Erste Begegnung Marisa Estela Vivanco Sawall Kurzgeschichte Erste Begegnung Er stand mir fast gegenüber. Aber ich war nicht da. Nicht da für ihn. Ich sah alles wie durch ein beschlagenes Fenster. Die befahrene Autobahn, die Menschenmassen zogen nur so an mir vorbei. Ich interessierte mich nur für ihn. Alles andere war egal. Meine Augen klebten an seinen Lippen. Er hatte dunkelbraune Haare und breite Schultern. Wie harmlos er mit seinem Lächeln aussah. Aber ich weiß, was er ist. Mir kann er nichts vormachen. Ihm gegenüber stand ein kleines Mädchen, das ihn vergötterte. Wie fast alle Mädchen. Ich nicht. Er war es gewesen. Er hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Er ist schuld. Eine Straßenbahn riss mich aus meinen Gedanken. Scheiße, ich kann ihn nicht mehr sehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass es regnete. Wahrscheinlich war es kalt. Ich spürte nichts. Nichts war echt. Wann ist die Straßenbahn weg, verdammt ich will Kontrolle! Die Straßenbahn war weg. Und er auch. Er war weg und seine kleine Freundin auch. Wo war er? Hab ich ihn verloren? Ich rannte über die Straße. Meine Beine liefen. Mein restlicher Körper aber war taub. Die Autos hupten. Die Scheinwerfer blendeten mich. Doch ich rannte weiter. Der Gedanke, ihn verloren zu haben, machte mich wahnsinnig. Und plötzlich riss mich ein lauter Knall aus den Gedanken. Ich war wieder da. Ganz plötzlich. Ich spürte mein Blut und Adrenalin durch meine Adern fließen. Alle Sinne erwachten. Ich riss die Augen auf und drehte mich um. Ein Autounfall. Wegen mir. An dem Auto erkannte ich nicht mal mehr die Lackfarbe. Es waren mehrere Autos beteiligt. Wie viele? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Und plötzlich schoss Adrenalin in alle meine Glieder und ich sprintete in die Richtung, wo er gewesen war. Ich musste ihn finden. Ich rannte immer weiter. Ich hörte noch einen gedämpften Schmerzensschrei einer Frau. Ich war es gewesen. Sie hat wegen mir geschrien. Der Gedanke gefiel mir. Die Einkaufsstraße huschte nur so vorbei. Pst. Allein die kleinen Regentropfen, die mir ins Gesicht tropften, bringen mich aus der Konzentration. Ich bleibe stehen. Schaue mir seinen damaligen Aufenthaltspunkt an. Wo kann er nur sein? Ich bin so ein Versager, die Wut über mich selber kochte schon wieder in mir auf. Ich kann ihn nicht einmal beobachten. Und schon wieder versacke ich in Selbstmitleid. Entweder ist er mit der Straßenbahn gefahren, nein unmöglich, ich habe die Fahrzeiten auswendig gelernt, das kann nicht sein. Wenn er in ein Auto eingestiegen ist, ist er komplett weg. Oder ist er doch nur anderswo hingelaufen. Ich rannte wieder los. Aber in einem gemäßigten Tempo. Ich musste mich beherrschen. Es gibt drei Fluchtwege. Entweder in die Einkaufspassage, in Richtung Bahnhof, oder ins Wohngebiet. Wo fang ich nur an? Einkaufspassage, da finde ich ihn nie. Zu viele Menschen. Unmöglich. Bahnhof. Okey, ich strich mir eine nasse Strähne aus meinem Gesicht. Alles an mir war schwer. Ich wusste nicht, ob es an den nassen, schweren Kleidern hing, die mir wie ein Sack zur Last fielen. Ich war noch nicht lange in der Stadt, aber ich kannte mehr Ecken als die meisten Einwohner. Sobald ich etwas sehe, vergesse ich es nie wieder. Das ist nicht immer ein Vorteil. Und schon wieder bin ich unkonzentriert. Ich könnte mich ohrfeigen. Ich will sein Schatten sein. Ihn unbemerkt besitzen. Seine Taten verstehen, um endlich abschließen zu können. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich freue mich am Unglück anderer. Denn davon wurde ich geprägt. Von weitem hörte ich das Quietschen eines anhaltenden Zuges. Nein, nein, nein, er darf nicht weg sein. Im Vorbeirennen schaute ich hoch auf die Gleise, in der Hoffnung er wäre da. Ich rannte in die Bahnhofshalle, niemand bemerkte mich. Wie immer. Es schien, ich wäre unsichtbar, ein Schatten eben. Ich schaue hoch zur Anzeigetafel, der nächste Zug fährt nach Schwabstraße in 2 Minuten. 1 Minute. Ich renne durch den Bahnhofstunnel, der Gestank von Schmiere steigt in meinen Kopf. Ich spüre ein Pochen in meiner Schläfe und weiß, dass das bald in unausstehlicher Migräne enden wird. Allein von dem Gedanken wird mir schlecht. Noch ein Geruch steigt mir in die Nase. Jede Stadt hat einen Eigengeruch. Der Geruch von Getreidekaffee. So riecht es hier überall in Ludwigsburg. Ich muss nur noch ein Stück durch den immer mehr verwesenden, verkachelten Bahnhofstunnel laufen. Und da laufen mir schon von dem Gleis eine große Menschenmasse entgegen. Er ist bestimmt irgendwo da drinnen oder steigt er gerade in den Zug ein? Mein Blick schweift über die Menschenmasse. Ich sehe viele Geschäftsmänner mit Anzug am Telefonieren, Jugendliche auf dem Weg nach Hause, aber nicht ihn. Ich versuche gegen den Strom die Treppe hinauf zu rennen, aber immer muss ich jemandem ausweichen. Es ist laut und eng. Ich hasse das. Bei der Hälfte der Treppe höre ich das Tuten des Zuges und das langsame Anrollen. Scheiße. Ich bin zu spät dran. Nicht schon wieder! Oben angekommen renne ich das Gleis entlang, die Anzeigentafel zeigt nichts mehr an. Das komplette Gleis ist menschenleer, als wäre seit langem niemand mehr da gewesen. Der Wind des wegfahrenden Zuges wirbelt meine Haare in mein Gesicht. Genervt streiche ich mir meine langen, lockigen braune Haare aus dem Gesicht. Ich habe mich seit langer Zeit nicht mehr so leer, so allein gefühlt. Schon wieder fühle ich mich seinetwegen schlecht. Jedes Körperteil von mir ist schwer, als würde mein Körper den Regen wie einen Schwamm aufsaugen. Ich kann nicht mehr, ich bin sogar zu müde zum Denken. Erschöpft gebe ich auf. Ich nehme die Umwelt ab jetzt immer weniger wahr. Ich warte auf die nächste Bahn in Richtung Schwabstraße. Ich weiß, wo er wohnt, jeden Winkel seiner spärlichen Wohnung. Das gibt mir wieder Kraft. Wie immer strömt die ganze Menschenmasse aus der Bahn, wenn ich auch aussteigen muss. Ich hasse Nähe, der Lärm von Telefonaten, pubertäres Gekicher, der verbrauchte Gestank von Zigaretten und ekligeren Substanzen. Ich warte bis die Bahn sich ein wenig geleert hat und laufe gedankenverloren aus dem Bahnhof. Ich kenne den Weg zu meiner Wohnung wie im Schlaf. Der Regen kommt in Strömen auf mich hinunter. Meine Haare umranden schwer und nass mein Gesicht. Ich bin bis auf die Knochen durchnässt. Endlich spüre ich wieder die Kälte in mir, die manchmal der Leere in mir gewichen ist. Ich ziehe mir meine Herbstjacke enger um meinen Körper. Die Straßenlichter blenden mich, ich spüre den Boden unter mir als würde ich barfüßig über ihn laufen. Alles wirkt gerade so echt, ich versuche den penetranten Gedanken, wer ich bin, und was ich auf dieser Welt zu tun habe wegzuschieben und doch versinke ich wieder in der nie endenden Gedankenwolke. Es kommt bei mir alles immer wieder in diesen Wetterlagen zusammen. Gedanken sind tödlich und doch lebenswichtig. Sie benötigen so viel Kraft, die man immer und immer wieder auftreiben muss. In zehn Minuten bin ich zu Hause und ihm wieder nahe. Ich bog in die unbeleuchtete Gasse ein, am Ende der Straße war meine Wohnung. Von außen wirkt meine Wohnung klein und dunkel. Ich blicke in die genau gegenüberliegende Wohnung. Dort wohnt er. Der Gedanke, lässt meinen ganzen Körper erbeben. Ich blicke hoch in sein Zimmer. Es scheint ein grelles, weißes Licht daraus. Der Regen wird stärker und ich renne die