Autor: Heiner Barz, Gabriele Gloger-Tippelt, Michaela Herrmann, Holger Stutzke 1 Einführung Das Basismodul will einen Querschnitt durch ausgewählte Forschungsansätze und -ergebnisse bieten. Wir sind uns im Klaren darüber, dass dieses Modul den Leser*innen ziemlich viel zumutet - schon allein wegen seines nicht eben geringen Umfangs. Aber auch, weil es recht unterschiedliche theoretische Ansätze nacheinander vorstellt. Dennoch halten wir es für unverzichtbar, den späteren auf einzelne Themenfelder der Jugendforschung bezogenen Modulen eine Art Grundausstattung voranzustellen, in der einige zentrale Fragen gebündelt zur Sprache kommen. Eine der ersten Fragen beim Blick auf das Phänomen "Jugend" ist natürlich die, wann sie anfängt und wann sie aufhört. Nach einigen Überlegungen zu den Altersgrenzen und dem Hinweis auf den schwindenden quantitativen Stellenwert Jugendlicher im Altersgefüge der Gesellschaft beschäftigen sich die Abschnitte 4-7 ausführlicher aus psychologischer Sicht mit Facetten der Entwicklung und Reifung. Dabei kommen auch für Pädagog*innenen äußerst relevante Themen zur Darstellung - etwa im Abschnitt "Reifetempo" das Problem, dass man in der 8. Klasse junge Menschen in völlig unterschiedlichen Reifestadien und damit mit völlig unterschiedlichen Interessen vor sich haben kann. Im Abschnitt 8 befassen wir uns mit dem Problem der Identität und im letzten Kapitel mit dem Strukturwandel der Jugendphase. 2 Das Problem der Altersgrenzen Dieses Online-Lehrbuch handelt von der "Jugend". Was auf den ersten Blick vielleicht einen klar umrissenen Jugend Gegenstand abgibt, erweist sich auf den zweiten allerdings als schillernd und schwer fassbar. Ist es eine Frage - was des Lebensalters, ob jemand zur Jugend gezählt wird oder nicht? Sind zehn- oder zwölfjährige noch Kinder, ist dreizehnjährige aber jugendlich? Wird man mit achtzehn Erwachsen, weil unsere derzeitigen gesetzlichen das? Regelungen hier den Beginn der "Volljährigkeit" ansetzen? Oder ist Jugend weniger eine Altersfrage, sondern ein Lebensgefühl? Oder ein sozialer Status? So schön es vielleicht wäre, hier Klarheit zu schaffen - auch die wissenschaftliche Literatur hält zu diesen Fragen keine eindeutige und unumstrittene Antwort bereit. (Quelle: Microsoft Encarta) Jugend als Übergangszeit zwischen Pubertät und voller sozialer Reife ist als soziales Konstrukt ein Produkt bestimmter Gesellschaftsordnungen. In einfachen, bäuerlich geprägten Gesellschaften war (und wird) der Übergang vom Kind zum Erwachsenenstatus abrupt vollzogen und z.B. durch Initiationsriten oder durch Heirat markiert. Die "klassische" moderne Jugendforschung beschreibt die Jugendphase als "psychosoziales Moratorium", als eine Übergangszeit (Schelsky), deren Beginn durch den Eintritt der biologischen Sexual-Reife und deren Ende durch die Einmündung in die Erwachsenenrolle gekennzeichnet ist. Die von Havighurst erstmals diagnostizierten und seither mit immer neuen Ergänzungen und Modifikationen fortgeschriebenen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters und die typischen Stationen des Selbständigwerdens werden im folgendem Abschnitt dargestellt. Neben der radikalen Infragestellung des Jugendbegriffs überhaupt lassen sich zwei weitere Positionen ausmachen. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Notwendigkeit, in empirischen Forschungsprojekten den Begriff der Jugend irgendwie handhabbar zu machen - also das, was man Operationalisierung nennt, zu leisten -, sind zwei Strategien möglich: Entweder man hält sich doch an klar festgelegte Altersgrenzen und bestimmt z.B. die 12-25-jährigen als Grundgesamtheit "Jugendliche in Deutschland", wie dies die 16. Shell-Jugendstudie getan hat. Damit übergeht man zwar alle begründeten Einwände im Hinblick auf das interindividuell stark differierende Reifetempo und damit die Tatsache, dass viele Twens kaum noch als jugendlich anzusehen sind. Andererseits können mit einer solch "harten" Altersgrenze gerade die Unterschiede zwischen den im mathematischen Sinne "Gleichaltrigen" herausgearbeitet werden. Ein anderer Weg wäre die Operationalisierung des Jugendbegriffs über das faktische Erreichen Operationalisierung von Stationen des Selbständigwerdens. Schon in den 70er Jahren wurde in diesem Sinne z.B. die vollzogene Heirat oder der Berufseintritt als Kriterium für den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen diskutiert (vgl. z.B. Allerbeck/Rosenmayr 1976, 28). Aber auch eine solche nicht mehr am numerischen Lebensalter sondern an Lebenslaufereignissen festgemachte Eingrenzung des Begriffs "Jugendlicher" ist nicht unproblematisch. Man denke nur an die nach wie vor steigende Zahl außer- bzw. vorehelicher Lebensgemeinschaften ("Ehe ohne Trauschein") oder an Jugend - eine Erfindung? Untergliederung der Jugendzeit die Vielzahl ökonomischer "Grauzonenexistenzen" gerade im Übergang vom Ausbildungs- ins Beschäftigungssystem wie Halbtags- und Dreiviertel-Stellen, befristete Arbeitsverträge, freie Mitarbeit, Praktika und Ferienjobs (aus denen bisweilen unter der Hand feste Anstellungen werden) etc. Das Problem der Feststellung "gerade-noch-jugendlich" oder "schon-nicht-mehrjugendlich" würde damit kaum gelöst, vielmehr nur verlagert, weil der Indikator "Eintritt ins Berufsleben" selbst die wünschenswerte Eindeutigkeit vermissen lässt. Um die Diffusität des Jugendbegriffs zu begrenzen, kann die Kombination von lebensalter- und lebensereignisbezogenen Kriterien ein sinnvolles Vorgehen sein. Immerhin liegt darin eine Möglichkeit, solche Personen - unabhängig vom Lebensalter - nicht mehr als Jugendliche einzuordnen, die beispielsweise als 24-jährige fest im Berufsleben integriert sind, als Handwerksmeister vielleicht sogar in leitender Position, die bereits stolze Besitzer eines Eigenheims sind und deren Freizeit von Kindern und Familie geprägt ist. Eine weitere Problematik ist mit der Phaseneinteilung verbunden, wie sie die klassische Jugendpsychologie vornahm. Häufig wurde die Jugendzeit in den klassischen Theorien in drei Phasen untergliedert. 1. Die Vorpubertät, die durch das Betroffensein vom Neuen, eine Störung des bisherigen Gleichgewichts, durch Tagträume und eine Wendung nach innen beschrieben wurden. 2. Die Zeit der eigentlichen Pubertät, in der das Ausgefallene, das Extreme, das Abenteuer fasziniert und die eigenen Grenzen getestet werden. 3. Die Adoleszenz im engeren Sinne, für die das Wiederfinden eines Gleichgewichts, die ersten Bewährungen in Ausbildung oder Beruf, erster Verdienst und erste Liebe als kennzeichnend angesehen wurden. Renaissance der Phasenmodelle? Die neuere Psychologie hat sich weitestgehend von derartigen Phasenmodellen der Entwicklung zugunsten der Vorstellung einer kontinuierlichen, möglicherweise bereichsspezifisch differierenden Entwicklung entfernt (vgl. die Theorie bereichsspezifischen Wissens im Abschnitt 7). 3 Demographischer Bedeutungsverlust Das Gewicht, das die Interessen und Anliegen der jungen Generation in einer Gesellschaft hat, ist nicht Jugend - ein zuletzt auch von ihrem zahlenmäßigen Anteil an der Gesamtbevölkerung abhängig. In den letzten demographisches Jahrzehnten hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Altersgruppen in allen Industrieländern Auslaufmodell? deutlich zugunsten der älteren Jahrgänge verschoben. Und auch für die Zukunft ist zu erwarten, dass sich der Trend fortsetzen wird: Immer mehr Ältere stehen immer weniger Jüngeren gegenüber. Hieraus ergeben sich nicht nur finanzielle Schieflagen - siehe die Diskussion um den Generationenvertrag und die Sicherheit der Renten. Es entsteht auch die Befürchtung, dass die Interessen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann wesentlich weniger Gehör finden, wenn sie - z.B. als Wählerpotential - zu einer Quantité negligeable schrumpfen. Die Hochrechnungen für die kommenden Jahrzehnte prognostizieren die Zahl der Jugendlichen jedenfalls weiter rückläufig. Quelle: Alterung der Bevölkerung, http://www.berlin-institut.org 4 Entwicklungsaufgaben im Jugendalter Anforderungen des Jugendalters Das international einflussreichste Konzept der Entwicklungsaufgaben geht auf Havighurst zurück. Er verstand darunter die Entwicklung der Persönlichkeit im gesamten Lebenslauf als Auseinandersetzung - und im günstigsten Fall als produktive Bewältigung von Anforderungen, die sich einerseits aus biologischer Reifung und psychologischer Entwicklung, andererseits aus normativen sozialen Anforderungen (wie Schuleintritt, Schulwechsel, Berufseintritt) ergeben. Dieses Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde später von zahlreichen Forschern für die jeweiligen kulturellen Kontexte modifiziert und erweitert. Für Deutschland haben Dreher und Dreher (1995) diese Aufstellung für die Entwicklungsaufgaben in der Kindheit, der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter erstellt. Wesentliche Entwicklungsaufgaben von Mädchen und Jungen sind: schulische und berufliche Qualifikation Klärung der Geschlechterrolle Loslösung vom Elternhaus Entwicklung eines eigenen Wert- und Normensystems Umgang mit Konsum und Freizeit ... R.J. Havighurst Befragung Befragt man Jugendliche, so geben sie durchaus unterschiedliche Zeitpunkte an, zu denen sie die genannten Aufgaben und neuen Situationen bewältigt haben. Die Befragungen z.B. der Shell-Jugendstudien 1981 und 1991 ergaben eine Abfolge mit gestaffelten mittleren Altersangaben (Stationen der Durchschnittsbiographie Jugendlicher). Danach sehen die Stationen des Selbständigwerdens zwischen 12 und 20 Jahren folgendermaßen aus: körperliche Erscheinung selbst bestimmen Erfahrungen mit Liebe und Sexualität Relative Lösung vom Elternhaus (selbst bestimmen, wann