Strategische Fokusbereiche in der Forschung 2017–2020 Big Data und Digitale Wissenschaften Exponentiell wachsende Datenbestände energieeffizient und sicher handhaben und analysieren: Gemeinsam mit anderen Schweizer Forschungsinstitutionen entwickeln die Institutionen des ETH-Bereichs Lösungen für die technische Bewältigung und die wissenschaftliche Nutzung von riesigen Datenmengen (Big Data) – um damit zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, die dazu beitragen werden, globale Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen, wie Gesundheit, Energie- und Nahrungsmittelversorgung und Umgang mit Ressourcen. Ausgangslage Die Informationstechnologie ist eine unverzichtbare Säule der heutigen Gesellschaft. Hier erleben wir zurzeit eine zweite Revolution, in deren Mittelpunkt Big Data steht: Wir erzeugen, sammeln, verarbeiten und speichern Daten mit Steigerungsraten, die mit herkömmlichen Informationstechnologien nicht mehr zu bewältigen sind. Dass unser tägliches Miteinander kaum noch ohne Datenaustausch denkbar ist, zeigt sich u. a. in Bereichen wie Kommunikation, Unterhaltung, Finanz- und Gesundheitsdienstleistungen, soziale Netzwerke und Mobilfunkdienste. In modernen Informationsökonomien wie der Schweiz sind Daten zentraler Bestandteil von Produkten und Dienstleistungen geworden. Die Wissenschaft ist in ein datenzentriertes «viertes Paradigma» eingetreten, das Theorie, Experiment und Simulation durch die Analyse umfangreichster Datensätze ergänzt. Die Digitale Wissenschaft (Digital Science) entwickelt quantitative Instrumente zur Erstellung, Kalibrierung und Validierung von Modellen und Prognosen aus solchen Analysen. Mit ihnen wird es möglich, auf der Basis von Big-Data-Beständen nach empirischen Grundsätzen zu Erkenntnissen und Entscheidungen zu gelangen. Beispiele für grosse datengetriebene Bereiche der Wissenschaft sind etwa Pharmazeutik, Wetter- und Klimaprognosen, Umweltforschung, Genomik, Hirnforschung und komplexe Physik, aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften. Wissenschaftliche Instrumente für die Genomsequenzierung, Bio- und Materialwissenschaften sowie Hochenergiephysik, Simulationsinstrumente für Energiesysteme, Erdbebeningenieurwesen und Industriedesign sowie soziale Medien generieren riesige Datenmengen, die als Grundlage für neue Ansätze in Wissenschaft und Ingenieurwesen dienen. Es fehlen heute noch die rechnerischen und mathematischen Methoden, um von dieser Datenexplosion in vollem Umfang zu profitieren, ebenso wie – was vielleicht ebenso problematisch ist – Experten für datenzentrierte Technologien oder geschultes Personal, das die Daten akquirieren, handhaben, 50 synthetisieren und visualisieren könnte. Die Analyse grosser Datenmengen erfordert wissenschaftliche und technologische Fortschritte in der skalierbaren Datenverarbeitung, bei Informationssystemen, beim maschinellen Lernen, in der Computermathematik und -statistik sowie beim humanorientierten Computing. Ausserdem erfordert sie eine enge interdisziplinäre Forschungszusammenarbeit zwischen den Experten aus den jeweiligen Fachgebieten und den Experten für Daten- und Informationsverarbeitung. Bisherige Beiträge des ETH-Bereichs Aufgrund der starken und breiten Basis in Naturwissenschaften und Technologie ist der ETH-Bereich für eine Führungsrolle bei der Generierung, dem Management und der Auswertung von riesigen Datenbeständen (Big Data) prädestiniert. Der Erfolg der Schweizer Wissenschaft und Wirtschaft wird immer mehr von einer starken und wachsenden Kompetenz in Big Data und Digital Science abhängen sowie vom Einsatz neuer Technologien in diesem Gebiet. Beiträge des ETH-Bereichs 2017–2020 Im Rahmen des strategischen Fokusbereichs Big Data und Digitale Wissenschaften wird der ETH-Bereich Beiträge in der Wissenschaft, an Plattformen und zum Technologietransfer sowie in der Ausbildung leisten. Wissenschaft: Die vielleicht grösste und grundsätzlichste Herausforderung für die Forschung ist die Umwandlung von Big Data mit hoher Komplexität in Modelle, die für Menschen verständlich sind. Es gibt eine Reihe technischer und wissenschaftlicher Herausforderungen, denen sich die Institutionen des ETH-Bereichs stellen wollen, um zur Erreichung dieses Ziels beizutragen. Die Extraktion hochwertiger Informationen und skalierbarer Modelle für die Gewinnung reproduzierbarer wissenschaftlicher Ergebnisse aus grossen, heterogenen und unbereinigten Datenmengen ist das Kernproblem bei der Entwicklung von Methoden und Werkzeugen der Digitalen Wissenschaft. Methoden sind an den Schnittstellen zwischen Informatik, Mathematik, Statistik und Semantik zu finden. Für diese Strategische Planung 2017-2020 für den ETH-Bereich Big Data und Digitale Wissenschaften Forschungsarbeiten müssen