Schweiz/Ausland 4. Dezember 2016 9 Atom-Lobby fordert Bau neuer Werke Nuklearenergie Das Schweizer Nein zur Atomausstiegsinitiative wird im Ausland als Ja zu Atomstrom gewertet. Die internationale Nuklearindustrie sieht darin gar ein Signal für den Ausbau der Kernkraft. Fabian Fellmann Nach dem Scheitern der Atomausstiegsinitiative müssten die Politiker dafür sorgen, dass in der Schweiz wieder neue Atomkraftwerke gebaut werden dürfen: Das fordert die «World Nuclear Association», die internationale Vereinigung der Atomindustrie, in einer Stellungnahme zur Abstimmung vom Sonntag. 54,2 Prozent der Stimmbürger hatten eine Initiative der Grünen für einen raschen Atomausstieg abgelehnt. Die Schweizer hätten weise entschieden, schreibt Agneta Ri- sing, Generaldirektorin der Vereinigung der Grossen der Branche: «Es ist eine Botschaft an die Welt, dass die Schweizer nicht dem Beispiel der scheiternden Energiewende des Nachbarn Deutschland folgen wollen.» Die Aussagen erstaunen insofern, als der Schweizer Energiekonzern Alpiq Mitglied der Vereinigung ist. Mitte Oktober hat er zusammen mit BKW und Axpo die Rahmenbewilligungsgesuche für drei neue Kraftwerke zurückgezogen. «Energiepolitisch sind neue Weichen gestellt und der Bau neuer Kernkraftwerke dauer- Der Richtungsstreit bei der SP geht weiter Parteitag Die SP hat das umstrittene Wirtschaftspapier angenommen. Beinahe wäre es zum Eklat gekommen. Die Mitglieder des Realo-Flügels der SP Schweiz wollen enger zusammenarbeiten und sich regelmässig treffen. «Es ist unser erklärtes Ziel, die Partei von innen zu verändern», sagt die Berner Nationalrätin Evi Allemann, die sich diesem sozialliberalen Lager zurechnet, nach dem Parteitag vom Samstag in Thun. Damit wird der Richtungsstreit in der SP weitergehen, obwohl der RealoFlügel im Streit über ein Positionspapier zur «Wirtschaftsdemokratie» unterlegen ist. Eine Gruppe um die Ständeräte Pascale Bruderer und Daniel Jositsch hatte die Rückweisung des Papiers an die Geschäftsleitung verlangt, was einen tagelangen öffentlichen Richtungsstreit auslöste. Die Realos forderten ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und konkrete Vorschläge zur Digitalisierung der Wirtschaft, statt einer Kampfansage an den «entfesselten Kapitalismus», wie es im Entwurf der Geschäftsleitung hiess. Beinahe-Rückfall in den Kommunismus Nach mehr als zweieinhalbstündiger Debatte mit 26 Wortmeldungen setzte sich am Samstag der linke Parteiflügel mit 375 zu 59 Stimmen klar durch – erwartungsgemäss, weil er für den Parteitag stets gut mobilisiert. Beinahe wäre es deswegen bei der Detailberatung zu einem Unfall gekommen: Unversehens nahm die SP in das Papier die kommunistische Forderung nach weitgehender Abschaffung des Privateigentums auf. Den Jung- «Es ist unser erklärtes Ziel, die Partei von innen zu verändern.» Evi Allemann Vertreterin SP-Realos sozialisten gelang das Husarenstück, dass eine knappe Mehrheit praktisch diskussionslos für einen neuen Passus mit dem Titel «Eigentum demokratisch denken» stimmte. Damit hätte die SP die Vergemeinschaftung von Firmen, natürlichen Ressourcen und Infrastrukturen verlangt. Der Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran gelang es jedoch, mit einem Ordnungsantrag die Abstimmung zu wiederholen, worauf die Delegierten erwachten und den kommunistischen Traum beendeten. Die SP Schweiz schlägt nun in dem Papier eine ganze Reihe von Massnahmen vor, mit denen sich der Kapitalismus überwinden lasse, wie es ihr Parteiprogramm