150507 Rede Deutsch – Israelische

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Gitta Connemann
Mitglied des Deutschen Bundestages
Stellvertretende Vorsitzende
CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Plenardebatte am 07. Mai 2015
TOP 4: "50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel: Eingedenk der Vergangenheit die
gemeinsame Zukunft gestalten"
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen, das ist eine
einzigartige Geschichte - von Leid, Trauer, Schuld, Versöhnung, Partnerschaft und Freundschaft.
Dazu gehört natürlich der Blick auf die Wurzeln unserer Beziehungen. Die Schoah ist zu Recht in
jedem Beitrag angesprochen worden: Die Vernichtung, die Verfolgung und die Entwurzelung sind
Teil der Geschichte vieler Familien in Israel, ebenso wie übrigens die Sehnsucht nach Heimat. Ja,
es grenzt an ein Wunder, dass inzwischen mehr als 100 000 Juden diese Heimat wieder in
Deutschland gefunden haben. Ja, es grenzt an ein Wunder, wie die Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel sich entwickelt haben: eng, stark, vertraut. Aus meiner Sicht ist ein aktuelles
Abkommen ein besonderer Beleg dafür: Seit kurzem nehmen wir als Deutschland konsularische
Aufgaben für israelische Staatsangehörige in den Ländern wahr, in denen Israel keine Vertretung
hat. Das zeigt, welches Vertrauen mit Blick auf das Wohlergehen seiner Bürger Israel uns
entgegenbringt. Das grenzt auch an ein Wunder. Aber Wunder müssen behütet werden, wie
übrigens auch Beziehungen gepflegt werden müssen. Sie gestatten mir sicherlich an dieser Stelle,
auch auf Gefahren hinzuweisen.
Erstens: die Gefahr der Oberflächlichkeit. Bei einer Veranstaltung in dieser Woche wurde ein Witz
erzählt, der diese Gefahr sehr anschaulich beschreibt. Ich erzähle ihn hier: In einem Café in Tel Aviv
treffen sich zwei Deutsche. Der eine schreibt gerade einen langen Text in seinen Laptop. Der andere
fragt ihn: „Du bist hier, wie schön. Wann bist Du gekommen?“ - „Gestern.“ - „Wann fährst Du wieder?“
- „Morgen.“ - „Und was machst Du hier?“ - „Ich schreibe ein Buch.“ - „Wie ist der Titel?“ - „Israel gestern, heute und morgen.“
Leider begegnet man in Deutschland diesem Typus des Nahostverstehers häufig. Viele haben ein
Bild, geprägt durch die Medien. Israel wird reduziert auf Begriffe wie Wüste, Krieg, Unterdrückung.
Einem werden diese Bilder übrigens nicht gerecht: der Realität. Wer sich die Mühe macht, genau
hinzusehen, entdeckt ein unglaublich faszinierendes Land: eine lebendige Demokratie, in der Juden
wie Araber wählen dürfen, eine Vielzahl von Parteien, eine unabhängige Justiz, freie Medien, eine
innovative Wirtschaft; ein unglaublich lebendiges Land. Aber es ist eben auch ein kleines Land, das
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seit seiner Gründung mit dem Rücken an der Wand steht. Ich wünsche uns deshalb zu diesem
besonderen Geburtstag: Offenheit, die Bereitschaft, sich ein eigenes Bild zu machen.
Zweitens: die Gefahr der Entfremdung. Neueste Umfragen zeigen einen ganz klaren Trend. Viele
Menschen in unserem Land interessieren sich außerhalb des Konflikts mit den Palästinensern nicht
mehr für Israel. Sie sind der steten Erinnerung an die Schoah überdrüssig, ebenso der
Gedenkveranstaltungen, die zum Teil zu Ritualen geworden sind. Sie entfernen sich von Israel, aber
übrigens auch von uns, der politischen Elite mit ihrem deutlichen Bekenntnis zu und für Israel.
Wie lassen sich Interesse und Zuneigung wieder entfachen? Dazu gehört erst einmal, den anderen
zu verstehen. Das heutige Deutschland und Israel sind zwar zu nahezu gleicher Zeit entstanden,
aber zu vollkommen unterschiedlichen Bedingungen. Wir sagen: Nie wieder Krieg - Die Israelis
sagen: Nie wieder Opfer. - Beide haben dafür Argumente; denn beide haben aus ihrer Geschichte
gelernt. Aber es sind eben auch zwei Züge, die in unterschiedliche Richtungen fahren. Das zeigen
auch die Umfragen: Je jünger die Befragten, desto skeptischer stehen sie dem jeweils anderen
Partner gegenüber. Der Brückenschlag kann nur über die Menschen gelingen. Ich wünsche mir
deshalb, als zweiten Wunsch zu diesem besonderen Geburtstag, dass sich vor allem junge Israelis
und
junge
Deutsche
begegnen:
über
Schüleraustausche,
Städtepartnerschaften,
Studienaufenthalte. Am Ende ist das Wichtigste: die Begegnung.
Drittens: der Antisemitismus. 20 Prozent der Menschen in unserem Land sind der Ansicht: Die
Juden sind doch selber schuld. - Die Folgen erleben wir wöchentlich. Menschen werden bei uns
angepöbelt, bedroht oder sogar angegriffen, wenn sie sich als Juden zu erkennen geben oder für
den Staat Israel Partei ergreifen.
„Jude, Jude, feiges Schwein, komm‘ heraus und kämpf allein!“ - Dieser Satz war im vergangenen
Jahr auf deutschen Straßen zu hören. Von Nazis - ja -, aber auch von Islamisten, von rechts wie von
links. Ich schäme mich dafür. Ich frage mich: Wie sollen unsere jüdischen Mitbürger in einem solchen
Umfeld leben? Deshalb wünsche ich mir zu diesem besonderen Geburtstag ein klares Bekenntnis:
Jüdisches Leben gehört zu uns. Jüdisches Leben ist Teil unserer Identität und unserer Kultur.
Ein solches Bekenntnis ist die Debatte heute, hier an diesem Ort, das Bekenntnis aller
Abgeordneten, über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Das gibt mir Hoffnung. Die größte
Hoffnung geben mir aber die jungen Menschen, wie unsere internationalen Parlamentsstipendiaten.
Auch ich darf einen von ihnen begleiten. Er heißt Tomer. Ich habe Tomer gefragt, was er sich als
junger Israeli zu diesem besonderen Geburtstag wünscht. Er sagte: Ich wünsche mir Offenheit,
Ehrlichkeit, Vertrauen. - Ich persönlich glaube, das sind die besten Wünsche, um das Wunder, von
dem wir sprachen, zu bewahren.
Masel tov!
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