Hornstein, Walter Jugendforschung - Jugendpädagogik Fatke, Reinhard [Hrsg.]: Forschungs- und Handlungsfelder der Pädagogik. Weinheim u.a. : Beltz 1997, S. 13-50. - (Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft; 36) Empfohlene Zitierung/ Suggested Citation: Hornstein, Walter: Jugendforschung - Jugendpädagogik - In: Fatke, Reinhard [Hrsg.]: Forschungs- und Handlungsfelder der Pädagogik. Weinheim u.a. : Beltz 1997, S. 13-50. - (Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft; 36) - URN: urn:nbn:de:0111-opus-95170 in Kooperation mit / in cooperation with: http://www.juventa.de Nutzungsbedingungen Terms of use Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. 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Beiheft Forschungs¬ und Handlungsfelder der Pädagogik Herausgegeben von Beltz Verlag • Reinhard Fatke Weinheim und Basel Die der Zeitschrift veröffentlichten Beitrage sind urheberrechtlich geschützt Sprachen, vorbehalten Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren Form reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten Fotokopien für den personlichen oder sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beitragen oder Teilen daraus als Einzelkopie hergestellt werden Jede rm Bereich eines gewerblichen Unternehmens hergestellte oder benutzte Kopie dient gewerblichen Zwecken gern § 54 (2) UrhG und verpflichtet zur Gebuhrenzahlung an dre VG Wort, Abteilung Wissenschaft, Goethestr 49,80336 München, von der die einzelnen Zahlungsmodalitaten zu erfragen sind Alle in Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde - - © 1997 Beltz Verlag Weinheim und Basel Kaltenberg und Reprotechnik GmbH, Hemsbach Herstellung Satz Satz- Klaus Druck Druckhaus Beltz, Hemsbach Prmted in Germany ISSN 0514-2717 Bestell-Nr 41137 Rutsches Irrtltut für Internationale Pädagogische» „.. For^h \^Ors0hung Bibliothek Frankfurt Mi,n Inhaltsverzeichnis Reinhard Fatke Forschungs- und Handlungsfelder der Pädagogik: Eine Einführung ... 7 Walter Hornstein Jugendforschung - Jugendpädagogik 13 Hans Oswald Sozialisation, Entwicklung und Erziehung im Kindesalter 51 Herwart Kemper Schule und Schultheorie 77 Cristina Allemann-Ghionda Interkulturelle Bildung 107 Philipp Gonon Berufsbildung 151 Hans Scheuerl Reformpädagogik 185 Jürgen Oelkers Allgemeine Pädagogik 237 Walter Hornstein Jugendforschung 1. Probleme des 1.1 Der Stellenwert der 1.2 Das - Jugendpädagogik 14 Jugendforschung? Jugendforschung in den pädagogischen Zugangs Wozu - 14 Ausbildungsgängen des gesellschaftlich-politische Begriffs Jugend Interesse und die Diffusität des der Jugend, die Vieldeutigkeit Forschungsgebiets Jugend an der 17 Jugendforschung 2. Ansätze und 2.1 Die klassischen jugendsoziologischen Ansätze und ihre 2.1.1 2.1.2 2.2 Konzepte 17 Grundbegriffe und Grundvoraussetzungen der Generationenbildung Probleme im Zusammenhang mit dem Generationen-Ansatz Vom „Strukturwandel der Jugendphase" zur jugendbiographisch 20 orientierten von 2.5 2.5.1 22 23 „Strukturwandel" der Jugendphase der „Individualisierung" und „Pluralisierung" der 2.2.2 Die These 2.4 21 Jugendforschung vom 2.3 pädagogische Relevanz 2.2.1 Die These 2.2.3 14 24 jugendlichen Lebensformen Subjekt- und biographieorientierte Konzepte der Jugendforschung Der „Jugendkulturansatz" Sozialgeschichte der Jugend, historische Sozialisationsforschung und sozialökologische Ansätze Übergreifende Aspekte und Fragestellungen Mädchen in der Jugendforschung Zur Problematik geschlechtsspezifischer 25 26 28 30 - 30 Unterschiede 2.5.2 Jugendforschung '33 im Prozeß der deutsch-deutschen Vereinigung 2.5.3 Weitere Ansätze und von der Jugendforschung vernachlässigte Themen .... 34 Schlußüberlegungen und Perspektiven Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven der Jugendforschung im gesellschaftlichen Wandlungsprozeß und ihre sich wandelnden Funktionen für die erziehungswissenschaftliche Reflexion Die Rolle der Pädagogik bei der Konstituierung und Modellierung der 36 40 3.2.3 Jugendphase Jünglingspädagogik Lehrlingspädagogik Jugendlichenpädagogik Jugendbewegung Pädagogische Reformbewegung Pädagogische Praxis Jugendpädagogik im Zeitalter von (sozialwissenschaftlicher) Jugendforschung 3.3 Wozu Jugendforschung heute? „Ende der Jugend"? -„Ende der Erziehung"? Die Funktion der Jugendforschung für die erziehungswissenschaftliche 43 Reflexion 46 Literatur 47 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3.1 3.3.2 4. - - - - ZfPad,36 Beiheft 36 - . . 41 41 42 44 Walter Hornstein 14 1. Probleme des 1.1 Der Stellenwert der Zugangs - Wozu Jugendforschung? Jugendforschung in den pädagogischen Ausbildungsgängen In den meisten Studiengängen, die auf eine praktische pädagogische Tätigkeit entweder in der Schule oder in außerschulischen Praxisfeldern vorbereiten, spielt der Themenbereich „Jugendforschung Jugendtheorien", wenn man den - einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen und auch den Anleitungen zum Pädagogikstudium folgt (Bastian/Gudjons 1993), keine allzu große Rolle. Wenn der Themenbereich vorkommt, dann eher zufällig und nicht systematisch eingeordnet in eine Gesamtkonzeption. Was die Lehramtstudiengänge betrifft, so steht eindeutig die entwicklungspsy¬ chologische Fragestellung im Vordergrund. Von den Erkenntnissen dieser Diszi¬ plin erwartet man sich Aufschlüsse darüber, wann welche kognitiven, mit der Entwicklung gegebenen Voraussetzungen für welche Art von Lernprozessen vorhanden sind. Darin ist vorrangig die Perspektive auf den Schüler als „Ler¬ ner" und die Entwicklung seiner von der Schule erwarteten Lernfähigkeit ge¬ richtet. Diese Ausrichtung hat ihren Grund in der Orientierung der Lehreraus¬ bildung an einer bestimmten Interpretation der mit der Institution Schule gegebenen Aufgaben: Sie richtet sich auf den Schüler als Lerner und die dafür notwendigen entwicklungsgegebenen und entwicklungsabhängigen Vorausset¬ zungen. In dieser Perspektive steht weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit, was die Jugendforschung vor allem interessiert, nämlich der Heranwachsende in seiner konkreten Lebenswelt mit seinen gesellschaftlich bedingten Problemen, Bedürfnissen, Zukunftsperspektiven und Erwartungen. Auch innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengänge spie¬ len die Erkenntnisse und Fragestellungen der Jugendforschung kaum eine im Gesamtkonzept verankerte Rolle. Am ehesten sind Hinweise auf sie anzutref¬ fen in den Spezialisierungen, die sich auf Jugendarbeit und Erwachsenenbildung beziehen. Hier ist gelegentlich die Rede von der „Soziologie der Lebensalter", oder es wird allgemeiner auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich mit den Adressaten der pädagogischen Praxis zu befassen. 1.2 gesellschaftlich-politische Interesse an der Jugend, die Vieldeutigkeit des Begriffs Jugend und die Diffusität des Forschungsgebiets Jugend Das Diese Randstellung der Jugendforschung in den pädagogischen Ausbildungs¬ gängen kontrastiert zunächst aufs lebhafteste mit der Tatsache des Vorhanden¬ seins einer großen Fülle von Untersuchungen und Erhebungen aus dem Jugend¬ bereich und einem daraus öffentlichen Interesse zu erschließenden, offensichtlich nie erlahmenden Nachrichten diesem Feld. Allerdings präsentiert einschlägige Forschungslandschaft außerordentlich diffus und unüber¬ sichtlich eine Folge der Tatsache, daß an dem Thema „Jugend" offensichtlich wenn schon nicht die pädagogischen Ausbildungsgänge, so doch viele andere Instanzen interessiert sind. Um Jugend kümmern sich viele, und viele sind dessich die - an aus Jugendforschung halb an - Jugendpädagogik 15 Informationen über sie interessiert. Jugend ist zwar sicher trotz des ein¬ gangs beschriebenen Umstands auch Gegenstand und Adressat pädagogischer Interessen und pädagogischer Bemühungen (in der Schule, in der Jugendarbeit, Ausbildung), sie ist aber zugleich immer auch „mehr" als das, nämlich beispielsweise „Objekt" wirtschaftlicher Interessen (Jugend als „Markt") und politischer Einflußnahmen, die sich als Interesse an Wohlverhalten, Integration, Vermeidung von Rückzug äußern; und sie ist darüber hinaus auch wichtig unter dem Aspekt der Rekrutierung und Nachwuchssicherung für gesellschaftliche Organisationen, also für Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und nicht zuletzt: Jugend und Jugendthemen sind immer auch ein Ort gesellschaftlicher Selbstver¬ ständigung; in der „Jugenddebatte" (Deutsches Jugendinstttut 1982) spiegeln sich immer auch Fragen gesellschaftlicher Zukunft. Dies alles heißt: Jugend ist immer auch Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Ausein¬ andersetzungen, anhand deren konkurrierende Vorstellungen über gesellschaft¬ in der - - - liche Zukunft miteinander ausgetragen werden. Alle diese unterschiedlichen Interessen und die daraus resultierenden Infor¬ um in Forschung über Jugend; sie ent¬ wirtschaftlichen, politischen, von Rekrutierungsbedürfnissen ge¬ lenkten Formen der Befassung mit dem Thema Jugend. Auch ein allgemeines Informationsbedürfnis über Jugend wird zum Impuls. Aus diesem Grund ist schwerlich anzunehmen, daß Jugendforschung ein einheitliches Bild, eine klar mationsbedürfnisse setzen sich aber auch springt dann strukturierte Forschungslandschaft darstellt. Es wird aber vor diesem Hinter¬ grund auch verständlich, warum Jugend zu den am meisten untersuchten Ge¬ genständen der sozialen Wirklichkeit gehört und es wird der frappierende Wi¬ - der darin derspruch deutlich, öffentliches Interesse che Forschung aber geringe Rolle spielt. daß auf der einen Seite ein so großes liegt, der Ergebnissen Jugendforschung gibt, daß diese glei¬ pädagogischen Zusammenhängen eine vergleichsweise es an in Wenn nicht alles trügt, ist darüber hinaus festzustellen, daß selbst da, wo The¬ der Jugendforschung im Studienangebot enthalten sind, diese seitens der men Studierenden eher zurückhaltend in Anspruch genommen werden. Der erste Grund dafür mag in der Interessenlage und den Orientierungen der Studieren¬ den liegen. Jugendliche als Adressaten pädagogischer Bemühungen in der Schu¬ le und in der Jugendarbeit „kennt" man doch; das erzeugt den Zweifel daran, ob tiefergehende Beschäftigung mit dem Phänomen Jugend im Medium der Jugendforschung überhaupt notwendig sei. Für viele Studierende mag noch die eine Tatsache hinzukommen, daß deshalb wird wenig mit diesem Thema sein, über das selbst dieser Altersphase kaum entwachsen ist; Notwendigkeit gesehen und auch wenig Lust verspürt, sich zu man beschäftigen. Außerdem scheint „Jugend" ein Thema zu nicht nur selbst immer schon Bescheid weiß,sondern indem sie Gegenstand öffentlicher Diskussionen in den Medien ist, scheint sie auch genü¬ gend öffentliche Aufmerksamkeit zu finden; man fragt sich, warum man sich dann auch noch eigens „wissenschaftlich" mit diesem Thema befassen soll. man Ein zweiter Grund für eine gewisse Distanz gegenüber der Jugendforschung Begriff bezeichnete Wissenschafts¬ gebiet als außerordentlich diffus, schwer überblickbar, schwer zugänglich dar¬ stellt. Der übergroßen Fülle von Untersuchungen und Meldungen aus dem Ge¬ biet der Jugendforschung entspricht keine auf den ersten Blick sichtbare dürfte darin liegen, daß sich das mit diesem 16 Walter Hornstein Systematik. Außerdem gibt es viel Widersprüchliches in diesem Feld. Wer sich um Orientierung bemüht, findet praktisch keine „Standardwerke", die ihm er¬ lauben würden, eine erste Orientierung zu finden; die Handbücher (Krüger 1992; Markefka/Nave-Herz 1989) sind nicht für Zwecke einer sie setzen eine Vertrautheit mit dem Feld schon rung geeignet; die Fülle der rasch aufeinanderfolgenden „Nachrichten" ersten Orientie¬ voraus. Und was der Jugendfor¬ schung betrifft, so hängt dies damit zusammen, daß Jugend sich in ihren Verhal¬ tensweisen und Orientierungsmustern immer wieder ändert, also jede Zeit „ihre" Jugend hat. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit immer neuer und wie¬ derholter Untersuchungen. Zur Unübersichtlichkeit und Diffusität dessen, was aus unter dem Stichwort Ju¬ gendforschung geschieht, trägt schließlich auch die Vieldeutigkeit dessen bei, was mit dem Begriff Jugend gemeint ist. Zumindest drei Bedeutungen lassen sich unterscheiden: - Unter Jugend kann zunächst verstanden werden eine soziale Gesellschaft, deren - Angehörige sich von Gruppe in der sozialem Status und Alter her von derjenigen der Kinder und der Erwachsenen unterscheiden; in diesem Sinne geht es um „die Jugend von heute". Zweitens kann mit dem Begriff Jugend gemeint sein die Phase im Lebensab¬ lauf des Individuums, die sich als Jugendphase zwischen den Lebensabschnitt der Kindheit und des Erwachsenenalters schiebt. - Drittens schließlich kann Jugend gesprochen werden im Sinne von Ju¬ gendlichkeit, „ewiger Jugend"; damit ist ein Wesenszug von Menschen oder Sachen gemeint, der nicht an eine konkrete Lebensphase gebunden ist, sondern ein vor allem in unserer gegenwärtigen Gesellschaft hochangesehe¬ von von nes Ideal bezeichnet. Auch unter diesem Gesichtspunkt spiegelt der Forschungsstand, wenn man von sprechen will, die Vieldeutigkeit des Gegenstands; oft läßt sich auf den ersten Blick nicht erkennen, mit welchem Aspekt von „Jugend" sich eine Veröffentlichung befaßt. Als Fazit ergibt sich, daß offensichtlich die Erwartung an eine Systematik der Jugendforschung aus den skizzierten Gründen kaum erfüllbar und daß mit ei¬ nem geschlossenen, auf Kumulation von Einzelergebnissen zu einem allgemein geltenden und akzeptierten „Stand" ausgerichteten Wissensgebiet nicht zu rechnen ist. Diese Vorstellung ist auch deshalb problematisch, weil es sich bei „Jugend" (hier verstanden als die Frage nach der konkreten Befindlichkeit und den spezifischen Merkmalen der jeweiligen Jugendgeneration) wie bei „Fami¬ lie" oder „Bildung" um ein gesellschaftliches und damit um ein geschichtli¬ chen Wandlungsprozessen unterworfenes Phänomen handelt. Diese Geschicht¬ lichkeit des gesellschaftlichen Phänomens Jugend begrenzt die Möglichkeiten eines systematischen Erkenntnisfortschritts in erheblichem Maße. Jugend ver¬ ändert sich permanent im gesellschaftlichen Wandlungsprozeß, und die Frage kann demnach nur sein, ob und in welcher Weise dieser Wandel adäquat erfaßt wird und welche Zusammenhänge zwischen diesen Entwicklungen und pädago¬ gischen Fragestellungen bestehen. Daraus ergibt sich die leitende Perspektive für die nachfolgende Darstellung: Es sollen wichtige, für die pädagogische Diskussion relevant gewordene „Ansäteinem solchen - - Jugendforschung ze" der - 17 Jugendpädagogik Jugendforschung in ihrer historischen Entwicklung und Einbettung in soziale, politische und pädagogische Zusammenhänge dargestellt werden. In dieser Absicht ist auch das Ziel enthalten, strukturelle Zusammenhänge zwi¬ schen der Art und Weise der gesellschaftlichen Organisation der Jugend, der Eigentätigkeit und Selbstbewegung der Jugend und pädagogischem Denken und pädagogischer Praxis aufzuzeigen. In der Betonung der „Ansätze" liegt die Prämisse, daß mit dem „Ansatz" eine bestimmte theoretische Perspektive angewendet wird und daß dies Konsequen¬ zen dafür hat, welcher Aspekt von Jugend jeweils sichtbar wird. Jeder Ansatz betrachtet Jugend unter einem bestimmten Gesichtspunkt, ent¬ hält ein bestimmtes Verständnis von Jugend und überdies auch der Erwachse¬ nengesellschaft. In der Optik eines jeden Ansatzes liegt immer auch eine Aus¬ wahl; andere, ebenfalls denkbare, Blickwinkel werden ausgeblendet. Mit dieser Vorgehensweise ist demnach auch verknüpft, daß hier weniger ein Bericht über aktuelle inhaltliche Ergebnisse der Jugendforschung beabsichtigt ist. Dies wäre auch deshalb nicht sinnvoll, weil sie veralten würden; zweitens geht es aus hier den vorher erwähnten Gründen rasch vor Ansätze ein Verständnis der allem den Versuch, am Beispiel Zusammenhänge zu vermitteln, die um grundlegender im Spannungsfeld von Jugendsituation, Jugendforschung und gesellschaftlich¬ pädagogischer Praxis bestehen (Hornstein 1982). Die Anordnung und Reihenfolge der verschiedenen Ansätze folgt dabei nur sehr grob dem zeitlichen Ablauf; das Konzept, das unter dem Stichwort „Struk¬ turwandel der Jugendphase" erörtert wird, hat sich etwa zur gleichen Zeit entwickelt wie die „Jugendkultur-Forschung", und das neue Interesse an der Sozialgeschichte der Jugend besteht, von einem bestimmten Zeitpunkt an, ne¬ ben anderen, auch neuen Entwicklungen kontinuierlich weiter. Insofern kann man nur sehr bedingt von einer „Geschichte" der Jugendforschung sprechen (über ihre Anfänge informieren Dudek 1990 und v. Bühler 1990); angemessen ist die Vorstellung, daß sich zu verschiedenen Zeiten jeweils unterschiedliche „Ansätze" zu Wort melden und die Diskussion bestimmen. 