vorsieht. Angestellte sollen in Firmen mehr mitreden und in Grossunternehmen mindestens einen Drittel der Verwaltungsräte stellen. Die SP will sich auch dafür einsetzen, dass sich Mitarbeiter an ihrer Firma beteiligen können. Insgesamt stellt sie klassisch linke Forderungen: bessere Arbeitsbedingungen, mehr regionale Wirtschaft, eine linkere Politik der Nationalbank. SP-Nationalrat Matthias Aebischer sagt, damit könne er gut leben: «Aber jetzt müssen wir zu den Leuten damit und klar sagen, was wir wollen.» Für ihn seien das vor allem Mitsprache und Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter. Evi Allemann, die sagt, sie trage mehrere Forderungen des Papiers nicht mit, will sich keineswegs als Unterlegene sehen. «Es ist seit langer Zeit das erste Mal, dass sich eine Gruppe des pragmatischen Flügels so gut organisiert und einen gemeinsamen Antrag eingereicht hat», sagt die Bernerin. «Das hat uns einander nähergebracht und gezeigt, wer alles dazugehört.» Zudem belege die Debatte, dass die Partei sehr breit aufgestellt sei. «Wir haben den Anspruch, 25 bis 30 Prozent Wähleranteil zu gewinnen», sagt Allemann. «Das schaffen wir nur, wenn wir die Breite nicht nur zulassen, sondern auch leben.» Nun wolle sich der Realo-Flügel bei der Erarbeitung der weiteren Kapitel des SP-Wirtschaftsprogramms einbringen und daran arbeiten, besser für die künftigen Parteitage zu mobilisieren. Fabian Fellmann haft verboten», teilt der Konzern, beteiligt an den Kraftwerken Gösgen und Leibstadt, mit. Der Atomausstieg folge mit der Energiestrategie 2050, hinter der Alpiq grundsätzlich stehe. «Es wird neue Kraftwerke geben» Auch der Chef des staatlichen russischen Atomenergieunternehmens, Alexey Likhachev, wertet den Urnengang positiv. Laut russischen Medien sagte er am Dienstag in Moskau: «Die Abstimmung in der Schweiz beweist, dass europäische Staaten auch die Nuklearenergie entwickeln werden. Sie werden daran arbeiten, deren Bedeutung in ihrer Energieversorgung auszubauen. Es heisst, dass es neue Kraftwerke geben wird.» Die Moskauer PR-Agentur FleishmanHillard Vanguard versuchte in dieser Woche, einen Beitrag des Schweizer Forschers Marco Streit, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute, in Medien zu platzieren, auch in der Schweiz. Streit sagt, er sei für den Kommentar angefragt worden. In wessen Auftrag die Agentur handelt, legt sie nicht offen. In dem Artikel weist Streit darauf hin, Atomenergie sei nötig, um die Ziele zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu erreichen. Es sei «zu früh, um über eine blühende Zukunft für die Nuklearenergie» in der Schweiz zu sprechen. Die Energiestrategie 2050 sehe den Atomausstieg vor, darüber könnten aber glücklicherweise voraussichtlich die Bürger entscheiden; die SVP hat das Referendum ergriffen. Auf Anfrage sagt Streit: «Die Schweizer Volksabstimmung über die Atomausstiegsinitiative wird im Ausland anders interpre- tiert und teilweise als Votum für die Atomenergie aufgenommen.» Er betrachte den Ausgang realistisch: «Abgelehnt wurde der sofortige Ausstieg, aber es wurde nicht über Pro oder Contra Kernenergie abgestimmt.» Nationalrätin Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, sagt, die Abstimmung sei kein Votum gegen den Atomausstieg, darin seien sich ausser der SVP alle Parteien einig: «Es ist peinlich für die SVP, dass sie Unterstützung aus Moskau erhält. Bestimmt nun die ausländische Atomlobby über die Schweizer Energiepolitik?» Wenn Renzi scheitert, dann an sich selbst Italien