B^a^i~g\ZhX]^X]iZ :EITSCHRIFTFÓRHISTORISCHE"ILDUNG C 21234 ISSN 0940 -ÊÊ 4163 Heft 1/2015 Militärgeschichte im Bild: »Le rêve« von Jean-Baptiste Edouard Detaille (1888) – der Traum von der glorreichen Armee nach der französischen Niederlage 1870. Verwundetenversorgung bei Waterloo 1815 Der Völkermord an den Armeniern Waffen als Wegbereiter der deutsch-israelischen Beziehungen Masadas letzte Männer ÌBÀ}iÃV V ÌV iÃÊÀÃV Õ}Ã>Ì Impressum Editorial ZMG 2014-H3 Impressum Editorial Militärgeschichte Zeichen: 2.900 Zeitschrift Bildung V1für mthistorische 2014-08-21, V2 lekt 2014-0821, V3 mt 2014-08-22 Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr S. 2 durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und Oberst Dr. Sven Lange (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteurin der aktuellen Ausgabe: Friederike Höhn B.A. Redaktion: Major Dr. Klaus Storkmann (ks), korresp. Mitglied Hauptmann Ariane Aust M.A. (aau) Friederike Höhn B.A. (fh) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Mag. phil. Michael Thomae (mt) Major Dr. Jochen Maurer (jm) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Karte: Dipl.-Ing. Bernd Nogli Layout/Grafik: Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Homepage: www.zmsbw.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Vervielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Webseiten und deren Unterseiten. Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (innerhalb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie bitte an: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Stellmacherstraße 14, 26506 Norden, E-Mail: [email protected] das Gedenkjahr 2014 ist vorüber, zahlreiche Publikationen und Ausstellungen haben es begleitet. Doch der Erinnerungsboom zum Ersten Weltkrieg hält an. Auch das Jahr 2015 gibt zu vielen Daten Anlass, sich mit den Ereignissen vor hundert Jahren auseinanderzusetzen. Während an der Westfront vermeintlich Stillstand in den Schützengräben herrschte, war der Krieg vor allem im Osten und Südosten weiterhin in Bewegung. Im Mai 1915 trat Italien an die Seite der Entente-Mächte und deutsche sowie österreichisch-ungarische Soldaten kämpften gemeinsam an der Alpenfront. Als Zeichen der Verbundenheit diente das Edelweißabzeichen, über dessen Geschichte Immanuel Voigt aufklärt. Weiter im Südosten radikalisierte sich der Krieg in bisher unbekannte Dimensionen: Das Osmanische Reich, verbündet mit den Mittelmächten, begann im Frühjahr 1915 mit der systematischen Ausrottung der armenischen Bevölkerung – und dies unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Deutsche Diplomaten wurden Zeugen von unvorstellbaren Verbrechen. Rolf Hosfeld zeichnet dieses Kapitel des Ersten Weltkrieges anhand der Unterlagen des Auswärtigen Amtes nach. Bis heute erkennt die Türkei die Tötung und Vertreibung von hunderttausenden Menschen nicht als Genozid an. Dieses Jahr jährt sich auch der Beginn der deutsch-israelischen Beziehungen zum 50. Mal. Der Aufbau von diplomatischen Kontakten zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel gestaltete sich vor dem Hintergrund der Shoah als äußerst schwierig und wurde auf beiden Seiten von Kritik begleitet. Das Fundament für die sich entwickelnden Beziehungen legten schließlich gegenseitige Rüstungslieferungen, über die Pedi D. Lehmann berichtet. Die israelische Armee gilt als die schlagkräftigste Armee des Nahen Ostens. Ihre Rekruten werden an einem symbolträchtigen Ort vereidigt: Auf der Fes tung Masada, hoch über dem Toten Meer gelegen, töteten sich die letzten Aufständischen im Jahre 79 n. Chr. lieber selbst, als sich den römischen Belagerern zu ergeben. Dieser Mythos lebt bis heute im Selbstverständnis der israelischen Nation fort. Doch gab es diesen Kollektivsuizid überhaupt? Der Archäologe Stefan Wagner begibt sich auf Spurensuche. 2015 ist auch das Jahr, in dem zum 200. Mal an den Sieg der vereinten euro päischen Mächte über Napoleon erinnert werden kann. Die Schlacht von Waterloo beendete eine Ära, die mit der Französischen Revolution 1789 begonnen hatte. Der anschließende Wiener Kongress stellte die alte monarchische Ordnung zumindest vorübergehend wieder her. Über die Schlacht, den Sieg und die Heerführer Wellington und Blücher ist viel geschrieben und auch schon gesungen worden, aber wie steht es mit Ihren Kenntnissen um die militärmedizinische Versorgung zu dieser Zeit? Der Beitrag von Sven Lange wird diese Wissenslücke schließen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Reise durch fast 2000 Jahre Geschichte. Ihre © 2015 für alle Beiträge beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden ISSN 0940-4163 Friederike Höhn Inhalt „Du bist nicht tot, Spitzbube!“ 4 Verwundung und sanitätsdienstliche Versorgung bei Waterloo 1815 Oberst Dr. Sven Lange, geb. 1967 in Bonn, Leiter Abteilung Bildung im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Dr. Rolf Hosfeld, geb. 1948 in Berleburg, wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses, Potsdam Waffen als Wegbereiter der deutsch-israelischen Beziehungen 8 © Ekko von Schwichow Der Völkermord an den Armeniern Service Das historische Stichwort: Das Edelweißabzeichen 22 Neue Medien 24 Lesetipps 26 Die historische Quelle 28 Geschichte kompakt 29 Ausstellungen 30 Militärgeschichte im Bild Le rêve – Der Traum 14 Dr. Pedi D. Lehmann, geb. 1965 in München, freie Autorin zu Fragen des Nahost-Friedens prozesses und der israelischen Außen- und Sicherheitspolitik Das Gemälde von Édouard Detaille (1848–1912) feiert die »glorreich besieg ten« Soldaten des Krieges von 1870/71. Entstanden im Jahre 1888, führt es den jungen Soldaten der Dritten Republik die ruhmvolle Vergangenheit der französischen Armee vor und ruft sie, die noch auf einem Feld in der Champagne ruhen, dazu auf, diesem Vorbild zu folgen. Foto: akg-images Masadas letzte Männer – ungebeugte Helden oder nachträgliche Erfindung? Stefan E.A. Wagner M.A., geb. 1989 in Fürth, Doktorand an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg im Fach Klassische Archäologie 18 Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Oberstudienrat Martin Grosch M.A., Eltville; Torsten Konopka M.A., Potsdam; Anne Langer M.A., Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin; Carsten Siegel B.A., Potsdam; Immanuel Voigt M.A., Universität Jena. 31 bpk/RMN-Grand Palais/Bullos Verwundetenversorgung bei Waterloo 1815 5Operation auf dem Schlachtfeld: Der französische Militärarzt Dominique Jean Larrey (1766–1842) begleitete die Armee Napo leons und revolutionierte die Kriegschirurgie seiner Zeit. »Du bist nicht tot, Spitzbube!« Verwundung und sanitätsdienstliche Versorgung bei Waterloo 1815 A ls am 18. Juni 1815 die Abenddämmerung das blutgetränkte Schlachtfeld von Waterloo in gnädige Dunkelheit hüllte, lag der schwer verwundete Lieutenant-Colonel Sir Frederick Cavendish Ponsonby von den 12. Leichten Dragonern etwa in der Mitte des kaum vier Quadratkilometer großen Schlachtfeldes und bereitete sich darauf vor zu sterben. Am frühen Nachmittag hatte die britische schwere Kavallerie einen Gegenangriff geritten. Die berühmte Attacke der sogenannten Union Brigade unter Führung seines älteren Cousins, General Sir William Ponsonby, hatte die vorrückenden Franzosen bis zu den Stellungen ihrer eigenen Kanonen zurückgeworfen. Dann jedoch waren die britischen Reiter und ihre erschöpften Pferde selbst durch französische Kavallerie in der Flanke gefasst worden. Von der britischen Kavallerie blieb fast die Hälfte tot auf dem Schlachtfeld zurück, unter ihnen auch Sir William. Die 12. Leichten Dragoner hatten den Rückzug der beklagenswert wenigen Überlebenden der Union Brigade durch eine eigene Attacke unterstützt. Dabei war Lieutenant-Colonel Ponsonby zunächst an beiden Armen schwer verwundet worden. Die französische Artillerie hatte auf kürzeste Entfernung Sperrfeuer mit Kartätschen geschossen, also Ladungen kleiner Kugeln aus Gusseisen oder Blei, die wie überdimensionierte Schrotschüsse wirkten. Im Handgemenge mit der feindlichen Kavallerie erhielt Ponsonby schließlich noch einen Säbelhieb gegen den Kopf, der ihn nahe der französischen Linien besinnungslos vom Pferd stürzen ließ. Als er nach einigen Minuten wieder zu sich kam und sich erhob, um in Sicherheit zu taumeln, entdeckte ihn ein französischer Ulan, Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 der dem Verwundeten seine Lanze mit den Worten in den Rücken stieß: »Tu n’est pas mort, coquin!« (»Du bist nicht tot, Spitzbube!«). Mit punktierter Lunge blieb Ponsonby liegen und wurde in rascher Folge von zwei französischen Tirailleuren geplündert, die vor und neben der Schützenlinie eigenständig operierten. Zu Ponsonbys Unglück gingen sie bei ihrer Durchsuchung rücksichtlos vor und ließen ihn in einer sehr schmerzhaften Körperhaltung zurück. Ein französischer Offizier, der frische Truppen nach vorne führte, wechselte am Nachmittag mit ihm ein paar Worte. Obwohl der Franzose Mitgefühl für die schweren Verwundungen ausdrückte, lehnte er es jedoch ab, Ponsonby vom Schlachtfeld bringen zu lassen. Seine Befehle untersagten ihm, Verwundete zu bergen, solange die Schlacht andauerte. Immerhin bot der Franzose dem Die Anfänge des modernen Sanitätswesen Mit Ponsonby lagen weitere 35 000 bis 40 000 Männer unterschiedlicher Natio nalität bei Einbruch der Nacht tot oder verwundet in den niedergetrampelten Getreidefeldern und Gräben des Schlachtfeldes oder in Scheunen und Gehöften in dessen unmittelbarer Umgebung. Das Schlachtfeld war erfüllt von verzweifelten Rufen nach Hilfe und Wasser, Röcheln und Stöhnen sowie den markerschütternden Klagelauten der verwundeten Pferde, die ebenfalls zu tausenden auf dem Schlachtfeld lagen. Es fällt schwer, angesichts der heutigen sanitätsdienstlichen Versorgung in modernen Streitkräften mit ihren Feldhospitälern, gepanzerten Kranken kraftwagen, beweglichen Arzttrupps und dem schnellen Verwundetentransport mit Hubschraubern, die Dimension der Aufgabe zu begreifen, mit der sich die Armeen bei Waterloo konfrontiert sahen. Es gab keine Anästhetika und keine Antibiotika. Die überragende Bedeutung von Hygiene für die Vermeidung von Wundbrand und Infektionen war noch nicht völlig verstanden. Desinfektionsmittel und -verfahren waren unbekannt. Ein vergleichbarer Massenanfall an Verwundeten wie bei Waterloo würde auch die sanitätsdienstlichen Kapazitäten moderner Streitkräfte überlasten. In den Armeen der Napoleonischen Epoche steckte der militärische Sa nitätsdienst jedoch noch in den Kinderschuhen. Zudem war er wenig angesehen. Die Ausbildung und die medizinischen Kenntnisse des sanitätsdienstlichen Personals waren allzu oft unzureichend. Ärzte wie Georg Hartog Gerson, der einer angesehenen jüdischen Arztfamilie aus Altona bei Hamburg entstammte und im April 1810 an der Hannoverschen Universität Göttingen promoviert worden war, bildeten die Ausnahme. Als Wundarzt diente er in der Königlich Deutschen Legion, die in britischen Diensten bei Waterloo kämpfte. Für gut ausgebildete, kompetente Mediziner war der Militärdienst jedoch zumeist unattraktiv. In der britischen Armee rangierte der etatmäßige Wundarzt noch unterhalb des jüngsten Fähnrichs. Die Stellen für Wundärzte blieben daher in den Regimentern oft unbesetzt, mit fatalen Folgen für die sanitätsdienstliche Versorgung. Das britische 28. (North Gloucestershire) Infanterieregiment – 557 Offiziere und Soldaten – beklagte bei Waterloo sowie beim Gefecht bei Quatre Bras zwei Tage zuvor insgesamt 253 Verluste, verfügte aber über lediglich einen unqualifizierten Sanitäter. Insgesamt gab es in der etwa 67 000 Mann starken britisch-niederländischdeutschen Armee des Herzogs von Wellington bei Waterloo nur etwa 200 Regimentswundärzte. Typische Verwundungen bei Waterloo Das erstaunliche Schicksal Sir Frederick Cavendish Ponsonbys von den 12. Leichten Dragonern ist durchaus typisch für das Schicksal der Verwundeten von Waterloo. Vor allem die Art seiner Verwundungen ist exemplarisch für die Epoche und für die Schlacht, in der er sie erlitt. Im Wesentlichen gab es drei hauptsächliche Verwundungstypen: • Schussverletzungen, die durch Musketen oder Pistolenkugeln hervorgerufen wurden; • Schnitt- und Stichwunden durch Degen, Bajonette oder Lanzen; • großflächige Fleischwunden und abgerissene Extremitäten durch direkte Kanonentreffer mit eisernen Vollkugeln. Die Wirkung einer Musketenkugel hing stark von der Entfernung ab, aus der sie abgeschossen wurde. Bei einer geringen Schussentfernung von 25 bis 30 Metern, also auf Kernschussweite, durchschlug das Geschoss in der Regel den Körper und führte meist zum schnellen Tod des Opfers. Bei Waterloo wurden aber viele Schüsse auf weite Kampfentfernung bis zu 100 Metern abgegeben. Diese Geschosse rissen beim Opfer eher große Wunden, als dass sie es glatt durchschlugen. Häufig verformte sich die weiche Bleikugel bpk/RMN-Grand Palais/Pascal Segrette durstigen Engländer etwas Weinbrand an und sorgte dafür, dass einer seiner Soldaten den Verwundeten in eine angenehmere Lage brachte und sein Kopf auf einen Tornister gebettet wurde, bevor die Franzosen ihren Angriff fortsetzten. In den Folgestunden tauchte ein weiterer Tirailleur auf, der einige Male bei ihm niederkniete, über ihn hinweg nachlud und sich dabei fröhlich mit ihm unterhielt. Bevor er endgültig verschwand, sagte der französische Soldat »Sie werden sich freuen zu hören, dass wir uns zurückziehen. Guten Tag, mein Freund«. Bis zum Abend wurden einige der Verwundeten und Leichen, die rings um Ponsonby auf der Erde lagen, erneut von Kugeln getroffen, er jedoch zu seinem eigenen Erstaunen nicht. Als der Abend dämmerte, ritten zwei Schwadronen preußischer Kavallerie im schnellen Trab an ihm vorbei und über ihn hinweg. Der Hufschlag wirbelte ihn schmerzhaft umher. Dennoch war er froh über ihren Anblick. Die rechtzeitige Ankunft der Preußen hatte die Schlacht für die Alliierten entschieden. In der Nacht konnte Ponsonby einen der Soldaten, die zwischen den Verwundeten und Toten umherstreiften und diese methodisch nach Wertsachen durchsuchten, dazu bewegen, einen Sterbenden von ihm zu ziehen, der sich in seiner Agonie auf ihn gewälzt hatte, und sich seiner anzunehmen. Bis zur Dämmerung wachte der Soldat bei Ponsonby und beschützte ihn vor anderen Plünderern. Am nächsten Morgen wurde er in einem Karren in das 17 Kilometer entfernte Waterloo gebracht, wo es gelang, sein Leben zu retten – trotz seiner sieben Verwundungen und ungeachtet des lebensbedrohenden Blutverlustes. 5Der franzöische Karabinier François ntoine Faveau (1792–1815) wurde bei A Waterloo von einer Kanonenkugel getroffen. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 The RAMC Muniment Collection in the care of the Wellcome Library, Wellcome Images RAMC 95/4 Verwundetenversorgung bei Waterloo 1815 5Eine Kopfwunde wie diese musste dank der Fortschritte in der medizinischen Versorgung nicht mehr tödlich enden. Wasserfarbenzeichnung des britischen Chirurgen Charles Bell von 1815. aufgrund ihrer geringen Geschwindigkeit im Körper oder zersplitterte, was ihre Entfernung und die Wundreinigung erschwerte. Ohne Antibiotika und angesichts völlig unzureichender Hygiene konnte sich auch eine oberflächliche Schusswunde oder eine flache Stichverletzung schnell infizieren und nach einigen Tagen zu einer Blutvergiftung (Sepsis) und damit zum Tode führen. In Ermangelung besser geeigneter chirurgischer Instrumente und Techni ken wurde die Wunde durch den behan delnden Arzt, so dieser denn vorhanden war und sich die Mühe machte, in der Regel mit dem Finger untersucht. War die Kugel tiefer als drei bis fünf Zentimeter in den Körper eingedrungen, wurde die Beseitigung der Kugel jedoch schwierig bis unmöglich. Der komplexeste und häufigste medizinische Eingriff, der in der Nähe des Schlachtfeldes von den Wundärzten vorgenommen wurde, war die Amputation von Gliedmaßen. Sofern fachmännisch durchgeführt, barg sie ein verhältnismäßig geringes Infektionsrisiko und bot damit oft die einzige Überlebenschance. Bei Waterloo wurden allein auf britischer Seite etwa 500 Amputationen vorgenommen. Das lange Warten auf Hilfe Nicht ungewöhnlich war auch Ponsonbys Mehrfachverwundung. Der Abtransport von Verwundeten war in den beteiligten Armeen entweder gar nicht oder nur unzureichend organisiert. Um Desertion zu verhindern und kampffähigen Soldaten keinen Vorwand zu geben das Schlachtfeld zu verlassen, war es den Soldaten generell untersagt, ihre Schützenlinie oder ihr Karree zu verlassen, um verwundete Kameraden hinter die eigenen Linien zu bringen. In der Schlacht hatten lediglich die Regimentsmusiker (allerdings nicht die Trommler) die Aufgabe, Verwundete zu bergen. Krankentragen standen dafür jedoch nicht zur Verfügung, sondern mussten improvisiert werden. Wer sich nicht durch eigene Kraft aus der unmittelbaren Gefahrenzone bringen konnte, musste deshalb oft Stunden auf das Ende der Schlacht warten, bevor ihm geholfen wurde. Ein Verwundeter, der in der Kampfzone verblieb, lief aber Gefahr, ein weiteres Mal getroffen zu werden. Viele Soldaten wurden deshalb bei Waterloo mehrfach verwundet. Nicht selten gab es auch gezielte Angriffe auf Verwundete, so bei der Flucht der französischen Armee am Abend oder bei der beschriebenen französischen Gegenattacke am frühen Nachmittag gegen die Union Brigade. Ein britischer Kavallerist überlebte 18 Wunden, die er dabei erhalten hatte. Die lange Verweildauer Ponsonbys auf dem Schlachtfeld war ebenfalls typisch. Verantwortlich dafür war neben dem allgemeinen Befehl, sich nicht um Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 die