2. Ansätze und Konzepte der Jugendforschung 2.1 Die klassischen jugendsoziologischen Ansätze und ihre pädagogische Relevanz In diesem Abschnitt sollen der Jugendforschung behandelt wer¬ grundlegenden gesellschaftli¬ chen Prozessen mit den Konstitutionsprozessen von Jugend in den Mittelpunkt zu rücken; die, mit anderen Worten also, den Zusammenhang von Jugend und Gesellschaft auf einer prinzipiellen Ebene untersuchen. Schelsky hat in seiner bedeutenden Untersuchung „Die skeptische Generation" (1957) herausgestellt, unter welchen beiden grundlegenden Perspektiven das Verhältnis von Jugend Konzeptionen den, die beanspruchen, den Zusammenhang von und Gesellschaft untersucht werden kann: Er unterscheidet bei der Untersu¬ chung des Themas Jugend im Anschluß an Mannheim zwei Aspekte. Der ge¬ samtgesellschaftliche Aspekt stellt in den Mittelpunkt die Frage: Was bedeutet die Jugend für die Gesellschaft, für deren Zukunft, für die Art ihres Weiterbeste- Walter Hornstein 18 von vornherein als Teil der Gesellschaft gesehen, als gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozeß. Der ju¬ gendsoziologische Aspekt stellt demgegenüber in den Mittelpunkt die Frage: Was bedeutet die Gesellschaft für die Jugend? Hier geht es darum, das Verhal¬ ten, die Eigenschaften, die Orientierungsmuster und Dispositionen der Jugend als Auswirkungen gesellschaftlicher Einflüsse zu betrachten. Mannheim, dem wir übrigens die gründlichste theoretische Analyse des Ge¬ nerationsthemas verdanken (Mannheim 1928), rückt in seiner Erörterung des Themas Jugend vor allem die Vorstellung von Jugend als einem „Mutationspo¬ tential der Gesellschaft" in den Vordergrund. Er will damit sagen: Jugend ist eine Größe, von der Gesellschaften je nach Situation in unterschiedlicher Weise Gebrauch machen können. Sie können Jugend in einer entscheidenden und weitreichenden Weise zur Phase der vorbereitenden Bildung und Ausbildung machen, wenn der gesellschaftliche Entwicklungsstand und die angestrebten Zielvorstellungen dies verlangen. Sie kann Jugend aber auch möglichst rasch in die Erwachsenengesellschaft integrieren, wenn dies z.B. aus Gründen des Ar¬ beitskräftebedarfs wünschbar erscheint (Mannheim 1943/1951). Jugend ist in dieser Perspektive eine Art „Manövriermasse", die zur Lösung gesellschaftli¬ cher Probleme beitragen soll und kann. Wenn Jugend durch verlängerte Bil¬ dungs- und Ausbildungsgänge vom Arbeitsmarkt ferngehalten wird und dafür gibt es historische Beispiele -dann trägt sie damit zur Lösung des Problems bei, hens? Jugend wird also Faktor und Moment im - - - das durch einen Dabei Überschuß an Arbeitskräften entsteht. auf der Hand, daß Jugend für solche Zwecke leichter in An¬ liegt werden kann als beispielsweise Erwachsene. Jugend ist noch spruch genommen nicht festgelegt, lebt noch nicht in festen Verhältnissen; man kann ihr deshalb auch mehr zumuten als den Erwachsenen. Es wäre eine aufschlußreiche Per¬ durch das 20. Jahrhundert hindurch verfolgen, für welche gesell¬ schaftlichen, politischen Jugend jeweils Anspruch genommen wur¬ de, wofür sie mobilisiert wurde und wird: Im Kaiserreich sollte Jugend vor allem herhalten für Stabilisierung und Erhaltung der überlieferten Ordnung; im Ersten Weltkrieg sollte jugendliche Begeisterungsfähigkeit der Erreichung der Kriegsziele dienen; im nationalsozialistischen Herrschaftssystem wurde be¬ wußt die „junge" Generation als Träger der „neuen Zeit" (also ein Ideal, das noch aus der Jugendbewegung stammte) für die Zwecke des totalitären Sy¬ spektive, Zwecke zu in stems instrumentalisiert. Eisenstadt (1956/1966) entwickelt seine Jugendtheorie im Rahmen seiner Grundorientierung. In diesem Kontext untersucht Funktion, die jugendliche Altersgruppen (peer groups) für Kon¬ struktur-funktionalistischen er vor allem die tinuität und Stabilität von Gesellschaften haben. Von der Art und Weise, wie sie sich mit den kulturellen Traditionen und Beständen auseinandersetzen und die¬ se entweder übernehmen oder aber ablehnen, hängt es ab, ob über den Wechsel hinweg die Grundbestände der kulturellen Werte erhalten der Generationen bleiben und damit Stabilität im Wandel gesichert erscheint. Zugleich kann Ei¬ zeigen, von welchen Bedingungen die Entstehung jugendli¬ cher Altersgruppen abhängt: Sie werden überall da notwendig zumindest ist das der Fall in modernen Gesellschaften -, wo es eine Diskrepanz gibt zwischen den Strukturprinzipien der familiären Welt, in der Kinder und Jugendliche zu¬ nächst aufwachsen, und denjenigen der Erwachsenenwelt in Betrieb, Gesell- senstadt aber auch - Jugendforschung - 19 Jugendpädagogik schaft, Politik, Wirtschaft. Unter dieser Bedingung müssen im Jugendalter die gerichteten Verhaltensorientierungen aus¬ geweitet werden auf den gesellschaftlichen, und das bedeutet Solidaritätsaus¬ weitung und Identifikationsübertragung auf die größeren sozialen Einheiten. in den altershomogenen Gruppen; sie sind die Dies erfolgt so Eisenstadt diese denen an Orte, Aufgaben gelöst werden, und die jugendlichen Altersgrup¬ diesem unter Gesichtspunkt betrachtet, „interlinking spheres", Verbin¬ pen sind, und im Hinblick auf die Bedürfnissituation der Jugendlichen also dungsglieder bis dahin auf den familiären Kontext - - - - Orte, an denen die aus resultierenden Probleme dieser von Übergangssituation für die Heranwachsenden Instabilität und Unsicherheit zumindest gemildert werden, weil hier die Unterstützung durch die in gleicher Lage befindlichen Al¬ tersgenossen erfahren wird. Die „Stärke" des Ansatzes von Eisenstadt liegt darin, daß einerseits der Zu¬ zwischen Prozessen gesellschaftlicher Strukturerweiterung, des gesellschaftlicher Welt und der Entste¬ Funktion und jugendlicher Altersgruppen transparent gemacht und ande¬ hung rerseits die Rolle, die jugendliche Altersgruppen für die Heranwachsenden ha¬ ben, sichtbar wird. Darin liegt auch eine deutlich andere Akzentuierung als im Ansatz bei Mannheim, bei dem stärker die Prozesse der Mobilisierung der Ju¬ gend für gesellschaftliche Zwecke im Vordergrund stehen. Während Eisenstadt aufgrund seiner struktur-funktionalistischen Orientie¬ rung hauptsächlich an den gesellschaftlichen Strukturen, deren Wandlung, Sta¬ bilität und Kontinuität im Zusammenhang mit dem Thema Jugend interessiert ist, steht bei Tenbruck (1962) vor allem der geschichtlich-kulturelle Prozeß im Vordergrund, und es geht um die Rolle der Jugend in diesem Prozeß. Für Ten¬ bruck ist Jugend eine Art „Drehscheibe", auf der die Zukunft einer Gesellschaft immer wieder aufs neue eingestellt wird. Dies erfolgt dadurch, daß es immer von der Art und Weise abhängt, in der die heranwachsende Generation kulturelle Werte und Orientierungen übernimmt, wie sich die Zukunft der Gesellschaft sammenhang Auseinandertretens von familiärer und darstellt. Deshalb enthält der Ansatz, wie ihn Tenbruck entwickelt, vor allem auch eine wissenschaftlich-theoretische Perspektive auf den Satz: „Wer die Ju¬ gend hat, hat die Zukunft." Auch dieses eine Geschichte der gehört u.a. Jugend Konzept enthält Gesichtspunkte, die für im 20. Jahrhundert besonders relevant sind. Dazu der Hinweis auf Offenheit und Zugänglichkeit der Jugend für vieler¬ lei Einflüsse unter modernen Verhältnissen. Dies will sagen, daß Jugend für die Zugriffe der Werbung, der Propaganda, der Interessengruppen vielfältiger Art „offen" ist, d. h. beeinflußbar ist und beeinflußt wird, eben weil der Satz gilt, daß, die Jugend hat, auch die Zukunft hat; insofern geht es faktisch beim Thema wer Jugend immer auch um die Zukunft! Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf die von Tenbruck formulierte These von der zunehmenden „Puerilisierung" der Gesellschaft; damit soll der Sachverhalt bezeichnet werden, daß sich Jugendlichkeit als spezifischer Verhaltenstypus im¬ mer mehr über die Gesellschaft ausbreitet und bestimmend wird (s. dazu weiter unten den Hinweis darauf, daß diese Tendenz im Widerspruch zur faktischen Ausgrenzung und Machtlosigkeit des konkreten Jugendlichen steht). Ein weite¬ rer Punkt bezieht sich auf die zu beobachtende Konvergenz jugendlicher Orien¬ über nationale Unterschiede mit anderen Worten: Es tierungsmuster hinweg, eine über nationale Grenzen von „Internationalität" gibt Jugend hinweg. Auch - Walter Hornstein 20 Thematisierung von Jugend ergeben sich aufschlußrei¬ Perspektiven für eine Geschichte der Jugend im 20. Jahrhundert: Hier steht vor allem die Frage nach der Rolle und Bedeutung der Jugend für Prozesse des kulturellen Wandels und geschichtlicher Prozesse im Vordergrund. Die Meta¬ pher von Jugend als einer „Drehscheibe" verweist auf das zentrale Thema „Ju¬ gend und Zukunft" in einer Weise, die vor allem die gesellschaftliche Zukunft in aus der TENBRUCKSchen che den Gesichtskreis rückt. Eine besondere Fassung nimmt die gesellschaftstheoretische Analyse des da an, wo sie sich auf die Beschreibung von Jugendgenerationen in ihren historischen Abläufen konzentriert. Jugend als Generation, als „Gene¬ Themas Jugend rationsgestalt" zu begreifen hat in der jugendtheoretischen allem auch in der öffentlichen Diskussion eine zum Thema Diskussion, aber vor Jugend immer wieder gespielt. Angefangen von Schelskys „Skeptischer Generation" über die zahllosen Generationsbeschreibungen in den darauffol¬ genden Jahrzehnten sind immer wieder neue Charakterisierungen von Jugend¬ generationen erfolgt. Im folgenden sollen nur die neueren Diskussionen zum Gegenstand gemacht werden. Fend (1988) unterscheidet in seiner „Sozialgeschichte des Aufwachsens im 20. Jahrhundert" (Untertitel) folgende „Generationsgestalten" in diesem Jahrhun¬ dert: die Jugendbewegung, die Hitler-Jugend, die „Skeptische Generation", die „Unbefangene Generation", die „Politische Generation" der Schüler- und Stu¬ dentenbewegung und schließlich die „Lebenswelt-Generation" der achtziger Jahre. Jaide (1988) bemüht sich um die Darstellung der „Generationen eines Jahrhunderts" (Titel) und spricht im Untertitel seines Buchs vom „Wechsel der Jugendgenerationen im Jahrhunderttrend 1871-1985". Der Autor erkennt in diesem Zeitraum fünf Generationen und spricht deshalb von einem 5-Generationen-Modell. Desgleichen stellt Fogt (1982) „politische Generationen" des 20. Jahrhunderts vor und versucht in kritischer, aber auch produktiver Weiter¬ führung des Generationenkonzepts, wie es vor allem von Mannheim (1928) entwickelt wurde, die Bedingungen der Generationenbildung unter den Voraus¬ setzungen insbesondere der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu analysieren. Hier wird auch am konsequentesten der Generationsbegriff auf seine Frucht¬ barkeit hin reflektiert und kritisch geprüft. herausragende Rolle - - 2.1.1 Grundbegriffe und Grundvoraussetzungen der Generationenbildung Der Grundgedanke des Generationenkonzepts besteht darin, daß aus Angehö¬ rigen der gleichen Altersgruppe, wenn sie zeitgeschichtlich gemeinsame Erfah¬ rungen machen und durch diese Erfahrungen geprägt werden, einheitliche „Ge¬ nerationsgestalten" werden, die als solche erkennbar bleiben. Sie haben einen „neuartigen Zugang" zu den Phänomenen des sozialen und kulturellen Lebens. In diesem Sinn hat Schelsky (1957) die Generationsgestalten der Jugendbewe¬ gung von derjenigen des Nationalsozialismus und schließlich von derjenigen der „Skeptischen Generation" der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts unterschie¬ den. Die „Skeptische Generation" das war die Formel, die sich dieser Konzep¬ tion zufolge am besten dazu eignete, die Heranwachsenden der fünfziger und sechziger Jahre dieses Jahrhunderts zu charakterisieren. - Jugendforschung Wenn kennen man - 21 Jugendpädagogik die Fruchtbarkeit und die Grenzen des Generationenansatzes will, ist es er¬ sich die „Grundannahmen" dieses Konzepts zu Diese bestehen in der Annahme bzw. Voraussetzung einer notwendig, vergegenwärtigen: spezifischen „Generationslagerung", in der Annahme eines „neuartigen Zu¬ gangs" für die Angehörigen dieser Generation; ferner ist die Existenz von Ereig¬ nissen mit prägender Kraft zentral; und schließlich gehört zu diesem Konzept die Annahme der Persistenz von Prägeeffekten, d.h., daß sich im generations¬ spezifischen Verhalten nicht nur ein vorübergehendes Verhaltensmuster zeigt, sondern daß die prägenden Einflüsse zu stabilen Orientierungen werden, die die Wichtig ist in diesem Zu¬ Unterscheidung von Alterskohorte und Generation; Genera¬ tionen definieren sich aufgrund von als wichtig angenommenen Ereignissen, von gemeinsamen Erfahrungen und deren gleichsinnig prägender Wirkung; mit dem Begriff der Alterskohorte ist dagegen zunächst nichts anderes gemeint als die Zugehörigkeit zu einer rein zeitlich beschriebenen Altersgruppe (also z. B. zu derjenigen, die durch das Geburtsdatum zwischen 1900 und 1910 bestimmt ist). Angehörigen sammenhang einer Generation für immer bestimmen. die 2.1.2 Probleme im Zusammenhang mit dem Generationenansatz vergegenwärtigen, daß der Generationenansatz historisch im Zusammenhang mit der Erforschung und dem Versuch des Verständnisses künstlerischer Leistungen, vor allem in der Literaturgeschichte, erprobt und entwickelt worden ist. Man spricht