AG Grundrechte SS 2015, 2. Termin, 29.4.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel - Art. 8 GG - Vorab: Eine Konkurrenzsituation beteht v.a. ggü. der aus Art. 5 I GG geschützten Meinungsfreiheit. Art. 8 GG schützt hierbei die versammlungsspezifischen Tätigkeiten und Art. 5 I GG demgegenüber den Inhalt und die Form der (einzelnen) Meinungsäußerung, so dass beide Grundrechte – soweit beide Schutzbereiche im Einzelfall einschlägig sind – nebeneinander zur Anwendung kommen können („Idealkonkurrenz“).1 Beispiel: A ruft mittels eines Plakates auf dem eine islamkritische Mohammed-Karikatur abgebildet ist zu einer Demonstration auf. In diesem Fall stellt das Aufrufen zu einer Demonstration eine versammlungsspezifische Tätigkeit dar. Darüber hinaus bringt A eine islamkritische Meinung zum Ausdruck.2 Ferner ist Art. 8 GG spezieller als die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG und geht dieser somit vor.3 I. Eingriff in den Schutzbereich 1. Schutzbereich eröffnet? a) Personeller Schutzbereich - Natürliche Personen: Deutschengrundrecht (Art. 116 I GG)4 - Juristische Personen: Inländische juristische Personen des Privatrechts (Art. 19 III GG) b) Sachlicher Schutzbereich aa) Gegenstand = „sich friedlich und ohne Waffen versammeln“ 1 Weitere Konkurrenzsituationen sind ggü. Art. 4, 5 III und 9 I GG denkbar. Anders ist der Fall, wenn A lediglich im Rahmen einer bereits bestehenden bzw. im Gange befindlichen Demonstration ein entsprechendes Plakat präsentiert. Hier fehlt der Bezug zu einer versammlungsspezifischen Tätigkeit. Es liegt allein eine Meinungsäußerung vor. 3 Die Auslösung der Subsidiarität im Detail ist der Darstellung des Art. 2 I GG vorbehalten. 4 Ausländer können sich demgegenüber nur auf den Schutz des Art. 2 I GG berufen. Zu den weiteren Problemkonstellationen (z.B. EU-Ausländer etc.), s. zu diesen Problemfeldern den – noch zu besprechenden – Aufbau einer Verfassungsbeschwerde. 2 1 AG Grundrechte SS 2015, 2. Termin, 29.4.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel - Art. 8 GG - (1) Versammlung (a) Zusammenkunft mehrerer Personen - P! Mindestanzahl ? - h.M.: min. 2 Personen (b) Innere Verbindung der Teilnehmer durch einen gemeinsamen Zweck - Abgrenzung ggü. einer bloßen „Ansammlung“ , die nicht von Art. 8 GG geschützt ist (z.B. Personen, die im Kino zusammen einen Film sehen). Kriterium der Abgrenzung ist der gemeinsame Zweck, der dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Zweck die Teilnehmer mit einander verbindet; sie also für die Zweckverfolgung aufeinander angewiesen sind. - P! Qualität des gemeinsamen Zweckes? - enger Versammlungsbegriff: Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung - erweiterter Versammlungsbegriff: Teilhabe öffentlichen und privaten Meinungsbildung an der - weiter Versammlungsbegriff: jeder Zweck reicht aus, solange nur einer innere Verbindung anzunehmen ist (2) friedlich und ohne Waffen5 (a) Waffen = technische Waffen im Sinne des § 1 WaffG und Gegenstände die objektiv gefährlich sind und typischerweise zur Gewaltanwendung mitgeführt werden.6 (b) friedlich = eine Versammlung ist unfriedlich, wenn diese als Ganzes zu Gewalttätigkeiten und Aufruhr führt. 5 Beachte: Hierbei handelt es sich nicht um einen Gesetzesvorbehalt, sondern um eine Beschränkung des Schutzumfanges. 6 Das Tatbestandsmerkmal des Mitführens von Waffen ist zuerst zu prüfen, da es die Unfriedlichkeit indiziert. 2 AG Grundrechte SS 2015, 2. Termin, 29.4.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel - Art. 8 GG - bb) Geschütztes Verhalten - Organisation, Vorbereitung und Durchführung der Versammlung - Freiheit, einer Versammlung fernbleiben zu können 2. Eingriff - i.d.R. wird bereits ein klassischer Eingriff vorliegen, der sich der Möglichkeiten des Versammlungsgesetzes bedient (z.B. Auflösungen, Verbote, Auflagen, Anmeldepflichten).7 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs - Prüfung eines Gesetzes 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes a) Schrankenregelung beachtet? - Versammlungen unter freiem Himmel = einfacher Gesetzesvorbehalt (Art. 8 II GG)8 Versammlungen finden unter freiem Himmel statt, wenn sie unbegrenzt für jedermann zugänglich sind, dies ist insbesondere der Fall, wenn Versammlungen keine feste seitliche Begrenzung haben.9 - Versammlungen in geschlossenen Räumen = verfassungsimmanente Schranke 7 Insoweit gilt ist die sog. Polizeifestigkeit der Versammlung zu beachten, die im Anwendungsbereich des VersG einen Rückgriff auf das Polizeirecht grds. verbietet Vorlesung Polizei u. Ordnungsrecht. 