Terrordrohung: Dresdner Polizei verbietet Demos

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MON TAG , 19. JANUAR 2 015
KOMMENTAR
Zippert zappt
Preisschub durch
Einführung des
Mindestlohns
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THEMEN
Firmen geben
Mehrkosten weiter
n der Diskussion über die Steuerung von Migration nach Deutschland hat die FDP ein konkretes
Konzept für eine „zeitgemäße Einwanderung“ ausgearbeitet, das neben
einem Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas auch die Abschaffung
des Arbeitsverbots für Asylbewerber
vorsieht. Deutschland müsse angesichts des wachsenden Fachkräftebedarfs „endlich den klugen Köpfen aus
aller Welt den roten Teppich ausrollen“, heißt es in dem Antrag, den der
FDP-Bundesvorstand heute beschließen will und der der „Welt“ vorliegt.
Einwanderung solle nach Kriterien
wie Bildungsgrad, Sprachkenntnis, Alter und Fachkräftebedarf flexibel gesteuert werden. Dabei gehe es um
Akademiker und qualifizierte Facharbeiter. Deutschland sei zwar derzeit
nach den USA das beliebteste Zielland, mit einer Nettozuwanderung im
Jahr 2013 von fast 440.000 Migranten.
Aber in den vergangenen Jahren sei
der Durchschnitt unter den erforderlichen Einwanderungszahlen von mindestens 200.000 pro Jahr geblieben.
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[email protected]
Der Rekord-Papst
cape. Der Papst prangerte aber an, dass zu wenig Frauen und Mädchen zu ihm vorgelassen wurden. Sie könnten Fragen stellen, die
Männer noch nicht einmal verstünden: „Also, wenn der nächste
Papst kommt: bitte mehr Frauen und Mädchen!“
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Terrordrohung: Dresdner
Polizei verbietet Demos
Konkrete Hinweise auf Pegida als Anschlagsziel. Sicherheitsexperte
Ischinger hält Schutz europäischer Bürger für kaum möglich
Politik
US-Präsident
Obama plant
Reichensteuer
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Wirtschaft
Warum der Euro
abstürzt und der
Dax dennoch steigt
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Wissen
Welche Musik
Chirurgen bei
Operationen hilft
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A
us Angst vor einem möglichen Terroranschlag hat das
Anti-Islam-Bündnis Pegida
seine für den heutigen Montag geplante Kundgebung in
Dresden abgesagt. Es gebe Hinweise des
Staatsschutzes, dass auf ein Mitglied des
Organisationsteams während der Kundgebung ein Attentat verübt werden solle,
erklärten die Veranstalter. Die Polizei
Dresden untersagte alle öffentlichen Versammlungen in der sächsischen Landeshauptstadt an diesem Tag, auch die geplante Gegendemonstration.
Es lägen Erkenntnisse vor, dass Attentäter dazu aufgerufen worden seien, sich
unter die Protestierenden zu mischen,
„um zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der Pegida-Demonstrationen zu begehen“, heißt
es in einer veröffentlichten Verfügung der
Polizeidirektion. Unter anderem sei im
Kurzmitteilungsdienst Twitter auf Arabisch zu solch einer Tat aufgerufen worden.
Der Dresdner Polizeipräsident Dieter
Kroll erklärte, er gehe nicht mehr nur von
einer abstrakten Gefahr aus: „Konkret in
Bezug auf eine gefährdete Person, deren
Umfeld sowie daran gebunden Ort und
Zeit. Konkret heißt auch: Es geht um ein
Mitglied des Orga-Teams von Pegida und
die Versammlungen für den 19. Januar
2015.“ In Medienberichten hieß es, dass es
sich bei der Person um Lutz Bachmann
handeln soll, einen der Pegida-Organisatoren. Weiter hieß es, die Terrorwarnung
gehe auf entsprechende Hinweise auslän-
ATTENTÄTER BEIGESETZT
Der von der Polizei erschossene „Charlie
Hebdo“-Attentäter Chérif Kouachi ist in
Gennevilliers bei Paris beigesetzt worden. Laut Stadtverwaltung wurde er
unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in dem Ort anonym bestattet, in
dem er zuletzt gelebt hatte. Verwandte
nahmen demnach nicht an dem Begräbnis teil. Sein Bruder und Mittäter
Said war in der Nacht zum Samstag im
nordostfranzösischen Reims beigesetzt
worden. Bürgermeister Arnaud Robinet
fürchtete, es könne eine Art Pilgerstätte entstehen, musste sich aber den
Vorschriften beugen. Das Grab in Reims
ist ebenfalls nicht gekennzeichnet.
Unerwünschte
Folgen
discher Geheimdienste an die deutschen
Behörden zurück.
