1 von 2 http://www.sz-online.de/nachrichten/was-ist-uns-olympisches-gold-wer... Deutsche Sportler gewinnen immer seltener Medaillen. Die Rettung könnte das DDR-Modell bringen. Oder eine radikale Lösung. 12.07.2013 Von Daniel Klein Der Abwärtstrend ist beängstigend. Holte die deutsche Bild 1 von 2 Olympiamannschaft bei den Sommerspielen 1992 in Barcelona noch 82Medaillen, so waren es voriges Jahr in London nur noch 44. Von Platz drei auf sechs rutschte Schwarz-Rot-Gold im Ranking der Nationen ab. Es war ein Abstieg auf Raten, kein Erdrutsch. Und doch scheint jetzt ein Punkt erreicht, wo sich geballter Unmut breitmacht über den Trend, vor allem aber über dessen Ursachen. Am lautesten geklagt hat bisher Uwe Müssiggang, der Bundestrainer der Biathleten: „Wollen wir auch weiterhin bei Großereignissen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften regelmäßig die deutsche Fahne oben sehen und die Hymne hören?“, fragte er kürzlich im SZ-Interview. „Wenn ja, dann muss sich etwas ändern, dann müssen wir investieren.“ Mit seiner Meinung steht er nicht allein. In die Debatte mischen sich inzwischen auch Athleten ein, wie Schwimm-Olympiasiegerin Britta Steffen: „Deutschland muss sich Eine aussterbende Spezies: Das Beach-Duo Jonas Reckermann (l.) und Julius Brink gewann bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr in London eine von nur noch elf deutschen Goldmedaillen. Der Trend ist besorgniserregend. ©dpa generell entscheiden: Wollen wir Leistungssport mit allen Konsequenzen oder wollen wir es nicht?“ Ein Vorwurf ist dabei stets herauszuhören: In Deutschland wird der Spitzensport nur halbherzig unterstützt. Es fehlt das klare Bekenntnis, es fehlt Geld, und es fehlt der Wille, etwas zu ändern. Aber ist das wirklich so? Um das beantworten zu können, muss man verstehen, wie das System Leistungssport in der Bundesrepublik funktioniert. Und das ist nicht so einfach. Es sind eine Menge Institutionen, die mitmischen und mitfinanzieren: Bund, Länder, Kommunen, Vereine, Unternehmen, Stiftungen – das ist die grobe Einteilung. Wenn man es konkreter will, ergibt sich eine unendlich lange Liste: Allein zehn Bundesministerien sind beteiligt, hinzu kommen Deutscher Olympischer Sportbund, Landessportbünde, Deutsche Sporthilfe, Bundeswehr, Polizei und Zoll, Eliteschulen des Sports, Kultusministerien der Länder, Sportämter der Städte und Kommunen, Sponsoren, Olympia-, Bundes-, Landes- und Talentstützpunkte, Fördervereine, Spitzenverbände... Vollständig ist das noch lange nicht, übersichtlich erst recht nicht. Im Sportdeutsch hat man dafür das Wort „Partnerschaftsketten“ erfunden. Das Prinzip: Je mehr sich an der Finanzierung beteiligen, desto besser. In der Praxis aber, das bestätigen Sportfunktionäre hinter vorgehaltener Hand, sind die Reibungsverluste gewaltig. Jede dieser Institutionen hat ihren eigenen Apparat, ihr eigenes Budget. Und oftmals weiß der eine nicht, was der andere macht. Der Wille zur Zentralisierung, etwa zur Schaffung eines eigenen Sportministeriums, ist gering. Das scheitert allein schon am Förderalismus in Deutschland: Spitzensport ist auch Ländersache. Und Deutschland ist ein zutiefst demokratischer Staat. Gleiches Recht für alle gilt auch im Sport. Keine Sportart darf hinten runterfallen, keine bevorzugt werden. Fördergelder werden nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Das Land Sachsen etwa streut seine neun Millionen Euro, die pro Jahr für den Spitzensport zur Verfügung stehen, unter 55 Sportarten – darunter Speedskating, Lebensrettung und Fallschirmsport. Diesen Disziplinen soll keinesfalls ihre Daseinsberechtigung abgesprochen werden. Natürlich gibt es auch außerhalb des olympischen Programms faszinierenden Sport. Die Frage ist nur: Muss man den mit Steuergeldern fördern? Auf der Suche nach einem Ausweg landen viele Experten früher oder später bei Strukturen, die an das System im DDR-Spitzensport erinnern. Manche scheuen sich auch nicht, dies so zu benennen – wie Biathlon-Bundestrainer Uwe Müssiggang. Der fordert, das DDR-Sichtungsprogramm von Talenten wiederzubeleben. Also Trainer zu bezahlen, die in Kindergärten und Schulen gehen, dort nach begabten Kindern suchen und diese fördern. 