Das 5. Lückendorf Bergrennen am 26.05.1929 wurde zum

Das 5. Lückendorf Bergrennen am 26.05.1929
wurde zum schwärzesten Tag der Zittauer Renngeschichte
In jedem Jahr entstand an der Haarnadelkurve als Repräsentations- und besonderes
Schmuckstück des Lückendorf Bergrennens eine sogenannte fliegende Holztribüne,
deren Errichtung jedes Mal rund 2500 Mark verschlang, während die Einnahmen sich
nicht wesentlich über 1200 Mark bewegten. So wurde in jedem Jahr neu das Bergrennen von vornherein mit 1300 Mark Unkosten belastet, die für die Finanzierung des
Rennens nicht unwesentlich sind und zum Beispiel im Vorjahre zu einem Defizit des
Rennens trotz der nahezu 30 000 Zuschauer geführt haben.
Da in diesem Jahre das am 26. Mai stattfindende Bergrennen durch den Gau XI
(Freistaat Sachsen) und nicht mehr durch den Bezirk Bautzen gemeinsam mit dem
Auto-Club Zittau, Ortsgruppe des ADAC, organisiert wurde, die Finanzgebarung also
in andere Hände gegangen war, glaubten die für die Abrechnung verantwortlichen
Dresdner Herren das Risiko eines fliegenden Tribünenbaus nicht mehr auf sich nehmen zu können, umso mehr, als diesmal die Absperrung rund 2000 Mark und Hinterlegung für evtl. entstehenden Forst- und Straßenschaden rund 2600 Mark vor Beginn
des eigentlichen Rennens erforderten, und so die Bilanzierung der Veranstaltung
mehr als erschwert wurde. So entstand in den letzten Wochen im Schoße des AutoKlubs Zittau der Gedanke, noch im letzten Augenblick an die Errichtung einer Erdtribüne heranzugehen. Drei Vorbedingungen mussten erfüllt werden, bis man zu jenem
erfreulichen Punkt der Vergebung kam. Zunächst musste einmal Sicherheit geschaffen werden, dass das Rennen für die nächsten Jahre erhalten bleibt. Nachdem dies
von der O.N.S. zugesichert war, galt es, bei den städtischen und staatlichen Körperschaften verschiedene Bauvorteile zu erlangen. Die Stadt hat sich in der Tribünenfrage überaus großzügig verhalten und den Grund und Boden zunächst für 3 Jahre
kostenlos zur Verfügung gestellt. Am wichtigsten war endlich die Finanzierungsfrage,
die jetzt in einer Weise als gelöst bezeichnet werden konnte. In kürzester Zeit war
durch den Auto-Klub eine Summe von 4800 Mark aufgebracht, die sich bei den noch
ausstehenden Zeichnungen der restlichen Mitglieder rasch auf die benötigte Bausumme von 7000 Mark erhöhte.
Die Erstellung von 3 Erdterrassen mit 472 Sitzplätzen und außerdem noch 100 Stehplätze sah das Projekt vor, eine Erweiterung für nochmals 200 Plätze war bereits geplant. Der Zuschlag wurde an die Klubmitglieder Baumeister Hentschel und Baumeister Rammer vergeben.
80 Nennungen waren eingegangen, 20 für Sonderläufe für nationale Lizenzinhaber
und 40 bzw. 20 für internationale Lizenzen bei Motorrädern und Wagen. Stegmann,
Semmt, König und Brudes waren dabei wie der deutsche Meister Herbert Ernst und
viele Prominente. Herta Geißler als Doppelstarterin für Solo und Beiwagen, „Girl Flyer“ hatte in Frau Wolff von der Sahl auf DKW eine Kontrahentin erhalten. Caracciola
war im Gespräch, Hans Stuck, der in dem Jahre bereits 5 Rennen mit Rekord beendet hatte, war bereits gemeldet, Burggaller, Oestreicher, Simons, Prinz zu Leiningen,
der tschechoslowakische Meisterfahrer Mahla, alle standen auf der Liste. Letztlich
erfolgte von Caracciola nicht die Zusage und in letzter Minute meldete sich wegen
einem Start in Rom, auch noch Hans Stuck ab.
