsehen zuständig. [1] Der IAAF-Rat hatte gerade der 150.000-Einwohner-Stadt Eugene in den USA den Zuschlag für die Austragung der Leichtathletik-WM 2021 gegeben. Wie schon bei der umstrittenen Vergabe der Leichtathletik-WM 2019 vor wenigen Monaten an Katar waren Seite 24 "wirtschaftliche Gründe" entscheidend, wie der IAAF-Präsident Lamine Diack nach der Sitzung in Peking einräumte, was unterstellt, daß ansonsten andere Gründe Vorrang hätten. Demnach sind im Gesamtpaket garantierte öffentliche Gelder des Bundesstaates Oregon, finanzielle Unterstützung durch das NOK der Vereinigten Staaten sowie ein lukrativer TV-Vertrag einschließlich landesweiter Übertragung durch den Fernsehsender NBC enthalten. So wenig wie die IAAF-Funktionäre interessierte, daß die feudalen Bauwerke und Sportarenen, die im Emirat Katar aus dem Wüstenboden gestampft werden, mit dem www.schattenblick.de Blut der wie Sklaven behandelten Arbeitsmigranten bezahlt werden, so wenig scherte es sie, daß die USA unter anderem wegen ihrer extralegalen Drohnenhinrichtungen, brutalen Folterpraktiken, rassistischen Polizeigewalt, Massenüberwachungen oder Kriegstreibereien in der internationalen Kritik stehen. Es geht ums Geschäft, um Märkte, Profite und Produktplazierung. Das ist die einzige "Glaubwürdigkeit", die das Sportbusiness bei allen moralischen Spiegelfechtereien um die "Werte des Sports" noch hat. Zum ersten Mal findet eine Leichtathletik-WM in den Di, 28. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick USA statt. Rein zufällig ist Eugene auch die Heimat des Sportartikelkonzerns "Nike", der seine Produkte vornehmlich in asiatischen Billiglohnländern unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen herstellen läßt. "Nike" ist seit 2005 auch der Generalausrüster des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), dessen Präsident Clemens Prokop die Wahl Eugenes ausdrücklich begrüßte, weil die Stadt ein "Tempel der Leichtathletik" sei. Als Doha im November vergangenen Jahres die WM 2019 an Land zog, nachdem den IAAF-Ratsmitgliedern wenige Minuten vor der Wahl eine schriftliche Bestätigung des Premierministers von Katar über einen 30 Millionen US-Dollar schweren "Incentive" (Extraanreiz) ausgehändigt worden war, wurde noch so getan, als gäbe es so etwas wie einen "fairen" oder "gerechten" Wettbewerb unter den Bietern - mag das Zuschlagsverfahren auf den letzten Drücker auch großes Befremden ausgelöst haben. Die Praxis der "Incentives" soll von keinem geringeren als dem skandalumtosten IAAF-Präsidenten Primo Nebiolo (1981-1999) eingeführt worden sein. Der für seine feudalen Auftritte berüchtigte Italiener, der als Spießgeselle von Horst Dassler (Adidas) und Juan Antonio Samaranch (IOC-Präsident) die Kommerzialisierung der Leichtathletik maßgeblich vorangetrieben hatte, soll den WM-Bewerbern erlaubt haben, sich mit finanziellen Argumenten gegenseitig zu überbieten, indem sie sogenannte Incentives einbringen, berichtete die NZZ. [2] Doch selbst diese anrüchige Praxis kann noch übertroffen werden, zumal der Ruf der IAAF inzwischen so ruiniert ist, daß nicht einmal mehr der Anschein eines offiziellen Wettbewerbs aufrechterhalten werden muß. So wurde die WM direkt in die USA verhökert, ohne daß es ein vorheriges Bewerberverfahren gegeben hätte. "Ich weiß, dass diese Entscheidung von dem üblichen Prozedere einer WM-Vergabe abweicht. Aber ich freue mich, dass meine Council-Kollegen Di, 28. April 2015 diese außergewöhnliche Gelegenheit erkannt haben", verwies