0 Das Gebet hat große Macht, das ein Mensch verrichtet mit seiner ganzen Kraft. Es macht ein bitteres Herz süß, ein trauriges Herz froh, ein armes Herz reich, ein törichtes Herz weise, ein zaghaftes Herz kühn, ein schwaches Herz stark, ein blindes Herz sehend, ein kalte Seele brennend. Es zieht den großen Gott in ein kleines Herz, es treibt die hungrige Seele hinauf zu dem Gott der Fülle. Dort reden sie viel von Liebe. Mechthild von Magdeburg 1 Was bin ich, mein Gott Quid sum ego, deus meus, amor cordis mei? Heu, heu, quam dissimilis tibi. Ecce ego quasi minima guttula bonitatis tuae, Et tu totius dulcedinis plenum mare. Eia o amor, amor, Aperi, aperi super me tantillam Viscera tuae pietatis. Was bin ich, mein Gott, du Liebe meines Herzens? Wehe, wehe, wie unähnlich dir! Sieh, ich: Gleichsam der winzigste Tropfen deines Gutseins, und du: der ganzen Süßigkeit volles Meer! Eia, o Liebe, Liebe: Tu auf, tu auf über mir in meiner Winzigkeit aus deinem Innersten die Kraft deiner treuen Güte. Tropfen um Tropfen gieße aus über mich Alle Wasserfälle deiner überaus gütigen Väterlichkeit. Brich auf über mir alle Quellen des großen Abgrunds deiner grenzenlosen Barmherzigkeit. Es sauge mich auf die Tiefe deiner innigen Liebe. Versenkt möge ich werden in den Abgrund des Meeres deiner treuen Güte und all ihrer Nachsicht. Untergehen möge ich in der Sintflut deiner lebendigen Liebe, so wie ein Tropfen des Meeres untergeht in des vollen Meeres Tiefe. Gertrud von Helfta (Aufbruch zu neuer Gottesrede) 2 Vision von der Liebe, in Gestalt eines Mädchens Hildegard in einem Brief an Abt Adam In wahrer Geistesschau, mit wachem Körper, sah ich etwas wie ein überaus schönes Mägdelein. Es strahlte in solch hellem Blitzesleuchten seines Antlitzes, dass ich nicht vollkommen hineinzuschauen vermochte. Es trug einen Mantel weißer als Schnee und leuchtender als die Sterne. Auch war es mit Schuhen wie aus reinstem Gold bekleidet. Sonne und Mond hielt es in seiner Rechten und umfasste sie liebevoll. Auf seiner Brust war eine Elfenbein-Tafel, auf der eine Menschengestalt von saphirblauer Farbe erschien. Und die ganze Schöpfung nannte dieses Mägdlein „Herrin“. Und ich hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Das Mägdelein, das du siehst, ist die Liebe. In der Ewigkeit hat sie ihr Zelt. Denn als Gott die Welt erschaffen wollte, neigte er sich in zärtlicher Liebe herab. Alles Notwendige sah er voraus, gleichwie ein Vater seinem Sohne das Erbe bereitet, und erstellte so in glühendem Liebeseifer alle seine Werke. Da erkannte die Schöpfung – in all diesen Arten und ihren Formen – ihren Schöpfer. Denn die Liebe war im Anfang der Urgrund dieser Schöpfung, da Gott sprach: „Es werde!“ Und es ward. Das Mägdelein strahlt in solch hellem Blitzesleuchten seines Antlitzes, dass du nicht vollkommen hineinschauen kannst. Es trägt einen Mantel weißer als Schnee und leuchtender als die Sterne. Denn ohne Trug, in strahlend weißer Unschuld umfängt die Liebe alles mit hell leuchtenden Werken. Auch ist es bekleidet mir Schuhen wie aus reinstem Gold. Denn die Liebe wandelt auf Wegen, die zum besten Teil der Erwählung Gottes gehören. Hildegard von Bingen 3 Heiliger Geist – Ewige Liebe Wer bist du, Licht, das mich erfüllt und meines Herzens Dunkelheit erleuchtet? Du leitest mich gleich einer Mutter Hand, und ließest du mich los, so wüsste keinen Schritt ich mehr zu gehen. Du bist der Raum, der rund mein Sein umschließt und in sich birgt. Aus dir entlassen, sänk` es in den Abgrund des Nichts, aus dem du es zum Sein erhobst. Du, näher mir als ich mir selbst und innerlicher als mein Innerstes – und doch ungreifbar und unfassbar und jeden Namen