Kraftprotz auf Zeit

Kraftprotz auf Zeit
Handelsblatt print: Nr. 104 vom 03.06.2015 Seite 001 / Tagesthema
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Kraftprotz auf Zeit
Der deutsche Arbeitsmarkt erreicht Rekordzahlen. Die hiesige Konjunktur lässt sich von der schwächelnden
Weltwirtschaft nicht beirren. Experten rechnen mit weiterem Wachstum. Wie lange kann der Boom anhalten?
Es sind harte Zeiten für die Weltwirtschaft: Die Griechenland-Krise hält Europa in Atem. China schwächelt. Und dann
schwenkten selbst die USA vom Wachstumskurs ab und rutschten zu Jahresbeginn ins Minus. Nur Deutschland brummt
weiter.
Im Mai ist die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen auf deutlich unter 2,8 Millionen gefallen, den niedrigsten Wert seit 1991.
Damals glaubte man, die wiedervereinigte Wirtschaft könnte den Boom fortführen, den die westdeutsche Industrie zuvor
vollführt hatte. Was dann folgte, waren Jahre der Ernüchterung. Heute ist das Wachstum robuster. Wie ein Tempomacher
beim Marathon sind die Deutschen zuletzt vorangelaufen: In den vergangenen fünf Jahren fiel das Wachstum hierzulande
chronisch höher aus als in der Euro-Zone, im Schnitt um mehr als einen Prozentpunkt.
Zwar war der Start ins Jahr 2015 eher mau, dennoch rechnen Volkswirte mit einem weiteren guten Jahr. Carsten-Patrick Meier
vom Forschungsinstitut Kiel Economics hält sogar zweieinhalb Prozent Wachstum für denkbar.
Hauptgrund für den Optimismus: die kraftstrotzende Industrie. "Früher hat man vorschnell gesagt, die deutsche Industrie sei
oft nur in den Nischen stark", sagt Michael Grömling, Konjunkturchef beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Aber
heute sind aus vielen dieser Nischen Weltmärkte geworden." Abgesehen von den USA verstehe man es nirgends so gut,
Internet und Industrie zu verbinden.
Zwar droht dem deutschen Exportsektor Ungemach aus Übersee - schließlich sinkt mit Ausnahme Indiens die
Importnachfrage in allen großen Schwellenländern. Doch gleichzeitig erholt sich die Euro-Zone endlich. "Das kompensiert die
Flaute dort", sagt Ökonom Meier.
Ist Deutschland also auf dem Weg in die Vollbeschäftigung? Immerhin: Das Wachstum könnte weitergehen. Nach vorsichtigen
Prognosen des Internationalen Währungsfonds liegt es selbst in den Jahren um 2020 noch bei rund 1,3 Prozent.
Doch der demografische Wandel wird den Fachkräftemangel verschärfen. Noch nie gab es so viele offene Stellen wie heute.
Und so wohnt dem Erfolg auch eine typisch deutsche Tragik inne: Es könnte alles noch besser laufen.
Deutscher Aufschwung Seiten 4, 5
Müller, Hans C.
Schrinner, Axel
Quelle:
Handelsblatt print: Nr. 104 vom 03.06.2015 Seite 001
Ressort:
Tagesthema
Seite 1
Serie:
Der deutsche Aufschwung (Handelsblatt-Beilage)
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Kraftprotz auf Zeit
Dokumentnummer:
9C046E0F-4DED-49AD-BE40-920DB31E7227
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