30 KULTUR Stuttgart will den Titel nicht Kulturausschuss des Gemeinderats spricht sich gegen eine Bewerbung aus. Kulturhauptstadt D er Kulturausschuss des Stuttgarter Gemeinderates hat sich am Dienstag mit breiter Mehrheit gegen eine Bewerbung Stuttgarts um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 ausgesprochen. Oberbürgermeister Fritz Kuhn begründete seine Ablehnung einer Bewerbung vor dem Ausschuss mit finanziellen und infrastrukturellen Gründen. Für die Absage erhielt er breite Zustimmung der meisten im Gemeinderat vertretenen Parteien sowie der so genannten Sachkundigen Bürger im Kulturausschuss. Vor dem Hintergrund der anstehenden Sanierungen von Oper, Wagenhallen und Liederhalle sowie dem in der Diskussion befindlichen Neubau des Linden-Museums sagte Kuhn: „Die Stadt Stuttgart ist zwar eine sehr bedeutende Kulturstadt, aber sie steht vor einer Welle von Investitionen, um die kulturelle Infrastruktur zu erhalten“. Die Stadt müsse „zuerst die Hausaufgaben machen – und dann erst die Rückseite des Mondes bebauen.“ Außerdem, so der OB, stünden 2025 die seiner Ansicht nach erforderlichen Flächen für kulturelle Leuchtturmprojekte im Rosensteinareal noch nicht zur Verfügung. Die Vertreter von Grünen, CDU, SÖS/Linke, Freien Wählern und AfD erklärten, sie hielten Kuhns Argumentation für „absolut schlüssig“ (Jürgen Sauer, CDU), beziehungsweise „nachvollziehbar“ (Rose von Stein, Freie Wähler). Nur die Vertreter von SPD und Stadtisten erklärten, sie seien weiterhin für eine Bewerbung. Gerade aus den Sanierungsprojekten könne man „das Herz einer Kulturhauptstadt zelebrieren“, sagte Ralph Schertlen von den Stadtisten. Kuhns Verweis auf die noch nicht zur Verfügung stehenden Bauflächen nannte der Stadtrat eine „merkwürdige Verknüpfung.“ Anders als bei der Kulturhauptstadt erklärte Kuhn, die Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung um die Internationale Bauausstellung 2027 sei offen. Zunächst jedoch gelte es das Ergebnis der Bürgerbeteiligung abzuwarten. wer Stuttgart Geld für Clubs und Interkultur gefordert Die so genannten Sachkundigen Bürger im Kulturausschuss des Stuttgarter Gemeinderates haben sich für eine stärkere städtische Förderung der interkulturellen Kulturarbeit sowie eine Förderung von Kulturarbeit in Stuttgarter Clubs ausgesprochen. Nach dem Willen des Beratergremiums sollen die Fördermittel für die Veranstaltungen von Migrantenvereinen von derzeit jährlich 50 000 Euro auf künftig jährlich 75 000 Euro aufgestockt werden. Die Fördermittel für spezifisch interkulturelle Projekte sollen demselben Antrag zufolge von 25 000 auf 100 000 Euro jährlich erhöht werden. Zugleich beantragten die Sachkundigen, künftig jährlich 50 000 Euro für kulturelle Programme und Projekte in Stuttgarter Clubs bereitzustellen. Über die Vergabe der Mittel solle laut dem entsprechenden Papier eine Jury entscheiden. Während das Beratergremium der so genannten Sachkundigen Bürger ihren eigenen Anträgen einheilig zustimmte, enthielten sich bei der Abstimmung alle gewählten Stadträte im Ausschuss. Die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann erklärte, die Kommunalpolitiker würden die Anträge in ihre Diskussionen um den nächsten Doppelhaushalt miteinbeziehen. wer Berlin Neuer Leiter für Grips-Theater Der Theaterpädagoge und Regisseur Philipp Harpain (48) wird vom Sommer 2016 an neuer künstlerischer Leiter des Grips Theaters in Berlin. Die Bühne, die als Vorreiter des deutschen Kinder- und Jugendtheaters gilt, setzt damit nach der vereinbarten Trennung von ihrem bisherigen Leiter Stefan Fischer-Fels (50) auf eine hausinterne Lösung: Der gebürtige Kieler Harpain führte seit zwölf Jahren die theaterpädagogische Abteilung des Theaters. Der Grips-Theater-Gründer und „Linie1“-Erfinder Volker Ludwig (77) nannte Harpain das „politische Gewissen“ des Hauses. Ihm sei es wichtig