neue Plattformen, Programme und Projekte ins Leben gerufen werden, um Wissenschaftler und Akteure mit unterschiedlichem Hintergrund und aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen. Auf dieser Grundlage können die Institutionen des ETH-Bereichs in Kooperation mit anderen Schweizer Forschungseinrichtungen und Universitäten neue Wissenschaften wie Digital Humanities und Digital Medicine etablieren. Technologieplattformen und Technologietransfer: Die grösste technologische Herausforderung für eine Big-Data-Infrastruktur sind die sinkende Skalierbarkeit im Umgang mit Big Data und der hohe Stromverbrauch der Rechner- und Speicherinfrastruktur. Die Optimierung des Ressourceneinsatzes und der Effizienz für datenzentrierte Dienste erfordert neuartige Paradigmen und Technologien für Server-Software und Hardware, skalierbare Netzwerke, Kühlung und Stromversorgung. Für die geplante nationale Initiative «Personalisierte Gesundheit» werden die erforderlichen Dateninfrastrukturen (z. B. eine Cloud-basierte Hardware) und Technologieplattformen sowie Methoden für die Datenintegration und –analyse entwickelt. Ausbildung und Vernetzung: Im Rahmen des Fokusbereiches «Big Data und Digitale Wissenschaften» soll ein neuer Typus von Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet werden: sogenannte Datenwissenschaftlerinnen und Datenwissenschaftler, deren Kompetenz an der Schnittstelle zwischen Informatik, Mathematik, Statistik und Semantik liegt und die in der Lage sind, die Kluft zwischen diesen Kernbereichen und den verschiedenen Anwendungsfeldern zu überbrücken. Diese Spezialisten sind in Wirtschaft und Forschung sehr gefragt. Die beiden ETH werden daher Studiengänge und Ausbildungsprogramme auf verschiedenen Stufen entwickeln, insbesondere für die Masterund Doktorandenausbildung, unter anderem auf der Basis der MOOC-Technologien. Für die Schweizer Industrie wäre es zudem nützlich, über ein Kompetenzzentrum zu verfügen, auf das sie zur Unterstützung bei neuen fachlichen Herausforderungen, für die Fortbildung der Mitarbeitenden und als Quelle für qualifiziertes Personal zurückgreifen können. Ein solches Zentrum könnte zum Nukleus für engere Forschungskooperationen zwischen den Institutionen des ETH-Bereichs und Schweizer Unternehmen werden, die im Zusammenhang mit der Verwertung von Big Data entstehen. Strategische Planung 2017-2020 für den ETH-Bereich Bedeutung für Wissenschaft und Gesellschaft Die bestehende und zukünftige Fähigkeit, die Umwelt im grossen Massstab quantitativ zu erfassen und zu überwachen, aus den gesammelten Daten aussagekräftige Modelle zu erstellen und mit Hilfe der Datenanalytik intelligente Entscheidungen zu ermöglichen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung grosser Herausforderungen der Menschheit. Beispiele dafür sind die ökologische Nachhaltigkeit, das Risikomanagement in natürlichen und technischen Systemen, die Stabilität der Wirtschaft, bezahlbare und gezielt wirkende Medikamente (Personalisierte Medizin). Die Digitale Wissenschaft wird die künftige Aktivität in Bereichen wie Gesundheit, Kultur, Kunst, Sicherheit, Ingenieurwesen, soziale Medien, Forschung und Bildung beeinflussen. Ausserdem wird sie dazu beitragen, dass sich die traditionell disziplinär getrennten Welten von Technologie und Ingenieurwesen einerseits und Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits enger miteinander verflechten. Die Beherrschung datengetriebener Wissenschaften und Technologien wird für die erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung hoch industrialisierter Länder ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein. Sie führt zu einem grundlegenden Wandel der IT-Branche – weg vom Verkauf von Produkten und Plattformen, die Einzelpersonen, Organisationen oder Unternehmen kaufen und lokal betreiben können, hin zur Erbringung von Dienstleistungen, die durch Grossrechenzentren zur Verfügung gestellt werden. Die Schweiz ist hervorragend aufgestellt, um die Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen, die sich aus Big Data ergeben. Die gute Infrastruktur, die politische Stabilität und die verlässlichen rechtlichen Rahmenbedingungen der Schweiz ermöglichen und unterstützen neuartige Big-Data-Geschäftsmodelle. Big Data wird künftig zu einem zentralen Wirtschaftsgut, das neuartige Fragen im Zusammenhang mit der digitalen Souveränität und Privatsphäre aufwirft, etwa in Bezug auf das Eigentum an Daten, den Schutz der Privatsphäre und die ökonomische Valorisation. Diese Fragen müssen interdisziplinär angegangen werden, wobei es gilt, technische Ansätze mit juristischen, politischen, ethischen, sozialen, psychologischen und ökonomischen Aspekten zu verbinden. 51
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