Start-up: In die „Grauzonen“

UNTERNEHMEN & MÄRKTE
In die „Grauzonen“
Slush Asia/ Eisuke NAKANISHI
Der April stand im Zeichen der Startups. In Tokyo zogen gleich zwei
Großevents die Aufmerksamkeit auf
sich. In Kalifornien predigte Premierminister Abe den kulturellen Wandel
in seinem Land. Dem Bild vom verstaubten, reformmüden Japan hat man
den Kampf angesagt. Die Szene feiert
sich selbst. Doch der Weg ist noch weit.
Von Patrick Bessler und Franziska Elise Ketelsen
1 Premiere in Asien: Ende April fand in Tokyo die erste „Slush Asia“ statt.
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eht in die Grauzone! Let´s do it!“ rief Mineyuki Fukuda,
Abgeordneter im Unterhaus und Generalsekretär des
„IT Strategy Council“ der regierenden LDP den Zuhörern des
Abschlusspanels auf dem New Economy Summit 2015 energisch entgegen. Rund 3.800 Besucher zählte das zweitägige
Klassentreffen der New Economy- und Start-up-Szene in Tokyo
Anfang April. Gekommen waren vor allem die Klassenbesten,
gestandene Größen wie Rakuten-Chef und Hauptveranstalter
Hiroshi Mikitani, Gründer und Vertreter erfolgreicher Firmen
wie GREE oder Euglena sowie zahlreiche ausländische Gäste,
die wieder einmal das Offensichtliche klar machten: In Japan
blickt man in erster Linie über den Pazifik.
Und dort ist der Umgang mit der „Grauzone“ eben oft
lockerer – dem Bereich, in dem sich heutzutage viele global
erfolgreiche Start-ups bewegen, der nicht immer unumstritten
ist. Ein Beispiel ist das amerikanische Car-Sharing Unternehmen „Uber“: Weltweit enorm erfolgreich und in wenigen
Jahren auf einen Wert von sagenhaften 40 Milliarden Dollar
angeschwollen, sind seine Dienstleistungen nach deutscher
Rechtsprechung schlicht illegal. In anderen Ländern sind sie
es nicht – zumindest solange nicht, bis sich ein Gericht dessen
angenommen und anders entschieden hat. Bis dahin ist Uber
eine Geldmaschine. Derartige Erfolgsstories fehlen in Japan.
Menschen wie Fukuda und die Veranstalter des NES hätten sie
gerne, schließlich bringen sie nicht zuletzt Aufmerksamkeit, die
der ganzen Community zugute kommen könnte.
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Entwicklung an der Basis
Daneben ging es auf der Veranstaltung aber auch bodenständiger zu. So durfte sich etwa der Nachwuchs in einem
Pitch-Contest präsentierten. Zehn junge Start-ups bewarben
sich um ein Preisgeld von 1 Million Yen. In gegenwärtig gängigem US-amerikanischem Stil präsentierten sie ihre Unternehmen und Produkte – wie der Rest der Veranstaltung auf Englisch. Was für Japan immer noch Seltenheitswert hat, ist in der
Szene selbstverständlich, auch wenn es hier und da noch etwas
hapert. Ihren „japanischen“ Charakter konnten viele Präsentationen dennoch nicht verstecken: zu detailverliebt, zu wenig
Businessmodell, urteilten mehrere Jury-Mitglider wiederholt.
Mit „Popslide“ gewann eine App, die es ermöglicht, durch
das An- oder Wegklicken von Werbung auf dem Startbildschirm des Smartphones zusätzliches Mobilguthaben zu „verdienen“. In Schwellenländern wie Indonesien explodiert die
Zahl der Smartphone-Nutzer geradezu. Doch der Geldbeutel
ist meist noch klein. Mit „Popslide“ bietet das Unternehmen so
großen Konzernen eine lukrative Werbeplattform mit einem
potenziell riesigen Kreis von Nutzern. Auf Platz drei kam mit
„Dfree“ ein Tech-Unternehmen, das mit einem ultraschallgestützten Gerät in Kombination mit einer Smartphone-App das
Leben von Menschen mit Inkontinenz erleichtern will.
