2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Der amerikanische Deserteur André Sheperds Kampf um politisches Asyl in Deutschland AutorIn: Ina Krauß Redaktion: Ina Krauß Regie: Petra Mallwitz Sendung: Montag, 13.10.14 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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André Shepherd, Soldat der US Army und in Deutschland stationiert, desertierte 2007 - kurz vor seinem zweiten Einsatz im IrakKrieg - und tauchte in Bayern unter. 2008 beantragte Sheperd als erster USAmerikaner Asyl in Deutschland - ein Fall der bis heute nicht entschieden ist. Ina Krauß erzählt die Geschichte des einfachen US-Soldaten, der eine Gewissensentscheidung traf und so zum Staatsfeind der USA wurde. Sie hat André Shepard viele Male in seinem neuen Zuhause in Bayern besucht und ihn auch zum europäischen Gerichtshof in Luxemburg begleitet. Manuskript ATMO 1 EuGH Lobby, geschäftiges Treiben, Einlass Rechtssache C-472/13. André Lawrence Shepherd gegen Bundesrepublik Deutschland. Es sind einige Besucher extra aus Deutschland angereist. ATMO 3 EuGH Vorraum Gerichtssaal Hall, Schritte, Stimmen Sie haben mit Shepherd viele Jahre für diesen Tag gekämpft - dass sein Fall vor dem höchsten europäischen Gericht landet. Ein Präzedenzfall. Erstmals kämpft ein USAmerikaner in Europa um politisches Asyl. ZUSP 1 Shepherd/ Wie geht’s? „How are you – oder: Wie geht’s? Ich weiß es wirklich nicht, muss ich ehrlich sagen, weil ich weiß nicht in welche Richtung es laufen wird, es ist das erste Mal dass ich so einen Prozess gesehen habe, ich bin wirklich gespannt. Fühlen Sie sich am Ziel angekommen? Es ist definitiv ein Meilenstein, und es ist eine gute Bestätigung, wie wichtig dieser Prozess ist. Sind Sie aufgeregt? Ja, ein bisschen schon.“ 0:37 ATMO 4 AS geht in Gerichtssaal, Kameraklicken, leise Atmo Saal Vor der Richterbank nehmen die Repräsentanten der Europäischen Kommission und der an dem Verfahren beteiligten Mitgliedsstaaten in ihren schwarzen Roben Platz. Andre Shepherd wird in den Zuschauerraum verwiesen. Nur sein Anwalt darf reden. Die anwesenden Pressefotografen haben dennoch nur Shepherd im Visier. Der Fall erregt nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA Aufsehen. Punkt 9.30 Uhr erscheinen die Richter und die Generalanwältin. ATMO 5 EUGH Aufruf Rechtssache C 41713 Shepherd Anwalt Reinhard Marx tupft sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, auch für ihn ist die Rechtssache C-472/13 kein Alltag. Der EuGH wird heute kein Urteil fällen, es werden europarechtliche Grundsatzfragen diskutiert. Im Kern geht es um die Frage, in welchen Fällen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure Schutz in Europa erhalten. Das Pikante an diesem Fall: Er berührt indirekt auch die Frage, ob die US-Army im Irak Kriegsverbrechen begangen hat. Über zwei Stunden wird verhandelt. Ungewöhnlich lange. Reinhard Marx ist ein renommierter Asyl-Anwalt. Er 2 hat bereits einige Verfahren vor den EUGH gebracht. Jetzt legt er seine schwarze Anwalts-Robe ab und findet, es ist gut gelaufen. ZUSP 2 Marx/ EUGH „Ich habe schon andere Verhandlungen mitgemacht, wo ich nicht Gefühl hatte, dass die Richter schon sehr weit vorbereitet waren, aber hier war die Generalanwältin sehr gut vorbereitet, war sehr gut eingearbeitet in die Problematik, und sagte auch, das sei ein sehr schwieriger und komplexer Fall, und ich fand die Fragen von ihr sehr hilfreich und Klarheit mit der sie wissen wollte welche Fragen und Tatbestände letztendlich relevant sind, das hat mich sehr beeindruckt.