13.07.2013 09:21 2 von 2 http://www.sz-online.de/nachrichten/was-ist-uns-olympisches-gold-wer... Wie bei Müssiggang sind es meist einzelne Bausteine, die herausgepickt werden und die knapp 23 Jahre nach der Wiedervereinigung ihr Comeback feiern sollen. Helfen würde das aber nur bedingt. Der Hauptgrund für die unglaublichen Erfolge von DDR-Sportlern bei Olympischen Spielen lag im Zusammenwirken der einzelnen Bausteine. Zusammen kosteten die Unsummen, die der wirtschaftlich marode Staat in das System hineinpumpte. Doping, was vielfach als Hauptursache angeführt wird, war ein Baustein – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit unterstützenden Mitteln betrogen wurde weltweit, auch in Westdeutschland – wenn auch nicht so systematisch, flächendeckend und gut dokumentiert wie in der DDR. Der Vorsprung resultierte vielmehr aus den unzähligen Trainern und Übungsleitern, die sich um den talentierten Nachwuchs kümmerten. Man könnte an dieser Stelle die Summen gegenüberstellen, die das vereinte Deutschland und die DDR pro Jahr in den Spitzensport investieren bzw. investierten. Nützen würde das aber nichts, weil man dann auch Gehälter, Mieten und Lebenskosten vergleichen müsste. Hilfreicher ist da eine andere Gegenüberstellung: Bis 1990 arbeiteten im Bezirk Dresden 35 hauptamtliche Schwimmtrainer, mit eigenem Physiotherapeuten und eigenem Sportarzt. Jetzt ist für das gleiche Gebiet nur noch ein einziger Übungsleiter zuständig. Rechnet man das aufs Bundesgebiet hoch und bedenkt, dass Schwimmen nur eine von derzeit 56 olympischen Sportarten ist, müsste man Tausende Trainer zunächst ausbilden und dann einstellen, um wieder auf das DDR-Niveau zu kommen. Und einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr mehr ausgeben als bisher. Als eine der reichsten Industrienationen der Welt könnte sich das Deutschland leisten, das ist keine Frage. Die Frage lautet vielmehr: Wollen wir uns das leisten? Ist es uns das wert? Sind wir bereit, Steuer-Millionen auszugeben – und an anderer Stelle einzusparen –, um im olympischen Medaillenspiegel wieder nach oben zu rutschen? Um im Spitzensport wieder auf Augenhöhe zu sein mit China, Russland, den USA? Die Fragen scheinen so abwegig zu sein, dass sich bisher niemand traute, öffentlich eine solche Forderung zu stellen. Thomas Bach, der oberste Sportfunktionär im Lande, meldete kürzlich ganz vorsichtig einen Mehrbedarf von 25Millionen Euro pro Jahr an. Damit kann man allenfalls – mit Glück – den Status quo retten, nicht mehr. Bleiben die Summen wie bisher, ist ein weiterer Abstieg programmiert. Dabei zeigen andere Nationen, wie man mit wenig Geld durchaus erfolgreich sein kann. Die Briten etwa, im Medaillenranking zwischenzeitlich weit tiefer gestürzt als die Deutschen, gingen vor den Olympischen Spielen im eigenen Land vor einem Jahr einen anderen Weg. 50 Prozent der Fördersumme flossen an lediglich fünf Sportarten, darunter Bahnradsport. Und wer war in London erfolgreichste Nation auf der Bahn? Großbritannien holte sieben von möglichen zehn Goldmedaillen. Auf der Insel gibt es lediglich 1200 Kaderathleten, die aber erfolgreicher sind als die 4500 in Deutschland. England hat sich, wie andere Nationen auch, bei der Förderung auf landestypische Sportarten konzentriert. Deutschland dagegen unterstützt mit staatlichen Mitteln Curling, Taekwondo, Karate und Synchronschwimmen. Doch es gibt erste Anzeichen für ein Umdenken. So regte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kürzlich an, „über die Breite der Sportartenförderung“ nachzudenken. Dies ist ein Ansatz, aber kein neuer. In der DDR war man 1969 rigoros: Basketball, Hockey, Wasserball, Ski alpin und Moderner Fünfkampf versprachen kaum Medaillen bei Olympia, also wurden sie auf Breitensport-Niveau zurechtgestutzt. Widerspruch zwecklos. Vielleicht ist es diese Vergangenheit, diese historische Parallele, die Sportfunktionäre wie Politiker 44 Jahre später davor zurückschrecken lässt, ähnlich zu handeln. Dabei müsste man gar nicht derart radikal und rücksichtslos vorgehen, handeln aber muss man. 56 olympische und viele nichtolympische Sportarten gleichberechtigt zu unterstützen, ist ein löblicher Versuch. Praktikabel aber ist er nicht – wenn man Medaillen gewinnen möchte. In vielen Disziplinen spielt das Material, das Gerät eine immer größere Rolle. Die Forschung, Entwicklung und schließlich die Spezialanfertigungen selbst verschlingen hohe Summen. Sportpsychologen sind inzwischen ständige Begleiter, auch die müssen bezahlt werden. Es sind immer mehr kostspielige Kleinigkeiten, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Wenn man da mithalten will, kann man die Zuwendungen nicht auf Jahre hin einfrieren. Oder man muss sich konzentrieren: Lieber in einigen Disziplinen spitze sein als überall nur Mittelmaß. Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung regelmäßig kontroverse Essays, Analysen und Interviews zu aktuellen Themen. Texte, die Denkanstöße geben, zur weiteren Diskussion anregen sollen. Artikel-URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/was-ist-uns-olympisches-gold-wert-2616826.html 13.07.2013 09:21
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