Japans Regierungschef Shinzo Abe lobte auf dem NES die
Entwicklung der Szene und den Einstz ihrer prominentesten
Vertreter wie Mikitani oder Yasufumi Kanemaru, Gründer der
dem etwas mehr die Graswurzelbewegung im Vordergrund
stand. Mit „Slush Asia“ fand zum ersten Mal ein asiatischer
Ableger eines der weltweit wohl größten Start-up-Events statt.
Im letzten Jahr versammlten sich rund 14.000 Besucher auf dem
zweitägigen Event in Helsinki. In Tokyo ist die dort eintägige
Veranstaltung mit rund 3.000 Gästen noch deutlich kleiner –
doch für den Anfang überzeugte der Zulauf. In einer Ansammlung aus kleineren und größeren Zeltkuppeln auf einem Parkplatz auf der künstlichen Insel Odaiba in der Bucht von Tokyo
präsentierten rund 50 Start-ups aus Japan und der Region ihre
Produkte. Parallele Keynote-Speeches begleiteten das Event.
Debattiert wurde auch hier vorwiegend Japan als Start-upStandort. Und natürlich gingen auch diese Beiträge nicht ohne
das szenetypische Pathos über die Bühne.
IT-Beratung Future Architects. Beide seien „Kameraden“ bei
Reformen und Helfer, nicht zuletzt durch ihre Beraterfunktion
im „Industrial Competitivness Council for Regulatory Reform“,
einem Beratungsausschuss, der sich an zentraler Stelle mit
dem viel diskutierten „dritten Pfeil“ der Abenomics betitelten
Wirtschaftsreform befasst. Während nach wie vor beklagt wird,
dass große Reformen bislang ausblieben, scheint Japans Startup-Welt zu einem gewissen Grad zu zeigen, dass sich im Kleinen in den vergangenen Jahren viel getan hat. Bestimmungen
zu Investitionen, etwa über sogenannte Business Angel wurden
und werden gelockert. Ausländischen Unternehmen wurde es
erst kürzlich erleichtert, in Japan Niederlassungen zu gründen.
In einigen designierten Sonderzonen werden Steuererleichterungen oder Deregulierungen diskutiert, die teilweise schon
umgesetzt worden sein sollen. Viele Vertreter der Szene stehen
dabei scheinbar Schulter an Schulter mit der Regierung.
Viele Vertreter der Szene
stehen dabei scheinbar Schulter
an Schulter mit der
Regierung.
„Silicon“ Fukuoka gegen die alten Eliten
Ein schillerndes Beispiel für diese Entwicklung will Fukuoka
sein. Die Stadt wurde als eine der von der Zentralregierung
geplanten Wirtschaftssonderzonen designiert. Geplant ist dort
etwa, die Unternehmensteuer für Start-ups von derzeit rund
30 Prozent für die ersten 5 Jahre nach ihrer Gründung auf 15
Prozent zu reduzieren. Fukuoka hat eigenen Angaben zufolge
gegenwärtig die höchste Zuwachsrate für junge Menschen im
Alter zwischen 15 und 29. 2012 lag der Anteil von Start-ups an
allen Unternehmen in der Stadt bei rund 6 Prozent. Bis 2018
will man auf 16 Prozent kommen, so Soichiro Takashima. Der
ehemalige Schauspieler war 2010 im Alter von nur 36 Jahren
zum Bürgermeister gewählt worden. Seither müht er sich, mit
Argumenten wie im Vergleich zu Tokyo oder Hongkong und
Singapur höherer Lebensqualität bei geringeren Kosten und
der strategisch guten geografischen Lage junge Leute für seine
Stadt zu begeistern. Takashima will nichts weniger, als Fukuoka
zum weltweiten Start-up-Zentrum Nr. 1 machen. Das Techblog
„techinasia“ bezeichnete ihn unlängst als „Japan’s most startup-focused mayor.“
Takashima war einer der Star-Redner auf einer zweiten
großen Start-up-Veranstaltung in Tokyo in diesem Monat, auf
5 Manchmal noch etwas holprig: Bei Pitches und Präsentationen wird das Vorbild
Slush Asia/ Masahiro Takechi
USA überdeutlich.
