1 Manuskript radioWissen SENDUNG: 01.04.2015 9.05 Uhr / B2

1
Manuskript
radioWissen
SENDUNG:
01.04.2015
9.05 Uhr / B2
AUFNAHME:
STUDIO:
RELIGION, ETHIK
Ab 9. Schuljahr
TITEL:
Arma Christi
Leidenswerkzeug zur frommen Andacht
AUTORIN:
Carola Zinner
REDAKTION:
Bernhard Kastner
REGIE:
Irene Schuck
TECHNIK:
Monika Gsaenger
PERSONEN:
ERZÄHLER
Andreas Neumann
ZITATOR
Heinz Peter
ZUSPIELUNGEN: Nina Gockerell, Volkskundlerin; Ulrich Grams und Edmund
Melzl, Restauratoren
Besondere Anmerkungen:
Bitte Musik nach Möglichkeit wie angegeben verwenden. Bitte keine „bayerische“
Anmutung, d.h. keine Volksmusik.
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
2
ZUSPIELUNG 1 (Melzl)
„Wenn ich hier vorbeigehe und das seh, dann denk ich immer, dass ein gläubiger
Mensch hier wohnt.“
ERZÄHLER
Zwei Männer stehen vor einem alten Bauernhof im Münchner Stadtteil Obermenzing.
Die Außenwand des Stadels ist auf besondere Art geschmückt: Hier hängt ein
mehrere Meter hohes Kruzifix, das mit verschiedensten Gegenständen verziert ist.
Ein Säbel, eine Säge, ein Kelch, Hammer, Nägel und Geißel: es sind die 'Arma
Christi', die hier hängen.
ZUSPIELUNG 2 (Grams)
„Diese Marterwerkzeuge des Kreuzes, wie die Lanzen, Geißelwerkzeuge, das hab
ich alles selber gemacht -“ …
ERZÄHLER
Ulrich Grams und Edmund Melzl haben als Restauratoren häufig mit Darstellungen
der 'Arma Christi' zu tun. Der lateinische Begriff „Arma“ lässt sich sowohl mit
„Wappen“ übersetzen als auch mit „Waffen“: „'Arma Christi' sind Gegenstände, die in
der biblischen Passion in irgendeiner Form eine Rolle spielten - etwa, weil sie mit
dem Leib Jesu in Berührung gekommen sind, oder weil sie von den Peinigern
benützt wurden, um dem Erlöser seelische Qualen zuzufügen.
ZUSPIELUNG 3 (Grams, Melzl)
„Den Würfelbecher, um Christus Kleider wurde ja gewürfelt; dann den Weinkrug und
den Weinkelch vom letzten Abendmahl, dann die Martersäule, an der er gegeißelt
wurde, rechts eine Kerze - und dann sieht man die Lanze und den Essigschwamm,
die Keule und die () Geißelwerkzeuge, das Gewand Christi, um das gewürfelt wurde,
dann die Leiter, mit der er dann später abgenommen worden ist - und eben die
Beißzange, mit dem die Nägel rausgemacht worden sind; dann der Sack mit den
Silberlingen und die Nägel und der Hammer mit dem die Nägel eingeschlagen
wurden -.“ / „Also im Großen und Ganzen ist es jetzt eigentlich eine Darstellung wie
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
3
sich das einfache Volk sich diese Marterwerkzeuge vorgestellt hat, () was alles
verwendet worden ist. Ich wollte was Besonderes machen und das auch reich
gestalten.“
ERZÄHLER
Das Obermenzinger 'Arma-Christi-Kreuz' ist eine Rarität im Münchner Raum, wo sich
kaum mehr derartige Stücke finden. Eine andere Besonderheit ist die
Entstehungszeit des Werkes: Grams fertigte es erst im Jahr 2006 an - in einer Zeit
also, in der kaum noch jemand überhaupt wusste, was es mit diesen oft üppig
beladenen Kruzifixen auf sich hat.