sprengend: Heiliger Geist – Ewige Liebe. Edith Stein 4 O du gießender Gott in deiner Gabe! O du fließender Gott in deiner Minne! O du brennender Gott in deiner Sehnsucht! O du verschmelzender Gott in der Einung mit deinem Lieb! O du ruhender Gott an meinen Brüsten! Ohne dich kann ich nicht mehr sein. Die Seele spricht zu Christus: „Ich tanze, Herr, wenn du mich führst! Soll ich sehr springen, musst du selber vorsingen. Dann springe ich in die Minne, von der Minne in die Erkenntnis, von der Erkenntnis in den Genuss, vom Genuss über alle menschliche Sinne. Dort will ich verbleiben und doch höher kreisen.“ Mechthild von Magdeburg 5 Strömend im Herzen Während ihrer Krankheit kam die Fastenzeit; sie hatte beschlossen, im Geiste mit dem Herrn zusammen in der Wüste zu bleiben. Eines Nachts, da ihr deuchte, mit dem Herrn in der Wüste zu sein, frug sie ihn, wo er diese erste Nacht verbringen wolle. Der Herr zeigte ihr einen wunderschönen, aber hohlen Baum, der der Baum der Demut genannt wurde, und sprach: „Hier werde ich übernachten.“ Mit diesen Worten trat er in den hohlen Baum ein. Da frug sie: „Und ich, wo soll ich bleiben?“ Und der Herr: „Kannst du nicht in meinen Schoß fliegen und da ruhem, so wie die Vögel zu tun pflegen?“ Und alsgleich sah sie sich selbst in Gestalt eines Vögleins, das in des Herrn Schoß flog und dort aufs ungestörteste ruhte. Sie sprach zum Herrn: „Mildester Herr, lege deinen Finger aus mein Haupt, damit ich so einschlafe.“ Und der Herr: „Weißt du nicht, dass die kleinen Vögel, wenn sie schlafen wollen, den Kopf in die Federn stecken?“ Sie aber: „Herr, was sind denn meine Federn?“ Er erwiderte: „ Deine Sehnsucht ist eine rote Feder, denn sie brennt immer; deine Liebe ist eine grüne Feder, denn sie grünt und wächst sich aus. Deine Hoffnung ist eine feierfarbene Feder, denn unablässig begehrst du nach mir.“ Dann sah sie kleine Tropfen aus dem Herzen des Herrn träufeln, die sie mit ihrem Schnabel gierig auffing und woraus sie eine nie erfahrene und unaussprechliche Wonnen gewann. Mechthild von Hackeborn 6 Ich dein Baum Nicht du sollst meine probleme lösen sondern ich deine Gott der asylanten nicht du sollst die hungrigen satt machen sondern ich soll deine kinder behüten vor dem terror der banken und militärs nicht du sollst den flüchtlingen raum geben sondern ich soll dich aufnehmen schlecht versteckter gott der elenden Du hast mich geträumt gott wie ich den aufrechten gang über und niedernknien lerne schöner als ich jetzt bin glücklicher als ich mich traue freier als bei uns erlaubt Hör nicht auf mich zu träumen gott ich will nicht aufhören mich zu erinnern dass ich dein baum bin geplanzt an den wasserbächen des lebens Dorothee Sölle 7 Du lebtest, und ich wusste es nicht. Du hattest mein Herz nach deinem Maß geschaffen, mein Leben, um so lange zu währen wie du, und weil du nicht da warst, erschien mir die ganze Welt als klein und hässlich und unser Schicksal als schlimm und sinnlos. Als ich erfahren habe, dass du lebst, habe ich dir dafür gedankt, dass du mich ins Leben gerufen hast, und ich habe dir für das Leben der ganzen Welt gedankt. Das Leiden, das auf Erden erlitten wird, erschien mir auf einmal viel größer und kleiner zugleich, und die Freuden, die hier erfahren werden, viel wahrer und viel kleiner auch sie. Madeleine Delbrêl 8 Nada te turbe Nada te turbe, nada te espenate: quiem a Dios tiene nada le falta. Nada te turbe, nade te espante: solo Dios basta. Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles vergeht, nur Gott bleibt derselbe. Lebet Gott in dir, was brauchst du weiter? Gott allein genügt. Teresa von Avila
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