man weggeht und heimkommt) Berufliche Eingliederung, Konsum, Straßenverkehr Wirtschaftliche Selbständigkeit Entwicklungsaufgaben Feministisch orientierte Forscher postulieren zusätzliche Entwicklungsaufgaben für Mädchen für Mädchen: Vorbereitung auf Haus- und Erziehungsarbeit Klärung der Vereinbarkeit von Beruf und Erwerbstätigkeit (HagemannWhite 1993) 5 Pubertät Externer Link: Biographie von Havighurst Prozesse der Pubertät Das Jugendalter wird durch biologische Veränderungen eingeleitet, die zur körperlichen Reife führen. Dies geschieht in einer systematischen Abfolge von körperlichen Veränderungen. Das Ende der Wachstumsprozesse und das Erreichen der biologischen Geschlechtsreife sind dagegen nicht identisch mit dem Abschluss der Jugendphase; es finden weitere psychische und soziale Veränderungen statt. Die Pubertät umfasst vor allem drei Bereiche: 1. Wachstumsprozesse: Größe, Gewicht, Körperproportionen, Zunahme von Fettgewebe und Muskelmasse 2. Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale: Brustentwicklung, Scham- und Körperbehaarung, Stimme, Bartwuchs 3. Entwicklung primärer Geschlechtsmerkmale: Ovarien, Gebärmutter, Penis, Hoden, Menarche und Spermarche (erster Samenerguss) Durch diese drei Prozesse, die hormonell gesteuert sind, erfährt das Individuum die dramatischsten Veränderungen seiner körperlichen Erscheinung im Lebenslauf. Hormonelle Steuerung der Pubertät Ursachen Abfolge der körperlichen Reife Die körperliche Reifung wird durch das Zusammenspiel mehrerer Hormone gesteuert. Abbildung: Im endokrinen System sind Teile des Gehirns, nämlich der Hypothalamus und die Hypophyse und die an der Körperperipherie vorhandenen Gonaden (d.h. Keimdrüsen: Hormonelle Hoden, Ovarien) mit mehreren verschachtelten Regelkreisen beteiligt. Diese bereits in Steuerung der Kindheit vorhandenen hormonellen Regelkreise werden in der Pubertät zu einer Steigerung der Produktion von Geschlechtshormonen angeregt. Die Ursachen, die zu veränderter Hormonausschüttung im Gehirn führen, sind bis heute noch nicht völlig aufgeklärt (Weichold, Silbereisen & Schmitt-Rodermund 2002). Es besteht offenbar keine ausschließliche genetische Steuerung, sondern eine gewisse Offenheit gegenüber Umweltbedingungen. So konnte man z.B. nachweisen, dass ausgedehntes körperliches Training bei Hochleistungssportlerinnen (Läuferinnen) und Balletttänzerinnen oder bei Mangelernährung wie pubertärer Magersucht (Anorexia nervosa), die Brustentwicklung und die Menarche (= erste Periode) verspätet einsetzen lässt. Umgekehrt können konfliktreiche Familienbeziehungen oder Scheidung der Eltern mit einem verfrühten Auftreten der Menarche zusammenhängen (Fend 2000; Weichhold et al 2002). Die drei genannten Bereiche der körperlichen Veränderung stehen in einer zeitlichen Interaktion: Beziehung. Zuerst wird der Wachstumsschub beobachtet, wobei bei Mädchen das Berechnung durchschnittliche jährliche Längenwachstum (mit ca. 8 cm) im Alter von 12 Jahren des Body seine Spitze erreicht, bei Jungen (mit ca. 12 cm) im Alter von 14 Jahren. Dies Mass Index ergaben systematische Studien zur Wachstumsgeschwindigkeit über die gesamte Lebensspanne (Tanner 1972; Fend 2000). Auch Gewichtsindikatoren wurden berechnet (z.B. Body Mass Index). Mit Gewicht und Größe verändern sich auch die Körperproportionen, dies hat einen Gestaltwandel zur Folge. Während der Kopf schon in der Kindheit wächst, wachsen in vorgegebener Reihenfolge in der Pubertät Hände und Füße, Hüften, Brust und Schultern und schließlich der Rumpf. Der Gestaltwandel bringt für Mädchen und Jungen das geschlechtstypische Körperbild mit breiten Hüften und Becken bei Mädchen und breiten Schultern und schmalem Becken bei Jungen. Die Entwicklung der sekundären und primären Geschlechtsmerkmale führt zur Geschlechtsreife, d.h. dem Erreichen der Reproduktionsfähigkeit. Die Abfolge der wichtigsten körperlichen Veränderungen während der Pubertät bei Mädchen und Jungen finden Sie an den angegebenen Links auf der rechten Seite. Die Entwicklungsstadien werden wie folgt gekennzeichnet: Übersichten: Körperliche Veränderungen während der Pubertät für Mädchen und Jungen Mädchen Jungen Wachstumsschub Wachstumsschub Menarche Penis/Hoden volle Brustentwicklung volle Schambehaarung volle Schambehaarung Bartwuchs, Stimmbruch Übersicht: Ausführliche Darstellung der körperlichen Entwicklung nach Oerter, Dreher 1998 Bei den Jungen wird für diese Stadien eine regelmäßige Abfolge, für die Mädchen eine Unterschiedliches weniger regelmäßige postuliert (Weichhold et al. 2002). Die Spermarche bei Jungen Reifetempo wird heute zwischen 12 und 14 Jahren angesetzt, wogegen die Körperbehaarung und der Stimmbruch üblicherweise erst später auftreten (Largo in Weichholt et al. 2002). Bei Mädchen tritt die Menarche durchschnittlich mit 12,5 Jahren ein, wobei ein Spielraum zwischen 