«Ein Werk der Wohltätigkeit» - lu

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Tages-Anzeiger – Freitag, 13. Februar 2015
Kehrseite
World Press Photo 2015
Ein Jahr Haft
nach Wutanfall
Pfeilspitze
des Schicksals
170 081 warens 2014. So viele
Menschen wurden von der italienischen Marine aus dem Meer gefischt beim Versuch, nach Lampedusa, Sizilien, Malta zu gelangen. Hunderte mussten erst ertrinken, bevor die Operation
«Mare Nostrum» sich der Schiffbrüchigen annahm.
Diese hier, fotografiert von
Massimo Sestini, kenterten am
7. Juni 2014 rund 20 Meilen vor
der libyschen Küste. Und fast
macht es den Anschein einer
lustigen Spritzfahrt, das vollgestopfte Boot mit seiner bunt gesprenkelten Fracht. Es ist Sestinis Spezialität, sich direkt über
maritimen Tragödien zu postieren und sie mithilfe der Kamera
in reizvolle Farb- und Formspiele zu verwandeln: Die gekippte Costa Concordia wurde
zu einer neckischen, blau-weiss
gestreiften Insel «sestiniert»;
schwimmende Müllteppiche zu
abstrakten Mosaiken. Der
Schicksalskutter vor Libyen –
eine Pfeilspitze? Ein Geschoss? –
brachte dem Italiener nun den
2. Platz in der Kategorie «General News» ein.
Paulina Szczesniak
Die Flüchtlinge auf diesem Schiff vor Libyen wurden von der italienischen Marine gerettet. Foto: Massimo Sestini (World Press Photo, Reuters)
«Ein Werk der Wohltätigkeit»
Chinas Mittelklasse hat ein neues Statussymbol entdeckt: Hightechtoiletten aus Japan.
Die Lobeshymnen auf japanische Ingenieurskunst gefallen der Partei aber gar nicht.
Kai Strittmatter
Peking
Kleine Wunder, wahrlich. Hernach, raunte die eine chinesische
Website («Chinanews»), fühlst du
dich «so sauber wie ein blank poliertes Stück Jade und so frisch wie
der Frühlingswind». «Sie spülen
nicht nur», raunte das «Guang­
zhouer Tagblatt» voller Ehrfurcht,
nein: Sie parfümieren, desinfizieren, wärmen, föhnen und massieren auf Wunsch. Sie begleiten dein
Tun mit deiner Lieblingsmusik.
«Ihre Perfektion», schreibt der
eine glückliche Besitzer im Netz,
«lässt einen erblassen vor Neid.»
«Zum Niederknien», schwärmt ein
zweiter, ebenfalls Chinese, von
der Ingenieurskunst der Nachbarn: «Oh, grosse Meister, zeigt
mir den Weg!» Fachhistorisch betrachtet, urteilt ein dritter Konvertit, seien sie ein nicht genug zu
preisendes «Werk der Wohltätigkeit», ein Gipfel menschlichen
Einfallsreichtums.
Die Rede ist von Toilettensitzen. Beziehungsweise: von japanischen Toilettensitzen. Die verhalten sich zu gewöhnlichen Toilettensitzen wie Jumbojets zu
­Segelfliegern. Vom Jumbo haben
sie denn auch das Cockpit abgekupfert, an der Steuerung dieser
Klobrillen ist schon mancher Uneingeweihte gescheitert.
Die Hightechtoilette, die das
klassische Wasserklosett mit Bidet, Massagesitz, Wärmekissen
und Stereoanlage verbindet, ist
eigentlich eine Erfindung der
1980er-Jahre. Anders als bei
Walkman oder Playstation
konnte Japan den Westen dafür
allerdings nie so recht begeistern. Die Nachbarn Korea und
Taiwan waren da aufgeschlossener. Und jetzt hat es China er­
wischt. Mit Verspätung, dafür
umso heftiger.
Japans Toilettensitze sind der
Dernier Cri bei Chinas neuer Mittelschicht, die jetzt genug Geld
«Boykott ist unmöglich»
In China selbst finden das nicht
alle toll. «Riechen die japanischen
Klodeckel vielleicht besser?»,
fragte ein patriotischer Leitartikler im Parteiblatt «Volkszeitung»
ein wenig beleidigt. «Ja», antworteten Internetnutzer im Chor.
Es ist noch nicht lange her, da
verlangten nationalistische Hitzköpfe in China den Boykott aller
japanischen Waren. «So ein Boykott ist schlicht unmöglich»,
stellte nun die «Chinesische Jugendzeitung» fest, nachdem sie
sich mit den Wundertoiletten befasst hatte: «Sind wir nicht das Fabrikimperium der Welt? Warum
schaffen wir es nicht, selbst etwas
so Grossartiges herzustellen?»
