WAS KOMMT DANACH? SPENDERSCHICKSAL 6 JAHRE NACH LEBEND-NIERENTRANSPLANTATION N. MISTRY-BURCHARDI, G. F. HILLEBRAND, W. LAND WAS KOMMT DANACH? SPENDERSCHICKSAL 6 JAHRE NACH LEBEND-NIERENTRANSPLANTATION EINLEITUNG Nicht nur vor dem Hintergrund der Organknappheit, sondern auch aufgrund der hervorragenden Ergebnisse ist die LebendNierenspende Verwandter und Nichtverwandter weltweit zu einem anerkannten Verfahren geworden. Die Vorteile für den Empfänger müssen jedoch an den möglichen Konsequenzen für den gesunden Spender gemessen werden. Die Evaluierung perioperativer Risiken und möglicher Langzeitschäden für den Spender sind deshalb von großer Wichtigkeit. Die perioperative Mortalität wird weltweit bei 0,03% angesetzt, bei uns beträgt sie 0%. Frühe und späte chirurgische Komplikationen scheinen vertretbar gering. So treten z.B. Lungenembolien in 0-7% der Fälle auf, während Narbenschmerzen und -hernien in 7-12% der Fälle beobachtet werden (Land 1993). Davon unterschieden werden die mit einer Nephrektomie potentiell verbundenen sogenannten Spätschäden wie Hypertonie, Proteinurie und Niereninsuffizienz, deren eigentliche Häufigkeiten noch immer unklar sind. Einige Arbeiten mit ausreichend langen Nachbeobachtungszeiten und/oder großen Fallzahlen sind publiziert. Es wird hieraus deutlich, daß sich nach Lebend-Nierenspende oder Einzel-Nephrektomie eine Hypertonie in 14-68% der Fälle entwickeln kann. Im Vergleich mit Alters- und Geschlechts-gematchten Kontrollgruppen lag die Hypertonie-Inzidenz jedoch auch in diesem Bereich. Eine Proteinurie zeigte sich hingegen nahezu in allen Studien häufiger nach Lebendspende als in den Kontrollgruppen, war jedoch selten hochgradig und bestand meist nur zu einem geringen Anteil aus Albumin. Nicht eindeutig sind die Ergebnisse bezüglich der Nierenfunktion. Die Nierenfunktion nimmt in der Regel unmit- telbar postoperativ ab und erreicht nach ca. 2 Wochen einen stabilen Wert, der bei ca. 70 - 80 % des Ausgangwertes liegt. Einige wenige Fälle einer terminalen Niereninsuffizienz sind beschrieben (Tapson 1986). Interessanterweise zeigte eine neuere Arbeit aus Schweden, dass Lebendspender im Vergleich zur Kontrollgruppe länger leben, möglicherweise aufgrund der sehr gründlichen präoperativen Untersuchungen (Fehrman-Ekholm 1997). FRAGESTELLUNG Wir haben retrospektiv unser Kollektiv auf die Entwicklung von sogenannten Spätschäden (Hypertonus, Proteinurie und/oder Nierenfunktionseinschränkung) hin untersucht. METHODEN Blutdruck: Präoperativ wie postoperativ wurden mehrfache Blutdruckmessungen herangezogen. Bei Verdacht auf Hypertonie wurde präoperativ eine ambulante 24h-Blutdruckmessung durchgeführt. Eine schwer einstellbare Hypertonie war eine Kontraindikation für eine Lebend-Nierenspende. Proteinurie: Präoperativ wurde bei allen Patienten eine 24h-Urinsammlung mit Proteinuriedifferenzierung durchgeführt. Patienten rnit Proteinurie wurden nicht zur Lebendspende akzeptiert. Postoperativ wurden positive Ergebnisse im U-Stix registriert und wenn vorhanden ein 24-Stunden Protein-Wert notiert. Nierenfunktion: Präoperativ wurde bei allen Patienten eine Kreatinin-Clearance sowie 157 J nephrol Team 4-2003 N. MISTRY-BURCHARDI, G. F. HILLEBRAND, W. LAND eine seitengetrennte Clearance rnit Technetium-markiertem MAG3 durchgeführt. Bei Unstimmigkeiten oder zu niedrigen Werten erfolgte eine Inulin-Clearance. Eine hierdurch verifizierte reduzierte Nierenfunktion galt als Kontraindikation für die LebendNierenspende. Postoperativ wurden SerumKreatininwerte ermittelt und bei 9 Patienten eine MAG3Clearance im Verlauf durchgeführt. SPENDER-DEMOGRAPHIE Seit Beginn des „ Münchner Modells“ 1994 wurden bis Juni 2001 152 Lebend-Spenden durchgeführt. Die Beobachtungszeit liegt jetzt im Mittel bei 3 ± 1,3 (0,1-7) Jahren. Es handelte sich um 75 verwandte und 77 nicht verwandte Spenden. Wie auch in anderen Kollektiven