Gesundheitsgespräch Rheuma – Wunderwaffe Biologicals? Sendedatum: 16.05.2015 Expertin: Dr. Susanna Späthling, Rheumatologin in München Autor: Holger Kiesel Rheuma – Wunderwaffe Biologicals? Seit etwa 15 Jahren gibt es Biologicals – gentechnisch hergestellte Medikamente, die helfen sollen, ein gestörtes Immunsystem wieder zu regulieren. Im Bereich der Rheumabekämpfung haben sie sich in dieser Zeit nahezu den Ruf einer Wunderwaffe erworben, da sie sehr gezielt eingesetzt und auch vielseitig mit anderen Medikamenten kombiniert werden können. Auch konnte durch umfangreiche Studien mittlerweile in vielen Fällen geklärt werden, wann und unter welchen Umständen welche Nebenwirkungen auftreten können. Einer der Nachteile: Biologicals sind aufgrund ihres aufwendigen Herstellungsprozesses im Moment noch sehr teuer. Aus was Biologicals bestehen Biologicals oder Biologika sind nicht - wie der Name nahelegt biologische, sondern gentechnisch hergestellte Medikamente, die aus lebenden, in großen Tanks gezüchteten Tierzellen gewonnen werden. Es handelt sich um große Eiweißmoleküle, die in einem sehr aufwändigen Prozess, der mehr als 5.000 Einzelschritte umfasst, produziert werden. Das Immunsystem wieder regulieren Die erzeugten Proteine sollen helfen, ein durch eine Autoimmunerkrankung (z.B. eine Rheumatoide Arthritis) aus dem Gleichgewicht geratenes Immunsystem wieder zu regulieren. Je nach Art der vorliegenden Störung setzen verschiedene Biologicals dabei an unterschiedlichen Stellen der körpereigenen Abwehr an. Beispiel: TNF-Blocker Die größte Gruppe der Biologicals bilden die sogenannten TNF-Blocker. Sie hemmen den Tumor-Nekrose-Faktor, einen Botenstoff, der bei Entzündungen im Körper gebildet wird. Dadurch wird die Entstehung von Entzündungen, beispielsweise an den Gelenken, verhindert. So kann das Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 1 zunehmend aggressive Fortschreiten einer Rheumatoiden Arthritis gestoppt werden. Rheuma rechtzeitig erkennen Je früher Rheuma erkannt wird (idealerweise in den ersten drei bis sechs Monaten), desto wirkungsvoller können immunmodulierende Medikamente eingesetzt werden. Im günstigsten Fall können dem Patienten negative Folgeerscheinungen wie Schmerzen, Deformationen oder Funktionsverlust vollkommen erspart bleiben. Dies gilt außerdem nicht nur bei Gelenkentzündungen, sondern auch bei Entzündungen der inneren Organe wie z.B. der Lunge, die - in selteneren Fällen - auch bei einer Rheumatoiden Arthritis auftreten können. Dr. Susanna Späthling: "Ziel ist es, einen Patienten so frühzeitig zu behandeln - mit oder ohne Biologicals - , dass die Erkrankung möglichst zum Stillstand kommt und er möglichst keine Beschwerden mehr hat. Die einzige Einschränkung, die in den allermeisten Fällen bleibt, ist, dass der Betroffene dauerhaft behandelt werden muss, da es sich bei der Rheumatoiden Arthritis um eine chronische Erkrankung handelt." Bestehende Entzündungen lindern Teilweise können Biologicals sogar dabei helfen, dass bereits bestehende Knochendefekte geglättet werden. Einen Funktionsverlust oder eine Fehlstellung, die einmal vorhanden ist, können allerdings auch Biologicals nicht wieder beseitigen. Biologicals versus Basistherapeutika Außer den Biologicals kommen in der Rheumabehandlung auch andere Präparate, die sogenannten konventionellen, synthetischen Basistherapeutika zum Einsatz. Auch sie regulieren das Immunsystem. Ihr Wirkmechanismus ist, im Gegensatz zum punktuellen Wirkmechanismus der Biologicals, breiter angelegt. Bei manchen dieser Mittel ist der genaue Wirkmechanismus bis in alle Einzelheiten gar nicht genau bekannt. Selbstverständlich können sowohl bei Biologicals als auch bei herkömmlichen Basistherapien Nebenwirkungen auftreten. Individuelle Therapie Welches Präparat das richtige ist, muss der Arzt im Einzelfall entscheiden. Häufig werden auch Mittel aus beiden Gruppen miteinander kombiniert. Preislich günstiger sind jedenfalls die herkömmlichen Basistherapeutika. Biologicals sind ein großer Fortschritt Biologicals sind ein großer Fortschritt in der Rheumatherapie. Sie haben die Palette der Behandlungsoptionen