ZUSPIELUNG 4 (Grams)
„Es kommen viele Leute hier rein, um das Kreuz zu fotografieren und anzuschauen
oder mich fragen, was das für eine Bedeutung hat, weil sie das nicht kennen.“
ERZÄHLER
Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gehörten „Arma-Christi-Kreuze“ im
katholischen Bayern zum Alltagsbild. So wie für heutige Zeitgenossen die Bedeutung
des Mercedes-Sterns oder des angebissenen „Apple“-Apfel sofort klar ist, wussten
ihre Vorfahren ohne großes Nachdenken um die Bedeutung der verschiedenen
„Arma“.
MUSIK Z9367647 012 VISION 0‘48
Der Hahn: er hat dreimal gekräht, als der Jünger Petrus seinen Herrn verriet. Der
rote Mantel wurde Jesus als Spottgewand umgehängt, als er vor dem römischen
Statthalter Pontius Pilatus stand. Nägel, Hammer und Zange waren die Werkzeuge,
die bei der Kreuzigung und der Kreuzesabnahme zum Einsatz kamen. Und natürlich
das erste und wichtigste Zeichen: das Kreuz. Dazu die Dornenkrone, der lange Stab
mit dem Essigschwamm, der die Lippen des Sterbenden benetzte und die Lanze, die
dem Toten die Seitenwunde zufügte.
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
4
Musik Vision aus
ERZÄHLER
Kreuz und Dornenkrone, Lanze und Schwammstab: damit beginnt die Geschichte
der „Arma Christi“ in der Bildersprache des frühen Christentums.
MUSIK: Tod Dockstader ‚Wave‘ 0‘20
Zunächst erscheinen sie als Erkennungs- und Siegeszeichen des Erlösers beim
Jüngsten Gericht. Grundlage dieser Vorstellung war eine kurze Passage im
Matthäusevangelium:
ZITATOR
„Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann
werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn
mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“
MUSIK PRSZR: III 0‘50
ERZÄHLER
Von den 'Arma' als einer Art Wappen oder Heereszeichen des Weltenrichters ist es
nicht weit bis zur Vorstellung, dass sie tatsächlich als Waffen eingesetzt werden.
Illustrationen aus dem 14. Jahrhundert zeigen Christus auf dem Weg in die Hölle. In
der Rechten hält er das Kreuz, das er seinem Gegner, dem Satan, tief in den
Schlund stößt.
ZITATOR
„Er überwand ihn mit seim Kreuz und macht ihn zum Spott.“
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
5
ERZÄHLER
Auch Maria kämpft mit Hilfe der 'Arma' ihres Sohnes recht martialisch gegen das
Böse. Die Geißel in ihrer Linken, den Stab mit dem Schwamm in der Rechten, geht
sie auf den Teufel los, der sich zu ihren Füßen windet:
ZITATOR
„Sie waffnet sich mit ihrs Kindes Marter und macht sich wider den Teufel zu aim
Streit berait.“
MUSIK aus
ZUSPIELUNG 5 (Gockerell)
Große Arma Christi-Kreuze entweder an Haus- oder Stallwänden oder manchmal
auch freistehend auf irgendwelchen Hügeln in der Nähe von Gehöften sind
Schutzzeichen für das Anwesen, für dort lebende Menschen, für den Viehbestand.
ATMO und darüber:
ERZÄHLER
Die Volkskundlerin Nina Gockerell, vormals Konservatorin am Bayerischen
Nationalmuseum in München:
ZUSPIELUNG 6 (Gockerell)
„Man konnte von weither sehen, dass da ein Kreuz mit den Arma Christi war, man
konnte sich eventuell als Vorübergehender kurz in die Andacht zu dem einen oder
anderen Gerät oder Werkzeug versenken und man hatte einen mächtigen Schutz für
das Haus.“
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
6
ERZÄHLER
Neben dieser machtvoll-kriegerischen Bedeutung haben die 'Arma' noch eine andere
Funktion, die im Laufe der Jahrhunderte immer stärker betont wurde: Sie erinnern an
das Leid und die Schmerzen, die dem Gottessohn zugefügt wurden.
MUSIK Z9367647 028 VISION 0’48
ERZÄHLER
Die Entstehungsgeschichte des Christentums ist geprägt von Auseinandersetzungen
und Diskussionen um die Deutung des biblischen Geschehens.
