Vorab: • Spezielle Konkurrenzsituationen können im Einzelfall zu

AG Grundrechte SS 2015, 3. Termin, 6.5.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel
- Art. 2 II 1 GG -
Vorab:
 Spezielle Konkurrenzsituationen können im Einzelfall zu den anderen
Freiheitsgrundrechten auftreten. Insoweit besteht grds. Idealkonkurrenz
(= die Grundrechte sind nebeneinander anwendbar). Wie bei jedem
speziellen Freiheitsgrundrecht tritt die allgemeine Handlungsfreiheit des
Art. 2 I GG als subsidiär zurück.
I. Eingriff in den Schutzbereich
1. Schutzbereich eröffnet?
a) Personeller Schutzbereich
- Natürliche Personen: „Jedermannsrecht“
 P! Ab wann besteht der Schutz („Nasciturus“)?
- BVerfG: jedenfalls vom 14. Tag nach der Empfängnis (= Nidation)
besteht ein objektiv-rechtlicher Schutz.1
- a.A.: bereits ab Befruchtung der Eizelle
 P! Wann endet der Schutz?
- h.M.: mit dem Erlöschen der Hirnströme2
- Juristische Personen: Inländische juristische Personen des Privatrechts
(Art. 19 III GG) sind nicht geschützt, da die Merkmale Leben und
körperliche Unversehrtheit ihrem Wesen nach nicht auf diese
anwendbar sind.
b) Sachlicher Schutzbereich
1
Nicht geklärt wurde die Frage, ob das ungeborene Leben damit auch selbst im Sinne eines subjektiven Rechts
Grundrechtsträger sein kann.
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Damit wird nur der noch lebende Mensch geschützt. Ein postmortaler Schutz besteht nur als aus Art. 1 I GG
abgeleiteter postmortaler Persönlichkeitsschutz.
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AG Grundrechte SS 2015, 3. Termin, 6.5.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel
- Art. 2 II 1 GG -
aa) Gegenstand = Leben und körperliche Unversehrtheit
- Leben = das körperliche Dasein, d.h. die biologisch-physiologische
Existenz.
- körperliche Unversehrtheit = körperliche Integrität im biologischphysiologischen und psychologischen Sinne.3
P! Erweiterung auf das psychische Wohlbefinden?
- h.M.: (-)  Mindestanforderungen ist ein gewisser
Krankheitswert.
bb) Geschütztes Verhalten
- positiv: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
- P! negativ: Recht auf Suizid ?
- h.M.: (-)  es besteht ein absoluter Lebensschutz, dieser ist nicht
disponibel und schließt damit das Recht auf Suizid aus.4
2. Eingriff
- i.d.R. keinerlei Besonderheiten ggü. allgemeinen Aufbau (also klassischer
oder moderner Eingriff)5
- P! Ausschluss von Eingriffen mit geringer Intensität ?
- BVerfG: ganz geringfügige Belastungen stellen bereits keinen
Eingriff dar (z.B. Soldatenhaarschnitt bei der Bundeswehr).
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Der Schutz der physiologischen Gesundheit ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut. Die Erweiterung auf die
geistige Gesundheit ergibt sich aus der historischen Auslegung vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen
Terrorherrschaft.
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Es verbleibt damit allein der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG, wenn der Staat einen
Suizid verhindert. I.Ü. ist das Recht auf einen menschenwürdigen Tod über Art. 1 I GG geschützt.
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Ein Grundrechtsverzicht ist bezüglich der körperlichen Unversehrtheit möglich, womit ein Eingriff entfällt.
Nicht möglich ist ein Verzicht bezüglich des Lebens. Der Schutz des Lebens ist indisponibel (s.o.)  d.h. selbst
wenn ich in die Tötung durch den Staat einwillige ist dies ein Eingriff.
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AG Grundrechte SS 2015, 3. Termin, 6.5.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel
- Art. 2 II 1 GG -
- a.A.: auch ganz geringfügige Belastungen stellen einen Eingriff dar;
es handelt sich um einen Umstand, der erst auf der Ebene der
Rechtfertigung zum Tragen kommt.
II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
- Prüfung eines Gesetzes 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
a) Schrankenregelung beachtet?
- Einfacher Gesetzesvorbehalt (Art. 2 II 3 GG).
b) Schranken-Schranken beachtet?
 Besonderheiten ggü. dem allgemeinen Aufbau:
 Art. 104 I 2 GG
 Art. 102 GG6
 Wesentlichkeitstheorie
 Wesengehaltsgarantie (Art. 19 II GG)7
 Verhältnismäßigkeitsprüfung
 im Rahmen der Angemessenheit ist zu beachten, dass der mit
dem Schutz des Art. 2 II 1 GG (v.a. wenn es um das Schutzgut Leben
geht) unantastbare Menschenwürdegehalt gewahrt bleibt.8
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Die Zulässigkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe ist umstritten. Geht man davon aus, dass die
Todesstrafe den der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG unterliegenden Menschenwürdegehalt betrifft, wird
man von einer Unzulässigkeit ausgehen müssen.
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Erst dann tangiert, wenn es um kollektive Eingriffe geht. Allgemein zur Theorie vom relativen und vom
absoluten Gehalt, s. Epping, 6. Auflage, S. 32 (oder 3. Auflage S. 58).
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AG Grundrechte SS 2015, 3. Termin, 6.5.2015, Wiss. Mit. Dominik Wedel
- Art. 2 II 1 GG -
- Prüfung eines Einzelaktes 1. Ist eine gesetzliche Eingriffsgrundlage vorhanden?
2. Ist die gesetzliche Eingriffsgrundlage verfassungsgemäß?
3. Ist das Gesetz im konkreten Fall verfassungsgemäß angewendet
worden?
 Grds. keinerlei Besonderheiten ggü. dem allgemeinen Aufbau; im
Rahmen der Angemessenheit des Einzelaktes ist aber auch hier ein
möglicher Bezug zum unantastbaren Menschenwürdegehalt zu beachten.
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Ein Beispiel hierfür ist das sog. Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss eines Flugzeuges von dem eine
Terrorgefahr ausgeht vorsah und dabei das Leben der unschuldigen Passagiere opfern wollte. In engen Grenzen
zulässig kann jedoch der sog. finale Rettungsschutz sein.
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