in diesem Sinn z.B. von der „Generation des Sturm und Drang" oder von der „Generation der jungen Romantiker". Hier gilt es, bestimmte künstlerische Produktionen aus der Zugehörigkeit der Produzen¬ ten zu einer bestimmten Generation und deren prägenden Erfahrungen zu ver¬ stehen. Daraus resultiert, daß der Ansatz den Blick immer auf das Herausragen¬ de, das Besondere, das, was eine Generation von der anderen abgrenzt, richtet. Weniger beachtet wird das, was das Bisherige fortsetzt und weiterführt. In der jugendtheoretischen Diskussion wird dann gelegentlich durch die Medien ver¬ stärkt von „Trendsettern", von „Trendjugendlichen" gesprochen, die dann als „typisch" für eine bestimmte Generation angesehen werden (Baacke 1987). (1) Man muß sich - - (2) Je unterschiedlicher die Sozial- und Lebenslagen und damit auch die Verar¬ beitungsformen von zeitgeschichtlichen Erfahrungen werden, je breiter das Spektrum von Lebens- und Erfahrungsmöglichkeiten wird, desto mehr ist Vor¬ sicht geboten beim Generationenbegriff. Deshalb ist es dringend notwendig, das „Konstrukt" Generation sozialgeschichtlich und sozialstrukturell zu differenzie¬ ren; etwa durch ein Konzept von sozial unterschiedlichen „Lebenslagen" (wie es die neuere Diskussion beherrscht). Wenn heute von „Entstrukturierung", „Ent¬ stand ardisierung" und „Individualisierung" der Jugendphase gesprochen wird (s. dazu weiter unten), z.B. auch davon, daß Jugendliche sich in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich verhalten (aktiv und kreativ in der Freizeit, anpasserisch in Schule und Ausbildung), dann macht dieser Sachverhalt es schwierig, von einer einheitlichen „Lebenslage Jugend" und damit von abgrenz¬ baren „Jugendgenerationen" zu sprechen. Die UnterschiedlichkeitdjeRJ^bsnfrtstitu für Internationale Pädagogische Forscl Walter Hornstein 22 Verhältnisse und Ereignisse Problemlagen in der Zeit vom genwart hinein wirken im (3) Wenn von und vor allem auch das Fehlen einschneidender Ende des Zweiten gleichen Generationen Weltkriegs bis in die jüngste Ge¬ Sinn. gesprochen wird, dann gehört die Generation der Erziehenden dazu, die sichtbar gemacht werden muß. Daraus folgt, daß eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber einem allzu unbedachten und sorglos-flotten Gebrauch des Generationenbegriffs angebracht ist. Zumindest in der pädagogisch orientierten Jugendforschung gibt es deshalb mit Recht eine Skepsis gegenüber dem Generationenbegriff, wenn man damit heutige Jugend¬ erscheinungen erfassen will. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, daß sich die Pädagogik immer wieder veranlaßt sah, sich gegen „Generationenbilder" zur Wehr zu setzen, die zeitweise das Bild der Jugend in der Öffentlichkeit bestimm¬ ten. Die pädagogisch interessierte Jugendforschung untersucht heute eher die Lebenswelten, die Problemwahrnehmung, die Selbstdefinition, die Identitäts¬ und Lebensentwürfe von Jugendlichen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten Regel darauf, mit Hilfe des Konstrukts „Generation" und verzichtet dabei in aller so etwas wie Generationenbilder zu entwerfen. Dies erscheint am ehesten noch rückblickend, in der Rekonstruktion vergangener Epochen und ihrer Jugend, denkbar (s. dazu Preuss-Lausitz 1983; zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem 2.2 Generationenbegriff s. Hornstein/Lüders 1985). Vom „ Strukturwandel der Jugendphase orientierten " zur jugendbiographisch Jugendforschung Von den klassischen gesellschaftstheoretisch orientierten Konzepten, wie sie dargestellt wurden, lassen sich neuere Ansätze unterscheiden, bei denen es ebenfalls darum geht, den Zusammenhang von grundlegenden gesellschaftli¬ chen Prozessen und den Konstitutionsprozessen von Jugend transparent zu ma¬ chen; das „Neue" besteht darin, daß hier dieser Zusammenhang und die damit verbundenen Fragen im Blick auf eine fortgeschrittene Stufe der gesellschaftli¬ chen Entwicklung behandelt werden. Sie lassen sich datieren in die Zeit von und dies ist kein Zufall. Sie sind einer Phase gesellschaftlicher etwa 1980 an Entwicklung zuzuordnen, in der die gesellschaftstheoretische Diskussion be¬ herrscht wird durch Begriffe wie „sekundäre Modernisierung", „sich radikalisierende Moderne" (Beck 1986) Begriffe und Konzepte, mit denen darauf werden daß nunmehr die letzten Reste einer ehemals stän¬ soll, hingewiesen disch organisierten Gesellschaft mit ihren festgefügten soziokulturellen Lebens¬ welten und einer geschlechtsspezifisch organisierten Form der Arbeit mit den daraus resultierenden unterschiedlichen Zuständigkeiten für Mann und Frau sich aufzulösen beginnen. Damit entsteht auch im Hinblick auf Jugend eine neue Situation. Drei theore¬ tische Perspektiven haben sich in diesem Kontext entwickelt, und sie bestimmen die neuere jugendtheoretische Diskussion; es sind dies (1) die These des „Struk¬ turwandels" der Jugendphase, (2) die These der „Individualisierung" und „Pluralisierung" der jugendlichen Lebensformen sowie (3) die Diskussionen zu Sub¬ jekt- und biographisch orientierten Konzepten der Jugendforschung. bisher - - Jugendforschung 2.2.1 Die These - Jugendpädagogik vom 23 „Strukturwandel" der Jugendphase besagt, daß es etwa seit dem Ende der siebziger Jahre einen grundle¬ genden und von weitreichenden Folgen begleiteten Wandel in der Problemstruk¬ tur des jugendlichen Aufwachsens und damit in der Struktur der Jugendphase gebe und daß dieser Wandel sowohl den äußeren Zuschnitt der Jugendphase als auch Selbstverständnis und Selbstdeutung der jugendlichen Altersphase durch die Jugendlichen selbst betreffe (Hornstein 1985; Olk 1985; Fend 1988). Als charakteristisch für diesen Strukturwandel wird folgendes angenommen: Die These (a) Der traditionelle Mechanismus, mit dessen Hilfe die soziale Integration der Erwachsenengesellschaft gesichert schien, nachwachsenden Generation in die löst sich auf. Es war dies der Mechanismus der „aufgeschobenen Bedürfnisbe¬ das sogenannte „deferred gratification pattern", das in einer grund¬ sätzlichen Weise die Einmündung der Jugendlichen in die Erwachsenengesell¬ friedigung", schaft Dieser Mechanismus hatte garantierte. Erwachsenenalter erwartbaren Gratifikationen men, Konsum- und Voraussetzung, daß die im Prestige, Einkom¬ Motivation für die Erbringung zur an sozialem Lebensmöglichkeiten so viel entsprechender Anstrengungen im Jugendalter, um dies zu erreichen, freisetzte, daß daraus die Motivation für Anstrengung und die damit verbundenen asketi¬ schen Verzichte entsprang. Dieser Mechanismus büßt dieser Konzeption zufolge seine Wirkung in dem Moment ein, in dem diese späteren Gratifikationen ent¬ weder ihren Wert verlieren, weil andere Werte herrschend werden oder es frag¬ lich wird, ob sie überhaupt erreichbar sein werden; eine dritte Möglichkeit be¬ darin, daß die Gratifikationen gar nicht mehr erkennbar werden, weil sie gleichsam „anderen Welt" angesiedelt betrachtet werden, was mit der zunehmenden Kluft zwischen Jugendwelt und Erwachsenenwelt zu tun hat; das Erwachsenenleben liegt so fern, daß darauf bezogene Gratifikationen als motivierende Größe ihre Wirkung verlieren. Die genannten drei Fälle liegen steht als in einer heute - Gruppen von Jugendlichen in jeweils unterschiedlicher vor. Dies führt zu einem zweiten wichtigen Ausprägung für verschiedene Gewichtung und - Merkmal dieses Strukturwandels: (b) Jugendphase wird heute von den Jugendlichen zunehmend weniger als Vorbereitung oder des Übergangs von der Kindheit in das Erwachse¬ nenalter betrachtet, sondern als eigengewichtige und eigenwertige Lebenspha¬ so lautet, auf se, die ihre Bedeutung auch in sich selbst hat. „Leben ist jetzt!" die kürzeste Formel gebracht, das Programm, das sich aus dieser Konstellation ergibt, und das bedeutet die schärfste Entgegensetzung zum traditionellen Selbstverständnis und gesellschaftlichen Programm Jugend, das seine Bedeu¬ tung und seinen Kern in der Aufgabe der Vorbereitung auf das Erwachsenenle¬ ben hatte. Die Verselbständigung der Jugendphase zu einem den eigenwertigen Sinn in sich selbst tragenden Lebensabschnitt ist das eigentliche Ergebnis eines Die Phase der - Strukturwandels. (c) Die Jugendphase ist strukturell durch sich verschärfende kennzeichnet. Es sind dies einmal die senden len aus der Tatsache Ablösung von Widersprüche, die Widersprüche ge¬ sich für die Heranwach¬ ergeben, daß einer wesentlich früheren soziokulturelVerlängerung der Ausbildung den Eltern eine durch die Walter Hornstein 24 Verlängerung der ökonomischen Abhängigkeit von den Eltern bis ins Lebensjahrzehnt für immer mehr Heranwachsende kontrast- und span¬ nungsreich gegenübersteht. Ein zweiter sich offensichtlich ebenfalls immer mehr radikalisierender Widerspruch liegt in der hohen gesellschaftlichen Wert¬ schätzung von Jugendlichkeit einerseits und der faktischen Ausgrenzung und Ohnmacht der konkreten Jugendlichen andererseits. Weiter ist auf das „Qualifi¬ kationsparadox" (Mertens 1985) zu verweisen, das ebenfalls zur widersprüchli¬ chen Struktur des Aufwachsens beiträgt. Es besteht darin, daß bei kritischen Arbeitsmarktverhältnissen (ihrerseits bedingt durch strukturelle Veränderun¬ bewirkte dritte gen auf dem Arbeitsmarkt, aber vor allem auch durch die Situation in den neuen einem erheblichen qualifizieren, Aufforderung, paradox empfunden wird. Die Paradoxie liegt darin, daß einerseits die Aufforderung geltend gemacht wird, sich zu qualifizie¬ ren, weil ohne Qualifikationsnachweis mit gar keinen Chancen zu rechnen sei; andererseits machen die Heranwachsenden aber die Erfahrung, daß Qualifika¬ tion keinen Schutz vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg gewährleistet. und muß am Ziel der Qualifikation festgehalten werden. Dennoch wird Bundesländern) sich die zu von Teil der Heranwachsenden als - - gerade im Hinblick auf den zuletzt genannten Punkt auf die besondere Konflikthaftigkeit und Problematik der Situation für Mädchen hin¬ zuweisen: Alle Untersuchungen zeigen, daß für Mädchen der Arbeits- und Be¬ rufsbereich die gleiche Bedeutung hat wie die spätere Familien- und Erzie¬ hungsrolle. Faktisch haben Mädchen, was Bildungsabschlüsse und relativen Schulbesuch betrifft, ihre männlichen Altersgenossen bereits überflügelt. Aber in dem Augenblick, in dem sie die entsprechenden Chancen auf dem Arbeits¬ (d) Schließlich ist realisieren versuchen, stellen sie fest, daß sie auf einem nach wie vor „männlich strukturierten Arbeitsmarkt" im Vergleich zu ihren männlichen Kon¬ markt zu eingeschränkte Chancen haben. Deshalb erfahren Mädchen Widersprüchlichkeit ihrer Situation vor allem als Diskrepanz zwischen Aus¬ bildungsengagement einerseits und erreichbaren Positionen auf dem Arbeits¬ kurrenten nur sehr die markt andererseits. 2.2.2 Die These von der der jugendlichen „Individualisierung" und „Pluralisierung" Lebensformen Diese These ist im Zusammenhang mit generellen Prozessen gesellschaftlicher Individualisierung, wie sie von Beck (1986) und anderen in den letzten Jahren behauptet wurden, zu sehen. Diese allgemeine These besagt, daß als Folge sich radikalisierender gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse das Individuum in einer neuen Weise auf sich selbst verwiesen wird. Es ist vor allem die Auflösung geschlossener soziokultureller Milieus mit ihren klaren und eindeutigen Verhal¬ tensvorschriften und Regelungen, die dem Individuum neuartige Entscheidungszwänge und -möghchkeiten in allen Lebensbereichen eröffnen. Waren es früher traditionell überlieferte und kollektiv als verbindlich anerkannte Verhal¬ tensregeln, an denen die Individuen sich etwa in wahl orientieren einzelnen konnten, verlangt werden so - sind eine bezug auf Berufs- und Partner¬ Entscheidungen, die vom neuartige und gravierende Anforderung, die es nun individuelle Jugendforschung - 25 Jugendpädagogik Folgen hat, als es ja gerade die durch Rationalisierung Verwissenschaftlichung sich auflösenden Lebensformen und Normen sind, eben die „Entzauberung" der Welt durch Wissenschaft und technische Zivilisa¬ tion, die einerseits das Individuum freisetzen, ihm aber andererseits die Mög¬ lichkeit nehmen, sich auf tradierte und von anderen geteilte normative Orientie¬ um so weiter reichende und rungen zu stützen. Dieser zunächst allgemeine gesellschaftliche Prozeß hat besonders gravieren¬ Auswirkungen auf die Jugendphase. Sie ist ja dadurch charakterisiert, daß und das heißt jetzt: Entscheidungen hier wichtige Weichenstellungen fällig sind. Diese waren früher gesellschaftlich vorgeformt durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozia¬ len Lebenswelt. Die sich radikalisierende Moderne führt zur Herauslösung des Individuums aus quasi natürlichen Lebensformen und konventionellen Moral¬ vorstellungen. Dies bedeutet für die Jugendphase, daß aus einer gesellschaftlich vorgeformten Übergangsphase mit ihren Übergangsriten eine individuell zu ge¬ staltende, mit individuellen Entscheidungsleistungen versehene Phase wird. Die Jugendphase muß unter diesen Umständen biographisch bewältigt und gestaltet de - - werden. Das hat auch zu tun mit einer mit der Neuzeit entstandenen neuen Lebens¬ laufregelung als Folge gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse (Kohli 1985; s. dazu ausführlich Hornstein 1990, S. 45f.). Der Hinweis auf ein „neues Lebens¬ laufregime" will besagen, daß Jugend in ihrer modernen Form und dies radikalisiert sich in der Gegenwart entsteht als Folge von neuzeitlichen Prozessen der Rationalisierung aller Bereiche und Lebensvorgänge. Dies führt zur Pla¬ nung, Verzeitlichung, Organisation des Lebenslaufs; es entsteht die Notwendig¬ keit einer planmäßigen Lebensführung. Das betrifft die Form der Sukzession, also der Nachfolge der Heranwachsenden auf soziale Positionen, und auch der Integration, also der Eingliederung der Jugendlichen in die Gesellschaft. - - Die Problemkonstellation heute ist dadurch bestimmt, daß das in der Moder¬ nisierung enthaltene „Programm" Jugend (also die Art und Weise, wie Jugend gesellschaftlich organisiert wird) institutionell immer weiter ausgeweitet wird, d.h., für immer mehr Heranwachsende gilt dieses „Programm" für immer länge¬ re Zeit; andererseits erodiert es faktisch in der Erfahrung der diesem Programm unterworfenen Jugendlichen. Die bei diesem Programm unterstellte „Normal¬ biographie" ist in der subjektiven Erfahrung gar nicht mehr gegeben; in Wirk¬ lichkeit sind angesichts von EntStandardisierung, Auflösung von vorausschauba¬ ren, als sicher antizipierbaren Schritten zum Erwachsenenstatus vor allem die Erfahrungen von Risiken und des möglichen Scheiterns naheliegend. 