So konnte es losgehen, die Vorbereitungen waren nicht anders als in den zurückliegenden Jahren, nur, viel mehr Menschen waren auf den Beinen, von 40 000 Zuschauern wurde gesprochen.
Startatmosphäre, das Messband vor dem Fahrer ist sichtbar, durch das Zerreißen wird der
Messvorgang eingeleitet
(Auszug aus Z.M.Z.) . . . die erhoffte Steigerung von Besucherziffern hatte sich erfüllt,
aber die Steigerung des sportlich, erstklassigen Geschehens wurde überschattet von
den Toten und Verletzten einer Rennkatastrophe, die demjenigen die Feder erlahmen lässt, der sich anschicken will, die sportlichen Taten der Besten zu würdigen.
Das Lückendorf Bergrennen 1929 ist zu einem deutschen Monte Carlo geworden,
wenn auch die Anzahl der Todesopfer nicht an diejenige des italienischen, vorjährigen, schweren Unglücks heranreicht. Aber die Tatsache, dass ein Rennwagen in die
Zuschauermassen hineinfliegt und dort seine Opfer sucht, ist bei deutschen Rennstrecken so selten, dass die Katastrophe doppelt eindrucksvoll in Erscheinung tritt
und an Tragik dazu noch durch den Umstand gewinnt, dass es sich keineswegs um
einen Anfänger handelte, dem das Volant locker in den Händen lag, sondern um einen alten und kampferprobten Fahrer, der seine Klasse in vielen internationalen
Rennen unter Beweis gestellt hat und von dem man erwartete, dass es ihm gelingen
würde, den Streckenrekord wieder an die Kategorie der Rennwagen zu heften:
Mahla - Morchenstern. Wer ihn beim Training sah, wer seine Maschine mit Vollgas
auf den Geraden und die Fahrtechnik des Lenkers in den schwierigen Kurven schon
an den Trainingstagen bewundern konnte, wusste, dass es höchstens Mahla gelingen würde, Stegmann zu schlagen und in diesem Kampf um die Zehntelsekunden
einen neuen Streckenrekord aufzustellen. Aber es sollte anders kommen, seiner
brausenden Fahrt setzte das Unheil ein Ziel und warf ihn aus fürchterlichstem Renntempo, nachdem sein Fahrzeug 16 Zuschauer niedergemäht hatte, schwerverletzt
und mit defekter Maschine zur unheilvollen Ruhe auf die Strecke. Mahlas Rekordfahrt war zu Ende.“
Ernst von Mahla aus Morchenstern im Grand Prix Bugatti am Start
Zurück zum Auftakt - strahlender Sonnenschein lag auf den Fluren, das Rennen
konnte beginnen. Um dem verstärkten Zuschauerstrom unter Kontrolle zu halten,
wurde aus Dresden zusätzlich eine Hundertschaft der Gendarmerie herangebracht.
Mit einem kräftigen „Töff - töff, - Heil“ wurde durch Rennleiter Ertelt die neue Erdtribüne eingeweiht. Darauf wurde die Fahne des Auto-Klubs Zittau, gemeinsam mit der
Reichsflagge, der ADAC- und der Landesflagge am Mast hoch gezogen.
Der sportliche Erfolg des Rennens wird am besten dadurch gekennzeichnet, dass
nicht weniger als vier Fahrer (Stegmann, Klein, von Morgen und Prinz zu Leiningen)
unter dem alten Streckenrekord von 2:33,4 min. blieben und das auch die Rekorde in
den einzelnen Fahrzeugkategorien zum Teil sehr beträchtlich unterboten wurden. Es
war ein Rennen der fallenden Rekorde, was mehr als die Fahrerleistungen bedeutete, was die Gesamtheit der Startenden an Qualitätsleistungen vollbrachte. Stegmanns neuer Rekord steht nun auf 2:27,3 min. = 97,760 km/h!! Stegmann leistete
sich bei seiner ersten Fahrt ein motorsportliches Bravourstückchen. Obwohl er mit
seiner Maschine oberhalb des „Steinernen Tisches“ in hohem Tempo gestürzt war
und einige Meter über die Strecke schlitterte, bestieg er rasch wieder seine Maschine
und blieb mit 2:53 noch immer unter 3 Minuten und fuhr wenig später auf der BMW
den Streckenrekord.