10.5 und 15.5 als normal betrachtet wird. Häufig wird in der Literatur die Vorverlegung des Zeitpunktes der Menarche im historischen Vergleich (in den letzten 150 Jahren), die säkulare Akzeleration (d.h. die Vorverlegung der geschlechtlichen Reife von 17 auf 13 Jahre in den letzten 150 Jahren, Oerter & Dreher 1998, Ewert 1983) hervorgehoben (s. Fend 2000). Der maximale Wachstumsschub hängt bei Mädchen und bei Jungen sehr eng mit dem Zeitpunkt der Geschlechtsreife zusammen. Bei den Mädchen findet er kurz vor dem Eintreten der Menarche bzw. bei den Jungen etwa zeitlich mit der Spermarche statt. Dies gibt Außenstehenden (wie Lehrern) Hinweise auf den Zeitpunkt der Geschlechtsreife. Es besteht eine große Variation in den Zeitpunkten der Reife bei einzelnen Jugendlichen, nicht jedoch in der Abfolge der Reifephasen. Bei Mädchen tritt die Geschlechtsreife ungefähr eineinhalb bis zwei Jahre früher als bei Jungen ein. Diese Tatsache hat erhebliche Konsequenzen für Lehrer, die in ihrer Schulklasse zum einen Jungen und Mädchen mit gleichem Alter, aber unterschiedlichem Reifestatus und zum anderen innerhalb der Geschlechter auch Kindern mit unterschiedlichem Reifestatus gegenüberstehen. An welchem Punkt der Entwicklung ein Jugendlicher sich gerade befindet und wie sich sein Entwicklungsstand zu dem Gleichaltriger verhält, können die Reifeindikatoren mit Hilfe von objektiven Methoden und Selbsteinschätzungen feststellen. 6 Reifetempo Das Tempo der Reife hat Auswirkungen auch auf das psychische Befinden von Jugendlichen. In diesem "on time" oder Abschnitt geht es um die Folgen, die das unterschiedliche Reifetempo (Frühentwickler und "off time"? Spätentwickler) nach sich zieht. Der Zeitpunkt, zu dem die Schritte der Geschlechtsreife bei einzelnen Jugendlichen auftreten, variiert erheblich. In der Entwicklungspsychologie wird im Hinblick auf wichtige Übergänge im Lebenslauf wie Geschlechtsreife, Eintritt in das Arbeitsleben, Geburt des ersten Kindes, "on time" im Sinne von zeitgemäßen, normentsprechenden und "off time" als nicht zeitgemäßen, nicht normentsprechenden Übergängen unterschieden. Dabei kann "off time" ein zu frühes oder ein zu spätes Auftreten der Pubertät oder eines anderen Übergangs beinhalten. Da unterschiedliche Reifegrade wesentlich das Aussehen der Jugendlichen bestimmen, haben sie auch weitreichende Folgen für den Eindruck, den Jugendliche bei anderen auslösen und damit für die sozialen Beziehungen. Unabhängig vom Lebensalter wirken einige Jugendliche älter bzw. reifer, andere jünger und kindlicher. Eine Reifeentwicklung "off time" hat Folgen für das Selbstbild der Jugendlichen und für die Art und Weise wie sie von anderen behandelt werden. Nach dem heutigen Stand der Forschung gelten frühentwickelte Mädchen und spätentwickelte Jungen Frühentwickler als Risikogruppen im Hinblick auf verschiedene Verhaltensprobleme. Dabei sind die kurzfristigen und Folgen deutlicher nachgewiesen als die langfristigen, d.h. es bestehen bis ins Erwachsenenalter Spätentwickler nachweisbare Folgen. Insgesamt sind die Ergebnisse für frühentwickelte Mädchen wesentlich eindeutiger als für spät entwickelte Jungen. Übersichten: Ausgewählte Befunde frühentwickelter Mädchen Ausgewählte Ergebnisse über frühentwickelte Jungen 7 Kognitive Entwicklung Kognitive Entwicklung aus Sicht Piaget's Lange Zeit dominierte in der Erforschung der kognitiven Entwicklung in Kindheit und Jugend die Sichtweise, daß die Entwicklung des Denkens vor allem als bereichsübergreifende Veränderung kognitiver Strukturen in der Theorie Piagets oder informationsverarbeitender Prozesse in neueren Theorien (Case, Siegler) zu verstehen ist. Für diese Auffassung spricht nach Sodian (1998a, 625): "... ihre Einfachheit und Eleganz: Die Vielzahl der Entwicklungsphänomene (die Vielzahl der dramatischen Veränderungen in den kognitiven Leistungen des Kindes, die wir im Laufe der Entwicklung beobachten können) kann auf eine überschaubare Zahl wichtiger und interessanter Veränderungen des kognitiven Systems zurückgeführt werden". Dagegen konnten zahlreiche neuere entwicklungspsychologische Studien schon bei 4-5jährigen Kindern Fähigkeiten z.B. zur Perspektivenübernahme oder zum Verständnis kausaler Prinzipen in einfachen Aufgaben nachweisen, die nach Piaget in diesem Stadium (präoperational, egozentrisch) noch nicht vorhanden sein dürften (Sodian 1998a, 1998b). Auf dem Entwicklungsniveau des anschauungsgebundenen Denkens könnten Kinder z.B. noch nicht die Perspektive einer anderen Person einnehmen, wobei Perspektive hier im räumlichen Sinne als Wahrnehmungsperspektive oder im psychologischen Sinne als Einbeziehung der Vorkenntniss oder Informationen einer anderen Person gemeint ist. Dies ist in komplexer Form erst ab circa zehn Jahren möglich. Verallgemeinert man diese Ergebnisse, so hieße dies zum einen, dass eine