schen Verträgen und Konflikten - Konrad-Adenauer

VERANSTALTUNGSBEITRAG
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
RP SÜDKAUKASUS
DR. CANAN ATILGAN
FLORIAN C. FEYERABEND
Februar 2015
www.kas.de/kaukasus
Europas Friedensordnung zwischen Verträgen und Konflikten
VORTRAG VON BUNDESTAGSPRÄSIDENT PROF. DR . LAMMERT IN TIFLIS
„Frieden
und
friedliche
Entwicklungen
brauchen Zeit“, erklärte Bundestagspräsi-
Außenpolitische
Herausforderungen
im
Kontext historischer Erfahrungen
dent Prof. Dr. Norbert Lammert in einem
öffentlichen Vortrag in der georgischen
Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten
Hauptstadt. Auf Einladung des Regional-
Weltkriegs, vierzig Jahre nach der Unter-
büros Südkaukasus sprach der stellvertre-
zeichnung der Helsinki-Schlussakte und ein
tende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-
Vierteljahrhundert nach dem Ende der Spal-
Stiftung am 13. Februar in Tiflis vor Re-
tung Europas steht die europäische Frie-
gierungsvertretern, Parlamentariern, Stu-
densordnung vor gewaltigen äußeren Her-
dierenden, Vertretern der Zivilgesellschaft
ausforderungen. Prof. Dr. Lammert sprach
und dem diplomatischen Corps über die
sich nachdrücklich dafür aus, aktuelle au-
europäische Friedensordnung, die durch
ßenpolitische Krisen, insbesondere das an-
die Ereignisse auf der Krim und in der
gespannte Verhältnis des Westens mit Russ-
Ostukraine ins Wanken geraten ist. Die
land stets im Kontext historischer Erfahrun-
Entwicklungen in der Ukraine werden in
gen zu betrachten. Nur ein Bewusstsein für
Georgien aufgrund der eigenen leidvollen
die Errungenschaften und Fehler der Ver-
Geschichte mit größter Besorgnis verfolgt
gangenheit ermögliche eine fundierte und
und so war das Publikum gespannt auf die
valide
Ausführungen des deutschen Gasts.
Herausforderungen, so der Bundestagsprä-
Interpretation
der
gegenwärtigen
sident.
Nach der Begrüßung durch die Leiterin der
Konrad-Adenauer-Stiftung im Südkaukasus,
In diesem Zusammenhang verwies Prof. Dr.
Dr. Canan Atilgan und einer Einführung
Lammert auch auf die Urkatastrophe des
durch den georgischen Parlamentspräsiden-
20. Jahrhunderts, den Ausbruch des Ersten
ten David Usupashvili, skizzierte der Bun-
Weltkriegs vor über 100 Jahren. Dieser Wel-
destagspräsident in historischen Rückblen-
tenbrand sei die Konsequenz von geopoliti-
den nicht nur den beispiellosen europäi-
schem
Nullsummendenken,
schen Einigungs- und Versöhnungsprozess,
schen
Dominanzbestrebungen
sondern entwickelte auch eine Vision eines
Streben nach Ausweitung von Interessen-
geschichtsbewussten und prinzipientreuen
sphären gewesen. Keines seiner Ziele konn-
Europa das Konflikte friedlich löst. In der
te er erreichen, stattdessen läutet der Erste
anschließenden Diskussion wurde die euro-
Weltkrieg das Ende der globalen Dominanz
päische Perspektive Georgiens lebhaft dis-
Europas ein und schuf die Voraussetzungen
kutiert.
für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs.
nationalistiund
dem
Dieser von Hitler-Deutschland begonnene
Vernichtungskrieg endete mit der Zerstörung Deutschlands und Europas sowie einer
bipolaren Weltordnung und Blockkonfrontation, deren Grenzen quer durch den europäischen Kontinent verliefen.
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Die Helsinki-Schlussakte als Fundament
2014 als Wendepunkt der Ost-West Be-
der europäischen Friedensordnung
ziehungen
DR. CANAN ATILGAN
Mitten im Kalten Krieg wurde 1975 mit der
Der Bundestagspräsident zitierte den re-
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Unterzeichnung
Helsinki-Schlussakte
nommierten deutschen Historiker Heinrich-
der Konferenz für Sicherheit und Zusam-
August Winkler, der prophezeite, dass zu-
menarbeit in Europa (KSZE) das Fundament
künftige Generationen von Geschichtswis-
für eine gesamteuropäische Friedensord-
senschaftlern das Jahr 2014 im Rückblick
nung und einen Prozess der pragmatischen
als Wendepunkt der Geschichte betrachten
Kooperation zwischen Ost und West ge-
würden. Das vergangene Jahre, so Prof. Dr.
schaffen. Prof. Dr. Lammert hob hervor,
Lammert, markiere das Ende der sogenann-
dass das Ziel der KSZE nicht die Überwin-
ten „Post Cold War era“, da die Illusion der
dung der Blockkonfrontation gewesen sei,
Nachwendezeit, dass Europa und Russland
sondern die Definierung von allgemeinver-
gemeinsame
bindlichen Regeln und Normen für die zwi-
Prinzipien, Regeln und Werte teilen, zersto-
schenstaatlichen Beziehungen Europas auf
ben sei. Die Ost-West Beziehungen seien
der Grundlage der Prinzipien des Selbstbe-
daher in eine neue Phase eingetreten.
