knowledge | 41 Wie sich Weise motivieren DER ÄLTESTENRAT Keine Lust, morgens ins Büro zu gehen? Wenig geneigt, mehr als Dienst nach Vorschrift zu leisten? Wege aus dem Stimmungstief erläutert der Ältestenrat: In seiner jüngsten Sitzung zeigt er auf, wie man sich selbst motivieren kann. C Über 200 Milliarden Euro pro Jahr kostet Deutschlands Unternehmen die fehlende Motivation ihrer Mitarbeiter, schätzt die HR Managementberatung SKP. Und auch Führungskräfte sind vor dem Motivationsloch nicht gefeit: Jeder dritte Manager trägt sich mit Kündigungsgedanken, so eine Hewitt Studie aus dem Jahr 2007. Dass ein hohes Gehalt vor Phasen der Erschöpfung und Demotivation nicht schützt, ist hinlänglich bekannt. Weiche Faktoren, zum Beispiel Vertrauen in den Mitarbeiter, ein gutes Betriebsklima und individuelle Wachstumschancen, scheinen eine weitaus größere Rolle für die Motivation zu spielen. Leider kann man sich nicht darauf verlassen, dass der eigene Chef das weiß und beherzigt. Daher lautete die Frage an den Ältestenrat: Wie motiviere ich mich selbst, wenn es sonst keiner tut? Ratschlag 1: Vom Leistenmüssen zum Leistendürfen! In Asien sind Wirtschaft und Kultur im Aufbruch. Länder wie China, Korea oder Indien scheinen motiviert und hungrig, die durchmanagerSeminare | Heft 129 | Dezember 2008 42 | knowledge schnittliche Arbeitszeit pro Tag liegt bei 12 Stunden. In Deutschland dagegen ist viel Arbeit von Übel, führt zwangsläufig zu Stress, Burnout, Lustlosigkeit und dem Gefühl, sinnentleert ein Hamsterrad zu drehen. Einige Thesen zum Dauerstress an deutschen Arbeitsplätzen sind zu festen, nicht mehr hinterfragten Glaubenssätzen geworden. Zum Beispiel: A Wir leben in einer Leistungsgesellschaft! (Was wäre die Alternative?) A Wir müssen alle funktionieren! (Ist das nicht selbstverständlich?) A Wir sind laufend einem viel zu hohen Leistungsdruck ausgesetzt! (Im internationalen Vergleich eher nein!) Die Mitglieder des Ältestenrates geben zu bedenken: Eine solche Einstellung ist leistungsfeindlich und sollte hinterfragt werden. Der Arzt und Psychotherapeut Dr. Manfred Jucho (Jahrgang 1927) rät beispielsweise: „Arbeiten sollte man nicht nur Der Ältestenrat stellt sich vor Ehemalige Vorstände, Geschäftsleute und Regierungsbeauftragte: Der Ältestenrat setzt sich aus 25 Persönlichkeiten mit umfassender Lebenserfahrung zusammen. Ihr gemeinsames Kennzeichen: Sie alle sind über 80 Jahre alt. Unsere Autorin Dr. Claudia Harss, Geschäftsführerin der TWIST Consulting Group, hat diese Ältesten zu Themen wie Motivation, Lernen und Führung befragt und ihre Erfahrungen mit Erkenntnissen aus Philosophie und Hirnforschung verknüpft. A Emeran Mayer wurde 1921 als ältester Sohn einer traditionsreichen Traunsteiner Konditorenfamilie geboren. Nach dem Krieg übernahm er das Geschäft mit etwa 20 Angestellten vom Vater und führte es gemeinsam mit seiner Frau. Seinen eigenen Kindern wollte Emeran Mayer die Möglichkeit geben, ihren Lebensweg selbst zu wählen, und schloss die Konditerei mit seiner Pensionierung. Sein ältester Sohn heißt zwar nach alter Tradition „Emeran“, ist aber nicht mehr Konditor, sondern Universitätsprofessor in Los Angeles. Emeran Mayer verstarb im Mai 2008 in Siegsdorf. A Luzie Lentz wurde 1915 als Tochter des Künstlerehepaares Maria und August in München geboren. Nach dem Gymnasium wollte sie Schauspielerin werden und setzte dies gegen die Eltern durch. Sie schaffte die Aufnahmeprüfung an der renommierten Falckenberg Schule des Münchner Staatstheaters und arbeitete anschließend an verschiedenen Theatern (Ingolstadt, Memmingen, Göttingen, Hannover). Eine schwere Diphterie-Erkrankung markierte den Wendepunkt ihres Lebensweges: Luzie Lentz begann eine Therapieausbildung bei der bekannten Atemtherapeutin Margarethe Mhe und kam mehr und mehr mit körperorientierten Therapieverfahren in Berührung. Seit 1960 arbeitet sie als Autorin und Therapeutin für konzentrative Körpertherapie in Lenggries. A Helga Hohorst wurde 1926 in Lyck (Südpreußen) als Tochter eines Handwerkers geboren. Als 1944 ihre Schule geschlossen wurde, floh sie nach Mitteldeutschland und wurde dort als Rotkreuzhelferin eingesetzt. Auf diese Weise kam es zu einer Begegnung mit einem Arzt und