Wie sich Weise motivieren - Jimdo

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Wie sich Weise motivieren
DER ÄLTESTENRAT
Keine Lust, morgens ins Büro zu gehen? Wenig geneigt, mehr als
Dienst nach Vorschrift zu leisten? Wege aus dem Stimmungstief
erläutert der Ältestenrat: In seiner jüngsten Sitzung zeigt er auf,
wie man sich selbst motivieren kann.
C Über 200 Milliarden Euro pro Jahr kostet
Deutschlands Unternehmen die fehlende
Motivation ihrer Mitarbeiter, schätzt die HR
Managementberatung SKP. Und auch Führungskräfte sind vor dem Motivationsloch
nicht gefeit: Jeder dritte Manager trägt sich
mit Kündigungsgedanken, so eine Hewitt
Studie aus dem Jahr 2007. Dass ein hohes
Gehalt vor Phasen der Erschöpfung und
Demotivation nicht schützt, ist hinlänglich
bekannt. Weiche Faktoren, zum Beispiel
Vertrauen in den Mitarbeiter, ein gutes
Betriebsklima und individuelle Wachstumschancen, scheinen eine weitaus größere
Rolle für die Motivation zu spielen. Leider
kann man sich nicht darauf verlassen, dass
der eigene Chef das weiß und beherzigt.
Daher lautete die Frage an den Ältestenrat:
Wie motiviere ich mich selbst, wenn es sonst
keiner tut?
Ratschlag 1: Vom Leistenmüssen zum
Leistendürfen!
In Asien sind Wirtschaft und Kultur im Aufbruch. Länder wie China, Korea oder Indien
scheinen motiviert und hungrig, die durchmanagerSeminare | Heft 129 | Dezember 2008
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schnittliche Arbeitszeit pro Tag liegt bei 12
Stunden. In Deutschland dagegen ist viel
Arbeit von Übel, führt zwangsläufig zu
Stress, Burnout, Lustlosigkeit und dem
Gefühl, sinnentleert ein Hamsterrad zu drehen. Einige Thesen zum Dauerstress an
deutschen Arbeitsplätzen sind zu festen,
nicht mehr hinterfragten Glaubenssätzen
geworden. Zum Beispiel:
A Wir leben in einer Leistungsgesellschaft!
(Was wäre die Alternative?)
A Wir müssen alle funktionieren! (Ist das
nicht selbstverständlich?)
A Wir sind laufend einem viel zu hohen
Leistungsdruck ausgesetzt! (Im internationalen Vergleich eher nein!)
Die Mitglieder des Ältestenrates geben zu
bedenken: Eine solche Einstellung ist leistungsfeindlich und sollte hinterfragt werden. Der Arzt und Psychotherapeut Dr.
Manfred Jucho (Jahrgang 1927) rät beispielsweise: „Arbeiten sollte man nicht nur
Der Ältestenrat stellt sich vor
Ehemalige Vorstände, Geschäftsleute und Regierungsbeauftragte: Der Ältestenrat setzt sich aus 25 Persönlichkeiten mit umfassender Lebenserfahrung zusammen. Ihr gemeinsames Kennzeichen: Sie alle sind
über 80 Jahre alt. Unsere Autorin Dr. Claudia Harss, Geschäftsführerin der TWIST Consulting Group, hat
diese Ältesten zu Themen wie Motivation, Lernen und Führung befragt und ihre Erfahrungen mit Erkenntnissen aus Philosophie und Hirnforschung verknüpft.
A Emeran Mayer wurde 1921 als ältester Sohn einer traditionsreichen Traunsteiner Konditorenfamilie
geboren. Nach dem Krieg übernahm er das Geschäft mit etwa 20 Angestellten vom Vater und führte es
gemeinsam mit seiner Frau. Seinen eigenen Kindern wollte Emeran Mayer die Möglichkeit geben, ihren
Lebensweg selbst zu wählen, und schloss die Konditerei mit seiner Pensionierung. Sein ältester Sohn heißt
zwar nach alter Tradition „Emeran“, ist aber nicht mehr Konditor, sondern Universitätsprofessor in Los
Angeles. Emeran Mayer verstarb im Mai 2008 in Siegsdorf.