Der Chemnitzer Arno Loose im Daimler Benz
In der Sportwagenklasse brachte es Prinz zu Leiningen aus Amorbach auf seinem
Mercedes SS auf die gute Zeit von 2:31,2 min., musste aber die schnellste Zeit der
Wagen an den Amilcarfahrer v. Morgen, Berlin abtreten, der mit 2:29,2 min. die effektiv schnellste Zeit aller Wagen fuhr. Besonders beachtlich erweist sich auch der neue
Rekord der Seitenwagenklasse, den der Zittauer Erwin Dornig auf BMW, in der Klasse über 600 ccm aufstellte und dabei den Rekord unter die 3 - Minuten- Grenze
drückte.
Der Zittauer BMW Fahrer Erwin Dornig
Artur Schwarz mit dem 1000er Indian Gespann, die Namen der Beifahrer wurden erst
Jahre später im Programm genannt
Hermann Wanitschek auf dem 1000er Ariel Gespann
Bereits vor dem Rennen war es zu einem kleinen Unfall gekommen, als durch die
Rücksichtslosigkeit eines Dresdner Autofahrers die Seitenwagenmaschine der Polizeileitung angefahren wurde und dabei in den Straßengraben flog. Dabei erlitt der
Dresdner Polizeioffizier, Oberleutnant Wolschke, eine Auskugelung des Armes und
Quetschungen. Gendarmerie Hauptmann Querner aus Zittau landete trotz mehrfachen Überschlagens lediglich mit einigen Verstauchungen im Graben.
Die Lokalpresse widmete dem Unfall von Mahla eine Extraseite, daraus noch einige
Auszüge:„Es war gegen ¾ 11 Uhr, als die etwa 40 000 Zuschauer den Grand Prix
Bugatti Nr. 70 mit Ernst Mahla aus Morchenstern, als letzten Rennwagen - Hans v.
Stuck war nicht erschienen - mit Spannung erwarteten. Von der Tribüne hörte man in
der Ferne das typische Singen eines hochtourigen Kompressormotors, dass immer
stärker wurde und plötzlich abriss. Man nahm an, dass der Rennfahrer vor der Kurve
an der König - Johann - Quelle das Gas gedrosselt hätte, um mit verminderter Geschwindigkeit die Kurve zu nehmen und erwartete jeden Augenblick das Wiedereinsetzen des Kompressorsingens. Aber es blieb ruhig an der Strecke, zehn, zwölf bange Sekunden lang. Bis jeder wusste, dass irgendetwas Unerwartetes geschehen sein
müsse.
Da sah man auch schon die Gefahr kündende gelbe Flagge schwenken. Inzwischen
trafen im Bereich der Rennleitung, welche ihren Platz gegenüber der Tribüne in der
Haarnadelkurve hatte, die ersten Hiobsbotschaften ein. Ein Rennfahrer sei ins Publikum gefahren, die Unglücksstelle biete ein Bild des Grauens, mehrere Menschen seien getötet, zahlreiche Zuschauer schwer verstümmelt. Trotz dieser Schreckenskunde, die sich nunmehr selbstverständlich schnell verbreitete, blieb - das muss man an
dieser Stelle lobend anerkennen - die Mehrzahl des Publikums völlig ruhig und die
tadellos arbeitenden Absperrmannschaften der Polizei brauchten nur in wenigen Fällen energisch werden.