Verwundeten zu kümmern, solange die Schlacht anhielt, die allgemeine Überforderung der Kommando strukturen angesichts des Massenanfalls von Verwundeten. Viele Verwundete wurden zudem erst spät entdeckt. Nicht überall hatten die zehntausende Soldaten und Pferde das hochstehende Getreide platt gedrückt. Vor allem die in aufgelöster Ordnung kämpfenden Plänkler (frz. tirailleurs) liefen Gefahr, nach einer Verwundung den Kontakt mit der eigenen Truppe zu verlieren. Einige Verwundete wurden erst vier Tage nach der Schlacht geborgen. Auch nach Ende der eigentlichen Kampfhandlungen war die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Verwundeten nicht vorbei, wie das Beispiel Ponsonbys ebenfalls zeigt. Viele Verwundete starben in der Nacht an Schock oder Blutverlust. Mindestens ebenso viele wurden Opfer der Plünderer und Leichenfledderer, für die ein Verwundeter, zumal wenn er sich wehrte, ein Ärgernis war. Seine Plünderung kostete mehr Zeit als die eines Toten. Viele Plünderer halfen daher mit der Klinge nach. Ponsonbys hilflose Agonie an der Grenze zum Tode bis zum nächsten Morgengrauen war ebenfalls keine Ausnahme. Weder die Armee Wellingtons noch die preußische Armee unter Führung des Generalfeldmarschalls Gebhard Leberecht von Blücher gingen in der Nacht zu irgendeiner Form der geordneten Verwundetenversorgung über. Die geschlagenen Franzosen hatten das Schlachtfeld fluchtartig verlassen und dabei ihre Toten und Verwundeten zurückgelassen, die nun der Gnade und Fürsorge der Sieger ausgeliefert waren. Während die preußische Kavallerie den Feind verfolgte, gingen Wellingtons Armee und Teile der preußischen Infanterie noch auf dem Schlachtfeld völlig erschöpft zur Ruhe über. Der Morgen nach der Schlacht Die Lähmung und die Tatenlosigkeit der Überlebenden erscheinen heute unverständlich, ja herzlos. Die Antriebslosigkeit der Armeeführung und der meisten Vorgesetzten erklärt sich teilweise dadurch, dass auch die Nerven der kommandierenden Offiziere unter den traumatisierenden Eindrü- Waterloo war jedoch eine Ausnahme. Die einbrechende Dunkelheit und die Unordnung, die durch den allgemeinen Vormarsch gegen Ende der Schlacht entstanden war, besonders aber die völlige Erschöpfung der Truppe sorgten dafür, dass die meisten Regimenter die Nacht mehr oder weniger genau dort verbrachten, wo sie zuletzt gekämpft hatten. Die abgekämpften und übermüdeten Soldaten rückten an improvisierten Biwakfeuern eng aneinander, um sich gegenseitig Schutz zu geben vor den rationalen Gefahren durch Plünderer und den irrationalen Schrecken des in gespenstisches Mondlicht gehüllten Schlachtfeldes. Umgeben von Toten drängten sich die apathischen Lebenden zusammen, warteten auf den Anbruch des nächsten Tages und auf weitere Befehle. Am nächsten Morgen hatten die Armeestäbe ihren Schock überwunden und der Krieg ging weiter. Wellington und seine Armee verließen gegen Nachmittag das Schlachtfeld und marschierten nach Süden gen Paris. Die meisten Wundärzte und ihre Helfer begleiteten die abrückenden Regimenter – es wurde mit erneuten Kampfhandlungen gerechnet. Zurück blieb eine kümmerliche, durch gefangen genommene französische Wundärzte unzuDHM/Inventarnr. 1990/425 cken der Schlacht gelitten hatten und sie durch Schock in ihrer Fähigkeit zur rationalen und ordnenden Entschlussfassung beeinträchtigt waren. Hinzu kam, dass der Ausgang der Schlacht, vor allem der plötzliche und totale Zusammenbruch der französischen Armee, über dessen eigentliche Ursache noch heute die Historiker streiten, Truppe und Offiziere mit einer ungewohnten Situation konfrontierte, für die es keine standardisierten Verhaltensregeln gab. Schlachten jener Epoche endeten üblicherweise nicht so plötzlich und nicht mit einem so vollkommenen Zusammenbruch einer Seite. Gewöhnlich brach eine Armee die Schlacht rechtzeitig ab, bevor sich die anbahnende Niederlage zur Katastrophe und damit zur Auflösung der eigenen Streitmacht auswachsen konnte. Bei Waterloo fielen die Schlachtentscheidung und die einsetzende Abenddämmerung zusammen. Damit verblieb keine Zeit, den flüchtenden Feind zu verfolgen, wie es die taktischen Lehrbücher vorschrieben. Unter normalen Verhältnissen hätten beide Armeen das Schlachtfeld noch am selben Tage verlassen und sich darauf vorbereitet, den Kampf am nächsten Morgen fortzusetzen. Die Soldaten waren es gewohnt, ihre Verwundeten und Toten einfach zurückzulassen. reichend verstärkte Nachhut, die mit der gewaltigen Aufgabe, die Verwundeten zu versorgen und die Toten in hastig ausgehobenen, flachen Massengräbern beizusetzen, völlig überfordert war. Rettung: Versorgung durch belgische Anwohner Dass dennoch so viele ihre Verwundungen und Amputationen überlebten, lag an der aufopfernden Pflege der belgischen Bevölkerung und dem Engagement der zivilen Ärzte in der unmittelbaren Umgebung. In einem Radius von knapp zwei Kilometern rund um das Schlachtfeld wurde jedes Haus, jeder Bauernhof, jede Kirche, jede Scheune und jeder Schuppen in ein Notlazarett verwandelt (in der Stefanskirche der nahegelegenen Ortschaft Braine l’Alleud erinnert noch heute eine Tafel daran). Nonnen halfen als Krankenschwestern und Bauern versorgten die Verwundeten großherzig mit Wasser, Nahrung sowie improvisiertem Verbandsmaterial. Wie Ponsonby wurden die meisten transportfähigen Verwundeten mit Wagen und Fuhrwerken, ja sogar mit Schubkarren nach Brüssel gebracht, wo allein fünf Krankenhäuser für die Verwundeten der Alliierten eingerichtet wurden. Der Bürgermeister der Stadt ordnete an, dass alle Bürger der Stadt saubere Kleidung und Bettlaken zur Verfügung stellen mussten. Wer ein Krankenhaus lebend erreichte, hatte gute Chancen zu überleben. Die Todesrate lag bei niedrigen neun Prozent und damit nur unwesentlich höher als die, die 100 Jahre später in den Lazaretten des Ersten Weltkrieges herrschte. Sven Lange Literaturtipps 5Am Morgen danach: Das Schlachtfeld bei Waterloo ist übersäht mit Verwundeten und Toten. Mark Adkin, The Waterloo Companion, London 2001. Brendan Simms, Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, München 2014. John Thomson, Beobachtungen aus den britischen Militairhospitälern in Belgien nach der Schlacht von Waterloo, nebst Bemerkungen über die Amputation, Halle 1820. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Der Völkermord an den Armeniern pa/dpa Der Völkermord an den Armeniern 5Syrien 1915: Armenische Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich. W ährend des Ersten Weltkrieges fielen in den Jahren 1915/16 über eine Million Armenier in dem mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reich Massakern und Zwangsdeportationen zum Opfer. Die meisten Historikerinnen und Historiker sehen hierin einen Völkermord. Auch die deutsche Reichsregierung hatte keine Zweifel an der exterminatorischen – d.h. auf völlige Vernichtung ausgerichteten – Politik ihres Verbündeten. 2015 jährt sich diese negative Zäsur in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zum hundertsten Mal. Am 16. März 1915 befand sich der deutsche Konsul Paul Schwarz auf einer Reise durch Zentralanatolien, als er abends in der Stadt Harput eintraf. Er kam aus Erzurum nahe der russischen Front, wo er im Winter das desaströse Scheitern eines mit großen Worten angekündigten Feldzugs hatte miterleben müssen. Eine osmanische Armee unter dem Kommando des jugendlichen Kriegsministers Ismail Enver Pascha, in dessen Kopf der kühne Plan eines Vorstoßes in die Weiten Zentral asiens irrlichterte, war nach wenigen Tagen fast völlig aufgerieben worden. Schwarz wusste, dass man seit geraumer Zeit pauschal die armenischen Soldaten in Envers Armee für die Niederlage verantwortlich machte. Im Winter hatte es als Reaktion darauf politische Morde an Armeniern gegeben. Russische Kriegsgefangene armenischer Herkunft hatte man aus Rachegründen oft kurzerhand erschossen. Armenische Dörfer in den osmanischen Grenzregionen Anatoliens waren mit Terrorkommandos überzogen worden. Was der deutsche Konul in Harput hören sollte, überstieg jedoch alles bisher Dagewesene. Er machte nach seiner Ankunft dem Gouverneur Sabit Bey seine Aufwartung und kam abends um halb zehn in einem Zustand großer Erregung zurück. Der Gouverneur hatte ihm erklärt, »dass die Armenier in der Türkei vernichtet werden müssten und vernichtet würden«, weil sich ihr Reichtum und ihre Zahl so vermehrt hätten, »dass sie eine Bedrohung für die herrschende türkische Rasse ge- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 worden seien«. Diese Radikalisierung der Politik kam nicht ganz überraschend. Man müsse die Armenier entweder »samt und sonders ausrotten« oder sie zur Auswanderung zwingen, hatte Mitte Dezember 1914 beispielsweise ein türkischer Major im süd ostanatolischen Urfa dem Schweizer Diakon Jakob Künzler anvertraut. Spätestens im Frühsommer 1915 war daraus ein durchdachter Plan geworden. Vor den Augen der Welt öffentlichkeit Am 7. Juli 1915 kabelte Hans von Wangenheim, der deutsche Botschafter in Konstantinopel, dem späteren Istanbul, an Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in Berlin eine beunruhigende Nachricht: »Die Austreibung und Umsiedlung der armenischen Bevölkerung beschränkte sich bis vor etwa 14 Tagen auf die dem östlichen Kriegsschauplatz benachbarten Provinzen und auf einige Bezirke der Provinz Adana. Seitdem hat die Pforte [die osmanische Regierung] beschlos- Härte geführten Krieges gesehen. Die türkische Regierung hatte die Deportation der Armenier aus den an das Russische Reich grenzenden ostanatoli schen Gebieten anfangs dem deutschen Botschafter und der Reichsregierung gegenüber als militärische Sicherheitsmaßnahme in einer umkämpften Region gerechtfertigt. Spätestens Anfang Juli 1915 wurde Wangenheim jedoch klar, dass dies nur ein vorgeschobenes Argument war. Er erinnerte sich an eine Aussage des Innenministers und späteren Großwesirs Mehmet Talaat Pascha, der einen Monat zuvor ihm gegenüber geäußert hatte, die osmani sche Regierung wolle den Weltkrieg dazu benutzen, »um mit ihren inneren Feinden [den einheimischen Christen, in erster Linie den Armeniern] gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslands gestört zu werden«. bestanden, aus Nationalitäten der Grenzregionen, denen man Sympathien oder gar aktive Kollaboration mit dem Kriegsgegner unterstellte. Zivilisten waren in diesem Krieg, wie in den vorausgegangenen Balkankriegen, von Anfang an Ziele der Kriegführung: Der Erste Weltkrieg begann im August 1914 mit den sogenannten belgischen Gräueln, die in Wahrheit auch französische Gräuel waren, als insgesamt 6427 Zivilisten während der Invasion einer deutschen Paranoia über angebliche Hinterhalte von Freischärlern zum Opfer fielen. Später gab es deutsche Pläne, in Osteuropa durch die dauerhafte Zwangsumsiedlung der polnischen Grenzbevölkerung eine »völkische Militärgrenze« gegen die Russen einzurichten, die allerdings nie umgesetzt wurden. 143 000 Serben kamen Anfang 1916 bei Todesmärschen im Militärbereich der k.u.k Monarchie und Bulgariens ums Leben. Im Russischen Reich wurden in den ersten drei Kriegsjahren etwa sechs Millionen Zivilisten, Hunderttausende von Juden, deutsche Minderheiten, Bewohner der baltischen Gebiete, Roma und Muslime aus dem Kaukasus und Zentralasien, die man alle aus ethnischen Gründen als potenzielle innere Feinde und »unzuverlässige« Bevölkerungs- Kampf gegen den »inneren Feind« Tatsächlich wurde im Ersten Weltkrieg ein unheilvoller Begriff der jakobini schen Phase der Französischen Revolution neu aktiviert: der des sogenannten inneren Feindes. Nur dass die inneren Feinde jetzt aus ethnischen Gruppen Der Völkermord an den Armeniern 1915 RUSSISCHES REICH Kaspisches Meer RUMÄN. Schwarzes Meer BULG. Tiflis KONSTANTINOPEL Kars Angora Ersindschan OSMANISCHES Harput REICH Iskenderun Mittelmeer Kerkuk rat PERSIEN Bagdad Sultanabad Kut-al-Amara Suezkanal Jerusalem Basra NEDSCHD Nil Quelle: www.katholisches.info. Enseli Aleppo Tibni Deir ez-Zor Damaskus Täbris Mossul Ramadi Gaza Alexandria Ä G Y P T E N Kairo (brit.) Van Musch Eup h Beirut Armenische Hauptsiedlungsgebiete vor dem Völkermord Deportationsroute Erzurum Meskene Hamam Zypern Baku Tigris sen, diese Maßregel auch auf die Provinzen Trapezunt (Trabzon), Mamuret ül-Aziz und Sivas auszudehnen, und mit der Ausführung begonnen, obwohl diese Landesteile vorläufig von keiner feindlichen Invasion bedroht sind. Dieser Umstand und die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird, zeigen, dass die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.« Diese eindeutige Aussage belegt nicht mehr und nicht weniger, als dass die deutsche Diplomatie spätestens Anfang Juli 1915 zu der Erkenntnis gekommen war, dass die Deportationen und Massaker, die man verstärkt seit den Frühlingsmonaten in den anatolischen Provinzen beobachten konnte, dem erklärten Ziel dienten, eine ethnische Gruppe – die osmanischen Armenier – systematisch der Vernichtung zuzuführen – und dies als Ergebnis einer staatlich gelenkten Politik. Etwa eine Million Tote sollte das am Ende bedeuten. Was sich im Frühjahr und Sommer 1915 in der Türkei abspielte, fand vor der Augen der Weltöffentlichkeit statt. Das Osmanische Reich war im Ersten Weltkrieg mit den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet. Deutsche Militärs operier ten als Berater und Kommandeure in der osmanischen Armee und Marine. Überall im Land gab es ausländische Konsulate, Missionsstationen, Krankenhäuser und Schulen. Nach wie vor lagern allein im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin Unmengen von Akten aus dieser Zeit, aus denen man manchmal ganze Tagesabläufe rekonstruieren kann, und aus denen die Selektions-, Massaker- und Sammelplätze, die Deportationsrouten, die Zeit, der Umfang, der Mechanismus und die politisch Verantwortlichen der Vernichtungspolitik genauestens hervorgehen. Für die historische Forschung sind das reichhaltige Quellen, die allein eine zweifelsfreie Bewertung der Vorgänge in dieser Zeit erlauben. Auch Hans von Wangenheim lagen diese Unterlagen vor, als er sein hartes Urteil über die türkische Politik fällte. Allzu gern hätte er vermutlich – als hoher Beamter des mit dem Osmanischen Reich kriegsverbündeten Deutschlands – die Vorgänge verharmlost und in ihnen Maßnahmen eines mit totaler Golf von Aden KUWAIT (brit.) Persischer Golf © ZMSBw 07481-04 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Ullsteinbild/Imagno/Archiv Jontes/SZ Photo pa/akg-images Der Völkermord an den Armeniern 5Nach dem Krieg fanden die osmanischen Verantwortlichen, Kriegsminister Ismail Enver Pascha und der damalige Innenminister und spätere Großwesir Mehmet Talaat Pascha, Unterschlupf in Berlin. Dort wurde Talaat Pascha 1921 von armenischen Studenten ermordet. Enver Pascha fiel 1922 im Kampf gegen die Rote Armee in Tadschikistan. teile betrachtete, Opfer einer militärischen Deportationspolitik. Aber – und das ist der entscheidende Unterschied zu Talaats Ankündigung: Man wollte deshalb nicht gründlich mit ihnen aufräumen; niemand hatte die Absicht, das russische Vielvölkerreich im Krieg zu vernichten. Talaats Ankündigung bedeutete deshalb weit mehr als die einer kriegsbedingten Deportation. Es war die Ankündigung einer neuen, gründlich anderen und im Kern türkischen Ordnung nach dem Krieg, die man nur erreichen konnte, wenn man die inneren Feinde nicht nur deportierte, sondern sie vom Territorium verschwinden ließ, sie also vernichtete. Eine solche Ankündigung hatte es in der Geschichte bisher nicht gegeben. Deportation und systematische Vernichtung Die zahllosen Berichte, die der deutschen Botschaft in Konstantinopel bis Anfang Juli 1915 vorlagen und die heute für jedermann im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin einzusehen sind, summierten sich, beginnend mit den ersten großen Deportationen Mitte Mai, zu dem sehr präzisen Bild einer systematisch angelegten Vernichtungsaktion. Als Vizekonsul Max Erwin von Scheubner-Richter am Morgen des 15. Mai 1915 in Erzurum seinen Bericht an die Botschaft aufsetzte, war dies für ihn Anlass zu eini- 10 gen Bemerkungen, warum die Lage im ostanatolischen Erzurum eher als ruhig einzuschätzen sei. Zwar war es auch hier, wie an anderen Orten, zu Hausdurchsuchungen bei Armeniern gekommen, aber man habe, soweit ihm bekannt, kein belastendes Material gefunden. Allerdings, so Scheubner-Richter, gebe es in Erzurum einige militärische Kreise, »die den Augenblick der Abrechnung mit den Armeniern für gekommen halten«. Am Abend des 15. Mai 1915 telegrafierte Scheubner-Richter nach Istanbul: »Armenische Bevölkerung der umliegenden Dörfer wird ausgewiesen und nach den Etappentruppen verschickt«. Am nächsten Tag erfuhr er, dass diese Maßnahme von örtlichen militärischen Kreisen veranlasst worden war. Die »militärischen Rücksichten« jedoch, die offiziell als Grund für die drakonische Maßnahme vorgetragen würden, seien nichts als ein »unbegründeter« Vorwand für einen Racheakt, der ganz andere Motive hatte. Die ganze Passim-Ebene nordöstlich von Erzurum war in diesen Tagen von einer großen Deportationswelle betroffen. Am 22. Mai meldete der Vizekonsul, dass die verlassenen Dörfer von muslimischen Flüchtlingen aus in den Balkankriegen verloren gegangenen Teilen des Osmanischen Reichs besetzt worden seien; die Flüchtlinge hätten dort alles in Beschlag genommen und das zurückgelassene Eigentum der Armenier geplündert. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Was er nicht wusste: Innenminister Talaat Pascha hatte zur selben Zeit den Provinzverwaltungen von Erzurum, Bitlis und Van die Deportation aller Armenier ihrer Provinzen in die Gegend von Mossul und in die Wüstenregio nen südlich von Urfa befohlen. Am 2. Juni erfuhr Scheubner-Richter, dass die Verbannten bis nach Deir ez-Zor in die mesopotamische Wüste geschickt werden sollten. Man behandelte sie – nach seinen Worten – nicht wie eigene Staatsbürger, sondern wie Untertanen feindlicher Staaten. Ende Juni stand Scheubner-Richters Urteil fest: Nichts anderes als eine »militärisch unbegründete, meines Erachtens nur auf Rassenhass zurückzuführende Anordnung« sei die Ursache für diese desaströse und auch unter militärischen Gesichtspunkten gänzlich kontraproduktive mörderische Vertreibungspolitik, die zu dieser Zeit bereits den ganzen Osten Anatoliens erfasst hatte. »Die generelle Methode dieses Völkermords bestand darin«, so der in den Niederlanden lehrende türkische His toriker Ugur Ü. Üngör, »die Männer sofort zu töten und jene Frauen und Kinder zu deportieren, die nicht in muslimische Haushalte aufgenommen wurden.« Allein während der Kriegsjahre 1915/16 fielen diesen Maßnahmen etwa 1,1 Million Armenier und in geringerem Ausmaß auch andere orientalische Christen zum Opfer. Wahrscheinlich mehr als 150 000 Armenier überlebten durch Zwangskonversion zum Islam, wodurch sie sich zu Türken assimilierten. Einer unbestimmten Zahl gelang die Flucht, meist über die russische Grenze. Die Zwangsdeportationen forderten eine extrem hohe Zahl an Todesopfern. Die Deportationsverläufe folgten einem Muster und waren somit Kalkül: Durch Erschöpfung, Hunger und Durst soll ten die Deportiertenzüge ausgedünnt werden. Nur ein Teil der Zwangs verschickten kam erwartungsgemäß am Bestimmungsort auch tatsächlich an. Im Kontext betrachtet ergibt sich aus den bei den Deportationen angewandten – im Einzelnen mitunter unscheinbaren – Methoden das Gesamtbild eines in groben Zügen geplant oder zumindest gewollt ablaufenden Dehumanisierungsprogramms. Der deutsche Konsul Walter Rößler in Aleppo jedenfalls meinte bereits im Wallstein Verlag 5»Wer sich zur Wehr setzte, wurde einfach auf der Strasse erschlagen.« Der Schriftsteller Armin T. Wegner (1886–1978) sah als Sanitätsunteroffizier mit eigenen Augen die Gräueltaten. Seine Fotografien zeigte er erstmals 1919 in Berlin. Sommer 1915, nachdem ihm mehrere Berichte zugegangen waren, die im Prinzip alle das gleiche bezeugten, eine regelrechte »Methode« zu erkennen, »die Verbannten auf der Wanderung umzubringen«. Die Vertreibung und Vernichtung der osmanischen Armenier aus Anatolien und dem europäi schen Teil der heutigen Türkei war, spätestens seit Mitte Mai 1915, ein organisierter Vorgang, bei dem übrigens moderne Kommunikationsmittel wie die Telegrafie eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Im Fall der historischen armenischen Provinzen Ostanatoliens konnte der Innenminister des Osmanischen Reichs, Mehmet Talaat Pascha, bereits im August 1915 gegenüber der deutschen Botschaft verkünden: »La question armenienne n’existe plus« (»Die armenische Frage existiert nicht mehr«). Eine zweite Welle von Massakern fand 1916 in der mesopotamischen Wüste statt. »Grauenvolle Leichenparade« Der Weg in die Wüste glich, wie der deutsche Offizier und ehemalige Konsul in Täbris, Wilhelm Litten, dem deutschen Konsulat in Aleppo Anfang Februar 1916 in einem langen Bericht schilderte, einem »Weg des Grauens«. Überall entlang der Bahnlinie hinter Deir ez-Zor am Euphrat sah Litten auf dem Weg nach Aleppo Leichen in den Feldern oder am Bahndamm liegen, blutige und halbgebleichte Skelette, herumliegende Wäschefetzen, Kleidungsstücke und Reste von Hausrat. Die Leute waren verhungernd umhergeirrt, viele in einer der kalten Winternächte erfroren. Zwischen Sabha und Meskene begegnete er den ersten Zügen von Vertriebenen. »Ein großer Armeniertransport war hinter Sabha an mir vorbeigekommen, von der Gendarmeriebedeckung zu immer größerer Eile angetrieben«, so Litten, »und nun entrollte sich mir in leibhaftiger Gestalt das Trauerspiel der Nachzügler. Ich sah am Wege Hungernde und Dürstende, Kranke, Sterbende, soeben Verstorbene, Tausende neben den frischen Leichen; und wer sich nicht schnell von der Leiche des Angehörigen trennen konnte, setzte sein Leben aufs Spiel, denn die nächste Station oder Oase liegt für den Fußgänger drei Tagesmärsche entfernt. Von Hunger, Krankheit, Schmerz entkräftet taumeln sie weiter, stürzen, bleiben liegen.« Und nun listete Litten minutiös auf, was er im Einzelnen gesehen hatte. Am 31. Januar 1916 war er um 11 Uhr vormittags in Deir ez-Zor abgefahren. Nach drei Stunden Fahrt begann eine »grauenvolle Leichenparade« entlang des Wegs, die sich bis zum 4. Februar, also fünf Tage, fortsetzte. Litten beob achtete am 31. Januar um 1 Uhr nachmittags eine junge Frau, die mit dem Rücken nach oben nackt am Boden lag. Eine halbe Stunde später einen auf dem Rücken liegenden nackten Greis und einen nackten Jüngling, »linkes Gesäß herausgerissen«. Um 2 Uhr fünf frische Gräber, fünf Minuten später einen Mann mit blutenden entblößten Geschlechtsteilen. Zwei Minuten später einen Mann in Verwesung, eine Minute später einen anderen mit schmerzentstelltem Gesicht am Wegesrand, zwei Minuten danach einen mit angefressenem Oberkörper. Und so ging es die nächsten fünf Tage weiter, die ganze Strecke über Tibni, Sabha, Hamam, Abu Herera und Meskene bis nach Aleppo. Es war Winter, auch im Orient. Die Nächte waren oft frostkalt. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 11 Wallstein Verlag Der Völkermord an den Armeniern 5»Nur mit Bewunderung konnte man die Zähigkeit ihres Lebens betrachten.« Armin T. Wegner über die vertriebenen Armenier in der Wüste. Am 6. Februar 1916 vermerkte Litten starken Schneefall in Aleppo. All das ließ sich weder durch Exzesse noch durch spontane kriminelle Handlungen erklären. Das Osmanische Reich war seit einem Staatsstreich 1913 eine Einparteiendiktatur, die erste der modernen Geschichte. Herrschende Kraft war das nationalradikale »jungtürkische« Komitee für Einheit und Fortschritt, das sich eine »Türkisierung« des Landes auf die Fahnen geschrieben hatte. Der jungtürkische Parteitag sprach im Herbst 1916 rückblickend in aller Offenheit davon, dass die alte osmanische Politik der multikulturellen »Einigkeit der Bevölkerungselemente« Bankrott gemacht habe und deshalb seit einiger Zeit eine »Ära der Säuberungen« angebrochen sei. Der erste große, ideologisch motivierte Völkermord des 20. Jahrhunderts – auf den sich Adolf Hitler vor dem Münchner Volksgericht 1924 als eine »Entgiftungsaktion« ausdrücklich berief – hatte die radikale nationalistische, und, wie man hinzufügen muss, strikt antireligiöse Fraktion des »Komitees für Einheit und Fortschritt« zum 12 Urheber, deren Köpfe ohnehin schon seit Längerem von türkistischen Reinheitsideologien und antiarmenischen Stereotypen beherrscht waren. Mitverantwortung des Deutschen Reiches Im Kern ging es 1915/16, so der in die Schweiz geflüchtete ehemalige TürkeiKorrespondent der »Kölnischen Zeitung«, Harry Stürmer, in einem 1917 in Lausanne veröffentlichten Buch, um »innere Kolonisation« und um die »gewaltsame Nationalisierung des bisher gemischtrassigen Landes«. Neuere Forschungen kritischer türkischer Historiker, die sich auf osmanische Quellen beziehen, haben diese Sicht nachdrücklich bekräftigt. Die meisten Zeitgenossen verstanden die bevölkerungspolitische Modernität der Zielsetzungen dieses Genozids jedoch nicht, weil sie ihre Augen hauptsächlich auf die barbarischen Methoden richteten, mit denen er durchgeführt wurde. Die Reichsregierung war über alle diese Vorgänge genauestens informiert. Die deutsche Presse war angehalten, Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 offizielle osmanische Darstellungen zu veröffentlichen, oder sie enthielt sich durch Selbstzensur. Doch es gab auch im Krieg auf unterschiedlichen, vor allem kirchlichen Ebenen, eine intensive kritische Kommunikation über das Thema. Unter den meisten deutschen Intellektuellen und Meinungsträgern herrschte allerdings dröhnendes Schweigen und oft ein erschreckender moralischer Werterelativismus. Zudem machten der grundsätzliche Mangel an Öffentlichkeit und die kritiklose Übernahme türkischer Standpunkte es der osmanischen Führung besonders leicht, das Deutsche Reich in die auch international so wahrgenommene Rolle einer bewussten Komplizenschaft zu zwingen. Insgesamt hat die deutsche Reichsregierung die Verfolgung der Armenier weder unterstützt noch willkommen geheißen. Allerdings muss man der Reichsregierung eine extreme morali sche Gleichgültigkeit und einen grundsätzlichen Mangel an entschiedenen Maßnahmen, selbst im Rahmen des politisch Möglichen, gegen die Verbrechen ihres Bündnispartners vorhalten. Die Akteure auf deutscher Seite verhiel ten sich jedoch durchaus unterschiedlich. Botschafter Paul Graf Wolff-Metternich, der Nachfolger Wangenheims nach dessen Tod im Oktober 1915, fand gegenüber Reichskanzler Bethmann Hollweg Ende 1915 deutliche Worte, als er diesen aufforderte, der türki schen Regierung wegen der Armenierfrage mit Konsequenzen zu drohen. »Auch soll man in unserer Presse den Unmut über die Armenier-Verfolgung zum Ausdruck kommen lassen und mit Lobhudeleien der Türken aufhören«, so Wolff-Metternich: »Wir brauchen gar nicht so ängstlich mit den Türken umzugehen. Leicht können sie nicht auf die andere Seite schwenken und Frieden machen.« Bethmann Hollweg war allerdings über solche Vorstöße eher entsetzt. »Ich begreife nicht, wie Metternich diesen Vorschlag machen kann«, notierte er an den Rand des Dokuments: »Die vorgeschlagene öffentliche Koramierung [Befragung] eines Bundesgenossen während eines laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu die Türkei an, wo die Tendenz zum Extremen die Form eines Völkermords annahm.« Im Prinzip ist das eine präzise Beschreibung der oben zitierten Kernaussage Bethmann Hollwegs. Wolff-Metternich – von türkischer Seite gern herablassend als »armenischer Botschafter« bezeichnet – wurde durch eine Intrige des deutschen Militärattachés und EnverFreundes Hans Humann bald nach Berlin zurückberufen. Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg sprach angesichts der armenischen Gräuel zwar vom »Erwachen der Bestie im Menschen« und einem der »schwärzesten Kapitel in der Geschichte aller Zeiten und Völker«. Doch gleichzeitig vertrat er die Ansicht, man müsse aus zwingenden militärischen Gründen die osmanische Reichsleitung um jeden Preis unterstützen, Talaat und Enver seien unersetzbar. Erst im späten Frühjahr 1918 drohte sein Erster Generalquartiermeister Erich Ludendorff Enver Pascha mit harschen Worten einen völligen Bruch des Bündnisses an, als türkische Truppen die im Vertrag von Brest-Litowsk gezogenen Grenzen in Frage stellten und in den Kaukasus einmarschierten. Aber hier waren deutsche Interessen im Spiel; es ging um das Öl am Kaspischen Meer. 1915 hätte man sich solche deutlichen Worte ebenfalls gewünscht, doch sie unterblieben. Zweifellos ist die armenische Frage in sofern auch ein Teil der deutschen Geschichte. Bundesarchiv Bild 183-R99689 bpk halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.« Hans von Wangenheim hatte diese Linie im Prinzip schon früh vorgegeben, auch wenn er genau wusste, was im Land vor sich ging, und gelegentlich vorsichtig versuchte, dagegen zu intervenieren. Wolff-Metternich trat dagegen mit Bestimmtheit auf. Dem Großwesir teilte er Anfang Dezember 1915 mit, »dass die Verfolgung und Misshandlung von Hunderttausenden unschuldiger Personen keine legitime Abwehrmaßnahme eines Staates« bilde. Andere, vor allem »zum wiederholten Malen höhere deutsche Offiziere, ohne sich der politischen Konsequenzen bewusst zu sein«, wie der in Konstantinopel wirkende deutsche Botschaftsprediger Siegfried von Lüttichau es 1918 in einer Denkschrift formulierte, teilten auf skandalöse Weise die Stereotypen und die Ratio der Vernichtungspolitik ihrer türkischen Bündnispartner, wenn auch in der ihnen eigenen Weise einer radikal militärischen und damit nicht notwendig genozidalen Logik. Alle diese Differenzierungen vorausgesetzt, kann man von einer qualifizierten Mitverantwortung des Deutschen Reichs sprechen. »Die Standards einer existenziellen militärischen Auseinandersetzung«, meint die US-amerikanische Historikerin Isabel Hull, »die Deutschland auf sich selbst anwandte, seine Truppen, seine Bürger und jene in den besetzten Zonen, wandte es auch auf Auseinandersetzung mit dem Genozid in der Türkei Die offene Auseinandersetzung mit der Geschichte der osmanischen Armenier wird von wachsenden Teilen der türkischen Zivilgesellschaft seit einigen Jahren als Voraussetzung für eine demokratische Zukunft ihres Landes gesehen. Das beinhaltet auch eine kritische Sicht auf nationalstaatliche Gründungsmythen. Der in Deutschland promovierte und in den USA lehrende türkische Historiker Taner Ak çam formulierte schon Mitte der 1990er Jahre die These, die Legitimität der modernen Türkei beruhe auf einem Genozid. Damit stellte er die offizielle Staatsideologie in Frage, wonach die Türkische Republik das Ergebnis des heroischen Überlebenskampfs einer dem Untergang nahen Nation war. In Wirklichkeit, so Akçam, fand die türki sche Nationsbildung im Kampf gegen eine soziale Realität statt, die durch ethnische, konfessionelle und kulturelle Differenzen gekennzeichnet war und die man in paranoider Verkennung als gefährliche Bedrohung empfand. Für die jungtürkischen Führer, so der deutsche Talaat-Freund und Journalist Ernst Jäckh, hatte der Weltkrieg ein Hauptziel: »Die Türkei wollte türkisch werden«. So entstand der folgenreiche türkische Mythos eines Befreiungskampfs, in dessen Gesamtvision die Vernichtung der osmanischen Armenier durch höhere nationale Ziele gerechtfertigt werden konnte. Der Gründer der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, so wusste Jäckh, ließ deshalb nie einen Zweifel daran, »dass seine Leistung in einem beträchtlichen Ausmaß auf Talaats Schultern ruhte«. Alle diese Faktoren sind heute noch die Haupthindernisse einer offenen Vergangenheitsbewältigung in der Türkei. Rolf Hosfeld Literaturtipps 5Die deutschen Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim (1859–1915) und Paul Graf Wolff-Metternich (1853–1934). Taner Akçam, Armenien und der Völkermord: Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung, Hamburg 1996. Wolfgang Gust (Hrsg.), Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts, Springe 2005. Rolf Hosfeld, Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern, München 2015. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 13 Deutsch-israelische Beziehungen pa/dpa/Kurt Meyerowitz Waffen als Wegbereiter der deutsch-israelischen Beziehungen 5Franz Joseph Strauß (1915–1988) war von 1956 bis 1962 deutscher Verteidigungsminister und trieb die deutsch-israelische Aussöhnung durch Rüstungsdeals voran. Hier wird er bei seinem Israel-Besuch 1962 von Israels stellvertretendem Verteidigungs minister Shimon Peres (*1923, links) und Moshe Dayan (1915–1981), der den Suez-Krieg befehligt hatte, in Empfang genommen. E s ist nur eine kleine Meldung, aber der Symbolgehalt ist umso größer: »Israelische Piloten erleben Eurofighter«, so geschehen im September 2014 beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 auf dem Fliegerhorst Lechfeld. Dort hatten zwei Kampfpiloten der israelischen Streitkräfte (Israel Defense Forces, IDF) Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und im modernsten Kampfflugzeug der Bun deswehr mitzufliegen. Wie viele andere Erlebnisse demonstriert auch diese Begegnung das freundschaftliche Verhältnis, das israelische Streitkräfte und Bundeswehr heute unterhalten. Auch in Rüstungsfragen kooperieren beide Seiten eng miteinander. So liefert Deutschland etwa U-Boote der »Dolphin«-Klasse an Israel, während die Bundeswehr israelische »Spike«-Panzerabwehrraketen und Aufklärungsdrohnen vom Typ »Heron« bezieht. 14 Israelische Waffen in deutschen Händen, deutsche Rüstung unter dem Davidstern? Was heute den Anschein von Normalität hat und scheinbar selbstverständlich wirkt, war ehedem undenkbar. Niemand hätte sich am 12. Mai 1965, als die Bundesrepublik Deutschland und Israel die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Austausch von Botschaftern bekanntgaben, vorstellen können, dass Deutschland einmal, nach den USA, Israels verlässlichster Freund und Verbündeter sein würde. Im Jahr 1965 waren gerade einmal 20 Jahre seit dem Ende der Shoah, dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Europas, verstrichen. Viele Israelis, vielleicht sogar die meisten, standen der Annäherung an (West-) Deutschland skeptisch bis ablehnend gegenüber, zu schmerzhaft-präsent war die leidvolle Vergangenheit. »Sechs Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Millionen Mal Nein!