gewesen, eine „integrative Persönlichkeit“ als Nachfolger für Fischer-Fels zu finden. Die beiden hatten sich kürzlich auf eine vorzeitige Beendigung der Zusammenarbeit zum 31. Juli 2016 verständigt. dpa STUTTGARTER ZEITUNG Nr. 70 | Mittwoch, 25. März 2015 Die Vorsehung in Cowboystiefeln Der amerikanische Autor Tom Drury träumt in seinem Roman „Das stille Land“ vom Zwielicht der Provinz. Von Stefan Kister Literatur K eine Ahnung, welchen Film sich die sprachlich manifestiert. Wann hätten sich beiden Farmer angeschaut haben, Schicksalsmächte schon einmal so präsendie ihr Bier in der einsamen Bar tiert, wie der alte Mann in Cowboystiefeln, „Jack of Diamond“ trinken, in der Pierre auf den Pierre nach einer leicht blamablen Hunter jobbt. Irgendein Sexfilm, bei dem Silvesterparty zufällig in einer Picknickdie Akteure Masken getragen haben. „Man hütte stößt: „Sind sie bereit?“ – „Wofür“ – wusste gar nicht, wer wer war.“ – „Aber das „Keine Ahnung. Für das neue Jahr. Was es ist doch gerade der Clou, oder nicht? Die auch bringen mag.“ – „Mehr als bereit.“ – Anonymität. Das soll ja gerade das Erre- „Gut. Hand drauf.“ So wird hier ein Pakt gegende sein.“ – „Dass man nicht weiß, wie je- schlossen, von dem Pierre natürlich noch mand aussieht? Was soll denn daran span- nicht ahnen kann, dass es einer mit dem nend sein?“ Vielleicht ist der Film, der sie Jenseits ist. Wie man insgesamt eigentlich nicht vom Gespräch über Motorsensen oder Küchenabfallzerkleinerer abgelenkt hat, ja drauf gekommen wäre, dass die rührenden Stanley Kubricks Verfilmung von Arthur adoleszenten Verlusterfahrungen – wenn Schnitzlers „Traumnovelle“, in dem sich Pierre nach dem Laufpass seiner Freundin Maskierte erotischen Exerzitien widmen versucht, „sich in einen aufgewühlten Zuund sich zwischen Wirklichkeit und Hin- stand romantischer Verlustgefühle hineinzusteigern“ – irgendwann aufhören, mit terwelt rätselhafte Durchgänge auftun. Jedenfalls wäre „Traumnovelle“ keine rechten Dingen zuzugehen. Spätestens schlechte Gattungsbezeichnung für Tom dann, als er beim einsamen Eislaufen auf Drurys Roman „Das stille Land“, der jetzt, nächtlichem See einbricht, von einer rätneun Jahre nach seiner amerikanischen selhaften Unbekannten gerettet wird und Erstveröffentlichung, auf Deutsch erschie- sich in sie verliebt. Nun schuldet er ihr nen ist. Natürlich nur, wenn man statt der einen großen Gefallen. Drurys warmherziger und gleichzeitig hyperempfindlichen Sensorik der Wiener Moderne Dialoge von so kauziger Körnig- trockener Erzählton eignet eine eigentümkeit wie die Zitierten hinzudenkt, und liche Kraft der Verwandlung, das Befremdunter Hinterwelt weniger die seelischen liche normal und das Normale befremdlich Abgründe des Fin de Siècle versteht, denn erscheinen zu lassen. Den Szenen auf der bestickten Weste einer jene weiten Provinzen im NirNebenfigur widmet er die gleigendwo der USA, die den Mit- Wie kommt man che Sorgfalt wie den verwintelpunkt der literarischen als Gestorbene kelten Wegen der Vorsehung. Welt Tom Drurys bilden. nur zu einem Deshalb überspringen wir eiMan könnte diesen Autor, nige Stationen, von denen nur dessen Werk hier erst spät be- neuen Körper? der alte Mann in Cowboystiekannt wurde, als einen Idylliker bezeichnen, setzt man voraus, dass feln und der Autor selbst so genau wissen, Idyllen immer gefährdet sind und in der wie notwendig sie mit dem Ganzen zusamRegel an das grenzen, was sie zerstört. In menhängen. Wie Pierres Freund den ganzen Tag in seinem großen Provinzepos „Das Ende des Vandalismus“ treiben die freundlichen Pick-ups mit Rechen, Fässern und SägeböLandleute dem Untergang ihrer agrarisch cken auf der Ladefläche durch die Gegend geprägten Lebensform entgegen. In dem fährt, ohne dass man den Eindruck hat, er „Stillen Land“ ist es eine Tür, die das Reich müsse irgendwohin kommen, so entwider Toten mit der