strikte Stadientheorie i.S. Piagets die intellektuelle Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen unterschätzen würde. Zum anderen würde die kognitive Entwicklung einheitlicher über verschiedene Bereiche dargestellt als dies der Fall ist. Der Fortschritt kognitiver Fähigkeiten von der späten Kindheit über das Jugendalter bis zum Beginn des Erwachsenenalters ist möglicherweise weniger dramatisch als Aktuelle Ansätze traditionellerweise angenommen wird. Daher finden sich in der aktuellen Diskussion zur kognitiven Entwicklung von Jugendlichen zwei unterschiedliche Theoriegruppen bzw. Forschungsansätze: 1. Die Entwicklung vollzieht sich in ganzheitlichen qualitativen Stadien oder Stufen, wobei für das Jugendalter nach Piaget das Stadium der [could not resolve link target: il_0_git_256] anzusetzen ist. 2. Die Denkentwicklung erfolgt im Wesentlichen bereichsspezifisch, d.h. je nach Vorkenntnissen in verschiedenen Inhaltsbereichen. Im Wesentlichen werden die Bereiche Natur (Physik), Biologie, Psychologie und Mathematik unterschieden, die Abgrenzung von Inhaltsbereichen ist jedoch noch nicht befriedigend geklärt. Beispiel für eine klassische Stadientheorie Vier Phasen der kognitiven Entwicklung nach Piaget Beispiel für eine Theorie der ersten Gruppe: Piagets Theorie der kognitiven Strukturen Piaget (1896-1980): Piaget sieht die Intelligenzentwicklung als eine Anpassung (Adaptation) des Individuums an seine Umwelt an. Kognitive Strukturen sind dabei sowohl Ergebnis als auch Voraussetzung der Anpassung. In seiner genetischen, d.h. entwicklungsorientierten Erkenntnistheorie wird das Denken als verinnerlichtes Handeln (der vorangegangenen Stadien) verstanden. Die Entwicklung der kindlichen Denkleistungen vollzieht sich als Veränderung grundlegender kognitiver Strukturen. Eine kognitive Struktur (oder ein Schema) ist eine ganzheitliche Organisation von Regeln, Problemlösungen und logischen Schlußfolgerungen, die den beobachtbaren Handlungen und den erschlossenen Denkprozessen zugrundeliegt. Eine kognitive Struktur bildet eine qualitative Einheit und manifestiert sich in verschiedenen Inhalten weitgehend zum gleichen Zeitpunkt der Entwicklung. Eine Entwicklungsstufe, z.B. die des formaloperatorischen Denkens ist in der Theorie Piagets durch Strukturen definiert, die aus den Handlungen und Denkleistungen der befragten Personen erschlossen werden. Die Strukturen des Denkens sollten bei verschiedenen Inhalten zu gleichen Zeitpunkten der Entwicklung auftreten. Ist das nicht der Fall, spricht Piaget von einer horizontalen Verschiebung. Piaget postuliert vier qualitativ verschiedene Niveaus von Anpassungsleistungen, dh. vier Hauptstadien der geistigen Entwicklung: Die sensumotorische Stufe (bis zum ca. 24. Lebensmonat), das voroperatorische, anschauliche Denken (bis ca. 7. Jahre), das Stadium der konkreten Operationen (von ca. 7 bis 12 Jahren) und das Stadium der formalen Operationen (ab ca. 11/12 Jahren) als Endpunkt der kognitiven Entwicklung. Diese letzte Stufe der formalen Operationen wird in den traditionellen Stufentheorien zur Kennzeichnung des Denkens im Jugendalter benutzt. Die Reihenfolge der Stufen in der Entwicklung ist universell und invariant, keine Stufe kann übersprungen werden. Was sind formale Operationen? Jugendliche erwerben gegenüber Kindern im konkret-operationalen Stadium die Fähigkeit zu hypothetischem Denken, das Verständnis Interner Link: für Proportionen, ein Verständnis von systematischer Variation und Pendelaufgabe können kombinatorische Systeme aufbauen. Sie verstehen die Methodik planvollen Experimentierens und können Variablen isolieren. Das bedeutet z.B. bei der Pendelaufgabe, dass Sie über das konkret Gegebene hinausgehen können (hypothetisch denken). Piaget betont für die formalen Operationen, dass der innere Zusammenhang der nun möglichen Denkoperationen deutlich erkennbar ist. Dies wird am Beispiel kombinatorischer Systeme verdeutlicht (Montada 1998). Piaget beschäftigte sich vor allem mit einer Gruppe von vier miteinander verbundenen Operationen, die er bevorzugt durch logische Aussagen darstellt. Dies sind die Operationen Identität (identische Transformation), Negation (Rückgängigmachen einer Operation), Reziprozität (entsprechende Operationen) und Korrelation (sich gegenseitig entsprechende Operationen). Vereinfacht soll dies am Beispiel der Hebelgesetze an der Balkenwaage illustriert werden. (für logische Darstellungen vergleiche Montada 1998, S. 544-545). Bei einer Balkenwaage (siehe Abbildung rechts) sei der Abstand d1 und das Gewicht 1kg auf beiden Seiten des Drehpunktes gleich. Nun wird ein weiteres Gewicht ½kg um den doppelten Abstand 2xd1 auf der linken Seite angehängt. Durch zwei verschiedene Prozesse kann der gleiche Effekt erreicht werden, dass nämlich das Gleichgewicht der Waage erhalten bleibt, durch