IAAF-Präsident Lamine Diack aufdie vielleicht nie wiederkommende Chance, einen "Schlüsselmarkt" zu erschließen. [3] Der Senegalese ist seit dem Tod von Nebiolo im Amt und kennt das Geschäft des Eine-Hand-wäscht-die-andere aus dem Effeff. Mit einer Reihe von internationalen Spitzenfunktionären war er in die Schmiergeldaffäre um die ehemalige Sportvermarktungsgruppe ISL/ISMM verwickelt und wurde dafür vom IOC milde sanktioniert. Seine Familie hat zudem ein vetternwirtschaftliches System um die Leichtathletik aufgebaut und betreibt auf internationalem Parkett einen schwunghaften Marketinghandel. Daß die IAAF die europäischen Leichtathletik-Nationen vollständig ausmanövriert hat, konnte auch beim europäischen Dachverband EAA nicht ohne Reklamation bleiben. Göteborg, das ebenfalls mit der WM liebäugelte, habe noch nicht einmal die Chance gehabt, sich für dieses Event zu bewerben, beklagte sich Svein Arne (Norwegen), neuer Präsident der EAA, über das völlige Fehlen eines ordentlichen Bewerbungsverfahrens. Die schwedische Stadt feiert 2021 ihr 400jähriges Bestehen - doch anders als in Doha oder Eugene gibt es in Göteborg für die Global Player der IAAF offenbar nicht so viel zu holen. Das hat allerdings auch mit der Stellung der Europäer im Weltverband zu tun, die im Council nur noch 10 von 27 Stimmen und im Kongreß 50 von 219 Sitzen haben. Vor kurzem hatte sich der DLV-Ehrenpräsident und Sportsoziologe Helmut Digel noch damit hervorgetan, daß er in einem offenen Brief die verhaltenen, aber in vielen Aspekten durchaus begründeten Sorgen des DOSB und seiner Athletenkommission um die Auswirkungen des geplanten AntiDoping-Gesetzes unter Niveau abbürstete. Mit dem Gesetz würde die "Chancengleichheit" von sauberen Athleten "bei nach wie vor sehr chancenungleichen Wettkämpfen" erhöht, www.schattenblick.de erging sich der emeritierte Professor in der Quadratur des Kreises und malte sich eine Ethik schön, wonach für einen sauberen Athleten auch nicht der Grundsatz gelte, "dass alles was nicht ausdrücklich verboten ist, im Hochleistungssport erlaubt sein soll. Er sucht sich nicht jene Lücken und Schlupflöcher in der Liste der verbotenen Substanzen aus, um sich daraus einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Gegnern zu verschaffen. Er setzt sich viel mehr ausdrücklich für einen fairen Wettkampfein". [4] Heißen die Wettbewerbsvorteile jedoch "Incentives" und wird die vermeintliche "Chancengleichheit" dadurch ausgehebelt, daß man einen "fairen Wettkampf" in einem "chancenungleichen" Bewerbungsverfahren gar nicht erst zuläßt, dann müssen die Leichtathletik-Funktionäre wohl "Lücken und Schlupflöcher" auf der Liste "nicht ausdrücklich" verbotener Geschäftspraktiken genutzt haben. Einen Brandbrief Digels an die IAAFMitglieder, die dieses Verfahren gerechtfertigt haben, hat es indessen nie gegeben und wird es vermutlich auch niemals geben. Dann schon lieber das schwächste Glied der Kette an die Wand stellen und die Kriminalisierung des sündigen Athleten fordern ... Das macht eben die Profession von Sportfunktionären aus: Sie schlagen bei ausgesuchten Gelegenheiten mit Fairneß-, Moral-, Ethikkeulen so aggressiv um sich, daß kein Athlet wagt, ihr hegemoniales Deutungsmonopol, was denn "chancengerechter Wettbewerb" sei, in Frage zu stellen. Die Teilhaberschaft der "sauberen" Athleten besteht darin, daß sie die fremdnützigen Verwertungsbedingungen ihrer Leidenschaft als die eigenen verinnerlicht haben - so sehr, daß insbesondere der Profi- und Spitzenathlet