« skandierten die Demonstranten auf den Straßen Jerusalems, im steten Gedenken an die sechs Millionen Juden, die von HitlerDeutschland vergast, erschossen oder zu Tode gefoltert worden waren. Unter den damals rund 2,6 Millionen Einwohnern Israels gab es Hunderttausende, die während der Shoah unvorstellbares Leid erfahren hatten und von den Gräueln der Vernichtungslager für immer gezeichnet waren. Zwar hatte Israels erster Ministerpräsident David Ben Gurion schon früh an ein »anderes«, ein demokratisches Deutschland geglaubt. Trotzdem wollten die meisten Israelis damit nichts zu tun haben. Bis 1956 noch hatten sie sich sogar die Einreise in das Land der Täter offiziell versagt: »Gültig für alle Staaten außer Deutschland« lautete der entsprechende Vermerk in jedem israelischen Reisepass. Und doch führte an der Bundesrepublik kein Weg vorbei, weder wirtschaftlich noch militärisch. Israel war ein kleines Land, es verfügte weder über Bodenschätze noch Devisen, stand aber, umgeben von Feinden, vor der Herausforderung, sein Überleben sichern zu müssen. Kein arabischer Staat war bereit, den jüdischen Staat als legitim und von Dauer anzuerkennen. Sofort nach dessen Gründung am 14. Mai 1948 waren die Armeen Ägyptens, Transjorda niens, Syriens, des Libanon und des Irak aufmarschiert, um Israels Existenz noch im Keim zu ersticken. Den israelischen Streitkräften hatte es an allem gefehlt: Feldflaschen, Funkgeräte, Waffen. Dass es Israel dennoch gelang, die arabische Offensive abzuwehren, verdankte es den heimlichen Waffenlieferungen der Tschechoslowakei, die, wie die Sowjetunion, zu den ersten Staaten überhaupt gehörte, die Israel de jure anerkannt hatten. War die Unterstützung der Tschechoslowaken mit Billigung oder vielmehr auf Geheiß der Sowjetunion erfolgt, so änderte sich Moskaus Nahostpolitik rasch zugunsten einer arabischen Allianz. Schnell fand man in Israels Erzfeind Gamal Abdel Nasser einen neuen Verbündeten. Der ägyptische Offizier hatte 1952 den Militärputsch gegen den korrupten König Faruk angeführt, wurde 1954 zum Staatschef gewählt, propagierte einen panarabischen Sozia lismus und begeisterte die arabischen Massen. Die Sowjetunion umwarb den charismatischen Ägypter mit dem Modernsten, was ihre Rüstungskombinate zu bieten hatten. Bestrebt, der Vorherrschaft der Briten in der erdölreichen Region des Nahen Ostens ein Ende zu setzen, selbst Einfluss zu nehmen und im Kalten Krieg eine zweite Front gegen die USA zu eröffnen, ergriff der Kreml im Herbst 1955 die entscheidende Chance zur Machtprojektion: Ägypten unterzeichnete mit der kommunistischen Tschechoslowakei ein Abkommen über ein riesiges Waffengeschäft. In Israel schrillten alle Alarmglocken. Nasser hatte, zumindest nach außen, keinen Zweifel daran gelassen, gegen wen diese Waffen gerichtet sein sollten. So schickte er sich an, eine gesamtarabische Einheit für den Krieg gegen Israel zu schmieden, um die Juden zurück »ins Meer zu jagen«. Damals waren die IDF – heute stärkste Streitmacht im Nahen Osten – noch weit von ihrem Postulat entfernt, jeder Koalition arabischer Staaten militärisch-technologisch überlegen zu sein. Israels später so erfolgreiche Rüstungsindustrie (Israel Military Industries, IMI) steckte noch in den Kinderschuhen. Und mit den USA bestanden noch nicht jene »besonderen Beziehungen«, die Israel Jahre später in den Besitz der neuesten Waffensysteme brachten. Präsident Dwight D. Eisenhower und sein Außenminister John Foster Dulles weigerten sich sogar, dem Ersuchen Jerusalems um Waffen nachzukommen. Denn um einen Rüstungswettlauf zu vermeiden, hatten die drei westlichen Großmächte 1950 ein Waffenembargo über die Region verhängt. Entsprechend lieferten auch Großbritannien und Frankreich zunächst nur wenig Waffen. Erst mit der von Nasser betriebenen Verstaatlichung des Suez-Kanals wie auch angesichts der Tatsache, dass das ägyptische Militärregime die Aufständischen gegen die französische Herrschaft in Algerien unterstützte, verbesserten sich die Beziehungen zu den ehemaligen Mandatsmächten des Nahen Ostens. Großbritannien und vor allem Frankreich zeigten sich von nun an bereit, dem jüdischen Staat mit Waffen und Wissen zur Seite zu stehen. Um der Bedrohung durch Nasser zuvorzukommen, drängte der israelische Generalstabschef Moshe Dayan zum Angriff. Am 29. Oktober 1956, 16.59 Uhr Ortszeit, sprangen 395 israelische Fallschirmjäger über der ägyptischen Sinai-Halbinsel ab. Der Suez-Krieg hatte begonnen und Dayans Truppen benötig ten nur wenige Tage, um Nassers Soldaten in die Flucht zu schlagen. Trotz der Unterstützung durch Briten und Franzosen, die die SuezkanalZone besetzten, sah Ben Gurion jedoch voraus, dass der Schulterschluss nur von begrenzter Dauer sein würde: Die beiden Großmächte verfolgten zu viele eigene Interessen im arabischen Raum. Sollte es die politische Lage erfordern, würden sich die Regierungen in London und Paris rasch wieder gegen Israels Rüstungswünsche wenden. Es war also an der Zeit, sich nach einem weiteren Waffenlieferanten umzusehen: der Bundesrepublik Deutschland. »Wiedergutmachung« Kontakte nach Deutschland bestanden bereits. Konrad Adenauer hatte im September 1951 in einer lange vorbereiteten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag die Verantwortung der Bundesrepublik für die Verbrechen des Dritten Reiches anerkannt und Deutschlands Pflicht zur Sühne betont. Ein Jahr später, im September 1952, folgte das Luxemburg-Abkommen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland über finanzielle pa/AP images Existenzbedrohung 5Gefangennahme von ägyptischen Soldaten durch Angehörige der israelischen Armee während des Suez-Krieges im Herbst 1956: Gemeinsam mit ihren britischen und französischen Verbündeten errang die IDF einen militärischen Sieg über Ägyten. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 15 Deutsch-israelische Beziehungen 16 galt es, deutsche Waffenlieferungen zu akzeptieren. Andererseits hatte sich die Bundesrepublik Israel jüngst als verlässlicher Partner empfohlen. Obwohl Eisen hower die Bundesregierung drängte, die Shilumin so lange auszusetzen, wie Israel sich weigerte, aus den 1956 im Suez-Krieg besetzten Gebieten abzuziehen, erfüllte Adenauer das Luxemburg-Abkommen buchstabengetreu, da er sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der US-Amerikaner machen lassen wollte. Das brachte jene, die mit der Verteidigung Israels betraut waren, zu der Schlussfolgerung, den beiderseitigen Beziehungen »eine neue Dimension« hinzuzufügen – selbst wenn dies bedeutete, eine militärische Kooperation mit den ehemaligen Verantwortlichen der Shoah einzugehen. Denn Israels Fortbestand blieb auch nach dem jüngsten Waffengang prekär. Wieder war es zu keiner Friedensvereinbarung gekommen. Shimon Peres, seit 1953 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums und ab 1959 stellvertretender Verteidigungsminister, resümierte: »Die Araber verlangen gar nichts von Israel – außer seiner totalen Vernichtung.« Und während Nasser »alle seine Waffen per Telefon in Russland bestellen« konnte, war es für Israel ungleich schwerer, jenes Wehrmaterial zu beschaffen, das es benötigte, um sein militärisches Überleben aus eigener Kraft zu sichern. kommunisten imponierte ihn überdies, wie sich das kleine Israel den Drohungen der Supermacht Sowjetunion entgegengestellt hatte, den israelischen Vormarsch auf dem Sinai mit militärischer Macht zu stoppen. Dort hatten die vorrückenden Israelis große Mengen an sowjetischer Rüs tung erbeutet. Schon aufgrund der bundesdeutschen Position an der Nahtstelle zwischen Ost und West hatten Adenauer und Strauß ein immenses Interesse an der Auswertung sowjeti scher Rüstungstechnologien. Auf Anweisung von Peres konnte Strauß wenige Wochen nach der Militäraktion erste Muster von Waffen und Geräten zu Forschungszwecken in Empfang nehmen. Und noch eine weitere Lieferung erreichte den Verteidigungsminis ter: eine israelische Uzi, ein brandneues und doch schon kriegserprobtes Fabrikat. Die Sendung war verbunden mit der Bitte, die Schnellfeuerwaffe zur Einführung in die seit 1955 im Aufbau begriffene Bundeswehr prüfen zu lassen. Als der Vorgang in Israel bekannt wurde, reagierte die Öffentlichkeit empört: eine israelische Waffe ausgerechnet für deutsche Soldaten! In einer hitzigen Debatte in der Knesset, dem israelischen Parlament, schleuderte Menachem Begin seinem Widersacher Ben Gurion die Anschuldigung entgegen: »Sollen diejenigen, die ihre Hände mit jüdischer Seife gewaschen haben, auch jüdische Waffen tragen?« Das Fundament der diplomatischen Beziehungen In dieser kritischen Situation wandte sich Peres über alle moralischen Vorbehalte hinweg – sein geliebter Großvater war von den Nazis in der hölzernen Synagoge von Wischnewa bei lebendigem Leibe verbrannt worden – an Franz Josef Strauß, seit Oktober 1956 Verteidigungsminister im Kabinett Adenauer. Strauß hatte zu den lautstärksten Widersachern des Luxemburg-Abkommens gehört und sollte auch später viele Entscheidungen fällen, die nicht im Interesse Israels lagen. Wohl aber schien der Offizier des Zweiten Weltkrieges persönlich fasziniert vom militärischen Erfolg, den die Israelis jüngst im Blitzkrieg gegen die Ägypter davon getragen hatten. Als überzeugtem Anti Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 pa/Fred Stein Entschädigungen. Die Vereinbarung (euphemistisch als »Wiedergutmachung« bezeichnet) hatte in beiden Staaten zu heftigen Debatten geführt. Im Bundestag argumentierten nicht wenige Abgeordnete, dass die (west-) deutsche Nachkriegswirtschaft nicht gleichzeitig die Kosten für die angestrebte Wiederbewaffnung, die Zahlungsverpflichtungen an die Westmächte sowie die Reparationen an Israel würde stemmen können. Andere befürchteten, das Übereinkommen könne Bonns Beziehungen zu den arabischen Staaten dauerhaft gefährden, welche die Bundesrepublik schon bald nach 1945 aufgebaut hatte. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger, 54 Prozent, hielten die Zahlungen sogar »für überflüssig«! Adenauer stellte sich dem allen entgegen. (West-)Deutschland, so der Kanzler, musste seine Beziehungen zu Israel und dem jüdischen Volk neu ordnen und auf eine tragfeste Basis stellen, wollte es aus dem Schatten der Vergangenheit treten und anerkanntes Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft werden. Gerne hätte die Bundesrepublik deshalb bereits 1952 zu Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen, was freilich so kurz nach der Shoah für Israel unvorstellbar war. Ohnehin hatten in Israel die Verhandlungen über die Zahlungen – hebräisch Shilumim – wütende Proteste, Entsetzen und Abscheu hervorgerufen. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, den schlimmsten, die das Land je erlebte und die es faktisch vor eine Zerreißprobe stellten. Trotz größter wirtschaftlicher Not erschien es in allen Teilen der israelischen Gesellschaft unvorstellbar, von Deutschland materielle Hilfe anzunehmen. Zu den entschiedensten und führenden Gegnern des »Blutgeldes« gehörte der spätere Ministerpräsident Menachem Begin, dessen Eltern, Bruder und zwei Neffen von den Nazis ermordet worden waren. Jede deutsch-israelische Annäherung bewegte sich auf dünnem Eis. Noch lange wurden jene Waren aus der Bundesrepublik, die Israel im Rahmen des Luxemburg-Abkommens erreichten, von der israelischen Öffentlichkeit nur widerstrebend akzeptiert. Als völlig abwegig und gänzlich ausgeschlossen 5David Ben Gurion (1886–1973) war der erste Premierminister Israels. In seiner zweiten Amtszeit von 1955 bis 1963 wurden die Grundlagen der deutschisraelischen Beziehungen gelegt. erte, als es darum ging, die beiderseitigen Beziehungen zu formalisieren und dadurch die Bereitschaft zu fixieren, für Israels Existenzrecht einzustehen. Erfolgreich drohten Nasser und die arabischen Staaten für diesen Fall, die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik abzubrechen und stattdessen die DDR anzuerkennen. Für Bonn rangierte damals die Hallstein-Doktrin, der gesamtdeutsche Alleinvertretungsanspruch, offenbar vor der Aussöhnung mit Israel. Andererseits brauchte Israel angesichts der Bedrohungslage konkrete und zeitnahe militärische Hilfe, mit oder ohne offizielle diplomatische Beziehungen. Und diese erhoffte sich Peres von den Westdeutschen. Entsprechend übergab er Strauß in Rott am Inn eine Liste mit Wünschen, auf der unter anderem Transportflugzeuge, Hubschrauber, Artilleriegeschütze und Panzerabwehrraketen aufgelistet waren. Bonns Beitrag zur Gewährlestung der israelischen Sicherheit wurde auf dem historischen Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion am 14. März 1960 im New Yorker Waldorf-Astoria Hotel bekräftigt. Doch schon zwei Jahre vorher begann Westdeutschland Waffen an Israel zu liefern. Um den Transfer geheim zu halten, bewiesen Strauß und jene, die ihn unterstützten, ein hohes Maß an Kreativität und Erfindungsreichtum: »Wir haben«, schreibt Strauß in seinen Erinnerungen, »die Israel zugesagten Geräte und Waffen heimlich aus den Depots der Bundeswehr geholt und hernach als Ablenkungsmanöver bei der Polizei […] Diebstahlsanzeige erstattet.« Und weil deutsche Rüstungshilfe zu diesem Zeitpunkt von der israelischen Öffentlichkeit niemals akzeptiert worden wäre, wurden »Flugzeuge und Hubschrauber ohne Hoheitszeichen nach Frankreich geflogen und von Marseille aus nach Israel verschifft«. Insgesamt, so Strauß, erhielten die Israelis Lieferungen im Wert von 300 Millionen D-Mark – eine gigantische Summe, ohne dass diese Israel jemals in Rechnung gestellt worden wären. Für Strauß war es nur folgerichtig, dass deutsche Waffen jetzt zur Verteidigung Israels dienten, nachdem »Millionen Juden als Konsequenz einer verbrecherischen deutschen Politik und ap/dpa/pa/SZ Photo Für Peres indes überwogen zweckmäßige Gesichtspunkte. Bereits die Holländer hatten die Uzi für ihre Truppen geordert; sollte sich die Bundesrepublik anschließen, bestand eine gute Chance, die Uzi als NATO-Standardwaffe zu etablieren. Tatsächlich entschied Strauß später, die als MP2 bekannte Waffe für die Truppe anzuschaffen. Sie hatte sich auch unter schlechtesten Bedingungen bewährt und war zudem günstiger als das vergleichbare schwedische Modell. Ihr Verkauf diente der israelischen Wirtschaft, förderte Kontakte zwischen den aufstrebenden Rüstungsindustrien beider Staaten und unterstützte nicht zuletzt Israels Position als einzigen demokratischen Staat westlicher Prägung in der Region. Wie kaum ein anderer befürchtete der deutsche Verteidigungsminister das weitere Vordringen des Sowjetkommunismus in Nahost, Europas offener Flanke. Außerdem wurden im Geheimen auch Mörsergranaten und Infanteriemunition geordert. Darüber hinaus ließ das Bundesverteidigungsministerium in Israel Uniformen für die Bundeswehr anfertigen, was in den Belegschaften der entsprechenden israeli schen Firmen zu Arbeitsniederlegungen führte. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten Juden in den Ghettos Uniformen für die Wehrmacht nähen müssen. Eingefädelt worden war der Rüs tungsdeal Ende Dezember 1957 zwischen Shimon Peres und dem deutschen Verteidigungsminister in dessen Privathaus in Rott am Inn – geheim und im Verborgenen, ohne je schriftlich fixiert zu werden. Der Weg dorthin war für die anreisenden Israelis keineswegs einfach, nicht nur der winterlich glatten Straßen wegen. Der dichte Nebel, erzählte Peres, habe unweigerlich Erinnerungen an jenen Rauch geweckt, der unaufhörlich durch die Schornsteine der Krematorien in den Vernichtungslagern gezogen war. Trotz allem stellte die Reise in vielfacher Hinsicht Weichen für die Zukunft. Sie schlug ein neues Kapitel in der Geschichte auf – eines, das Deutschland in die Pflicht nehmen und gleichzeitig die Chance eröffnen würde, eine Brücke über den Abgrund der Vergangenheit zu bauen. Zur Enttäuschung der Israelis war es aber jetzt die Bundesrepublik, die mau- 5Während eines Herbstmanövers 1959 ließ sich Verteidigungsminister Strauß von einem Fallschirmjäger dessen Maschinenpistole Uzi erklären. durch deutsche Waffen umgebracht« worden waren. Mit der deutschen Rüs tungshilfe, meinte Peres rückblickend, habe Deutschland in einem »weiteren, umfassenderen Sinn eine Wiedergutmachung an Israel« vorgenommen, indem »es versuchte dazu beizutragen, Israel gegen die Gefahren der Zukunft zu schützen«. Und so war es nach dem Grauen der Shoah gerade das Undenkbare – die militärische Zusammenarbeit –, was Vertrauen schaffte und zu der seit 50 Jahren währenden deutschisraelischen Partnerschaft führte. Pedi D. Lehmann Im Gedenken an Dan Wischnitzer, Avigdor, Israel Literaturtipps Niels Hansen, Aus dem Schatten der Katastrophe. Die deutsch-israelischen Beziehungen in der Ära Konrad Adenauer und David Ben Gurion. Ein dokumentierter Bericht, Düsseldorf 2000. Avi Primor, … mit Ausnahme Deutschlands. Als Botschafter Israels in Bonn, Berlin 1997. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 17 Masadas letzte Männer Masadas letzte Männer – akg-images/Albatross/Duby Tal ungebeugte Helden oder nachträgliche Erfindung? 5Die Bergfestung Masada von Nordwest aus gesehen: Im Vordergrund rechts befinden sich die Überreste eines der römischen Lager; daneben ist die aufgeschüttete Rampe zu sehen, im Hintergrund das Tote Meer. D ie Festung Masada am Toten Meer ist ein steinerner Mythos des heroischen letzten jüdi schen Kampfes gegen den übermächtigen Gegner Rom im Jahre 74 n.Chr. Er endete nach längerer Belagerung mit einem Massensuizid der Zeloten, religiös motivierte Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzung, in aussichtsloser Lage. Seither steht »Masada« als Sinnbild des »kämpfenden Juden«, weswegen israelische Rekruten heute in den Ruinen der Festung vereidigt werden. 1981 wurde eine achtteilige Fernsehserie »Masada« mit Peter O’Toole sowie Peter Strauss produziert und George Taboris gleichnamiges Bühnenstück wurde 1988 uraufgeführt. Dabei basiert der gesamte Mythos auf der im Nachhinein sehr erfolgreichen Darstellung des Kampfes in dem Buch »Geschichte des Judäischen Krieges« (»De bello Iudaico«) des römisch-jüdischen Historikers Flavius Josephus (37-100 n.Chr.). Doch wie glaubhaft sind seine Angaben? 