Auswärtige Kulturpolitik im Spiegel der Presse Monatstrend

Auswärtige Kulturpolitik im Spiegel der Presse
Monatstrend April 2015
von Mirjam Schneider
Deutsch in der Welt: Exportschlager oder Orchideenfach?
Deutsch gehört zu den „Top fünf“ der Weltsprachen, so belegt es die jüngst erschienene und 1300 Seiten starke Forschungsarbeit von Ulrich Ammon, über die Die Welt
berichtet. Deutsch stehe international für „hohe Qualität“, aber auch für „Fleiß,
Ordnung, Gemütlichkeit“, so Ammon. Um von diesem Image zu profitieren, wählten Firmen etwa in Russland oder Indien gerne deutsche Namen für ihre Produkte
und machten sogar Werbung auf Deutsch ˗ selbst dann, wenn das beworbene Produkt gar nicht aus Deutschland stammt. Um die Stellung des Deutschen in der Welt
zu belegen, sind allerdings eher die Zahlen der Sprachlerner entscheidend: 14,5 Millionen Menschen auf der Welt lernen Deutsch als Fremdsprache, so die Studie. In
144 Ländern wird Deutsch an staatlichen Schulen oder Hochschulen gelehrt. Und
die Zahl der Deutschlerner steige wieder, weil Deutschland „sein Image als riesiges
reformunfähiges Problemkind der EU abgeschüttelt hat und wieder als stabile Lokomotive in der kriselnden Wirtschaft gilt“.
Platz vier oder fünf auf der Weltrangliste hinter „Englisch, Chinesisch, Französisch
und vielleicht Spanisch“ sei für das Deutsche „ziemlich ehrenwert“, auch aus historischen Gründen, da Deutschland seine Sprache nur in eine einzige Kolonie exportiert habe.
Dennoch fordert Ammon, dass die „Politik für das Deutsche kämpfe“. Denn obwohl
eher ökonomische als kulturelle Gründe entscheidend seien für das Erlernen einer
Fremdsprache, könne man „ganz klar zeigen, dass Personen, die eine Sprache gelernt haben, in der Regel eine positivere Einstellung zu dem Land haben“. Dies sei
für die internationalen Beziehungen „von höchster Bedeutung“ und „das zu verlieren, macht sich wirtschaftlich und politisch bemerkbar.“ (www.welt.de, 14.04.2015)
Das Interesse an Deutsch wachse vor allem in China, Indien und Brasilien. Dies
ergab die aktuelle Erhebung „Deutsch als Fremdsprache weltweit“, die alle fünf
Jahre auf Initiative des Auswärtigen Amts gemeinsam mit dem Goethe-Institut,
dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen unternommen wird. Während die Lernerzahlen sich im asiatischen Raum vervielfacht haben, blieben sie in Europa indes weitgehend konstant,
wie das Auswärtige Amt in einer Pressemitteilung verlauten ließ. (21.04.2014)
Weniger optimistisch blickt die Süddeutsche Zeitung auf die Ergebnisse der Erhebung: In Europa zeige sich eine „Stagnation“, was das Lernen von Deutsch als
Fremdsprache betrifft. Zwar lernten unter anderem in Griechenland, Spanien, Dä1
nemark und Belgien mehr Menschen Deutsch als früher. In Polen und Tschechien
hingegen seien die Zahlen gesunken. Dies gelte auch für Frankreich, „wo immerhin
eine Million Schüler Deutschstunden erlebt“. (Süddeutsche Zeitung, 22.04.2015; S. 9)
Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund die Reformpläne der französischen
Bildungsministerin Najat Vallaud Belkacem, die eine drastische Einschränkung des
Deutschunterrichts an französischen Schulen zur Folge haben könnten, einen regelrechten Sturm der Entrüstung hervorriefen. Vorgesehen sei, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sogenannten bilingualen Klassen, in denen ab der 6. Klasse vor
allem Deutsch und Englisch vier Jahre lang zweigleisig unterrichtet werden, sowie
auch die Europaklassen mit ihrem verstärkten Fremdsprachenangebot schon ab
Schuljahresbeginn 2016 aus dem Angebot der staatlichen Mittelschulen (Collèges)
zu streichen. Stattdessen sollen alle Schüler künftig schon von der Grundschule an
eine zweite Fremdsprache lernen – allerdings in nur noch zweieinhalb Unterrichtsstunden pro Woche, während die Schüler der Europaklassen und der bilingualen
Klassen von der 6. Klasse an zwölf Wochenstunden Sprachunterricht insgesamt
hatten. Grund sei, dass die Ministerin die Klassen mit intensivem Deutschangebot
„zu elitär“ fände; sie seien „zu beliebt bei Eltern aus dem Bürgertum“ und förderten
darum unerwünschte „soziale Segregation“.
Nun hätten aber, so der Artikel weiter, gerade die bilingualen Klassen maßgeblich
dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Deutschschüler in Frankreich „nach einem
Tiefstand Ende der neunziger Jahre wieder bei fünfzehn Prozent eingependelt hat“.
