Tamara Tolj Akademische Mitarbeiterin Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie – Prof. Saliger Fallbesprechung im Sommersemester 2015 Einheit 4: Diebstahl – Fall 4 Struktur des Diebstahls Geschütztes Rechtsgut: Eigentum und Gewahrsam (h.M.) Daher sind auch wirtschaftlich wertlose Gegenstände umfasst (beachte aber dann: § 248a) Daher kann auch derjenige, der nur die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache ausübt, Opfer eines Diebstahls sein Diebstahl, § 242 I Versuchter Diebstahl, §§ 242 I, 22, 23 I Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Hinweis auf § 242 II I. Tatbestand I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand 1. Tatentschluss (subjektiver Tatbestand) a. Tatobjekt: Fremde bewegliche Sache a. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden fremden beweglichen Sache b. Tathandlung: Wegnahme b. Zueignungsabsicht 2. Subjektiver Tatbestand c. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der a. Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale erstrebt erstrebten Zueignung b. Zueignungsabsicht 2. Unmittelbares Ansetzen (Objektiver Tatbestand) c. Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht gem. § 22 II. Rechtswidrigkeit II. Rechtswidrigkeit III. Schuld III. Schuld Zur Zueignungsabsicht Besonders schwere Fälle und Qualifikationen § 243 - Besonders schwerer Fall des Diebstahls (1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter § 244 - Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl (1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. 1. 2. 3. zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält, eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist, … Strafzumessungsregel 2. 3. einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter a) Eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, b) Sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds stiehlt oder … Qualifikation Vorüberlegung Zu prüfen ist (nur) die Strafbarkeit des J Empfehlung: Differenzierung nach „gestohlenen“ Sachen - § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD - § 242 an dem Buch durch Einstecken des Buches - § 242 I am Geldbeutel durch Einstecken des Geldbeutels - § 242 I an den 50 Euro durch Einstecken des Geldbeutels Wichtige Sachverhaltsangabe: „J lässt sich bei der polizeilichen Vernehmung dahingehend ein, er habe die DVD nur brennen und anschließend zurückbringen wollen. Auch das Lehrbuch habe er nach dem Bestehen der anstehenden Strafrechtsprüfung zurückbringen wollen. Den Geldbeutel habe er außerhalb des Ladens wegwerfen wollen.“ Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache? bewegliche Sache DVD (+) Sache fremd? Definition: Sache fremd, wenn sie dem Täter nicht ausschließlich gehört und nicht herrenlos ist. fremd (+), da sie im Eigentum des O steht Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal? Definition: Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams Definition Gewahrsam: tatsächliche Sachherrschaft (obj. Komponente) über einen Gegenstand, die von einem natürlichen Sachherrschaftswillen (subj. Komponente) getragen wird. Ursprünglich hatte O Gewahrsam, da dieser als Ladeninhaber die tatsächliche Sachherrschaft ausübte Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal? Ursprünglich hatte O Gewahrsam, da dieser als Ladeninhaber die tatsächliche Sachherrschaft ausübte (1) Gewahrsamsbruch durch aus dem Regal nehmen? (-), O hat zumindest noch Mitgewahrsam Verkehrsanschauung ordnet Waren im Laden bei bloßem Tragen noch dem Inhaber zu zudem jedenfalls tatbestandsausschließendes Einverständnis des O durch alleiniges in-die-Hand-nehmen keine Wegnahme Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal? Ursprünglich hatte O Gewahrsam, da dieser als Ladeninhaber die tatsächliche Sachherrschaft ausübte (2) Gewahrsamsbruch durch Einstecken der DVD in Tasche? durch Einstecken hat J alleinige Sachherrschaft begründet. O war jederzeitiger Zugriff verwehrt eigener Gewahrsam (sog. Gewahrsamsenklave) Wegnahme (+) Diebstahl vollendet Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal (+) b. Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz hinsichtl. obj. Tatbestand (+) bb. Frage: liegt Zueignungsabsicht vor? Zueignungsabsicht: zumindest vorübergehende Aneignung (Absicht) dauerhafte Enteignung (dolus eventualis) Also prüfen: will Täter dem Eigentümer die Sachsubstanz oder den Sachwert entziehen und seinem Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben? Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal (+) b. Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz hinsichtl. obj. Tatbestand (+) bb. Frage: liegt Zueignungsabsicht vor? Zueignungsabsicht: zumindest vorübergehende Aneignung (Absicht) DVD zumindest vorübergehend angeeignet Aneignungsabsicht (+) dauerhafte Enteignung (dolus eventualis) Dauerhafter Enteignungsvorsatz (-), da Rückgabeabsicht des J ev. aber (+) wegen Entziehung der Sachsubstanz (-), da DVD nicht „abgenutzt“ wird (kein Schreibschutz) Also nur sog. „furtum usus“ – straflose Gebrauchsanmaßung Strafbarkeit des J I. § 242 I an der DVD durch Einstecken der DVD 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. taugliches Tatobjekt fremde, bewegliche Sache (+) bb. Tathandlung: Wegnahme durch Nehmen aus dem Regal (+) b. Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz hinsichtl. obj. Tatbestand (+) bb. Zueignungsabsicht (-) 2. Ergebnis: Strafbarkeit des J wegen Diebstahls gem. § 242 I an DVD (-) Strafbarkeit des J II. § 242 am Buch durch Einstecken des Buchs 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand aa. Fremde, bewegliche Sache (+) bb. Wegnahme? = Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams Gewahrsamsenklave (+) kein tatbestandsausschließendes Einverständnis, da Einstecken von Ware nicht mehr erfasst Problem: hindert die Beobachtung des Diebstahls durch L etwas? (-), Diebstahl ist keine heimliche Tat Strafbarkeit des J II. § 242 am Buch durch Einstecken des Buchs 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand aa. Fremde, bewegliche Sache (+) bb. Wegnahme (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. objektiven Tatbestands (+) bb. Zueignungsabsicht ? zumindest vorübergehende Aneignung (dolus directus 1. Grades) (+), da sich J wie Eigentümer verhält dauerhafte Enteignung (dolus eventualis) Enteignungsvorsatz bzgl. Sachsubstanz (-), J will Buch zurückbringen Enteignungsvorsatz bzgl. Sachwert? (+), da Buch nach mehrwöchigem intensivem Lernen nicht mehr neuwertig Zueignungsabsicht (+) Strafbarkeit des J II. § 242 am Buch durch Einstecken des Buchs 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand aa. Fremde, bewegliche Sache (+) bb. Wegnahme (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. objektiven Tatbestands (+) bb. Zueignungsabsicht (+) cc. objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung? (-), wenn J einen fälligen und einredefreien Anspruch auf die weggenommene Sache hätte Hier: (-) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 3. Ergebnis: § 242 I am Buch (+) Strafbarkeit des J III. § 242 I am Geldbeutel durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand aa. fremde, bewegliche Sache (+), insb. geht mit Verlieren kein Eigentumsverlust einher bb. Wegnahme? Problem: hatte S noch Gewahrsam, weil sie Geldbeutel verloren hatte? Unterscheide: vergessene und verlorene Gegenstände Hier: Verloren kein Gewahrsam der S mehr Aber: genereller Gewahrsamswille des O (Gegenstand in seiner Herrschaftssphäre) Gewahrsamsbruch (+) Wegnahme (+) Strafbarkeit des J III. § 242 I am Geldbeutel durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand aa. fremde, bewegliche Sache (+) bb. Wegnahme (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bb. Zueignungsabsicht (+), Umstand des Wegwerfens steht dem nicht entgegen (vorrübergehender Aneignungsabsicht) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 3. Ergebnis: § 242 I am Geldbeutel (+) Strafbarkeit des J IV. § 242 I an den § 50 € durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandes (+) bb) Zueignungsabsicht (+) cc) Problem: Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht? Definition: rechtswidrig, wenn dem Täter kein fälliger und einredefreier Anspruch auf die Sache zusteht. Grundsätzlich hier: Rückzahlungsanspruch gem. § 488 I 2 BGB (+) Problem: Recht der S auf Konkretisierung gem. § 243 I BGB ? bei Geldschulden ist Konkretisierungsbefugnis strittig Strafbarkeit des J IV. § 242 I an den § 50 € durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandes (+) bb) Zueignungsabsicht (+) cc) Problem: Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht? Problem: Recht der S auf Konkretisierung gem. § 243 I BGB ? bei Geldschulden ist Konkretisierungsbefugnis strittig e.A.: sog. Wertsummentheorie: Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt, wenn Täter Anspruch auf die entsprechend „Geldsumme“ hat. h.A. Lit./Rspr.: Rechtswidrigkeit der Zueignung entfällt nur dann, wenn Täter Anspruch auf genau „diesen Geldschein“ hat; i.d.R. (-), da Schuldner noch konkretisieren darf. Strafbarkeit des J IV. § 242 I an den § 50 € durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandes (+) bb) Zueignungsabsicht (+) cc) Problem: Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht? Problem: Recht der S auf Konkretisierung gem. § 243 I BGB ? bei Geldschulden ist Konkretisierungsbefugnis strittig Streitentscheid: gegen Wertsummentheorie spricht, dass diese die zivilrechtliche Eigentumsordnung gänzlich vernachlässigt und dem Schuldner die Konkretisierungsbefugnis nimmt. rechtswidrige Zueignungsabsicht (+) (a.A. vertretbar dann verbleibt aber Strafbarkeit gem. §§ 242 I, 22, 23 I) Strafbarkeit des J IV. § 242 I an den § 50 € durch Einstecken des Geldbeutels 1. Tatbestand a. objektiver Tatbestand (+) b. subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandes (+) bb) Zueignungsabsicht (+) cc) Problem: Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht (+) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 3. Ergebnis Strafbarkeit des J gem. § 242 I an den 50 € durch Einstecken des Geldbeutels. Strafbarkeit des J V. Gesamtergebnis J hat sich wegen Diebstahls an dem „Wessels“ strafbar gemacht. Außerdem hat er sich wegen Diebstahls am Geldbeutel in Tateinheit (§ 52) mit Diebstahls an den 50 € strafbar gemacht. Diese Taten stehen in Tatmehrheit (§ 53) zum Diebstahl an dem Wessels. Fallabwandlung 1: Strafbarkeit des J I. § 242 I bzgl. des „gesicherten“ Buches 1. Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 3. Strafzumessungsregel des § 243 I 2 ? a. § 243 I 2 Nr. 2 Hier: elektronisches Sicherungsetikett stellt dieses eine gegen Wegnahme besonders gesicherte Sache dar? (-), hindert nicht die Wegnahme, sondern dient nur der Aufdeckung eines Diebstahls. b. § 243 I 2 Nr. 2 (-) Fallabwandlung 1: Strafbarkeit des J II. § 244 I Nr. 1a durch Bei-sich-führen des Schweizer Taschenmessers 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Nr. 1a Alt. 1: Waffe i.S.d. § 1 WaffG (-) bb. Nr. 1a Alt. 2: gefährliches Werkzeug? Problem: Def. aus § 224 I Nr. 2 passt nicht, da keine Verwendung bei § 244 I Nr. 1a vorliegt. Es droht „Ausuferung“ des Tatbestandes: daher besteht Einigkeit, dass Begriff restriktiv auszulegen ist. Fallabwandlung 1: Strafbarkeit des J II. § 244 I Nr. 1a durch Bei-sich-führen des Schweizer Taschenmessers 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Nr. 1a Alt. 1: Waffe i.S.d. § 1 WaffG (-) bb. Nr. 1a Alt. 2: gefährliches Werkzeug? Problem: Def. aus § 224 I Nr. 2 passt nicht, da keine Verwendung bei § 244 I Nr. 1a vorliegt. objektivierende Auffassung vermittelnde Auffassung subjektivierende Auffassung nur Gegenstände, die aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet und bestimmt sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen con: Keine wirkliche Restriktion verlangt wird ein sog. Verwendungsvorbehalt des Täters con: Gebrauchsabsicht wird nur in § 244 I Nr. 1b verlangt verlangt, dass der Gegenstand abstrakt zu einer erheblichen Verletzung geeignet ist und das Mitsich-führen im konkreten Fall sozial- oder deliktstypisch ist. Fallabwandlung 1: Strafbarkeit des J II. § 244 I Nr. 1a durch Bei-sich-führen des Schweizer Taschenmessers 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Nr. 1a Alt. 1: Waffe i.S.d. § 1 WaffG (-) bb. Nr. 1a Alt. 2: gefährliches Werkzeug? Problem: Def. aus § 224 I Nr. 2 passt nicht, da keine Verwendung bei § 244 I Nr. 1a vorliegt. Folgt man dieser vermittelnden Ansicht: (Kleines) Schweizer Taschenmesser ist als sozialadäquat einzustufen b. Zwischenergebnis Bereits der objektive Tatbestand des § 244 I liegt nicht vor 2. Ergebnis: Strafbarkeit gem. 244 I Nr. 1a (-) III. Endergebnis J ist (nur) wegen Diebstahls (wie im Ausgangsfall) strafbar.
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