Neben Bürgermeister Takashima, der mit in die Luft
gestreckter Faust das junge Publikum davon zu überzeugen
versuchte, dass sie „city changers!, country changers!“, und
nicht zuletzt „future changers!“ seien, sorgte Hiroshi Menjo
für tobenden Applaus. Menjo ist ein bekanntes Gesicht der
VC-Szene. Er berät unter anderem Fonds im Silicon Valley
und ist Partner des neu gegründeten „Hack-Ventures“, einem
VC-Fonds, der sich auf „Internet of Things“-Start-ups in den
USA und Japan konzentriert. Erst Anfang April hatte er den
ersten „Hackathon“ Osakas mitorganisiert, eine Software- und
Hardwareentwicklungsveranstaltung, von der Menjo sagt, er
sei selbst ganz überrascht gewesen, dass die Stadt sie direkt
unterstützt hatte. Der Mann mit dem schneeweißen Haar zieht
den Altersdurchschnitt an diesem Nachmittag deutlich an. Mit
nichtsdestotrotz jugendlichem Charme bezeichnet er sich als
der einzige ergraute Teilnehmer der Veranstaltung. Das Publikum lacht. „Ich stehe stellvertretend für die alte Garde. Und ich
bin hier, um dafür zu sorgen, dass all die alten Herren den Weg
für euch Junge frei machen werden“, so Menjo unter tosendem
Applaus. An dem „Problem Alter“ kommt auch Bürgermeister
Takashima nicht vorbei: „Woran fehlt es in Japan?“, fragt er und
gibt die Antwort gleich hinterher: „Jugend! Die meisten Leader
in Japan sind 60 Jahre oder älter. Je älter man wird, desto schwerer wird es, sich zu ändern!“
Wie als wolle er nicht alle Last nur bei den alten Führungsriegen sehen, nutze Premierminister Abe Ende des
Monats eine Rede an der Stanford University, um auch dem
japanischen Nachwuchs ins Gewissen zu reden: Was Japan
brauche, sei eine Kultur von Risikofreude und Innovation, ganz
wie sie im Valley herrsche. Im Rahmen seines Besuchs traf
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sich der Regierungschef zudem mit Facebook-Gründer Mark
Zuckerberg und Vertretern von Google und Tesla Motors. Abe
betonte aber auch, dass es in Japan einen Mangel an Risikokapitalgebern und Business Angels gab und warb so für Investoren.
AHK Japan
Ernstzunehmende Entwicklung
Abseits all der Rhetorik zeigt sich immer mehr, dass es tatsächlich etwas zu investieren gibt. Auch diesseits der beschworenen
Grauzonen entwickelt sich die Szene gut und mit oft nachhaltigen Ansätzen.
Ein neueres Vorzeigeunternehmen ist das bereits 2007
gegründete Tokyoter Cerevo. Es ist unter anderem bekannt für
seine „Cerevo Cam“, mit der sich Videos jederzeit und allenorts
live in die Cloud streamen lassen. Daneben betreibt Cerevo
unter anderem die IoT-Crowdfunding Website „Cerevo Dash“.
Auf der Münchner Sportmesse ISPO im Januar dieses Jahres
machte das Unternehmen mit einer „smarten“ Snowboard-Bindung auf sich aufmerksam. Für Cerevo-Gründer Takuma Iwasa
zählt nicht ein einzelnes Produkt, sondern innovative Kerntechnologie, die sein Unternehmen schnell und flexibel in
unterschiedlichsten Anwendungen umsetze. In ihr sieht er auch
Alleinstellungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil Japans: „Wir
haben einen großen Schatz: Die Welt weiß immer noch, wie
großartig japanische Technologie sein kann. Marken wie Sony
und Toyota stehen immer noch dafür,“ erklärt er auf Slush Asia.