Entsprechend aufgebracht seien die Reaktionen auf die Reformpläne. Die Maßnahme bedeute „das programmierte Ende des Deutschunterrichts“, so etwa der Verein
der Deutschlehrer ADEAF in einer an Präsident François Hollande gerichteten Petition. Die Pläne stellten gar mittelfristig die „Grundlagen der deutsch-französischen
Freundschaft in Frage“, so der Vorsitzende der deutsch-französischen Freundschaftsgruppe in der Nationalversammlung, Pierre-Yves Le Borgn’. Es sei zu befürchten, dass es deutsch-französischen Einrichtungen wie der DeutschFranzösischen Hochschule oder dem Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW)
künftig an sprachkundigen Interessenten fehle. Und Joachim Umlauf, Leiter des
Goethe-Instituts in Paris, halte die Reform gar für einen „Verstoß gegen gemeinsame Regierungsvereinbarungen“, da Paris und Berlin zuletzt beim Jubiläum des
Elysée-Vertrags im Jahr 2013 versprochen hätten, die gegenseitige Sprachförderung
fortzusetzen. „Deutsch wird jetzt in Frankreich zum Orchideenfach heruntergestuft“, so Umlauf. Für den Generalsekretär des DFJW, Markus Ingenlath, schließlich
wird in Frankreich gerade „Sozialpolitik mit Bildungspolitik“ verwechselt.
(16.04.2015; S. 2)
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Auch der ehemalige französische Premierminister Jean-Marc Ayrault äußerte sich
„beunruhigt über die Konsequenzen dieser Maßnahmen“, so Le Figaro. Die Stärkung
der Beziehungen zu Deutschland, wie sie heute in Frankreich angestrebt werde,
könne nur über eine bessere Kenntnis von dessen Geschichte, Kultur und Sprache
erreicht werden, so Ayrault in einem Schreiben an die Bildungsministerin. Die geplanten Reformen der Collèges stünden im Widerspruch zu diesem Interesse. In
einem Antwortschreiben habe die Ministerin gekontert, das Gegenteil sei der Fall.
Ziel der Reformen sei es, das Erlernen einer Fremdsprache bereits in der Grundschule offensiv zu fördern. Damit kämen insgesamt mehr Kinder bereits früher in
Kontakt mit einer weiteren Sprache. Und alle Kinder, die künftig in der Grundschule Deutsch als erste Fremdsprache wählten, sollten weiterhin in den Genuss eines
verstärkten Deutschunterrichts in der Mittelstufe kommen, so ihre Argumentation.
Dies käme dann auch der Verbreitung des Deutschen insgesamt zugute. (lefigaro.fr,
16.04.2015)
Doch daran wurden massive Zweifel geäußert. Im persönlichen Gespräch mit Belkacem habe Susanne Wasum-Rainer, die deutsche Botschafterin in Frankreich, ihre
Bedenken formuliert, dass die Pläne die „Dynamik unserer bilateralen Abkommen
und Projekte schwächen“ könnten, so Le Figaro. Deutschland befürchte negative
Folgen für die Schüler, die das deutsche Sprachdiplom und das Abi-Bac, das doppelte deutsch-französische Abitur, erlangen wollen, darüber hinaus auch für die
Städtepartnerschaften, die deutsch-französische Universität, die Schulaustauschprogramme und die Aktivitäten des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Diese
Befürchtungen seien nicht von der Hand zu weisen, so auch der Artikel weiter. Tatsächlich sei das Deutsche in Frankreich allein durch „politischen Willen“ gerettet
worden: Im Jahr 2004 habe man die bilingualen Klassen aus „diplomatischen und
wirtschaftlichen Gründen“ ins Leben gerufen, weil die Zahl der Deutschlerner in
den 1990er Jahren so stark gesunken sei. (lefigaro.fr, 22.04.2015)
Auch Liberation.fr. weist darauf hin, dass es nicht nur die Liebe zum Deutschen und
zur deutschen Kultur sei, die die Schüler dazu bewege, Deutsch zu lernen. Vielmehr
stehe ein dezidierter politischer Wille hinter den Deutschlernern, wie er im deutschfranzösischen Abkommen darüber, dass beide Länder sich für das Erlernen der
Sprache des jeweils anderen engagieren, zum Ausdruck kommt. Fiele dieser Wille
weg, müsse man Einbußen hinnehmen: „Immer weniger kleine Franzosen möchten
Deutsch lernen. Und die kleinen Deutschen begeistern sich kaum mehr für das
Französische.“ Vermutlich werden sich nicht nur in Frankreich, sondern auch in
Deutschland die Zahlen verschieben. So nimmt es zumindest das DFJW an: „Die
Entscheidung wird auch Konsequenzen für das Französisch-Lernen in Deutschland
haben“. Denn angesichts der Reformen in Frankreich wird es für einige Bundesländer schwierig werden, an ihren Regelungen festzuhalten, dass Französisch die erste
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Fremdsprache ist, die bereits im Kindergarten gelehrt wird – zumal dies momentan
oft gegen den Protest der Eltern geschieht, die dadurch einen Wettbewerbsnachteil
für ihre Sprösslinge befürchten. (23.04.2015)
Dr. Mirjam Schneider ist als freie Journalistin, Redakteurin und Lektorin tätig. Sie
war wissenschaftliche Assistentin im Fach Internationale Literaturen an der Universität Tübingen sowie Koordinatorin des ifa-Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“.
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