LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. AUSLANDSBÜRO ROM CAROLINE KANTER SILKE SCHMITT 05. Dezember 2016 Matteo Renzi tritt zurück www.kas.de/italien www.kas.de Knapp 65,5% der wahlberechtigten Itali- Quirinal, dem Sitz des italienischen Staats- ener haben sich am Sonntag, den 04. De- präsidenten begeben, um seinen Rücktritt zember, an der wichtigsten Verfassungs- offiziell einzureichen. reform seit dem Zweiten Weltkrieg in Italien beteiligt. Rund 60 Prozent sprachen Es ergeben sich unterschiedliche Szenarien, sich dagegen aus. Knapp 41 Prozent be- wie es mit der italienischen Politik weiter fürworteten die Reform, die eine Ände- gehen kann. Obwohl man den Rücktritt rung von 47 der 139 Artikel umfassenden Matteo Renzis aufgrund seiner Formulierun- Verfassung vorsah. Matteo Renzi kündigte gen als definitiv bewerten kann, wäre es noch am selben Abend seinen Rücktritt als möglich, dass Mattarella seinen Rücktritt Premierminister an. erst annimmt, wenn der Haushalt 2017 verabschiedet ist; dies muss bis zum 31. De- „Ich habe verloren – nicht ihr“, so der itali- zember 2016 erfolgen. enische Premierminister, Matteo Renzi, in einer nach Mitternacht angesetzten Presse- Eine zweite Möglichkeit wäre, dass er den konferenz. „Die Erfahrung meiner Regierung Rücktritt annimmt und die Regierungsge- endet an dieser Stelle“ sagte der jüngste schäfte einer anderen Person anvertraut, bis Premierminister der Italienischen Republik, Neuwahlen ausgerufen werden. U.a. werden der gut 1000 Tage und zwei Wochen im Amt die Namen von Finanzminister Pier Carlo war und damit nach Silvio Berlusconi und Padoan oder Senatspräsident Pietro Grasso Bettino Craxi die drittlängste Regierungspe- in diesem Zusammenhang als mögliche riode stellte. Nachfolger genannt. Seine Mitstreiter der „Kampagne für das Ja“ Eckdaten zum Wahlergebnis rief er auf, „stolz“ zu sein auf die geleistete Arbeit. Gegen etwas zu sein, sei relativ ein- Positiv zu bewerten ist die außerordentlich fach. Eine Politik für etwas sei hingegen viel hohe Wahlbeteiligung: 65,47% der Wahl- schwerer zu vertreten, dafür aber auch viel berechtigten haben sich an diesem wichti- schöner, so Renzi. Die hohe Wahlbeteiligung gen Referendum beteiligt. habe gezeigt, dass die Italiener nicht nur zusehen, sondern teilnehmen. Außerdem Dies war in der Vergangenheit nicht immer habe man es in den vergangenen Wochen so: Bei dem weniger umfassenden Verfas- geschafft, die Bürger an die Verfassung – sungsreferendum im Oktober 2001 zum Fö- die demokratischen Spielregeln – heranzu- deralismus haben sich 34,1 Prozent der führen. Wahlberechtigten beteiligt. Vier Jahre später bei dem umfassenderen Reformvorhaben (2005) – das ebenfalls abgelehnt wurde – Was passiert nun? haben 52,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Bereits gegen Montagmittag traf sich Matteo Renzi mit Staatspräsident Sergio Mattarella Zu beobachten ist, dass nur drei Regionen zu einem einstündigen Gespräch. Am im Norden des Landes die Reform befürwor- Nachmittag ist eine Kabinettssitzung anbe- teten: Toskana, Emilia-Romagna und Tren- raumt. Danach will Renzi sich nochmals zum tino-Südtirol. In allen anderen Regionen 2 lehnten die Bürger die Reform ab. Auf Sar- Hier zeigt sich, dass der von Renzi gewählte dinien stimmten 72,2 Prozent gegen das Weg, den Ausgang des Referendums an sei- AUSLANDSBÜRO Reformvorhaben; nur 27,8 Prozent stimm- ne Person und an seine politische Zukunft ITALIEN ten dafür. Die Wahlbeteiligung lag bei 62,44 zu knüpfen, auch für ein Verprellen von CAROLINE KANTER Prozent. Wählern sorgte, die mit Teilen der Reform Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. durchaus