“ 0:30 Erst in einigen Monaten wird die Generalanwältin ihre Meinung in dieser Sache verkünden und damit eine Art Empfehlung für das Urteil aussprechen. Der 37jährige Shepherd braucht Geduld. Wieder einmal. Schon sieben Jahre kämpft der Amerikaner um Asyl in Deutschland. ZUSP 3 Shepherd/ Verhandlung „Wie ging es ihnen in der Verhandlung? Es war interessant, es gab ein paar Momente wo ich habe gedacht, ich muss ehrlich aufstehen und was sagen, weil es war ein paar statements that were made that war mehr oder weniger nicht wahr, muss ich sagen. Was mich wirklich gestört hat, als sie gesagt haben, Amerika hätte null Toleranz für Kriegsverbrecher, das nervt mich wirklich, weil wenn das der Fall war e der Präsident und sein Kabinett und das Pentagon hätte einen Prozess gehabt….“ 0:50 ZUSPIELUNG 3 blenden, Text drüber Wenn es um die politischen Verhältnisse in den USA geht, redet sich André Shepherd leicht in Rage. Sein ganz persönliches Verhältnis zu seiner Heimat ist der wunde Punkt seiner Geschichte. Es ist die Geschichte eines US-Soldaten, der vor elf Jahren in einen Krieg zog, den er gerecht fand – bis er anfing, unbequeme Fragen zu stellen. Und der schließlich desertierte. ATMO 6 Rottau / Vögel und Traktor Seitdem ist in seinem Leben nichts mehr, wie es war. Shepherd lebt heute in Rottau, einem kleinen Dorf im Voralpenland. Hier heißen die Straßen Kreuzstraße, Holzweg oder schlicht Am Bach. Er arbeitet als Fachinformatiker und pendelt wegen der Arbeit jede Woche zwischen Köln und Rottau. Nachdem er desertiert ist, ist das Chiemgau zur zweiten Heimat geworden. Er hat eine kleine Wohnung in einem alten Bauernhof gemietet. Der 37jährige sitzt auf dem Sofa und schließt während des Interviews oft die Augen. Er muss sich konzentrieren, wenn er Deutsch spricht. ZUSP 4 Shepherd/ Unfassbar „Das ist wirklich interessant! Wenn ich das hab erst gemacht, ich habe nicht gesagt, ich werde in die Medien und vor den ganzen europäische Gericht gehen, ich habe das gemacht weil ich sage, ich will einfach nicht mitmachen. Wie diese ganze Geschichte sich hat so groß entwickelt, das ist unfassbar, weil ich habe nie gedacht, wie ich war 18 war in Highschool ich habe nie gedacht, dass meine Leben würde so eine Weg gehen. Es ist wirklich ein komisches Gefühl ….das kann ich nicht erklären, ganz ehrlich.“ 0:48 3 Mit 18 in der Highschool hatte Shepherd andere Träume. Er wollte als erstes Kind einer Arbeiterfamilie studieren und schrieb sich an der Uni für das Fach Informatik ein. Die Studiengebühren in Höhe von 20.000 Dollar musste er sich selbst verdienen. Dann platzte zur Jahrtausendwende die Dot-Com-Blase; tausende Jobs in der Computerindustrie gingen verloren. Der Arbeitersohn musste mit Anfang Zwanzig zuerst die Wohnung, dann das Studium aufgeben. Drei Jahre lebte er im Auto. Wenn es um diese Zeit geht, wechselt Sheperd lieber ins Englische. ZUSP 5 Shepherd/ Studium „In 2003 things didnt go so well for me… in order to help the Americans to be save.” Overvoice: „2003 liefen die Dinge nicht so gut für mich, ich konnte damals einfach keinen Job finden, bei dem ich genug verdient hätte, um mir die Miete für ein Apartment leisten zu können. Glücklicherweise hatte ich ein billiges Auto gefunden mit dem ich zur Arbeit fahren konnte und in dem ich auch übernachten konnte. Ich war ziemlich verzweifelt weil die Lage wurde immer schlimmer. Die Winter an der Nordküste in Cleveland können sehr lang sein, vor allem konnte die alte Klapperkiste jederzeit auseinanderfallen, also musste ich eine Lösung finden und in diesem Sommer, im Juni und Juli sprachen mich Anwerber des US-Militärs an, es würden Leute gebraucht im Krieg gegen den Terror, um Amerika zu schützen.