letzten Meter über den mit Steinen bepflasterten Weg und muss erst mal eine halbe Ewigkeit meinen Hausschlüssel suchen, bis ich ihn schlussendlich in den Tiefen meiner Hosentasche gefunden hatte. Ich rannte die 2 Stockwerke zu meiner Wohnung hinauf. Der ganze Flur bis zu meiner Wohnung war besprüht. Irgendein Idiot hatte vor langer Zeit nicht richtig abgeschlossen. Aber das macht nichts, ich muss nur bleiben, solange er da ist. Ich öffne hektisch die Wohnungstür, gleich im Flur hänge ich meinen Schlüssel, Jacke und den Rest auf. Ich will wieder äußerlich wie innerlich auftauen und gehe ins Bad. Meine Wohnung ist ziemlich einfach und kalt eingerichtet. Es gibt die nötigsten Kleiderschränke und tapezieren musste ich auch noch. Mein Schlafzimmer war zugleich mein Wohnzimmer, ich hatte ein kleines Bad das komplett gefließt mit altem Muster ist und eine recht spärliche Einrichtung, die aber zum Leben reicht. Eine Toilette, eine Dusche und ein kleines Waschbecken. Das Esszimmer war auch meine Küche. Das Herzstück meiner Wohnung. Und schon wieder kommt irgendwas in mir hoch. Das war das einzige Zimmer mit einem Fenster. Von dort aus konnte ich in seine Küche schauen. Meine Küche besteht aus einem kleinen Tisch mit einem Stuhl und einem Herd und Kühlschrank und Möbeln. Ich hatte die Wohnung fast so gelassen, wie sie mir übergeben wurde. Ich hatte nichts Persönliche, mit dem ich das alles hier füllen könnte. Die Dusche hatte nicht den gleichen Effekt wie sonst, deshalb drehte ich die Hitze voll auf. Es prickelte auf meiner Haut und ich meinte fast eine Art Zischen auf meiner Haut zu hören. Ich schloss meine Augen, stehe einfach nur unter der Dusche und denke nach. Ich bin jung, aber zu alt für das wo ich gerade stehe. Ich habe keine Freunde, kein Problem, ich habe ja ihn. Er weiß nicht mal, dass ich hier bin, auch wenn ich seit gut zwei Jahren seine Nachbarin bin. Ich werde aber die wichtigste Person in seinem Leben sein. Ich sollte vielleicht erst einmal erwähnen, wer er ist. Früher wohnten meine Mutter, mein Vater, meine große Schwester und ich in einer großen Wohnung, an der Grenze zu Frankreich. Meine Mutter arbeitete tagsüber als Beamtin und mein Vater arbeitete nachts und manchmal tagsüber im Gefängnis als Arzt. Eines Tages komme ich nach der Schule nach Hause und niemand ist da. Ich war ungefähr in der 3. Klasse und das komplette Papakind. Meine große Schwester kommt nach dem Nachmittagsunterricht nach Hause, sagt mir das Papa jetzt für immer weg ist und das Mama bald kommt. Er war tot. Plötzlich. Ich war noch so jung. Mein Vater kam bei einem Autounfall ums Leben, weil ihm jemand die Vorfahrt genommen hatte. Meine Mutter und mein Vater liebten sich, als wäre es der 1. Tag, auch wenn sie sich nicht sehr oft sahen. Unser Leben war wie eine Bilderbuchgeschichte, was sich von einem Tag zum anderen komplett veränderte. Meine Mutter kam an diesem Tag mit so einem traurigen Gesicht nach Hause, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie sagte kalt und trocken zu mir, ich solle sofort ins Bett gehen, sie würde morgen mit mir sprechen. Ich verstand nicht, was los war, hatte Papa länger Schicht? Aber warum weinen dann alle? Dann kommt er halt ein kleines bisschen später als sonst, ist doch nicht so schlimm. Am nächsten Morgen kam es aber nicht mehr dazu, weil sie überhaupt nicht mehr da war. Ich weckte damals meine Schwester, die schon verheult mit Kopfhörern im Bett lag und frage sie, ob sie wüsste, wo Mama sei. Dann sprang sie auf und rannte wie eine Verrückte durch unsere Wohnung. Damals konnte ich sie im Gegensatz zu heute überhaupt nicht verstehen. Plötzlich lag sie einfach so auf dem Boden, ohne irgendwas zu