zeigten sich die Frauen Spende-freudiger, wobei dies v.a. im Alter zwischen 40 und 60 Jahren der Fall war. Darunter und darüber war das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen. Im Durchschnitt waren die Spender 51 Jahre, die jüngste Spenderin 22 und der älteste Spender 77 Jahre alt. ERGEBNISSE Hypertonie: Im Durchschnitt lagen die Blutdruckwerte bei 120/80 mmHg Sieben von Hundert Patienten (7%), bei denen die Daten zum Blutdruck zur Verfügung standen, litten an einer arteriellen Hypertonie und/oder waren mit antihypertensiven Medikamenten behandelt. Bei 5/7 hatte bereits vor der Operation ein milder Hypertonus bestanden. Eine schwere TABELLE 1: Patient Szintigraphische Clearance (Tc-markiertes MAG3) vor und nach Lebend-Nierenspende 158 J nephrol Team 4-2003 W. J. D. B. S. C. F. H. K. W. T. I. B. A. R. L. B. U. + vor Nieren-Spende [ml/min] 288 307 308 378 350 410 401 483 420 Zeit [Jahre] 0,5 1 2 2 2 4 4 5 7 Hypertonie war bei keinem Patienten zu verzeichnen. Proteinurie: Ein einfach positiver U-Stix lag bei 6/110 (6%) der Patienten vor. Bei insgesamt 8 x 24h-Urinmessungen lagen die Werte zwischen 55-110 mg/d. Somit lag bei keinem Patienten eine signifikante Proteinurie vor. Nierenfunktion: Die Nierenfunktion lag vor der Nephrektomie bei allen Patienten im Normbereich (Serum-Kreatinin im Mittel 0,9 mg/dl). Ein postoperatives Maximum von 1,5 mg/dl wurde in der ersten Woche erreicht. Danach fiel das S-Kreatinin und stabilisierte sich bei den meisten Patienten auf Werte um 1,2 mg/dl. Dieser Wert blieb auch nach Jahren konstant. Die Nierenfunktion hat sich dementsprechend im Durchschnitt auf 73% des Ausgangswertes stabilisiert. Bei ca. 30% der Patienten liegt das SKreatinin derzeit über 1,2 mg/dl, maximal bei 1,8 mg/dl. Diese Werte sind allerdings im Langzeitverlauf stabil geblieben, eine progrediente Verschlechterung war in keinem Fall zu beobachten. Da unsere präoperative Abklärung vor Lebend-Nierenspende auch eine MAG3Clearance beinhaltet, haben wir bei einigen Patienten diese Untersuchung im Verlauf wiederholt (s. Tabelle 1). Alle Patienten liegen erwartungsgemäß deutlich unter ihrem präoperativen Wert, auch wenn bei den meisten Patienten eine kompensatorische Hyperfiltration der Einzelniere deutlich wird. Zwei der 9 Patienten erreichen postoperativ, also mit einer Niere sogar Werte, die über dem für ihr Alter als normal geltenden Wert (für zwei Nieren) lagen. nach Nieren-Spende [ml/min] 151 175 159 191* 152 188 149 186* 196 + Normalwerte [ml/min] > 208 > 206 > 222 > 178 > 188 > 221 > 170 > 176 > 208 Normalwerte für zwei Nieren; *Hyperfiltration der Einzelniere über die Normalwerte (für zwei Nieren) hinaus. WAS KOMMT DANACH? SPENDERSCHICKSAL 6 JAHRE NACH LEBEND-NIERENTRANSPLANTATION Talseth Kidney Int 1986 Dunn Ann Surg 1986 Najarian Lancet 1992 Narkun-Burgess* Kidney Int 1993 Fehrman-Ekholm Transplantation 1997 Großhadern 1994-2001 Nierenfunktion: Proteinurie: Blutdruck: Nieren-Sonographie N Zeit Hypertonie Proteinurie 68 11 Jahre 15% 38% Nieren-Funktion (im Vgl. zu präop.) 79% 250 4 Jahre 14% 3% 67% 57 23 Jahre 32% 23% 80% 28 45 Jahre 68% 17% 83% 389 20 Jahre 35% 3% 70% 100 3 Jahre 7% 6% 73% Kreatinin-Clerance, MAG3-Szintigraphie 24-Stunden-Urin incl. Mikroalbuminurie Ambulante 24-Stunden-Blutdruck-Messung (ABDM) Die Ergebnisse unseres Zentrums sind somit vergleichbar denen anderer Zentren, wenn auch die mittlere Beobachtungszeit noch kurz ist (s. Tabelle 2). An anderen Langzeitproblemen zeigten sich Narbenhernien in 3/152 (2%) und Narbenschmerzen oder Parästhesien in 8/152 (5%) der Fälle. Erwähnenswert ist außerdem eine Scheidung. Die Transplantation hatte von Schwiegertochter auf Schwiegervater stattgefunden. Zu dem Empfänger (ihrem Schwiegervater) und zu ihrem geschiedenen Mann hat die Spenderin keinen Kontakt mehr. ZUSAMMENFASSUNG In unserem Kollektiv von 152 LebendNierenspendern (transplantiert 