EURO-Rettung: Die Kosten - Sonderkorrespondenz: DeutschlandBrief

Sonderkorrespondenz: DeutschlandBrief
von Bruno Bandulet
Der monatliche Hintergrunddienst
17. März 2015
Die etwas andere Euro-Rechnung: Schon 200 Milliarden Euro deutsche Wohlfahrtsverluste
seit 2010
Dass die Deutschen in der EU und insbesondere in der Euro-Zone den Zahlmeister spielen, ist eine
Stammtischweisheit – und wie so oft liegt das, was am Stammtisch erzählt wird, näher an der
Wahrheit als die regierungsamtliche Propaganda.
Um welche Summen es geht, lässt sich nicht annähernd genau berechnen – auch deswegen, weil das
Ende der Euro-Rettungspolitik nicht absehbar ist. Zum Beispiel belaufen sich die griechischen
Staatsschulden nach letztem Stand auf gut 320 Milliarden Euro, wovon 63,5 Milliarden zu Lasten
Deutschlands gehen. Gut vorstellbar ist, dass davon die Hälfte abgeschrieben werden muss. Und auf
das laufende zweite Hilfsprogramm wird vermutlich im Sommer ein drittes folgen, falls nicht
Schluss gemacht wird mit der Insolvenzverschleppung. In Berlin ist schon die Rede von bis zu 50
Milliarden, die Athen zusätzlich bräuchte.
Dazu kommen die früheren Finanzhilfen an Portugal, Irland, Spanien und Zypern sowie
bereitgestellte, aber noch nicht ausgezahlte Kredite zwecks Euro-Rettung, die seit nunmehr fünf
Jahren betrieben wird. Einschließlich der sogenannten Target-Kredite, die sich bei der Bundesbank
angesammelt haben, liegt die deutsche Haftung derzeit bei mehr als einer halben Billion Euro.
Wieviel davon verloren gehen könnte, ist pure Spekulation.
Besser kalkulieren lassen sich die Verluste, die den Sparern durch die faktische Nullzinspolitik der
EZB entstehen. Sie werden die potentiellen Kosten der Euro-Rettungsschirme umso mehr
übersteigen, je länger die Kunstwährung auf der Intensivstation liegt. Mit der Nullzinspolitik und
dem bevorstehenden Gelddruckprogramm in Höhe von mehr als einer Billion verschafft EZB-Chef
Mario Draghi dem maroden Bankensystem Luft und ermöglicht es den überschuldeten EuroMitgliedern, billig an frisches Geld zu kommen.
Seit Ausbruch der Krise wurde eine gigantische Umverteilung in Gang gesetzt. In welchem Ausmaß
der deutsche Sparer blutet, haben jetzt Professor Gerhard Rösl von der Hochschule Regensburg und
der frühere Bundesbankdirektor Karl-Heinz Tödter in einer 23-seitigen Studie untersucht. Titel:
„Zins- und Wohlfahrtseffekte extremer Niedrigzinspolitik für die Sparer in Deutschland“.
Deutschland, so der Befund, stehe „im Zentrum dieses neuen europäischen Transfersystems“.
Die Autoren unterscheiden drei Perioden: die Jahre 1992 bis 1998 vor der Euro-Einführung, als die
deutsche Umlaufrendite weit über der Inflationsrate der Verbraucherpreise lag; dann die Zeit von
1999 bis 2009, als sich der Abstand zwischen beiden Kurven mit dem Machtwechsel von
Bundesbank zu EZB verkleinerte; und die Periode seit 2010, die mit den ersten Maßnahmen zur
Euro-Rettung begann und schließlich dazu führte, dass die Zinsen unter die Inflationsrate sanken.
(Die Umlaufrendite bezieht sich auf inländische Inhaberschuldverschreibungen mit einer mittleren
Restlaufzeit von neun bis zehn Jahren.)
Ergebnis: Die repressive Niedrigzinspolitik der EZB bescherte den deutschen Sparern seit 2010
Zinsverluste in einer Größenordnung von 71 Milliarden Euro pro Jahr. Und zwar ohne
Berücksichtigung der Kapitalertragsteuer und der Geldentwertung! Ein Zinsverlust also, der auf
Basis des Jahres 2013 sage und schreibe 4,2 Prozent der verfügbaren Einkommen der privaten
Haushalte entsprach oder, anders gerechnet, 850 Euro pro Kopf der Gesamtbevölkerung.
Zusammen mit der Kapitalertragsteuer und der Geldentwertung verloren die Sparer sogar 130
Milliarden Euro im Jahr.
Zieht man von den Zinsverlusten die Entlastung der öffentlichen Haushalte dank tiefer Zinsen ab,
dann bleiben immer noch jährliche Netto-Wohlfahrtsverluste in Höhe von 39 Milliarden seit 2010 –
dies unter der Annahme, dass die Niedrigzinspolitik der EZB nach sieben Jahren, also etwa 2017,
endet.
Unter den jetzigen Bedingungen ist das sehr fraglich. Würde die EZB – wie früher in der Regel die
Bundesbank bis zum Ende der D-Mark – einen natürlichen Marktzins zulassen, dann würde ihr die
Euro-Zone um die Ohren fliegen. Die Währungsunion ist zu schwach und zerbrechlich, um
angemessene Realzinsen von zwei oder drei Prozent verkraften zu können.
Damit aber wird die Daseins- und Altersvorsorge der Arbeitnehmer und der Selbständigen ruiniert.