A Luzie Lentz wurde 1915 als Tochter des Künstlerehepaares Maria und August in München geboren.
Nach dem Gymnasium wollte sie Schauspielerin werden und setzte dies gegen die Eltern durch. Sie schaffte die Aufnahmeprüfung an der renommierten Falckenberg Schule des Münchner Staatstheaters und arbeitete anschließend an verschiedenen Theatern (Ingolstadt, Memmingen, Göttingen, Hannover). Eine schwere Diphterie-Erkrankung markierte den Wendepunkt ihres Lebensweges: Luzie Lentz begann eine
Therapieausbildung bei der bekannten Atemtherapeutin Margarethe Mhe und kam mehr und mehr mit
körperorientierten Therapieverfahren in Berührung. Seit 1960 arbeitet sie als Autorin und Therapeutin für
konzentrative Körpertherapie in Lenggries.
A Helga Hohorst wurde 1926 in Lyck (Südpreußen) als Tochter eines Handwerkers geboren. Als 1944
ihre Schule geschlossen wurde, floh sie nach Mitteldeutschland und wurde dort als Rotkreuzhelferin eingesetzt. Auf diese Weise kam es zu einer Begegnung mit einem Arzt und Förderer, der sie als Sekretärin
mit nach Gauting (Oberbayern) nahm, wo er eine Chefarztposition übernommen hatte. Aus dem Krankenhaus wechselte Helga Hohorst in ein Industrieunternehmen. Als sie ihren Mann, den Ingenieur Curt Hohorst,
kennenlernte, tat sie sich mit ihm auch beruflich zusammen und erledigte den organisatorischen und
buchhalterischen Teil seiner Aufträge als freiberuflicher Ingenieur und Statiker. Heute lebt Helga Hohorst in
Gauting.
A Dr. Manfred Jucho (Jahrgang 1919) wurde als Sohn eines vor dem Krieg sehr erfolgreichen Bauunternehmers in Berlin geboren. Er bezeichnet sich selbst als schwarzes Schaf der Familie, da er wenig
Neigung zeigte, in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters zu steigen und schon als Junge lieber
Medizin studieren wollte. 1951 konnte er sein Medizinstudium abschließen. Nach einer Ausbildung bei
verschiedenen Meistern ihres Fachs (zum Beispiel dem C.G.-Jung-Schüler C. R. Heyer, I. A. Schulz und Prof.
Zabel) ließ er sich als Internist und Psychotherapeut in Bayern nieder. Manfred Jucho praktiziert noch heute
in Lenggries.
A Nikolaus Regehr (Jahrgang 1915) wurde als Sohn eines deutschstämmigen Großgrundbesitzers in
Russland geboren. In Deutschland studierte er Wirtschaft und absolvierte zugleich eine Ausbildung zum
Dolmetscher. Nach dem Krieg nahm Regehr eine Stelle bei einer Bank an und verbrachte dort insgesamt
sieben Jahre. Danach machte er sein Vermögen als selbstständiger Unternehmensberater. Als mehrfacher
Millionär setzte sich Nikolaus Regehr nach seiner Pensionierung keineswegs zur Ruhe, sondern erwarb