Eine der großen Fragen, um die in den ersten Jahrhunderten immer wieder heftig
gerungen wurde, war, wie man sich den Tod Jesu am Kreuz vorzustellen hatte.
ZUSPIELUNG 7 (Gockerell)
„Erst seit der Gotik kennen wir ja den schmerzverzerrten Christus am Kreuz, der
menschliche Leiden erfährt. In der Zeit davor ist er in erster Linie als Christkönig
dargestellt worden; als Nicht-Leidender, der mit der Krone und dem Herrschermantel
sozusagen vor dem Kreuz schwebt -
ERZÄHLER
Denn Jesus war beides, Gott und Mensch. Und, so wurde in der Frühzeit des
Christentums argumentiert, die göttliche Natur muss ja aufgrund ihres unendlich
überlegenen Wesens so viel stärker sein als die menschliche, dass Christus am
Kreuz nicht körperlich leidet.
MUSIK PRSZR: III 0‘50
Diese Meinung blieb jedoch nicht unwidersprochen. Nach langen, teils heftigen
Auseinandersetzungen setzte sich in der westlichen Kirche schließlich die so
genannte „Zwei-Naturen-Lehre“ durch. Nach ihr stehen die göttliche und die
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
7
menschliche Natur in Christus, dem „wahren Menschen und wahren Gott“, völlig
unvermischt nebeneinander.
Folglich musste der Erlöser in der Passion äußerste menschliche Qualen erdulden.
ZUSPIELUNG 8 (Gockerell)
„Das hat dann dazu geführt, dass man das Leiden dargestellt hat, das er als Mensch
gefunden hat und dass man das immer exzessiver dargestellt hat, um das Mit-Leiden
den einzelnen Gläubigen, der ein solches Bild betrachtet, in besonderem Maße
hervorzurufen.“
Musik aus
Musik 60036200100
0’50 (Frauenstimmen, alte Aufnahme, a capella)
In der ganzen Stadt da brennet kein Licht, nur im Zimmermannshaus, da brennet ein
Licht …. (1. Strophe)
drüber:
ERZÄHLER
In der ganzen Stadt, da brennet kein Licht…: ein altes Karfreitagslied aus dem
Gottscheer Land, einem ehemaligen deutschen Sprachgebiet im heutigen
Slowenien. Erzählt wird vom nächtlichen Dunkel in einer Stadt, das nur von dem
Licht aus drei Häusern erhellt wird. Aus diesem friedlichen Bild entwickelt sich schnell
ein unheilvolles Szenario.
Denn das Licht kommt aus Räumen, wo Handwerker gerade die Utensilien für Jesu
Kreuzigung vorbereiten. Der Schmied fertigt die langen Nägel an, der Zimmermann
sägt die Balken zurecht und der Binder flicht einen Kranz aus Dornen. Am Ende jeder
Strophe bittet ein himmlisches Stimmchen die Handwerker, ihr Tun einzustellen - das
Kind sei doch noch so klein.
MUSIK hoch, letzte Strophe „Bindet nicht, bindet nicht….
+ Schluss - löschet aus, löschet aus… verfolgen ihn nicht.“
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
8
ERZÄHLER
Die Aufnahme entstand im Jahr 1960 und lässt noch erahnen, mit welcher Innigkeit
sich gläubige Christen einst in das Passionsgeschehen versenkten.
Der Anblick der „Werkzeuge“ bei Gesang oder Gebet beförderte das tiefe Mit-Leiden
noch - und stellte gleichzeitig den direkten Bezug vom biblischen Geschehen zum
Alltag der Gläubigen her.
ZUSPIELUNG 9 (Gockerell)
„Natürlich waren beispielsweise Nägel, die der Schmied gemacht hatte, oder die
Säge, mit der jeder Zimmermann aber vermutlich auch jeder Bauer umgehen konnte,
dem einzelnen Menschen, dem einzelnen Gläubigen sehr nah, weil sie aus ihrem
eigenen Lebensalltag, aus ihrem eigenen Umfeld sozusagen stammten, aber in der
Passionsgeschichte in einer völlig anderen Weise verwendet worden sind.“
ERZÄHLER
Oft wird direkt am Handwerkszeug an die zweite, fromme Bedeutung erinnert - viele
Arbeitsgeräte waren mit kleinen stilisierten Darstellungen der Arma verziert.