Förderer, der sie als Sekretärin mit nach Gauting (Oberbayern) nahm, wo er eine Chefarztposition übernommen hatte. Aus dem Krankenhaus wechselte Helga Hohorst in ein Industrieunternehmen. Als sie ihren Mann, den Ingenieur Curt Hohorst, kennenlernte, tat sie sich mit ihm auch beruflich zusammen und erledigte den organisatorischen und buchhalterischen Teil seiner Aufträge als freiberuflicher Ingenieur und Statiker. Heute lebt Helga Hohorst in Gauting. A Dr. Manfred Jucho (Jahrgang 1919) wurde als Sohn eines vor dem Krieg sehr erfolgreichen Bauunternehmers in Berlin geboren. Er bezeichnet sich selbst als schwarzes Schaf der Familie, da er wenig Neigung zeigte, in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters zu steigen und schon als Junge lieber Medizin studieren wollte. 1951 konnte er sein Medizinstudium abschließen. Nach einer Ausbildung bei verschiedenen Meistern ihres Fachs (zum Beispiel dem C.G.-Jung-Schüler C. R. Heyer, I. A. Schulz und Prof. Zabel) ließ er sich als Internist und Psychotherapeut in Bayern nieder. Manfred Jucho praktiziert noch heute in Lenggries. A Nikolaus Regehr (Jahrgang 1915) wurde als Sohn eines deutschstämmigen Großgrundbesitzers in Russland geboren. In Deutschland studierte er Wirtschaft und absolvierte zugleich eine Ausbildung zum Dolmetscher. Nach dem Krieg nahm Regehr eine Stelle bei einer Bank an und verbrachte dort insgesamt sieben Jahre. Danach machte er sein Vermögen als selbstständiger Unternehmensberater. Als mehrfacher Millionär setzte sich Nikolaus Regehr nach seiner Pensionierung keineswegs zur Ruhe, sondern erwarb 35.000 Hektar Land in Südamerika und gründete verschiedene Firmen. managerSeminare | Heft 129 | Dezember 2008 aus der Disziplin heraus, sondern weil man fühlt, dass man etwas soll.“ Auch die ehemalige Sekretärin Helga Hohorst (Jahrgang 1926) meint: „Man muss die Arbeit nicht als unangenehme Pflicht empfinden, sondern kann sie als Spaß betrachten. Dann hört man auch nicht auf zu arbeiten.“ Dass an diesen Aussagen etwas dran ist, belegt die Wissenschaft: Die Motivationsforscher Prof. Heinz Schuler und Dr. Michael Prochaska konnten mit ihrem Leistungsmotivationsinventar (LMI) an über 3.000 Versuchspersonen nachweisen, dass bei den erfolgreichsten Vertretern verschiedener Berufsgruppen neben wenig lustvollen „Du musst das tun“-Kategorien wie Beharrlichkeit, Selbstkontrolle und Anstrengung durchaus auch lustbetonte Aspekte wie Wertschätzung der Arbeit, Selbst- und Weltvergessenheit (Flow) oder Leistungsstolz eine entscheidende Rolle spielen. „Der Wille zählt“, sagt dazu Prof. Schuler. Es obliegt also der Einstellung des Einzelnen, ob er Arbeit als lästige Pflicht oder selbstverständlichen Bestandteil des Lebens betrachtet, demgegenüber man offen und positiv eingestellt sein kann. Rückendeckung für den Hinweis des Ältestenrats, zu einer positiven Einstellung zur Arbeit (zurück) zu finden, gibt es auch vom 2006 verstorbenen Historiker und FAZHerausgeber Joachim Fest. Er meinte in einem ZEIT-Interview anlässlich seines achtzigsten Geburtstags: „Alle reden vom Leistungsdruck. Keiner redet von Leistungsglück. Es gibt kein Glück ohne Leistung!“ Ratschlag 2: Leistung macht Spaß, wenn man tut, was einem liegt! Die persönliche Einstellung ist indes nicht der einzige Schlüssel zur erfolgreichen Selbstmotivation. Aus dem Ältestenrat kommt ein weiterer Hinweis: Wirklich gute Leistung und Spaß an einer Aufgabe kommen nur dann zustande, wenn die Aufgabe zu persönlichen Stärken und Bedürfnissen passt. Natürlich wird man auch bei stimmigen Aufgaben mit seinen Schwächen (zum Beispiel Schlampigkeit, Schüchternheit, mangelnde sprachliche Ausdrucksfähigkeit) konfrontiert. Man ist aber insgesamt motivierter, an diesen Schwächen zu arbeiten und sich zu entwickeln, wenn das eigentliche Talent voll zum Zuge kommt und den Löwenanteil der Arbeit ausmacht. Die Therapeutin und Autorin Luzie Lentz (Jahrgang 1915) achtet in ihrer Arbeit bereits seit Jahrzehnten auf diesen Grundsatz: „Ich suche im Menschen zuerst nach dem, was stabil knowledge | 43 und stark ist, bevor ich anfange, mit ihm an Problemen zu arbeiten: eine stabile Basis, von der aus es möglich ist, weiterzugehen.