Modul 12: Entspannung - Frieden

Krieg und Flucht im Unterricht
Biographische Zugänge und didaktische Materialien
Verena Brenner
Diese Publikation ist das Ergebnis des seitens des Staatsministeriums Baden-Württembergs geförderten
Projektes „Aktuelle Kriege als Unterrichtsthema“. Das Projekt fand unter der Leitung von Uli Jäger, Programme Director Peace Education & Global Learning der Berghof Foundation statt. Projektmitarbeiterin
war Verena Brenner, von 2012 bis 2014 Project Manager bei der Berghof Foundation. Das Projekt und die
Erstellung der vorliegenden Broschüre wurden von einer Beratungsgruppe und weiteren Expertinnen und
Experten unterstützt (siehe S. 5).
Verena Brenner (2014): Krieg und Flucht im Unterricht. Biographische Zugänge und didaktische Materialien.
© 2014 Berghof Foundation Operations GmbH
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-941514-15-7
Layout: Edenspiekermann, Christoph Lang
Bildnachweise: Carsten Stormer / Zeitenspiegel Reportagen, S. 36–38; alle weiteren Fotos: privat
Cartoons: Burkard Pfeifroth, S. 30
Titelbild: Syrische Flüchtlingen in Jordanien. Sascha Montag / Zeitenspiegel Reportagen
Entspannung: Übungen bei Belastungen
12 Entspannung: Übungen
bei Belastungen
Entspannungs- und Körperübungen bieten oft eine effektive und leicht anwendbare Möglichkeit, einen
gewissen Abstand zu belastenden Erlebnissen und Erinnerungen zu bekommen und sich zu beruhigen.
Entspannungsübungen nutzen die menschliche Vorstellungskraft und die Fähigkeit durch bewusste Atmung oder Muskellockerung eine tatsächliche Entlastung und vorübergehende Erholung zu erreichen.
Die folgenden Übungen und Tipps haben sich auch im Schulkontext bewährt. Sie sind nicht nur für
traumatisierte Schülerinnen und Schüler hilfreich, sondern für die ganze Klassengemeinschaft. Insbesondere dann, wenn im Unterricht über Themen wie Krieg, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen usw. gesprochen wird, können solche Übungen als Ein- oder Ausstieg in die Unterrichtsstunde für Entlastung sorgen.
Die Übungen helfen, sich auf stärkende Vorstellungen zu fokussieren und eigene Ressourcen zu nutzen.
Vorschlag für den Unterricht
Fantasiereise 1: Am Strand
Setz dich entspannt und aufrecht hin, sodass dein Kopf ohne Mühe vom Oberkörper getragen wird oder
lege ihn auf deine Arme, die auf der Tischplatte ruhen. Mache es dir bequem. Wenn du möchtest, schließe
die Augen. Du kannst sie aber auch offen lassen. Lehne dich an die Wand oder Stuhllehne an, wenn du das
möchtest. Lass deine Schultern ausatmend fallen. Deine Hände kannst du entspannt in den Schoß oder
auf die Oberschenkel legen. Deine Füße stehen fest auf dem Boden. Spüre, dass der Stuhl und der Boden
dich sicher halten. Wenn du im Laufe der Übung etwas an deiner Position verändern möchtest, kannst du
das jederzeit tun, ohne die anderen zu stören.
Konzentriere dich jetzt auf deinen Atem. Nimm wahr, wie die Luft durch deine Nase ein- und wieder
ausströmt. Wenn dir das angenehm ist, lege eine Hand auf den Bauch und spüre, wie sich deine Bauch­
decke hebt und senkt, während du atmest. Mit jedem Einatmen strömt frische Energie in deinen Körper.
Stell dir vor, dass du mit jedem Ausatmen etwas Stress und körperliche Anspannung ausatmest.