Veränderung des Gewichtes auf der rechten Seite oder durch Veränderung der Distanz zum Drehpunkt. Negation hieße dann: das zusätzliche Gewicht wieder entfernen. Reziprozität beinhaltet dann eine Operation, ein gleiches Gewicht im Abstand 2xd1 an den rechten Hebelarm anzuhängen, eine korrelative Operation bestünde darin, im Abstand d1 ein doppeltes Gewicht wie bisher, nämlich 2x1 anzuhängen. Mit allen Operationen wäre die Identität des Zustandes erreicht. Piaget und seine Mitarbeiter/Innen haben zahlreiche Aufgaben zur Kombinatorik und Logik an Beispielen aus der Physik und Mathematik entworfen, die in vielen Varianten von nachfolgenden Forschern weiter benutzt wurden. Vier Phasen der kognitiven Entwicklung nach Piaget Die neu gewonnenen formalen Denkfähigkeiten haben weitere Folgen (nach Fend 2000), z.B. für das Selbstkonzept Jugendlicher: Sie können in Möglichkeiten denken (Was wäre, wenn ich eine andere Person wäre), für die Interessen: das Hinausgehen über die reale Welt zeigt sich im Lesen von historischen Romanen oder ScieneFiction-Literatur oder im Identifikationshopping im Chatroom, für die soziale Kognition: die Dezentrierung des Denkens ermöglicht rekursive Prozesse (z.B. Was denkt Klaus, was Julia denkt, die denkt, dass Klaus an eine andere denkt...), für mündiges Denken: Was wäre, wenn politische oder soziale Bedingungen anders wären?, für die moralische Urteilsfähigkeit: Wie soll ein Konflikt zwischen zwei Personen gelöst werden? hierzu hat L. Kohlberg die Stadientheorie des moralischen Urteils vorgelegt, die auf Piaget aufbaut, sie kann hier nicht einbezogen werden. Anordnung für die Prüfung des Verständnisses der Hebelgesetze, nach Montada 1998, S. 545 Externe Links : Kohlberg Piaget Eine deutlich gegensätzliche Position zur Stadientheorie der Beispiel für eine kognitiven Entwicklung wird mit dem Aufbau bereichsspezifischen Theorie Wissens vertreten, in Deutschland vor allem von Beate Sodian bereichsspezifischen (1998). In dieser Forschungstradition nimmt man an, dass sich die Wissens Veränderung des Denkens bei Kindern und Jugendlichen jeweils in bereichsspezifischen Wissensstrukturen (Domänen) vollzieht, die keine inhaltsübergreifenden kognitiven Strukturen bilden. Daraus können trotzdem radikale und dramatische Veränderungen im Denken folgen. 8 Erikson über die Identitätsproblematik Erik Erikson hat sich vor allem durch seine eindringlichen Studien der Identitätsproblematik Jugendlicher einen bleibenden Namen in der Jugendforschung gemacht. Auch wenn sein Phasenmodell der seelischen Entwicklung heute nicht mehr unumstritten ist und die von ihm als zentrales Charakteristikum des Jugendalters beschriebenen Identitätskrisen sich heute auch auf andere Altersabschnitte ausgedehnt haben mögen - viele seiner Beobachtungen zur schwierigen, entwicklungsbedingten Gefühlslage junger Menschen haben nichts von ihrer Aktualität und Gültigkeit verloren. Ein Auszug aus einer seiner zusammenfassenden Schriften mag dies demonstrieren: Das Ich wird zum Problem "In der Pubertät werden alle Identifizierungen und alle Sicherungen, auf die man sich früher verlassen konnte, erneut in Frage gestellt, und zwar wegen des raschen Körperwachstums, das sich nur mit dem in der frühen Kindheit vergleichen lässt und dem sich jetzt die gänzlich neue Eigenschaft der physischen Geschlechtsreife zugesellt. Der wachsende und sich entwickelnde Jugendliche ist nun, angesichts der physischen Revolution in ihm, in erster Linie damit beschäftigt,seine soziale Rolle zu festigen. Er ist in manchmal krankhafter, oft absonderlicher Weise darauf konzentriert herauszufinden, wie er, im Vergleich zu seinem eigenen Selbstgefühl, in den Augen anderer erscheint und wie er seine früher aufgebauten Rollen und Fertigkeiten mit den gerade modernen Idealen und Leitbildern verknüpfen kann. Manche Jugendliche müssen in ihrer Suche nach einem neuen Gefühl von Dauer und Identität die Kämpfe früherer Jahre noch einmal durchfechten und sind niemals bereit, sich bleibende Idole und Ideale als Hüter ihrer schließlichen Identität aufzurichten. [...] Externer Link: Erik Erikson Intoleranz als Selbstschutz So mancher Jugendliche, der von seiner Umgebung zu hören bekommt, er sei ein geborener Strolch, ein komischer Vogel oder Außenseiter, wird erst aus Trotz dazu. Im allgemeinen ist es hauptsächlich die Unfähigkeit, sich für eine Berufs-Identität zu entscheiden, was die jungen Leute beunruhigt. Um sich selbst zusammenzuhalten, überidentifizieren sie sich zeitweilig - bis zu einem Grad scheinbar völliger Aufgabe des Ich - mit den Helden von Cliquen und Massen. Andererseits werden sie bemerkenswert exklusiv, intolerant und grausam gegen andere, die ‚verschieden' sind in Hautfarbe oder Herkunft, Geschmack und Gaben, oft auch nur in ganz winzigen Momenten der Kleidung und Gestik, die willkürlich als die