2.2.3 Subjekt- und biographieorientierte Konzepte der Jugendforschung In den letzten fünf bis sieben Jahren sind in der Jugendforschung Ansätze er¬ probt, praktiziert Biographie in den Mittel¬ rückt und einer wo es zu von punkt Verschmelzung Biographieforschung und kommt. läßt sich die Biographie wich¬ wird so Warum, Jugendforschung fragen, Also: nicht das das die Durchschnittliche, „Normale", tig? große Zahl, das für den Durchschnitt, für eine Epoche oder eine Generation Typische, sondern das entwickelt und worden, in denen die Walter Hornstein 26 kulturell Eigenständige, das Individuelle, das Unverwechselbare, das Qualitati¬ ve, das Offene? Frage ergibt sich aus den Grundgegebenheiten der gesellschaftlichen Situation der Gegenwart. Lebensplanung und Lebensgestal¬ werden in einer neuen Weise zum und das heißt: das Biographische tung in einer für alle Thema und zur Aufgabe gesellschaftlichen Situation, in der die der sozialer Formen Jugend in die Erwachsenengesell¬ Integration gängigen schaft brüchig und fragwürdig geworden sind; in der zwar Optionen und gesell¬ schaftliche Ressourcen größer und zahlreicher geworden, aber zugleich die Un¬ sicherheiten gewachsen sind. Auf jeden Fall werden Lebensplanung und Lebensgestaltung nun zum Thema für alle nicht mehr nur für Eliten (wie dies z.B. in der Theorie der Jugendentwicklung bei Spranger noch der Fall war). Biographie ist also einer der Knotenpunkte zwischen Jugendentwicklung und Gesellschaft (so wie „Arbeit" oder „Geschlecht"). Jugend-Biographie vollzieht sich aber in sozialen Räumen. Deshalb liegt es nahe, daß Biographieforschung sich in sozialökologischen Ansätzen verwirklicht (Baacke 1993; Böhnisch/ Münchmeier 1990), die wiederum im Detail differieren, aber doch vom grund¬ sätzlichen Ansatz her die gleiche Richtung verfolgen. Am Gedanken und Konzept der Biographie orientierte Jugendforschung ver¬ langt eigene methodische Vorgehensweisen. Ihr bevorzugtes Instrument ist das qualitative Interview (nicht der standardisierte Fragebogen, die schriftliche Um¬ frage). Sie ist darauf angewiesen, daß der/die Jugendliche erzählen; und Erzäh¬ len hängt von den Umständen, vom Gegenüber ab. Hier ergeben sich viele me¬ thodische Probleme, von denen lediglich folgendes erwähnt sei: Wenn in dieser Art von Forschung die Frage zur Untersuchung ansteht, wie Jugendliche im Pro¬ zeß des Erwachsenwerdens ihr Leben gestalten, dann verbietet es sich, auf diese Frage mit einfachen Typologien zu antworten, vor allem, wenn solche auf der Grundlage von Einmalbefragungen gebildet werden. Zwingend ergibt sich in dieser Situation die Längsschnittuntersuchung als „Königsweg" der Jugendfor¬ schung, weil sich nur im zeitlichen Ablauf, in wiederholten Untersuchungsschrit¬ ten also, zeigen läßt, wie Jugendliche unter gegebenen strukturellen Verhältnis¬ sen ihre Biographie basteln. Und schließlich läßt sich dann auch noch fragen, ob die Pluralisierung von jugendlichen Lebensformen nicht zuletzt dazu führt, die Jugendforschung in Biographieforschung überzuführen (du Bois-Reymond/ Oechsle 1990). Die Antwort auf diese - - - 2.3 Der „Jugendkulturansatz" Was unter dieser Überschrift erörtert wird, stellt kein einheitliches Forschungs¬ programm dar; es handelt sich vielmehr um einen zusammenfassenden Begriff, unter den sich zahlreiche Vorgehensweisen subsumieren lassen. Es gibt aller¬ gemeinsamen Grundgedanken, der die unter dem Begriff „Jugend¬ zusammengefaßten Sichtweisen verbindet. Diese Gemeinsamkeit liegt in der Vorstellung, daß Jugend unter modernen gesellschaftlichen Bedingungen eine eigene soziale Gruppe in der Gesellschaft darstellt, die sich signifikant durch ihr Verhalten, ihre Dispositionen, Lebensformen und Lebensstile von den Erwachsenen und deren „Kultur" unterscheidet. Von diesem Grundge- dings einen kultur" Jugendforschung - 27 Jugendpädagogik Jugendkultur-Forschung um die Beschreibung, ver¬ Erklärung von subkulturellen und jugendkulturellen Verhaltensstilen und Lebensmustern, um die sprachlichen, im weitesten Sinne des Wortes symbolischen Ausdrucksformen der unterschiedlichen Jugendkul¬ danken aus geht es gleichende Analyse in der und turen, wie sie in Form der Punks, der Rocker, der Skinheads, der Fankultur usw. auftreten. „Jugend und Jugendkulturen" (1987) leitend, Jugend kulturschöpferisch tätig sei. Die These lautet, daß „Jugendliche zu kulturellen Neuschöpfungen beitragen, die nicht nur in Objektivationen und neuen Figurationen des Alltags bestehen, sondern in neuen Formen der Ich-Deutung" (op. cit., S. 5). Damit sind zwei Gedanken angespro¬ chen: Zum einen wird die These vertreten, daß in jugendkulturellen Settings vor So ist für Baacke in seinem Buch über daß der Gedanke allem auch neue Formen der Selbstdefinition, d.h. des Selbstbewußtseins und Selbstverständnisses, entstehen. Jugendliche erzeugen in ihren jugendkulturel¬ len Lebensformen sich selbst in einer eigenen Weise. Zum anderen sind Jugend¬ liche nicht „Opfer", etwa der kommerziellen Einwirkungen in Freizeit, Kon¬ sum, Lebensstil, sondern sie sind immer auch „Trendsetter für die ältere Generation und neue kulturelle Konstellationen" (op. cit., S. 6). In Zinneckers Sicht (Jugendwerk der Deutschen Shell 1981) wird vor allem untersucht, welche Funktionen jugendkulturelle Stile und Produktionen für die Bewälti¬ gung des jugendlichen Alltags haben. Alltagskulturen sind demnach „Selbsthilfeorganisationen"; sie stiften einen Zusammenhang zwischen den Personen in gleicher Lage, bestärken und bekräftigen die zu dieser „Schicksalsgemein¬ schaft" Gehörigen und sichern so das Überleben. Ein drittes Beispiel für ein in dem der Jugendkultur liegt Begleitbuch zur Ausstellung „Schock Konzept und Schöpfung" vor (Deutscher Werkbund e.V. und Württembergischer nur - - Kunstverein Stuttgart Jugendkulturen 1986). Hier wird verhältnisses in einem öffentlichen Daraus ergeben sich die wichtigsten der These ausgegangen, daß für „Inszenierung des Generationen¬ von heute charakteristisch sei die Raum, der zur Momente der Erprobung freigegeben ist". Jugendkultur: ihr experimen¬ teller Charakter, das Erproben von Lebensformen, das darin stattfindet, ihr „op¬ positioneller Schein", der darin besteht, daß in diesem Raum die ungelösten Probleme weitgehend aufgehoben scheinen, obwohl sie faktisch nicht gelöst sind. Eine kritische Hornstein (1) 1989) Bewertung dieser Forschungsrichtung (s. folgende Punkte Wert legen: dazu ausführlich muß auf Die Jugendkulturforschung hat zweifellos eine neue Perspektive auf Phäno¬ Jugendlebens, ein neues Verständnis der damit ins Auge gefaßten Sachverhalte eröffnet. Dieses neue Verständnis geht weit über traditionelle Konzepte von jugendlichem Schonraum oder pädagogisch angeleitetem Experi¬ mene des mentierfeld hinaus. Vor allem da, wo sich die theoretische Reflexion auf Ele¬ mente der Kulturtheorie stützt, wie dies etwa bei Ziehe (1991) der Fall ist, geht das damit eröffnete Verständnis weit über bisherige Versuche der theoretischen Jugendkultur-Ansatz (der übrigens auch, wie bereits betont, die alte Diskussion zur Frage, ob und inwieweit es so etwas wie eine eigene jugendliche Subkultur gebe, weit überholt hat) einen nicht mehr eliminierbaren Bestandteil der jugendtheoretischen Diskussion dar. Einordnung hinaus. Insofern stellt der Walter Hornstein 28 (2) Grenzen und Probleme des Ansatzes werden dort sichtbar, wo er zu einer verselbständigten Betrachtung jugendkultureller Ausdrucksformen verleitet. In der Verfolgung dieses Ansatzes wird häufig die Tatsache der institutionellen Prä¬ gung des Jugendlebens durch Schule, Berufsausbildung und Arbeit übersehen. Uberlebensstrategien der Jugendlichen erscheinen als kulturschöpferische Lei¬ in Wirklichkeit Folgen von Män¬ stungen, und auch die Rückzugstendenzen Defiziten der und jugendlichen Lebenslage werden als kulturschöpferi¬ geln sche Leistungen bewertet. Dem entspricht eine Tendenz zur verselbständigten Analyse der Jugendkulturen. Sie stellen in dieser Sicht ästhetische Phänome¬ ne dar, die mit den Kategorien und Mitteln der Stilanalyse untersucht werden. Problematisch aber sind die gesellschaftlich-politischen Auswirkungen einer solchen Sichtweise: Indem gezeigt wird, was Jugend alles kann, was alles möglich - - - - ist, entbindet sie die Gesellschaft 2.4 von dem, was sie tun müßte. Sozialgeschichte der Jugend, historische Sozialisationsforschung und sozialökologische Ansätze der Jugend" damit sind Forschungen und Diskussionen ge¬ die soziale die meint, Gruppe Jugend in ihren wechselnden Ausprägungen und Funktionen in ihren jeweiligen sozialgeschichtlichen Zusammenhängen rekon¬ „Sozialgeschichte struieren und analysieren. Jugend" (1986) faßt und gibt - so Mitterauer hat in dem Band „Sozialgeschichte zutage gefördert hat. In der Ordnung des Materials versucht chenden der vorliegenden Forschungen dieser Art zusammenge¬ einen Überblick über das, was diese Art von Forschung bisher die bisher Ansatz strukturelle Einsichten zum Verhältnis er, in einem von verglei¬ jugendlichen Gleichaltrigengruppen und jeweiligen ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen zu gewinnen; einerseits wird Jugend in altersheterogenen Gruppie¬ rungen (also in der Familie, in der Schule, in der Arbeitswelt), andererseits in altershomogenen Gruppierungen untersucht. Letztere werden im ländlichen Bedingungen aufgesucht; schließlich werden die einzelnen Formen von Jugendvereinen und informellen Gruppierungen zum Gegenstand gemacht. In einer etwas anderen Akzentuierung schreibt der englische Sozialforscher Gillis (1980) seine Sozialgeschichte der Jugend. Er läßt sich von der These lei¬ ten, daß Jugend nicht nur eine Geschichte „hat", sondern daß sie diese auch selbst „macht". Ihm geht es vor allem darum, aufzuzeigen, was dies konkret heißt. Im Vordergrund steht die Beschreibung und Rekonstruktion dessen, was er das „jugendeigene Brauchtum" nennt; er versteht darunter die vielfältigen Ausdrucksformen des Jugendlebens, wie sie sich im historischen Ablauf (er un¬ Bereich und unter städtischen tersucht die Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart) und in den unterschiedlichen Sozialräumen darstellen. Gerade diese beiden Übersichtswerke zeigen, daß unser Wissen über die So¬ zialgeschichte der Jugend noch sehr lückenhaft ist. Monographien wie diejenige von Kempf (1911) über das Leben junger Fabrikmädchen in München um 1910 oder diejenige von Gestrich (1986) über „Traditionelle Jugendkultur und Indu¬ strialisierung" (sie behandelt die Wandlungsprozesse im 19. Jahrhundert durch die Industrialisierung in einer Arbeitergemeinde Württembergs) stellen eine Jugendforschung - Jugendpädagogik 29 Ausnahme dar. Außerdem zeigen die Arbeiten von Gillis und Mitterauer, daß gegenseitige Befruchtung von Sozialgeschichte der sozialwissenschaftlicher und Jugendtheorie noch kaum stattfindet. Jugend Schließlich zeigen die vorliegenden Untersuchungen auch erst in sehr vorläufi¬ ger Form, wie unterschiedlich die Sozialgeschichte der Mädchen im Vergleich zu derjenigen der männlichen Heranwachsenden verläuft: Für sie gibt es für lange historische Zeiträume nicht die Herausbildung eigener sozialer Gruppen für die Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Mädchen wandern von einer Abhängigkeit und Zugehörigkeit (von der Herkunftsfamilie) in die andere (wenn sie geheiratet werden), und dieser Prozeß unterliegt einer viel stärkeren Kontrolle, als dies bei den männlichen Jugendlichen der Fall ist (zur Vernachläs¬ sigung der Mädchen in der Jugendforschung s. weiter unten). Das Programm der „historischen Sozialforschung", wie es vor allem von Herrmann entwickelt und in einzelnen Untersuchungen exemplarisch erprobt worden ist (1980; 1991), stellt zwar keinen jugendspezifischen Ansatz dar (es bezieht sich auf den Sozialisationsprozeß im ganzen, also in gleicher Weise auf das Kindes- wie auf das Erwachsenenalter), enthält aber doch eine Perspektive, die für die Jugendthematik wichtig ist. In der historischen Sozialisationsfor¬ schung geht es um die Rekonstruktion des historischen Subjekts, d.h. insbeson¬ dere um die Frage, welche Lernerfahrungen und Lebenssituationen in Kindheit und Jugend zu welchen Verhaltensweisen, Orientierungen und Deutungsmu¬ stern führten, welche Rolle und Bedeutung die Institutionen (also Familie, Schu¬ le, Altersgruppe, Arbeitswelt) hatten. Kurzum, es geht um die Analyse der Ein¬ flüsse, die die Identität des Kindes und Jugendlichen prägten, und um die Erfassung der Konsequenzen, die dies für die Zeit des Erwachsenseins hatte. In der Formulierung Herrmanns (1980, S. 239): Die historische Sozialisationsfor¬ schung bemüht sich darum, die „geschichtlich-gesellschaftliche Genese und Be¬ stimmtheit von Bewußtseins-, Erlebnis- und Handlungsstrukturen zu beschrei¬ die - sehr wünschenswerte - - ben". Dies kann in der Rekonstruktion individueller Lebensläufe oder aber in der Rekonstruktion des Lebensweges von „Gruppen" und „Generationen" erfolgen. Der sozialökologische Ansatz in der Jugendforschung schließlich ist vor allem von Baacke (1992) entwickelt und (wiederum) erst in Ansätzen erprobt worden. Dieser Ansatz bezieht seine Stoßrichtung aus der Kritik an einer Forschung, die sich am Schicht- oder Klassenbegriff orientiert, der aber mit seinen Schicht-In¬ dikatoren sehr unzureichend die antreffbaren Variationen in der Ausprä¬ Argu¬ ment lautet, daß es sich bei den sozialwissenschaftlichen Typisierungen wie „Unterschicht", „Mittelschicht" usw. um abstrakte Generalisierungen handelt, die die differente Erfahrungswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen nicht hinreichend erfassen können. Der Zentralbegriff einer sozialökologischen Kon¬ zeption ist demgegenüber derjenige der „Szene" oder des „Raumes". Er ver¬ weist auf die grundlegende These dieses Konzepts, der zufolge sich Lebenschan¬ cen und Lebenssinn, die Deutungsmuster des eigenen Lebens, der Welt, der Gesellschaft in Austauschprozessen mit der sozialen Umwelt realisieren und daß die Entwicklung von Aspirationsniveaus und Handlungsstrategien nur von diesen Austauschprozessen her verstanden werden können. Der „soziale Raum", das „Soziotop" oder das „Ökosystem" das mit diesen Begriffen Gegung von nur Persönlichkeitsmerkmalen erklären könne. Das entscheidende - Walter Hornstein 30 meinte läßt sich in „Zonen" einteilen: Um das „ökologische Zentrum" legt sich „ökologische Nahraum"; von dem, was darüber hinausgeht, werden „Aus¬ schnitte" wahrgenommen und wirksam, und schließlich gibt es eine „ökologi¬ der sche Peripherie". - Dieses Konzept, das sich in seinem Grundgedanken an (1976) anlehnt, kann auf einige Untersuchungen verweisen, in denen der Ansatz explizit oder in Form einer generellen Orientierung in Bronfenbrenner Richtung auf Einbeziehung der Hauptbeispiele macht worden ist. Jugendbüro sozialräumlichen Lebenswelt fruchtbar ge¬ sind die Untersuchungen der Projektgruppe Hauptschülerarbeit über „Die Lebenswelt von Hauptschü¬ die Untersuchungen von Hübner-Funk/Müller/Gaiser über Pro¬ und lern" (1975), zesse der beruflichen (1983) und die räume von Orientierung und Berufseinmündung von Hauptschülern u.a. über „unterschiedliche Untersuchungen,die Jugendlichen" (1984) durchgeführt haben. Becker 2.5 Übergreifende Aspekte und