Interview mit Philipp Stähelin - RVK

AKTUELL
Image muss besser werden
Nach der Ablehnung der Einheitskasseninitiative bleibt das
­Krankenversicherungssystem wie es war. Umso mehr seien
Krankenkassen, Leistungserbringer und Kantone gefordert, gemeinsam die besten Lösungen anzustreben, findet Philipp Stähelin.
Herr Stähelin, im letzten Herbst hat
das Volk der Initiative für eine öffentliche Krankenkasse eine deutliche
Abfuhr erteilt. Haben Sie mit diesem
Ausgang gerechnet?
Nein, mit einem solch deutlichen Ausgang
habe ich nicht gerechnet. Ein Jahr vor der
Abstimmung war der Ausgang noch auf
der Kippe, doch nach der ersten Phase, in
der das Gegenkomitee auf die Schwachstellen der Initiative hingewiesen hat, hatte
ich ein gutes Gefühl. Klar war von Anfang
an, dass wir es in der Romandie schwer
haben würden, weil dort sowohl die Medien als auch die Gesundheitsdirektoren
fast geschlossen für die Einheitskrankenkasse waren. In der Westschweiz ist auch
die Einstellung gegenüber dem Staat anders als in der Deutschschweiz oder im
Tessin.
Warum konnte sich das Volk nicht für
die Initiative erwärmen?
Das hat drei Gründe. Zum einen ist in der
Schweiz der Glaube an den Staat nicht so
gross. Die Bevölkerung ist eher skeptisch,
was Staatseingriffe betrifft. Zum anderen
ist das Volk trotz einiger Mängel einigermassen zufrieden mit dem aktuellen System. Es ist zwar für einzelne Anpassungen
zu gewinnen, hat aber Angst vor einem
kompletten Systemwechsel. Zudem wurde
rasch klar, dass die Initiative Versprechen
hinsichtlich sinkender Gesundheitskosten
nicht wird einlösen können.
Somit sind wir also gleich weit wie vor
der Abstimmung?
Das würde ich so nicht sagen. Diese erneute deutliche Ablehnung eines Vorstosses in Richtung mehr Staat hat schon ihre
Wirkung. Dennoch wurde allen auf der gegnerischen Seite klar, dass wir etwas für
das Image der Grundversicherung tun
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müssen. Das ständige Hickhack zwischen
den Krankenversicherern, den Leistungserbringern und den Kantonen schadet dem
Renommee dieser Sozialversicherung.
für die Krankenversicherer Anreize, eher
die stationäre Behandlung zu fördern, weil
dort die Kantone einen bedeutenden Teil
mitfinanzieren. Die Politik ist aber auch
ganz grundsätzlich gefordert. Sie muss
den dogmatischen Streit zwischen Staat
und Markt beilegen, der in jeder Detaildiskussion von neuem ausgetragen wird.
Was bleibt, sind die weiterhin steigenden Gesundheitskosten und damit
verbunden höhere Krankenkassenprämien.
Wo sind die Krankenkassen gefordert?
Ja, diese Herausforderung bleibt. Die
Die Krankenkassen müssen im Umgang
Gründe für die weiterhin steigenden Gemit den anderen Playern eine neue Kultur
sundheitskosten hat auch Bundesrat Alain
entwickeln. Der WettBerset klar benannt:
bewerb ist wichtig,
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Krankenkassen und
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Kantonen führen. Es
handlung. Die Anfehlt an Vertrauen.
sprüche sind wirkDie Ärzte sind beispielsweise sauer auf die
lich hoch. Einerseits will jeder die bestmögKassen, weil sie sich von ihnen drangsaliert
liche medizinische Behandlung und andefühlen, und die Kassen haben sich ständig
rerseits muss auch der Komfort stimmen.
dafür eingesetzt, dass die Kantone einen
Heute haben wir in der allgemeinen Abteihöheren Anteil der Finanzierung übernehlung der Spitäler kaum noch Vier- oder gar
men, damit sie tiefe Prämien ausweisen
Zwölfbettzimmer. Die ersten beiden Faktokönnen. Dabei verlieren alle das Gesamtziel
ren können und wollen wir nicht ins Visier
aus den Augen: eine gute Versorgung zu
nehmen. Bleibt also noch die Anspruchshaleinem vernünftigen Gesamtpreis.
tung.