Stelle dir nun vor, du bist am Meer und der Strand ist genau so, wie er dir heute gefällt. Du spürst den Sand
oder die Kiesel unter deinen Füßen. Vielleicht sind da auch Muscheln oder Felsen. Vielleicht geht da ein leichter
Wind, den du auf der Haut spürst. Nimm die Gerüche und Geräusche um dich herum wahr, den Salzgeschmack
auf deinen Lippen und genieße den weiten Horizont. Vielleicht sind da Wellen, die du an den Strand spülen
hörst. Vielleicht ist das Meer auch ganz ruhig. In deiner unmittelbaren Nähe siehst du Felsen. Du läufst dorthin.
In den Felsen gibt es Höhlen, Einbuchtungen und Mulden. Du suchst dir eine besonders sichere und geschützte
Stelle aus. Hier kannst du alle deine Sorgen, die du täglich mit dir trägst, für eine Weile wie Gepäck ablegen.
Tipps zur Weiterarbeit
Entkrampfung wird nicht immer als angenehm erlebt, vor allem dann nicht, wenn sich in der Anleitung zu
Ruhe und Gelassenheit Erinnerungen, Körperempfindungen oder unterdrückte Emotionen aufdrängen.
Daher ist es wichtig, stets jeder Person frei zu stellen, ob, wie lange und in welcher Weise sie sich an einer
solchen Übung beteiligen will oder nicht.
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Entspannung: Übungen bei Belastungen
Alles was dich beschwert, legst du dorthin, als hättest du das, was dich bisher belastete, wie einen Rucksack mit
dir geschleppt oder wie unsichtbare Gewichte. Heute legst du das alles für eine Weile an den sicheren Ort. Du
kannst die Sachen auch zudecken oder eingraben. Später wirst du die Stelle leicht wiederfinden.
Wenn du alles gut verstaut hast, gehst du zum Meer. Das Wasser hat eine angenehme Temperatur.
Vielleicht möchtest du deine Füße nur ein wenig von den Wellen überspülen lassen, vielleicht hast du aber
auch Lust kraftvoll hinaus zu schwimmen, unterzutauchen oder dich auf dem Wasser treiben zu lassen.
Spüre das Wasser an deiner Haut und deine wunderbar unbefangenen Bewegungen. Fühle, wie frei du hier
bist. Du genießt das unbeschwerte und erfrischende Bad.
Erholt kehrst du zurück an den Strand und schlenderst zu der Stelle, an der du zuvor dein Gepäck
abgelegt hast. Du entscheidest, was davon du wieder mitnehmen möchtest oder ob du etwas hier zurück
lassen willst. Du kannst jederzeit zu diesem Ort zurückkommen und wieder etwas zu dir nehmen, was du
hier deponiert hattest oder noch mehr hier ablegen, wenn dir danach ist.
Falls du etwas hier lassen möchtest, überlege, wie dir das am liebsten ist. Soll es offen in der Sonne
liegen und sich allmählich auflösen? Willst du es verpacken, verstecken, vergraben? Falls du alles wieder
mitnehmen möchtest, kannst du es in deiner Vorstellung auch kleiner oder handlicher zaubern.
Niemand außer dir kommt hierher, weil dieser Ort in deiner Vorstellung ist, in dir selbst. Aber du
kannst jederzeit hierher zurückkehren.
Du gehst denselben Weg, den du gekommen bist, wieder über den Strand zurück. Vielleicht möchtest
du dich noch mal umschauen, noch einmal die frische Meerluft tief einatmen. Lausche zum Abschied
den Wellen, den Möwen und den Geräuschen der Natur. Spüre den festen Boden unter deinen Füßen und
bemerke, wie aufrecht und wie viel befreiter du dich bewegst. Bemerke, wie du dich jetzt fühlst. Ganz allmählich lässt du das Bild des Meeres in deiner Vorstellung verblassen.