1994-2001) registrierten wir nach einer mittleren Beobachtungszeit von 3 Jahren einen geringen Anstieg des Serum-Kreatinins von 0,9 auf 1,2 mg/dl, was einem Abfall der Nierenfunktion auf 73% des Ausgangswertes entspricht. Bei ca. 30% der Patienten liegt das Kreatinin über 1,2 mg/dl, maximal bei 1,8 mg/dl (2 Patienten). Eine progrediente Verschlechterung zeigt sich bei keinem der Patienten. Die geringgradige Nierenfunktionseinbuße mit kompensatorischer Hyperfiltration lässt sich auch in der MAG3-Clearance nachvoll- TABELLE 2: Spätschäden nach Nieren-Lebendspende oder *einseitiger Nephrektomie. TABELLE 3: Vorschläge zur jährlichen Nachsorge nach Lebend-Nierenspende. ziehen. Zwei von neun im Verlauf nachuntersuchten Patienten erreichten hierin sogar wieder eine normale Clearance. Eine signifikante Proteinurie beobachteten wir bei keinem der 110 untersuchten Patienten. Eine arterielle Hypertonie trat selten auf (7/100) und war bei fünf dieser Patienten schon vor der Nephrektomie vorhanden. Insgesamt war sie nicht schwerwiegend und mit einer Einfach-Medikation zu therapieren. Als problematisch stellte sich bei der retrospektiven Datenerhebung heraus, dass selten freiwillig eine regelmäßige Nachsorge erfolgt war, insbesondere weil sich die wenigsten Patienten eines Risikos für ihre Gesundheit bewusst waren. Insgesamt sind unsere Daten vergleichbar mit denen anderer Arbeitsgruppen, bei denen das Risiko der Entwicklung von Spätschäden nach Lebend-Nierenspende ebenfalls gering und damit vertretbar erscheint. Allerdings läßt sich durch unsere Erhebung keine Aussage über das tatsächliche Risiko von Hypertonie, Proteinurie und Niereninsuffizienz treffen, da eine Kontrollgruppe fehlt. FAZIT Zur definitiven Risikoabschätzung einer Lebend-Nierenspende und ggf. zur frühzeiti- 159 J nephrol Team 4-2003 N. MISTRY-BURCHARDI, G. F. HILLEBRAND, W. LAND gen therapeutischen Intervention sind langfristige Verlaufsbeobachtungen mit regelmäßigen Kontrollen und standardisierten Messverfahren nötig (Vorschlag zur Nachsorge s. Tabelle 3). Besser noch wäre eine Arbeitsgruppen-übergreifende Datenerfassung in einem „ SpenderRegister“. Literatur bei der Verfasserin. N. Mistry-Burchardi Schwerpunkt Nephrologie Medizinische Klinik I Ludwig-Maximilians-Universität Marchioninistr. 15 D-81377 München MEIN LEBEN DURCH DICH Geschichten und Gedichte zur Organspende von Patienten und Angehörigen Bundesverband der Organtransplantierten e.V. (Hrsg.) Dankbarkeit ist nicht in Mode, Organspende ebensowenig. Der Bundesverband der Organtransplantierten hat ein unmodernes Buch herausgebracht - einen Dank an Organspender und deren Angehörige; Empfänger melden sich zu Wort, deren Verwandte - und Kranke, die noch auf ihr Spenderorgan warten: Szenen, Erinnerungen, Hoffnungen, Gedichte, Gebete, Träume, Malereien. Keine Kunst, keine Philosophie, nur Emotionen und Gedanken, die sich an der Grenze zwischen Leben und Tod aufdrängen. Der Dank an die Spenderfamilien enthält immer wieder einen Trost. Ernst, 59 Jahre alt, herztransplantiert, dichtet: Bei jedem Schlag vom neuen Herzen verringern sich Leid und Schmerzen, und es wird die Gewißheit geben: In mir wird der Spender leben. Drei Betroffene haben den bibliophil ausgestatteten Band redigiert: Monika Kracht, Mutter eines lebertransplantierten Mädchens, das sich gegenwärtig zur Krankenschwester ausbilden läßt; Burkhard Tapp, lungentransplantiert und publizistisch tätig für die Organtransplantation; Katharina Brellochs, Ehefrau eines herztransplantierten Pharmamanagers, wie die Mitredakteure aktiv für den Bundesverband der Organtransplantierten. 160 J nephrol Team 4-2003 ISBN 3-926518-90-1, Preis: 10,- Euro Bezug: Bundesverband der Organtransplantierten e.V., Paul-Rücker-Str. 22, D-47059 Duisburg, Tel. (0203) 44 20 10, Fax (0203) 44 21 27, E-mail: [email protected]
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