Wie mobil sind die Erwerbstätigen in Deutschland und Europa? - iga

Wie mobil sind die Erwerbstätigen in
Deutschland und Europa?
Verbreitung, Formen und Anlässe beruflich veranlasster
räumlicher Mobilität im europäischen Vergleich
Empirische Befunde aus der Studie “Job Mobilities and Family Lives in Europe”
3. iga Expertendialog in Dresden am 16.8.2010
Prof. Dr. Norbert F. Schneider
Räumliche Mobilität in Europa – gegenwärtige Situation
•
80 % der Europäer (EU 25)* leben in der Region, in der sie aufgewachsen sind
•
1,5 % der Europäer (EU 25) leben in einem anderen europäischen Staat als
ihrem Heimatland (Migranten)
•
Nur 25 % dieser Menschen migrierten aus beruflichen, hingegen 75 % aus
privaten Gründen, insbesondere aus Liebe (30 %) oder eines besseren Klimas
wegen (24 %)
•
1 % der Europäer (EU 25) im erwerbsfähigen Alter zieht pro Jahr aus
beruflichen Gründen um
•
Zum Vergleich: 2,3 % der US-Amerikaner und 2,1 % der Kanadier ziehen pro
Jahr berufsbedingt um
Quellen: Eurostat 2006; EU Commission 2007; US Department of Labor 2002
* 25 Länder der Europäischen Union (ohne Rumänien und Bulgarien)
Räumliche Mobilität im historischen Wandel
•
Berufliche Mobilität ist kein neues Phänomen
•
die gegenwärtige Intensität erscheint im historischen Vergleich nicht als
außergewöhnlich hoch
•
kennzeichnend für die Gegenwart ist die besondere positive gesellschaftliche
Bewertung von Mobilität
•
in Zeiten zunehmender Mobilitätserfordernisse erscheint Mobilität als
ambivalentes Phänomen: sie eröffnet neue Chancen und Möglichkeiten, geht
aber auch einher mit zahlreichen negativen Begleiterscheinungen für
Gesundheit und subjektives Wohlbefinden
Typologie des mobilen Lebens
Permanenz
residenzielle Mobilität
zirkuläre Mobilität
Häufigkeit
einmal
Rhythmus
mehrmals
jährlich
quartalsweise
monatlich
wöchentlich
täglich
Abwesenheit über Nacht
häufig
nie
Regelmäßigkeit
hoch
Umzugsmobile
a) Fernumzug
innerhalb
eines Landes
Fernbeziehungen
Saisonarbeiter
+
Semi - Migranten
b) Migranten und
Trans - Migranten
Wochenendpendler
Erwartbarkeit
Fernpendler
gering
(Shuttlers)
“Übernachter”
c) Auslandsentsendete
Vari – Mobile und
Dienstreisende
Job - Nomaden
gering
hoch
Studiendesign
•
Repräsentative Erhebung: 5.552 Befragte im Alter zwischen 25 und 54
Jahren aus sechs europäischen Ländern (Spanien, Frankreich, Belgien,
Schweiz, Polen, Deutschland)
•
Zusätzlich wurden weitere 1.668 mobile Personen befragt, um eine größere
empirische Basis mobiler Menschen zu erhalten
•
Insgesamt wurden 7.220 Interviews geführt, darunter 2.432 mit mobilen
Personen
•
Drei Forschungsschwerpunkte:
- Verbreitung und Vielfalt berufsbedingter räumlicher Mobilität in Europa
- Gründe und Umstände der Entstehung beruflicher Mobilität
- Konsequenzen beruflicher Mobilität auf Familienleben, Karriere,
subjektives Wohlbefinden und soziale Beziehungen
Zur Verbreitung räumlicher Mobilität in Europa
Gegenwärtige und frühere Mobilitätserfahrungen
von Erwerbstätigen nach Ländern (in %)
F
D
E
PL
CH
B
EU6
gegenwärtig mobil
15
19
14
15
13
17
16
vormals mobil
36
31
38
21
38
25
32
Personen ohne
Mobilitätserfahrung
49
51
48
63
49
58
52
100
100
100
100
100
100
100
Insgesamt
Quelle: JobMob and FamLives 2008
Mobilitätsformen
F
D
E
PL
CH
B
EU6
zirkulär mobil
65
68
83
76
73
87
70
residenziell mobil
27
23
12
12
18
11
22
8
9
6
12
9
2
8
100
100
100
100
100
100
100
in beiden
Formen mobil
Insgesamt
Quelle: JobMob and FamLives 2008
Mobilitätsformen
EU6
zirkuläre
Mobilitätsformen
residenzielle
Mobilitätsformen
Fernpendler
41
Vari-Mobile (Personen, die oft auf
Geschäftsreisen sind)
20
Wochenendpendler (Shuttler)
3
Fernbeziehungen
4
Umzug innerhalb eines Landes
18
Migranten
Multi-Mobilität
Insgesamt
2
Zwei oder mehr Mobilitätsarten gleichzeitig
13
100
Quelle: JobMob and FamLives 2008
Wer ist mobil?