einverstanden waren, aber die von SILKE SCHMITT 5. Dezember 2016 Mit Blick auf das Wahlverhalten zeigt sich Renzi artikulierte „Alles oder nichts- zum jetzigen Zeitpunkt, dass das Nein in Rhetorik“ ablehnten. www.kas.de/italien Städten im Süden des Landes stärker war; www.kas.de im Norden hingegen unter der 60 Prozent Auch die Niederlage hat Matteo Renzi letzt- Marke blieb. In Neapel stimmten 68,28 lich an seine Person gebunden, indem er Prozent mit “Nein“, in Palermo sogar 72,31 sagte: “Ich habe verloren”. Ministerpräsi- Prozent. In Rom waren es 59,42 Prozent, in dent Matteo Renzi, der nicht in sein Amt Mailand 51,13 Prozent. gewählt wurde, hat das Durchbringen des Reformreferendums als Legitimierung seines Nein-Stimmen heterogen Reformkurses und als Kern seines Regierungsauftrages begriffen, den er von Eine umfassende Analyse der Wählerstruk- Staatspräsident Napolitano 2014 bekommen tur im Ja- und im Nein-Lager liegt zum jet- hatte. zigen Zeitpunkt nicht vor. Die Wahl hat jedoch deutlich gezeigt, dass Renzi es nicht Die populistischen Bewegungen in Italien geschafft hat, das eigene Lager hinter sich feiern den Erfolg des "Neins" als ihren Sieg. zu vereinen. Prominente Vertreter der Re- Es gibt Anlass zur Sorge, dass sie zum Teil gierungspartei “Partito Democratico” haben mit Phrasen bei den Wählern punkten konn- sich öffentlich gegen die Verfassungsreform ten. Das Ergebnis muss auch vor dem Hin- gestellt. Das deutliche Wahlergebnis lässt tergrund ernst genommen werden, dass es außerdem keinen Zweifel daran, dass Renzi Ausdruck für einen generellen Unmut und die Mehrheit der Bevölkerung von seinem Unzufriedenheit in der Gesellschaft ist – vor Reformvorhaben nicht überzeugen konnte. allem bei der jungen Generation, die dieses Ergebnis offensichtlich mitgetragen hat. Schaut man sich die Gruppe der Referendumsgegner genauer an, so ergibt sich eine Auswirkungen auf Europa sehr heterogene Mischung unterschiedlicher Motivationen: Der Ausgang des Referendums muss primär im italienischen Kontext gelesen werden. Die lautesten Stimmen gehörten zu jenen, Auswirkungen auf die europäische Ebene die Matteo Renzi ablehnen und ihn regel- können nicht ausgeschlossen werden – das recht aus dem Amt “verjagen” wollen. Hier gesamte Referendum jedoch zu europäisie- sind in erster Linie die Oppositionsführer der ren und es gar mit dem Referendum in Parteien Lega Nord, Fratelli d’Italia und der Großbritannien gleichzusetzen, ist zum jet- Fünf-Sterne-Bewegung zu nennen, die jetzt zigen Zeitpunkt irreführend. nach dem Referendum schnelle Neuwahlen fordern. Aus diesem Blickwinkel betrachtet stellt das Votum gegenwärtig keine Gefahr für den Andere hingegen sprachen sich definitiv für Verbleib Italiens in der Europäischen Union einen Reformkurs aus, der vorangetrieben dar. Die Vermutung, dass Italien zukünftig werden muss. Sie wünschen sich jedoch einen anti-europäischen Kurs einschlagen eine "bessere" Reform. Ein prominenter wird, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt ver- Vertreter dieser Gruppe ist u.a. der ehema- früht – auch wenn man zur Kenntnis neh- lige Ministerpräsident Mario Monti, der sich men muss, dass die Zustimmung der Italie- für eine sachliche Diskussion über das Re- ner mit Blick auf Europa abgenommen hat. formvorhaben einsetzte und die Debatte In einer Umfrage des Eurobarometers Mitte über Renzis Politik im Allgemeinen kritisier- November sagten 68 Prozent der Italiener, te. dass es ihrer Meinung nach im eigenen Land 3 gerade nicht gut laufe. 