“ 0:53 Shepherd brauchte nicht nur ein Dach über dem Kopf und eine Krankenversicherung; er wollte vor allem eine gute Ausbildung und eine Zukunft jenseits von Armut und Obdachlosigkeit. Er unterschrieb. ZUSP 6 Shepherd / Armee „It was obvious if you put your name… the information that I have now, back in 2003.” Overvoice “Natürlich war klar, dass wenn du unterschreibst, wirst du kämpfen müssen, entweder im Irak oder Afghanistan, weil die USA sich dort Krieg führten. Das war für mich keine Frage; es ist dein Job als Soldat, dein Land oder deine Familie zu verteidigen, das ist für mich überhaupt kein Thema. Hauptsächlich trat ich natürlich in die Armee ein, um meine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Aber ich zweifelte damals auch nicht an dem, was die Regierung uns erzählte, weil ich damals, 2003, nicht die Informationen hatte, die ich heute habe.“ 0:44 Shepherd wurde als Mechaniker für Apache-Hubschrauber ausgebildet und 2004 in den in den Irak geschickt. ZUSP 7 Shepherd/ Ideologie „Everyone was pretty much on the mindset… not much of an issue” Overvoice „Wir waren alle darauf gepolt, wir müssen nur die Terroristen stoppen und die Welt wieder normal sicherer zu machen; so wie die Welt war, in der wir aufwuchsen, aber wir realisierten nicht, wie kompliziert die Welt geworden war, und warum das so war aber zu der Zeit war das einfach kein Thema.“ 0:24 Der junge Soldat war fest davon überzeugt, dass die Iraker die US-Armee als Befreier sehen und entsprechend behandeln. Doch im Irak begegnete dem Mitte Zwanzigjährigen vor allem Feindseligkeit. 4 ZUSP 8 Shepherd / Iraker 0:30 „There were times when some fo Iraki citicens … who we are.“ Overvoice „Es gab Zeiten, da fragten uns die Iraker, warum zerstört ihr unsere Dörfer, warum missbraucht ihr unsere Frauen, schändet unsere Toten? Ich war geschockt, denn als Mechaniker war ich nicht oft außerhalb des Zauns und wusste nicht, was unsere Infanterie macht. Ich konnte das nicht glauben, denn - Entschuldigung, wir sind das Militär der Vereinigten Staaten! So etwas passiert bei uns nicht, ganz einfach weil wir so nicht sind!“ 0:30 Shepherd begann, erstmals Fragen zu stellen. Er war dafür zuständig Kampfhubschrauber vor dem Einsatz zu warten. Doch von den Piloten bekam er keine Antworten. ZUSP 9 Shepherd / Apache „No at that time we dind´t know… one of the biggest secrets kept out there.” Overvoice „Wir wussten überhaupt nichts, weil das, was sie außerhalb des Zauns gemacht haben, haben sie nicht mit denen besprochen, die innerhalb des Zauns waren. Genauso ist es mit den Apache-Hubschraubern und bis heute wissen wir nicht genau was sie machen. Wir wissen, dass sie Einsätze geflogen sind, dass wir Waffen an Bord luden, dass sie mit Einschusslöchern zurück kamen, dass sie im Kampf eingesetzt wurden, Eskorten flogen, aber zu welchem Zweck genau, haben sie nicht mit uns besprochen. Wenn wir die Piloten nach ihren Erfahrungen mit den Helikoptern fragten, sagten sie, sie dürften mit uns nicht darüber reden. Das ist einfach eines der großen Geheimnisse.“ 0:37 Obwohl Shepherd als Hubschrauber-Mechaniker nicht direkt an Einsätzen beteiligt war, wuchsen in ihm die Zweifel. ZUSP 10 Shepherd / Falludscha „For me the darkest part of my stay in Irak… birth defects and everything.” Overvoice „Meine dunkelste Stunde im Irak war, als wir die Hubschrauber startklar gemacht haben, die an der November-Offensive in Falludscha teilnahmen - die Schlacht, die fast nur Ruinen hinterließ und radioaktive Spuren, die heute noch für Missbildungen bei Neugeborenen sorgen.