Nachrichten aus Deutschland Nr. 33 / 21.05.2015 1. Migranten als Firmengründer 2. Eon baut neuen Windpark 3. «Benehmen» als Pflichtfach? Liebe Leser, der Newsletter der Deutschen Botschaft Sofia, einschließlich der bisher erschienenen Ausgaben (Archiv), kann auf der Botschaftshomepage in deutscher und in bulgarischer Sprache gelesen werden: http://www.sofia.diplo.de/Vertretung/sofia/de/01/Nachrichten__aus__Deutschland.html http://www.sofia.diplo.de/Vertretung/sofia/bg/01/Nachrichten__aus__Deutschland.html 1. Migranten als Firmengründer Frankfurt/Main (dpa) - In der Frankfurter Falkstraße sollen große Träume zu barer Münze werden. Junge kreative Leute aus Frankreich, Kamerun oder aus der Türkei sitzen hier an ihren Schreibtischen und schmieden eifrig Zukunftspläne. Die Ideen sind verschieden, das Ziel ist dasselbe: Sie wollen ein eigenes Unternehmen in Deutschland gründen. Helfen soll das Projekt «ChancenNutzer», bei dem Experten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Voraussetzung ist aber: Die Teilnehmer sind nicht deutsch. Nach Angaben der Programmleiter ist «Chancen Nutzer» bundesweit das erste Angebot dieser Art für Menschen unter 30 Jahren mit Migrationshintergrund. Das Projekt ist Teil der Organisation «Social Impact Lab Frankfurt», eine Initiative der gemeinnützigen Stiftung JP Morgan Chase Foundation, der KfW Stiftung und der Social Impact GmbH. Die Start-Up-Werkstatt öffnete im Februar 2014 ihre Pforten, aus etwa 30 Kreativen besteht das Team unter der Leitung von Berater Nils Hafa derzeit. Mit dabei sind auch der Deutsch-Türke Murat Serbes und sein bulgarischer Ex-Studienkollege, Bogdan Obretenov. Sie wollen gemeinsam eine mobile Plattform für Gastronomen ins Leben rufen. Das Projekt bietet den beiden studierten Wirtschaftswissenschaftlern die Möglichkeit, sich mit anderen Gründern auszutauschen, mit ihnen die Räumlichkeiten zu teilen und so Kosten zu sparen. Nur einige der vielen Vorteile, sagen sie: «Wir kennen nur die Theorie, aber haben viele praktische Fragen: Wie geht Buchhaltung, worauf muss man bei Verträgen achten, wie sollen wir das ganze Projekt umsetzen?», sagt der 25-jährige Bulgare. Bei Vorträgen und Seminaren im «Social Impact Lab Frankfurt» finden die beiden die gesuchten Antworten. Mit dem Wunsch vom eigenen Unternehmen sind Obretenov und Serbes nicht alleine. «Generell haben wir in der ausländischen Bevölkerung und bei den Neuzuwanderern eine höhere Quote von Selbstständigen als bei uns», sagt der Migrationsforscher Herbert Brücker am Institut für Arbeitsmarkt- Berufsforschung. Grund seien die deutlich schlechteren Chancen, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. In ihr Heimatland zurückzugehen, ist für viele trotzdem keine Option: «Ich kann mich da nicht weiterentwickeln, die wirtschaftliche Situation ist in Bulgarien nicht so gut», sagt Obretenov. Vor allem die deutsche Wirtschaft profitiert von den teils schlechten Perspektiven der Menschen. Einer KfW-Studie des vergangenen Jahres zufolge gab es im Jahr 2013 bundesweit rund 868 000 Gründer - 21% davon waren Migranten. Einige von ihnen haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Migranten beschäftigen der Studie zufolge häufiger von Anfang an Mitarbeiter, schaffen so neue Arbeitsplätze und erhöhen den Erneuerungs- und Effizienzdruck auf bestehende Unternehmen. Vor allem der Handel ist beliebt - hier entsteht etwa jedes vierte Unternehmen. «Es ist anzunehmen, dass sie den Markt für Waren aus ihren Herkunftsländern besser einschätzen können und bei günstigen Geschäftsgelegenheiten aktiv werden», sagt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Dadurch steigt nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern Brücker zufolge auch die Wahlfreiheit für den Konsumenten: Die Vielfalt des ganzen Angebotes habe sich enorm vergrößert und verändere dadurch auch die deutsche Kultur. «Ohne den Italiener an der Ecke können wir uns ein Leben in Deutschland eigentlich gar nicht mehr vorstellen.» Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt beleben das Geschäft, darin sind sich die Experten einig. Die Idee einer Gründerschmiede findet Brücker deshalb gut. Er warnt aber vor zu viel Euphorie. Denn was passiert, wenn der Plan vom Start-Up nicht aufgeht? «Viele Migranten können sich so ein Scheitern gar nicht leisten», sagt der Experte. Wenn dann die sozialstaatlichen Leistungen fehlen sollten, bedeute das im Ernstfall den Weg zurück ins Heimatland. Laut der KfW-Studie ist ein Abbruch gar nicht so unwahrscheinlich. Bereits nach 12 Monaten bestehen rund 15% aller neugegründeten Unternehmen im Schnitt nicht mehr, nach drei Jahren sind es rund 30% - unter Migranten liegt die Abbruchquote sogar noch höher. In dem Frankfurter Projekt will daran noch keiner denken. Getrieben vom Wunsch, irgendwann der eigene Chef zu sein, arbeiten die jungen Leute weiter. «Ich möchte gründen, damit ich die Freiheit habe, meinen Arbeitstag selbst zu gestalten», sagt Obretenov. «Es geht um die freie Entfaltung», beschreibt es Serbes. 2. Eon baut neuen Windpark Düsseldorf (dpa) - Deutschlands größter Energiekonzern Eon baut mit Milliardenaufwand einen neuen Windpark vor der britischen Küste. Der Offshore-Windpark Rampion soll 13 Kilometer vor der Küste von Sussex im Ärmelkanal entstehen und rund 1,9 Milliarden Euro kosten, wie der nach wie vor mit den Folgen der Energiewende kämpfende Konzern bei der Bekanntgabe der Investitionsentscheidung in Düsseldorf berichtete. Die Anlage soll jährlich etwa 1300 Gigawattstunden erneuerbare Energien erzeugen - genug, um umgerechnet 300 000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Als Partner ist die britische Green Investment Bank mit 327 Millionen Euro an dem Projekt beteiligt. Eon übernimmt bei dem Joint Venture Bau-, Betriebs-, Instandhaltungs- sowie Energiemanagement-Dienstleistungen. Dazu gehört auch die Anbindung des Windparks über Unterseekabel an das nationale Stromnetz, die Verlegung von rund 26 Kilometer Landleitungen und die Errichtung von Umspannwerken an Land. Diese Offshore-Übertragungsanlagen will Eon im Rahmen eines regulierten Verkaufsprozesses nach Fertigstellung veräußern. Eon ist nach eigenen Angaben der weltweit drittgrößte Betreiber von Offshore-Windparks. Sieben Windparks mit einer Gesamtleistung von 1,2 Gigawatt sind bereits fertiggestellt, weitere Anlagen mit einer Leistung von 507 Megawatt sind derzeit im Bau. Seit 2007 hat Eon in diesem Bereich bereits über 9,5 Milliarden Euro investiert. 3. «Benehmen» als Pflichtfach? Berlin (dpa) - «Benehmen» als Schulfach, am besten gar verpflichtend? Das hört sich zunächst nach konservativem Tugendwahn an - aber drei von vier Bürgern in Deutschland (75%) sind nach einer neuen Umfrage dafür. 