behaglichen Tristesse ckelt sich das Geschehen. Und führt Pierre kleinstädtischer Beschaulichkeit verbin- doch punktgenau dahin, wo er mit dem undet. „Diese Tür ist zu allen Zeiten und ohne angenehmen Typen zusammentrifft, den Ausnahme verschlossen zu halten“, steht zu Rechenschaft zu ziehen er auserwählt darauf. Pierre Hunter muss durch sie hin- wurde. Pierres mysteriöse Retterin nämdurch. Und das hängt mit der seltsamen lich hat mit diesem kriminellen Loser noch Kette von Ereignissen zusammen, die, wie eine Rechnung offen, wegen eines Hauses in einem Kapitelanfang heißt, „zu den brandes, bei dem sie selbst zu Tode gekomberühmten Gewalttaten auf dem Fays’s Hill men ist. Wem das spanisch vorkommt, der hat keinen Begriff von der coolen Selbstführen sollte“. Doch um diese drastische Verheißung verständlichkeit, mit der hier die Dinge nicht in den falschen Hals zu bekommen, zwischen Diesseits und Jenseits hin und sollte man sich vielleicht erst einmal mit her gespielt werden, zum Beispiel das Probeinem Gedicht von Carrie Sloane, der Vor- lem, wie man als Gestorbene zu einem neusitzenden des örtlichen Poesie-Workshops, en Körper kommen kann. Der große Showdown auf einer Obstwieeinstimmen. Mit jenem etwa, das sie über den Golfplatz im Winter geschrieben hat. se findet am selben Tag statt, an dem das Denn dieser Roman, so spannend er ist, lebt ganze Städtchen wie jedes Jahr des legenweniger von einer bündig entwickelten där missglückten Coups der Dilinger BrüHandlung, als von den eigentümlich gebro- der gedenkt – aber das ist eine andere Gechenen Atmosphären, in denen er sich schichte. Mindestens so dämlich allerdings Tom Drury lebt im US-Staat Iowa, wo seine Romane auch spielen. wie diese in Liedern und Theaterstücken gefeierte Pannen-Bankräuberbande stellen sich bei der großen Abrechnung Pierres Widersacher an. Trotzdem findet er sich am Ende vor besagter Tür wieder. Da muss er nun durch. Doch Pierre hat nicht umsonst gelebt. Vielleicht öffnet sich ihm die Schicksalspforte ja auch noch einmal in die Gegenrichtung. Denn so gelassen man sich in der Provinz mit dem Totenreich arrangiert, Leben ist besser als der Tod. Als passionierter Schlagzeuger hat Pierre das einmal so formuliert: „Wir müssen sterben, aber bis da- Mit coolen Beats bis zum Mond Tom Drury: Das stille Land. Roman. Übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza. KlettCotta, Stuttgart. 216 Seiten, 19,95 Euro. Termin An diesem Mittwoch um 20 Uhr stellt Tom Drury sein Buch im Literaturhaus Stuttgart vor und diskutiert mit dem Autor Clemens Meyer über die Verfilmung von Romanen. 21 neue Stipendiaten Friedrichsbau Die Musiker Steffen Wick und Simon Detel helfen dem Varieté bei der Suche nach neuen Zielen. Von Tim Schleider Die Kunststiftung Baden-Württemberg fördert wieder den Künstlernachwuchs. Stuttgart D as Friedrichsbau Varieté sucht seinen Ort in der Stadt. Rein äußerlich hat es den nach dem unfreundlichen Rauswurf unten im Kessel durch die L-Bank bekanntlich vor drei Monaten gefunden: Auf dem Pragsattel gleich neben dem Theaterhaus steht in großen Leuchtröhren-Buchstaben der Namenszug am langgestreckten Hallenbau – mit dem vom Foyer hell erleuchteten großen Schaufenstern ein wenig American styled. Doch die Hülle allein reicht ja noch nicht. Vor allem der Inhalt, die Shows müssen eine neue Heimat für das Stuttgarter Varieté schaffen – in direkter Nachbarschaft zum beinahe jeden Abend gut besuchten, ebenfalls stets bunt bespielten Theaterhaus. Und wer in diesen Tagen abends die aktuelle Produktion „Particles“ besucht, wird feststellen, dass der Betrieb der beiden Chefs Gabriele Frenzel und Timo Steinhauer auf seinem Weg ist. Die Bewirtung unten im Parkett offenbart zwar trotz aller Freundlichkeit der Kellner noch beträchtliches Pannenpotenzial. Oben auf der Bühne aber ist eine runde, spannende, weniger spektakelhafte denn stimmungsvolle Show zu erleben. Erfreulich weniger plüschig und neckisch als unten im Reich der L-Bank, dafür dynamischer, fluffiger, irgendwie erdiger, großstädtischer, cooler. Starken künstlerischen Anteil daran haben die beiden Musiker des Abends, Steffen Wick und Simon Detel. Beide arbeiten seit gemeinsamen Studententagen in Stuttgart zusammen, beide sind als Komponisten und Solisten längst zu vielen künstleri- Foto: Iletrardo Per Ocuerdo hin sollten wir ordentlich Krach machen.