www.philosophisch.ch Text Nr. 30, 24. Feb. 2007 MATERIE IST AUCH NICHT MEHR, WAS ES MAL WAR www.philosophisch.ch Text Nr. 30, 24. Feb. 2007 Abhängig von der Einstellung der beiden Regler variiert die Wahrscheinlichkeit, kaltes Wasser zu bekommen. Natürlich wird immer heisses Wasser fliessen, wenn man nur den Sie haben es sich soeben in einem alten Sessel gemütlich gemacht, und da fällt Ihnen “H“-Regler öffnet, und ganz bestimmt eiskaltes Wasser, wenn man nur den “K“-Regler plötzlich eine Münze zwischen die Polster. Jetzt kennen Sie nur noch eins: Sie wollen Ihre aufdreht. Öffnet man aber beide Regler, schafft man eine Zustandsüberlagerung. Indem Münze wiederhaben. Also fummeln Sie nervös zwischen den Polstern herum. Aber genau man das bei einer Einstellung immer wieder ausprobiert, kann man die dadurch, dass Sie mit der Hand zwischen die Polster greifen, weitet sich der Spalt immer Wahrscheinlichkeit messen, mit der bei dieser Einstellung kaltes Wasser zu erwarten ist. mehr, und die Münze rutscht immer tiefer. (...) Derartige Beispiele werden bisweilen Danach kann man die Einstellung ändern und es von neuem probieren. Irgendwann gibt fälschlicherweise dem Prinzip der Unschärferelation zugeschrieben. Dieses berühmte es einen Übergangspunkt, an dem heiss und kalt gleichermassen wahrscheinlich sind. Es Prinzip der Quantenmechanik wurde zuerst von Werner Heisenberg um 1927 verkündet. ist wie beim Knobeln mit einer Münze. (Dieser Quanten-Wasserhahn erinnert einen (...) fürchterlich an manch eine Badezimmerdusche...) (...) Quantenphänomene haben das eben so an sich: Physiker können mit Reglern spielen und Bei Betrachtung der Grundlagen der Quantenmechanik wird deutlich, dass die Systeme in Zustandsüberlagerungen versetzen, analog zu der Überlagerung von heissem Unschärferelation mehr ist als eine epistemologische Einschräkung auf seiten des und kaltem Wasser. Solange das System keiner Messung unterzogen wird, kann ein menschlichen Beobachters; sie spiegelt Unschärfen in der Natur an sich wider. Die Physiker nicht wissen, in welchem Eigenzustand sich das System befindet. In einem sehr quantenmechanische Realität entspricht nicht der makroskopischen Realität. Es ist ja fundamentalen Sinn “weiss“ das System selbst nicht, in welchem Eigenzustand es sich nicht allein so, dass wir den Aufenthaltsort und den Impuls eines Teilchens nicht wissen befindet, und entscheidet sich sozusagen erst in dem Moment, und das ganz nach können, sondern so, dass es nicht gleichzeitig einen definitiven Aufenthaltsort und einen Belieben, in dem die Hand des Beobachters hineinlangt, um „das Wasser zu testen“. Bis definitiven Impuls hat! hin zum Moment der Beobachtung verhält sich das System, als sei es nicht in einem In der Quantenmechanik wird ein Teilchen durch eine sogenannte Wellenfunktion Eigenzustand. Für sämtliche praktischen Zwecke, für sämtliche theoretischen Zwecke - dargestellt; sie beschreibt die Wahrscheinlichkeit, nach der sich das Teilchen hier, dort überhaupt für alle Zwecke - gilt, dass das System sich nicht in einem Eigenzustand oder irgendwo anders aufhält, nach der das Teilchen nach Ost, West, Nord oder Süd befindet. steuert usw. (...) ( Aus; Douglas R. Hofstadter: Metamagicum) Stellen Sie sich einen Wasserhahn mit zwei Reglern vor, einen mit “H“ für heisses und einen mit “K“ für kaltes Wasser, die sich beide auf- und zudrehen lassen. Das Wasser Wahrscheinlichkeit und Kausalität kommt aus dem Hahn geströmt, aber etwas an dem System ist komisch: entweder ist das Wasser kochend heiss oder eiskalt; Zwischengrade gibt es nicht. Man nennt dies die Leser: Ich glaube, in der Mikrowelt wirken Zufälligkeiten in ungeheuerer Zahl. Ganz beiden Temperatur-Eigenzustände des Wassers. (“Eigen“ bezieht sich hier auf die zufällig verwandelt sich das Neutron in drei neue Teilchen, ohne auch nur eine Tatsache, dass die Temperatur einen besonderen Wert hat.) Die einzige Möglichkeit, Einwirkung erlebt zu haben. Ein Atom ruht viele Jahre und explodiert plötzlich, mir nichts, herauszubekommen, in welchem Eigenzustand sich das Wasser befindet, ist, die Hand dir nichts, wobei ein Atom eines anderen chemischen Elementes entsteht. Ein Elektron hineinzuhalten und zu fühlen. Der orthodoxen Quantenmechanik nach verhält es sich passiert zufällig einen Spalt im Interferometer und trifft ebenso zufällig einen Punkt auf eigentlich noch etwas komplizierter. Das Wasser gerät in den einen oder anderen dem Schirm. Bedeutet das etwa, dass die Kausalität in den Erscheinungen der Mikrowelt Eigenzustand dadurch, dass man die Hand hineinhält. Bis zu diesem Augenblick befindet plötzlich fehlt? sich das Wasser sozusagen in einer Überlagerung von Zuständen ( oder genauer gesagt, in einer Überlagerung von Eigenzuständen). [email protected] www.philosophisch.ch 1/5 [email protected] www.philosophisch.ch 2/5 www.philosophisch.ch