56 Prozent schätzten Idee und die europäischen Werte sind tief ebenso pessimistisch die gegenwärtige Si- verwurzelt in der Gesellschaft. Die Feierlich- AUSLANDSBÜRO tuation in Europa ein. Nur 38 Prozent der keiten anlässlich des Jubiläums der Römi- ITALIEN befragten Italiener sind davon überzeugt, schen Verträge im Mai 2017 werden hof- CAROLINE KANTER dass sich der Verbleib in der Europäischen fentlich dazu beitragen, nicht nur in die SILKE SCHMITT Union positiv auf das Land auswirke. In kei- Vergangenheit, sondern vor allem mit den 5. Dezember 2016 nem weiteren europäischen Land ist die Zu- jungen Menschen in die Zukunft zu blicken. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. stimmung so niedrig. Mit Matteo Renzi wurde Italien - nach Mario www.kas.de/italien www.kas.de Europa hat – sollte Staatspräsident Sergio Monti und Enrico Letta - zum dritten Mal in Mattarella den Rücktritt Renzis akzeptieren Folge von einem Premier regiert, der nicht – einen wichtigen, stellenweise durchaus durch eine Parlamentswahl ins Amt gelangt kritischen, aber grundsätzlich pro- ist. Sollte nun eine Übergangsregierung in- europäischen Regierungschef und damit ei- stalliert werden, wird es der vierte Premier nen wichtigen Partner im Süden Europas sein, dem die Legitimation durch das Wahl- verloren. Diese Tatsache müssen die EU- volk fehlt. Diese Tatsache sehen viele Itali- Mitgliedsstaaten auch mit Blick auf die Her- ener kritisch. ausforderung im Umgang mit dem Migrationsfluss über das Mittelmeer zur Kenntnis Die nun bestätigte Ablehnung Matteo Renzis nehmen. heißt nicht automatisch, dass ein AntiEuropäer als nächster Regierungschef in Mattarella als Garant gegen politischen Frage kommt. Die grundsätzlich proeuropäi- Stillstand sche Regierungspartei PD - und daran hat sich nichts geändert - stellt nach wie vor die Staatspräsident Sergio Mattarella hat die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und – außerordentlich hohe Wahlbeteiligung be- wenn auch knapp – im Senat. Eine neue grüßt und sie als Ausdruck einer soliden Regierung muss durch das Parlament bestä- Demokratie bezeichnet in einem Land, das tigt werden; um Neuwahlen auszurufen, zu einer aktiven politischen Teilnahme fähig muss man ein neues Wahlgesetz verab- sei. Italien sei ein großartiges Land, das vie- schieden. Das Verfassungsgericht hat ange- le positive Energien bündle. Gerade daher kündigt, sich nach dem Referendum zu dem sei es wichtig, dass das politische Klima - vorliegenden Italicum, dem neuen Wahlge- auch mit der notwendigen Dialektik – von setz für die Abgeordnetenkammer, zu äu- Ruhe und gegenseitigem Respekt geprägt ßern und diese Entscheidung muss abge- sei, so der Staatspräsident, der in der italie- wartet werden. nischen Gesellschaft ein hohes Ansehen genießt. Glaubt man aktuellen Umfragen, Die Europawahl im Mai 2014, ungefähr drei schenken ihm 56 Prozent der befragten Ita- Monate nach dem Regierungsantritt Matteo liener ihr Vertrauen - keine andere politi- Renzis, hatte seine Partei Partito Democrati- sche Führungspersönlichkeit kann derzeit co (PD) mit 40,8 Prozent der Stimmen glän- ein solches Ergebnis vorzeigen. zend gewonnen. „Eine Lizenz zum Loslegen“ titelte die Süddeutsche Zeitung damals tref- Sergio Mattarella ist seit knapp zwei Jahren fend. Jetzt wurde Matteo Renzi mit knapp im Amt, hat bislang besonnen agiert und 60 Prozent Nein-Stimmen abgewählt. zeigt sich pro-europäisch. Sein Ziel muss es nun sein, eine handlungsfähige Regierung zu bilden, die den begonnenen Reformkurs weiter voran bringt. Ausblick ungewiss Das bevorstehende Jahr ist für Italien als Gründerstaat der Europäischen Union von besonderer Bedeutung. Die Europäische
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