“ 0:18 Die Schlacht um Falludscha ist bis heute ein Sinnbild für das Grauen des IrakKrieges. Es wurde nicht nur Uran-Munition eingesetzt, die amerikanischen Einheiten töteten bei dem Einsatz viele Zivilisten, vor allem aus der Luft. ZUSP 11 Shepherd / Schutt und Asche „At that time… that they wanted to.“ Overvoice „Sie sagten uns damals, sie wollten die Stadt von versteckten Terroristen säubern und befreien; die Iraker dagegen schilderten eine ganz andere Geschichte, dass die Amerikaner die Stadt komplett in Schutt und Asche legten, und sie unter ihre Kontrolle stellten. “ 0:25 5 Im Lauf des Jahres 2004 gab die amerikanische Regierung ganz offiziell zu, dass keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden worden waren. Diese Nachricht drang auch bis zum Militärcamp durch. ZUSP 12 Shepherd / Sanchez 0:23 „When General Sanchez ….supposed to be here is gone.“ Overvoice: „Als General Sanchez in unseren Stützpunkt kam und uns bekannt gab, die CIA habe gesagt gegeben, dass es nirgends im Irak Massenvernichtungswaffen gebe, da war eine große Stille im Raum und wir alle standen da und hatten den gleichen Gedanken: Sie haben uns aufs Kreuz gelegt, was haben wir hier noch zu suchen, der Hauptgrund für unseren Einsatz existiert nicht mehr.“ 0:23 Doch der Grund für den Einsatz wurde einfach geändert, jetzt ging es eben um die Stabilisierung des Landes, so der oberste Kommandeur. Wenige Monate später beendete André Shepherd seinen ersten Einsatz im Irak und wurde im nordbayerischen Katterbach stationiert. Ausgerechnet in Deutschland, dem Land, das sich durch Bundeskanzler Gerhard Schröder offen gegen den amerikanischen Kriegseinsatz im Irak ausgesprochen hatte. Außerhalb des Stützpunkts fand der IrakHeimkehrer deutsche Freunde und begann im Internet zu recherchieren. ZUSP 13 Shepherd/ Weltbild „Your entire world turns … that we were doops like this.“ Overvoice „Dein gesamtes Weltbild wird auf den Kopf gestellt. Als Kinder haben wir wirklich unsere Regierung unterstützt, wir waren überzeugt dass Amerika immer auf der Seite der Guten steht, das hat man uns in der Schule, in der Kirche, in den Medien immer wieder erzählt - dass Amerika immer versucht, alles korrekt zu machen. Und dann herauszufinden dass deine Regierung, der Inbegriff der Freiheit, all diese Gräueltaten begeht und absichtlich Länder zerstört, und das nichts mit dem Schutz der eigenen Leute zu tun hat, das ist schwer zu begreifen, und ich kann es eigentlich bis heute nicht fassen, und es macht mich traurig und wütend zugleich, dass wir so betrogen worden sind.“ 0:44 ATMO 7 Video Collateral Murder Es gibt ein Video, das die Enthüllungsplattform wikileaks im Jahr 2010 entschlüsselte und unter dem Namen Collateral Murder veröffentlichte. Es zeigt den Einsatz eines Apache-Hubschraubers im Irak, dokumentiert durch die Kamera des Hubschraubers; auch der Funkverkehr wurde entschlüsselt. Es ist nicht Falludscha, nicht die Einheit von André Shepherd. Aber das Video bestätigt, dass Shepherd mit seinen Vermutungen richtig lag. Bei dem Einsatz wird regelrecht Jagd auf Zivilisten gemacht. Als zwei Männer mit zwei Kindern an den Ort des Geschehens kommen und einen Verletzten bergen wollen, werden auch sie aus der Luft liquidiert. Die Kinder überleben schwer verletzt. ZUSP 14 Shepherd/ Alkohol „At that time I pretty much … what to believe any more.“ Overvoice: „Damals begann ich zu trinken, weil ich versuchte, damit klar zu kommen. Ich kann nicht sagen, dass ich die Erinnerungen auslöschen wollte, weil so etwas kannst du nicht auslöschen. Ich suchte irgendetwas, an dem ich mich festhalten konnte, weil 6 deine ganze Welt bricht einfach auseinander und du weißt nicht mehr, was du glauben sollst.