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der
Münchner Sicherheitskonferenz, sagte
der „Welt“, in Europa gebe es eine neue
Qualität terroristischer Anschläge, wie sie
bislang eher aus Nahost, Afghanistan oder
Pakistan bekannt gewesen seien. „Die
Bürger dagegen zu schützen ist für die europäischen Sicherheitsbehörden eine
enorme Herausforderung, um nicht zu sagen: Das ist kaum möglich“, sagte Ischinger. Angesichts der beachtlichen Zahl junger Menschen, die aus Deutschland zur
Terrorausbildung nach Syrien oder in den
Irak reisten, „wäre es ein Wunder oder jedenfalls viel Glück, wenn wir von Hass
und Vernichtungswillen dieser Dschihadtouristen verschont blieben“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet nach einem Bericht der „Welt
am Sonntag“ seit dem vergangenen Jahr
deutschlandweit rund 100 Islamistenzellen. Es handele sich dabei um Gruppen
und Netzwerke von jeweils zehn bis 80
Menschen, von Gebetsgruppen über Online-Propagandisten bis hin zu Spendensammlern und heimgekehrten SyrienKämpfern.
D
Da strahlte Papst Franziskus: Etwa sechs Millionen Gläubige kamen bei strömendem Regen, um ihn in der philippinischen Hauptstadt Manila zu sehen – die größte Messe aller Zeiten. Wie die Besucher unter freiem Himmel trug auch der 78-Jährige ein Regen-
DOROTHE A SIE MS
er Mindestlohn ist neben dem
Rentenpaket das zweite soziale
Prestigeprojekt der großen Koalition. Die überwältigende Mehrheit
der Bevölkerung hält die gesetzliche
Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ebenso wie Mütterrente oder Rente mit 63
für Wohltaten, die für mehr Gerechtigkeit sorgen. Hungerlöhne hätten in
einem wohlhabenden Land wie
Deutschland nichts zu suchen, sagen
die Befürworter dieser Politik. Doch
schon jetzt zeichnet sich ab, dass der
massive Eingriff des Staates in den
Arbeitsmarkt einige höchst unerwünschte Nebenwirkungen hat – wie
immer, wenn die Sozialreformer keine Rücksicht auf wirtschaftliche Zusammenhänge nehmen.
Die erzwungene Lohnsteigerung im
unteren Einkommensbereich kostet
die Arbeitgeber fast zehn Milliarden
Euro. Doch es liegt auf der Hand, dass
die Unternehmen die Mehrkosten
nicht selbst tragen, sondern an die
Kunden weiterreichen – wenn dies
am Markt durchsetzbar ist. Für viele
einkommensschwache
Haushalte
dürften steigende Preise für Brot oder
den Urlaub schmerzhaft sein. Und
nicht alle Kunden werden Dienstleistungen und Produkte auch noch
nachfragen, wenn die Preise in die
Höhe klettern. Der zweite Anpassungsschritt der Arbeitgeber trifft
dann diejenigen, die der Mindestlohn
eigentlich besserstellen sollte: die Beschäftigten. Denn ihnen drohen
Zwangsteilzeit oder schlimmstenfalls
Entlassungen. Vor allem für Ostdeutschland ist mit negativen Beschäftigungsfolgen zu rechnen. Da die
Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern ohnehin doppelt so hoch ist
wie im Westen, ist es nicht gerade
fair, dem Osten die Hauptlast dieser
Arbeitsmarktpolitik aufzubürden.
So verständlich die Forderung ist,
dass jeder vom Aufschwung profitieren sollte, so wenig hilft der Mindestlohn, dieses Ziel zu erreichen. In den
vergangenen Jahren hat Deutschland
ein regelrechtes Beschäftigungswunder erlebt. Noch nie gab es hierzulande mehr Jobs. Nichts trägt so sehr zu
der aktuell guten Stimmungslage der
Bürger bei wie die außerordentlich
gute Lage am Arbeitsmarkt. Der Mindestlohn gefährdet diesen Erfolg.
Zwar droht kein Debakel. In vielen
Regionen und Branchen dürfte die
Nachfrage nach Mitarbeitern angesichts der stabilen Konjunktur weiter
steigen. Doch gerade die Schwächsten
am Arbeitsmarkt, etwa die Unqualifizierten oder die Flüchtlinge ohne
Deutschkenntnisse, werden wohl
häufig an der neuen Hürde scheitern.
Es gibt selbst in einer Wissensgesellschaft immer etliche Menschen, die
schlicht nicht in der Lage sind, einen
Lohn von 8,50 plus Sozialabgaben zu
erwirtschaften. Diese Bürger zum
Nichtstun zu verdammen, ist alles andere als sozial.
DPA/DENNIS M. SABANGAN, GETTY IMAGES/JEWEL SAMAD
er Flughafen KasselCalden nennt sich ab
sofort Kassel Airport.
Damit hofft man, Flugzeuge
anzulocken und Piloten zur
Landung zu verführen. Bislang
meiden Fluggesellschaften den
Flughafen, pro Monat landen
etwa drei Maschinen, davon
eine versehentlich, und die
anderen beiden wurden dafür
bezahlt. Jetzt glaubt man, dass
der Name schuld daran ist.