Erfolgeich könne man aber nur sein, wenn man anpassungsfähig sei.
Immer mehr japanische Start-ups ziehen immer größere Finanzierungen an Land – bislang ein großes Manko der
lokalen Szene. 2013 kamen sie im Schnitt auf nicht einmal ein
Zehntel des Kapitals, das US-amerikanische Firmen ansammeln
(JM 11-12/2014). Zu den aktuellsten Beispielen gehören Chatwork, Anbieter einer Unternehmens-Chat-Lösung, das derzeit
seinen Börsengang vorbereitet und dazu eine Finanzspritze von
300 Millionen Yen (ca. 2,2 Mio. Euro) vom japanischen GMO
Venture Partners locker machte. Gengo, Anbieter von Übersetzugsdienstleistungen auf Basis von Crowdsourcing, konnte
sich kürzlich bei Recruit Holdings, Mitsubishi UFJ Capital und
anderen lokalen Invstoren rund 4,8 Millionen Euro sichern.
1 Modernste Technik für junge Start-ups: Im Tech-Inkubator „DMM.Make.Akiba“
finden Bastler, was das Herz begehrt.
5 Investor Hiroshi Menjo (l.): Der „einzige Grauhaarige“ unter den Teilnehmern
Petri Artturi Asikainen
der Slush Asia.
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Das E-Commerce Start-up „origami“ holte sich circa 11,9 Millionen Euro beim Mobilfunkanbieter Softbank ab.
Weil es nicht nur Geld braucht, engagiert sich Cerevo wie
immer mehr andere erfolgreiche Jungunternehmer Japans
gleichzeitig bei der Förderung der nachkommenden Generationen. Etwa durch die Unterstützung eines neuen Hardware-Inkubators im Tokyoter Technikviertel Akihabara. „DMM.Make.
Akiba“ öffnete Ende letzten Jahres seine Pforten. Dahinter
steckt das Internet-Unternehmen DMM, das allein knapp 5
Millionen US-Dollar in neueste Technik investiert hat. Der
Inkubator bietet Tech-Start-ups alles was sie brauchen, von
CAD-Arbeitsplätzen über 3D-Drucker, Werkzeuge zur Verarbeitung aller erdenklicher Materialien inklusive Präzisionsbohrern, technische Messgeräte, Profinähmaschinen und einer
zimmergroßen Maschine zur Herstellung von Halbleitern.
Von der Konzeption bis zur Massenproduktion sollen junge
Unternehmen hier arbeiten können. Dabei gibt es das Angebot
zu einem für Tokyoter Verhältnisse erstaunlichen Preis von
rund 400 Euro pro Person im Monat, inklusive Werkstatt. Der
Andrang ist groß.
Damit allein ist es aber nicht getan. Immer noch gibt es viel
Verbesserungsbedarf auf struktureller Ebene, so etwa der amerikanische Invstor Philip Wickham. Er kritisiert, dass Unternehmer, die privates Kapital aufnehmen, in Japan dafür persönlich
hafteten. „Kein vernünftiger Mensch wird unter diesen Bedingungen ein Start-up gründen. Es sei denn er ist jung und hat
nichts zu verlieren. Ich würde nicht sagen, dass Japaner deswegen risikoscheu sind. Sie sind nur einfach nicht dumm. Das ist
ein Unterschied.“
Dies zu ändern, sollte im Sinne der Regierung sein. Schließlich geht es um Geld. Sein Adjundant Fukuda dürfte Abe daher
aus der Seele gesprochen haben, als er noch einmal betonte:
„Geht in die Grauzonen, seit erfolgreich – und bitte zahlt viele
Steuern!“ ■