nur noch als fleischgewordene Personifizierung der ökonomischen Verhältnisse in Erscheinung tritt, geradezu darum bettelnd, im Sinne der Verwertungsordnung reglementiert zu werden (siehe Leistungs- und Anti-DopingRegime). Dieser modernen SklavenSeite 25 Elektronische Zeitung Schattenblick form des Sportheroismus ist die Selbstgerechtigkeit einer Funktionärskaste äquivalent, die sich nicht nur mit Haut und Haaren der Kommerzialisierung des Sports verschrieben hat, sondern diese auch mit Zähnen und Klauen zu Lasten anderer Möglichkeiten menschlichen Agierens verteidigt. Wenn IAAF-Chef Lamine Diack nach dem WM-Verkaufin die USA meint, seiner Sportart solle damit der Zugang zu einer der erfolgreichsten Leichtathletik-Nationen und einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt ermöglicht werden, dann spricht daraus das Kalkül jedweden Marketenders, seine Geschäfte am besten im Schutz der stärksten Militärmaschinerie auf Erden zu verrichten. Was könnte die Lohnsklaverei und Baustellentoten in Katar besser relativieren als zwei Jahre später eine Kriegs-Dollar-WM beim SupersheriffUSA, der die größte Gefangenenbevölkerung der Welt hat und dennoch als Herold der Freiheit gefeiert wird? Hatten Medien sowie Menschenrechtsorganisationen die PetroDollar-WM in Doha aus naheliegenden Gründen noch scharf kritisiert, herrscht im Falle Eugenes aufeinmal Schweigen im Wald. Wie die Kommentarlosigkeit von Helmut Digel spricht auch das eine beredte Sprache. __I n h a l t__________Ausgabe 1446 / Dienstag, den 28. April 2015__ 1 POLITIK - REPORT: Die andere Türkei ... Metin Kaya im Gespräch 5 POLITIK - AUSLAND: El Salvador - Rückkehr der Todesschwadronen (IPS) 7 MEINUNGEN: "Peak Plutocracy" - Grenze des Erträglichen ist erreicht (IPS) 9 REDAKTION: Steht Großbritannien eine Verfassungskrise bevor? 10 SCHACH-SPHINX: Renaissance oder Fraktur? 11 KUNST - REPORT: ... Franziska Schnoor im Gespräch 13 UMWELT: EU-Kommission spielt Konzernen in die Hände 15 UMWELT - REPORT: Trümmertief ... Dr. Werner Zittel im Gespräch 21 UMWELT: Widerstand gegen geplanten Hafenkomplex in Bahia (IPS) 23 SPORT - BOXEN: Tyson Fury hat wieder einmal Oberwasser 24 SPORT - MEINUNGEN: Zinkerspiele 26 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 28. April 2015 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 28. April 2015 +++ Vorhersage für den 28.04.2015 bis zum 29.04.2015 +++ Gemischter Tisch, Jean-Luc gereizt, verhuschter Fisch, die Sonne geizt. © 2014 by Schattenblick Anmerkungen: [1] http://www.sueddeutsche.de/sport/leichtathletik-ausserkonkurrenz-1.2439012. 16.04.2015. [2] http://www.nzz.ch/sport/dasjahrzehnt-des-golfstaats1.18441460. 10.12.2014. [3] http://www.sueddeutsche.de/news/sport/leichtathletikvergabe-ohne-bewerbung-wm2021erstmals-in-den-usa-dpa.urnnewsml-dpa-com-20090101150416-99-04302. 16.04.2015. [4] https://www.leichtathletik.de/fileadmin/user_upload/11_Verband/DOSB_Offener_Brief.pdf. 02.03.2015. http://www.schattenblick.de/info pool/sport/meinung/spmek229.html Seite 26 IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Elektronische Postadresse: [email protected] Telefonnummer: 04837/90 26 98 Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth ISSN 2190-6963 Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. Nicht berechtigt sind Sie dagegen, die Materialien zu verändern und / oder weiter zu geben oder gar selbst zu veröffentlichen. Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. 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