“ 0:23 2007 erhielt Shepherd seinen zweiten Einsatzbefehl. Er sollte wieder in den Irak, Hubschrauber warten. ZUSP 15 Shepherd/ Zehn Tage „The next ten days…. meaning desertion.“ Overvoice: „Die nächsten zehn Tage waren die härtesten Tage in meinem ganzen Leben, denn ich wusste, wenn ich da ein zweites Mal runtergehe muss ich meinen zukünftigen Kindern einmal erklären, warum ich an diesem Krieg teilgenommen habe und das müsste ich nicht nur meinen Kindern, sondern auch meiner Familie, den Freunden und vor allem mir selbst gegenüber rechtfertigen, du musst ja jeden Tag in den Spiegel schauen. Oder du verweigerst den Einsatz und gehst dafür ins MilitärGefängnis, dafür, dass du eigentlich das richtige machst, oder aber du verlässt das Militär ganz aber dann musst du dich darauf einstellen, dass du nicht mehr zurück in die USA kannst, weil die USA dir eine Fahnenflucht niemals vergibt.“ 0:38 Shepherd packte seine Sachen und tauchte bei Freunden im Chiemgau unter. ATMO 8 Smalltalk Bäcker, Andre und ich, Zubereiten des Frühstücks, wie geht’s weiter mit Prozess/ ATMO 9 Zubereiten des Frühstücks Michael und Michaela Plank gehen bei André Shepherd ein und aus, sie sind bis heute seine besten Freunde. Kennengelernt hatten sie sich in einer Kneipe in Prien: Michael Plank, Spitzname „Der Bäcker“, ein Punk; seine 19jährige Freundin Michaela, die ihn von der Straße geholt hatte und der GI in voller Kampfmontur auf Wochenendausflug. Sie mochten sich von Anfang an. Shepherd besuchte das junge Paar regelmäßig, half an Wochenenden beim Hausbau. Dann stand er eines Abends vor ihrer Tür. ZUSP 16 Michaela / Desertion „Er kam und hat gesagt, er ist gegangen, also es war eine Nacht und Nebelaktion dass er er raus ist, und wir wussten es vorher nicht, er hat uns nichts gesagt, er kam mit einem Bekannten, das Auto vollgeladen mit seinen Sachen und hat gesagt, er ist jetzt weg von der Army. Wir hatten erst so einen kleinen Schock, ok, wie geht’s weiter, auch wie weit können wir ihm helfen, wir hatten damals einen kleinen Sohn, ich hab gesagt, machen wir uns strafbar wenn wir ihn aufnehmen, wenn er bei uns wohnt. Aber im Endeffekt fanden wir es alle gut, fanden es sehr sehr mutig, was er gemacht hat, weil er steht jetzt gegen Amerika und das ist eine sehr große Macht.“ 0:38 ZUSP 17 Shepherd / Vertrauen „In so eine Situation man muss kalkulieren mit wem kann man in verschiedene Sachen vertrauen und in diesem Fall war es sehr sehr wichtig, dass es waren Leute das ich weiß, sie würden mich nicht verraten, und Leute das weiß ich hundertprozentig, die können mir helfen, weil ich bin in eines komplett fremdes Land, und die ganzen Regeln sind anders, ich weiß nicht was man machen muss, dass sie würden nicht so viele Aufmerksamkeit bekommen, weil in diesem Fall das war die 7 wichtigste Sache, dass ich musste so tun, als ich wäre immer da und die Leute würden nicht zu viele Fragen stellen.“ 0:39 ZUSP 18 Michael/ Untertauchen „Dann haben wir im Internet nachgeschaut in wie weit wir uns mit strafbar machen, und wir festgestellt haben, eigentlich machen wir uns nicht strafbar, es passt auch wenn wir ihn aufnehmen, und dann hat er dann drei Monate bei uns gewohnt bis er zu Freunden weiter ist und bei denen gewohnt hat.