“ Die letzten Fragen schweben luftig und leicht über dem Staub und der Erde des stillen Landes, das Tom Drury besingt – die Country-Version großer Schicksalsmusik. D Die beiden Klangtüftler Steffen Wick (l.) und Simon Detel schen Stationen unterwegs zwischen Stuttgarter Kammerorchester und Karlsruher ZKM, zwischen Bregenz und Paris. „Particles“ begleiten sie im Friedrichsbau von der ersten bis zur letzten Minute mit einer Musik – Wick am Piano, Detel am Mischpult –, die originell und selbstbewusst auf einer weiten Strecke fließt zwischen Neoklassik, Popsong, Lounge, Soft Electro und Minimal Music. Ein üppiges Terrain, auf dem die Artisten dann agieren können. Wobei Wick und Detel keineswegs nur musikalisch untermalen. Mehrere Musiknummern stehen im Lauf des Abends ganz für sich, arbeiten nur mit Licht und Video – am stimmungsvollsten in einer Filmmusik zu dem Stummfilm „Die Reise zum Mond“ von Georges Mélìes, einem der frühesten Werke der Kinogeschichte überhaupt. Den Film sieht das Publikum auf einer Leinwand, den Soundtrack liefern die beiden Foto: Alexandra Klein Musiker punktgenau. Das Zusammenspiel von Bild und Musik liegt ihnen offensichtlich – kein Wunder, dass man hört, für ein kommendes Projekt seien sie schon im Gespräch mit einem der aufstrebenden Stuttgarter Animation-Filmstudios. Natürlich müssen die FriedrichsbauChefs versuchen, große Teile ihres bisherigen Publikums an die neue Spielstätte mitzuziehen. Bei der nächsten Produktion „Clowns“ (Premiere 10. April) geht es sicher wieder traditioneller zu. Aber „Particles“ zeigt, welcher Ästhetik wohl eher die Zukunft gehört – für eine Zuschauerschar, für die Elvis Presley längst vergessen ganz hinten auf dem Speicher verstaubt, weil man die eigene Samstagnacht schon lang nicht mehr im Tanzschuppen schwoft, sondern lieber im Club chillt. Vorstellungen Noch bis zum 4. April ie Kunststiftung Baden-Württemberg vergibt auch in diesem Jahr Stipendien in den Bereichen Musik, Bildende Kunst, Literatur, Kunstkritik und Kulturmanagement. Aus 272 Bewerbungen haben unabhängige Fachjurys 21 Stipendiatinnen und Stipendiaten für das Jahr 2015 ausgewählt. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten erhalten von der Kunststiftung Baden-Württemberg zur Förderung ihrer künstlerischen Entwicklung Stipendien in Höhe von bis zu 12 000 Euro. Unterstützt werden junge Talente, die nach abgeschlossenem Studium am Anfang ihrer Karriere stehen und ihren Geburtsoder Wohnort in Baden-Württemberg haben. Neben der finanziellen Unterstützung organisiert die Kunststiftung Ausstellungen, Lesungen und Konzerte für ihre Stipendiaten. Die Stipendien werden am 15. April in der Sparda-Welt verliehen. Folgende Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende werden im Jahr 2015 gefördert: im Bereich Bildende Kunst Samantha Bohatsch, Lotte Meret Effinger, Marcelo Fiuza, Sara-Lena Maierhofer, Felix Oehmann, Priyanka Jain, Alina Schmuch; im Bereich Literatur Fatma Aydemir, Fabian Hirschmann, Mónika Koncz, Friederike Schempp, Felix Schiller; im Bereich Musik Ingo Hipp, Thomas Nathan Krüger, Emil Kuyumcuyan, Alessia Hyunkyung Park, Maia Sepp, Joss Turnbull und Ephraim Wegner. Das Günther Wirth- Stipendium für Kunstkritik erhält Christian Hillengaß, ein Stipendium im Bereich Kulturmanagement Isabell Ohst. StZ
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