Fragestellungen 2.5.1 Mädchen in der Sozial¬ Jugendforschung Zur Problematik geschlechtsspezifischer Unterschiede - Jugend ist, zumindest in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Europas, sowohl praktisch-gesellschaftlich, was ihre reale gesellschaftliche Existenz be¬ trifft, als auch wissenschaftlich-theoretisch zunächst und vor allem männlich be¬ Zusammenhang mit der Darstellung der Untersuchungen zur Sozi¬ algeschichte der Jugend ist bereits darauf hingewiesen worden: Jugend als eine eigene soziale Gruppe in der Gesellschaft und Jugend als eigene Qualifikati¬ onsphase, die den einzelnen auf die Anforderungen der Erwachsenenwelt und hier insbesondere des Arbeitsmarktes vorbereiten soll, und schließlich: Jugend als psychosoziales Moratorium, das den Experimentierraum für die Entwick¬ lung der jugendlichen Persönlichkeit freihalten soll dies alles ist gesellschaft¬ lich primär für die männlichen Heranwachsenden als Chance eröffnet worden und erst in zweiter Linie für die weiblichen Jugendlichen. Die Sozialgeschichte der Jugend (Mttterauer 1986) zeigt, daß es in der Tat die männlichen Jugendli¬ chen sind, die schon in historisch frühen Zeiten eigene soziale Gruppierungen stimmt. Im - darstellen, daß für sie die Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenen¬ alter in eigenen Sozialformen organisiert wird (Eisenstadt 1956/1966; Gillis 1980; Hornstein 1965), daß ihnen gesellschaftliche Aufgaben übertragen wer¬ den und daß es zuerst die männliche Jugend ist, die in der Institution der Schule aus der Erwachsenenwelt ausgegliedert und von daher instand gesetzt wird, auch und gerade unter modernen Bedingungen ein eigenes Jugendleben zu entwickeln. Mädchen „gehören" noch nicht so lange und nicht in dem Ausmaß zur Jugend, wie dies für die männlichen Heranwachsenden der Fall ist. Für das Mädchen der bürgerlichen Familie im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein „wohlbehütet" in der Herkunftsfamilie aufwächst, bis gilt, daß es gleichsam ohne Über¬ Familie für die Familie es, gang, in eine neue Familie überwechselt. Es wird in der In der Arbeiterfamilie, im Handwerk und in den bäuerlichen Famili¬ erzogen. - en gibt es aus anderen Gründen kaum eine Jugendzeit für Mädchen: Bestim- Jugendforschung - Jugendpädagogik 31 mend ist hier der den der Zwang, unmittelbar nach der Schulzeit mit der Hände Arbeit eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und für die anderen Familienmitglie¬ zu sorgen. Die weitgehende Vernachlässigung der Mädchen in der Jugendforschung spiegelt daher zunächst einmal eine reale gesellschaftliche Situation. Diese Ignorierung von Mädchen in der Forschung wurde in dem Moment fragwürdig, in dem erstens auf der Basis von Daten über ausschließlich oder zumindest vor¬ Jugendliche Vorschriften, Regelungen, Normen auch für Mädchen getroffen wurden. Dies gilt etwa für die Zeit, zu der in Jugendfürsorge und Resozialisierung Kontroll- und Fürsorgeregelungen für „Jugendliche" (Roth 1983) entwickelt wurden, denen Jungen wie Mädchen unterworfen wur¬ den. Problematisch wurde diese Ausblendung zweitens in dem Maße, in dem Mädchen faktisch mehr und mehr zur Jugend „gehören", also auch ihnen gesell¬ schaftlich zugestanden werden muß, was historisch früher ausschließlich den Jungen offenstand, nämlich eine eigene Jugendphase als Qualifikationsphase für den Beruf und als psychosoziales Moratorium für die Persönlichkeitsent¬ wicklung. Erst in einem langen historischen Prozeß hat sich die weibliche Ju¬ gend ihre eigene Stellung erkämpft und dann auch entsprechende Aufmerksam¬ keit in der Forschung gefunden. Mädchen haben historisch profitiert von dem neuen Selbstbewußtsein der Jugend, das durch die Jugendbewegung vorberei¬ tet, durch die Jugendkulturen seit den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts weiterentwickelt wurde und schließlich in der Entstehung und Ausbreitung ei¬ nes Konsummarktes für Jugend seinen festen gesellschaftlichen Platz findet. Daran haben Mädchen teil; heute gehören Mädchen zur Jugend, was sich unter anderem darin zeigt, daß Mädchen im relativen Schulbesuch ihre männlichen Altersgenossen eingeholt, zum Teil überflügelt haben. Aber „Jugend" bedeutet wiegend männliche für Mädchen auch heute noch etwas anderes als für männliche Heranwachsen¬ de, und dies wird lange und in dem Maße der Fall sein, wie die geschlechtsspe¬ Arbeitsteilung weiter besteht und männliche und weibliche Normalbio¬ graphien differieren. Allerdings stellt die gesellschaftliche Organisation der Jugend, wie sie sich heute in den westlichen Gesellschaften herausgebildet hat, keine besonders günstige Voraussetzung für die Herausbildung einer weiblichen Identität und für die Entwicklung und Durchsetzung von Autonomie für weibliche Lebens¬ so zifische entwürfe dar. Denn die reale Situation ist für Mädchen nach wie als für Jungen: Sie unterliegen einer stärkeren und durch die Eltern als die männlichen zwischen Familie und peers, und vor eine andere dauernden Kontrolle länger Jugendlichen, stehen stärker im Konflikt allem treffen die mit den gesellschaftlichen (s. weiter oben) die Mädchen in weit stärkerem Maße als ihre männlichen Altersgenossen (Bilden/Diezinger 1992). Das läßt sich am Beispiel der jugendlichen Subkulturen wie im Zusammenhang mit den Zumutungen der gesellschaftlichen Individuali¬ sierung illustrieren. Was die jugendlichen Subkulturen betrifft, so bieten diese in ihrer heutigen Form selten Möglichkeiten, Chancen und Anreize zur Entwick¬ lung einer eigenen weiblichen Autonomie. Zugehörigkeit zu den informellen Gruppierungen der Freizeitkultur ist für Mädchen auch heute noch weitgehend identisch mit Anpassung an die dort vorhenschenden Ausdrucksformen einer Jungen- und Männerkultur; die eigene Identität wird weitgehend über die mehr vor Individualisierungszumutungen verknüpften Konflikte Walter Hornstein 32 den Jungen definierten Konstellationen definiert. Jugendkul¬ weitgehend der Konstitution männlicher Geschlechtsidentität (Bilden/Diezinger 1992), indem sie Abgrenzung und Überlegenheit gegenüber den weiblichen Mitgliedern aufbauen. Den Mädchen bleibt dann nur der Rück¬ zug aus derartigen Gesellungsformen oder aber die Anpassung an die damit verbundenen Formen der Unterordnung und Anpassung. Aber auch die mit dem Prozeß gesellschaftlicher Individualisierung verbun¬ denen Zumutungen stellen sich für Mädchen anders dar als für Jungen. Der Individualisierungsdruck, der mit der Auflösung traditioneller Milieubindungen und geschlechtsspezifischer Rollenzuordnungen verbunden ist, trifft Mädchen vor dem Hintergrund nach wie vor wirksamer traditioneller weiblicher Normal¬ biographien besonders stark. Die Widersprüche resultieren aus der Tatsache, oder weniger turen von dienen daß der Arbeitsmarkt nach wie vor männlich geprägt ist, d.h., daß eine erhebli¬ Büdungswesen, in dem geschlechts¬ che Kluft besteht zwischen der Situation im weitgehend aufgeholt sind, und einem Arbeitsmarkt, Widersprüche und spezielle Probleme resultieren aber auch aus der Tatsache, daß weibliche Jugendliche im Rahmen eines weiblichen Lebensentwurfs berufliche Kameren und die Perspektive der spezifische Unterschiede der nach wie vor männlich bestimmt ist. Familien- und Kinderarbeit miteinander Auch wenn die zu verbinden suchen. der letzten Jahrzehnte sich in zunehmendem Jugendforschung Orientierung und Prägung Maße ihrer männlichen ne Rede davon bewußt wird, kann noch kei¬ sein, daß die Tatsache, daß auch weibliche Jugendliche zur Ju¬ ausreichenden Niederschlag in der Forschungsarbeit fände. Die Jugendforschung, wie sie etwa Repräsentativerhe¬ bungen darstellen, berücksichtigen sicherlich in zunehmendem Maße neben Va¬ riablen wie Alter, Beruf, Stadt/Land auch die des Geschlechts, aber wenig deut¬ lich wird dabei die qualitative Besonderheit und Spezifität des weiblichen Lebenszusammenhangs, auf den die Frauenforschung provozierend aufmerk¬ gend gehören, traditionellen Formen der sam macht. Insbesondere der den Zusammenhang sere von aus dieser Position entwickelte Blick verweist auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, wie sie für un¬ Gesellschaft kennzeichnend ist, und den Problemen der weiblichen Nor¬ malbiographie. Aus dieser Blickrichtung wird vor allem die Diskrepanz deutlich, die sich ergibt zwischen den erhöhten und erweiterten Ansprüchen und Interes¬ sen der Mädchen an einer selbstbestimmten weiblichen Existenz einerseits und den immer noch erheblich eingeschränkten Realisierungschancen in einer weit¬ männlich geprägten Gesellschaft andererseits. Darüber hinaus sind heute so gut wie alle Fragen zum gehend Selbstfindungsprozeß (1992) skizzieren eine Reihe solcher offener Fragen: Sie fordern eine Revision des Konzepts der „Normalbio¬ graphie" und auf dieser Basis „die Untersuchung des Verhältnisses von Ge¬ schlecht, Alter und Milieu und deren Einfluß auf Handlungsspielräume von Mädchen". Von da aus wären zu untersuchen: Fragen des Zusammenhangs „von Körperlichkeit, Sexualität und Identität", zum „Mädchenalltag in der Kultur der Gleichaltrigen", ferner, in welchem Verhältnis „geschlechtshomogene und -he¬ von Mädchen noch unerforscht. Bilden/Diezinger terogene Gruppen und Freundschaften in den sozialen Netzen von Mädchen aus unterschiedlichen Milieus" stehen, usw. Es ginge um die Frage, welche Ge¬ staltungsmöglichkeiten Mädchen offenstehen in ihrem Verhältnis zu Jungen und inwieweit diese Verhältnisse durch Gewalt strukturiert sind. Alle diese Fra- Jugendforschung - 33 Jugendpädagogik gen sind weitgehend unerforscht. Hinweise auf Problemlagen der weiblichen Adoleszenz und daraus resultierende Forschungsfragen enthält in großer Zahl die im Zusammenhang (Bundesminister Reihe „Alltag für und mit dem 6. Jugend, Familie Biographie Jugendbericht und Mädchen" von der Bundesregierung 1984) veröffentlichte (Kommission 6. Jugendbericht Gesundheit 1984ff.). Jugendforschung 2.5.2 Was für so im der deutsch-deutschen Prozeß Vereinigung gut wie alle gesellschaftlichen Bereiche und Sachverhalte gilt, trifft Jugendforschung und ihren Gegenstand zu: Sie ist nach dem begon¬ Wiedervereinigung nicht mehr die gleiche wie früher, wie sie Bundesrepublik (West) in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Welt¬ auch für die nenen Prozeß der sich in der entwickelt hat krieg - und sie kann dies auch nicht mehr sein. Vor allem die Forschungsprojekte, die sich sehr schnell nach der deutschen Wiederver¬ einigung und boomartig mit Situationen und Problemen der Heranwachsenden in den Ländern der ehemaligen DDR befaßten, haben allerdings dies zu tun versucht, indem sie nämlich verhältnismäßig umstandslos mit theoretischen Konzepten und Kategorien die Jugendsituation in den neuen Ländern zu erfas¬ sen suchten, die für Westdeutschland maßgeblich waren (Behnken u.a. 1991; Melzer u.a. 1991). Den Prototyp für diese Art der Herangehensweise bildet die vom Jugend¬ vor dem Hinter¬ werk der Deutschen Shell (1992) durchgeführte Studie, die grund der in Westdeutschland in früheren Jahren durchgeführten Untersuchun¬ ausdrücklich „Lebenslagen, Orientierungen und Entwicklungsperspek¬ gen tiven [der Jugend] im vereinigten Deutschland" zum Gegenstand machte. Vor allem diese Studie hat die öffentliche Diskussion und Bewertung der Situation der Heranwachsenden in der ehemaligen DDR geprägt. Sie enthielt eine ein¬ deutige „Botschaft": Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern haben sich, was ihre Wertorientierungen, ihre Lebensziele und Perspektiven, ihre Vorlieben und Wünsche betrifft, schon vor der Wende ihren Altersgenossen in der Bundes¬ republik West angeglichen; sie unterscheiden sich praktisch nicht voneinander. Der Unterschied besteht nur darin, daß sie bisher nicht über die äußeren Mög¬ lichkeiten verfügten, diesen Lebensstil, der sich in ihren Köpfen längst festge¬ ersten - - setzt hatte, auch wirklich zu leben. An diesem Bild wirkten auch die Untersuchungen mit, die unmittelbar nach der ehemaligen DDR, vorgelegt wurden und die die Situation der Jugendlichen, ihre Einstellungen und Verhaltenswei¬ sen vor der Wende zum Gegenstand hatten (Henning/Friedrich 1991). In der Interpretation früherer Untersuchungen, wie sie jetzt, nach der Wende, vorge¬ nommen wurde, zeigte sich ein ähnliches Bild: Die Jugendlichen hatten sich, dieser Interpretation zufolge, innerlich längst vom Sozialismus, von den Idealen der DDR abgewandt. Auch diese Veröffentlichungen trugen zur Entproblematisierung der Jugendsituation in der öffentlichen Diskussion bei, indem sie Da¬ ten aus früheren Projekten in eine Perspektive rückten, die eine solche der der Wende, zum Teil von Forschern aus d.h., sie dienten dem Nachweis, daß die Identifikation der „Wendezeit" war, Jugendlichen in der DDR mit ihrem politischen System bereits in den achtziger Walter Hornstein 34 Jahren sehr locker gewesen sei. Damit wurde einer Sichtweise Vorschub gelei¬ stet, die die Brüche und Konfliktzonen, die mit dem Zusammenbruch der DDR Biographien und Lebensperspektiven, den Wertorientierungen und Ori¬ entierungsmustern der Heranwachsenden verbunden waren, ausblendete und an der Aufrechterhaltung der Fiktion eines bruchlosen Übergangs von einem gesellschaftlichen System zu einem anderen mitwirkte. in den Erst allmählich entsteht derzeit ein Bewußtsein davon, daß diese Art des Um¬ gangs mit den „Aufgaben", die sich im Zusammenhang mit der Wiedervereini¬ gung stellen, den tatsächlichen Problemen nicht gerecht wird. In späteren Pro¬ jekten und Untersuchungen wird das zum Thema gemacht, was diese ersten Untersuchungen ausgeblendet haben, nämlich die biographischen Brüche und die daraus resultierenden Konflikte und Risiken des Aufwachsens in den ehemaligen DDR (Wensierski 1993; Böhnisch 1993; Sche1993). Dabei geht es einerseits darum, die bisherige sehr einsei¬ tige Auswahl der vorhandenen theoretischen Ansätze in der Jugendforschung (jugendkulturelle Orientierung, das Konzept des psychosozialen Moratoriums) zugunsten anderer in der westdeutschen Jugendforschung erreichten Ansätze mit ihrer neuerdings starken Betonung der biographie- und lebenslauftheoreti¬ schen Ansätze und der Verbindung dieser Ansätze mit makrostrukturellen Per¬ spektiven nicht einfach auf Gesellschaften mit anderer Geschichte und anderer sozioökonomischer und kultureller Lage „anzuwenden", sondern von den je¬ weiligen Bedingungen her zu reflektieren und angemessen umzusetzen. Die deutsch-deutsche Vereinigung und der Prozeß der Öffnung der ost- und mitteleuropäischen Staaten schaffen für die Jugendforschung eine neue Situati¬ on. Es ist angesichts dieser Lage nicht mehr möglich, Jugendforschung be¬ schränkt auf den nationalen Zusammenhang zu betreiben. Wiedervereinigung und Öffnung der Grenzen fordern dazu heraus, in einer stärker kulturverglei¬ chenden Sicht die Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels und gesellschaftli¬ cher Modernisierungsprozesse auf die Situation der Jugend zu untersuchen. Diese neue Situation stellt eine starke Herausforderung für die Jugendfor¬ schung dar. Wenn sie darauf eingeht, wird sie zu einer weitreichenden Verände¬ rung in ihren Vorgehensweisen, ihrem Erscheinungsbild und ihren Ergebnissen Ländern der fold/Hornstein führen. 