“ ZUSP 19 Michaela und Shepherd/ Versteck Hätten sie ihn gefunden, hätten sie ihn natürlich mit auf den Stützpunkt genommen und ja, und er hätte eine Verhandlung bekommen wegen Desertieren, und deswegen mussten wir schauen, dass sie ihn nicht finden und ihn verstecken, das ist aber ganz schön schwierig in Bayern auf dem Land einen Farbigen zu verstecken, weil davon gibt’s hier nicht so viel… //ja das stimmt … „This ist also the time in 2007…. we are just glad it did.” Overvoice: „Es war ja die Zeit, 2007, wo es in Bayern viele Razzien gab, um die illegale Immigration zu bekämpfen, und das mussten wir auch bedenken. Ich brauchte also einen Platz, wo die Leute mich schon kannten, musste Bahnhöfe meiden wegen der Bundespolizei und ihrer Grenzkontrollen - wenn jemand nicht aussah, wie ein Deutscher, fragten sie nach den Papieren. Aber wir haben es ganz gut hingekriegt, es hat sehr gut geklappt. Wir dachten ja nicht, dass es schließlich 19 Monate dauern würde - also ehrlich gesagt, wir wundern uns bis heute, dass es so gut funktionierte, aber ich bin einfach froh, dass es gut gegangen ist.“ 19 Monate lang versteckte sich André Shepherd zuerst bei den Planks in Bernau am Chiemsee, dann in einer Wohngemeinschaft in einem abgelegenen Bauernhaus. Er lebte in ständiger Angst, entdeckt zu werden. Benutzte nur Prepaid-Handys, wenn er mit Anwälten oder Friedensaktivisten sprach, wechselte ständig die Telefone. Erst als die Regierung Bush abdankte und der neugewählte Präsident Obama versprach, den Krieg im Irak zu beenden, wagte er sich aus der Deckung. Er beantragte Asyl in Deutschland. Der renommierte Asyl-Anwalt Reinhard Marx nahm sich seiner Sache an. ZUSP 20 Marx/ Mut „Ich fand ihn sehr mutig. Wir wussten nicht ob das Nato-Truppenstatut höherrangig ist als die Genfer Flüchtlingskonvention. Wir wussten nicht im November 2008, als wir den Asylantrag gestellt haben, in Hessen und in FFM eine PK gegeben haben ob er eventuell von der US-Militärpolizei beobachtet wird und dass sie dann zugreifen und wenn er einmal in Gewahrsam der US-MP gewesen wäre, hätten wir ihn nicht mehr schützen können. Das haben sie nicht getan, sie haben gesagt, sie respektieren das Verfahren und die Entscheidung der deutschen Regierung und von daher war das nachträglich keine Gefahr aber als er sich entscheiden musste, war das sehr mutig. Er ist der einzige!“ 0:40 In seiner Heimat USA wurde Shepherd durch seine Fahnenflucht praktisch zum outlaw. Sein Vater war schockiert. Die Mutter ahnte, dass sie ihren Sohn so schnell 8 nicht wiedersehen wird. Es ist nicht alleine die drohende Haftstrafe, die Shepherd fürchten muss. ZUSP 21 Marx/ outlaw „Wenn man den Kriegsdienst verweigert wird man nicht nur mit bis zu 18 Monaten bestraft sondern auch unehrenhaft aus der Armee entlassen, man bekommt keine Sozialleistungen mehr, meine bürgerlichen Rechte sind aberkannt, ich bin gesetzlos, überall muss ich nachweisen dass ich Militärdienst geleistet habe, da wird danach gefragt und wenn ich das nicht kann, bekomme ich den Job nicht. Er ist Ausgegrenzter in der US-Gesellschaft.“ 0:25 Der Asylbewerber Shepherd beruft sich auf eine Richtlinie der EU, die Kriegsdienstverweigerern im Fall von völkerrechtswidrigen Kriegen oder Handlungen Schutz gewährt. Unterstützt wird er nicht nur von Rechtsanwalt Reinhard Marx, sondern auch von der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl und der Friedensinitiative connection eV, mit Sitz in Frankfurt am Main. Normalerweise berät Rudi Friedrich Deserteure, die aus Unrechtsstaaten fliehen. ZUSP 22 Friedrich/ Deserteure „Wir arbeiten seit ungefähr seit zwanzig Jahren zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Kriegsgebieten, dass hier konkrete Personen, die sich gegen die Beteiligung am Krieg, gegen die Beteiligung an Kriegsverbrechen entscheiden, dass die hier wirklich einen Schutz erhalten können. Bei Andre Shepherd, US-Deserteur stellt sich genau die Frage, und er ist deswegen ein Präzedenzfall, weil er der erste ist der sich auf die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union beruft und hier wird dann definiert wie weit der Rahmen gesetzt wird für die Gruppe von Deserteurinnen und Deserteure die genau so eine Entscheidung treffen.