Wer soll wo und wie behandelt werden ? - Infodrog

Schnittstellen in der Drogenpolitik - neue
Antworten auf alte Fragen
Berner Tagung vom 14.10.2004
Wer soll wo und wie behandelt
werden ?
A. Uchtenhagen
Institut für Suchtforschung Zürich
Zum Thema
•Was soll erreicht werden
–optimale Nutzung der Therapien
•Was soll vermieden werden
–Klienten dort behandeln, wo sie sich melden, auch
wenn es nicht der geeignete Ort ist
–Mangelnde Hinterfragung von Therapievorstellungen und -erwartungen der Klienten
–Ungenügendes screening & assessment
–Mangelhafte Kenntnis anderer Therapieinstitutionen und ihrer Möglichkeiten
–Mangelhafte Bereitschaft für Überweisungen
Gibt es differentielle Indikationen
mit besonderen Erfolgschancen ?
Pro und Contra
Es spielt keine Rolle, wo die
Klienten behandelt werden
Jede Behandlung kann zu signifikanter
Verminderung des Substanzkonsums
führen, einschliesslich Selbsthilfe
(Babor et al 2002)
Keine besseren Resultate bei stationärer
Behandlung als bei ambulanter
Behandlung
(Babor et al 2003, Gossop et al 2001)
Es spielt keine Rolle, welche
Substitutionstherapie gewählt wird
•Kein Unterschied in der therapeutischen
Wirksamkeit von Buprenorphin und
Methadon
(Cochrane Studie Mattick et al 2004)
•Bisher kein Unterschied in der Wirksamkeit von
retardiertem Morphin und Methadon
(Mitchell et al 2004)
aber : es spielt eine Rolle, welche
Entzugsmedikation gewählt wird...
•Methadon : bessere Haltequoten in der
stationären Entzugsbehandlung
•Clonidin :bessere Haltequoten in der ambulanten
Entzugsbehandlung
(Cochrane review Gowing et al 2002)
•Buprenorphin hat weniger Nebenwirkungen als
Clonidin
•Ergebnisse von UROD sind nicht besser als bei
konventionellem Opiatentzug, aber höheres Risiko
(O‘Connor & Kosten 1998)
...und es spielt eine Rolle, welche
Psychotherapie gewählt wird...
•Verhaltenstherapie ist erfolgreicher als
tiefenpsychologische Methoden
(Miller & Hester 1986)
•Verhaltenstherapie ist in der Suchtbehandlung
unentbehrlich, und Belohnungen wie
Sanktionen können wirksam sein
(NIDA 1999, Principles of effective therapy)
...und es gibt eine differentielle
Indikation stationär - ambulant...
•Stationäre Behandlung ist angezeigt für Klienten
–mit erfolglosen ambulanten Behandlungsversuchen,
–fehlender sozialer Unterstützung und
–massiver körperlicher/psychiatrischer Komorbidität
(Finney et al 1996)
•Ambulanter Entzug setzt voraus
–soziale Integration, verlässliche Vereinbarung
-keine massive Entzugssymptomatik zu erwarten
-keine relevante Komorbidität
-keine gescheiterten ambulanten Entzüge
...und auch sonst gibt es Sonderindikationen...
•Spezielle Therapie (ev. gezielte Überweisung) ist
nötig für gute Haltequoten und Resultate bei
besondere Problemen, v.a.
– für eine berufliche Eingliederung
– für eine psychiatrische Behandlung
(McLellan 1997)
...und Kombinationen
•Langzeitverläufe sind günstiger bei individueller
fachlicher Unterstützung als ohne
•AA, NA können professionelle Therapie wirksam
unterstützen, wenn sich der Patient dafür eignet
(8-Jahres Katamnesen Timko et al 2000)
Widersprüche ?
• Randomisierte kontrollierte Studien prüfen die
unterschiedliche Eignung von Therapien,
Institutionen und Therapeuten ohne Rücksicht
auf Klientenerwartungen
• Die Resultate „naturalistischer“ Studien werden
beeinflusst durch Selektionseffekte der TherapieInstitutionen und durch Klientenerwartungen
• Klientenerwartungen bei der Therapiewahl
haben einen therapeutischen Stellenwert
Matching clients to services
oder
matching services to clients ?