sagen. Ich hatte ein bisschen Angst vor ihr und holte meine liebe Nachbarin, die dann sofort das Jugendamt alarmierte. Ich verstand gar nicht, wieso das alles passierte. Bis dahin kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich weiß nur noch wie 2 Leute mit Krawatte mich und meine Schwester auf den Arm nahmen, weil ich so so müde war und meine Schwester Lili hatte so viel geweint, dass sie nicht mehr konnte. Dann wohnten wir mit ganz vielen Kindern in einem ganz großen Haus. Ich wusste nicht, was es war, und meine Schwester fragte nur die ganze Zeit nach meiner Mutter und wann wir wieder nach Hause gehen würden. Ein oder zweimal ist sie sogar abgehauen, vorher hat sie mir nie Bescheid gesagt und im Nachhinein sagte sie nur, sie hätte Papa und Mama gesucht, ich dürfe niemandem etwas sagen. Dann ging es ihr eine Zeit lang besser, sie lächelte zwar nie, spielte aber mit mir fast genau so wie früher, dass ich manchmal sogar fast vergaß, war passiert war. Und dann passierte das, was mich komplett aus der Bahn warf- wie aus dem Nichts kam die Polizei kurz nach dem Frühstück in mein Zimmer, ich hatte schon so ein komisches Gefühl und erzählte mir knallhart, dass sich meine Schwester vor einem Tag umgebracht hätte. Für mich was seit diesem Zeitpunkt alles zerstört. Wie konnte das nur passieren? Wieso hatte sie nichts gesagt? Als Schwester hätte ich doch so etwas bemerken müssen. Das alles ging durch den Kopf und ich fing an, mir Vorwürfe zu machen. Ich rutsche mit 12 Jahren in ein Loch aus Einsamkeit und Trauer, wie ich es nie wieder erleben will. Ich brach mehrere Therapien ab. Ging nicht mehr zur Schule, ließ mich gehen und kapselte mich völlig von der Außenwelt ab. Ich lebte damals vor mich hin, ging nicht mehr raus, mir war alles egal. Ich war sogar an dem Punkt, dass ich mir Gedanken über den Sinn meines Lebens gemacht hatte. Und ab da an wusste ich, dass ich etwas ändern musste. So hätte es nicht weitergehen können. Und dann kam alles in mir hoch, ich war so sauer auf den, der meinen Vater umgebracht hatte. Im Polizeibericht stand, der Täter hätte Fahrerflucht begangen und wird so bald wie möglich ausfindig gemacht. Doch bis heute ist nichts passiert. Überhaupt nichts. Eine Zeit lang konnte ich die egoistische Entscheidung meiner Mutter nicht nachvollziehen, wie man zwei kleine verletzte Kinder zurücklassen kann. Aber mir wurde klar, dass sie sonst nicht leben könnte. Ich habe seit dem Tag nichts mehr von ihr gehört. Ob sie noch lebt, wo sie sich gerade befand? Ich wusste überhaupt nichts. Jeden Tag wurde der Wunsch von mir immer größer, sie wieder zu sehen. Aber sie würde es bestimmt nicht wollen. Sonst hätte sie ein Lebenszeichen von sich gegeben, oder uns sogar besucht. Alles was passiert war, war aus eigenem Egoismus geschehen. Erst dann wurde mir klar, dass Menschen egoistisch sind. Sie leben wie ein Rudel zusammen, aber sobald es eng wird, kümmert sich jeder nur noch um sich selber. Ich trauere, seit Stunden, Monaten, Jahren. Ich bin 17 und nun ist das alles 5 Jahre her. Dass die Zeit Wunden heilen kann, kann ich bis jetzt nicht bestätigen. Ich erinnere mich noch daran. Wie wir uns von Papa verabschiedeten und uns gegenseitig in den Armen lagen, als meine Mutter verschwand und ich da schon meine Trauer alleine verarbeiten musste und dann war ich ganz alleine gewesen, niemand war bei der Beerdigung gewesen außer ein paar Leute vom Heim, die sagten, sie hätten sie gekannt. Aber das hatte keiner. Sonst wäre es nicht so weit gekommen. Keine Schulkameradin, nicht mal ihre beste Freundin. An dem Tag der Beerdigung fühlte ich mich so wie ich mich jetzt fast ausschließlich fühle. Alleine, leer, unbedeutend. Langsam