Ermunterung zur Reflexion über das ärztliche Selbstverständnis

MEDIEN
BIG DATA IN DER MEDIZIN
Keine Frage nur der technischen Machbarkeit
Big Data – die Erfassung, Speicherung, Analyse und Visualisierung
von großen Datenmengen – spielt
in der Medizin und auch in der Gesundheitswirtschaft zunehmend eine Rolle. Bildverarbeitung, Genomanalyse, personalisierte Medizin – undenkbar, mit den dort anfallenden Datenmassen ohne IT-Technologie umzugehen. Die Digitalisierung der Gesundheit hat mit der
Quantified-Self-Bewegung
und
dem Trend zur Selbstvermessung
zuletzt sogar den gewöhnlichen Alltag von Privatpersonen erfasst.
„Big Data ist der ,Rohstoff des
21. Jahrhunderts‘ und wird – auch
in der Medizin – die Welt vielleicht
mehr verändern, als wir bisher verstehen, uns wünschen oder wahrhaben wollen“, schreibt der Herausgeber dieses Sammelbandes, Peter
Langkafel, Manager für den Bereich Public Sector und Healthcare
bei SAP, in seinem Vorwort. Welche Chancen stecken in Big Data
für die Medizin und für die Gesund-
heitswirtschaft, welche Risiken gilt
es zu bedenken? 30 Experten nähern sich aus recht unterschiedlicher Perspektive diesen Fragen und
geben eine Standortbestimmung.
„Der Gesetzgeber hinkt hier der
technologischen Entwicklung einmal wieder weit hinterher“, kritisiert beispielsweise der Philosoph
und Wissenschaftler Albrecht von
Müller. Mögliche nicht beabsichtigte Effekte seien in einer Risikobetrachtung zu behandeln und durch
Sicherungen zu beherrschen, fordert der Datenschützer Thilo Weichert. Die Verwendung der automatisierten Datentechnik in der Medizin stecke noch in den Kinderschuhen, meint Peer Laslo, Unternehmensberater bei SAP. Nutzen und
Risiken beim IT-Einsatz müssten
im Hinblick auf Interessen und
Rechte des individuellen Menschen
gegeneinander abgewogen werden,
befinden die Ärzte Rainer Röhrig
und Markus A. Weigand. Vorteile
für die Nutzer herausarbeiten,
Peter Langkafel (Hrsg.):
Big Data in Medizin und
Gesundheitswirtschaft. Diagnose –
Therapie – Nebenwirkungen.
medhochzwei Verlag GmbH,
Heidelberg 2014, 284 Seiten,
gebunden, 69,99 Euro
Transparenz, Datenschutz und Interoperabilität empfehlen die Industrievertreter Axel Wehmeier und Timo Baumann als die wichtigsten
Schritte für eine qualitätsgesicherte,
datenschutzkonforme und sichere
Nutzung von Big Data im Gesundheitswesen.
Aus diesem Kaleidoskop philosophischer, ethischer, datenschutzrechtlicher,
medizinisch-wissenschaftlicher und technischer Ansätze gewinnt der Leser vielfältige
Einblicke in die Problematik und
den Stand der Diskussion zu einem
der beherrschenden ZukunftstheHeike E. Krüger-Brand
men.
MEDIZINGESCHICHTE
Ermunterung zur Reflexion über das ärztliche Selbstverständnis
Mit „Geschichte(n) der Medizin“
haben der Chefredakteur des Ärzteblattes Baden-Württemberg, Dr.
med. Oliver Erens, und Dr. med.
Andreas Otte, Professor für Biomedizinische Systemtechnik an der
Hochschule Offenburg, medizinhistorische Beiträge aus eineinhalb
Jahrzehnten im Ärzteblatt BadenWürttemberg aufbereitet. Mit der
Komposition des Einbandes rezipieren sie als Herausgeber nicht nur
wichtige Phasen und philosophische Betrachtungen der Medizingeschichte, sie klären auf und ordnen
Vergangenes fachlich ein.
Die von fachspezifischen Autoren erarbeiteten Themen reichen
von Abrissen medizinischer Entwicklungen und Erkenntnisse (Radiologie, Kaiserschnitt, Abtreibung,
Arzneimittelsicherheit und anderes)
über die Darstellung prägender
Phasen des ärztlichen Berufsstan-
A 482
Erens Andreas Otte: Geschichte(n)
Geschich
Oliver Erens,
der Medizin. Alfons W. Gentner Verlag, Stuttgart
2014, 160 Seiten, gebunden, 38 Euro
des und seines philosophischen und
ethischen Selbstverständnisses bis
zu biografischen Blicken auf historische Persönlichkeiten und deren
medizinisch-wissenschaftliche Ambitionen (Friedrich II, Goethe),
aber auch auf musikalische und ma-
lende Koryphäen und deren spezifische Krankheitsbilder (Mozart, Paganini, van Gogh, de ToulouseLautrec).
Interessant und kurzweilig sind
diese „Geschichte(n) der Medizin“
gerade wegen ihrer thematischen
Bandbreite. Aber mehr als das: Sie
ermuntern zur Reflexion über das
berufliche Selbstverständnis des
Arztes von heute. Sie provozieren
zum Weiterdenken. Zu Recht erinnern die Autoren an Rudolph Virchows Auffassung, Medizin sei das
im Kleinen, was Politik im Großen
ist. Sie spannen damit implizit den
historischen Bogen zu aktuellen gesundheitspolitischen Betrachtungen.
Diese Geschichte(n)-Sammlung
macht deutlich: Medizingeschichte ist die Auseinandersetzung mit
dem Heute, bildet den Bodensatz
für das Verständnis von dem, was
Egbert Maibach-Nagel
heute ist.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 11 | 13. März 2015