51% meinen, dass Benimm-Kurse an Schulen Pflicht sein müssten, für 24% immerhin Wahlfach. Ein obligatorisches Unterrichtsfach «Benehmen» läge den Befragten damit mehr am Herzen als «Wirtschaft» (48%), «Gesundheitskunde» (42), «Suchtprävention» (39) oder «Computerprogrammierung» (35). Die Befragung des Institutes YouGov unter 1330 Bürgern zeigt auch (weniger überraschend), dass älteren Menschen die Unterweisung in korrekten Umgangsformen viel wichtiger ist als jungen. Insgesamt spiegelt die Umfrage zu bereits existierenden, aber eher seltenen und zu möglichen neuen Fächern ein verbreitetes Unbehagen mit den Lerninhalten an deutschen Schulen anno 2015 wider. Denn zwei von drei Befragten (68%) stimmen «voll und ganz» oder «eher» der Ansicht zu, dass Schüler «zu viel unnützes Zeug» lernen. Lehrer sollten auch Computer- und Wirtschaftskenntnisse (je 91% Zustimmung) und Gesundheit (89) als Pflichtoder Wahlfächer unterrichten. Selbst Schönschrift fände noch jeder Zweite gut als Pflicht(17%) oder Wahlfach (37). Nicht nur Lehrern stellt sich da die Frage: Was soll Schule denn noch alles leisten? So einiges vom Wunschzettel der Bürger - freilich nicht «Benehmen» empfiehlt die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Bundesländer schon länger als «fächerübergreifende Inhalte» für den Unterricht. Das betreffe «vor allem Fragen der politischen und wirtschaftlichen Bildung im weitesten Sinne» und sei «in der Regel Gegenstand mehrerer Unterrichtsfächer» - um neue Pflichtfächer geht es also hier noch nicht. «Wirtschaftliche Bildung» oder «Verbraucherbildung» etwa soll laut KMK stärker in den Lehrplänen der Schulen verankert werden. Länder wie Schleswig-Holstein oder Bayern sind bereits vorangegangen. Sehr plakativ - für manche auch platt - hatte vor wenigen Wochen die Kölner Schülerin Naina (17) ihren Ärger über heutige Lerninhalte per Twitter verbreitet und ein Riesen-Echo erzeugt. «Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern und Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen»: Damit fand Naina - neben Spott und Kritik im Netz - auch Gehör in der Politik. «Ich bin dafür, in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln», stimmte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im Grundsatz zu, fügte jedoch hinzu: «Es bleibt aber wichtig, Gedichte zu lernen und zu interpretieren.» Und die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) wies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur nicht nur auf die weiterhin erforderliche Verantwortlichkeit der Eltern für bestimmte «Alltagsfähigkeiten» hin, sondern warnte auch indirekt vor einer Überdehnung der Lehrpläne: «Wie schaffen wir das, ohne dass wir ständig von oben draufsatteln?» Die Wissenschaft nimmt sich des Themas ebenfalls an. So sollten nach Ansicht des hochkarätig besetzten Aktionsrats Bildung die Schulen in Deutschland mehr Wert auf Persönlichkeitsentwicklung legen. Lehr- und Lernprozesse dürften sich nicht nur auf Wissensvermittlung beschränken, heißt es in einem neuen Gutachten des Gremiums um die Bildungsforscher Dieter Lenzen und Wilfried Bos. Wichtig sei «mehrdimensionale Bildung», um Schüler «bei der Entwicklung einer verhaltenssicheren und lebensfähigen Persönlichkeit zu unterstützen». «Bildung ist mehr als Fachwissen. Überfachliche Kompetenzen müssen stärker als heute in den Lehrplänen verankert werden», sagte der Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal, zu dem Gutachten. «Nicht nur Mathematik, Deutsch und Englisch sind relevant. Eine gesunde Charakterbildung ist genauso wichtig.» Das war natürlich nicht gleich als Plädoyer für ein Pflichtfach «Benehmen» oder als Zustimmung zu Nainas Frust-Thesen zu verstehen. Aber gegen mehr schulische Unterweisung in den bürgerlichen Tugenden oder lebensnahem Wissen hätte die Wirtschaft wohl auch nichts.
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