“ 0:40 Nach 19 Monaten ohne Arbeit und Einkommen ist Shepherd nicht nur moralisch, sondern auch finanziell auf Unterstützung angewiesen. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl hilft ihm, die Anwaltskosten für das Verfahren zu tragen. Von Anfang an war klar, dass dieser Fall durch viele Instanzen gehen wird und dass Shepherd einen langen Atem brauchen wird. Bernd Mesovic von Pro Asyl ist überzeugt, dass sich der Einsatz lohnt. ZUSP 23 Mesovic/ Völkerrecht „Nachdem so viele Kriege in der letzten Zeit völkerrechtswidrig sind, als auch völkerrechtswidrige Mittel verwendet werden, in anderen Kriegen stellt sich die Frage immer wieder aktuell, wie können die Leute unterstützt werden, die einfach nein sagen, die aus ihren militärischen Formationen desertieren und zwar nicht nur aus grundsätzlichen Gewissensgründen sondern weil sie im Verlauf des Krieges gemerkt haben, sie werden zum Instrument gemacht für Kriegsverbrechen, sie stehen in der Gefahr sich immer mehr darein zu verwickeln und sie schließen aus den Informationen die sie bekommen, dass es Zeit wird für sie zu desertieren.“ 0:38 Nachdem Shepherd Asyl beantragt hatte, kam er in eine zentrale Flüchtlingsunterkunft in Karlsruhe. Er heiratete und zog mit seiner Frau zurück in den Chiemgau. 2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag von Andre Shepherd ab. Er legte Widerspruch ein, fest entschlossen, die Sache bis zum Ende durchzukämpfen. Die Ehe und so manche Freundschaft hielt dem Druck, 9 der auf Andre Shepherd lastete, nicht stand. Die Freunde Michael und Michaela Plank aber blieben. ZUSP 24 Michaela/ Durchhänger „Wenn dann kam, Asylantrag wurde abgelehnt, ok, wie geht’s jetzt weiter, dann kam, ok jetzt wird Berufung eingelegt , es wird neu verhandelt, es kostet sehr sehr viel Kraft, das muss man wirklich sagen, es ist anstrengend, Andre immer wieder zu unterstützen und zu sagen, hey, du packst das, mach weiter und ihn immer wieder aufzufangen und aufzubauen, es kostet viel Kraft und ich glaube auch dass die Freunde die das nicht aushalten es nicht böse meinen, wenn du selbst probleme hast oder dich beruflich veränderst, hast du vielleicht nicht die Energie, auch noch andre zu unterstützen, bei uns geht es weil wir eine große Familie sind, wir haben von allen Rückendeckung bekommen, von dem her konnten wir Kraft weitergeben an Andre weil wir selber viel Kraft bekommen haben.“ 0:53 ATMO Shepherd zeigt Michaela die Website und sie sprechen über Deutsch/Englisch Andre Shepherd zeigt Michaela den Entwurf einer Website, mit der er andere Soldaten über seinen Fall informieren will. Er wollte sie „The renegate soldier“ nennen, der abtrünnige Soldat. Freunde rieten ihm ab. Jetzt soll sie „Soldat auf der Flucht“ (?) heißen. Michaela, die Mutter zweier Kinder, wirft einen ersten Blick auf den Entwurf. ZUSP 25 Michaela/ Ersatzmama „Ich sag immer obwohl ich zehn Jahre jünger bin als er ich hier so seine Ersatzmama in Deutschland, ja das ist sehr nett. Weil ich zwei Kinder hab und weil seine Mama ja in den USA ist und er sie sei, wie lange hast du sie nicht gesehen, andre? seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat und er hier allein ist und wegen jedem Problem zu mir kommt und darum sage ich, ich bin die Ersatzmama.