«Schämen» müsse man sich,
klagt die «Volkszeitung» und
schimpft auf all jene unpatriotischen Gesellen, die «immer zu
ausländischen Produkten greifen,
weil sie blind glauben, dass die
besser sind als chinesische», gesteht dann aber ein, dass die Toilettendebatte einen «wunden
Punkt» treffe. Nichts weniger als
«ein Weckruf für ‹made in China›»
sei das, schliesslich gehe es um
«die Kultur der Innovation und
das Image unserer Nation». Einer
Nation, die der Welt – und Japan!
– immerhin einst Tee, Seide und
Porzellan geschenkt habe.
«Aus dem Po heraus»
Ein Spitzenprodukt mit UV-Strahlung kostet 12 000 Franken. Foto: Toto
Jet-Cetera
Tom
Neuwirth
alias
Conchita
Wurst hat mit
neuem Look
beim Musikwettbewerb
von Sanremo
dem italienischen Fernsehen Spitzenquoten
beschert. Die Gewinnerin des
Eurovision Song Contest 2014
­
sang in der Nacht auf gestern mit
P ixie-Cut und nabeltiefem Dé­
­
colleté. Fast elf Millionen Menschen sahen die Ausstrahlung
im öffentlich-rechtlichen Sender
RAI 1, was einer Quote von mehr
als 40 Prozent entsprochen
habe. Einige Fans kritisierten,
dass RAI Conchitas Auftritt nach
Mitternacht gelegt hatte.
hat für solche Gadgets und fürs
Flugticket nach Tokio. Dort räumen sie mit einer solchen Begeisterung die Sanitärfachgeschäfte
leer, dass japanische Unternehmer in Chinas Presse japsen dürfen: «Wir kommen mit der Produktion nicht mehr hinterher.»
Vorerst könne man da kaum etwas machen, seufzte der Kommentator auf «Chinanews»:
Letztlich sei die Entscheidung
der Konsumenten keine rationale: «Es ist eine Entscheidung
aus dem Po heraus.»
Im Fall des getöteten vierjährigen Mädchens in Niederlenz AG
hat die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau ein Strafverfahren
gegen den 44-jährigen Vater eröffnet. «Nach ersten Erkenntnissen ist der Vater des verstorbenen Mädchens dringend tatverdächtig», teilten die Strafverfolgungsbehörden gestern mit.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher Tötung und
wird Untersuchungshaft für den
Vater beantragen. Zurzeit sei der
Beschuldigte noch in ärztlicher
Behandlung und befinde sich in
einer überwachten Intensivstation. Er sei nach wie vor nicht
einvernahmefähig.
«Sobald es der Gesundheitszustand des Beschuldigten zulässt,
wird ihm die Staatsanwaltschaft
formell die Untersuchungshaft eröffnen und einen Haftantrag stellen», teilten die Behörden mit.
Mutter wurde befragt
Das vierjährige Mädchen war am
Abend des 2. Februar im Haus
der Eltern in Niederlenz getötet
worden. Das Kind wies Stichverletzungen im Brustbereich auf.
Die Rettungskräfte fanden die
43-jährige Mutter leicht verletzt
und den 44-jährigen Ehemann
schwer verletzt vor. Für das Kind
kam jede Hilfe zu spät.
Die Ehefrau des Beschuldigten befindet sich ebenfalls nach
wie vor in ärztlicher Behandlung, konnte allerdings bereits
befragt werden. (SDA)
Das Gericht glaubte nicht an die
Reue der Angeklagten. Foto: Reuters
Strauss-Kahns
geheime Wohnung
Im Zuhältereiprozess gegen
­Dominique Strauss-Kahn hat sich
gestern alles um ein «Junggesellen»-Appartement in Paris gedreht, das der einstige IWF-Chef
für Sexpartys mit Callgirls zur
Verfügung stellte. Er habe einen
«diskreten» Ort für Treffen mit
politischen Freunden und mit
Frauen gebraucht, begründete
Strauss-Kahn vor dem Gericht in
Lille die Anmietung der Wohnung unter dem Namen eines
Freundes. Er blieb dabei, dass er
nicht gewusst habe, dass die
Frauen bei den Sexpartys Prostituierte gewesen seien. Das zu beweisen, ist ein zentrales Ziel der
Anklage. Die Befragung des
65-Jährigen endete gestern. (SDA)
Schettino will seine Ehre verteidigen
Kurz notiert
«Glanz & Gloria«-Moderatorin
Sara Hildebrand (27) hat kein
Problem damit, dass ihr Freund,
Schauspieler Anatole Taubman
(44), in Berlin lebt. «Im Gegenteil, das gibt mir Freiheit. Ich
habe Zeit für mich, kann Freundschaften pflegen.» Überhaupt
handelt es sich weniger um eine
Fern- als um eine Wochenend­
beziehung. «Mal kommt er her,
mal fliege ich hin», sagte die
Z ürcherin der «Glückspost».
­
Wünscht
sie
sich Kinder?
Taubman ist ja
schon Vater.
