der Im - Leibniz Gemeinschaft

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE
Im
Namen
der
Humanität?
Kosovo, Afghanistan, Mali: Deutschland diskutiert die
Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Ob
und wann Gewalt in einem Land mit Gewalt von außen
beendet werden darf, ist so umstritten wie die Frage
nach dem Erfolg humanitärer Interventionen.
10 2/2014
Foto: UN Photo/Marco Dormino
LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE
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LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE
„Hätten mehr tun können und mehr tun müssen.“
Ban Ki Moon in Kigali zum Völkermord in Ruanda,
der vor 20 Jahren begann.
Eigentlich wollte Ban Ki Moon
Anfang April nach Ruanda reisen. Dort wurde 20 Jahre nach
dem Beginn des Völkermords
von 1994 dessen Opfern gedacht. Aber der Generalsekretär der Vereinten Nationen legte einen Zwischenstopp in der
Zentralafrikanischen Republik
ein. Und statt der Vergangenheit zu gedenken, warnte er in
der Hauptstadt Bangui vor der
Zukunft – und vor einem neuen
Völkermord.
Muslimische Milizen, die
Séléka, stürzten im März 2013
den Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, François Bozizé, und verbreiteten
Terror. Christliche Milizen, die
Anti-Balaka, wehrten sich mit
Racheaktionen. Tausende sind
seither gestorben, eine Million
Menschen sind auf der Flucht.
Gewalt mit Gewalt
beenden?
„Gerade ergibt
sich eine Aufwertung Afrikas, das
finde ich gut und
überfällig.“
Andreas Mehler
GIGA Leibniz-Institut
für Globale und
­Regionale Studien
12 Ban Ki Moon rief bei seinem Besuch in Bangui die Politiker im
Land auf, die ethnisch-religiöse
Säuberung zu stoppen. Und
er berief eine UN-Truppe mit
12.000 Soldaten ein, die den
Konflikt eindämmen soll. Damit beginnt im September eine
neue humanitäre Intervention – und eine neue Diskussion
über den Erfolg und Misserfolg
solcher Militäreinsätze. Die Fra-
gen sind immer dieselben: Wie
legitimieren die Vereinten Nationen oder ein einzelnes Land
das militärische Eingreifen in
einen souveränen Staat? Ist Gewalt gerechtfertigt, wenn durch
sie weitere Gewalt verhindert
wird? Und spielen neben den
humanitären Gründen andere, etwa wirtschaftliche oder
geopolitische, Interessen eine
­Rolle?
In Deutschland hat die Debatte schon ein paar Wochen
zuvor begonnen, als Ursula von
der Leyen ein stärkeres außenpolitisches Engagement in Afrika forderte. Diese Forderung
findet Andreas Mehler berechtigt. Er ist Direktor des GIGA
Instituts für Afrika-Studien des
Leibniz-Instituts für Globale
und Regionale Studien in Hamburg und forscht unter anderem
zur deutschen und französischen Afrikapolitik. „Gerade ergibt sich eine graduelle Aufwertung Afrikas, das finde ich gut
und überfällig, schließlich ist
das unser Nachbarkontinent“,
sagt er.
Dramatische Lage
in Zentralafrika
Mehler begrüßt den Plan, die
Zahl der ausländischen Soldaten in der Zentralafrikanischen
Republik von derzeit 8.000 auf
über 20.000 zu erhöhen. Schon
seit Monaten fordert er ein internationales Eingreifen in dem
Land. In Aufsätzen und Artikeln
warnt er, es könne sich in ein
„zweites Somalia“ verwandeln.
Den Begriff „Genozid“, den Ban
Ki Moon in Bangui benutzt hat,
hält er dagegen für falsch. „Da
unterstellt man, es gäbe eine
planmäßige Vorbereitung. Das
ist nicht der Fall. Trotzdem ist
die Lage äußerst dramatisch.“
Deutschland und Frankreich
hätten die Chance, sich bei Einsätzen in afrikanischen Ländern
stärker abzusprechen. „Es
macht keinen Sinn, überall gemischte Truppen hinzuschicken. Jede Truppe soll das tun,
was sie gut kann: Frankreich
hat hohe logistische Fähigkeiten und ist erfahren in Kampf-
einsätzen. Die Bundeswehr
dagegen versteht sich auf die
Ausbildung“, sagt Mehler. Wie
schwierig eine solche Zusammenarbeit ist, zeigt sich derzeit
in Mali: Die französische Armee geht mit ihren Soldaten im
umkämpften Norden des Landes viel höhere Risiken ein als
die Bundeswehr, die im relativ
friedlichen Süden Soldaten ausbildet. Frankreich ist deshalb
nicht bereit, Deutschland ein
Mitspracherecht zu gewähren.