Project „Match“
• Prinzip
– „Selecting treatment on the basis of patient
characteristics (Project MATCH group 1998)
• Ergebnis
– No robust or generalisable findings (Gastfriend &
McClellan 1997)
Project „Match“
• Wichtigster Befund : dass das Prinzip nicht
funktioniert
– (Drug and Alcohol Findings 2004)
• Wichtigste Schlussfolgerung : Therapie an
Patienten anpassen, nicht umgekehrt
– tailoring treatment program to nature and severity of
individual patient problems (versus standard
treatment)
– Better retention, better outcome (McClellan e a 1997)
Stichworte zur „geeigneten“
Therapie
•
Was ist eine „geeignete“ Therapie ?
• Eine „geeignete“ Therapie berücksichtigt die
besondere Problemlage und Bedürfnisse des
individuellen Klienten
• Eine „geeignete“ Therapie berücksichtigt die
Motivationslage und Erwartungen des
individuellen Klienten
• Eine „geeignete“ Therapie hat die geringsten
Risiken
• Eine „geeignete“ Therapie hat die beste KostenEffizienz
Stellenwert der drogenfreien
stationären Langzeitbehandlung
•Erfolgschancen auch bei gescheiterten
Substitutions-Behandlungen
•Gute Langzeiteffekte auch bei abgeschlossener
Behandlung
•Hohe Selektivität
•Begrenzte Haltequote (40-60% in 12 Mten)
•Erhöhtes Mortalitätsrisiko nach Abschluss und
Rückfall
Indikationen für eine stationäre
ausstiegsorientierte Therapie
•Kurz- und mittelfristig
–Moratorium (Unterbrechung von
Dauerintoxikation und chronischem
Ausweichen vor therapeutischem Kontakt)
–Entzug (Teilentzug oder Vollentzug) unter Kontrolle
–Vorbereitung einer ambulanten Therapie
•Längerfristig
–Fehlende Minimalvoraussetzungen für eine
ambulante Behandlung
–Präferenz des Patienten
Stellenwert der
Substitutionsbehandlungen
• Erreicht schätzungsweise 10-20 mal mehr
Abhängige als stationäre Langzeitprogramme
• Öffentliches Interesse :
– mehr Abhängige können erreicht werden
– Beitrag zur Eindämmung von HIV/Hepatitis
• Niedrigere Kosten pro Behandlungstag, nicht
unbedingt pro abgeschlossene Behandlung
• Behandlungsdauer grundsätzlich unbegrenzt
Stellenwert der Kombination
stationäre Langzeit-Behandlung und
Substitution
•Mögliche Indikationen
–Opiatabhängige mit fortgesetztem Heroinkonsum
und chaotischem Lebensstil während
methadongestützter Behandlung
–Hoch rückfallgefährdete Klienten in stationärer
Behandlung
–Klienten die bereit sind ein stationäres Programm
zu akzeptieren, aber (noch) nicht die
Abstinenz
•Noch zu wenig ausgewertete Erfahrungen
Stellenwert der ambulanten
Behandlung ohne Substitution
• Bei sozial gut integrierten Klienten mit
gesonderter Psychotherapie-Indikation
•Erfolgreiche Modelle für ambulanten
Alkoholentzug
•Besonders hohe Abbrecherquote bei ambulantem
Opiatentzug
•Begrenzte Attraktivität, häufige Abbrüche
•Begrenzte Compliance, häufige Rückfälle
(DATOS Simpson & Sells 1990)
Stellenwert motivationsfördernder
Verfahren
• Ambulante Wirksamkeit
– riskanter/schädlicher Konsum
– Unterstützung bei ambulantem Entzug
– Förderung eines aktiven Engagements in Therapie
• Stationäre Wirksamkeit
– Verminderung des Abbrecherrisikos
– Förderung eines aktiven Engagements in Therapie
– Förderung der Bereitschaft zu einer Nachbehandlung
Vorläufiges Fazit
•Es braucht eine bedürfnisgerechte Therapieplanung und -durchführung (institutionell
wie im Einzelfall)
•Dazu müssen die Behandlungsbedürfnisse bekannt
sein (generell wie im Einzelfall)
•Dazu braucht es optimale Vernetzung für
Zusammenarbeit und Zuweisungen (ein
Manual und eine zentrale Informationsstelle
sind nicht ausreichend)