Das Jahr 1928 - Lückendorfer Bergrennen

Karl Stegmann aus Neuoelsnitz erzielt auf DKW Bergrekord
beim 4. Lückendorf Bergrennen am 29.04.1928
Der letzte Nennschluss für die 4. Auflage des Bergrennens ist noch fern, trotzdem
liegen bereits hochkarätige Namen von Teilnehmern für das Programm vor. Die Lückendorf Enthusiasten müssen leider auf den Vorjahresrekordhalter, Heußer aus
Kleinschmalkaden, verzichten. Beim Buckower Dreiecksrennen ist dieser Klassemann dem Rennfahrertod zum Opfer gefallen.
Erstmalig werden in diesem Jahr nur Fahrer mit internationaler Lizenz an den Start
gehen, es werden also neue Rekorde geboten, denn die internationale Lizenz erhalten nur die Rennfahrer, welche bereits schon mehrere große Rennen als Sieger beendet haben. Unterdessen ist das Lückendorf Bergrennen zur bedeutendsten motorsportlichen Veranstaltung Sachsens herangewachsen.
Extra auf den Renntermin wurde die sächsische Plakettenfahrt mit Ziel in Zittau gelegt und das bedeutet zusätzlich einige hundert Zuschauer mehr.
(Z.M.Z., Auszug) „. . . Am kommenden Sonntag werden die Motoren der Wagen und
Motorräder mit donnerndem Dröhnen die Rennstrecke entlangfauchen und das sonst
so friedliche Bild der Natureinsamkeit den Zug vorwärtsstürmender Technik und wilden Tatendrang bringen. Diese Gegensätzlichkeit zwischen Natur und Technik ist es
nicht zuletzt, die die Besucher anzieht. Aber vor allem ist es doch der Rausch an der
Leistung, die Begeisterung für die kühnen Fahrer und die Bewunderung, die der
schwache Mensch den Leistungen des zu Berg stürmenden Motors entgegenbringt,
derselbe schwache Mensch, der gleichzeitig als geistiger Führer der Maschine die
vielen Pferdestärken sicher und geschmeidig dem Ziele entgegenlenkt.“
In der Vorankündigung werden mit der Bemerkung „Massenbewegung erfordert
Massendisziplin“ die Rennbesucher zur Ordnung an der Strecke aufgefordert.
Aus den vorjährigen Zwischenfällen mit den Kraftomnibussen hatte man gelernt und
am Renntag wurden diese umgeleitet.
Im Programm stehen 59 Nennungen mit z.T. hochkarätigen Namen, schon am Freitagtraining wurde eine Dame mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht, im Programm
in der Klasse bis 250 ccm Motorräder als Girl Flyer auf Eber genannt, hinter diesem
Pseudonym verbirgt sich die Zittauerin Herta Geißler, sie hat sich schon einen Namen als couragierte Motorradfahrerin gemacht. Beim Training am Samstag stürzte
sie recht unglücklich in der Haarnadelkurve und wird nicht an den Start gehen können.
Walter Oestreicher widmete dieses Autogramm dem Rennleiter,
hier parkt er auf der Dresdner Straße in Zittau
Als Rennleiter fungiert der Bezirkssportleiter Karl Ertelt. Für die Zeitnahme zeichnet
Obering. Erh. Mittag aus Dresden verantwortlich, die Zeitnahme erfolgt mit dem international anerkannten elektrischen Löbner-Zeitdruck-Registrierapparat mit automatischer Start- und Zielauslösung.
Nach dem Training wurde auf der Ratswaage am Salzhaus das Wiegen der Motorräder und Wagen durchgeführt und diese dann auf dem Hof der Mandau Kaserne geparkt. Im Konvoi ging es am Sonntag an die Rennstrecke.
(Auszüge Z.M.Z.) . . . Die Sinfonie der Straße ist verklungen, die 60 000 Augen, die
weit geöffnet dem Verlauf des Rennens folgten sind längst wieder auf andere Objekte gerichtet, das Lückendorf - Bergrennen 1928 gehört der Vergangenheit an. Sein
Ergebnis ist ein unbestrittener sportlicher Erfolg, dazu reden die Zahlen eine zu nackte und klare Sprache.