Zivilgesellschaft
stärken, Konflikten
vorbeugen
Bewaffnete Konflikte wie die
in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik bahnen sich
oft über Jahrzehnte an. „Der
Putsch der Séléka in Bangui
kam nicht überraschend“, so
Andreas Mehler. „Der gestürzte
Präsident, François Bozizé, ist
zehn Jahre zuvor auf dieselbe
Weise an die Macht gekommen.“
Wissenschaftler, sagt Andreas
Mehler, könnten mit großem
Abstand und mit historischer
Tiefe auf die Konflikte blicken.
Folgenschwere Fälschung: Im Weltsicherheitsrat präsentiert der damalige USAußenminister Colin Powell am 5. Februar
2003 vermeintliche Beweise für irakische
Massenvernichtungswaffen.
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LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE
Fotos: UN Photo/Government of Rwanda ; UN Photo/Mark Garten; Bundeswehr/Bienert.
Verstärktes Engagement: Deutsche Soldaten im afghanischen Kabul. Immer wieder werden Forderungen laut,
die Bundeswehr müsse auch bei Friedenseinsätzen in Afrika aktiver werden.
2/2014 Viele Forscher beraten deshalb
Politiker – in Gremien, Diskussionspapieren oder Hintergrundgesprächen. Andreas Mehler ist
Mitglied eines Beirats, der die
Bundesregierung beim Thema
„zivile Krisenprävention“ berät.
Prävention – etwa durch diplomatische Bemühungen oder die
Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft – hält er für die beste
und wirksamste Maßnahme.
Wie erfolgreich Interventionen sind, ist politisch umstritten. Matthias Dembinski und
Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK) haben erstmals das Gelingen verschiedener humanitärer Interventionen über einen längeren
Zeitraum hinweg untersucht.
Das Ergebnis: Nur bei einem
Drittel der Interventionen zwischen 1947 und 2005 endete die
organisierte Gewalt zwischen
den einheimischen Konfliktparteien innerhalb eines Jahres.
„Das ist kein Wert, der auf eine
hohe
Erfolgswahrscheinlichkeit humanitärer militärischer
Interventionen hinweist“, sagt
Dembinski. Die Studie sei allerdings noch vorläufig und deshalb nicht geeignet, um einzelne
Inter­ventionsentscheidungen
zu bewerten. Denn methodisch
gebe es noch Schwierigkeiten:
„Zu Flüchtlingszahlen gibt es
oft keine verlässlichen Daten.
Deshalb haben wir Flüchtlingsströme als Indikator von Erfolg
nicht berücksichtigt“, sagt Dembinski. „Und Opferzahlen liegen
meist nur auf Jahresbasis vor.
Dann können wir nicht sehen,
ob diese Menschen vor, während oder nach der Intervention gestorben sind“, ergänzt
­Thorsten Gromes.
Erfolgsrezept
UN-Mandat?
Erfolgreich seien vor allem Missionen in kleinen Ländern, wie
Osttimor oder Sierra Leone.
Dort könne mit relativ geringem
finanziellen Aufwand viel erreicht werden. Denn die Dichte
der ausländischen Soldaten ist
in kleinen Ländern so hoch, wie
das in größeren Ländern logistisch gar nicht möglich wäre.
Wollte man etwa in den Kongo
prozentual gesehen so viele ausländische Truppen schicken wie
1999 in den Kosovo, bräuchte
man eine Million Soldaten.
Ein weiterer Faktor für den Erfolg sind die Akteure. „Es gibt
in der Wissenschaft die Vermutung, dass Einsätze mit UNMandat erfolgreicher sind als
solche von Einzelstaaten ohne
internationale Autorisierung“,
erklärt Matthias Dembinski. Als
Beispiel würden oft der erste
und zweite Irakkrieg genannt.
„Nach unserem Verständnis
keine humanitären Interventionen.“ Der erste – durch Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates gedeckte – Irakkrieg von
1990/91 gilt als erfolgreich; der
zweite (2003) hingegen als historischer Fehler. „Stabilisierung
und Befriedung des Landes sind
auch deshalb gescheitert, weil
die Intervention international
so umstritten war und die Legitimation der UN fehlte“, sagt
Dembinski. In Deutschland hätten humanitäre Interventionen
anders als etwa in Frankreich
grundsätzlich einen schlechten
Ruf.