ZUSPIELUNG 10 (Gockerell)
„- was natürlich einen gewissen Schutz geben soll a) für diejenigen, die die Geräte
benutzen, und b) auch ein gewisses Gelingen dessen was man mit diesem Gerät, mit
diesem Werkzeug macht, vielleicht unterstützen soll.“
MUSIK Z9367647 012 VISION
ZITATOR
Hie siehst du Anfang und auch End
der ganzen Leyden Instrument
ZUSPIELUNG 11 (Gockerell)
Atmo… „Was ganz ganz wichtig ist ist ja das Jesuskind mit den Arma Christi:
Unser liebes Jesulein..“
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
9
ERZÄHLER
Nina Gockerell zeigt anhand einiger Bücher aus ihrer Bibliothek, welch große
Bedeutung den Arma Christi früher zukam. Sie finden sich auf Altarbildern und
Drucken, auf Grabsteinen und gestickten Mustertüchern, die als Vorlagen dienten für
den Handarbeitsunterricht. Sogar die hölzernen Rückseiten von Ehebetten wurden
früher oft mit aufgemalten Leidenswerkzeugen verziert. Eines der Bilder zeigt eine
auf den ersten Blick bezaubernde Szene:
Das lächelnde Jesuskind liegt in einer grünen Wiese. Erst bei genauerem Hinsehen
zeigt sich, dass ein hölzernes Kreuz als Unterlage dient. Außen herum sind wie
Spielzeug verteilt verschiedene, teils recht martialische „Arma“.
Musik aus
ZUSPIELUNG 12 (Gockerell)
„Es ist umgeben von den drei Würfeln, von der Dornenkrone, von den Nägeln, vom
Hammer, von der Zange, und all den Werkzeugen der Passion, die wir auch von den
Arma Christi-Kreuzen kennen. Und wir kennen ja auch Darstellungen des schon
etwas älteren Jesusknaben, der seinem Ziehvater Josef in der Werkstatt hilft; Josef
war ja Zimmermann - das Jesuskind hilft ihm, und was macht es: es bastelt kleine
Kreuze.
Und das Jesuskind mit den Arma, ist ganz ganz wichtig, weil es eben die
Unausweichlichkeit seines Lebens darstellt. Und die Leute haben das verstanden.“
MUSIK Z9367647 012 VISION 0‘10
ZITATOR
Mensch bei der Mess zu aller Frist
betracht das Leiden Jesu Christ
schau die Figur Gregorii,
fünf Vater Unser sprich allhie (Berliner S. 70)
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
10
ERZÄHLER
So die Bildunterschrift eines Holzschnitts aus dem Jahr 1510. Die „Figur Gregorii“ damit ist Gregor I., genannt „der Große“, ein Papst aus dem sechsten Jahrhundert.
Er und die nach ihm benannte „Gregorsmesse“ spielen in der Arma-Christ-Verehrung
der frühen Neuzeit eine bedeutende Rolle.
Auslöser dafür war die Legende, dass diesem Papst während einer Messe der
leibhaftige Christus als Schmerzensmann erschien, umgeben von den
Leidenswerkzeugen.
Auch wenn diese Legende erst um die Jahrtausendwende entstand und damit
mehrere Jahrhunderte nach Gregors Tod, galt sie doch als entscheidender Beweis in
einer wichtigen Frage, über die jahrhundertelang immer wieder heftig debattiert
worden war. Die Frage, ob sich beim Abendmahl Brot und Wein tatsächlich in das
reale Fleisch und Blut Christi verwandelte.
MUSIK C 5072260 Officium Hebdomadae 1’50
ERZÄHLER
Die Legende von der Gregorsmesse veranschaulichte deutlich die Lehre des
Vatikans: Ja, aus Brot und Wein wird bei der Wandlung tatsächlich Fleisch und Blut Christus ist beim Abendmahl körperlich im Gottesdienst anwesend.