Soziodemografische Merkmale und Mobilität
Soziodemografie und Mobilitätsform
Zwischen sozialen Gruppen bestehen teilweise sehr relevante Unterschiede.
Von besonderer Bedeutung sind Alter, Geschlecht, Bildung und
Familiensituation
•
Alter: Jüngere Personen (25 bis 34 Jahre) haben eine etwa 2-fach höhere
Chance auf Umzug als ältere (35 Jahre und älter); ältere Personen
bevorzugen zirkuläre Mobilität, besonders Fernpendeln, jüngere neigen zu
Umzug
•
Bildung: Die Chance auf residenzielle Mobilität nimmt mit steigender
formaler Bildung zu. Personen mit Universitätsabschluss haben eine 17fach höhere Chance auf beruflich veranlasste residenzielle Mobilität als
Hauptschulabsolventen
•
Familiensituation: Alleinstehende haben eine etwa 6-fach höhere Chance
residenzieller Mobilität im Vergleich zu Personen mit Partner
•
Geschlecht: Männer sind mobiler als Frauen. Aber: Frauen sind mobiler als
Männer – solange sie keine Kinder haben.
Anteile mobiler Personen nach Familiensituation und Geschlecht
Mobile Vollerwerbstätige in Deutschland
35
31
30
30
27
25
23
21
20
Männer
Frauen
15
9
10
5
0
without
without
ohnepartner,
Partner,
children
ohne
Kinder
with
partner,
without
mit
Partner,
children
ohne
Kinder
with partner
and children
mit Partner
und Kindern
Quelle: JobMob and FamLives 2008 – deutsche Daten
Zusammenfassung
•
Beruflich bedingte Mobilität ist in Europa weit verbreitet. Etwa die Hälfte der
Europäer verfügt über berufliche Mobilitätserfahrungen
•
Die Europäer sind heimatverbunden, aber als Pendler hoch mobil
•
Das primäre Merkmal des Wandels beruflicher Mobilität ist nicht ihr Anstieg,
sondern die zunehmende Substitution von residenzieller Mobilität durch
zirkuläre Mobilitätsformen
•
Verändert hat sich weniger die Wegezeit, gestiegen sind jedoch die
überbrückten Distanzen
•
Zwischen den Ländern bestehen bezüglich Ausmaß und Erscheinungsformen
der Mobilität zum Teil erhebliche Unterschiede
•
Deutschland zählt zu den Ländern mit einer erhöhten Mobilitätsdynamik und
es weist eine überdurchschnittliche residenzielle Mobilität auf
•
Im Mobilitätsverhalten bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den
sozialen Gruppen. Insbesondere Geschlecht, Bildung, Alter und die familiäre
Situation beeinflussen die Mobilität der Menschen
Ausblick
•
In Zeiten steigender Mobilitätserwartungen entwickelt sich
„Bewegungsfähigkeit“ zu einer wichtigen sozialen Kompetenz. Wer über
diese persönliche Fähigkeit nicht verfügt, gehört rasch zu den Verlierern in
einer hochmobilen Gesellschaft.
•
Menschen mit einer geringen Mobilitätskompetenz sind mit vier Risiken
konfrontiert: erhöhte Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung,
vermindertes subjektives Wohlbefinden, eingeschränkte Karrierechancen,
geringere soziale Integration und Partizipation
•
Die hohe Wertschätzung, die Mobilität seitens Wirtschaft und Politik
erfährt, verstellt den Blick auf die negativen Begleiterscheinungen
•
Politik und Arbeitgeber haben die Aufgabe, mobilitätsinduzierte Risiken zu
minimieren und die Mobilitätskompetenzen zu stärken
Prof. Dr. Norbert F. Schneider
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Friedrich-Ebert-Allee 4
65185 Wiesbaden
Tel.: 0611-754516
Fax: 0611-753960
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