35.000 Hektar Land in Südamerika und gründete verschiedene Firmen.
managerSeminare | Heft 129 | Dezember 2008
aus der Disziplin heraus, sondern weil man
fühlt, dass man etwas soll.“ Auch die ehemalige Sekretärin Helga Hohorst (Jahrgang
1926) meint: „Man muss die Arbeit nicht als
unangenehme Pflicht empfinden, sondern
kann sie als Spaß betrachten. Dann hört
man auch nicht auf zu arbeiten.“
Dass an diesen Aussagen etwas dran ist,
belegt die Wissenschaft: Die Motivationsforscher Prof. Heinz Schuler und Dr. Michael Prochaska konnten mit ihrem Leistungsmotivationsinventar (LMI) an über 3.000
Versuchspersonen nachweisen, dass bei den
erfolgreichsten Vertretern verschiedener
Berufsgruppen neben wenig lustvollen „Du
musst das tun“-Kategorien wie Beharrlichkeit, Selbstkontrolle und Anstrengung
durchaus auch lustbetonte Aspekte wie
Wertschätzung der Arbeit, Selbst- und Weltvergessenheit (Flow) oder Leistungsstolz
eine entscheidende Rolle spielen. „Der Wille
zählt“, sagt dazu Prof. Schuler. Es obliegt also
der Einstellung des Einzelnen, ob er Arbeit
als lästige Pflicht oder selbstverständlichen
Bestandteil des Lebens betrachtet, demgegenüber man offen und positiv eingestellt
sein kann.
Rückendeckung für den Hinweis des
Ältestenrats, zu einer positiven Einstellung
zur Arbeit (zurück) zu finden, gibt es auch
vom 2006 verstorbenen Historiker und FAZHerausgeber Joachim Fest. Er meinte in
einem ZEIT-Interview anlässlich seines achtzigsten Geburtstags: „Alle reden vom Leistungsdruck. Keiner redet von Leistungsglück. Es gibt kein Glück ohne Leistung!“
Ratschlag 2: Leistung macht Spaß, wenn
man tut, was einem liegt!
Die persönliche Einstellung ist indes nicht
der einzige Schlüssel zur erfolgreichen
Selbstmotivation. Aus dem Ältestenrat
kommt ein weiterer Hinweis: Wirklich gute
Leistung und Spaß an einer Aufgabe kommen nur dann zustande, wenn die Aufgabe
zu persönlichen Stärken und Bedürfnissen
passt. Natürlich wird man auch bei stimmigen Aufgaben mit seinen Schwächen (zum
Beispiel Schlampigkeit, Schüchternheit,
mangelnde sprachliche Ausdrucksfähigkeit)
konfrontiert. Man ist aber insgesamt motivierter, an diesen Schwächen zu arbeiten
und sich zu entwickeln, wenn das eigentliche Talent voll zum Zuge kommt und den
Löwenanteil der Arbeit ausmacht. Die Therapeutin und Autorin Luzie Lentz (Jahrgang
1915) achtet in ihrer Arbeit bereits seit Jahrzehnten auf diesen Grundsatz: „Ich suche
im Menschen zuerst nach dem, was stabil
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und stark ist, bevor ich anfange, mit ihm an
Problemen zu arbeiten: eine stabile Basis,
von der aus es möglich ist, weiterzugehen.“
Forschungsarbeiten aus der Arbeits- und
Organisationspsychologie kommen zu
einem ähnlichen Ergebnis: Wichtig für die
Motivation ist demnach tatsächlich der Einsatz eines Mitarbeiters nach individuellen
Stärken und Fähigkeiten. Die Neurodidaktik, ein Zweig der modernen Hirnforschung,
erklärt, warum dem so ist: Bereits bei kleinen
Kindern werden bei verschiedenen Tätigkeiten und Spielen positive und negative Lernerfahrungen und die damit einhergehenden
Emotionen durch neuronale Verknüpfungen
gespeichert. Fast alles, was später an Erfahrungen hinzukommt, wird in diese seit früher Kindheit bestehenden Netzwerke integriert. Lernen funktioniert dabei am besten
nach dem Lustprinzip unter der Beteiligung
von Dopamin. Damit bilden sich Stärken
und Vorlieben für bestimmte Tätigkeiten
immer deutlicher heraus: Ein bestimmter
Aufgabentypus mit bestimmten Merkmalen
liegt einem und macht Spaß.