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der
und
allgemein
akzeptierte
stimmungsrechts der Völker, der Nichteinmischung und der territorialen Integrität.
Drei Lektionen der jüngeren Geschichte
Dadurch, so Prof. Dr. Lammert, seien die
Voraussetzungen für die Transformations-
Drei Lektionen ließen sich aus der jüngeren
prozesse im Ostblock und die gewaltfreie
europäischen Geschichte und der spezifi-
Überwindung der Ost-West-Teilung geschaf-
schen deutschen Erfahrung ableiten und
fen worden. Der Bundestagspräsident be-
müssten bei der nüchternen Analyse aktuel-
tonte auch, dass die aus der KSZE erwach-
ler Herausforderungen stets berücksichtigt
sene Organisation für Sicherheit und Europa
werden, betonte der Bundestagspräsident.
(OSZE) bis heute die einzige Institution zu
Die zerstörerische Gewalt zweier Weltkriege
Fragen der europäischen Sicherheit dar-
und die atomarer Gefahr während des Kal-
stellt, an der sowohl Russland als auch die
ten Krieges verdeutlichten, dass kriegeri-
Vereinigten Staaten und Kanada beteiligt
sche Gewalt als Mittel zur Lösung zwischen-
sind.
staatlicher Konflikte in Europa kategorisch
ausgeschlossen werden müsse. Dieses Ein-
Kein Ende der Geschichte
vernehmen müsse weiter Bestand haben,
auch wenn die Annexion der Krim und die
Ohne die Anerkennung der Prinzipien der
Gewaltanwendung in der Ostukraine einer
Helsinki-Schlussakte hätte es keine deut-
einseitigen Infragestellung des Konsenses
sche Wiedervereinigung und keine friedliche
gleichkommen. Krieg, so Prof. Dr. Lammert,
Überwindung der Ost-West-Teilung Europas
habe im letzten Jahrhundert auf europäi-
gegeben, so Prof. Dr. Lammert. Doch mit
schem Boden niemals die gewünschten Zie-
dem Fall der Berliner Mauer und den Trans-
le erreichen können. Die Geschichte zeige
formationsprozessen in Osteuropa sei kei-
daher, dass friedliche Konfliktbeilegung mit-
neswegs das „Ende der Geschichte“ (Francis
tels Diplomatie, politischem Dialog und Aus-
Fukuyama) angebrochen, auch wenn sich
gleich daher alternativlos ist.
die Friedenszone aus NATO und EU zunächst gen Osten ausdehnen konnte. Der
1)
Die erste Lektion lautet deshalb:
Bundestagspräsident hob hervor, dass es im
Kriegerische Gewalt ist inakzeptab-
Kontext der Verhandlungen des Zwei-plus-
le, aber „Frieden und friedliche
Vier-Vertrags niemals Garantien oder Ver-
Entwicklungen brauchen Zeit, be-
sprechen des Westens hinsichtlich einer Be-
dauerlicherweise
grenzung der Osterweiterung von NATO und
Kriege
EU gegeben habe, wie aktuell von der russi-
mehr Zeit als wir bereit sind zu ak-
schen Führung behauptet. Dies sei ein ge-
zeptieren“, so Prof. Dr. Lammert.
zielt verbreiteter Mythos, so Prof. Dr. Lam-
Die
mert.
sei erst nach mehr als vier Jahr-
[…]
mehr
und
deutsche
Zeit
als
manchmal
viel
Wiedervereinigung
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zehnten auf friedlichem Wege voll-
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endet worden. Dennoch sei eine
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militärische Überwindung der deut-
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schen Teilung zu keinem Zeitpunkt
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denkbar gewesen.
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2)
Daraus erwachse die zweite Lektion: „Um die Wirklichkeit zu verändern muss man diese zunächst als
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solche klar erkennen und benennen“, so der Bundestagspräsident.
Nur die nüchterne Erkenntnis der
gegebenen
Umstände,
nicht
Wunschdenken über bessere Realitäten
ermögliche
einem
Hand-
lungsoptionen zur Überwindung der
Gegenwart.
3)
Globalisierung sei die Realität des
21.
Jahrhunderts,
so
Prof.
Dr.
Lammert, und daher laute die dritte
Lektion:
staatliche
„Exklusive
national-
Souveränität
existiert
nicht mehr im Zeitalter der Globalisierung“. Die einzige intelligente,
zugleich jedoch auch ambitionierte
und komplexe Antwort auf diese
neue Wirklichkeit sei das europäische Integrationsprojekt.
Hoffnung Europa
Zum Ende seines Vortrags plädierte der
Bundestagspräsident daher dafür die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft
in Europa gemeinschaftlich zu lösen und zitierte Konrad Adenauer: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde
eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine
Notwendigkeit für uns alle.“
In den Wortmeldungen der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass das europäische Projekt für Georgien Hoffnung und Notwendigkeit zugleich
ist. Zugleich wurde in einem Großteil der
Fragestellungen
der
Besorgnis
über
die
Entwicklungen in der Ukraine Ausdruck verliehen In der Diskussion wurde deutlich,
dass man sich eine strammere und überzeugendere Linie Europas gegenüber Russland erhofft.