«Ich bin da
heute viel offener. Das steht
noch in den
Sternen.» (SDA)
Tötete der Vater
die Vierjährige?
Cho Hyun-ah ist über ein paar
falsch servierte Macadamianüsse
gestolpert. Bis Mitte Dezember
war die 41-Jährige als Vizepräsidentin von Korean Air zuständig
fürs Kabinenpersonal. Jetzt muss
sie unter höhnischem Gelächter
der Koreaner ein Jahr ins Gefängnis. Wegen Gefährdung der Flugsicherheit hat das Bezirksgericht
Westseoul sie gestern dazu ver­
urteilt.
Als am 5. Dezember ein Airbus 380 auf dem New Yorker Kennedy-Flughafen zur Startbahn
rollte, servierte das Kabinenpersonal in der ersten Klasse Macadamianüsse in Tüten statt wie
vorgesehen auf Tellerchen. Cho,
Tochter von Firmen-Chef Cho
Yang-ho, einem der reichsten
Männer Südkoreas, flippte aus,
liess das Flugzeug zum Gate
zurück­
kehren und den Chef­
steward von Bord werfen.
Als der Fall in Korea bekannt
wurde, schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. Heather Cho,
wie sie sich englisch nennt, hat
sich bis zu ihrer Verhaftung immer wieder öffentlich entschuldigt, ihr Vater nahm die Schuld
auf sich, er habe die Tochter
falsch erzogen. Aber noch in den
ersten Anhörungen vor Gericht
schob Cho die Verantwortung
auf die Crew. Der Richter zweifelte in der Urteilsbegründung an
ihrer Einsicht. Cho habe den Airbus ans Gate zurückbeordert,
«als sei er ihre Privatmaschine».
Tatsächlich muss Cho nicht für
den Wutausbruch ins Gefängnis,
sondern für ihre Arroganz. (nh)
Autofahrer sturzbetrunken.
Ein 38-jähriger Autofahrer ist in
der Nacht auf gestern in St. Gallen von der Polizei aus dem Verkehr gezogen worden. Der Mann
war sturzbetrunken und hatte
2,4 Promille Alkohol im Blut. Den
Führerschein ist der Mann für
eine Weile los. Der betrunkene
Automobilist wird angezeigt. Er
war durch seine unsichere Fahrweise aufgefallen.
Fussgänger tödlich verletzt.
Ein Fussgänger ist gestern zwischen Wikon LU und Zofingen AG
von einem Auto angefahren, auf
die Gegenfahrbahn geschleudert
und von einem zweiten Auto
mehrere Hundert Meter mitgeschleift worden. Er verletzte sich
tödlich. Der Fahrer, der das Opfer
mitschleifte, habe sich vom Un­
fall­ort entfernt, teilte die Luzerner Polizei mit.
Kantonalbank überfallen.
Ein bewaffneter Mann, der eine
rote Fasnachtsmaske trug, hat
gestern in Rothenburg LU eine
Kantonalbankfiliale überfallen.
Der Unbekannte bedrohte die
Angestellten mit einer Pistole,
­erbeutete Bargeld und flüchtete.
Verletzt wurde niemand.
Feuer in Kaninchenstall.
Bei einem Brand in einem Kaninchenstall in Benken SG sind in
der Nacht auf gestern mehrere
Hühner, Hasen und Wachteln
verbrannt. Die Feuerwehr
konnte das Feuer löschen, bevor
es auf einen grösseren Stall übergriff. (SDA)
Francesco Schettino war schon
weit weg, in Meta di Sorrento bei
Neapel, bei sich zu Hause, als das
Gericht in Grosseto ihn am Mittwochabend zu 16 Jahren Haft verurteilte – als Kapitän der Costa
Concordia, des Kreuzfahrtschiffs, das im Januar 2012 vor
der toskanischen Insel Giglio
kenterte. 32 der gut 4000 Personen an Bord starben. Aber Schettino bleibt vorerst frei, mindestens so lange, bis auch die zweite
und dritte Berufungsinstanz befunden haben werden. Und das
kann lange dauern.
Schettinos Anwälte gaben sich
denn auch recht zufrieden mit
dem Ausgang des ersten Prozesses. Immerhin hatte die Anklage
zehn Haftjahre mehr verlangt.
«Das Urteil ist hart», sagte etwa
Domenico Pepe, der Chefverteidiger. «Doch wir haben es geschafft, den übertriebenen Strafantrag beinahe zu halbieren, und
haben unserem Klienten somit
vielleicht etwas Ehre zurückgeben können. Schettino ist kein
Krimineller.»
Schettino selber gab sich in
­einer ersten Reaktion «deluso»,
enttäuscht. Er werde weiterkämpfen, sagte er, um zu beweisen, dass er die Costa Concordia
und deren Passagiere nicht im
Stich gelassen habe. Das ist sein
grösstes Anliegen, eine Frage der
Kapitänsehre. (om)
Analyse Seite 9