. . . Zittau war am Sonnabend und Sonntag von der Gottheit Motor beherrscht. Das
Knattern der Maschinen, die Tonleiter der Hupensignale brachen selbst in den Nachtstunden nicht ab. So viele Menschen hatte die uralte Handelsstraße, die von Böhmen nach Sachsen seit urdenklichen Zeiten geht, noch nie gesehen. Die 4 Kilometer
lange Strecke erschien noch zu klein, um die Besucher aufzunehmen, und so kam es
an den interessantesten Stellen, an der König-Johann-Quelle, an der Haarnadelkurve und an der Geraden oberhalb der Tribüne zu beängstigenden Menschenansammlungen, die geballten Energien gleich auf Entladung warteten. Endlich, ½ 11 Uhr verkündete der Wagen der Rennleitung den Beginn des Rennens. Vom Start her tönt
ein feines Summen zuerst, das anschwillt und näher kommt, in das aufbrechende
Hämmern eines betriebsamen, hochtourigen Motors übergeht, dann biegt tief auf
seine Lenkstange gebeugt, der erste Fahrer um die Kurve, das Rennen hat begonnen.“
Der Klassen- und Tagessieger Karl Otto Stegman aus Neuoelsnitz bei Chemnitz
Die beiden Marken DKW und AJS können es für sich in Anspruch nehmen, am besten beim Rennen abgeschnitten zu haben. Eine wassergekühlte 500er DKW war es,
die unter Karl Otto Stegmann die schnellste Zeit des Tages überhaupt fuhr, in 2:33,4
min. = 93,87 km/h schaffte dieser Klassemann die 4 Kilometer Bergstrecke, ihm folgten König und Brudes. Aber auch die kleinen Klassen wurden von Fahrern auf DKW
Maschinen beherrscht. Die Klasse bis 350 ccm wurde mit besonderer Spannung erwartet, startete doch hier einer der Lokalhelden, der Ebersbacher Gerhard Semmt
auf einer Eber, er enttäuschte seine Anhänger nicht und fuhr ein bestechendes Rennen, welches mit dem Siegeslorbeer dieser Klasse geehrt wurde, dahinter auf Platz 2
kam Karl Binder-Saam aus Berlin auf AJS, gefolgt von Freiherr von Biedermann auch
auf AJS. Die große Soloklasse wurde ein Sieg für den Breslauer Ernst vor Landolf
Rohde auf Ernst MAG.
Der Sieg in der Seitenwagenklasse bis 350 ccm ging ebenfalls nach Breslau mit
Heinrich Koch vor dem bekannten Leipziger Albert Richter auf Imperia. Dieser Albert
Richter schuf Jahre später, 1951 in der DDR das erste Motorsportgesetz und war bis
zu seinem Tod 1959 der Vorsitzende der Sportkommissare.
Erwin Dornig, hier am Start zum Fichtelbergrennen im gleichen Jahr
Adolf Brudes, auch aus Breslau, siegte in der mittleren Seitenwagenklasse auf BMW
vor dem Zittauer Erwin Dornig und Weiberg aus Görlitz, Koch schlug in der großen
Seitenwagenklasse nochmals als Sieger zu, obwohl er in der Haarnadelkurve mit
Geschick gerade so noch einen Sturz verhindern konnte.
Leider gab es in den Wagenklassen die meisten Ausfälle. In der Klasse Sportwagen
über 2000 ccm bis 3000 ccm siegte überlegen Ernst von Eicke aus Polwitz auf NAG.
Die Sportwagen bis 2000 ccm wurden die Ausbeute des Dresdners Ernst Kotte auf
Simson-Supra vor Paul Reich aus Reichenbach, Kotte war damit schnellster Fahrer
aller Sportwagenklassen. Joachim von Morgen aus Starnberg siegte auf seinem
Amilcar bei den kleinen Sportwagen vor Karl Hosch aus Haida auf Praga und Artur
Otto aus Leipzig auf Opel.
Schnellere Zeiten wurden von den Rennwagen erwartet und so kam es denn auch,
M. Kubisch aus Glogsen enttäuschte nicht und jagte seinen Austro-Daimler in 2:47,0
min. den Berg hinauf, Platz 2 ging an den Sieger der großen Sportwagen, Eicke aus
Polwitz, welcher hier einen Bugatti an den Start brachte.
Ernst von Eicke aus Polwitz auf Bugatti
Vor Ende des Rennens kam es zu einer Unterbrechung aufgrund eines Mißverständnisses, aus technischen Gründen musste eine Pause eingelegt werden und die Zuschauer überfluteten die Strecke, da bei ihnen die Meldung „Schluss“ angekommen
war. Ausgerechnet war zu dieser Zeit der bekannte Mercedes-Kompressor Fahrer
Neugebauer aus Brieg bereits auf der Strecke und näherte sich mit ca. 130 km/h
dem Menschenstrom, durch geistesgegenwärtiges Bremsen konnte er den Wagen
bändigen, kam trotzdem ins Schleudern und landete im Straßengraben, zwei dort
sitzende Jungen wurden dabei leicht verletzt.
Traditionsgemäß erfolgte die abendliche Preisverteilung wieder im Zittauer „Lindenhof“, ein besonderer Toast wurde auf die Leistung des Rennleiters Karl Ertelt ausgebracht.