gewöhnt man sich aber an das Gefühl muss man sagen. Ich weiß, wie ich damit abschießen kann um ein komplett neues Leben zu beginnen. Und dafür brauche ich ihn. Das immer heißer werdende Wasser schreckte mich aus den Gedanken. Ich sprang schnell aus der Dusche, stellte den Hahn ab und zog mir etwas Bequemes über. Ich machte mir eine heiße Schokolade, setze mich auf den Tresen und beobachtete ihn. Immer um 19.50 Uhr ging er in die Küche vor den Tagesthemen und machte sich einen Tee. Soweit ich sehen konnte, war es immer derselbe Tee, irgendein Kräutertee. Morgens bevor er zur Arbeit, bevor er ging schnappte er sich immer noch Obst und rannte dann zur Bushaltestelle, wo er nicht selten den Bus verpasste. Später kam er immer um 13.00 Uhr nach Hause, wo er meistens irgendein Mädchen bekochte, die dann aber nie bis zum Frühstück blieb. Sonst sah ich ihn nicht so oft. Er hatte seid kurzem eine neue Frisur, was gerade halt in ist und hat einen eigentlich ganz lässigen Style. Und seit kurzem trug er diese neuen Nike Air Schuhe. Ich setzte mich wie jeden Abend mit einem Tee auf die Küchendiele und wartete, bis es endlich soweit war. Ich schrieb mir immer alles auf, aber erst wenn er weg war. Nicht dass ich es mir nicht merken konnte, nein im Gegentei,l ich konnte mich noch genau an unsere erste Begegnung erinnern. Aber wenn es mir nicht gut ging las ich einfach ein bisschen darin und sofort ging es mir viel besser. Er kam und machte sich noch ein Brötchen und ging dann gleich wieder. Ich schrieb alles auf. Und ging zurück in mein Wohnzimmer. Ich bin ein ganz normales Mädchen. Ich bin bis zur 10. häufig zur Schule gegangen und habe dann eine Ausbildung gemacht. Jetzt war ich ein winziger Teil von BOSCH und regelte dort Ein- und Auszahlungen und noch so spannende Sachen. Ich schrieb noch ein paar Sachen für die Arbeit fertig, sah mir in Decken eingewickelt irgendeine niveaulose Sendung im Fernseher an und hoffte so, endlich mal zur Ruhe zu kommen. Klappte dann aber doch nicht so wie ich es mir erhofft hatte. Die Nacht war wie immer mit den schlimmsten Träumen erfüllt. Um 5 Uhr war dann endlich die Nacht wieder vorbei. Ich hasste die Nacht und den Menschen dafür, dass er Schlaf braucht. Aber gegen das kann man sich ja schlecht wehren. Ich decke mich ab, weil ich die letzte Stromrechnung nicht gezahlt hatte, war es eiskalt in der Wohnung. Ich zog mir einen schwarzen over-size Pulli an, eine Jeans und ein paar dicke Wollsocken. Ich betrachtete mich im Spiegelbild. Es war nicht gerade ein schöner Anblick. Dunkle Augenringe umranden meine immer kleiner wirkenden haselnussbraunen Augen. Und durch meine blasse Haut konnte man schon fast die Adern sehen, die darunter verliefen. Meine Haare standen mir kraus vom Kopf ab. Ich hatte noch lange Zeit, mich fertig zu machen. Ich frühstückte kurz und schminkte mich ein wenig, nahm meine Tasche und meine Jacke und beschloss, früher los zu gehen. Ich trampelte wie immer die Treppen runter, öffnete die Tür wie immer und erschrak schon fast ein bisschen. Über Nacht hatte es angefangen zu schneien und es schien, als wäre die ganze Welt von einer Schneedecke bedeckt. Das Schneeweiß blendete mich schon fast. Und da geschah es. Plötzlich öffnete sich die Tür gegenüber. Ich wollte mich umdrehen, doch ich konnte nicht. Wie versteinert stand ich da und wartete gespannt, wer wohl aus der Tür herauskommen würde. Die Tür öffnete sich langsam. Alle Muskeln und alles in mir verkrampfte sich und ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Er kam heraus. Mir blieb das Herz stehen, wahrscheinlich musste ich ihn angeschaut haben wie eine Verrückte. Er war wie ich erstaunt über den Schnee, sah zu mir herüber und sagte: Ungewöhnlich für dieses Jahreszeit, wie? Ich nickte nur und er ging weiter, ich schaute ihm hinterher. Er hatte einen schwarzen langen Mantel an und eine Mütze. Handschuhe schützen seine Finger vor der Kälte. Wie aus dem Nichts erwachte ein Gefühl in mir, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ab da an steuerte mich der pure Hass. Alles brodelte in mir wie ein schlummernder Vulkan. Nichts war ab da an wie es einmal war. Andere Leute würden sagen, ich wäre wie eine tickende Zeitbombe. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung und wartete auf den nächsten Bus. Nach einer kurzen Fahrzeit war ich endlich angekommen. Ich wusste, was zu tun war. Heute hatte ich nur ein einziges Ziel. Ich ging durch die große Eingangstür von BOSCH- fuhr mit dem Aufzug nach ganz oben. Ich hatte null Prozent Zweifel. Platzte ohne zu klopfen in das Zimmer meines Chefs hinein und dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. Selbstbewusst sagte ich: „Guten Tag, sie müssen ab jetzt leider auf meine Unterstützung verzichten, ich kündige, auf Nimmerwiedersehen. Und dann rannte ich aus dem Gebäude und summte eine Melodie, nein, ich summte nicht, ich schrie schon fast. Ich lachte über die Blicke der anderen. Und nahm die Bahn in die Stadt. Ich war viel befreiter. Bald würde mein neues Leben anfangen. In mir war schon etwas wie ein Funke Fröhlichkeit. Ich ging in die Stadt und kaufte mir Klamotten, Bücher und Schminke im Überfluss. Die letzten Jahre hatte ich mir bis auf Lebensmittel nichts gegönnt. Ich kaufte mir ein neues Handy mit neuer SIM- Karte. Ich hüpfte beschwingt die Königsstraße hinauf. Das kannte ich nicht, das Gefühl. Ich konnte es nicht einmal beschreiben. Aber es war noch nicht komplett, eine Sache fehlte noch, aber erst gönnte ich mir noch mehr. Ich ging in einen Laden und probierte ungefähr 20 Kleider. Jetzt verstand ich langsam, was alle Frauen so toll am Shoppen fanden. Ich entschied mich für ein schwarzes kurzes Spitzenkleid mit einem V-Rückenausschnitt und ein paar hohe High heels, Ich ging zum Friseur und fühlte mich schon fast wie ein neuer Mensch. Ich ging noch zum Italiener und aß eine Pizza und trank ein Glas Weißwein. Ich genoss alles in großen Zügen. Dann fuhr ich nach Hause mit unglaublich viele Tüten. Ich war viel auffälliger als sonst und konnte ein Grinsen nicht vermeiden, als mir einige Männer hinterher sahen. Ich lief selbstbewusst die letzten Meter zu meiner Wohnung und packte meine ganzen Sachen zusammen. Alles was in meiner Wohnung war passte in 2 große Koffer. Ich machte mich vollständig fertig. Ich hatte sowieso keine Lebensmittel hier und Möbel und alles konnte ich da lassen. Ich ging ein letztes Mal in dieser Wohnung duschen, brauchte die Shampoos etc. auf und trocknete mich mit dem letzten Handtuch ab. Dann zog ich mir mein Kleid an, benutze mein neues Parfum, zog meine hohen Schuhe an. Ich hatte keinen Stress. Ich schminkte mich relativ stark, mit dunkelroten Lippen und Smokey Eyes. Meine Haare kämmte ich einmal durch und trug sie lang und offen. Ich lackierte meine langen Nägel mit dunkelrot. Anders hätte er mich bestimmt nicht rein gelassen. Ich nahm die letzte Flasche Champagner. Ich wollte nur reden, war mein Plan. Ich stellte alles bereit, sodass alles schnell gehen konnte. Es geschah an einem unscheinbarem Sonntag abend. Das, was ich mir schon so lange erwünscht hatte. Ich zog mir nichts über das Kleid und hatte nichts außer der Flasche dabei. Ich klingelte bei dem Hausmeister und gab vor, das Fenster wäre kaputt gegangen. Der Hausmeister machte auf. Ich verschwand hinter dem Aufzug und er machte nach einer Zeit die Tür genervt wieder zu. Das