In biografischen Interviews (zum Beispiel
im Rahmen von Management Audits) können diese motivierenden Aufgabentypen
meist gut herausgefragt und in ihren Wurzeln bis ins Vorschulalter verfolgt werden:
Der introvertierte technische Spezialist war
schon als Kind am glücklichsten, wenn er in
Ruhe an seinem Modellflugzeug tüfteln
konnte. Dabei hat er gelernt, sich zu konzentrieren und exakt an technische Baupläne zu halten. Die älteste Tochter einer Großfamilie hat ihre Eltern bei Haushalt und
Betreuung der kranken Oma und der kleinen
Geschwister unterstützt. Heute macht die
Führungsaufgabe immer noch Spaß: Sie
packt überall mit an und kann über alle Hierarchiestufen hinweg gut kommunizieren.
Sogar das Lob vom Chef (Papa) ist ihr heute
noch (auffällig) wichtig.
Zu Recht fordert also der inzwischen dreiundneunzigjährige Unternehmensberater
Nikolaus Regehr (Jahrgang 1915) die junge
Generation auf: „Auch wenn die Welt immer
komplexer wird, meine Enkel, sucht und
findet die euch beglückende, euch angemessene Aufgabe!“
Ratschlag 3: Wenn es öde wird, etwas
anders machen!
Der Konditormeister Emeran Mayer (Jahrgang 1921) stand früher oft von sechs Uhr
morgens bis elf Uhr nachts in seiner Backstube. Wie hält man das fast fünfzig Jahre
lang aus? Auf diese Frage wusste der alte
Herr, ohne einen Moment nachzudenken,
eine Antwort: „Immer, wenn es mir fad
wurde, hab ich gewusst: Ich muss was ganz
Neues ausprobieren. Wenn man die Arbeit
mit eigenen kreativen Einfällen würzt, vergeht die Zeit wie im Flug. Dass unser
Geschäft immer für eine Überraschung gut
war, ist auch bei meinen Kunden sehr gut
angekommen.“
Kann man diese Erfahrung auf andere
Aufgaben übertragen? Hat ein Manager oder
Personaler Raum für Kreativität? Diese Frage
wird jeder für sich selbst prüfen müssen, aber
es gibt gute Argumente, die KreativitätsKarte auszuspielen: Ein Beitrag des Hirnforschers Professor Manfred Spitzer aus dem
Jahr 2007 stützt nämlich Emeran Mayers
Ratschlag. Demnach strebt das Gehirn nach
neuen positiven Erfahrungen. Immer dann,
wenn eine Erwartung positiv übertroffen
wird, springt die Großhirnrinde an, um zu
lernen, was zu der positiven Überraschung
geführt hat. Dabei sorgen Endorphine für
eine leichte Euphorie. Kreativität, Neugierde
und Experimentierfreudigkeit werden vom
Gehirn belohnt und machen tatsächlich
glücklich.
„Ja, aber ...“, könnte man gegen all die
Ratschläge der Ältesten einwenden, „Selbstmotivation nützt doch auf Dauer nicht,
wenn das Umfeld furchtbar ist.“ Das stimmt
nicht ganz: Positive und motivierte Menschen sind nachweislich weniger egoistisch,
aggressiv und seltener krank. Sie bekommen
ein positives Echo aus ihrem Umfeld. Fazit:
Wer sich selbst zu motivieren weiß, verändert auch seine Arbeitsumgebung zum
Besseren.
Dr. Claudia Harss C
Service
Literaturtipps
A Heinz Schuler und Michael Prochaska.
Unter Mitarbeit von Andreas Frintrup: Leistungsmotivationsinventar (LMI). Dimensionen berufsbezogener Leistungsorientierung.
Hogrefe, Göttingen 2001, 298 Euro.
A Manfred Spitzer: Kann, darf, soll oder
muss man Glück wissenschaftlich untersuchen? In: Manfred Spitzer und Wulf Bertram:
Braintertainment. Expeditionen in die Welt
von Geist und Gehirn. Schattauer, Stuttgart
2007, 29,95 Euro.
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