18 Die Quellenlage Die Schilderung setzt im achten Kapitel des siebten Buches des »Judäischen Krieges« ein. Zu der Zeit, als Masada zum ersten Mal in den Blick größerer Aufmerksamkeit rückte, war überall im Land bereits friedhofsartige Ruhe eingekehrt: Jerusalem war zerstört, der zweite Tempel, das größte Heiligtum der Juden überhaupt, lag in Schutt und Asche, die Anführer der Revolten befanden sich in römischem Gewahrsam und die judäische Freiheitsbewegung lag am Boden. In dieser Situation übernahm ein römischer Statthalter (Promagistrat) das Oberkommando in der Provinz – Flavius Silva: »Als er sah, dass das ganze Land durch den Krieg unterworfen worden war und nur eine einzige Festung noch im Abfall beharrte, sammelte er die an den verschiedenen Plätzen gelegene Streitmacht und zog gegen diese Festung. Ihr Name war Masada« (VII, 8, 1). Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Masada war eine der gewaltigsten Festungen, die der verstorbene König Herodes der Große jemals hatte errichten lassen. Sie liegt auf einem Dolomitfelsen, dessen Höhe und Schroffheit das Plateau nahezu unzugänglich machen. Die östliche Flanke fällt zum Toten Meer 400 Meter steil ab. Auf den Felsen hinauf führen nur zwei Wege: Im Westen existiert ein Aufstieg, im Osten gibt es den wegen seiner Windungen benannten »Schlangenpfad«. Auf dem Plateau befand sich nun, laut Josephus, »eine Mauer aus weißem Gestein, 12 Ellen hoch und 8 Ellen dick [1 Elle = 0,444258 Meter]. Auf der Mauer aber standen zudem noch 37 Türme, jeweils 50 Ellen hoch, von denen man zu den Innenräumen gelangen konnte, die innerhalb der ganzen Mauer gebaut waren« (VII, 8, 3). Darüberhinaus war die Festung mit genügend Vorräten wie Wein, Öl und Getreide ausgerüstet. Alles in allem herrschten also gute Bedingungen, um einem römischen Angriff über lange Unzuverlässige Quellen? Aus heutiger Sicht ist Flavius Josephus ein sehr zuverlässiger Chronist. Dies liegt vor allem an seiner persönlichen Beteiligung bzw. Verstrickung in die Ereignisse im Judäa der sechziger und siebziger Jahre nach Christus: So hatte er zu einem frühen Stadium des Aufstands eine Führungsposition innerhalb der Rebellion inne, kommandierte persönlich die Truppen der Verteidiger der belagerten Stadt Jotapata und fiel nach der Niederlage der Stadt in die Hände der Römer. Daraufhin wechselte er die Seiten und war als Beobachter sowie Parlamentär in römischen Diensten an der Belagerung Jerusalems beteiligt. Nach dem Fall der Stadt begleitete Josephus den römischen Feldherrn Titus nach Rom. Bei der Belagerung Masadas aber war er nicht anwesend und berichtete daher nicht als Augenzeuge. Die Belagerung der Wüstenfestung sowie die kollektive Tötungsmaßnahme übernahm er aus anderen Quellen, vermutlich aus römi schen Archiven, in denen möglicherweise Berichte der 10. römischen Legion »Fretensis« oder ihres Kommandeurs, Flavius Silva, eingelagert waren. Für diese Hypothese spricht, dass die Angaben, die Josephus zu den Installationen und Bauten der Belagerer macht, allesamt ungemein und bis ins Detail hinein korrekt sind. So beschreibt er minutiös die Beschaffenheit der römischen Sturmbrücke, deren von ihm genannte Charakteristika allesamt anhand archäologischer Untersuchungen nachgewiesen bzw. bestätigt werden konnten: Weißes Felsmaterial, Verstärkung der Erde mit Holzbalken (deren Reste tatsächlich entdeckt wurden) sowie die Lage der Rampe stimmen genau mit seinen Angaben überein. Zu der Situation der Belagerten hingegen äußert er sich nur sehr vage oder überhaupt nicht. Anders tut er dies bei der Beschreibung der Zustände im belagerten Jerusalem, wo er sich seitenweise über die Streitigkeiten, Zwiste und Nöte in der umzingelten und von aller Hilfe abgeschnittenen Stadt auslässt. Die einzige Person, die er ausführlich beschreibt, ist der Festungskommandant Eleazar, der jedoch auch nur durch ewig lange, rechtfertigende und sämtliche Höllenszenarien ausmalende Monologe glänzt. Interessant ist, dass sich mehrere Frauen zu Beginn des kollektiven Suizids vor den übri gen Sikariern verstecken und dann den Römern nachträglich von den Ereignissen Zeugnis geben: »Dabei wußte die eine unter ihnen ganz genau darzulegen, wie man gesprochen und gehandelt hatte« (VII, 9, 2). Dieser Satz wirkt in dem Zusammenhang wie eine nachträglich eingeschobene Quellenangabe, auf die Josephus sonst verzichtet. Bei der Belagerung von Jerusalem verschweigt er seine Informanten, hier aber muss er sich rechtfertigen und legt daher sehr großen Wert auf eine Quelbpk Zeit hinweg standhalten zu können. Besonders radikale jüdische Aufständische, sogenannte Sikarier, besetzten im Laufe des Judäischen Krieges die Festung und verschanzten sich dort; an ihrer Spitze befand sich ein Mann namens Eleazar. Die Vorgehensweise der Römer gestaltete sich kaltblütig, präzise und, wie fast immer, extrem effektiv. Zunächst befahl Silva die Anlage mit einem Wall (circumvallatio) zu umfassen, der eine Länge von 4,2 Kilometern erreichte. Diese Aufschüttung ist auch heute noch vor Ort zu sehen. Bestandteil der Umwallung waren auch zwölf Türme und acht römische Feldlager. Am Westabhang des Plateaus errichteten die Römer eine 73 Meter hohe Rampe, auf die sie einen mit Metall verkleideten Belagerungsturm zogen. Der Belagerungsturm diente als Basis eines Rammbocks wie auch als »Artillerieturm«, von dem aus die Verteidiger auf der Mauer beschossen werden konnten. Die Wirkung dieser todbringenden Installation war furchtbar, denn schon bald konnten die Angreifer eine Bresche in die Mauer schlagen. Die Verteidiger errichteten hastig eine Palisade. Sie bestand aus ineinander verkeilten Holzbalken und Füllmaterial aus Erde, um die Stöße des Sturmbocks in elastischer Art und Weise auffangen zu können. Die Römer steckten sie jedoch kurzerhand in Brand. Der Rest des achten Kapitels im siebten Buch erzählt von Eleazars Reden und Bemühungen, die er unternahm, um eine Gefangenschaft seiner Leute zu verhindern. Ein Massenselbstmord war die Folge: Die etwa 1000 radikalen Rebellen, bis zuletzt ungebeugt, gaben sich selbst den Tod. Insgesamt hatten sich wohl 1100 bis 1200 Menschen auf dem Plateau befunden; zwischen 100 und 200 waren durch die Kämpfe umgekommen. 3Flavius Josephus (etwa 38–100 n.Chr.) galt vielen Juden als Verräter, da er sich den Römern angeschlossen hatte. Sein Werk »De bello Iudaico« ist bis heute die wichtigste schriftliche Quelle zur Geschichte des jüdischen Aufstandes gegen das Römische Reich (66–73 n.Chr.). Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 19 Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin/ Dirk Sonnenwald Masadas letzte Männer 5Die Münze aus der flavischen Zeit (69–96 n.Chr.), auf der die endgültige Niederschlagung des Judäischen Aufstandes gefeiert wird. Auf der Rückseite der Münze sieht man eine Palme mit einem stehenden gefesselten judäischen Mann und einer sitzenden, weinenden judäischen Frau. Darüber die Schrift: IUD CAP = Iudaea capta (Iudäa ist gefallen). lenangabe, die die Richtigkeit seiner Angaben, insbesondere aber die Wahrheitstreue der Wiedergabe von Eleazars Rede, garantiert. Josephus war also sehr viel daran gelegen, die Richtigkeit seiner Angaben zu demonstrieren. Damit wich er aber von seiner eige nen Norm ab. Wieso verwies er hier auf seine Quellen, wenn er es an anderer Stelle nicht tat? Woher wusste Josephus so detailreich Bescheid um das Geschehen in der Festung? Waren es wirklich die Gefangenen, die berichteten, oder schmückte der Historiker ein nur vage bekanntes Szenario im Nachhinein aus, um es für die Nachwelt angemessen zu heroisieren? Die ärchäologischen Befunde Die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Flavius Josephus bezüglich seiner Angaben zur kollektiven Selbsttötung kann durch den archäologischen Befund eventuell geklärt werden. In den Jahren 1963/64 wurde Masada unter der Leitung von Yigael Yadin, Archäologe und von 1949 bis 1952 Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, ausgegraben. Im Laufe der Untersuchungen wurde sehr schnell klar, dass sich die allermeisten Angaben, die Flavius Josephus sowohl zum Aussehen der Festung als auch zum Hergang der Schlacht machte, mit den Grabungsbefunden deckten. Der Selbstmord der Verteidiger Masadas ist jedoch archäologisch schwer nachweisbar. Fakt ist, dass in den Ruinen der nördlichen Sektion der Festung drei menschliche Skelette gefunden wurden; es handelte 20 sich um die Reste eines ca. 20-jährigen Mannes; ferner um das Skelett einer jungen Frau, deren Haar aufgrund der Trockenheit erhalten geblieben war, sowie um ein Kinderskelett mit kleinen Sandalen. 25 weitere Skelette wurden in einer Höhle unterhalb der südlichen Kasemattenmauer entdeckt. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es sich um die Reste der Verteidiger handelte, vielmehr waren es Skelette von Menschen, die in einem frühen Stadium des Kampfes gestorben und deren sterblichen Überreste aus Angst vor Seuchenausbreitung außerhalb der Mauern verbracht worden waren. Das Fehlen von Leichen auf dem Plateau könnte auf zwei Ursachen zurückzuführen sein: Entweder sind die Angaben bei Flavius Josephus erfunden und es hat nie eine kollektive Selbsttötung gegeben. Josephus verfasste sein Geschichtswerk mit dem Ziel, einerseits die judäische Widerstandsbewegung zu heroisieren und ein positives Bild für die Nachwelt zu überliefern und andererseits seinen eigenen Seitenwechsel während des Krieges zu rechtfertigen. Ein heroischer Akt in aussichtloser Lage passte daher ganz gut in sein erinnerungspolitisches Programm. Oder aber es hat den Massensuizid doch gegeben und die Leichen der letzten Verteidiger von Masada wurden von den Römern verbrannt? Der israelische Archäologe Yoram Tsafrir hält dies für durchaus möglich, da es unwahrscheinlich ist, dass die Körper der Belagerten jahrelang auf dem Plateau lagen. Aus einer Untersuchung aus dem Jahr 2005 geht deutlich her- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 vor, dass es in der römischen Armee klare Regelungen gab, wie mit den Leichen der Gefallenen nach einer Schlacht umzugehen sei. Man ließ die toten Körper nicht einfach herumliegen, sondern bestattete bzw. verbrannte diese – auch um einer drohenden Seuchengefahr vorzubeugen. Jedoch beantwortet dies nicht die Frage, ob sich die letzten Verteidiger von Masada selbst töteten oder nicht. Die Nachwelt steht nun vor dem Problem, dass es keinen sicheren Nachweis der kollektiven Selbsttötung gibt, dass aber dieser fehlende Nachweis nicht als Beleg des Gegenteils gewertet werden kann. Stärke der Festung Ein anderes, interessantes Indiz liefert die Betrachtung der Stärke der Verteidigungsanlagen der Wüstenfestung: Wie standen überhaupt die Chancen auf eine erfolgreiche Verteidigung? Bei der Klärung dieser Frage spielt die unzugängliche Lage der Festung eine wichtige Rolle: Ohne technische Hilfsmittel wie etwa die römische Belagerungsrampe war es für Angreifer kaum möglich, das Plateau zu erreichen. War der Aufstieg erst einmal geschafft, standen die Angreifer vor einem kasemattierten Wall von 1290 Metern Länge, 6 Metern Höhe und einer durchschnittlichen Stärke von 6,4 Metern, der den gesamten Rand des Plateaus umschloss. Der innere Mauerzug wies eine durchschnittliche Breite von nur 95 Zentimetern auf, der äußere Mauerzug war immerhin 1,4 Meter stark. Der Nachteil einer Kasemattenmauer lag in eben dieser leichten Bauweise begründet: Zwei dünne Wände samt dazwischen liegendem Hohlraum waren mit konventionellen Mitteln der Mauerzersetzung (Katapulte, Sturm-/Rammböcke) leichter zu durchbrechen als ein auf der gesamten Mauerbreite dick ausgeführter Massivwall. Die Verteidiger sahen das Risiko eines direkten Angriffs auf die Mauer Masadas offenbar als gering an. Keiner der beiden Mauerzüge war wirklich massiv. Sie dürften sich in erster Linie darauf verlassen haben, dass es Angreifern nicht gelingen würde, auf die Höhe des Plateaus zu gelangen. Eine andere Tatsache kommt erschwerend hinzu. Wie bereits erwähnt, waren auf der Festungsmauer im Ab- akg-images/Gerard Degeorge stand von 45 Metern Türme platziert. Josephus äußert sich nicht dazu, ob auf den Plattformen der Türme »Geschütze« installiert waren. Bereits in der Defensivarchitektur nach dem Aufkommen der Torsionsgeschütze um 399 v.Chr. können Geschütztürme nachgewiesen werden. »First-generation catapult towers« waren vor allem für Anti-Personen-Geschütze wie Gastrapheten (Bauchschleuderer) geeignet und »second generation catapult towers« wurden zur Stationierung schwe rer und schwerster Artillerie konzipiert. Der Vergleich zwischen den Maßen dieser Türme und denjenigen, die Yadin und seine Kollege für Masada nachweisen konnten, lässt durchaus darauf schließen, dass die Türme Masadas Geschütztürme gewesen sein könnten. So wies auch einer der Türme der Stadtmauer, die spätestens im dritten Jahrhundert v.Chr. um die griechische Stadt Messene gebaut worden war, lediglich eine Mauerstärke von 0,58 Metern und eine Höhe von 9 Metern auf, er besaß aber eine Geschützkammer mit rechteckigen Fenstern und eine darüber errichtete Kampfplattform. Die Stärke der die Kasemattenmauer bildenden Mauerzüge von Masada betrug 95 Zentimeter innen und 1,4 Meter außen. Der Vergleich zeigt, dass die Türme Masadas stark genug waren, um Katapulte aufzunehmen. Einen endgültigen archäologischen Nachweis für die «Geschützturm«Theorie gibt es leider nicht, da Mauer und Türme zum Zeitpunkt ihrer Ausgrabung komplett eingestürzt und deren Reste zum Teil sogar über den Abhang des Felsens in die Tiefe gestürzt waren. Daher wurden in Rekonstruk tionsvorschlägen die Türme stets als konventionelle Türme, d.h. nicht zum Tragen von Geschützen geeignet, nachgebildet. Yadin und sein Team fanden außerdem schwere Rollsteine innerhalb der Festung, die möglicherweise für eine Verwendung als Waffe geeignet gewesen wären, wenn man sie den Abhang hinuntergeworfen hätte. An der Stelle des römischen Durchbruchs hingegen wurden hunderte römische Geschosse gefunden, doch nur wenige, scheinbar ungenutzt liegen gebliebene Rollsteine. Daran, so Yadin, sei die Aussichtslosigkeit der Verteidigungsintention deut- 5Rekonstruktion einer römischen Kriegsmaschine, die bei der Belagerung von Masada zum Einsatz kam. lich zu erkennen. Das lässt den Schluss zu, dass die Katapulte Masadas entweder außer Funktion waren, keine Munition hatten oder dass es sie schlicht nicht gab. Aus all den oben angeführten Überlegungen zur Stärke der Befestigung Masadas geht hervor, dass die Verteidigungsmöglichkeiten nicht unbedingt groß waren, wenn der Feind erst einmal einen Weg gefunden hatte, auf das Plateau zu gelangen, auf dem die Fes tung errichtet worden war: Die Mauer war leicht zu durchstoßen und »Geschütztürme« gab es nicht oder waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr kampftauglich. Zudem bestand die Schar der Verteidiger, die sich innerhalb der Mauern aufhielten, zwar aus zum Äußersten enschlossenen Käm pfern, die jedoch hinsichtlich der militärischen Ausbildung den römischen Legionären deutlich unterlegen waren. Eleazar, ihr zum Zynismus neigender Anführer, musste sich im Angesicht der fertiggestellten und mit einem Belagerungsturm bestückten Rampe die Niederlage seiner Zeloten eingestehen. Bilanz Da es keine archäologischen Befunde gibt, die aus der Endphase des Kampfes um das Masada-Plateau stammen, kann der von Josephus geschilderte Massensuizid weder mit absoluter Sicherheit bestätigt noch vollkommen widerlegt werden. Die Frage, ob auf dem Masada-Felsen im Jahre 74 n.Chr. eine kollektive Selbsttötung stattfand, ist aus heutiger Sicht nicht mehr zu klären. Es gibt aber dennoch einige Anhaltspunkte, welche einen derartig drastischen Schritt der Verteidiger plausibel machen. Hauptpunkt der Argumentation ist insbesondere die nur mäßige Stärke der Verteidigungsanlagen der Festung – wenn ein Angreifer einmal auf dem Plateau Fuß gefasst hatte, so war er nur noch schwer zu bekämpfen. In Anbetracht aller zusammengetragenen Indizien ist der Kollektivsuizid der letzten Verteidiger von Masada sehr wahrscheinlich. Flavius Josephus ist also auch in diesem Punkt als glaubwürdig anzusehen. Stefan E.A. Wagner Literaturtipps Flavius Josephus, Geschichte des Judäischen Krieges. Übersetzt und bearbeitet von Heinrich Clementz, Wiesbaden 2012. Yigael Yadin, Masada. Der letzte Kampf um die Festung des Herodes, Hamburg 1967. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 21 Das historische Stichwort Das Edelweißabzeichen der Gebirgsjäger S eine Majestät der Kaiser haben genehmigt, dass die Truppen des Alpenkorps als Abzeichen das Edelweiß an der Kopfbedeckung tragen.« Im Juni 1915 schenkten die österreichisch-ungarischen Verbündeten den Soldaten des deutschen Alpenkorps Edelweißabzeichen als Geste kameradschaftlicher Verbundenheit. Noch heute tragen die Gebirgsjäger der Bundeswehr auf der linken Seite ihrer Bergmütze dieses charakteristische Symbol, das in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Grund genug, um einen Rückblick auf die Anfänge der deutschen Gebirgstruppe und die Ursprünge ihres Abzeichens zu werfen. Vor dem Ersten Weltkrieg glaubte man im Deutschen Reich, dass eine eigene Gebirgstruppe entbehrlich sei, obwohl Nachbarstaaten wie Frankreich, Italien und Österreich-Ungarn bereits damit begonnen hatten, erste Verbände für den Kampf im Gebirge aufzustellen. Offenbar begnügte man sich mit der Gewissheit, dass der Großteil der deutschen Gebirge an österreichisch-ungarisches Staatsgebiet grenzte und mit dem Verbündeten in absehbarer Zeit kein Konflikt zu erwarten war. Zudem schien sich das südbayerische Alpengebiet kaum für umfangreiche Kampfhandlungen zu eignen. Folglich sollte ein Gegner aus Süden ungehindert bis in die schwäbisch-bay erische Hochebene vordringen können, um dort gestellt und besiegt zu werden. Die Fehleinschätzung, daher keine Gebirgstruppe zu benötigen, erwies sich bereits im ersten Kriegswinter 1914/15 als fatal, als sich deutsche Truppen an der Vogesenfront mit den »Chasseurs alpins«, den französischen Alpenjägern, konfrontiert sahen und diesen ohne äquivalente Ausbildung und Ausrüstung begegnen mussten. Als Reaktion wurden im Laufe des Winters vier »Schneeschuh-Bataillone« aufgestellt, die vornehmlich aus freiwilligen Skiläufern bestanden und die Grundlage für die spätere deutsche Gebirgstruppe bildeten. 