2.5.3 Weitere Ansätze und von der Jugendforschung vernachlässigte Themen In diesem Abschnitt soll der Jugendforschung stichwortartig aufmerksam auf Ansätze und Forschungsrichtungen gemacht werden, die hier nicht näher behan¬ delt werden, obwohl sie es verdienten. Dazu gehören z.B. psychoanalytische, vor allem auch ethnopsychoanalytische Ansätze, wie sie insbesondere Erdheim (1984) im Kontext kulturvergleichender Studien vorgelegt hat. Diese Studien haben ihren Wert vor allem darin, daß sie die Funktion der Adoleszenz und ihrer unterschiedlichen Verläufe für Prozesse der kulturellen Transformation und entierungen, Werte, Muster tiefst von usw. Tradierung untersuchen. Wie kulturelle Ori¬ fortsetzen, das hängt zu¬ sich in Gesellschaften der Art und Weise ab, wie diese kulturellen Muster in der Adoleszenz Jugendforschung von - den Heranwachsenden eigenen Handelns 35 Jugendpädagogik gemacht aufgenommen, verinnerlicht und zum Maßstab des werden. wichtig ist der Hinweis auf die gerade in den letzten Jahren wieder Zuge gekommene entwicklungspsychologische Befassung mit Pro¬ blemen des Jugendalters. Nachdem es für einen längeren Zeitraum so schien, als ob die Jugendsoziologie der in den zwanziger und dreißiger Jahren vorherr¬ schenden Jugendpsychologie das Heft aus der Hand genommen hätte, zeigt sich neuerdings ein verstärktes Interesse an Sichtweisen und Ergebnissen der Entwicklungs- und Jugendpsychologie (vgl. dazu vor allem Olbrich/Todt 1984). Hier geht es vor allem um die Erforschung der psychischen Probleme und Kon¬ fliktlagen im Prozeß der Pubertät und Adoleszenz. Wichtig und aufschlußreich sind derartige Studien vor allem auch im Zusammenhang mit Forschungen zur Ebenso stärker zum Drogenproblematik. gemacht werden auf Forschungen, denen es dar¬ geht, Jugendgenerationen verschiedener Epochen miteinander zu verglei¬ chen, um auf diesem Weg neue Aufschlüsse über Veränderungsprozesse in der Jugend zu gewinnen. Den Prototyp für derartige Bemühungen stellen die Un¬ tersuchungen von Allerbeck/Hoag (1985) dar. Hier wurden Jugendliche der achtziger Jahre mit Fragen, wie sie einer altersgleichen Population in den sech¬ ziger Jahren gestellt wurden, konfrontiert. Das Problem solcher Wiederholungs¬ untersuchungen ist, wie die zutage geförderten Befunde über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Aussagen der befragten Jugendlichen vor dem Hinter¬ grund gewandelter objektiver gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen sind. Nicht behandelt werden hier auch Forschungen zu bestimmten „Themen" der Jugendentwicklung (z.B. zur politischen Sozialisation, zu Fragen der Berufs¬ einmündung usw.),zu Problemgruppen (z.B. Drogenabhängigen,Rechtsradika¬ len, Arbeitslosen, Aussteigern, Sektenangehörigen usw.) und schließlich be¬ reichsbezogene Forschungen (z.B. Jugend und Beruf, Jugend und Politik). Letztere Bemerkung stellt einen Übergang zu der Frage dar, welche Themen bzw. Fragestellungen die Jugendforschung eher vernachlässigt. Es sind dies vor allem Fragen der Religion und der Sexualität, die in der Jugendforschung eher unterbelichtet bleiben. Die sozialwissenschaftlich und pädagogisch orientierte Jugendforschung hat bisher wenig dazu beigetragen, das Wissen über die Art und Weise zu vermehren, wie Heranwachsende sich mit der Dimension des Re¬ ligiösen auseinandersetzen, wie die hier maßgebenden Orientierungen und Deutungsmuster entstehen und wie dies im Ganzen der Lebensziele und Le¬ bensperspektiven zu verorten ist. Diese Themen sind nicht zu verwechseln mit Problemstellungen, die sich im Zusammenhang mit der Frage nach der kirchli¬ chen Bindung ein aus der Sicht der Kirchen wichtiges Thema stellen. Einen Überblick über den noch nicht sehr weit entwickelten Forschungsstand bietet Feige (1992). Ähnliche Lücken existieren in bezug auf die Probleme der Sexua¬ lität im Jugendalter. Während die geisteswissenschaftliche Psychologie des Jugendalters, wie sie vor allem von Spranger (1924) erarbeitet wurde, den Prozessen der Entwicklung von Eros und Sexualität im Jugendalter eine heraus¬ ragende Bedeutung zumaß und dementsprechend differenzierte und tiefdrin¬ gende Analysen anstellte und während aus einer anderen theoretischen Grundrichtung die biologisch orientierte Entwicklungspsychologie der zwanzi¬ ger und dreißiger Jahre diesem Problembereich ebenfalls höchste Priorität einWeiterhin soll aufmerksam um - - - 36 Walter Hornstein räumte, hat die heutige Jugendforschung diesen Themenbereich weitgehend ausgeblendet (Pagenstecher 1992). Die Gründe für die Vernachlässigung dieser beiden Themenbereiche dürften bei aller Verschiedenartigkeit der Themen selbst in die gleiche Richtung weisen: Es sind in beiden Fällen Themen, an denen gesellschaftlich derzeit kein ausgeprägtes Interesse besteht. Die religiöse Entwicklung von Jugendlichen - - stellt in einer sich durch und durch säkularisiert verstehenden Gesellschaft kein relevantes Problem dar Staatsverdrossenheit, (im von Unterschied etwa zu Problemen von Politik- und Rechtsradikalismus oder Arbeitslosigkeit). Und auch Auffassungen bestimmten Ge¬ „Jugendsexualität" stellt in einer durch libertäre gesellschaftlich bedrängendes Problem dar im Unterschied zu Epochen, in denen Sexualität im ganzen, insbesondere aber im Hinblick auf Jugend, ein gesellschaftlich heftig diskutiertes Problem darstellte (vgl. z.B. Frank Wedekinds „Frühlingserwachen" und die daran sich knüpfenden „Skan¬ dale", die wir heute kaum mehr nachvollziehen können). Die beiden Beispiele zeigen, in wie starkem Maße die Themen und die Kon¬ junkturen der Jugendforschung, gerade weil sie ihre Themen realitäts- und ge¬ genwartsnah behandelt, von den öffentlichen, gesellschaftlichen Thematisierun¬ gen abhängig sind: Was relevant ist, wird dadurch weitgehend bestimmt, und die Forschung scheint damit ausgelastet, die gesellschaftlich vorgegebenen Themen zu bearbeiten. Für eine antizyklische Bearbeitung von Themen fehlen weitge¬ sellschaft kein - hend sowohl Sensibilität als auch Ressourcen 3. 3.1 Schlußüberlegungen und (Hornstein 1982). Perspektiven Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven der Jugendforschung gesellschaftlichen Wandlungsprozeß und ihre sich wandelnden Funktionen für die erziehungswissenschaftliche Reflexion im Wenn man die Entwicklung der deutschsprachigen Jugendforschung großräu¬ mig überblickt, also etwa die letzten drei Jahrzehnte ins Auge faßt, dann lassen sich einige, wenn auch sehr grob zu benennende, Entwicklungen feststellen. (1) Die wichtigste und vielleicht allgemeinste Entwicklung scheint darin zu liegen, Jugendforschung sich näher auf ihre Adressa¬ ten, die Jugend, einlassen als frühere, gleichsam objektivierende, distanzierende Formen der Jugendforschung. Wenn sich Schelsky beispielsweise in der Mitte der fünfziger Jahre daranmacht, am Schreibtisch, aus großer räumlich-lebensweltli¬ cher Distanz zum Objekt seiner Forschung heraus, souverän ein „Bild" der Nach¬ kriegsjugend, der „Skeptischen Generation" zu entwickeln, dann unterscheidet sich diese Vorgehensweise grundlegend von der Strategie eines Zinnecker, der als Prototyp für eine Jugendforschung gelten kann, die sich in ganz anderer Weise auf ihren Gegenstand einläßt, ihn zu Wort kommen läßt (vgl. den „Jugendaufruf" im Zusammenhang mit der SHELL-Studie 1985!) und dies hat Konsequenzen: Es wird jetzt sehr viel mehr und anderes ans Licht gebracht auch zur Schau gestellt, könnte man kritisch sagen -, als dies auf dem Weg über Fragebogen und Mei¬ nungsumfragen herkömmlicher Art der Fall war. daß die - neuen - Formen der - - Jugendforschung - 37 Jugendpädagogik Vergleich zu den klassischen jugendtheoretischen (1928), über Eisenstadt (1956) und Ten¬ angefangen bruck (1962) bis zu Schelsky (1957), denen es vor allem um jugendliches Ver¬ halten unter gesellschaftstheoretischen Aspekten ging (was bedeutet die Jugend es etwa vom Beginn der achtziger Jahre an stärker um für die Gesellschaft?) die konkreten jungen Menschen selbst geht, um die Art und Weise, wie sie sich, ihr Leben, ihre Zukunft sehen, wie sie die Welt, die Gesellschaft, in der sie leben, erfahren; es interessieren die Strategien, die sie bei der Bewältigung ihres Le¬ (2) Darin ist enthalten, daß im Autoren von - Mannheim - bens entwickeln und anwenden, die Orte, an denen sie sich treffen und an denen sie ihr Leben führen und wo sie in jugendkulturellen Szenen ihre eigenen Le¬ bensformen zu verwirklichen suchen. Beispiel für die hier einander gegenübergestellten Jugendforschung bietet der Vergleich zwischen dem die sech¬ Typen beherrschenden Streit um die Existenz einer eigenen jugendlichen Jahre ziger Subkultur bzw. Teilkultur (Tenbruck 1962) einerseits und den Forschungen zu jugendlichen subkulturellen Lebensformen in den achtziger Jahren andererseits (Jugendwerk der Deutschen Shell 1982). Der erstgenannte Streit kreist um die Frage, ob es so etwas wie eine eigene jugendliche Subkultur überhaupt gibt, und das wird erforscht durch sorgfältige Vergleiche der Einstellungen und Ver¬ haltensweisen der Jugendlichen mit denen der Erwachsenen. Die Forschungen zu jugendlichen Lebensstilen dagegen, wie sie prototypisch in den Shell-Ju¬ gendstudien durchgeführt wurden und deren Ergebnisse auf Hunderten von Sei¬ ten mit Dokumenten aus diesen jugendkulturellen Szenen belegt werden, stellen eine durchaus andere Art des Zugangs zum Thema Jugend dar und der Unter¬ schied könnte nicht größer sein: Auf der einen Seite wird Jugend mißtrauisch betrachtet im Hinblick darauf, welches Potential an Abweichung sich hier mögli¬ cherweise abzeichnet; auf der anderen Seite finden sich emphatisch herausge¬ ein Schlüsselbegriff der stellte Einblicke in das volle, unverstellte, authentische neueren Jugendforschung! Jugendleben. Ein besonders illustratives beiden der - - - (3) Das wird und ergänzt durch eine Differenzierung. Die neue Forschung Form der Berücksichtigung von Vielfalt Jugendliche in untersucht mehr als früher konkreten unterschiedlichen Lebenssituationen, in sozialräumlichen Kontex¬ ten, in ihren ganz unterschiedlichen Gruppierungen; das geht bis zu den biogra¬ phischen Portraits der SHELL-Studien, zu Fall-Untersuchungen, Jugend-Biogra¬ phien (in frappantem Gegensatz zu den auf Repräsentativität ausgerichteten Panorama-Studien der fünfziger und sechziger Jahre, die es natürlich auch wei¬ terhin gibt, deren Aussagekraft aber zunehmend bezweifelt wird). Damit ist auch methodisch das Vordringen eines neuen, eines qualitativen Paradigmas verbunden: Das intensive qualitative Interview, die Lebensgeschichte wird wich¬ tig. Und nicht zuletzt entdeckt die Jugendforschung die Mädchen neu, wenn es auch zutrifft, daß die Jugendforschung, vor allem hinsichtlich der von ihr prakti¬ zierten Interpretationsmuster, nach wie vor männlich geprägt ist. allgemeinen Entwicklungen, die sich heute beobachten lassen, ge¬ Jugendforschung zwar sehr viel stärker als früher mit dem Übergang von der Jugendphase zum Erwachsenenleben befaßt (im Kon¬ zept der Post-Adoleszenz dafür auch einen eigenen Begriff entwickelt hat), daß sie sich aber sehr viel weniger mit den offensichtlich ins Schwimmen geratenen (4) Zu den hört auch, daß sich die Walter Hornstein 38 Übergängen Jugendphase beschäftigt. Dabei liegt auf der Erörterungen zum „Strukturwandel" der Ju¬ gelegentlich gend angesprochen (Hornstein 1985) -, daß der ehedem durch den Eintritt der körperlichen Reifungsvorgänge bezeichnete Einschnitt sich heute erstens verfrüht und zum anderen in vielfältiger Form Ungleichzeitigkeiten Platz ge¬ Hand - von der Kindheit zur in und wird macht hat. Ergebnisse und Befunde der Jugendfor¬ spezifischen Weise Stoff für den ge¬ seUschafthchen Selbstverständigungsprozeß darstellen, wie dies ehedem sicher nicht der Fall war. Jugend wird für so gut wie alles, was gesellschaftlich relevant ist, in Anspruch genommen (Deutsches Jugendinstitut 1982). (5) Schließlich ist schung es auch neu, daß die in den letzten Jahrzehnten in einer Entwicklungen es liegt auf der Hand spiegeln sich die einschnei¬ denden Wandlungen, denen die Jugendphase als biographische Station und die soziale Lage der Heranwachsenden im Zusammenhang gesellschaftlicher Ent¬ wicklungen in den letzten Jahrzehnten unterworfen wurde; in gewisser Weise vollziehen sie diese nach. Eine wichtige Rolle spielt hier zunächst das in den Sozialwissenschaften lebhaft diskutierte Konzept der gesellschaftlichen Indivi¬ dualisierung (Beck 1986). Diesem Konzept liegt die These zugrunde, daß die In diesen - - Individuen in modernen Gesellschaften sehr viel mehr als früher auf individuel¬ Entscheidungen in Berufs-, Arbeits- und Lebensplanung angewiesen sind, vorgegebene, kollektiv geteilte Festlegungen und Handlungs¬ weisen gelten. Dies wirkt sich auch auf die innere Struktur der Jugendphase aus und führt dort zu einer „Individualisierung" und „Biographisierung" der Ju¬ gendphase; d.h.. an die Stelle vorgegebener Statuspassagen, die ehedem das Ju¬ gendalter ausmachten (im Sinne vorgegebener Übergänge vom Elternhaus in eine bestimmte Schule, von dort in einen bestimmten, festgelegten Beruf bzw. eineArbeit usw.) treten nun vom einzelnen zu leistende und zu verantwortende individuelle Entscheidungen mit allen Risiken, Unsicherheiten, Selbstzuschreibungen (Fuchs 1983). Ein anderer wichtiger Topos betrifft den Zusammenhang von gesellschaftli¬ chen Differeiraerungsprozessen und der damit verknüpften Pluralisierung jugendhcher Lebensstile; hier wird ein Konnex behauptet zwischen der offen¬ sichtlich immer weiter fortschreitenden Ausdifferenzierung der einzelnen ge¬ seUschafthchen Bereiche (also Wirtschaft, Politik, Bildung, Kultur usw.) und der gleichzeitigen Herausarbeitung ihrer spezifischen Merkmale und der Notwen¬ digkeit für das Individuum, im Prozeß des Erwachsenwerdens je auf die Unter¬ schiedlichkeit der einzelnen Bereiche bezogene Verhaltensweisen auszubilden. Es kann deshalb, in dieser Perspektive, keinen einheitlichen Verhaltenstypus Ju¬ gend mehr geben (auch dies eine neue Situation im Vergleich zu früheren Epo¬ chen, wo es immer um Generationenbilder von Jugend ging!), sondern nur noch bereichsbezogene Verhaltensstile (Ouc 1985). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird deuthch, was sich als These bzw. Fazit formulieren läßt: Die hier grob skizzierte Abfolge ist nicht zufällig, sondern sie spiegelt den historischen Gestaltwandel der Vergesellschaftungs¬ form der Jugend und der Erziehung und den Wandel in der Problemstruktur des Aufwachsens. In den jeweiligen FragesteUungen und Thematisierungen des „Gegenstandes" Jugend zeigen sich auch jeweils neue Aspekte der pädagogile daß nicht mehr Jugendforschung - Jugendpädagogik 39 Fragestellung, und jede Form der Thematisierung der Jugend enthält in spezifische Herausforderung für die Pädagogik: Die klassischen ju¬ gendsoziologischen Ansätze konfrontieren die Pädagogik mit der Frage nach ihrem Verständnis der jeweiligen Generation, nach der Brauchbarkeit des Ge¬ nerationenkonzepts für die Formulierung der pädagogischen Aufgaben (Hornstein/Lüders 1985); die Diskussion zum Strukturwandel der Jugendphase for¬ dert die Pädagogik auf, ihre latenten Vorstellungen von der Aufgabenstellung der Jugendphase, von den Strukturen der damit verknüpften Aufgaben zu über¬ prüfen; Forschungen zu Jugendkulturen und jugendlichen Lebensstilen provozie¬ ren die Frage, ob und in welcher Form Schule und Jugendarbeit auf diese Aus¬ drucksformen jugendlichen Lebens eingehen sollen, um damit näher an die Jugendlichen heranzukommen oder aber ob sie demgegenüber ihre Eigenart betonen und geltend machen sollen; sozialgeschichtliche Untersuchungen zum Aufwachsen der Jugend in unterschiedlichen historischen Konstellationen schließlich eröffnen der pädagogischen Reflexion Einsicht in die Zusammen¬ hänge zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, der geseUschafthchen Rolle und Organisation der Jugend und der damit in Zusammenhang stehenden Frage nach der Rolle und Funktion der Erziehung. Eine andere wichtige Frage, die sich ebenfalls am ehesten einer historischen Betrachtung in ihren vielfältigen Facetten erschließt, ist die Frage, in welchen „Beziehungen" erziehungswissenschaftliches Denken in seiner jeweiligen Struktur zu dem in der Jugendforschung behandelten Gegenstand Jugend steht. Es ist naheliegend, von der Vermutung auszugehen, daß sich aus unterschiedli¬ chen „Gestalten" der Erziehungswissenschaft je unterschiedliche Konstellatio¬ und damit auch unter¬ nen des Verhältnisses zum Thema Jugend ergeben schiedliche Formen der Nachfrage nach Jugendforschung. Anders ausgedrückt: Das Thema Jugend hat in verschiedenen Stadien der erziehungswissenschaftli¬ chen Reflexion einen je anderen Stellenwert, wird unterschiedlich wahrgenom¬ men und bewertet. Die Erziehungswissenschaft allgemeiner: das Nachdenken hat zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus unterschiedlichen über Erziehung Gründen ein jeweils eigenes und anderes Interesse an den Fragestellungen, Sichtweisen und Erkenntnissen der Jugendforschung (Tenorth 1992). In einer groben Skizze läßt sich sagen, daß mit Rousseau die pädagogische Reflexion eine Form annimmt, die sich ganz auf das Kind, den Jugendlichen als Adressaten der Erziehung richtet. Die Kenntnis der Entwicklungsgesetzlichkei¬ ten des Heranwachsenden, dessen, was von ihm ausgeht, ist der eigentliche Be¬ zugspunkt pädagogischen Denkens (Hornstein 1965). Ein weiterer historischer Bezugspunkt könnte die von der Jugendbewegung beeinflußte pädagogische Reformbewegung und die daraus resultierende geisteswissenschaftliche Päd¬ agogik sein. Endprodukt dieser Entwicklung ist die „Psychologie des Jugendal¬ ters" von Spranger (1924) und die darin enthaltene Konzeption einer auf die Entfaltungsmöglichkeiten und -gesetzmäßigkeiten des Jugendlichen gerichte¬ ten humanistischen Erziehung. Die heutige Situation schließlich ist bestimmt durch mindestens zwei Sachver¬ halte: zum einen durch die Ausdifferenzierung und Spezialisierung der einzel¬ nen Zweige der Erziehungswissenschaft. Sie stellt sich heute in Teildisziplinen dar, die wenig miteinander zu tun haben und wenig Bezug aufeinander nehmen. Das gilt auch für die Stellung und den „Ort" der pädagogischen Jugendforsehen sich eine - - - - 40 Walter Hornstein schung; sie stellt einen verselbständigten Zweig der Erziehungswissenschaft dar, es gibt keinen systematischen, aus der Logik der resultierenden Ort und damit Stellenwert für sie (Ben¬ Allgemeinen Pädagogik ner 1987). Die ehedem als „Allgemeine Pädagogik" firmierende Form der Ent¬ wicklung eines allgemeinen pädagogischen Gedankengangs scheint heute kaum in der Lage, diese Funktion eines einigenden Bandes zu übernehmen. Zum an¬ deren ist die heutige Situation bestimmt und dies betrifft vor allem die Aus¬ und Studiensituation durch die sehr starke Orientierung an den büdungsInstitutionen der Praxis und den dort sich stellenden Aufgaben, die die Erziehungswissenschaft als Ausbildungswissenschaft weitgehend bestimmt. Dies führt zu dem am Beginn dieser Überlegungen konstatierten Sachverhalt, daß nämlich Jugendtheorie vom Konzept der meisten Ausbildungsgänge her un¬ berücksichtigt bleibt. Institutionenorientierung drängt die Aufmerksamkeit auf die „Adressaten" der pädagogischen Bemühungen zurück. Im Vordergrund ste¬ hen die Fächer und Lernaufgaben der Schule, die Verfahren und Methoden der Jugendarbeit und weniger die Vermittlung von Zugängen zu den Problemen und Bedürfnissen der Adressaten der pädagogischen Bemühungen. ist als solcher anerkannt, aber - - 3.2 Die Rolle der Pädagogik bei der Konstituierung und Modellierung der Jugendphase Jugend in ihren konkreten Erscheinungsformen und Verhaltensweisen ist, zu¬ gesellschaftlicher Entwicklungen und Verhältnisse; sie ist aber immer wieder auch wenngleich in historisch sich wandelnden Formen und in unterschiedlicher Intensität Produkt ihrer eigenen Geschichte. Jugend hat nicht nur ihre Geschichte, sondern sie macht sie auch (Gillis 1980). In allen diesen Prozessen der Konstituierung und Modellierung der historischen Er¬ scheinungsformen der Jugend spielt aber auch die Pädagogik eine Rolle. Aber selbstverständlich ist das, was die Pädagogik für die Konstituierung, gesellschaft¬ liche Organisierung und Behandlung der Jugend beiträgt, in höchstem Maße selbst geschichtlich bedingt, sieht von Epoche zu Epoche anders aus, enthält jeweils zeitgebundene Momente, Strategien, ist in unterschiedlicher Weise in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Immer aber zielt Päd¬ agogik auf Gestaltung und Modellierung der Jugendphase, auf das, was bezüg¬ lich Jugend sein soll, entwickelt Bilder von einem wünschenswerten Zustand der Jugend und von ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung; mit anderen Worten: Pädagogik ist an der Produktion von Jugend beteiligt, nächst vor allem Produkt - - - indem sie, vor allem in der erzeugt und als Leitbilder ling"; s. Hornstein 1965); - pädagogischen Handelns vorstellt (z.B. den „Jüng¬ indem sie halt füllt Jugend-Institutionen begründet, legitimiert, mit pädagogischem In¬ (s. dazu Sprangers „Psychologie des Jugendalters" [1924] als Legiti¬ mation des humanistischen - Neuzeit, beginnend mit Rousseau, Jugendbilder indem sie Normen Gymnasiums); dessen, was „jugendgemäß" ist, entwickelt, geltend macht, durchzusetzen versucht (s. dazu die Auseinandersetzung zwischen Schelsky und Flitner zur Frage, was „jugendgemäß" ist; Flitner 1963); Jugendforschung - indem sie - - in verschiedenen Formen Erkenntnisse über begründen 41 Jugendpädagogik und zu als pädagogische Jugendforschung gewinnen sucht, die pädagogisches Handeln zu unterstützen geeignet sind. Jugend zu In allen diesen Formen wirkt Pädagogik im 20. Organisation der Jugend - mit am Prozeß der gesellschaftlichen Jahrhundert, und sie übt darin bestimmte gesell¬ aus: Ihr Beitrag läßt sich immer danach befra¬ gesellschaftlich-politischen, ökonomischen Interessen welcher Gruppen die Pädagogik jeweüs dient, wessen „Aufträge" sie ausführt; befragen läßt sie sich auch hinsichtlich ihrer Funktion für die Entstehung und Aufrechter¬ haltung des Mythos Jugend; schließlich läßt sich fragen, welche spezifischen, also pädagogikeigenen Impulse bezüglich Jugend zum jeweiligen historischen Zeit¬ punkt in die gesellschaftliche Diskussion und Praxis gebracht werden. schaftlich relevante Funktionen gen, 3.2.1 welchen Jünglingspädagogik - Lehrlingspädagogik - Jugendlichenpädagogik Zeitpunkt die abge¬ Jünglings-Pädagogik ergänzt löst wird durch eine jugendfürsorgerische Konzeption des Jugendlichen, die ihn als gefährdet, als des Schutzes und der Hilfe bedürftig erkennt und entsprechen¬ de fürsorgerische, beschützende, kontrollierende Maßnahmen entwirft (Roth 1983). Peukert (1984) hat in entsprechenden Untersuchungen diese Prozesse aufgezeigt. Zweitens kann man feststellen, daß es eine auf den Lehrling gerichtete Be¬ strebung gibt, diesen als positives Bild gegenüber dem als venoht, gefährdet, abweichend definierten Jugendlichen positiv zu stilisieren und zu modellieren. Im Zusammenhang damit steht, wie Stratmann (1992) gezeigt hat, die Entwick¬ lung der Berufsschule und der Berufsbildung als Mittel der politischen Diszipli¬ nierung und Stabilisierung sozialer Ordnung gegen die heraufkommende Indu¬ striegesellschaft! Die geforderte Entwicklung der Berufsschule soll nicht nur der Verbesserung der Berufsausbildung dienen, sondern vor allem der Erzeu¬ ein gung staatsloyaler Gesinnung und der Erhaltung der tradierten Ordnung Beispiel auch dafür, daß es Situationen gibt, in denen Probleme als „Jugendpro¬ blem" definiert werden, die sich in Wirklichkeit aus Diskrepanzen und Wider¬ sprüchen des Modernisierungsprozesses ergeben. Sie werden zu „Jugend"-Problemen umdefiniert, dadurch zu Disziplinproblemen umformuliert und so einer pädagogischen Bearbeitung zugänglich gemacht. Für die Zeit um 1900 läßt sich erstens festzustellen, daß zu diesem bzw. auch bis dahin das Feld beherrschende - 3.2.2 Jugendbewegung Pädagogische Reformbewegung Pädagogische Praxis - Die - von der Jugendbewegung be¬ Pädagogische Reformbewegung bringt ein neues Verständnis der Jugend hervor. In diesem schwingt und animiert neuen Jugendbild spielen Momente wie Selbstbestimmung, Kreativität, Ge¬ meinschaftsgefühl, Enthusiasmus eine große Rolle. Dieses neue Jugendbild be¬ einflußt sowohl die pädagogische Theorie (W Flitner, H. Nohl, E. Spranger) - - Walter Hornstein 42 pädagogische Praxis. Vor allem auf dem Weg über Sprangers „Psychologie des Jugendalters" (1924) nimmt diese Konzeption des Jünglings¬ alters ihren Weg in die Praxis. Sie wird entwickelt vor dem Hintergrund der Jugendbewegung, der Romantik und des von ihr und der Jugendbewegung entwickelten Jugendbildes. Indem auf der Grundlage einer „verstehenden Psy¬ chologie" die psychosozialen Reife- und Entwicklungsprozesse der Jugend¬ phase dargestellt werden, ist auch zugleich die „Pädagogik" mitgeliefert, denn deren Handlungsmaximen ergeben sich aus dem verstehenden Nachvollziehen der Reifeprozesse, ja sind damit identisch. So entwickelt sich unter weitgehen¬ der Ausblendung der proletarischen und kleinbürgerlichen Jugend eine klar modellierte, auf die Jünglingskonzeption bezogene Vorstellung von der Ju¬ gendphase. Sie ist seit Rousseau bestimmt durch den Gedanken des „Schon¬ raums", der gleichsam einen „Schein" der Freiheit vermittelt, durch den Ge¬ danken des Freiraums, in dem Jugendliche die Rebellion gegen Autoritäten proben können; dieser Freiraum bietet die Möglichkeit für aggressive Entla¬ dung und idealistische Schwärmerei, und diese Konzeption bietet schließlich auch die Begründung dafür, daß die Beteiligung der Heranwachsenden an Kultur und Politik vom Grad der Reife abhängt, der in den Entwicklungspro¬ zessen des Jugendalters erworben wird. In einer rückblendend-kritischen Sicht läßt sich dann gerade an diesem Bei¬ spiel eine wichtige Funktion derartiger pädagogischer Konzepte beobachten; sie bleiben voll im Mythos Jugend befangen, d.h. durchschauen nicht, daß diese Form der gesellschaftlichen Konstruktion der Jugend vor allem Ausfluß ihrer Überbürdung mit den nicht gelösten Problemen der Vätergeneration war (v. Bühler 1990; Dudek 1990). als auch die 3.2.3 Jugendpädagogik Jugendforschung im Zeitalter von (sozialwissenschaftlicher) Pädagogik für die Modellierung gegenwärtige Situation. Sie ist dadurch charakterisiert, daß gegenwärtig, im Zeitalter einer die öffentliche Meinungs¬ bildung stark beeinflussenden vor allem soziologischen Jugendforschung, Die dritte Illustration der Jugendphase zur Frage der Rolle der bezieht sich auf die - - pädagogisches Argumentieren in bezug auf Jugend vorwiegend in der Ausein¬ andersetzung mit den Ergebnissen und Sichtweisen dieser Forschung erfolgt (s. dazu im gleichen Sinn Tenorth 1992). Als prototypisch für diese Konstel¬ lation kann die Auseinandersetzung A. Flitners, des Pädagogen, mit seinem Kontrahenten H. Schelsky, dem Soziologen, über Schelkys Buch „Die skep¬ tische Generation" (1957) angesehen werden. Flitner antwortet darauf mit einer kritischen Darstellung der „Soziologischen Jugendforschung" (Flitner 1963). Im Mittelpunkt der Kontroverse steht der Streit über das Jugendgemä¬ ße. Flitner besteht gegen Schelsky auf Sinnhaftigkeit, Berechtigung und em¬ pirischer Vorfindbarkeit eines jugendgemäßen und jugendspezifischen „Schon¬ raums" (was Schelsky als ideologisch und historisch-gesellschaftlich überholt ablehnt). Zentrale Kategorien einer pädagogischen Jugendtheorie wie „Ju¬ gendraum" (aber auch „Jugendbildung") werden in Auseinandersetzung mit der soziologischen Darstellung erörtert. Mit dieser Kontroverse ist ein Muster Jugendforschung für die Art Jugend Eine - 43 Jugendpädagogik entstanden, in der „Pädagogik" sich in den letzten Jahrzehnten auf bezieht. später auftretende Variante dieses Musters besteht in der Begründung Etablierung einer pädagogischen Jugendforschung, die sich explizit als päd¬ agogische versteht und sich von einer allgemein sozialwissenschaftlichen ab¬ grenzt. Ein Beispiel dafür bildet die Begründung und Etablierung des DFGSchwerpunkt-Programms „Pädagogische Jugendforschung" zu Beginn der 80er Jahre (Darstellung und Bilanzierung dieses Programms bei Hornstein 1989 a). Die Abgrenzung erfolgt gegenüber einer Sichtweise, die primär nach der gesell¬ schaftlichen Funktion der Soziahsationsform Jugend fragt, die gleichsam von „außen" auf die Jugend und ihren gesellschaftlichen Ort blickt und die die Ju¬ gend lediglich als notwendiges Resultat der Modernisierung betrachtet. Statt dessen werden als charakteristisch für ein pädagogisches Forschungspro¬ gramm angesehen: die Beachtung der Problemsicht und Deutungsmuster der Jugendlichen selbst; die Bezugnahme auf Probleme des pädagogischen Han¬ delns sowie die Beachtung der Verständigungsprobleme zwischen den Genera¬ tionen. Die pädagogische Sichtweise fragt also nicht primär nach der gesell¬ schaftlichen Funktion der Soziahsationsform Jugend, nach ihrem notwendigen Gestaltwandel als Folge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, sondern sie fragt vor allem nach dem emanzipativen Gehalt und den emanzipativen Möglichkeiten der historisch sich wandelnden Formen von Jugend im geschicht¬ lichen Entwicklungsprozeß (Hornstein 1989 a). Diese Sichtweise setzt allerdings die Einsicht in das „Doppelgesicht" der Mo¬ und dafür derne voraus, die sowohl technologische Modernisierung darstellt Jugend in einer bestimmten Weise in Anspruch nimmt! als auch einen Prozeß