Diese Aufnahme entstand unmittelbar nach dem Unfall, Mahla sitzt noch im Bugatti
Was war geschehen? Der internationale Rennfahrer Ernst Mahla kämpfte auf seinem
Bugatti, nachdem Karl Stegmann den Rekord gedrückt hatte, mit höchster Anstrengung um den Tagessieg. Der rasende Rennwagen schoss bereits beim Start wie ein
Pfeil davon. Man schätzte die Geschwindigkeit auf der Geraden unterhalb der König Johann - Quelle auf 150 bis 160 km/h. Vor der Kurve musste der Fahrer das Tempo
mäßigen, sonst hätte die Zentrifugalkraft den Wagen aus der Bahn geschleudert. Er
drosselte also das Gas und - wahrscheinlich hat er auch die Bremsen gezogen -, das
singende Motorgeräusch verstummte und wenige Augenblicke später kam der Wagen ins Springen, verließ die Straßenmitte und sauste gegen einen halbwüchsigen
Straßenbaum, welcher entwurzelt wurde. Aber die furchtbare Wucht der rasenden
Maschine konnte der schwache Baum nicht aufhalten. Der Wagen flog wie ein Geschoss auf die dicht an dicht stehenden Menschen an den Hängen, prallte mit dem
Vorderteil an einen Leitungsmast, der krachend zersplitterte, und hatte dann noch so
viel Schwungkraft, dass er in der halben Drehung über die Böschung schwingend,
fünf Meter weiter neben einem zweiten Straßenbaum wieder in Richtung Straße
sprang, wo er mit dem Kühler in Richtung Start neben dem beschädigten Baum stehen blieb.
Unfallaufnahme und Begutachtung des Rennwagens
Der Rennfahrer Mahla saß noch am Steuer. Er war bei dem Sturz gegen das Lenkrad geklemmt worden und hatte lediglich einen Bruch im Schulterblatt und eine Ellenbogenausrenkung erlitten, so dass man ihn aus dem Wagen heben musste. Aber
der Tod erntete hinter ihm.
Auf dem Unglücksweg wälzte sich ein Knäuel schreiender, stöhnender, blutender
Menschen, von denen zwei auf der Stelle starben, während die Verletzten erschütternd nach ihren Angehörigen riefen. Die schweren Verletzungen bei 9 Personen bestehen in der Hauptsache aus komplizierten Beinbrüchen, was sich daraus erklären
lässt, dass die Opfer ihre Beine im Straßengraben hängen hatten und der Wagen darüber hinwegfuhr.
Die Bergung der Opfer und Verletzten
Das schwere Unglück hat naturgemäß die Gemüter stark erregt. Denn eine bei dem
Rennen persönlich vertretene ausländische Nachrichtenagentur hatte in der ersten
Aufregung falsche Meldungen verbreitet, in denen von 4 Toten und 18 bis 22
Schwerverletzten berichtet wurde. In nachfolgenden Stimmungsbildern wurde das
Unglück teilweise stark übertrieben. Daher war es zu begrüßen, das die sächsische
Regierung diesen Gerüchten entgegenwirkte, indem sie durch die Nachrichtenstelle
der Staatskanzlei eine Meldung herausgab:
Dresden, den 29. Mai 1929. Der Grund des Unglücks ist nicht, wie dies aus einer
Anzahl von Pressemeldungen gefolgert werden konnte, darin zu suchen, dass an der
Unglücksstille sich die Straßendecke nicht in Ordnung befand. Die Straße weist dort
weder Schlaglöcher, noch sonstige Unebenheiten auf. Als Ursache für das plötzliche
ruckartige Abbiegen des Wagens von der Strecke nach halblinks ist vielmehr ein
Bruch des rechten Lenkhebels anzusehen. Der Bruch soll an einer Stelle erfolgt sein,
an der bereits ein dem Fahrer selbst nicht erkennbarer alter Bruch vorhanden war.
Das Ministerium des Inneren erwägt zur Vermeidung derartiger schwerer Unfälle,
Zuverlässigkeitsfahrten und ähnliche Veranstaltungen von Kraftfahrzeugen zu Prüfungszwecken, soweit mit ihnen Geschwindigkeitsprüfungen verbunden sind, in Zukunft auf öffentlichen Wegen nicht mehr zuzulassen.