Allmählich nimmst du deine Umgebung hier im Klassenzimmer wieder wahr. Spüre dich wieder deutlich sitzend und liegend auf deinem Stuhl, der dich trägt. Lass dir Zeit. Bemerke deinen Atemrhythmus
und wie es dir jetzt gerade geht. Hat dir die Vorstellung, am Meer zu sein, wohl getan? Falls du deine Augen
geschlossen hattest, öffnest du sie jetzt wieder. Bewege zuerst deine Finger und deine Zehen, dann räkle,
strecke und dehne dich, ganz nach deiner Lust und Laune. Atme kräftig durch, wenn dir danach ist und
lass dir ein wenig Zeit, bis du dich wieder im Zimmer umschaust und mit den anderen redest. Vielleicht
willst du dir auch lieber zuerst etwas aufschreiben oder malen, was du dir vorgestellt hast.
Fantasiereise 2: Im Baumhaus
Vor deinem inneren Auge siehst du große, kräftige Bäume mit einem gesunden, mächtigen Baum dabei,
der dir ganz besonders gut gefällt. Du entdeckst, dass im Baum ein Baumhaus ist oder so etwas wie ein großes Nest oder eine gemütliche Baumhöhle. Das wartet auf dich. In deiner Vorstellungswelt bist du absolut
sicher. Auch dein kräftiger Baum steht stabil und tief verwurzelt.
Zuerst machst du dich vertraut mit deinem besonderen Baum und nutzt dazu alle deine Sinne. Vielleicht ertastest du seine Rinde, schnupperst daran oder an den Zweigen, die herunter hängen. Falls es
Früchte gibt, hast du möglicherweise sogar etwas zu schmecken. Und wenn du willst, lehnst du dich an
deinen Baum und betrachtest alles, was es da zu sehen gibt.
Für eine Weile schließt du deine inneren Augen und wenn du das nicht magst, lässt du sie selbstverständlich offen. Du vernimmst, dass der Wind ein wenig in der Baumkrone spielt, Blätter bewegt oder
durch Nadeln singt. Du hörst vielleicht Insekten, Vögel oder andere kleine Tiere in der Nähe. Du hast Zeit
und genießt die wohltuende Atmosphäre – irgendwie fühlst du dich willkommen.
Überrascht entdeckst du, dass es ganz leicht für dich ist, an deinem großen Baum sicher nach oben
zu kommen. Vielleicht sind da Stufen gebaut oder es hängt eine kräftige Strickleiter bis zum Boden. Möglicherweise kannst dich ganz unkompliziert und mühelos von Ast zu Ast bewegen, oder du erfindest etwas,
womit du leicht bis in die Baumkrone steigen kannst. Wenn es irgendetwas gibt, das dich stört, veränderst
du es oder du lässt es ganz einfach verschwinden. Wenn du etwas brauchst, zauberst du es dir mit deiner
Imagination herbei.
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Entspannung: Übungen bei Belastungen
Irgendwo findest oder erfindest du einen Ruheplatz in deinem Baum, vielleicht ein Baumhaus oder eine
Art großes Nest in der dichten Gabelung starker Äste. Es kann auch eine Höhlung im Stamm oder zwischen den
Wurzeln sein, die du dir gemütlich polsterst, wenn sie es nicht sowieso schon ist, oder ein sicheres Plateau.
Oder du hast eine andere Idee einer Bleibe für dich im Baum. Wo es dir gefällt, machst du es dir gemütlich:
irgendwo weit oben in luftiger Höhe, auf halber Höhe oder zwischen den kräftigen Wurzelansätzen am Boden.
Hier verbringst du heute deine Zeit. Du richtest dich ein oder findest bereits alles vor, wie du es magst.
Eine wohltuende Atmosphäre umgibt dich und lässt dich aufatmen. Hier kannst du ganz so sein, wie du
bist, behütet von deinem Baum – eine friedliche, kraftvolle Bleibe nur für dich und die Vögel oder andere vertraute Tiere, die es dort vielleicht gibt. Ihr kennt euch. Ungestörte Zeit für dich. Mächtig ist dein
Baum, sturmerprobt, stetig gewachsen in den wechselnden Jahreszeiten. Viel hat er gesehen und sein
fester Stamm zählt viele, viele Ringe. Du fühlst, dass er dich gerne bei sich hat. Es ist dir, als könntet ihr
beide wortlos miteinander reden, als könntest du fühlen, was er dir sagt. Du lauschst. Immer deutlicher
vernimmst du in dir, was dein Baum, dessen Stamm oder Äste dich beherbergen, dir freundlich mitteilt.