Kassel-Calden klingt provinziell, Piloten befürchten, es
handele sich um einen Segelflughafen oder ein Flugfeld für
Modellflugzeuge, und weigern
sich, dort zu landen. Schon
dem Namen Kassel fehlt es an
Glanz, aber durch den Zusatz
Calden wird der Standort
endgültig entwertet. Ob mit
Kassel Airport jetzt alles besser wird, bleibt abzuwarten,
denn welchen Grund sollte
jemand haben, überhaupt nach
Kassel zu fliegen? Hessen
bietet jedem, der in Kassel
Airport startet oder landet,
eine Prämie von 250 Euro.
Ministerpräsident Bouffier
wies darauf hin, dass der Flughafen immerhin eine Betriebsgenehmigung und funktionierende Gepäckbänder hat, und
regte an, ihn umzubenennen
in BERK, Flughafen BerlinBrandenburg-Kassel.
er vor zwei Wochen eingeführte gesetzliche Mindestlohn
von 8,50 Euro pro Stunde
wirkt sich bereits auf die Verbraucherpreise aus. Firmen in betroffenen
Branchen, beispielsweise im Taxigewerbe oder Postdienstleister, geben
die zusätzlichen Kosten zum Teil über
höhere Preise an ihre Kunden weiter.
Insgesamt dürfte der Mindestlohn die
deutschen Unternehmen 9,6 Milliarden Euro kosten – so viel macht die
Lohnerhöhung für die 3,7 Millionen
Beschäftigten aus, die bislang noch
weniger als 8,50 Euro in der Stunde
verdient hatten. Was die Unternehmen an Mehrkosten nicht an die Endverbraucher abwälzen könnten, werde
zu einem Abbau bei der Beschäftigung
führen, sagt Arbeitsmarktexperte Karl
Brenke vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung. Betroffen seien
insbesondere kleine Betriebe und
konsumnahe Dienstleister, vor allem
im Osten. Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen damit, dass in diesem Jahr 0,2 Prozent der Teuerungsrate von insgesamt 1,4 Prozent auf
den Mindestlohn zurückgehen.
Kommentar, Seite 9
FDP fordert
Migration nach
Punktesystem
Bundesvorstand legt
neues Konzept vor
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Deutschsprachige Bibliothek in der Antarktis feiert Geburtstag
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er kleine grüne Container dürfte einer der gemütlichsten
Orte in der Region sein. Die Bibliothek im Eis steht in
einer der unwirtlichsten Gegenden der Erde – in der Antarktis. Etwa 100 Meter entfernt von der Neumayer-Station des
Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung lädt die
Bücherei Forscher und Techniker zum Schmökern zwischen
Kirschholzregalen ein. Jetzt feiert die Bibliothek ihren zehnten
Geburtstag – wieder mit einer Ladung neuer Bücher und 40 Liter
Kölsch, die der Erfinder der Bibliothek, der Kölner Künstler Lutz
Fritsch, jedes Jahr zum Neujahrsempfang in die Antarktis schickt.
Rund 700 Bücher stehen inzwischen in den Regalen. Bis zu 1000
Bücher könne die Bibliothek fassen, sagt Fritsch.
Eigentlich ist der Container ein Kunstwerk, das ein Geheimnis
hütet. Denn welche Bücher in der Bibliothek am Pol stehen, weiß
niemand außer den neun „Überwinterern“ auf der Station. Und
anders als in anderen Büchereien sind sie nicht sortiert. Eben mal
in die gute Bücherstube reinschauen ist aber nicht so einfach.
„Man muss einen Weg auf sich nehmen, um in die Bibliothek zu
gelangen“, sagt Fritsch. Der ehemalige Überwinterer Holger
Schmithüsen schreibt: „Bei einem Schneesturm muss sich der
Besucher an einer Handleine entlanghangeln.“ Einmal angekommen, muss man sich zunächst aus Polar-Overall und Stiefeln
schälen, bevor man in die bereitstehenden Pantoffeln schlüpfen
kann. Die Bücher werden gestiftet von Künstlern und Wissenschaftlern, die Fritsch persönlich anschreibt und um Widmungen
bittet. „Jedes Buch ist ein persönliches Geschenk an die Überwinterer der Forschungsstation“, sagt er.
Einige wenige Stifternamen wurden allerdings doch im Lauf
der Jahre bekannt. So soll Günter Grass seinen Roman „Hundejahre“ an den Pol geschickt haben, Regisseur und Produzent Tom
Tykwer einen Roman von Peter Hoeg: „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“. Sogar eine Packung Buchstabennudeln
stehe im Regal, enthüllt der ehemalige „Überwinterer“ Schmithüsen, mit der Aufschrift: „Goethes gesammelte Werke“.
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern
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