22 DHM, Inventarnr. PK 90/517 Service 5In Stellung an der hochalpinen Front: Angehörige des Alpenkorps im Kriegsjahr 1915/16. Zeichnung des Dresdner Malers Rudolf Trache. Von den »Schneeschuhlern« zum Alpenkorps Die politischen Ereignisse des Jahres 1915 führten schließlich dazu, dass auch das Deutsche Reich eigene Verbände für den Kampf im Gebirge aufstellen musste. Der seit 1882 zwischen Österreich-Ungarn, Italien und dem Reich bestehende Dreibund hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg Risse bekommen, da sich besonders die Donaumonarchie und Italien zunehmend misstrauten und beide Seiten bereits Angriffspläne auf den jeweiligen Partner ausgearbeitet hatten. 1914 verhielt sich Italien zunächst neutral, begann jedoch bald erste Verhandlungen mit der Entente über einen Kriegseintritt auf deren Seite. Zeitgleich forderte Italien von Österreich-Ungarn die Abtretung von Grenzgebieten, in welchen italienische Minderheiten lebten, aber auch des deutschsprachigen Südtirol bis zum Brenner, weil man diesen als »natürliche« Grenze betrachtete. Da diesem »Erpressungsversuch« aus Sicht von Österreich-Ungarn unmöglich stattgeben werden konnte, trat Italien aus dem Dreibund aus und erklärte am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Krieg. An das Deutsche Reich erging zunächst keine Kriegserklärung. Die Oberste Heeresleitung (OHL) war indes bereits Anfang 1915 in Sorge geraten, ob Österreich-Ungarn einem eventuellen Angriff Italiens standhalten würde, und drängte daher die Regierung in Wien, Zugeständnisse an Italien zu machen. Als aber mehr und mehr klar wurde, dass sich ein Krieg mit dem einstigen italienischen Bündnispartner nicht vermeiden ließ, erging am 20. Mai 1915 durch das Preußische Kriegsministerium die Aufforderung an das Bayerische Kriegsministerium, sofort ein »Alpenkorps« aufzustellen. Die Aufgabe dieser ersten deutschen Gebirgstruppe bestand darin, ÖsterreichUngarn im Kriegsfall Unterstützung gegen Italien zu leisten. Das Alpenkorps wurde dabei aus Eliteeinheiten, etwa dem Bayerischen Infanterie-Leibregiment oder dem Hannoverschen Jägerbataillon Nr. 10, zusammengestellt. Die vier »Schneeschuh-Bataillone« waren ebenso eingebunden und wurden zum Jäger-Regiment Nr. 3 zusammengefasst. Das Alpenkorps entsprach mit seiner Gesamtstärke von 26 000 Mann dabei eher einer verstärkten Division als einem Armeekorps. Es verfügte al- Pollen, das vermutlich eine der originalen Versionen von 1915 zeigt. lerdings über Korpstruppen wie schwere Artillerie, Kolonnen und Trains, Pionierkompanien, Fernsprecheinheiten und eine Fliegerabteilung. Zum »Führer des Alpenkorps« wurde der bayerische Generalleutnant Konrad Krafft von Dellmensingen (1862-1953) bestimmt. Er versammelte seine neue Truppe unverzüglich in Südtirol. Das Edelweiß als Zeichen der Kameradschaft Am 21. Mai 1915 traf Generalleutnant Krafft in Innsbruck ein und bekam vom Landesverteidigungskommando Tirol ein Edelweißabzeichen geschenkt. Anfang Juni wurden wiederum durch das Landesverteidigungskommando dem Alpenkorps weitere 20 000 Edelweißabzeichen überreicht. Schon seit 1907 war dieses das Symbol der k.k. Landwehrgebirgstruppe und wurde daher bei den Verbündeten sehr geachtet. Die Schenkung an das Alpenkorps sollte vor allem ein äußerliches Zeichen für den Zusammenhalt der käm pfenden Soldaten an der neuen Front im Süden darstellen. Unklar ist bis heute, welche genaue Form diese ersten Abzeichen aufwiesen. Sicher ist nur, dass es sich um ein hohlgeprägtes Emblem aus Metall handelte, das eine Edelweißblüte mit aufgesetzten Pollen ohne Stiel zeigte und von der Firma geliefert wurden, die die österreichisch-ungarischen Abzeichen Sammlung Andreas Kammloth Sammlung Andreas Bauer 5Edelweißabzeichen mit sechs gelben herstellte. Auf zeitgenössischen Fotografien finden sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Varianten des Abzeichens. Allerdings ist auch ein Tausch oder eine Schenkung unter den Soldaten denkbar, da ebenso Angehörige des Alpenkorps mit österreichisch-ungarischen Edelweißvarianten auf diesen Fotografien abgebildet sind. Obwohl das Abzeichen zur Stärkung der Kameradschaft verliehen wurde, entstand bald eine rege Diskussion um das Edelweiß, da es in der deutschen Armee eher unüblich gewesen war, Abzeichen an »Krätzchen« (Feldmütze), Tschako oder Schirmmütze zu tragen. Daher bedurfte es der Genehmigung durch Kaiser Wilhelms II. General Krafft schuf jedoch zunächst vollendete Tatsachen und erlaubte eigenmächtig das Tragen des Abzeichens. Zudem stellte er den nötigen Antrag bewusst erst drei Wochen nach der Verleihung, um sicher zu gehen, dass jeder Mann sein Edelweiß erhalten hatte. In Berlin reagierte man ungehalten auf die Verleihung und verwies darauf, dass sich der Kaiser »wiederholt scharf gegen Eigenmächtigkeiten im Anzuge, wie sie zum Schaden der Manneszucht vielfach jetzt in Erscheinung treten, ausgesprochen« habe. Folglich verlangte man, dass die Abzeichen wieder abgelegt werden sollten. Krafft schrieb daraufhin eine Gegendarstellung, in der er den besonderen Charakter der Schenkung betonte und argumentierte, dass die Verbündeten eine Ablehnung des Geschenkes als mutwillige Unfreundlichkeit empfinden würden. Mangels einer Antwort aus Berlin trugen die Männer des Alpenkorps das Edelweiß zunächst auch ohne die kaiserliche Genehmigung, bis am 14. August 1915 der Korps-Tages-Befehl des Alpenkorps festhielt: »Seine Majestät der Kaiser haben genehmigt, dass die Truppen des Alpenkorps als Abzeichen das Edelweiß an der Kopfbedeckung tragen. Das Edelweiß wird an jeder Kopfbedeckung über dem linken Ohr getragen. Das Anbringen an anderen Stellen (z.B. Kragenpatten) und anderer Abzeichen, sowie das Tragen lebender Blumen im Dienst ist untersagt.« Folglich war die Trageweise genauestens geregelt. Die Gebirgsdivisionen der Wehrmacht trugen das Edelweiß ebenso, wie auch heute das Abzeichen die Bergmützen der Gebirgsjäger der Bundeswehr ziert. Angesichts der immer wieder aufflammenden Diskussionen um die Traditionspflege in der demokratischen Armee stellt dies eine bemerkenswerte Koninuität dar. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gab es weitere Diskussionen darüber, ob das Edelweiß ein Kampf- oder ein Verbandsabzeichen sei. Das Preußische Kriegministerium setzte sich mit seiner Ansicht, dass es sich hierbei um ein Kampfabzeichen handelte, gegenüber dem Bayerischen Kriegsministerium durch. Folglich waren in der Theorie nur diejenigen Männer dazu berechtigt, ein Edelweiß an ihrer Kopfbedeckung zu tragen, die in Tirol von Mai bis Oktober 1915 gekämpft hatten. Dem Nachersatz des Alpenkorps war es verboten, das Abzeichen zu tragen, was aber in der Praxis oftmals ignoriert wurde. Immanuel Voigt Literaturtipps 5Ein Soldat des Bayerischen InfanterieLeibregiments posiert für ein Studioportrait. Sein Edelweißabzeichen ist deutlich zu erkennen. Michael Forcher, Tirol und der Erste Weltkrieg. Ereignisse, Hintergründe, Schicksale, Innsbruck, Wien 2014. Günther Hebert, Das Alpenkorps. Aufbau, Organisation und Einsatz einer Gebirgstruppe im Ersten Weltkrieg, Boppard a.Rh. 1988. Immanuel Voigt, Das Alpenkorps an der Dolomiten-Front 1915. Mythos und Realität, Bozen 2014. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 23 Service ! Neue Medien Comics & Graphic Novels Selbstmordattentäterin N ah dran, schmerzhaft realistisch: Die vorliegende Graphic Novel gewährt dem Leser mit den Augen des jungen palästinensischen Chirurgen Dr. Amin Jaafari einen intensiven Einblick in viele Facetten des immer noch andauernden Konfliktes um den paläs tinensischen Staat. Dr. Jaafaris Welt, in der er sich in einem Tel Aviver Krankenhaus unermüdlich um die Opfer des Bürgerkriegs kümmert, bricht zusammen, als seine Frau bei einem Loic Dauvillier/Glen Chapron, Das Attentat. Hamburg 2013. ISBN 978-3-55178250-2; 152 S., 18,90 Euro Selbstmordattentat ums Leben kommt. Die grausame Erkenntnis, dass seine Frau selbst die Attentäterin war, treibt ihn zu einer selbstzerstörerischen Suche nach den Gründen an. Jaafari taucht dabei tief in die Lebenswelt und Wirklichkeit im Gazastreifen, in Israel und im Westjordanland ein, in die Hintergründe aus Bangen und Hoffen, aus Religion, Glaube und Radikalisierung, aus Wut, Ohnmacht und Gewalt. Stück für Stück legt er immer wieder kleine und größere Teile des Puzzles frei, wie und warum seine scheinbar glückliche Frau so eine Tat verüben konnte. Dabei gerät er jedoch unweigerlich zwischen die verhärteten Fronten von Israelis und Palästinensern. Er erfährt am eigenen Leib die Angst und Gewalt, die diesem Konflikt innewohnen, was dieser aus und mit Menschen macht und zahlt am Ende den höchsten Preis für die Suche nach der Wahrheit. Die Graphic Novel ist sehr ansprechend und in sich schlüssig gezeichnet und erlaubt es dem Leser, der dichten Story von Anfang bis Ende gut zu folgen. Das Besondere an diesem Band ist, dass die Menschen auf beiden Seiten des Konfliktes ein Gesicht und eine Geschichte bekommen. Dies hilft, diesen Krieg etwas mehr zu verstehen, die 24 menschliche Dimension besser zu erfas sen. Der dieser Graphic Novel zugrundeliegende Roman wurde bereits zum Bestseller; die gezeichnete Version hat zweifelsohne ebenso das Zeug dazu. jm DDR und diesem Teil unser eigenen Geschichte auf den Punkt zu bringen: den ungebrochenen Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung. jm Flucht aus der DDR D ie Mauer – immer noch der Anziehungspunkt für einen Großteil aller Berlin-Besucher und Touristen. Aber 26 Jahre nach dem Fall ist sie fast gänzlich verschwunden, Zeugnisse und Spuren von ihr sind schwer zu finden. Graphic Novels wie die von Jou vray und Brachet können ihren Teil dazu beitragen, nicht nur die Erinnerung an diese Zeit der deutsch-deutschen Geschichte zu erhalten, sondern auch, um das Interesse daran (bei jungen Lesern erstmals) zu wecken. Die beiden Künstler und Autoren richten den Blick auf ein geteiltes Deutschland und erzählen, angelehnt an wahre Ereignisse, die Geschichte einer kleinen Gruppe von Studenten aus West-Berlin, die sich entschlossen haben, einen Fluchttunnel für ihre Familienangehörigen und Freunde in der DDR zu graben. Immer der Gefahr der Entdeckung oder des Scheiterns ausgeliefert, die Angst als ständiger Begleiter, gräbt sich die Gruppe immer weiter in die DDR vor, um Freunden und Familienan gehörigen endlich ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Die Story, insbesondere die Schilderung der Herausforderungen beim Bau des Tunnels, wirkt dabei dicht und realistisch, auch wenn das staatlich kontrollierte Leben in der DDR und der alltägliche Druck ein wenig zu kurz beleuchtet werden. Die Zeichnungen sind klar, größtenteils in Pastelltönen gehalten und fangen damit durchaus die angespannte Atmosphäre des Unternehmens ein. Insgesamt vermag die Graphic Novel es, einen zentralen Aspekt des Lebens in der Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Olivier Jouvray/ Nicolas Brachet, Fluchttunnel nach WestBerlin, Berlin 2014. ISBN 978-3-945034-05-7; 56 S., 19,95 Euro Robert Musil I n einem Militärinternat an der Peripherie des k.u.k. Reiches, um 1900: Törleß ist 16 Jahre alt, ein eher gedankenversunkener, sensibler Junge auf der Suche nach Erkenntnis und Erfahrung. Seine Lehrer und die örtliche Prostituierte helfen dabei wenig weiter, weder in intellektueller noch in sexueller Hinsicht. Doch als Törleß und seine Mitschüler Reitling und Beineberg ihren Kameraden Basini des Diebstahls überführen, entwickelt sich für den Zögling die Chance, die menschliche Psyche zu erforschen. Die drei zei gen Basini nicht bei der Heimleitung an, sondern üben sich in Selbstjustiz und Machtspielen: Reitling und Beineberg misshandeln Basini, sie schlagen ihn und nehmen sexuelle Handlungen an ihm vor. Auch Törleß beteiligt sich an den Misshandlungen, indem er versucht, durch psychische Erniedrigung die Beweggründe für das Handeln Basinis zu erforschen. Mitleid oder Reue empfindet er dabei nicht. »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Romane der literarischen Moderne. Der Autor, Robert Musil (1880–1942), besuchte von 1892 bis 1897 selbst mehrere militärische Erziehungsanstalten; im Ersten Weltkrieg Robert Musil, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, Berlin 2014. ISBN 978-3-86231-334-1; 2 CDs, 158 Min., 16,99 Euro neue diente er als Reserveoffizier. Sein Debütroman »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« erschien 1906 und bescherte ihm einen großen Erfolg. Die öffentlichen Reaktionen darauf waren gespalten: Die einen waren entsetzt über die Darstellung der Kadettenanstalt, die anderen begrüßten diese als Kritik an einer als totalitär empfundenen Gesellschaft, die sich in dem Modell der Schule wiederspiegle. Musils Roman wurde von dem österreichischen Schauspieler und Sprecher Michael Rotschopf für den SWR 2 in vorsichtig gekürzter Form als Hörspiel umgesetzt. Für die verschiedenen Rollen hat er namhafte Kollegen gewonnen; die Rolle des Törleß übernahm Stefan Konarske, der seit 2012 im Dortmunder Tatort als Kommissar mitwirkt. Neben dem überzeugenden Stimmenspiel in der Hörversion von Musils Klassiker ist es vor allem der wohl akzentuierte Einsatz von Musik, der das Erzählte plastisch wirken lässt und für Spannung sorgt. fh men kann der Besucher über einen Zeitstrahl und eine Stichwortfunktion suchen. Unter »Grenze« findet man z.B. eine Fotodokumentation eines gescheiterten Fluchtversuches an der Berliner Chausseestraße im April 1989, als zwei Männer mit einem gewagten Langstreckensprint die ganze Grenz übergangsstelle bis nach West-Berlin durchqueren wollten. Sie übersprangen mehrere Barrieren, wurden aber auf den letzten Metern vor der Grenzlinie durch einen Warnschuss gestoppt und festgenommen. Die Flucht wurde von der Staatssicherheit genau mit Skizze und Fotos dokumentiert (Abb.). Was die beiden Flüchtenden nicht wissen konnten, erfährt der Besucher heute durch zwei Klicks weiter: Am 3. April 1989 gegen 19 Uhr wurde durch den amtierenden Verteidigungsminis www.stasi-mediathek.de ter mündlich befohlen, »die Schusswaffe im Grenzdienst […] zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen nicht anzuwenden«. Seit dem 4. April 1989 war die neue Befehlslage »bis zum Grenzposten bekannt gemacht worden und [wurde] praktiziert«. Der Bericht darüber wurde von der Dependance der Staatssicherheit beim Kommando der Grenztruppen am 12. April verfasst und kann heute im Original online eingesehen werden (Abb.). Der spannende Blick in die Papiere des DDR-Geheimdienstes steht mit derzeit 160 Dokumenten erst am Anfang. Das Projekt wird weiter ausgebaut werden. ks Geheimdienst der DDR H at jetzt die Stasi etwa einen eigenen Internetaufritt? Nein, natürlich nicht. Für den Internetauftritt zeichnet der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) verantwortlich. Aus dem Archiv seiner Behörde wurden ausgewählte Dokumente des DDR-Geheimdienstes online gestellt: zumeist Papiere und Fotos, vereinzelt auch Bild- und Tonaufnahmen. Der erste Blick des Besuchers wird auf vier herausgestellte, in Form von Multimedia-Dossiers aufbereitete Themen gelenkt: den Volksaufstand 1953, den Schauprozess gegen einen in die Bundesrepublik geflohenen früheren Oberleutnant der DDR-Grenztruppen 1960, das Konzert Udo Lindenbergs in Ost-Berlin 1983 und die Friedliche Revolution 1989. Der Besucher kann online in zahlreichen Stasi-internen Papieren blättern und sich Fotos und Filmaufnahmen ansehen. Andere The- http://verbrannte-orte.de/ Bücherverbrennungen 1933 D irekt gegenüber der Berliner Universität auf dem Opernplatz – heute: Bebelplatz – errichteten Studenten und Professoren am 10. Mai 1933 einen Scheiterhaufen voller Bücher und entzündeten diesen mit den Worten »Wir haben unser Handeln gegen den undeutschen Geist gewendet. Ich übergebe alles Undeutsche dem Feuer!« Insgesamt wurden dort Werke von 94 Autorinnen und Autoren verbrannt. Heute erinnert auf der Mitte des Bebel-Platzes eine Plakette an die Bücherverbrennung. Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Ernest Hemingway und Erich Maria Remarque: Sie und über hundert weitere Autorinnen und Autoren standen auf der »Liste verbrennungswürdiger Bücher«. Sie bildete die Grundlage für die »Aktion wider den undeutschen Geist« im Mai und Juni 1933: Studierende und andere Universitätsangehörige sortierten Werke verfemter Autorinnen und Autoren aus den Regalen der Buchhandlungen, öffentlichen und Universitätsbibliotheken aus. Höhepunkt bildeten die Bücherverbrennungen, geplant und durchgeführt von der Deutschen Studentenschaft, die vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) dominiert wurde. Neben Berlin wurden auch in 21 weiteren deutschen Universitätsstädten Scheiterhaufen errichtet. Schon im März hatten lokale SA- und SS-Gruppierungen Schriften von oppositionellen gesellschaftlichen Gruppen, von Gewerkschaften und Parteien ins Feuer geworfen. Doch anders als in Berlin sind die meisten Orte mittlerweile in Vergessenheit geraten. Sichtbare Zeichen gibt es kaum. Deshalb rief der Fotograf Jan Schenck das Projekt »Verbrannte Orte« ins Leben, um die Erinnerung an die versuchte Auslöschung unerwünschten Kulturguts zu erhalten. Dazu werden Dokumente und Hintergrundinformationen gesammelt und die Orte in ihrem heutigen Aussehen fotografisch festgehalten. Das Projekt befindet sich noch in der Beta-Version; Mitwirkung ist erwünscht. fh Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 25 Service Lesetipp Waterloo Jahrestage Wiener Kongress L W D aut Abba hat sich Napoleon bei Waterloo ergeben. Wem gegenüber? Brendan Simms gibt sich mit der vordergründigen Antwort »den Preußen unter Blücher und den Briten unter dem Herzog von Wellington« nicht zufrieden. Er konzentriert sich auf wichtige Brennpunkte der Schlacht und sucht dort die Antworten. Inmitten des Schlachtfeldes und zwischen den Armeen lagen zwei befestigte Gebäude, um die heftig gekämpft wurde: Schloss Hougomount und der Hof La Haye Sainte mit seinen starken Mauern. Während der Kampf um das Schloss vielbeschrieben wurde, geriet das Gehöft eher in Vergessenheit. Es lag an der Straße von Quartre Bras nach Brüssel und stellte ein Hindernis dar, das Vormarsch, Angriff und Logistik blockierte. Verteidigt wurde es von des »Königs Deutscher Legion«, einem Verband Wellingtons, der in erster Linie aus Braunschweigern und Hannoveranern bestand. Letzteres verwundert nicht, da »Hannover« die Herrscherfamilie des Vereinigten Königreiches sowie des Kurfürstentums Hannover war. Zudem bildete die gesamte Armee ein buntes Völkergemisch aus Engländern, Schotten, Iren, Niederländern, Belgiern und Deutschen. Dies macht deutlich, wie wenig sich nationale Kategorien zur Analyse der Situation im frühen 19. Jahrhundert eignen, vom frühen 21. Jahrhundert ganz zu schweigen. Die Legion verteidigte das Gehöft sehr erfolgreich, band Napoleons Truppen, schwächte sie und sorgte somit dafür, dass die heraneilenden Preu ßen ihm zusammen mit Wellingtons Verbänden sein Waterloo bereiteten. Neue Bücher wiederholen die Geschichte nicht immer – anders als Abba es gesungen haben. Manchmal muss ein neues Buch geschrieben werden, was Brendan Simms hier in faszinie render Form getan hat. hp Brendan Simms, Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, München 2014. ISBN 978-3-406-67003-9; 191 S., 18,95 Euro 26 as passierte nochmal 1492? Klar, Kolumbus »entdeckt« Amerika. Und welches Ereignis wird mit dem Jahr 1517 verbunden? Martin Luther schlägt seine 95 Thesen an, das weiß doch jedes Kind. Und 1789? Ach ja, die Französische Revolution beginnt, der Tag der Erstürmung der Bastille ist bis heute Nationalfeiertag in Frankreich. Viele Daten wie diese sind unweigerlich mit einem besonders wichtigen oder außergewöhnlichen historischen Ereignis verknüpft. Dabei ist doch auch in solchen Jahren wie 1789 noch mehr passiert als Ballhausschwur und Bastilleerstürmung. In jenem Jahr wird nämlich auch der erste Straßenatlas für Eva-Maria Landwehr, Berühmte Jahre oder was noch geschah als Heinrich nach Canossa ging und Kolumbus Amerika entdeckte, Darmstadt 2014. ISBN 978-386312-082-5; 240 S., 24,95 Euro Nordamerika veröffentlicht, der nicht nur die wichtigsten Verbindungsstraßen, sondern auch Standorte von Kirchen, Gasthäusern und Schmiedewerkstätten verzeichnet. Oder 1492: Während Kolumbus noch ohne Atlas über den Atlantik aufbricht, schlägt in Ensisheim im Elsass ein Meteorit ein – ein Ereignis, das für die Bewohner sicherlich bedeutender ist als die Entdeckung eines neuen Kontinents. Eva-Maria Landwehr gelingt es, eine amüsante Reise durch 1000 Jahre europäische Geschichte zu inszenieren, die abseits der großen Ereignisse auch vermeintlich weniger wichtige Geschehnisse in den Blick nimmt. Diese erzählen vom alltäglichen Leben, von den großen Dingen im Kleinen. Der hier entstehende Rahmen verortet große Umwälzungen wie den Westfälischen Frieden 1648 oder die Ausrufung des deutschen Kaiserreichs 1871 in ihrer Zeit. Die Auswahl der – von der Autorin so genannten – »zweiten und dritten Plätze« in den Jahreschroniken ist vielfältig und lädt zur entspannten Lektüre ein. fh Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 er Kongress tanzt, aber er kommt nicht vorwärts«, so schrieb Fürst von Ligne in einem Brief im November 1814 an den französischen Außenminister Talleyrand. Gemeint war der Wiener Kongress, der von September 1814 bis Juni 1815 stattfand und über die Gestalt des nach-napoleonischen Europas entschied. Zum 200-jährigen Jubiläum liefert Adam Zamoyski mit »1815 – Napoleons Sturz und der Wiener Kongress« die Fortsetzung seines erfolgreichen Buches über das Desaster des napoleonischen Russlandfeldzuges von 1812. Dabei versteht er den »Wiener Kongress« auch als Chiffre für die umwälzenden Ereignisse ab 1812: Die Großmächte verschoben Grenzen, stürzten Herrscher und entschieden über die Existenz ganzer Staaten. Breiten Raum nimmt in den Schilderungen das gesellschaftliche Leben während des Kongresses ein. Die täglichen Feste und Bälle, die Liebschaften und Affären der Diplomaten und Fürsten dienten dabei nicht allein der Zerstreuung, sondern boten den Beteiligten Möglichkeiten zu politischen Absprachen. Die Darstellung geht aber weit über die eigentlichen Ereignisse in Wien hinaus. Der Autor schildert eindrücklich und leicht verständlich das Wirken von Diplomaten und Militärs im Hintergrund der Verhandlungen. Als Ergebnis des fast neunmonatigen Ringens etablierten die fünf Großmächte in Europa ein System, das dem Kontinent ein Jahrhundert relativen Friedens, aber auch gesellschaftlicher Stagnation brachte. Das Buch überzeugt durch seine quellengesättigte Darstellung der Ereignisse und durch seinen spannenden Erzählstil. Es gelingt Zamoyski, die verschiedenen Ebenen der Erzählung zu einem stimmigen Gesamtbild zu vereinen. Ein Genuss! Carsten Siegel Adam Zamoyski, 1815. Napoleons Sturz und der Wiener Kongress, München 2014. ISBN 978-3-406-67123-4; 704 S., 29,95 Euro Bayerische Armee Reichstag Erster Weltkrieg D D K ie Nordseite des von König Maximilian II. erbauten Siegestores in München trägt seit dem Jahre 1850 die Aufschrift: »DEM BAYERISCHEN HEERE«. Seitdem hat es 164 Jahre gedauert, bis die erste handliche Einführung zur Geschichte der inzwischen aufgelösten bayerischen Armee erschie nen ist, die von 1682 bis 1919 existierte. Das lesenswerte Buch aus der Feder des ehemaligen Leiters des Kriegsarchivs (Bayerisches Hauptstaatsarchiv Abt. IV) ist für den Unterricht an der Bayerischen Archivschule konzeptioniert worden. Sein Lehrbuchcharakter wird ihm ein breites Publikum sichern. Der Band ist chronologisch in fünf AbAchim Fuchs, Einführung in die Geschichte der Bayerischen Armee, München 2014 (= Sonderveröffentlichung der Staatlichen Archive Bayerns, 9). ISBN 978-39338831-49-6; 203 S., 9,50 Euro schnitte gegliedert: Von den Anfängen bis 1799, Die Armee im neuen Bayern bis 1825, Von Ludwig I. bis 1866, Von 1866 bis zum Ersten Weltkrieg und schließlich der Erste Weltkrieg und das Ende der bayerischen Armee. Innerhalb dieser Abschnitte finden sich thematische Passagen u.a. zu Truppengattungen, Ausbildung und Bewaffnung, zu Befestigungen, zum Offizier- sowie Unteroffizierkorps und zur Gerichtsbarkeit. Es schließt sich ein umfangreicher Anhang an. Zu diesem gehören die bayerischen Kriegsminister, die Armeeeinteilungen von 1822 und 1914, die Standorte von 1914, die Neuaufstellungen bis 1918 und die Verluste. Hinzu kommen ausgewählte Quellen zur Militärgeschichte, so etwa sämtliche Fahneneide seit 1628, Musterungslisten, Rechtsvorschriften etc. Es folgen eine Bibliographie und fünfzehn detailliert beschriebene Abbildungen. Auf der Südseite des Siegestores ist zu lesen: »DEM SIEG GEWEIHT – VOM KRIEG ZERSTÖRT – ZUM FRIEDEN MAHNEND«. Das Buch kann in diese Richtung interpretiert werden. hp ie Geschichte des deutschen Parlamentarismus und des Weges zu einer demokratisch und republikanisch geprägten Gesellschaft ist eine Geschichte des Zweifelns, des Streites und des Scheiterns – zumindest bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinweg. Immer wieder standen Symbole, Repräsentationsformen und zeremonielle Fragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen: Flagge, Nationalhymne, Staatsbesuche und nicht zuletzt die Armee wurden zu Brennpunkten des politischen Streits – doch scheinen sie heute so selbstverständliche Zeichen und Instrumente der deutschen Demokratie zu sein wie das Reichstagsgebäude in Berlin. Doch gerade um dieses Gebäude, um das Zen trum der politischen Teilhabe des Vol kes, schwelte der Konflikt am längsten. Der Untertitel »Symbol deutscher Geschichte« ist daher mehr als passend: Das Gebäude des Reichstags war schon in den ersten Planungsphasen höchst umstritten und blieb es bis in die 1990er Jahre. Wozu ein solcher Bau, wo sollte er stehen und wie sollte er aussehen? Die charakteristische Kuppel – die erst 1894 eingeweiht wurde – war vielen ein Dorn im Auge, der Architekt Paul Wallot verzweifelte an den Hürden, die ihm gestellt wurden und der negativen Presseberichterstattung. Doch auch nach der Fertigstellung wurde es nie ruhig im und um das Bauwerk. Erst mit der Verhüllung des Reichtags durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne Claude im Jahre 1995 – bei dessen Realisierung der Autor Michael S. Cullen maßgeblich mitgewirkt hat – wurde das Gebäude vom deutschen Volk wirklich akzeptiert und ein Besuch bildet heute einen Höhepunkt jedes Berlinaufenthalts. Wer sich darauf vorbereiten möchte, sollte das anekdotengespickte und reichbebilderte Buch unbedingt lesen. fh Michael S. Cullen, Der Reichstag. Symbol deutscher Geschichte, Berlin 2015. ISBN 978-3-89809114-5; 288 S., 100 Abb., 22,00 Euro ann das Unterfangen gelingen, den Ersten Weltkrieg anhand von 100 Objekten anschaulich dem Publikum nahezubringen? Ja, es kann, wie Dieter Storz vom Bayerischen Armeemuseum mit dem vorliegenden Band eindrucksvoll bewiesen hat. Die einzelnen Objekte sind gut beschrieben, schön abgebildet und sachkundig eingeordnet. Die Auswahl kann Repräsentativität beanspruchen. Die wesentlichen Waffen sind dabei: Kanonen, Haubitzen, Minenwerfer, Maschinengewehre, Gewehre, Pistolen, Lanzen, Säbel und Grabendolche. Hinzu kommen die Munition und die Handgranaten sowie Ausrüstungsgegenstände: Uniform, Dieter Storz, Der Große Krieg. 100 Objekte aus dem Bayerischen Armeemuseum, Essen 2014 (= Kataloge des Bayerischen Armeemuseums Ingolstadt, 12). ISBN 978-3-83751174-1; 459 S., 22,95 Euro Pickelhaube, Stahlhelm, Kochgeschirr, Sanitätsmaterial, Erkennungsmarke u.v.a. mehr. Nicht zuletzt werden Orden und Auszeichnungen vorgestellt. Zudem sind die damaligen Teilstreitkräfte Heer und Marine sowie die einzelnen Waffengattungen vertreten. Der Blick beschränkt sich hier nicht nur auf das Deutsche Reich und die Mittelmächte sondern weitet sich auf die Entente und die Neutralen. Das Buch ist aber weit mehr als nur eine Auflistung von Objekten. Anhand der Beispiele wird auf jeweils drei bis fünf Seiten anschaulich Geschichte erzählt und erklärt. Dazu gehören auch auf den ersten Blick eher unspektakuläre Objekte, die vielleicht gar nicht zu erwarten gewesen wären, aber die Heimatfront, den Kriegsalltag und das Kriegsende dokumentieren: Werbeplakate für Kriegsanleihen sowie zum Anbau von Kartoffeln, Wandteller, deren Verkauf den Wiederaufbau Ostpreußens unterstützen sollte, Jacken von Kriegsgefangenen, Extrablätter zur Revolution sowie zum Versailler Frieden. Somit wird anhand einzelner fassbarer Objekte die große Geschichte des Krieges 1914–1918 erzählt. hp Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 27 Service Die historische Quelle Gedenkstätte Roter Ochse Halle/Saale Das »Lied der Panzerkompanie« E Sammlung Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale), Materialsammlung zu Werner Strack s führen Stahl und Eisen das Regiment der Welt / Und über unsre Erde des Panzers Schlachtruf gellt«. Mit diesen Zeilen beginnt das »Lied der Panzerkompanie«, entstanden während des Zweiten Weltkriegs. Bilder von »Lorbeer geschmückten Panzern« nach Beendigung des »siegreichen Freiheitskriegs« machen deutlich: Der gemein same Gesang stiftet Identifikation mit der Truppe und motiviert zum Kampf, auch wenn dieser Verluste bedeutet – »Wir trotzen dem Verderben, verachten Not und Tod«. Zahlreiche Lieder mit derart idealisierenden, oft auch propagandistischen Texten wurden seit dem 19. Jahrhundert, vermehrt jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg verfasst. In Liederbüchern der Wehrmacht fanden die Texte besonders weite Verbreitung. Ein anderes Panzerlied, das wohl bekannteste mit dem Titel »Ob’s stürmt oder schneit« entstand vermutlich im Jahr 1935 und ist bis heute im Liederbuch der Bundeswehr zu finden. Die hier vorliegende Abschrift des Textes »Lied der Panzerkompanie« wurde im Besitz eines Soldaten der Sturmpanzerabteilung 216 entdeckt, der 1944 gemeinsam mit 16 Kameraden vom Reichskriegsgericht wegen »Kriegsverrat«, »Vorbereitung zum Hochverrat« und »Wehrkraftzersetzung« angeklagt wurde. Elf von ihnen – der Besitzer des Liedes war nicht unter ihnen – wurden im Zuchthaus Halle/Saale hingerichtet. Wie passte die Kriegsbegeisterung der Panzersoldaten, wie sie sich im Liedtext ausdrückt, zu den Taten, die ihnen vor Gericht angelastet wurden? Die Sturmpanzerabteilung 216 nahm im Juli 1943 am »Unternehmen Zitadelle« teil, der letzten Großoffensive der Wehrmacht gegen die Sowjetunion, und erlitt enorme Verluste. Dies und steigende Unzufriedenheit über die Behandlung 28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 durch die Kompanieführung bildeten für den Gefreiten Hugo Ruf schließlich den Anlass, gemeinsam mit Kameraden einen Soldatenrat zu gründen. Bestärkt wurde die Aktion durch ein Flugblatt des »Nationalkomitee Freies Deutschland«, in Umlauf gebracht von kommunistischen Emigranten und deutschen Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Das Flugblatt sollte Angehörige der Wehrmacht zum Überlaufen und zur Beendigung der Kämpfe bewegen. Während verschiedener Zusammenkünfte, bei denen offenbar viel Alkohol getrunken wurde, zerstörten der Obergefreite Werner Spenn – der sich 1938 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte – und andere Teilnehmer mehrere Hitlerbilder. Kurz darauf wurden die Soldaten verhaftet, darunter auch der Obergefreite Johann Lukaschitz, zuvor Mitglied der SA und mehrfach ausgezeichneter Soldat, der dem Soldatenrat gar nicht angehörte. Ihn verurteilte der 2. Senat wegen Nichtanzeigens eines geplanten Hoch- und Kriegsverrats zum Tode. Hugo Ruf wurde durch Erhängen auf besonders ent ehrende Art hingerichtet. Werner Spenn starb durch das Fallbeil. Aus heutiger Perspektive wirken die Vorgänge als impulsive Unmutsäußerung junger Männer. Das Reichskriegsgericht sah darin den Versuch des »gewaltsamen Umsturzes« – Grund genug für die Höchststrafe. Die insgesamt elf Ermordeten der Sturmpanzerabteilung 216 besaßen fast alle das Eiserne Kreuz, sechs von ihnen hatten der Hitlerjugend, drei der SA angehört. Zum Kriegsdienst hatten sie sich überwiegend freiwillig gemeldet. Diese Umstände schmälerten die Härte der Urteile nicht. Die anfängliche Kriegsbegeisterung der jungen Soldaten, die das »Lied der Panzerkompanie« widerspiegelt, war vom Gefühl der Frustration durch die schwierige Situation an der Front überlagert worden. Die Zusammenhalt stiftende Funktion und die propagandistische Absicht des Liedtextes hatten bei den Mitgliedern der Panzerkompanie 216 schlussendlich an Wirkungskraft verloren. Anne Langer Literaturtipp Ulrich Baumann/Magnus Koch, »Was damals Recht war...«. Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht. Begleitkatalog zur Wanderausstellung der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2008. Den Fall der Panzersoldaten und weitere Schicksale beleuchtet die Wanderausstellung »›Was damals Recht war…‹ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht«, konzipiert von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Sie wandert seit 2007 durch deutsche und österreichische Städte und war schon mehrmals in Einrichtungen der Bundeswehr zu sehen, etwa im Militärhistori schen Museum Dresden oder im Deutschen Panzermuseum Munster. Weitere Informationen unter www.stiftung-denkmal.de Geschichte kompakt 18. Juni 2000 13. April 1990 Waffenstillstand zwischen Äthiopien und Eritrea Die UdSSR erkennt das Massaker von Katyn als sowjetisches Verbrechen an it der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im algerischen Algier endete am 18. Juni 2000 formell der zweijährige Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea. Der Krieg, der bis zu 100 000 Todesopfer forderte und rund eine Millionen Menschen zur Flucht zwang, war einer der wenigen Zweistaatenkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Eritrea erlangte 1993 nach fast 30 Jahren Krieg seine Unabhängigkeit von Äthiopien. Viele ideologische, soziale und vor allem wirtschaftliche Beziehungsfragen zum Nachbarn blieben jedoch offen. Aufgrund des verlorenen Meereszugangs musste Äthiopien fortan alle Im- und Exporte über Eritreas Häfen abwickeln. 