Matteo Renzi war mal Italiens Hoffnungsträger. Jetzt ist er so unbeliebt, dass er beim heutigen Verfassungsreferendum allein deswegen eine Niederlage riskiert. «Wir müssen wieder sympathisch werden», erklärte Oscar Farinetti Anfang November bei einer Veranstaltung zur Verfassungsreform, bei welcher auch der Premier anwesend war. Mit «wir» meinte er in erster Linie ihn: Ministerpräsident Matteo Renzi. Farinetti, Unternehmer und Gründer der LebensmittelKette «Eataly», ist ein wichtiger Berater und Freund des 41-jährigen Premiers – und er traf mit seiner Aussage wohl des Pudels Kern in dieser Abstimmungskampagne. Renzi ist Millionen Italienern unsympathisch geworden – und viele werden heute Nein stimmen, nur um den Premier abzustrafen. Dabei ist es gerade einmal zweieinhalb Jahre her, seit Renzi seinem sozialdemokratischen Partito Democratico bei den Europawahlen im Mai 2014 mit 41 Prozent der Stimmen zum besten Resultat aller Zeiten verholfen hatte. Der junge Wilde aus Rignano sull’Arno bei Florenz war damals Italiens grosser Hoffnungsträger. Sein grösster Fehler: Er nimmt den Mund zu voll Renzi hat bereits in seinen ersten Amtstagen einen entscheidenden Fehler begangen: Er hat den Mund zu voll genommen. «Jeden Monat eine Reform» hatte der Regierungschef versprochen – sowie, neben vielem anderem mehr, «tausend neue Krippen in tausend Tagen», eine «zweistellige Senkung der Lohnnebenkosten», die «vollständige Begleichung der Milliardenschulden des Staats gegenüber seinen Gläubigern», ein «Investitionsprogramm für die verlotterten Schulen». Einige Erfolge hat Renzi durchaus vorzuweisen: Er hat eine Arbeitsmarktreform durchgeführt und dem Land erstmals zu einem Gesetz für eingetragene, auch homosexuelle Partnerschaften verholfen. Und er hat, zusammen mit der Reform des Wahlgesetzes, die Verfassungsreform durchs Parlament geboxt, über die heute abgestimmt wird. Aber vieles ist Stückwerk geblieben. So hinkt das italienische Wirtschaftswachstum weiterhin deutlich hinter dem EU-Durchschnitt her; die Wettbewerbsfähigkeit ist schlechter als jene von Aserbeid- Matteo Renzi (41) von der Partito Democratico ist seit Februar 2014 Ministerpräsident. Bild: Riccardo Antimiani (Rom, 26. November 2016) schan. Renzis Versprechungen sind in den Augen vieler Italiener nur zu zögerliche oder gar keine Taten gefolgt, die wenigen positiven Effekte an den meisten vorbeigegangen. Besonders im Süden des Landes ist das heute oft verwendete Schlagwort des SichAbgehängt-Fühlens Realität. Sollten die Süditaliener heute in Massen gegen die Verfassungsreform stimmen, liegt das nicht daran, dass sie den Sirenengesängen eines populistischen Volkstribuns wie Beppe Grillo erliegen, sondern weil sie auch von Renzi enttäuscht worden sind. Massgeblich zum Popularitätsverlust beigetragen hat ausserdem das ausgeprägte Selbstwertgefühl des Premiers, das sich mit den bescheidenen Resultaten seiner inzwischen über 1000-tägigen Amtszeit schlecht verträgt. Renzi vermittelt unentwegt den Eindruck, dass er sich für den Einzigen hält, der das Land nach vorne bringen kann; die Überschätzung der eigenen Wichtigkeit hat ihn auch dazu verleitet, sein politisches Schicksal mit dem Ausgang des Referendums zu verbinden. Die unnötige Personalisierung hatte Folgen, weil Renzi aus Sorge vor weiterem Popularitätsverlust faktisch aufhörte, zu regieren. Wenn Renzi die heutige Abstimmung verliert, dann ist er ganz alleine selber schuld. Dominik Straub/Rom
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