Insgesamt haben Interventionen seit den 90er Jahren
stark zugenommen. Das liegt
zum einen am Fall des Eisernen
Vorhangs. „Der Ost-West-Konflikt hat humanitäre Interventionen weitgehend verhindert“,
„Es gibt die
Vermutung,
dass Einsätze mit
UN-Mandat
erfolgreicher
sind.“
Matthias
Dembinski
Hessische Stiftung
Friedens- und
­Konfliktforschung
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sagt Dembinski. „Als Folge der
Umbrüche der Jahre 1989/90
entwickelte sich ein neues normatives Verständnis, das den
Schutz des Menschen in den
Mittelpunkt rückte.“
Eine weitere Rolle spielte
der Völkermord in Ruanda im
Jahr 1994, bei dem die Vereinten Nationen viel zu spät und
viel zu zögerlich eingriffen.
Mindestens 800.000 Menschen
starben. „Die internationale Gemeinschaft hat versagt“, räumte
Kofi Anan, der damals die UNAbteilung für Friedenseinsätze
leitete, später ein. Und forderte: „Die Welt muss besser dafür
gerüstet sein, um Völkermord
zu verhindern und entschieden
handeln, wenn die Vorsorge
versagt.“
Intervention
aus Verantwortung
„Die Menschen
begannen,
Mitgefühl zu
empfinden.“
Fabian Klose
Leibniz-Institut
für Europäische
Geschichte
14 In der Folge des Genozids wurde eine Kommission – genannt
ICISS – einberufen, die eng mit
den Vereinten Nationen zusammenarbeitete. Sie sollte untersuchen, wann humanitäre Interventionen und Interventionen,
um die Demokratie in einem
Land wiederherzustellen, gerechtfertigt sind. Im Jahr 2001
veröffentlichte sie ihren Report
unter dem Titel „responsibility
to protect“, zu Deutsch: „Schutzverantwortung.“ Demnach ist ein
militärisches Eingreifen gerechtfertigt, wenn „eine akute Bedrohung des Lebens einer großen
Anzahl von Menschen“ vorliegt.
Humanitäre
Tradition
Damit entstand ein neuer
– wenn auch sehr vager – Rahmen für eine jahrhundertealte
Praxis. Vorläufer der humanitären Intervention gab es schon im
17. Jahrhundert, etwa im Dreißigjährigen Krieg, als Staaten
aus konfessioneller Solidarität
intervenierten, um Glaubensbrüder zu schützen. Der Begriff
der humanitären Intervention
entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert.
Der Historiker Fabian Klose
untersucht am Leibniz-Institut
für Europäische Geschichte
(IEG) in Mainz die Anfänge der
humanitären Intervention. „Im
Laufe des 18. Jahrhunderts entstand eine grundlegend neue
Gefühlsordnung“, sagt er. „Die
Menschen begannen, Mitgefühl
zu empfinden.“ Die Philosophie
der Aufklärung, aber auch reli-
giöse Tendenzen und der Sentimentalismus in der Literatur
waren Gründe für diesen Mentalitätswandel.
1808 fand die erste Intervention statt: Die britische Marine
schickte Schiffe nach Westafrika,
um den Sklavenhandel zu beenden. Mit Texten, Pamphleten und
Symbolen – wie dem berühmten
Bild eines knienden Sklaven von
Josiah Wedgewood – wurden
die Menschen mobilisiert, sich
gegen den Sklavenhandel zu
engagieren. Um Menschenrechte ging es damals jedoch nicht.
„Das war ein paternalistisches
Konzept“, sagt Klose. „Die Herrschaft über schwarze Menschen
galt nicht als falsch. Man wollte
nur humanitäre Normen einhalten und extreme Formen von
Gewalt verhindern.“
Frankreich beteiligte sich –
anders als Spanien, Portugal und
die Niederlande – nicht an diesem ersten humanitären Einsatz
unter britischer Führung. Die
Regierung in Paris behauptete,
Großbritannien verfolge wirtschaftliche Interessen und wolle
in Wahrheit seine Vormachtstellung ausbauen. Ein Verdacht,
der noch heute jeder humanitären Intervention anhaftet.
m ou n i a m ei borg
Foto: Keith Ivey/Flickr.com
Proteste:
Der zweite Irakkrieg
wurde wie hier in
Washington weltweit
kritisiert. Wohl auch,
weil eine Legitimation
auf Basis des Völkerrechts fehlte.
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