Falltext C 704 04.05.2015 A ist Abgeordneter des Deutschen

Falltext
C 704
04.05.2015
A ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und gehört der oppositionellen N-Fraktion an. In einer
Bundestagssitzung hielt R, Mitglied der C-Fraktion eine Rede zu dem Tagesordnungspunkt 17 „Solidarität
mit den Angehörigen und Freunden der Opfer der terroristischen Vereinigung NSU (Nationalsozialistischer Untergrund)“. Als R ausführte: „Wir gedenken heute der Opfer, und zum Gedenken gehört das Erinnern,
das Erinnern an jeden einzelnen Menschen, der Opfer wurde“ und die Opfer namentlich benennen wollte,
verließen die Abgeordneten der N-Fraktion allesamt ihre Plätze und zogen sich in eine Fensternische des
Plenarsaals zurück.
In der nächsten Sitzung des Bundestages erteilte Bundestagspräsident B den namentlich genannten
Abgeordneten der N-Fraktion nach § 36 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
(GO BT) jeweils einen nachträglichen Ordnungsruf mit der Begründung, die Abgeordneten hätten „durch
ihr demonstratives Verhalten während der Beratung zu TOP 17 in provokativer Weise ihre Missachtung
gegenüber den Opfern des NSU zum Ausdruck gebracht und damit das Ansehen und die Würde des
Hauses verletzt.“ A entgegnet, die Abgeordneten der N-Fraktion hätten sich zurückgezogen, „da zu diesem Zeitpunkt dringende parlamentarische Angelegenheiten zu erörtern gewesen seien“.
M, ebenfalls Abgeordneter der N-Fraktion, hielt in der gleichen Sitzung eine Rede zu TOP 29 „Verfahren
zum Verbot der N-Partei“. Darin bezog er sich auf eine Rede des Fraktionsvorsitzenden P der N-Fraktion
in einer früheren Sitzung des Bundestages, in der P unter anderem ausgeführt hatte, „dass alle Bundespräsidenten – mit Ausnahme von Theodor Heuss, der jedoch für das Ermächtigungsgesetz stimmte – bis Richard von Weizsäcker Mitglied der NSDAP gewesen sind und meist glühende Anhänger von Adolf Hitler waren.“ M führte dazu aus: „Und da ich noch Redezeit habe, will ich Ihre Siegeszuversicht noch ein bisschen
dämpfen. Sie dachten ja auch, dass Sie Herrn P drankriegen würden, weil dieser gesagt hat, Heinemann sei in
der NSDAP gewesen, wegen Verunglimpfung Verstorbener. Das ist leider Quark, weil Sie nicht lesen und nicht
recherchieren. Wir haben herausbekommen, dass der Heinemann, Ihr SPD-Gustav-Heinemann Mitglied im
Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund war und Mitglied in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt.
Das heißt, er stand der NSDAP so nahe, dass dieses Verfahren schon mal ein Rohrkrepierer wird. Und mit dem
anderen Verfahren hier wird es genauso laufen. – Danke.“ Es folgten danach noch vier weitere TO-Punkte.
Bevor der Bundestagspräsident sodann die Sitzung schloss, erteilte er M einen Ordnungsruf „für seine
Verunglimpfung des Andenkens des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, Tagesordnungspunkt 29.“
Auch der Fraktionsvorsitzende P der N-Fraktion fiel in der Bundestagsdebatte negativ auf. Er störte die
Rede des Abgeordneten S, eines aus dem Iran stammenden deutschen Staatsangehörigen, zu TOP 17
durch Zwischenrufe als S ausführte: „In der Nacht zu Mittwoch haben Rechtsextreme die Gedenktafel, die am
Rathaus in unserer Stadt angebracht wurde, entfernt. (P: „Woher wissen Sie, dass das keine Linksradikalen
waren?“) An die Stelle klebten sie ein weißes Schild mit der Aufschrift ,Für immer Deutschland‘. Gerade jetzt
passiert das, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gerade das passiert, wo es um das Verbot der N-Partei geht. Das
zeigt natürlich, wie frech sie geworden sind, wie aggressiv und brutal sie geworden sind. (P: „Blühende Fantasie eines aus dem Orient Zugereisten.“).“ Daraufhin erklärte der Bundestagspräsident: „Herr P, ich finde Ihren
Einwurf, den Sie eben gemacht haben, unglaublich. Ich erteile Ihnen daher nicht nur einen Ordnungsruf, sondern verweise Sie gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 GO BT des Saales. Bitte nehmen Sie Ihre Sachen und verlassen Sie die
Sitzung.“ Nachdem P den Plenarsaal verlassen hatte, fanden u.a. Abstimmungen zu diesem sowie weiteren Tagesordnungspunkten statt.
A, M und P wenden sich jeweils fristgerecht an das BVerfG und beantragen die Feststellung, dass sie
durch die Maßnahmen in ihren Abgeordnetenrechten, insbesondere aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, aber auch
in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verletzt sind. A ist der Auffassung, dass zum einen in
seiner Person die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 S. 2 GO-BT nicht vorgelegen habe. Zudem sei ein
nachträglicher Ordnungsruf gar nicht zulässig. M kann nicht einsehen, für Äußerungen bestraft zu werden, die der Wahrheit entsprechen. Auch er rügt die Verspätung des Ordnungsrufs. P hält den Ausschluss
für völlig überzogen. B ist demgegenüber der Auffassung, dass den Anträgen bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die von ihm getroffenen Maßnahmen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Zudem komme dem BVerfG nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz zu. Bei Erlass von Ordnungsmaßnahme stünde ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Haben die Anträge Erfolg?
Hinweis: Das BVerfG hat die Verfahren gemäß § 66 BVerfGG verbunden.