Was kann die Politik tun?
In erster Linie sollten wir die Anspruchshaltung nicht noch weiter fördern, indem wir
den Leistungskatalog immer weiter ausbauen. Ich stelle beispielsweise durch die
Krankenversicherer subventionierte Fitness­abos in Frage. Wir müssen die Grundversorgung wieder enger definieren. Zusätzlich gilt es, weitere Mängel des Systems zu eliminieren. Von Beginn an der
grösste Mangel war die unterschiedliche
Finanzierung von ambulanter und stationärer Behandlung. Dies schafft insbesondere
Was haben Sie in Ihrer Zeit als Präsident der GDK unternommen, um den
Kostenanstieg zu bremsen?
RVK Forum
Unter dem Titel «Ende gut, alles gut?»
widmet sich das RVK-Forum am 7. Mai
den Aufgaben, mit denen sich die Krankenversicherer nach dem Nein zur Einheitskasse konfrontiert sehen. Philipp
Stähelin wird in der zentralen Podiumsdiskussion seine Ansichten einbringen.
www.rvkforum.ch
Schweizer Sozialversicherung · Assurance Sociale Suisse · 02/15
AKTUELL
Als ich das Präsidium der Gesundheits­
direktorenkonferenz übernommen habe,
war die Zeit zwischen der Annahme des
KVG und dessen Einführung. Ich war also
in erster Linie mit der Umsetzung des KVG
beschäftigt. Die Auswirkungen auf die Prämien konnte damals noch niemand wirklich abschätzen. Damals hatte ich natürlich den Kantonshut auf, das heisst, wir
haben uns für möglichst tiefe Kosten der
Kantone eingesetzt. Allerdings darf ein
Gesundheits­direktor auch die Krankenkassenprämien nicht aus den Augen verlieren.
Steigen diese zu stark an, wird er in die
Wüste geschickt. Zur selben Zeit kümmerte ich mich im Thurgau auch um die
Herauslösung der öffentlichen Spitäler
aus der Kantonsverwaltung. Damals waren wir zusammen mit Zug Vorreiter, mittlerweile haben fast alle Kantone nach­
gezogen. Damit verbunden ist auch die
Spitalplanung, die im Interesse eines
­effizienten Ressourceneinsatzes über die
Kantonsgrenzen hinweg koordiniert werden muss.
gelmässig und geniesse geselliges
Beisammensein, das hält gesund. Und
habe ich dann doch ein Wehwehchen, versuche ich nicht gleich zum Arzt zu r­ ennen
und zudem möglichst wenige M
­ edikamente
einzunehmen. So konsumiere ich möglichst wenig Gesundheitsleistungen. n
Interview und Foto: Gregor Gubser
[email protected]
Was unternehmen Sie persönlich, um
das Gesundheitssystem nicht über
Gebühr zu belasten?
Normal und eigenverantwortlich leben. Ich ernähre mich vernünftig –
ohne auf Genuss zu verzichten –, bewege mich re-
Philipp Stähelin ist Dr. iur. und arbeitet als Rechtsanwalt bei Fürer Partner Advocaten in ­Frauenfeld.
Er begann seine politische Karriere 1976 als Staatsschreiber des Kantons Thurgau und war unter
anderem Thurgauer Regierungsrat, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz. Von 1999 bis
2011 war er Ständerat und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit.
· Assurance Sociale
Suisse · 01/15
Er warSchweizer
MitgliedSozialversicherung
im Komitee «Einheitskasse
– Nein».
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