Damit das den Christen auch möglichst oft in Erinnerung gerufen wurde, erhielten im
15. Jahrhundert Gläubige einen Ablass, wenn sie ihre Gebete vor einer bildlichen
Darstellung der Gregorsmesse verrichteten; egal, ob es nun eines der prächtigen
Ölgemälde war aus der Werkstatt von Lukas Cranach oder ein Holzschnitt von
Albrecht Dürer, um nur zwei der zahlreichen Künstler zu nennen, die sich des
einträglichen Motivs annahmen.
ERZÄHLER
Meist ist auf den Darstellungen der „erbärmende“ Christus in all seinem körperlichem
Leid zu sehen. Das blutüberströmte Gesicht umrahmt von der Dornenkrone, erhebt
er sich aus dem halboffenen steinernen Grab und zeigt die Wundmale in seinen
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
11
Händen. In den beiden Armbeugen lehnen Lanze und Stab mit dem Essigschwamm,
hinter ihm ist das Kreuz mit der Aufschrift „INRI“ - auch dieses Täfelchen gehört zu
den Leidenswerkzeugen. Am oberen Bildrand sind die Köpfe jener Menschen
aufgereiht, die in der Passion eine besondere Rolle spielen - der römische Statthalter
Pontius Pilatus etwa, der jüdische Hohepriester Kaiphas und Judas, der Jünger, der
sich gerade mit gespitztem Mund anschickt, Jesus den Kuss zu geben mit dem er ihn
auf dem Ölberg an die Römer verrät.
ZUSPIELUNG 13 (Gockerell)
„Dann geht es weiter in der Geschichte, dann kommt die Laterne dazu, mit der Judas
am Ölberg Christus ins Gesicht geleuchtet hat,
Musik aus
damit die Soldaten ihn erkennen und ihn gefangen nehmen können, das geht bis
zum abgeschlagenen Ohr des Malchus, das auf einem Schwert dargestellt wird, und
das eben die Geschichte dass Petrus im Zorn diesem Malchus das Ohr abgehauen
hat; es kommen dazu zum Beispiel der Beutel mit den 30 Silberlingen, die Judas für
seinen Verrat bekommen hat. Es kommt - um beim Judas zu bleiben - auch der
Strick hinzu, mit dem er sich dann in Verzweiflung am Baum aufgehängt hat als er
realisiert hat was er getan hat. Es gibt unter den Arma Christi eine Schüssel und eine
Wasserkanne, stellvertretend dafür dass Pilatus seine Hände in Unschuld
gewaschen hat - all diese Dinge, Geräte, Werkzeuge, die im weitesten Sinn mit der
Zeit zwischen Gründonnerstag und Karfreitag zu tun haben, werden in diesen Kreis
der Arma Christi hereingenommen und werden symbolhaft am Kreuz dargestellt.“
MUSIK PRSZR: III 0‘50
ERZÄHLER
In der Reformationszeit wurde die Verehrung der Arma Christi zum Politikum. Für die
Reformatoren war der Kult rund um die Gregorsmesse ein Irrweg, gegen den Martin
Luther in seiner drastischen Art deutliche Worte fand.
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
12
Umso populärer wurden in den katholischen Ländern Darstellungen der Werkzeuge.
Mit geradezu detektivischem Spürsinn wurde erforscht, welcher Gegenstand, welche
Menschen, welche Gesten wohl mitgewirkt hatten an der Passion Jesu.
Anhaltspunkte fanden sich nicht nur in den Texten der Evangelisten, sondern auch in
Kirchen und fürstlichen Schatzkammern, wo diverse Reliquien als heiligste
Kostbarkeiten lagerten: Splitter vom Kreuz, von der Lanze, von der Dornenkrone,
Nägel, Teile der Fesseln, das Schweißtuch der Veronika, mit dem sich Jesus auf
dem Weg nach Golgatha das Gesicht abgetrocknet hatte und auf dem sein Abdruck
zurückgeblieben war - all diese „Arma Christi“ finden sich spätestens seit der
Barockzeit auch in der Volkskunst wieder:
In den kleinen Kreuzen unter einem Glassturz etwa, den so genannten „Eing´richt“,
auf Andachtsbildchen und auf den Feldkreuzen, wo oft gleich ganz auf den Körper
des Gekreuzigten verzichtet wurde, um mehr Platz zu haben für die zahlreichen, in
ihrer bunten Klarheit oft geradezu comic-haften „Arma“.