Sie werden schleichend enteignet. Und die Rentenpolitik der Bundesregierung, die seit der
Absenkung der staatlichen Rente auf private Vorsorge als zweite Säule setzt, wird zur Makulatur.
Auch die Riester-Produkte, in die 15,6 Millionen Beschäftigte gelockt wurden, fallen der
präzedenzlosen Zinspolitik zum Opfer. Sie sind ebenso betroffen wie Bundesanleihen,
Lebensversicherungen oder Einlagen bei deutschen Banken.
Eine weitere, sehr theoretische Berechnung: Sollte das Niedrigzinsregime nicht sieben Jahre,
sondern eine ganze Generation lang Bestand haben, das heißt in etwa 30 Jahre, dann würde sich die
erwähnte zusätzliche Belastung von 39 Milliarden auf 140 Milliarden Euro im Jahr erhöhen und
damit die direkten potentiellen Kosten der Euro-Rettung (Griechenland-Kredite und so weiter) bei
weitem übertreffen.
Die Rechnung fällt derart exorbitant aus, weil die Zinsen nach Inflation deutlich negativ bleiben
und weil allein die faktische Nullzinspolitik der EZB den Zinseszinseffekt aushebelt und damit die
entscheidende Formel für den Sparerfolg. Bei einem Zinsniveau von 0,37 Prozent, so Professor
Hans-Werner Sinn, reicht ein ganzes Leben nicht aus, um das angelegte Kapital zu verdoppeln!
Arm im Alter durch Euro und EZB. Nur in einem hat der Stammtisch nicht ganz recht: Mit den
Deutschen leiden auch die Südländer, nur leidet jeder auf eine andere Weise. Der Euro ist eben kein
Nullsummenspiel. Er ist ein Verlustgeschäft für alle.
Was ist schon Wahrheit? Jeder kann heutzutage behaupten, was ihm passt
Kürzlich flogen wir in einer Anwandlung von Masochismus mit einer Maschine der Condor (da
wird nach geglückter Landung noch geklatscht) von München nach Guadeloupe, einem
französischen Département in der Karibik mit schönen Stränden und erstklassigen Straßen dank
üppiger Subventionen aus Brüssel. An Bord gab es auch zu essen, wobei das Dessert in Form eines
Snickers-Riegels den Glanzpunkt darstellte. „Haute Cuisine über den Wolken“, so wurden die
Passagiere in der „Premium Economy“ auf das Genusserlebnis eingestimmt. Der Küchenchef (wer
ist das?) habe aus „ausgesuchten, frischen Zutaten ein Premium Menü für Sie zusammengestellt“.
Die Condor darf sagen, was sie will, niemand glaubt es, niemand stört sich daran, alles ist beliebig.
Etwas später, am 27. Februar, beschworen die obersten Euro-Retter im Deutschen Bundestag die
europäische „Solidarität“ und ließen ihre Parteisoldaten über die Verlängerung der GriechenlandHilfe abstimmen. „Wir Deutschen sollten alles daran (sic!) tun, dass wir Europa zusammenhalten“,
verkündete Finanzminister Schäuble. Und, so wurde behauptet, es gehe gar nicht um „mehr
Milliarden“. Worum denn sonst? Auch im Bundestag kann man ungestraft Haute Cuisine nennen,
wo Fabrikfraß drinsteckt. Und Solidarität, wo der Tatbestand der Erpressung vorliegt.
Ja, Alexis Tsipras hat die erste Runde gegen Schäuble gewonnen. Wie schön für Tsipras, dass die
griechischen Staatsschulden längst vergemeinschaftet sind, ganz ohne Euro-Bonds. Bei einem
Totalausfall Griechenlands würde die spanische Regierung nach letztem Stand 25 Milliarden Euro
verlieren, die italienische fast 40 Milliarden, die deutsche mehr als 60 Milliarden – und der
Internationale Währungsfonds 44 Milliarden. Alle haben sich an einer rechtswidrigen
Konkursverschleppung beteiligt, und damit der Betrug nicht auffliegt, wird gutes Geld schlechtem
hinterhergeworfen.
Wer in Deutschland den Hang verspürt, solche Wahrheiten auszusprechen, darf sich vorsehen.
Professor Hans-Werner Sinn musste sich von regierungsfrommen Kollegen an den Pranger stellen
lassen. Ein anderer Euro-Kritiker, Roland Tichy von der „Wirtschaftswoche“, wurde schon im
Oktober abserviert. Die Leitung des Magazins übernahm Miriam Meckel, Fachfrau für
Selbstinszenierung. Sie beherrscht die Kunst, viel zu schreiben, ohne etwas zu sagen. Im Interview
mit dem „Spiegel“ Nummer 9/2015 versprach sie ihren verstörten Lesern „softere Themen“ wie
etwa die Trennung von Privatleben und Arbeit. Sie wolle das Heft „öffnen“ und jedenfalls kein
„Anti-Europa-Blatt“ sein. Das war die „Wiwo“ unter Tichy mitnichten. Der Unterschied liegt darin,
dass deutsche und europäische Realitäten jetzt eingenebelt werden. Wehe, jemand spricht Klartext.
Das geht gar nicht im Merkel&Meckel-Fantasy-Land, wo künftig alles auf „soft“ gestylt wird.
http://ef-magazin.de/2015/03/17/6574-sonderkorrespondenz-deutschlandbrief