Umgeben von den angenehmen Düften und Klängen deines Baumes, seinen Farben und Strukturen,
die du tastest, nimmst du für heute Abschied von deinem Baumhaus und deinem Baum.
Du kehrst zurück an den Ort, an dem du zu Anfang warst und überschaust noch einmal die Bäume
und ganz besonders deinen, der dein Freund ist. Diesen wundervoll friedlichen Rückzugsort kannst du ab
jetzt immer aufsuchen, wenn dir danach ist. Er ist in dir. Du nimmst dich wahr, spürst und fühlst, wie du
jetzt da bist, während das Bild deines Baumes mit dem Baumhaus, dem Nest oder der Baumhöhle allmählich durchscheinend wird und sich langsam auflöst.
Fantasiereise aus einem Interview mit der Traumatherapeutin Maria Regina Schweizer, Tübingen
Tipps zur Weiterarbeit
Wenn Sie bemerken, dass eine Schülerin oder ein Schüler einen „flash back“ bzw. eine plötzliche Nachhall­
erinnerung hat, ist es wichtig sie oder ihn dabei zu unterstützen, den „Film“, der vor dem inneren Auge abläuft, als solchen zu erkennen. Das gegenwärtige Bewusstsein des Kindes oder Jugendlichen kann in solchen Augenblicken von den unvermutet ausgelösten, intensiven Erinnerungen und den dazugehörenden
Emotionen zu Teilen oder gänzlich überflutet werden, so dass den Betroffenen kein Unterschied zwischen
der zurückliegenden traumatischen Situation und dem gegenwärtigen Moment bewusst ist. Besonnenheit,
Verständnis, manchmal ruhiger Körperkontakt und stressfreies Verhalten der Erwachsenen können einem
Menschen im flash back helfen, die Gefahrlosigkeit in der Gegenwart zu erkennen und die Verwechslung
der entsetzlichen Vergangenheit mit der momentanen Realität zu unterbrechen. Es ist zentral, dass die
Betroffenen realisieren, wo sie im Augenblick wirklich sind. Zu erkennen, dass die heftige und äußerst
lebendige Erinnerung zwar in diesem Augenblick hervorgerufen wurde und ein Wiedererleben vortäuscht,
jetzt jedoch das überwältigend Schlimme nicht stattfindet, obwohl es für die Erlebenden ganz so aussieht,
verhilft zur Beruhigung. Es ist wesentlich zu realisieren, dass die Gefahr vorbei ist und das Ereignis in der
Vergangenheit liegt. Entspannte Bewegung wie Gehen ist hilfreich, weil der Körper sich dabei beruhigt und
das Gefühl entsteht, im Hier und Jetzt weggehen und handeln zu können – anders als in der traumatischen
Erinnerung. Zur Beruhigung ist es sinnvoll, sich für einige Zeit auf den Atem zu konzentrieren und bewusst
ein- und auszuatmen. Als Ablenkung, und um destruktive Gedanken zu unterbrechen, können auch Übungen helfen, die die ganze Konzentration in Anspruch nehmen wie Kopfrechenübungen, Schnellsprechverse, Farbenraten („Nenne mir vier rote Sachen im Raum, drei grüne, zwei gelbe, ein blaues“). Auch Körperübungen und auf Dauer konstruktive Gedanken (z. B. an frühere Erfolge) können hilfreich sein.
Vgl. Gottfried Fischer 2013: Neue Wege aus dem Trauma. Erste Hilfe bei schweren seelischen Belastungen. Ostfildern: Patmos. Beispiele für Körperübungen: Kurt Mosetter & Rainer Mosetter 2012: Kraft in der Dehnung. Ein Praxisbuch bei Stress, Dauerbelastung und Trauma. Ostfildern: Patmos.
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