Musik aus
ZUSPIELUNG 14 (Gockerell)
„Interessant ist ja auch, dass die einzelnen Werkzeuge auf dem Kreuz nicht
sozusagen chronologisch in der Abfolge der Passionsgeschichte aufgebracht sind,
sondern dass man sie doch mehr oder weniger dekorativ drauf verteilt hat; der
Mensch neigt zur Symmetrie; das heißt, dass zum Beispiel Geißeln, die meistens
paarweise auftreten, links eine, rechts eine, sieht schön aus, man hat wirklich
versucht auch etwas ästhetisch Befriedigendes herzustellen, hat ja die meist
hölzernen Teile dann oft auch sehr lebendig farbig gefasst, grad bei den Kreuzen die
im Freien stehen muss man davon ausgehen, dass die über die Generationen oft
und oft übermalt wurden und dass man vielleicht besonders glücklich damit war,
wenn sie besonders bunt und mit Lackfarben angestrichen waren - also keinerlei
chronologische Abfolge sondern eine sehr viel mehr ästhetisch dekorative Verteilung
auf dem Stamm des Kreuzes, der oft unverhältnismäßig lang und hoch ist, einfach
damit man da sehr viel unterbringen kann, und dann auf dem Querbalken - und es
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
13
gibt auch Beispiele, wo man die Querbalken verdoppelt hat, was einfach Platz schafft
zu noch mehr Zeichen aus dem Umfeld dieser Arma Christi.“
ERZÄHLER
Darunter finden sich gelegentlich Stücke, die aus heutiger Sicht geradezu kurios
anmuten. Die Hand etwa, die die „Fica“ macht, eine obszöne Geste, mit der Jesus
verspottet worden sein soll. Die Fußabdrücke, die er der Legende nach im Stein
hinterließ, als er vor Pontius Pilatus stand. Oder das kleine Messerchen, Werkzeug
des ersten „Leidens“, das Christus freiwillig auf sich nahm, um die Menschheit zu
erlösen: Es ist das Messer, mit dem das Jesuskind beschnitten wurde.
ZUSPIELUNG 15 (Gockerell)
„Die Zeitgenossen des 17./18./19. Jahrhunderts waren in der Lage, diese einzelnen
Teile zu entschlüsseln, zu benennen und auch in den Ablauf der Passionsgeschichte
einzufügen. Das fängt ja schon bei den 5 Wunden an: Man zeigt nur die Hände, die
Füße und das Herz. Den Rest lässt man weg: ist gar nicht erforderlich, man zeigt nur
das worauf es in diesem Zusammenhang ankommt. Und das ist eine Art des
Abstrahierens, die für frühere Generationen leichter zu verstehen waren als für uns
heute.“
ERZÄHLER
Schließlich sahen auch die einfachen Gläubigen diese Bilder täglich. Die
Arma waren Ornamente, gleichzeitig mächtiger Schutz und Aufforderung zum
Gebet.
Musik VISION Track 28 0‘50
Erinnerung, Meditation, Beruhigung - das waren die wichtigsten Funktionen
der 'Arma Christi', so schrieb der große Volkskundler Rudolf Berliner, der ihre
Geschichte umfassend erforscht hat.
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
14
Der Anblick der Leidenswerkzeuge erinnerte die Gläubigen nicht nur an die
einzelnen Stationen der Passion, er brachte auch Trost für eigene Leiden,
denen die Menschen in früheren Zeiten auch in unseren Regionen fast
schutzlos ausgeliefert waren: Krankheiten und Hunger, Schmerzen und dem
Tod in all seiner grausamen Härte.
Musik aus
stopp -
________________________________________________________________________________________________
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
© Bayerischer Rundfunk 2015
Bayern 2-Hörerservice
Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max.
42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de