8 Darüber hinaus besteht ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt für Angehörige der Streitkräfte und des Ersatzdienstes (Art. 17a GG). Dieser gilt für beide Versammlungsarten. 9 Hintergrund dieser Auslegung ist der Sinn und Zweck des einfachen Gesetzesvorbehalts des Art. 8 II GG. Dieser soll dem Staat das Eingreifen in den Fällen leichter machen, in denen von den Versammlungen typischerweise ein erhöhtes Konfliktpotential ausgehen. Ein solches Konfliktpotential besteht besonders dort, wo eine Versammlung nicht räumlich z.B. durch Mauern etc. begrenzt ist und damit für z.B. Ausschreitungen besonders anfällig ist. Demnach ist z.B. eine Versammlung in einem Stadion, das nicht überdacht ist aber über seitliche Eingangsbeschränkungen verfügt keine Versammlung unter freiem Himmel. 3 AG Grundrechte SS 2015, 2. Termin, 29.4.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel - Art. 8 GG - s.o. insbesondere Versammlungen, die eine feste seitliche Begrenzung aufweisen. b) Schranken-Schranken beachtet? keinerlei weitere Besonderheiten ggü. dem allgemeinen Aufbau - Prüfung eines Einzelaktes -10 1. Ist eine gesetzliche Eingriffsgrundlage vorhanden? 2. Ist die gesetzliche Eingriffsgrundlage verfassungsgemäß? 3. Ist das Gesetz im konkreten Fall verfassungsgemäß angewendet worden? der allgemeine Aufbau wird hier anhand einiger besonderer Aspekte konkretisiert11 - Auflagenerteilung sind mildere Mittel als Verbote und Auflösungen nach § 5, 13 oder 15 VersG, die daher nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen sind. - Verbote und Auflösungen nach § 15 VersG sind aufgrund der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht schon bei jeder Gefährdung der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, sondern nur zum Schutze von gleichwertigen Rechtsgütern, deren Gefährdung „unmittelbar“ ist, d.h. auf 10 Typischerweise werden die Fallgestaltungen zu Art. 8 GG eine derartige Prüfung vorsehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das VersG als ein bereits längere Zeit real existierendes dem Rechtsanwender Auslegungsspielräume ermöglicht. Mithin ist das VersG (bzw. die entsprechenden Normen) grds. einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich und damit nicht selbst verfassungswidrig. Der Schwerpunkt der Bearbeitung liegt in diesen Fällen dann logischerweise auf der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die Rechtsanwendung im Einzelfall. Anders liegen hingegen die Fälle, in denen ein Gesetz bereits selbst detaillierte Regelungen vorsieht und dem Rechtsanwender im Einzelfall wenig bzw. gar kein Spielraum verbleibt. In diesen Konstellationen liegt der Schwerpunkt – wenn ohnehin nicht nur nach der Überprüfung des eingreifenden Gesetzes gefragt ist – grds. auf der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf das Gesetz (bzw. die jeweilige Norm). 11 Eine hier nicht aufgeführte Sonderkonstellation ist das Vorgehen gegen eine Gegendemonstration (auch diese ist grds. eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG). Welches ggü. dem Vorgehen gegen die Ausgangsversammlung grds. vorzuziehen ist. Ein Vorgehen gegen die Ausgangsversammlung ist nur in den engen Grenzen der Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen möglich Vorlesung Polizei- u. Ordnungsrecht. Ebenfalls ausgeklammert ist hier die Frage, ob allein Gefährdungen allein der öffentlichen Ordnung (v.a. Fälle rechtsextremer Versammlungen) ausreichen, um einen Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, da hierzu ebenfalls Kenntnisse des Polizei- u. Ordnungsrechtes erforderlich sind, um die Begriffe öffentliche Sicherheit und Ordnung unterscheiden zu können. 4 AG Grundrechte SS 2015, 2. Termin, 29.4.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel - Art. 8 GG - erkennbaren Umständen beruht (= verschärfter Prüfungsmaßstab i.R.d. Angemessenheit). - Eil- und Spontanversammlungen unterliegen einer abgekürzten bzw. keiner Anmeldepflicht i.S.d. § 14 VersG. 5
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