“ Forschungsarbeiten aus der Arbeits- und Organisationspsychologie kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: Wichtig für die Motivation ist demnach tatsächlich der Einsatz eines Mitarbeiters nach individuellen Stärken und Fähigkeiten. Die Neurodidaktik, ein Zweig der modernen Hirnforschung, erklärt, warum dem so ist: Bereits bei kleinen Kindern werden bei verschiedenen Tätigkeiten und Spielen positive und negative Lernerfahrungen und die damit einhergehenden Emotionen durch neuronale Verknüpfungen gespeichert. Fast alles, was später an Erfahrungen hinzukommt, wird in diese seit früher Kindheit bestehenden Netzwerke integriert. Lernen funktioniert dabei am besten nach dem Lustprinzip unter der Beteiligung von Dopamin. Damit bilden sich Stärken und Vorlieben für bestimmte Tätigkeiten immer deutlicher heraus: Ein bestimmter Aufgabentypus mit bestimmten Merkmalen liegt einem und macht Spaß. In biografischen Interviews (zum Beispiel im Rahmen von Management Audits) können diese motivierenden Aufgabentypen meist gut herausgefragt und in ihren Wurzeln bis ins Vorschulalter verfolgt werden: Der introvertierte technische Spezialist war schon als Kind am glücklichsten, wenn er in Ruhe an seinem Modellflugzeug tüfteln konnte. Dabei hat er gelernt, sich zu konzentrieren und exakt an technische Baupläne zu halten. Die älteste Tochter einer Großfamilie hat ihre Eltern bei Haushalt und Betreuung der kranken Oma und der kleinen Geschwister unterstützt. Heute macht die Führungsaufgabe immer noch Spaß: Sie packt überall mit an und kann über alle Hierarchiestufen hinweg gut kommunizieren. Sogar das Lob vom Chef (Papa) ist ihr heute noch (auffällig) wichtig. Zu Recht fordert also der inzwischen dreiundneunzigjährige Unternehmensberater Nikolaus Regehr (Jahrgang 1915) die junge Generation auf: „Auch wenn die Welt immer komplexer wird, meine Enkel, sucht und findet die euch beglückende, euch angemessene Aufgabe!“ Ratschlag 3: Wenn es öde wird, etwas anders machen! Der Konditormeister Emeran Mayer (Jahrgang 1921) stand früher oft von sechs Uhr morgens bis elf Uhr nachts in seiner Backstube. Wie hält man das fast fünfzig Jahre lang aus? Auf diese Frage wusste der alte Herr, ohne einen Moment nachzudenken, eine Antwort: „Immer, wenn es mir fad wurde, hab ich gewusst: Ich muss was ganz Neues ausprobieren. Wenn man die Arbeit mit eigenen kreativen Einfällen würzt, vergeht die Zeit wie im Flug. Dass unser Geschäft immer für eine Überraschung gut war, ist auch bei meinen Kunden sehr gut angekommen.“ Kann man diese Erfahrung auf andere Aufgaben übertragen? Hat ein Manager oder Personaler Raum für Kreativität? Diese Frage wird jeder für sich selbst prüfen müssen, aber es gibt gute Argumente, die KreativitätsKarte auszuspielen: Ein Beitrag des Hirnforschers Professor Manfred Spitzer aus dem Jahr 2007 stützt nämlich Emeran Mayers Ratschlag. Demnach strebt das Gehirn nach neuen positiven Erfahrungen. Immer dann, wenn eine Erwartung positiv übertroffen wird, springt die Großhirnrinde an, um zu lernen, was zu der positiven Überraschung geführt hat. Dabei sorgen Endorphine für eine leichte Euphorie. Kreativität, Neugierde und Experimentierfreudigkeit werden vom Gehirn belohnt und machen tatsächlich glücklich. „Ja, aber ...“, könnte man gegen all die Ratschläge der Ältesten einwenden, „Selbstmotivation nützt doch auf Dauer nicht, wenn das Umfeld furchtbar ist.“ Das stimmt nicht ganz: Positive und motivierte Menschen sind nachweislich weniger egoistisch, aggressiv und seltener krank. Sie bekommen ein positives Echo aus ihrem Umfeld. Fazit: Wer sich selbst zu motivieren weiß, verändert auch seine Arbeitsumgebung zum Besseren. Dr. Claudia Harss C Service Literaturtipps A Heinz Schuler und Michael Prochaska. Unter Mitarbeit von Andreas Frintrup: Leistungsmotivationsinventar (LMI). Dimensionen berufsbezogener Leistungsorientierung. Hogrefe, Göttingen 2001, 298 Euro. A Manfred Spitzer: Kann, darf, soll oder muss man Glück wissenschaftlich untersuchen? In: Manfred Spitzer und Wulf Bertram: Braintertainment. Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn. Schattauer, Stuttgart 2007, 29,95 Euro. managerSeminare | Heft 129 | Dezember 2008
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