Kennzeichen der Gruppenzusammengehörigkeit gewählt werden. Es ist wichtig, dass man diese Intoleranz als notwendige Abwehr gegen ein Gefühl der Identitätsdiffusion versteht (was nicht heißt, dass man sie billigt oder teilt), als ein Gefühl, das unvermeidlich zu einer Zeit eintreten muß, in welcher der Körper seine Proportionen radikal ändert, die geschlechtliche Reifung Körper und Vorstellungswelt mit allerlei Trieben überschwemmt, der Umgang mit dem anderen Geschlecht herannaht, gelegentlich sogar dem jungen Menschen aufgezwungen wird, und in der das Leben mit einer Vielfalt von widersprechenden Möglichkeiten vor ihm liegt, unter denen er wählen soll. So helfen sich die Jugendlichen für eine Weile durch diese unvertraute Lage hindurch, indem sie Cliquen bilden und sich selbst, ihre Ideale und ihre Feinde zu Stereotypen vereinfachen. Veränderungsdynamik Hieraus erklärt sich wohl auch der Anreiz, den primitive und grausame totalitäre erzeugt starre Doktrinen auf das Denken der Jugendlichen ausüben, besonders in Ländern und Ideologien Klassen, die ihre Gruppenidentität (sei sie feudaler, agrarischer, nationalistischer oder sonstiger Art) in diesen Zeiten der die ganze Welt erfassenden Industrialisierung verloren haben oder gerade verlieren. Die Dynamik der stürmischen politischen Reifungszeit der patriarchalischen und agrarischen Länder [...] erklärt die Tatsache, dass die Jugendlichen dort überzeugende und sie ausfüllende Identitäten in den simplen totalitären Doktrinen von Rasse, Klasse oder Nation finden. Selbst wenn wir gezwungen sein sollten, ihre Führer im Krieg zu besiegen, hätten wir doch immer noch die Aufgabe vor uns, den Frieden mit dieser starrsinnigen Jugend zu gewinnen, der wir eine tolerante und doch starke, verständnisvolle und doch feste demokratische Identität vorleben müssten." Aus: Erik H. Erikson: Wachstum und Krisen der gesunden Persönlichkeit.In: Ders.: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a.M. 1966 (amerik. Original: 1950). S. 55122, hier S. 106, 110f.) 9 Strukturwandel der Jugendphase Konträre Befunde Entstrukturierung und Destandardisierung: Ausgangspunkt der Thesen zur Entstrukturierung der Jugendphase, die Thomas Olk 1984 auf dem Kieler Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vortrug, waren zunächst zwei irritierend entgegengesetzte Jugendbilder. Auf der einen Seite beschrieben Jugendforscher Jugendliche Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre als aktiv, kreativ, selbstbestimmt und selbstbewusst - auf der anderen Seite wurde dieselbe Jugend mit dem Etikett "Jugend ohne Chance" bedacht und ihr eine defensive, bedingungslose Anpassungsbereitschaft an berufliche Zwänge attestiert. Olks Vermutung damals war, dass angesichts derartig widersprüchlicher Befunde die entscheidende Frage nicht sei, welches der beiden Jugendbilder richtig und welches falsch sei. Die eigentliche Pointe lag für ihn vielmehr gerade darin, dass beide Forschungsbefunde für den Bereich, in dem sie erhoben wurden, zuträfen. Der Fehler lag in der falschen Generalisierung: "Der entscheidende Mangel der angesprochenen Studien und Forschungsarbeiten liegt demnach darin, dass sie den Teilausschnitt, den sie jeweils erfassen, für das Ganze nehmen." (Olk 1985, S. 293) Während die eine Forschungsrichtung unter Bezugnahme auf das Konzept der Entkoppelung der nachindustriellen Konsumgesellschaft sich wesentlich auf den Freizeit- und Lebenssphären Konsumbereich ausrichtet und die diesbezüglichen kulturellen Praktiken der Jugendlichen für das Entscheidende hält, konzentriert sich die andere ausgehend vom Modell der industriellen Klassengesellschaft - auf die Sphäre von Beruf und Arbeit. Und beide Forschungsansätze ziehen aus den bereichsspezifischen Ergebnissen verallgemeinernde Folgerungen, mit denen sie sämtliche Lebensäußerungen Jugendlicher in den unterschiedlichsten Sphären der Gesellschaft zu erklären beanspruchen. Das genau, so Olks These, werde aber zunehmend unmöglich: Die eine und einheitliche "Lebensphase Jugend" zerfällt im Prozess gesellschaftlicher Differenzierung. Die Teilbereiche des sozialen Lebens entwickeln eine spezifische Eigenlogik mit begrenzter Geltungskraft, ja sogar widersprüchliche Anforderungen und Verhaltensweisen können in unterschiedlichen Kontexten auftreten. Auch kommt es zur zeitlichen Entkoppelung der verschiedenen Übergänge in den Erwachsenenstatus. Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit z.B. im Bereich Partnerschaft und Sexualität ist nicht wie früher gleichbedeutend auch mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Auszug aus dem Elternhaus. Das Ausagieren expressiver, vielleicht sogar extremer Gruppenstile in der Freizeit muß nicht länger im Widerspruch zur Bereitschaft stehen, in Schule, Ausbildung oder Beruf anpassungsfähig und leistungsbereit zu sein. Olks zentrale und inzwischen fast als "common sense" in der Jugendforschung übernommene These der Entstrukturierung der Jugendphase (vgl. etwa Münchmeier 1998, Hurrelmann 1999) lautet also, "dass die einheitliche kollektive Statuspassage Jugend zerfällt und auf diese Weise in eine Vielzahl subsystemspezifischer Übergangsphasen mit je eigenen Erscheinungsformen und Zeitstrukturen zerlegt wird." (Olk 1985, S. 294) Eine Konsequenz der Entstrukturierung im Sinne der Ausdifferenzierung und Externer Link : Zerfaserung und Zerfaserung ist das Ausfransen der Jugendphase am Beginn und am Ende. Hatte Neil Postman Ausfransung schon Anfang der 80er Jahre Neil Postman das "Verschwinden der Kindheit" durch das Eindringen des Fernsehens in die Kinderzimmer erwartet, so sind durch Handy, Computer und Internet inzwischen weitere Indikatoren gegeben, die für ein früheres Erreichen von Selbständigkeit und Unabhängigkeit zumindest im Bereich Kommunikation, Information und Unterhaltung sprechen. Aber auch die Welt des Konsums dringt immer früher und nachhaltiger in die Welt des Aufwachsens ein - die Marktforschung weiß, dass oft noch nicht 10jährige beim Kauf ihrer eigenen "Markenklamotten" und sogar bei familiären Anschaffungen (z.B. Auto, Unterhaltungselektronik, PC) entscheidend mitreden. Auch am "oberen Ende" franst die Übergangsphase Jugend aus: Der Zeitpunkt Jugend zwischen des Übergangs vom jugendlichen Konsumenten bzw. Angehörigen einer Verallgemeinerung jugendspezifischen "Szene" zum erwachsenen Konsumenten wird immer und Auflösung undeutlicher. Und dieser Prozess ist heute grundsätzlich entkoppelt vom Übergang aus dem Ausbildungsstatus zur Übernahme erwachsenenspezifischer Arbeitsrollen im Beschäftigungssystem oder dem Übergang von der Herkunftsfamilie zur eigenen Familiengründung mit oder ohne Trauschein. Die Labilisierung des Übergangs ins Beschäftigungssystem in Verbindung mit der Glossarbegriff: Möglichkeit, in anderen Lebensbereichen wie Freizeit, Konsum oder Sexualität Postadoleszenz den früher Erwachsenen vorbehaltenen Spielraum bereits in Anspruch nehmen zu können (vgl. Postadoleszenz), hat das Spektrum der individuellen Wahlmöglichkeiten für den einzelnen Jugendlichen enorm vergrößert. Diese Optionsvielfalt hat jedoch nicht nur Licht- sondern auch Schattenseiten - darauf hat die Jugendforschung immer wieder hingewiesen. In einer Zwischenbilanz zur einschlägigen Diskussion hält Krüger denn auch fest: "Zusammenfassend kann man somit feststellen, dass sich seit den 50er Jahren in der Bundesrepublik, bedingt durch die Veränderung der Schulzeit, durch den Zugewinn an Freizeitmöglichkeiten und kulturellen Lebensstilen, durch den späteren Eintritt ins Erwerbssystem und die späteren Heiratszeiten die Jugendphase verallgemeinert und verlängert hat und somit die objektiven Voraussetzungen für einen Schon- und Erprobungsraum für viele entstanden sind, den Erikson als psychosoziales Moratorium, als Phase des Aufschubes erwachsener Verpflichtungen und Bindungen und als Zeit der Identitätserprobung und Identitätsfindung charakterisiert hat. Aus der biografischen Perspektive [...] stellt sich die Zeit der Jugend jedoch eher als psychosoziales Laboratorium, als Phase von Problembelastungen und Zwangsindividualisierung dar. Und so scheint es, dass sich das klassische Konzept von Jugend in der Bundesrepublik seit der Nachkriegszeit zwar verallgemeinert, gleichzeitig aber auch aufgelöst hat." (Krüger 1990, S. 123) 10 Literatur Allerbeck, Klaus; Rosenmayr, Leopold (1976): Einführung in die Jugendsoziologie. Heidelberg Besemer, Ch. (1993): Mediation. Vermittlung in Konflikten. Freiburg Deutsche Shell (2000)(Hrsg.): Jugend 2000. 13. Shell Jugendstudie. 2 Bände. Opladen Diez, H.; Krabbe, H. (1996): Mediation. Ein Überblick über die neue Form der Konfliktlösung durch Vermittlung. In: Report Psychologie, 21 (1), S. 16-29 Erikson, Erik H. (1980): Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel. 3. Aufl. Stuttgart Ewert, O. (1983). Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Stuttgart Fend, H. (2000). Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Ein Lehrbuch für pädagogische und psychologische Berufe. Opladen Griese, Hartmut M. (1977): Sozialwissenschaftliche Jugendtheorien. Eine Einführung. 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Innerhalb einer solchen Einstellung findet man häufig eine Kombination von Kamerafahrt, -schwenk und / oder Zoom. Sie ermöglichen eine kontinuierliche Beziehung von Elementen, die sonst durch einen Schnitt voneinander getrennt worden wären. Notwendig für eine innere Montage ist eine präzise Tiefeninszenierung und die Schärfentiefe: Die handelnden Personen können sowohl räumlich gestaffelt als auch scharf abgebildet werden. Anhang B: Referenzierte Bilder tanner_maedchen.gif
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