Text Nr. 30, 24. Feb. 2007 www.philosophisch.ch Text Nr. 30, 24. Feb. 2007 Autor: Nein, das nicht. (...) Die Neutronen zerfallen auf zufällige Weise, ihre Anzahl Autor: In der Quantentheorie herrscht die Vorstellung, Vakuum sei nicht die Leere, ändert sich jedoch mit der Zeit nach einem bestimmten Gesetz. Ein Elektron trifft diesen sondern ein Raum, wo verschiedene Teilchen zufällig entstehen und vernichtet werden. oder jenen Punkt auf dem Schirm zufällig, die Verteilung der Treffer stellt jedoch bei Das Neutron steht mit ihnen in Wechselwirkung. vielen Elektronen eine Notwendigkeit dar. (...) In der Quantenmechanik sind nicht die einzelnen Ereignisse, sondern nur potentielle Möglichkeiten ihrer Verwirklichung, (Aus; L. Tarassow: Wie der Zufall will?) andersherum, die Wahrscheinlichkeiten der Ereignisse kausal verbunden.(...) Leser: Mir fällt es schwer zu begreifen, warum ein Neutron plötzlich zerfällt. Sind nicht solche Teilchen vielleicht in Wirklichkeit irgendwelche komplizierten Systeme, deren „Je kürzer ein System lebt oder beobachtet wird, um so grösser ist die Energie, die es in physikalisches Wesen noch nicht erforscht ist? dieser Zeit im Prinzip haben oder kurzfristig erreichen kann.“ Autor: (...) Wie bereits erwähnt, erwiesen sich die Versuche, latente Parameter zu „Moment: wenn also ein System extrem kurz lebt, dann kann seine Gesamtenergie entdecken, die erklären könnten, warum ein Neutron zum Beispiel zum gegebenen horrend hohe Werte annehmen. Da wir nicht genau voraussagen können, welche Energie Zeitpunkt zerfällt, als erfolglos. (...) Bei der Fragestellung gingen Sie davon aus, dass die es dann hat - es handelt sich hier sicher um Wahrscheinlichkeiten -, wird dabei wohl Wahrscheinlichkeit in der Mikrowelt nicht objektiv besteht, sondern mit unserer meist der Erhaltungssatz der Energie arg verletzt! (...)“ Unkenntnis irgendwelcher Einzelheiten verbunden ist. (...) Der Neutronenzerfall ist in der Tat objektiv zufällig. Im Grunde genommen können wir die Lebensdauer des jeweiligen „ Sobald man aber ein Weilchen wartet, wird die Energie doch wieder recht genau Neutrons nicht lenken. Es ist im Prinzip unmöglich, nicht infolge der Unkenntnis der erhalten bleiben! Der Zustand überhöhter Energie muss also sehr schnell wieder Details. Ein Neutron hat keine “innere Uhr“. Ein Neutron bleibt immer “jung“. Es offenbart verschwinden. Im täglichen Leben können wir diese Energieschwankungen überhaupt sich in der Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron eine Zeitlang leben wird, die nicht davon nicht feststellen, und die Ruhe des Herrn von Helmholtz wird nicht gestört.“ abhängt, wie lange es bereits bis zu dem Zeitpunkt lebte, an dem die Zeitmessung begann. (...) Es sei darauf hingewiesen, dass wir eine gewisse Ungenauigkeit in Kauf „ Wenn ich jetzt noch die Äquivalenz von Masse und Energie laut Einstein berücksichtige, nehmen müssen, wenn wir behaupten, ein Teilchen verhielte sich aus eigenem Antrieb dann heisst das doch, dass ich während einer sehr kurzen Zeit sogar viermal so schwer (spontan). Spontan kann sich strenggenommen nur ein total isoliertes Objekt verhalten. wie normal sein könnte! Ich möchte lieber nicht daran denken.“ Da tasten wir uns an einen prinzipiellen Umstand heran, von dem bisher keine Rede war. Das liegt daran, dass ein Teilchen von der Natur kein isoliertes Objekt ist - es steht mit „Ja, Ort und Impuls sowie Zeit und Energie sind jeweils durch die Unbestimmtheits- oder der gesamten Umwelt in Wechselwirkung. (...) Die Sache ist nämlich die, dass die Unschärferelationen von Werner Heisenberg miteinander verknüpft - und dies wurde Objekte auf einem bestimmten Niveau der Untersuchung physikalischer Erscheinungen auch schon in unzähligen Experimenten überprüft.“ ihre Isoliertheit prinzipiell einbüssen. Da werden die bis dahin bestehenden exakten Grenzen zwischen Feld und Stoff aufgehoben. In den Vordergrund treten die ( Aus; Pedro Waloschek: Besuch im Teilchenzoo) gegenseitigen Teilchenumwandlungen.(...) Leser: Wie soll ich mir anschaulich vorstellen, dass ein zerfallendens Neutron nicht isoliert ist? [email protected] www.philosophisch.ch 3/5 [email protected] www.philosophisch.ch 4/5 www.philosophisch.ch Text Nr. 30, 24. Feb. 2007 Schwarz-Weiss-Zeichnung nach Hermann Weyl Die weisse Kreide in meiner Hand, meine Herren, besteht, wie sie wissen, aus Molekülen. Die Moleküle bestehn aus Partikeln, Ladung, Masse, Strangeness und Spin: Spuren, die sich auflösen in der Blasenkammer und verschwinden, in meiner Hand, in diesen endlosen Formeln, die Sie kennen oder nicht kennen, meine Herren, und die ich hier an die schwarze Wand zeichne mit Kreide, mit Kreide, mit Kreide. (Aus; Hans Magnus Enzensberger: Die Elixiere der Wissenschaft) [email protected] www.philosophisch.ch 5/5
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