war mein Abend. Ich werde der glücklichste Mensch auf der Welt sein. Das ist ganz sicher mein Schicksal. Ich huschte die 2 Stockwerke hinauf, was mit den Schuhen ungewohnt und nicht gerade leicht war. Da stand ich an seiner Tür, auf dem Türschild stand Maximilian Steigwert und plötzlich wollte irgendwas in mir wieder umkehren, aber ich ließ es nicht zu. Ich darf keinen Rückzieher machen. Das ist meine Chance. Ich klopfte zaghaft an der Tür. Mein Herz machte einen Sprung und ich hatte das Bedürfnis wegzurennen. Mein Körper stellte sich schon darauf ein und Adrenalin schoss durch meinen Körper. Ich hatte das Gefühl, ich würde verfolgt werden, dann sah er aber durch das kleine Guckloch und fragte wer da sei. Ich antwortete:" die neue Nachbarin, ich wollte nur einmal kurz anstoßen." Ich hörte, wie sich die Tür entriegelte und sich langsam öffnete. Mein Atem ging schneller und dann stand er vor mir- ungefähr 2 Köpfe größer in einer Jogginghose und einem Sweatshirt. Er sah mich erstaunt an und sagte: hallo und du wohnst jetzt bei uns? Dann komm doch mal rein. In seinen Augen sah ich eine Art Bewunderung, aber auch Misstrauen. Ich trat ein. Ich hatte bis jetzt immer nur die Küche gesehen, aber was ich jetzt sah überraschte mich. Es war schön eingerichtet, warm, gemütlich. Es war kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Er schlug mir vor, ins Wohnzimmer zu gehen und mich schon einmal auf die Couch zu setzen, er würde sich nur nochmal kurz umziehen. Ich wusste, was ich sagen wollte. Das hatte ich schon so lange überlegt. Ich saß ein wenig verkrampf auf dem Sofa, lockerte aber dann meine Haltung. Ich war so wütend, das ich es jetzt nur noch genoss. Er kam mit einer schwarzen Jeans und einem Hemd aus seinem Zimmer. Er fing an zu reden: Ich wusste ja nicht, dass….Aber ich lenkte ab und befahl ihm regelrecht, sich hinzusetzen. Ich sah ihm direkt in seine Augen und sagte: erzähl mir etwas von dir. Er schaute mich verdutzt an und fing dann langsam stockend an zu erzählen, er kam immer mehr in Schwung und konnte gar nicht mehr aufhören zu reden. Er war selbstverliebt, wie man es sich nicht vorstellen kann. Nach seinem Vortrag fragte er was mit mir wäre. Und ich fing an ich bin nicht so glücklich wie du aufgewachsen. Ich habe sehr früh meinen Vater bei einem Autounfall verloren und damit auch meine Mutter und Schwester. Er verzog keine Miene und wartete gespannt auf meine Fortsetzung. Ich machte eine kurze Pause. Du weißt nicht wer ich bin oder? Ich bin der Mensch, dem du das Leben zerstört hat. Der bereit wäre, dich komplett zu auszulöschen. Nicht so schnell wie meinen Vater, sondern langsam und qualvoll. Er versuchte aufzustehen, ich hielt ihn an seinem Handgelenk fest. Und flüsterte ihm ins Ohr:" und hast du es bereut? Hattest du Albträume? Wie kannst du nur mit so etwas leben? Du kannst doch kein Mensch mehr sein. Ich konnte nicht mal mehr seinen Gesichtsausdruck sehen. Ich hörte nur schnelle Schritte, sah meine Mutter, erkannte sie sofort und spürte nur noch den harten Schlag auf meinem Kopf. Dann spürte ich nichts mehr. Ich wachte im Klinikum in Ludwigsburg wieder auf. Erst nach einiger Zeit konnte ich mich orientieren. Ich sah in das Gesicht eines Mannes der vorgab, Kriminalpolizist zu sein. Ich fragte ihn, was los war, er erzählte mir sofort, dass bei einem Überfall Maximilian Steigwert auf eine schlimme Art ermordet worden war und dass eine Frau, ja meine Mutter, auf der Flucht wäre. Sie wäre schon identifiziert worden. Ich spürte meinen Körper. Alles tat mir so schrecklich weh. Ich hatte es nicht geschafft. Ja, ich hatte versagt. Dann schlief ich wieder ein.
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