in dem Jugend dann auch in einer anderen Sichtweise sozialer Emanzipation letzteren In erscheint. diesem Zusammenhang erscheint Jugend als Teil eines historischen Emanzipationsprozesses, wie er sich in den sozialen Kämpfen und sozialen Bewegungen gegenwärtig in den „neuen sozialen Bewegungen" (Brand 1982) niederschlägt. Auch das wäre eine Perspektive für die Darstel¬ lung der Geschichte der Jugend im 20. Jahrhundert: zu zeigen, wie sich in den historisch sich wandelnden Formen des Jugendlebens Chancen und Risiken, Einschränkungen und Möglichkeiten von Emanzipation und Selbstbestimmung eröffnen. Wenn in der gegenwärtigen Jugendforschung Konzepte wie Biogra¬ phie, Lebenslauf, Lebenswelt, Subjekt eine Rolle spielen, dann läßt sich dieser Sachverhalt einer solchen auf Emanzipation und Autonomisierung gerichteten Perspektive zuordnen. und - - - - - 3.3 Wozu Jugendforschung - heute? Abschließend soll die eingangs formulierte Frage nach dem Nutzen der Jugend¬ forschung für die Pädagogik, und zwar sowohl für die Praxis als auch für die erziehungswissenschaftliche Reflexion, noch einmal aufgegriffen werden. Dies soll unter zwei Gesichtspunkten geschehen: (1) im Zusammenhang mit der Dis¬ kussion zum „Ende der Jugend" (v. Trotha) und zum „Ende der Erziehung" (Giesecke); (2) hinsichtlich der Funktion, die die Jugendforschung für die erzie¬ hungswissenschaftliche Reflexion haben kann. Walter Hornstein 44 3.3.1 „ Ende der Jugend"? - „ Ende der Erziehung"? Die Diskussion zum erstgenannten Punkt verfolgt die These, daß die gesell¬ Organisationsform der Sozialisation, die wir mit dem Wort „Jugend" bezeichnen und die mit dem Beginn der Industrialisierung aus gesellschaftli¬ chen Notwendigkeiten „erfunden" wurde, heute an ihr Ende gekommen sei. Entscheidend sei dafür, daß die zentralen gesellschaftlichen Voraussetzungen für Jugend heute nicht mehr vorhanden seien: Das betrifft im wesentlichen die Forderung und Programmatik einer von Sexualität ferngehaltenen Jugend, fer¬ ner den Wegfall des Unterschieds zwischen vorbereitendem Lernen als Merk¬ mal des Jugendstatus und der Lebensform des Erwachsenen (die im Zeitalter lebenslangen Lernens obsolet geworden sei) und schließlich die Tatsache, daß die Aussperrung der Jugend aus politischer Mitsprache durch die Mitbestimmungs- und Beteiligungsansprüche der Jugend hinfällig geworden sei (v. Trotha 1982). Wenn es aber keine Jugend mehr gäbe, dann brauchte es auch keine Ju¬ gendforschung, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn des Wortes, mehr zu geben, und es ist durchaus konsequent im Sinne dieser Argumentation, wenn Rutschky (1985) die Entbehrlichkeit, ja sogar die Schädlichkeit einer Jugend¬ forschung behauptet, die unter diesen Umständen keine andere Funktion mehr habe, als die Kontrolle der Jugend, wie sie durch die Institutionen des Büdungsund Ausbildungswesens schon genügend wahrgenommen werde, unnötiger- und schaftliche schädlicherweise noch zu verstärken. Sichtweisen und den damit Gegenüber derartigen verknüpften Folgerungen allerdings als erstes die Tatsache ins Feld zu führen, daß es noch keine histo¬ rische Epoche gegeben hat, in der „gesellschaftlich", also von dem her, was in Institutionen, Regelungen, Strukturen usw. geltend gemacht wurde, so stark die Kategorie Jugend in Anspruch genommen wurde wie heute. Noch nie sind so viele Heranwachsende für so lange Zeit in Institutionen vorbereitenden Ler¬ nens zusammengeführt und für so lange Zeit aus der Erwachsenengesellschaft ausgegrenzt worden, wie dies gegenwärtig der Fall ist. Das gesellschaftliche Pro¬ gramm Jugend, das sich auf die Formel „Integration durch Separation" bringen läßt, ist also noch nie in so starkem Maße gesellschaftlich und politisch geltend gemacht worden. Allerdings gab es auch noch nie eine so starke. Diskrepanz zwischen dem, was man in diesem Sinne das gesellschaftliche Programm „Ju¬ gend" nennen könnte und von dem sich Politik und gesellschaftliche Institutio¬ ist nen weiterhin leiten lassen, und der Selbstdefinition und Lebenswelt der Ju¬ gendlichen. Jugend als Lebensform ist also heute vor allem durch das Moment grundlegender Widersprüchlichkeiten bestimmt, und diese stellen die primäre Aufgabe der Jugendforschung dar. Sie lassen sich, knapp skizziert, auf folgenden Ebenen beschreiben: (1) Auf der Ebene rechtlicher Definitionen und Festlegungen entsteht ein Wi¬ derspruch dadurch, daß die rechtliche Ausgestaltung des Jugendstatus in Geset¬ zen und Regelungen der verschiedensten Art nur teilweise der gesellschaftli¬ chen Ausweitung und fortschreitenden Verlängerung des Jugendstatus durch verlängerte Ausbildung parallel läuft, und zwar nur insofern, als die faktische Ausgliederung der Heranwachsenden aus der Erwachsenenwelt zum Zwecke vorbereitenden Lernens und zum Schutze vor der Ausbeutung der jugendlichen Jugendforschung - Jugendpädagogik 45 lange Zeit mit Prozessen der rechtlichen Sicherstel¬ Jugendraums synchronisiert ist. Das Alter für den Berufseintritt wird lung heraufgesetzt, die Vollzeitschulpflicht wird verlängert. Aber dann setzt eine ge¬ genläufige Bewegung ein: Spätestens seit der Mitte der siebziger Jahre gibt es eine allmähliche Rückwärtsbewegung, indem z.B. die Volljährigkeitsgrenze von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt worden ist. Auf eine verkürzte Formel gebracht, heißt dies, daß zumindest tendenziell rechtlich kulturelle Selbständigkeit und Erwachsenheit einer mit der Ausdehnung der Ausbildungsgänge einhergehen¬ den verlängerten ökonomischen Abhängigkeit kontrastreich und widerspruchs¬ Arbeitskraft zunächst für dieses voll gegenübersteht. Jugendsituation zeigt sich aber auch und hier mit besonderer Dramatik und Brisanz auf einer qualitativen Ebene: Jugend ist traditionell inhaltlich bestimmt durch die Momente der Vorbereitung auf zu¬ künftige Anforderungen, durch Bedürfnisaufschub im Hinblick auf spätere, aber jetzt schon einigermaßen als sicher feststehende Gratifikationen. Von da¬ her erhalten auch die Jugend-Institutionen traditionellerweise ihren Sinn; sie verkörpern in ihrem vorbereitenden Charakter ein Versprechen für die Zukunft (wenn du dich jetzt anstrengst, wirst du in der Zukunft dafür belohnt werden). Dieser innere Sinn des Jugendalters ist heute weitgehend fragwürdig geworden. In der betonten Gegenwartsorientierung, die dem Prinzip „Leben ist jetzt!" folgt, in der immer weiter ins Unsichtbare entschwindenden Erwachsenenwelt (2) Die Widersprüchlichkeit der - - daran, ob die Merkmale des Erwachsenenlebens wirklich so in all dem deutet sich an, daß der Mechanismus, der die die klassische Form von Jugend darstellt, nicht mehr ohne für Voraussetzung weiteres funktioniert. Dies bedeutet, daß einer gesellschaftlich erzwungenen und im Zweifel erstrebenswert seien formalen - Ausweitung der Jugendphase eine innere Aushöhlung, ja Zerstörung des Gehalts, des Sinns des Jugendalters konespondiert; und zwar vor allem des¬ halb, weil die Zukunftsbezogenheit dieses Konzepts in der Erfahrung vieler Ju¬ gendlicher fragwürdig geworden (3) Schließlich lassen sich ist. Widersprüchlichkeiten auch noch auf einer dritten Jugendphase heute in star¬ Individualisierungserfahrungen (Beck 1986) belastet ist. Auf der einen Seite stellt Individualisierung unter modernen Bedin¬ gungen ein wesentliches Moment der Jugendphase dar: Das Jugendalter ist die Lebensphase, in der der Jugendliche seinen Lebensentwurf selbst erarbeiten, sein Leben in die eigene Regie nehmen muß. Statt gesellschaftlich vorgegebener Muster des Lebensablaufs geht es um die individuelle Gestaltung der Biogra¬ phie. Diese Situation enthält einerseits den Imperativ zur Selbstgestaltung, zur Verwirklichung eines Stücks eigenen Lebens, enthält auch das Versprechen auf Selbstbestimmung und Autonomie. Auf der anderen Seite stößt diese Ambition an vielerlei Grenzen. Die gleiche Gesellschaft, von der der Druck auf Individua¬ lisierung ausgeht, raubt dem Individuum in starkem Maße die Voraussetzungen soziokultureller Art, die für die Ausbildung und Realisierung einer individuellen Lebensplanung notwendig wären. Grenzen liegen auch in den fehlenden, ge¬ minderten oder ungesicherten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ferner in den objektiven Lebensbedingungen, denen sich Heranwachsende ausgesetzt sehen, aber auch in den Grenzen der subjektiven Gestaltungsmöglichkeiten und SpielEbene konstatieren. Sie haben damit kem Maße mit der Ambivalenz der zu tun, daß die Walter Hornstein 46 räume, wie sie als gebracht Diese oder werden Ergebnis der familialen Sozialisation (Bilden/Diezinger 1984). in die Jugendphase mit¬ Skizze zeigt, daß gegenwärtig keinesfalls vom „Verschwinden" „Ende" der Jugend die Rede sein kann, sondern vielmehr von einer grobe vom widerspruchsvoll strukturierten Jugendphase. Die verknüpften Konfliktkonstellationen, die demgegenüber von den Jugend¬ lichen in Anschlag gebrachten Strategien der Bewältigung und des Umgangs mit diesen Strukturen, die „Wege" und „Auswege", die Jugendliche angesichts all dies zu untersuchen erscheint als wichtige Aufgabe dieser Situation wählen der Jugendforschung. besonders konflikthaft und damit - 3.3.2 Die Funktion der liche Jugendforschung für die erziehungswissenschaft¬ Reflexion Erziehungswissenschaftliche Reflexion, die sich mittels der Ergebnisse der Ju¬ gendforschung auf ihren „Gegenstand": die heranwachsende Generation, deren Lage und Befindlichkeit, bezieht, kommt so in einer spezifischen Weise in Ver¬ bindung zur konkreten geschichtlichen Situation, in der Erziehung stattfindet. Zugleich ergibt sich aus dieser Bezugnahme auch Substanz und Inhalt für die Reflexion ihrer gesellschaftlichen Funktion; und dies vor allem dadurch, daß die und an diesem wirkt Rolle der Jugend im Prozeß kultureller Transformation in den Gesichtskreis der Aufmerksamkeit gerät. die Erziehung mit - - (1) In den Befunden der Jugendforschung, soweit sie empirische Daten über Befindlichkeit, Probleme, Orientierungsmuster, Sichtweisen und Erwartungen der nachwachsenden Generation zum Gegenstand haben, liegt für die erzie¬ hungswissenschaftliche Reflexion ein über die individuellen Erfahrungen von einzelnen Praktikern hinausgehendes „Material" vor, das in der reflektierten Verarbeitung dem Praktiker einen Rahmen anbietet, in dem und angesichts des¬ sen er seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen relativieren, einordnen und verorten kann. Wissen dieser Art vermag insofern auch zur Entlastung von der Tendenz zur Selbstzuschreibung in dem Sinne beizutragen, als beispielsweise Forschungsergebnisse zur Verbreitung jugendspezifischer und zeitspezifischer Verhaltensweisen bei den Jugendlichen die Erfahrungen des Scheiterns oder auch schon Schwierigkeiten im Umgang mit den Jugendlichen verstehbarer ma¬ chen, ohne die Gründe für das Scheitern ausschließlich bei sich selbst zu suchen. (2) Dieser Nutzen der Jugendforschung für die Praxis ist um so größerje mehr die Befunde der Jugendforschung verknüpft sind mit theoretischen Perspektiven, die den Zusammenhang von Jugendphänomenen und gesellschaftlichen Entwick¬ lungsprozessen verdeutlichen. Jugendtheorie vermittelt Einblick in die Zusam¬ menhänge dieser Art und erlaubt so auch die Einordnung des eigenen pädagogi¬ schen Handelns in diesen Kontext. Dies bezieht sich vor allem auf die Frage, in welcher Form die Auseinandersetzung der nachwachsenden Generation mit der überlieferten Kultur und der darin stattfindende Transformationsprozeß den ge¬ sellschaftlich-kulturellen Prozeß verändert und mitgestaltet (Erdheim 1984). Da¬ mit wird das pädagogische Handeln in einen kulturellen Zusammenhang gestellt. Jugendforschung (3) Die - 47 Jugendpädagogik systematische, beiläufig illustrierende Einbeziehung pädagogischen Bemühungen, wie sie mit Hilfe also nicht Blicks auf die Adressaten der nur des der Jugendforschung möglich ist, rücken auch Rolle und Selbstverständnis des Er¬ in ob in der Schule oder in außerschulischen pädagogischen Feldern ziehers - - ein neues Licht, ja vor allem: zwingt zu einer Überprüfung gängiger Vorstellun¬ gen von Rolle und Aufgabenstellung des Erziehers. Aus der genaueren Kenntnis der Befindlichkeit der Heranwachsenden, aus der Kenntnis der Aufgaben- und geschichtlichen Wandel ergeben sich bezug auf das, Erwartungen wird z.B. die Für deutlich, daß Gegenwart verkörpern. Problemstruktur der Jugendphase in ihrem auch die Bedürfnisse und was von Lehrer und Erzieher der der Heranwachsenden in Erwartungs- und Bedürfnisstruktur der Heranwachsenden her heute „Zeitgenossenschaft" und nicht nur reines Expertentum gefragt sehr viel mehr ist, Lehrer also, die sich nicht hinter ihrem Fachwissen verstecken, sondern die im pädagogischen Kommunikationsprozeß zu erkennen geben, daß sie ange¬ geschichtlichen Situation in die gleichen Probleme verwickelt sind wie sichts der die Heranwachsenden. Pädagogisches Handeln, ob in der Schule oder in anderen pädagogischen Fel¬ dern, geschieht heute unter Bedingungen, die gelegentlich auf den zusammen¬ fassenden Begriff der „sekundären Modernisierung" gebracht werden. Gemeint ist damit, daß die Moderne sich selbst zum Gegenstand und „Problem" gewor¬ den ist und diese Problematisierung sich auch in einer überbordenden sozialwis¬ senschaftlichen Produktion zur Gegenwartsanalyse, ihren Problemen usw. nie¬ derschlägt. Kaum irgendwo ist die Realität als solche zugänglich und erfahrbar, sondern stets erscheint sie im Spiegel medialer Vermittlung. In dem Bereich, um den es hier geht, zeigt sich dieses Phänomen darin, daß die Allgegenwart publi¬ zistisch verbreiteter Jugendbilder, wie sie sich aus den unzähligen Jugendstudien ergeben, unvermeidlich auch die Wahrnehmung der leibhaftig Heranwachsen¬ den mitbestimmt. Daraus ergibt sich die Aufgabe für die erzieherisch Tätigen, sich gegen die unkritische Übernahme der medial vermittelten Jugendbüder qua öffentlich gemachter Jugendforschung zur Wehr zu setzen. Der Erwerb der Fähigkeit, Reichweite, Möglichkeiten und Grenzen der Jugendforschung in ih¬ ren vielfältigen Facetten zu beurteilen, gehört daher zu den grundlegenden Kompetenzen pädagogischer Professionalität heute. 4. Literatur Allerbeck, K./Hoag, W.: Jugend ohne Zukunft! Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektiven. München 1985. Baacke, D.: Sozialökologische Ansätze in der Jugendforschung. In: Krüger 1992, S. 135-157. Baacke, D.: Jugend und Jugendkulturen. Weinheim 1987. Bastian, J./Gudjons, H. (Hrsg.): Das Pädagogik-Studium. Weinheim/Basel 1993 Beck, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M. 1986. Becker, H., u. a.: Unterschiedliche Sozialräume von Jugendlichen in ihrer Bedeutung für pädagogi¬ sches Handeln. In: Zeitschrift für Behnken, I., u.a.: Pädagogik 30 (1984), S. 499-519. Jugendliche im Prozeß der Vereinigung. Schülerstudie '90. Weinheim/München 1991. Benner, D.: Allgemeine Pädagogik. 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