SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 16.12.1992: Gunter Demnig verlegt seinen ersten Stolperstein Von Nail Al Saidi Sendung: 16.12.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Atmo: Hämmern Autor: Der Künstler Gunter Demnig beim letzten Akt seiner Arbeit: Er schaufelt, hämmert und mischt Beton an. Sein Arbeits-Outfit: eine Mischung aus Fliesenleger und Cowboy. Er trägt einen Hut, dazu Jeanshemd mit Lederweste und ein rotes Halstuch. Die Knie sind gepolstert, denn bald schon 60.000 Mal hat er sich hingekniet für die Opfer des Nationalsozialismus. Jedes Mal lässt er einen seiner Stolperstein ins Straßenpflaster ein: einen Betonquader, 10 mal 10 Zentimeter breit und oben drauf: Eine gravierte Messingplatte mit kurzen Daten zum Leben eines Nazi-Opfers. Wer das lesen will, der muss sich bücken. Oder schöner gesagt: Er muss sich vor dem Opfer verbeugen. Atmo: Hämmern Autor: Schon 1990 Jahre markiert der studierte Künstler Demnig auf den Kölner Straßen eine Schreckensspur aus dem Dritten Reich. Mit Farbe zieht er Linien von den ehemaligen Wohnhäusern der Kölner Roma und Sinti quer durch die Stadt bis zum ehemaligen Deportationsgleis. 1000 damals sogenannte „Zigeuner“ wurden hier 1940 nach Ausschwitz verschleppt und dann ermordet. Im Laufe der Jahre verwittert diese historische Farbspur. Gunter Demnig sucht eine dauerhafte Form fürs Gedenken. Also verlegt er – mit Zustimmung der Stadt Köln – eine Messinggedenktafel in den Boden vor dem historischen Rathaus, heute vor 24 Jahren, am 16. Dezember 1992. Es ist der erste Prototyp für die spätere Stolperstein-Reihe. Auf diesem ersten Stein erinnert Demnig jedoch nicht an einen einzelnen Menschen sondern an den Ausschwitz-Erlass von 1942. Darin befahl der Reichsführer SS Heinrich Himmler die Vernichtung aller deutschen Roma und Sinti. Eigentlich soll die Kölner Messingplatte von 1992 ein Einzelstück bleiben, auch wenn Künstler Gunter Demnig in einem Manifest davon träumt, jedem NS-Opfer an einem kleinen Gedenkort Name und Würde zurückzugeben. Doch seine Idee spricht sich herum in der Szene von Künstlern und Förderern. Zwei Jahre später, 1995, installiert Demnig die ersten richtigen Stolpersteine, mit Lebensdaten der Opfer, verlegt vor dem jeweiligen letztbekannten Wohnort. Zunächst noch ohne städtische Genehmigung, bald darauf offiziell. Seine Aktion ist mittlerweile ein Fulltime-Job. 440 Stolpersteine verlegt er pro Monat. Die Gravuren werden per Hand gemacht und Demnig persönlich fährt zur Verlegung durch In- und Ausland. Nur in München kommt er sehr selten vorbei: dort darf er keine Steine auf öffentlichem Grund verlegen. In München lebt und wirkt die größte Kritikerin der Stolperstein-Aktion: Charlotte Knobloch, die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden. Ihrer Meinung nach lüden die Steine dazu ein, das Gedenken der Opfer mit Füßen zu treten. Kritik musste Demnig auch vor zwei Jahren einstecken, als bemängelt wurde, dass er auf einigen Stolpersteinen Nazi-Jargon zitiert hat. Doch der Popularität hat das nicht geschadet. Für 120 Euro Spende kann jeder einen neuen Stolperstein finanzieren. Und Künstler Gunter Demnig ist für das nächste halbe Jahr mit Aufträgen ausgebucht. 2
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