“ Shepherd hat sich mit Hilfe der Freunde ein neues Leben aufgebaut. Sich selbst Deutsch beigebracht, den deutschen Führerschein gemacht, eine Ausbildung zum Fachinformatiker abgeschlossen, eine Arbeit und eine neue Wohnung gefunden. ZUSP 26 Michael/ Respekt „So einen Fall hat ja Deutschland noch nicht gehabt, und diesen Schritt ganz alleine zu machen, keine Familie die hinter ihm steht, die sich selber in Amerika sehr viel anhören müssen, von anderen Leuten, weil da drüben ist es ja ganz was schlimmes zu gehen, das ist ein sehr großer Schritt und da habe ich großen Respekt davor, weil das nicht jeder auf so lange Zeit durchhalten würde. Da ist der Andre eine sehr starke Persönlichkeit wo er sagt, lieber so als anderster, das ist was, doch, wo man schon mal hochschauen kann und sagen Hey, bisschen so viel Ehrgeiz wenn man hätt wie er könnte man vielleicht auch mal ein Stück weiterkommen.“ ATMO Andre und Michela reden draußen über Wochenendgestaltung und Verabschiedung Es ist ein warmer Tag im Chiemgau. Michaela Plank muss weiter zu einem ehrenamtlichen Einsatz bei einem Fest bei der örtlichen Wasserwacht. Andre Shepherd ist verabredet zum Bergsteigen. 10 ZUSP 27 Shepherd/ Chiemgau „Das Lustige mit der Sache im Chiemgau ist, dass alle Leute kennen fast alles, sie kennen die ganze Geschichte, sie behandeln mich so wie eine normales Nachbarn, ich finde das echt Spitze.“ 0:15 Shepherd fühlt sich in Deutschland längst zuhause. Viel wohler, sagt er, als er sich je in seiner Heimat gefühlt hat. Die schöne Gegend am Chiemsee mit den Bergen und grünen Wiesen könnte einen fast vergessen lassen, was ihn hierher verschlagen hat und dass er schon bald wieder vor den Europäischen Gerichtshof treten wird, um aus dem Mund der Generalanwältin zu hören, wie es in seinem Fall weitergeht. ZUSP 28 Shepherd/ Heimat „Being part of something like this … what to make of everything.“ Overvoice: „An so etwas teilzuhaben ist…. gut und schlecht, um ehrlich zu sein. Auf der einen Seite sagen viele Leute, das ist super, du hilfst vielen anderen damit aber auf der anderen Seite hat du eine Menge Leute gegen dich. Auch viele Landsleute, die dir vorwerfen, dass du eines der größten Experimente der letzten 300 Jahre, also die Vereinigten Staaten von Amerika, untergräbst und verrätst. Es zerreißt dich innerlich, weil du nicht wirklich weißt, wie du das hinkriegen sollst.“ ATMO 10/ 11/12 Gewerkschaftshaus vor PK Shepherd hat sich entschieden, gegen die Kriegsführung der USA anzutreten und bis in die höchsten Instanzen für sein Recht auf Asyl in Europa zu streiten. Wie ernst es ihm damit ist, wurde am 25. Juni dieses Jahres deutlich. André Shepherd sitzt - nach der mündlichen Verhandlung vor dem EUGH - gemeinsam mit seinen Unterstützern im Gewerkschaftshaus in Luxemburg vor Journalisten. ZUSP 29 Shepherd/ Werkzeuge „For me personally it was today…they are serving.” Overvoice „Es ist für mich persönlich ein sein wichtiger, ein historischer Tag, eine Wegmarke in der Geschichte der Menschheit, weil Regierungen zusammenkommen um die Menschenrechte eines Soldaten, speziell unter dem Aspekt ihres eigenen Gewissens, zu diskutieren. Der Grund warum das so wichtig ist: historisch wurden Soldaten immer nur als Werkzeuge angesehen, die nicht fürs Denken bezahlt werden; ihre Gefühle müssen immer zurücktreten im Dienste des großen Ganzen der Nation, der sie dienen.“ 0:39 ATMO 13 Gewerkschaftshaus Shepherd weiter Die Rechtssache C-472/13. André Lawrence Shepherd gegen Bundesrepublik Deutschland, wird in wenigen Monaten vom Europäischen Gerichtshof entschieden und anschließend an das Verwaltungsgericht in München zurück verwiesen. Ein Urteil ist nicht vor 2015 zu erwarten. 11
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