1997 führte Eritrea eine eigene Währung ein, während Äthiopien seine Handelsbestimmungen für Eritreer verschärfte und den Großteil des grenzüberschreitenden Handels in harter Währung abzuwickeln suchte. Hinzu kam, dass die gemeinsame Grenze nie genau festgelegt wurde. Am 6. Mai 1998 begann der Krieg zwischen den beiden Staaten, als aus nicht geklärten Gründen mehrere eritreische Soldaten bei einem Schusswechsel mit äthiopischen Truppen im unbedeutenden, aber von beiden Seiten beanspruchten Ort Badme starben. Eritrea besetzte daraufhin das von Äthiopien verwaltete Dorf und erlangte weitere Gebietsgewinne. Äthiopien reagierte im Juni 1998 mit der Bombardierung der eritreischen Hauptstadt Asmara. Zeitgleich mobilisierten beide Seiten insgesamt über 500 000 Soldaten, die sich ab Juni 1998 in Schützengräben gegenüber lagen. Im Februar 1999 ging Äthiopien in die Offensive (»Operation Sunset«) und drängte die eritreischen Truppen unter größten Verlusten aus Badme zurück. Mit 120 000 beteiligten Soldaten könnte dies die größte Schlacht seit dem Zweiten Weltkrieg in Afrika gewesen sein. Daraufhin stimmte Eritreas Präsident Isayas Afewerki UN-Vermittlungen zu. Nach einem weiteren äthiopischen Vorstoß tief in eritreisches Gebiete wurde am 18. Juni 2000 ein Waffenstillstand geschlossen. Dieser sah den beidseitigen Truppenabzug aus allen nach dem 6. Mai 1998 bzw. dem 6. Februar 1999 besetzten Gebieten vor und legte die Basis für eine UN-Mission (UNMEE). Zwar wurde am 12. Dezember 2000 ein Friedensvertrag unterzeichnet, aber der in Anschluss daran von einer bilateralen Kommission festgeschriebene Grenzverlauf, der die Stadt Badme Eritrea zuschlug, wurde von Äthiopien bis heute nicht vollständig akzeptiert. Torsten Konopka 3Soldaten der ritrean Army: E In Eritrea gilt eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen und Männer. A m 13. April 1990 erkannte die Sowjetunion anlässlich des Besuchs des polnischen Präsidenten Wojciech Jaruzelski erstmals offiziell die Schuld an der Ermordung von 15 000 polnischen Offizieren durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD im Jahre 1940 an. Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 marschierte am 17. September die Rote Armee in Ostpolen ein. Dabei fielen ihr fast eine Viertelmillion polnischer Soldaten und Offiziere in die Hände. Durften diese zunächst noch mit ihren Angehörigen korrespondieren, so riss der Briefwechsel im April 1940 plötzlich ab. Rund 50 Interventionen der polnischen Exilregierung in London wegen des Verbleib der polnischen Kriegsgefangenen erfolgten bei sowjetischen Behörden bzw. direkt bei Stalin, blieben aber ohne Ergebnis. Am 13. April 1943 entdeckten dann deutsche Soldaten im Wald von Katyn, 20 km westlich von Smolensk, Massengräber mit den Leichen von 4143 polnischen Offizieren. Ein internationales Team von Sachverständigen aus Deutschland und dem neutralen Ausland kam zu einem zweifelsfreien Ergebnis: Die Untersuchungskommission fand wichtige Belege in Form von Tagebüchern, Briefen und Zeitungen, anhand derer festgestellt wurde, dass die Ermordung der Offiziere noch vor der Ankunft der Deutschen stattgefunden haben musste. Bald wurde jedoch verbreitet, die Wehrmacht sei die Urheberin dieses Verbrechens. Der britische Außenminister Anthony Eden erklärte am 4. Mai 1943 im Unterhaus, »dass Großbritannien keinesfalls wünsche, irgendjemanden außer den gemeinsamen Feind mit der Schuld für diese Ereignisse zu belasten.« Im Oktober 1943 gaben Stalin, Churchill und Roosevelt eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie die Massenmorde von Katyn als NS-Verbrechen brandmarkten. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die UdSSR alle erdenklichen Mittel, um ihre erlogene Version aufrechtzuerhalten. Sogar im Westen gab es Fürsprecher dieser Geschichtsverfälschung. Noch 1976 bezeichnete die britische Regierung das Massaker von Katyn als ungeklärt, um die Sowjetunion nicht zu provozieren. Doch der polnische Kampf um die Wahrheit, v.a. von der unabhäningen Gewerkschaft Solidarność getragen, zahlte sich aus. Am 12. April 1990 meldete Radio Moskau erstmals, dass die Morde vom NKWD verübt wurden und die UdSSR offiziell die Verantwortung für das Massaker übernehme. Es handele sich, so die sowjetische Seite mit »tiefempfundenen Beileid«, um »eines der schwersten Verbrechen des Stalinismus.« Martin Grosch akg/RIA Nowosti pa/dpa/Steve Forrest M 5Im Oktober 1992 wurde der Beschluss für den Massenmord von Katyn des Zentralkomitees der KPdSU vom 5. März 1940 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Damit lag der endgültige Beweis für die Verantwortung der UdSSR vor. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 29 • Berlin 1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft Deutsches Historisches Museum Unter den Linden 2 10117 Berlin Tel.: 0 30 / 20 30 40 www.dhm.de 24. April bis 25. Oktober 2015 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 8,00 Euro (unter 18 Jahren frei) 1914–1918: Falkenstein zieht in den Krieg. Perspektiven auf den Weltenbrand Militärhistorisches Museum Flugplatz BerlinGatow Am Flugplatz Gatow 33 14089 Berlin Tel.: 0 30 / 36 87 26 91 www.mhm-gatow.de Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: frei Staatssicherheit in der SED-Diktatur Stasi-Museum Berlin Ruschestraße 103 10365 Berlin Tel.: 0 30 / 23 24 89 37 www.bstu.bund.de Dauerausstellung Montag bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr Samstag, Sonntag und Feiertage 12.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 6, 00 Euro ermäßigt: 4,50 Euro Deutschland 1945 – Die letzten Kriegs monate Stiftung Topographie des Terrors Niederkirchnerstraße 8 10963 Berlin Tel.: 0 30 / 25 45 09 0 www.topographie.de 30 Ausstellungen bis 25. Oktober 2015 täglich 10.00 bis 20.00 Uhr Eintritt frei • Bramsche Ich Germanicus! Feldherr Priester Superstar Museum und Park Kalkriese Venner Straße 69 49565 Bramsche Tel.: 0 54 68 / 92 04 20 0 www.kalkriesevarusschlacht.de 20. Juni bis 1. November 2015 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 7,50 Euro ermäßigt: 4,50 Euro Tel.: 08 41 / 88 14 94 0 www.armeemuseum.de bis 27. September 2015 Dienstag bis Freitag 9.00 bis 17.30 Uhr Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.30 Uhr Eintritt: 3,50 Euro ermäßigt: 3,00 Euro Napoleon und Bayern Bayerisches Armee museum Ingolstadt Neues Schloss 85049 Ingolstadt Tel.: 08 41 / 88 14 94 0 www.armeemuseum.de bis 31. Oktober 2015 täglich 9.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 9,00 Euro ermäßigt: 7,00 Euro • Dresden • Frankfurt a.M. »Die Flotte schläft im Hafen ein« – Kriegsalltag 1914/1918 in Matrosentagebüchern Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Olbrichtplatz 2 01099 Dresden Tel.: 03 51 / 82 32 85 1 www.mhmbw.de 26. Juni bis vorauss. Oktober 2015 Montag 10.00 bis 21.00 Uhr Donnerstag bis Dienstag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 5,00 Euro ermäßigt: 3,00 Euro (für Bundeswehr-Angehörige Eintritt frei) Struwwelpeter wird Soldat. Der Erste Weltkrieg im Kinderzimmer Struwwelpeter-Museum Schubertstr. 20 60325 Frankfurt a.M. Tel.: 0 69 / 74 79 69 www.struwwelpetermuseum.de bis 20. September 2015 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 4,00 Euro ermäßigt: 2,00 Euro • Leipzig Festakt oder Picknick? Deutsche Gedenktage Zeitgeschichtliches Forum Leipzig • Ingolstadt Grimmaische Str. 6 Die Alpen im Krieg – 04109 Leipzig Krieg in den Alpen. Die Tel.: 03 41 / 22 20 0 Anfänge der deutschen www.hdg.de/leipzig Gebirgstruppe 1915 3. Juni bis Bayerisches Armee 18. Oktober 2015 museum Dienstag bis Freitag Ingolstadt 9.00 bis 18.00 Uhr Reduit Tilly Samstag und Sonntag Klenzepark 10.00 bis 18.00 Uhr 85049 Ingolstadt Eintritt frei Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 Heft 2/2015 Service Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Vorschau Aus Ihren Rückmeldungen, liebe Leserinnen und Leser, wissen wir, dass Ihr besonderes Interesse den beiden Weltkriegen gilt. Für das im Frühsommer erscheinende Heft planen wir zunächst einen intensiven Rückblick auf die chemische Kriegführung im Ers ten Weltkrieg. Unser Autor Martin Meier zeigt den Einsatz von Chlorgas, von Phosgen und andere grauenhafte Erfindungen im »Gaskrieg«. Unsere Leserinnen und Leserwünschen sich auch mehr Themen aus der Technikgeschichte der Weltkriege. Diesem Wunsch kommt unser Autor Jens Wehner aus dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr mit einem genauen Blick auf den Mythos »Stuka« nach: Das Sturzkampflugzeug Ju 87 blieb auch nach 1945 als eines der erfolgreichsten Flugzeuge der Luftwaffe in den Köpfen haften. Dies lag jedoch weniger an dem überragenden technischen Konzept, sondern an seinem taktischen Einsatz im Gefecht der verbundenen Waffen: Das taktische Zusammenspiel zwischen Heer und Luftwaffe habe gut funktioniert und könne als Vorbild der Close Air Support gelten. Thematisch im Zweiten Weltkrieg bleibt das neue Heft mit dem Aufsatz von Richard Germann über Österreicher in der Wehrmacht. Besonderes Interesse wird sicher auch der von Norman Domeier vorbereitete Artikel über den Eulenburg-Skandal am Vor abend des Ersten Weltkrieges finden: eine öffentlich vor Gerichten ausgetragene Schlammschlacht um Ehre, Verleumdung und die damals noch unter der Strafe des §175 stehende Homosexualität. Unter Anklage der Justiz und mehr noch der sensa tionsgeilen Presse standen »allerhöchste Kreise« des Reiches und des preußischen Militärs, alle mit engen freundschaftlichen Bindungen an seine Majestät den Kaiser. Vorgründig drehte sich der Skandal um Sexualität, hinter den Kulissen ging es dabei – wie fast immer – auch um knallharte politische Fragen: um Einfluss beim Kaiser und die Ehre des preußischen Militärs. ks Militärgeschichte im Bild Le rêve – Der Traum D Walter Goschke/VG Bildkunst, Bonn 2015 ie Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 war für Frankreich weit mehr als ein militärisches Desaster. Vor allem die deutsche Annexion Elsass-Lothringens war in den Augen der meisten Franzosen ein nationales Unglück, dessen traumatische Wirkung die Dritte Republik (1870–1940) bis zum Ersten Weltkrieg belastete. Gleichzeitig bildete die Erinnerung daran jedoch auch einen Gutteil des politisch-gesellschaftlichen Kitts, der die labile Republik zusammenhielt. Die Katastrophe von 1870/71 zwang Frankreich zur moralischen und politischen Erneuerung: Der Republikanismus wandelte sich von einer revolutionären Ideologie zur weitgehend anerkannten Staatsform und der französische Nationalismus von einer progressiven zu einer konservativen Ideologie mit deutlich revanchistisch-antideutschen Untertönen. Zum Kern dieser nationalen Erneuerung und zum Gegenstand der Hoffnung auf Revanche wurden in den 1880er Jahren ein veritabler republikanischer Armeekult und die Heroi 5Traditionsbildung: Über den Köpfen der Panzergrenadiere schwebt der Geist der alten friderizianischen Armee. sierung der Soldaten von 1870/71. Sie hätten durch ihre in der Niederlage bewiesenen militärischen Tugenden und durch ihren unüberwindlichen Patriotismus die Ehre Frankreichs gerettet und so die Grundlage für den nationalen Wiederaufstieg gelegt. Die Beschwörung der »nationalen Ehre« machte es möglich, sich als besiegte Nation einer moralischen Überlegenheit gegenüber dem siegreichen Deutschland zu vergewissern. Ungeachtet der Niederlage ließ sich der Krieg von 1870/71 damit in das stolze Erbe der für Frankreich ruhmreichen Kriege einreihen. Das 1888 entstandene Gemälde »Le rêve« (»Der Traum«) von Jean-Baptiste Edouard Detaille (1848-1912) ist die visuelle Darstellung dieser Verwandlung einer Niederlage in einen moralischen Triumph. Das großformatige Bild mit Maßen von drei mal vier Metern verherrlicht die französische Armee. Biwakierende Soldaten der Dritten Republik liegen schlafend neben ihren sorgsam zu Gewehrpyramiden aufgerichteten Waffen im Schatten ihrer Fahne. Ihre Traumbilder, die über ihnen in den Wolken der Morgendämmerung erscheinen, symbolisieren den militärischen Ruhm Frankreichs: Die siegreichen Soldaten der Revolution und Napoleons ziehen an der Spitze der nächtlicher Traumgestalten über ihnen vorbei, gefolgt von den Kameraden des Zweiten Kaiserreichs und den glorreich besiegten Kämpfer von 1870/71. Der dramatische Gegensatz zwischen den friedlich am Boden schlafenden Rekruten und den vorwärtsstürmen den Veteranen im Himmel wird durch ein zweites Gegensatzpaar ergänzt: Die ruhmreiche militärische Vergangenheit in den Wolken korrespondiert mit der Verheißung am Boden, die die jungen Soldaten der Dritten Republik verkörpern. Sie sind das Versprechen auf künftigen Ruhm. Die überirdisch wirkende Morgenröte und die disziplinierte Ordnung des Nachtlagers verstärken diesen Eindruck. Detailles Gemälde kann auch als eine Allegorie auf den in Frankreich populären Revanchegedanken gelesen wer- den, der 1886 mit Kriegsminister George Boulanger (»General Revanche«) neue Kraft gewonnen hatte. Boulanger hatte für einen Vergeltungsschlag gegen Deutschland und für die Rückführung Elsass-Lothringens plädiert. Als Gründungsmythos, politi sche Religion und »citadelle sentimentale« gab der kollektive Wunsch auf Revanche der Dritten Republik jene innere Kohäsion, ohne die dieses aus der Niederlage geborene und von Anfang an polarisierte Staatswesen kaum überlebt hätte. Der französische Staat erwarb das Bild 1889 und führte noch im selben Jahr die allgemeine Wehrpflicht ein. Beinahe augenblicklich erlangte das Bild große Popularität, nicht zuletzt aufgrund seiner künstlerischen Qualität. Zahlreiche Reproduktionen sorgten für eine rasche Verbreitung. Die Bildkomposition mit der Darstellung historischer Kämpfer, die als Mahnung und Ansporn über den Köpfen ihrer jungen Nachfolger schweben und eine ruhmreiche Vergangenheit beschwören, wurde vielfach kopiert. Den gleichen Topos verwendete auch Walter Gotschke (1912–2000) in einer Zeichnung für die bekannte NS-Propagandazeitung »Signal«. Ein Grenadier aus der Zeit Friedrichs II. schwebt hier über Soldaten der Wehrmacht. Die neu formierten Panzergrenadierverbände sollten vom Nimbus der Grenadiere des Alten Fritz profitieren und dort ihre Traditionen suchen. In beiden Fällen erwiesen sich die Träume von vergangenem militärischem Ruhm als trügerisch: Sie verwandelten sich in die Alpträume der Schützengräben des Ersten und des Vernichtungskrieges des Zweiten Weltkrieges. Sven Lange Literaturtipp Wolfgang Schivelbusch, Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918, Berlin 2001. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2015 31 ZMSBw Neue Publikationen des ZMSBw neue PUBLIKATIONEN Abonnement Matthias Rogg, Kompass Militärgeschichte. Ein historischer Überblick für Einsteiger. Jahresabonnement: 14,00 Euro inkl. MwSt. Hrsg. vom ZMSBw, Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, X, 384 S., 19,80 Euro und Versandkosten (innerhalb Deutschlands, ISBN 978-3-7930-9732-7 Auslandsabonnementpreise auf Anfrage) Kündigungsfrist: 6 Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Kontakt zum Bezug der Zeitschrift: Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Michael Epkenhans und Carmen Winkel, Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, 120 S., 10 Euro ISBN 978-3-7930-9729-7 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr z.Hd. Frau Christine Mauersberger Postfach 60 11 22, 14471 Potsdam Tel.: 0331/9714 599, Fax: 0331/9714 509 Mail: [email protected] Die Betreuung des Abonnements erfolgt über die Firma SKN Druck und Verlag, Stellmacher Straße 14, 26506 Norden, die sich mit den Interessenten in Verbindung setzen wird. Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 3: Der Martin Hofbauer, Vom Krieger Ausschuss für Fragen der euzum Ritter.Bedeutung Die Professionalisieropäischen Sicherheit, »Vom Sep- Einsatz her denken!« und Nutzen von Militärgeschichte zu Beginn rung der bewaffneten Kämpfer tember 1954 bis Juli 1955. des 21. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Donald Abenheim, Eberhard Birk, Bernhard im Mittelalter, Freiburg Im Auftrag des ZMSBw hrsg. Chiari, Antje Dierking, Axel F. Gablik, Winfried i.Br.: Heinemann, Hans-Hubertus Mack und Rombach 2015 Einzelschriften von Burkhard Köster, DüsselPeter Andreas Popp. Im Auftrag des (= ZMSBw hrsg. von Dieter H. Kollmer, Potsdam: zur Militärgeschichte, dorf: Droste 2014 ZMSBw 2013, 107 S. (= Potsdamer Schriften48); zur VI, Militärgeschichte, 22), 9,80 Euro 226 S., 24,80 Euro (= Der Bundestagsausschuss ISBN 978-3-941571-26-6 ISBN 978-3-7930-9770-9 für Verteidigung und seine Vorläufer, 3); IX, 1231 S., 59,80 Euro ISBN 978-3-7700-1702-7 Abonnement ezug Kontakt zum B der Zeitschrift: www.zmsbw.de www.mgfa.de Piraterie in der Geschichte. Mit Beiträgen von Robert Bohn, Martin Hofbauer, Teresa Modler, Gorch Pieken und Martin Rink. Im Auftrag der Deutschen Kommission für Militärgeschichte sowie des ZMSBw hrsg. von Martin Hofbauer, Potsdam: ZMSBw 2013, V, 85 S. (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 21), 9,80 Euro ISBN 978-3-941571-25-9 eschichte und hr rg ä it il M r fü um Sigg, Der Unterführer Jahresabonnement: 14,00 Euro eswe ZentrMarco r Bundals e d n e ft a h c s lwissen im Taschenformat. inkl. MwSt. und Versandkosten SoziaFeldherr ersberger auAufM e n ti s Theorie und Praxis der ri h C (innerhalb Deutschlands, und Streit- z.Hd. Frau otsdam Sicherheitspolitik 4471 PHeer tragstaktik im22 deutschen 1 , 1 1 9 0 6 Auslandsabonnementpreise auf h ac bis 1945, kräfte im Urteil der Bürger. Postf1869 0331/9714 50 hr.org : x a F , 9 9 5 4 1 Theorien, Befunde, Methoden. Tel.:Paderborn: Anfrage) 0331/97 Schöningh 2015 bundeswe r@ e rg e b rs e u Hrsg. von Heiko Biehl und MaWeltkriege, 12); Kündigungsfrist: 6 Wochen zum hristineder : CZeitalter Mail(= Harald Schoen, Wiesbaden: X, 504 S.; 46,90 Euro r die Firma SKN Ende des Bezugszeitraumes. e b ü t lg o rf e ts Springer VS 2015 (= Schriftenn ISBN 978-3-506-78086-7 des Abonneme 06 Norden, reihe des ZMSBw, 15); 350 S., Die Betreuung , Stellmacher Straße 14, 265 en wird. ag setz 49,99 Euro Druck und Verl teressenten in Verbindung www.zmsbw.de ISBN 978-3-658-08607-7 In n die sich mit de
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