enorm erweitert und bieten zudem Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 2 neue Möglichkeiten für Kombinationstherapien mit herkömmlichen Basistherapeutika. In Studien haben gerade diese Kombinationstherapien eine sehr gute Wirksamkeit bewiesen. Dadurch ist es möglich geworden, auch schwere Verläufe der Rheumatoiden Arthritis positiv zu beeinflussen und die Erkrankung zum Stillstand zu bringen. Nebenwirkungen: Biologicals sind für jeden geeignet Biologicals sind in aller Regel für alle Gruppen von Rheumapatienten geeignet. Alter und Konstitution eines Betroffenen spielen im Prinzip keine Rolle. Dr. Susanna Späthling: "Dennoch sind einige Ärzte bei älteren Menschen und Schwangeren aus Angst vor Nebenwirkungen grundsätzlich zurückhaltend, obwohl die Alternative Kortison oft deutlich mehr Risiken in sich birgt." Können Biologicals Infekte auslösen? Aber natürlich gibt es bei den Biologicals auch negative Begleiterscheinungen. So wurde beispielsweise bei den TNF-Blocker lange befürchtet, dass sie grundsätzlich schwere Infekte auslösen könnten. Grund für diese Annahme war, dass der Botenstoff TumorNekrose-Faktor im Körper auch für die Infektabwehr zuständig ist. Studien zur Infektionsgefahr In umfangreichen Studien, unter anderem des Deutschen Rheumaforschungszentrums, konnte jedoch nachgewiesen werden, dass noch weitere auslösende Faktoren vorliegen müssen, um das Risiko für einen Infekt zu erhöhen. Etwa frühere schwere Infekte, eine Lungen- oder Nierenschädigung oder der vorherige langjährige Einsatz von Kortison. Das Alter der Patienten alleine spielt nur eine untergeordnete Rolle. Reaktivierung von Tuberkulose In der Anfangszeit der Biologicals wurden durch diese Mittel häufiger inaktive Tuberkulosen reaktiviert. Nach einer überstandenen Tbc verbleiben die Erreger in der Regel im Körper, kapseln sich aber in sogenannten Granulomen ab. Biologicals sind in der Lage, diese aufzulösen, so dass die Tuberkulose erneut aktiviert wird. Wichtig: Alte Erkrankungen aufspüren Heute wird vor der Gabe von Biologicals mittels Bluttest, Röntgenbild der Lunge und gezieltem Befragen des Patienten ausgeschlossen, dass eine alte Tbc vorliegt. Auch muss vorab mittels Bluttest geklärt werden, ob der Patient schon einmal eine Hepatitis B oder C hatte. Im Falle einer Tuberkulose oder Hepatitis B sollten Biologicals nur im Rahmen einer Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 3 begleitenden Therapie zur Kontrolle der jeweiligen Vorerkrankung verabreicht werden. Sehr geringes Tumorrisiko Da der Tumor-Nekrose-Faktor auch für Reparaturarbeiten im Körper verantwortlich ist, wurde lange Zeit vermutet, Biologicals könnten auch die Bildung bestimmter Tumoren begünstigen. Die bislang vorliegenden Daten zeigen jedoch, dass – anders als zunächst befürchtet – weder Lymphome noch lokal wachsende Hauttumoren durch Biologicals ausgelöst werden. Ursache für die Geschwülste ist vielmehr die Aktivität der Rheumatoide Arthritis selbst, weil sie das Immunsystem schwächt und somit die Tumorbildung fördert. Biologicals und Malignes Melanom Ein gewisse Restunsicherheit besteht dagegen bei der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Biologicals und dem Auftreten des Malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs) gibt. Einzelne Forschungsergebnisse weisen möglicherweise auf eine leichte Erhöhung des Hautkrebsrisikos durch TNF-Blocker hin. Das Präparat nicht wechseln Es ist nicht empfehlenswert, während einer Therapie ohne wichtigen Grund von einem Biological zum anderen zu wechseln. Der Grund: Die fünf derzeit verfügbaren TNF-Blocker zum Beispiel haben alle etwas unterschiedliche molekulare Strukturen. Es ist nicht sicher, dass sie beim jeweiligen Patienten gleich gut wirken. Ein Wechsel des Präparates birgt somit das Risiko für einen schweren Schub der Erkrankung. Eine gut funktionierende Therapie sollte deshalb ohne triftigen Grund nicht verändert werden. Moderne Therapie bei Rheuma: Auch ohne Medikamente? Medikamente, ob nun Biologicals oder Basistherapeutika, sind in der Rheumatherapie unverzichtbar. Aber auch nicht-medikamentöse Maßnahmen gehören zur Behandlung. So hilft beispielsweise Physiotherapie, die entzündeten Gelenke beweglich zu halten. Und auch Ernährung und Lebensstil spielen eine bedeutende Rolle. Wer unter Rheuma leidet, sollte zum Beispiel möglichst wenig tierische Fette zu sich nehmen. Ihre Abbauprodukte fördern nämlich Entzündungen. Dagegen enthalten Obst und Gemüse viel entzündungshemmendes Vitamin E und Fisch Omega 3 Fettsäuren, die ebenfalls Entzündung reduzieren können. Deshalb ist bei Rheuma eher mediterrane Kost zu empfehlen. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 4 Risikofaktoren für Rheuma - Parodontitis befördert Rheuma, da durch die bakterielle Infektion des Zahnfleisches auch andere Entzündungsherde im Körper befeuert werden. - Und auch das Rauchen ist ein großer Risikofaktor: Das Risiko eine Rheumatoide Arthritis zu entwickeln ist bei Frauen und Männer, die jemals geraucht haben, fast doppelt so groß wie bei Nichtrauchern. Das Risiko steigt mit der Dauer des Zigarettenkonsums an, unabhängig von der Anzahl der Zigaretten pro Tag. Raucher benötigen außerdem wesentlich mehr Medikamente und ihre Beschwerden lassen sich erheblich schlechter behandeln. Warum sind Biologicals so teuer? - Erstens kostet die Forschung an diesen Präparaten besonders viel Zeit und damit auch viel Geld. Das Medikament muss zahlreiche teure Studien durchlaufen bis es bewiesen hat, dass es effektiv wirkt und sicher ist. - Zweitens ist der Herstellungsprozess auch deutlich aufwendiger als der von herkömmlichen chemischen Wirkstoffen. - Außerdem gab es bis vor kurzem keine preiswerteren Konkurrenzpräparate oder Nachahmerprodukte. Gibt es keine Alternative zu einem Präparat, dann ist der Preis meist entsprechend hoch. Konkret können pro Patient und Jahr Behandlungskosten von etwa 20.000 Euro entstehen. Biosimilars zur Kostensenkung Ein Weg zur Reduzierung der Kosten sind sogenannte Biosimilars. Das sind Nachahmerpräparate, die versuchen, den von den Herstellern der Originalpräparate geheim gehaltenen, komplexen Entstehungsprozess der Biologicals zu imitieren. Die dabei entstehenden Mittel sind derzeit etwa 20 bis 25 Prozent billiger als die Biologicals. Im Gegensatz zu den Biosimilars sind sogenannte Generika keine ungefähren, sondern exakte Nachbauten einfacherer Moleküle. Ein Beispiel ist die Acetylsalicylsäure. Solche genauen Kopien sind bei Biologicals jedoch wegen der Komplexität ihrer Struktur nicht möglich. Sie können den Originalmedikamenten immer nur ähnlich sein. Nachteile der Biosimilars Bisher gibt es noch zu wenige Erfahrungen, wie sich die kleinen Veränderungen in der Molekülstruktur zwischen Biologicals und verschiedenen Biosimilars auswirkt. Um den Herstellern der Nachahmerpräparate den Zugang zum Markt zu erleichtern, fordert die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde eine wesentlich geringere Zahl von Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, als für die Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 5 Originalpräparate notwendig waren. Als Nebenwirkung vorstellbar wäre beispielsweise eine vermehrte Bildung von Antikörpern gegen die Eiweißstruktur der Medikamente, insbesondere dann, wenn z.B. aus Kostengründen ein ständiger Wechsel zwischen Original und verschiedenen Biosimilars stattfinden würde. Dr. Susanna Späthling: "Es wäre sehr wichtig, dass Biologicals und die entsprechenden Biosimilars nicht nur unter unterschiedlichen Produktnamen vertrieben werden, sondern auch der Inhaltsstoff eindeutig als Originalpräparat oder Biosimilar zu erkennen ist, damit sauber unterschieden werden kann, welches Präparat der Patient zu welchem Zeitpunkt erhalten hat und um Nebenwirkungen dem entsprechenden Präparat genau zuordnen zu können. Und: Wer schon ein Biological bekommt, sollte - wegen der bisher noch fehlenden Erfahrungen - nicht ohne Not auf ein Biosimilar umgestellt werden, nur weil es billiger ist." Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nummer: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/ Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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