FINDING YOUNG EUROPE

 FINDING YOUNG EUROPE
Eine paneuropäische Forschungsreise
auf den Spuren der Jugend Europas.
Bericht, 2014
INHALT
Seite/n
1
Einleitung
2
Das Projekt
3
4
3
2.1 Hintergrund
4
2.2 Zielsetzung und Reiseroute
5
2.3 Interview und Rechercheablauf
7
Das Projektergebnis
3.1 Länderübergreifende Erkenntnisse
10
3.2 Statistische Daten
15
3.3 Presseauszüge
23
3.4 Bilder
24
Zusammenfassung & Ausblick
26
2 1
EINLEITUNG
Europas junge Generation im Fokus - In den vergangenen Jahren dominierte die
angespannte Lebenssituation junger Europäer/innen regelmäßig die Schlagzeilen.
Die enorm hohen Jugendarbeitslosenzahlen in den von der Krise am stärksten
betroffenen europäischen Staaten, steigender Leistungsdruck auf dem Arbeitsund Bildungsmarkt, sowie stark verändertes Medien- und Konsumverhalten zogen,
und ziehen bis heute, die Aufmerksamkeit von Politik und Medien auf die
Lebenswirklichkeit junger Menschen zwischen 18- und 36 Jahren.
Wir stellen fest, es wird viel über die Jugend gesprochen, aber wenig mit ihr.
Mit dem Projekt „Finding Young Europe“ schlugen wir einen anderen Weg ein.
Im direkten Gespräch begaben wir uns auf die Spuren unserer Generation. Vom
Februar 2014 an waren wir mit Unterstützung der Stiftung Mercator und HeinrichBöllauf einer sechswöchigen Forschungsreise quer durch und über den
europäischen Kontinent unterwegs. Auf einer Route über 13.000 Kilometer durch
14 Länder haben wir in über 200 Gesprächen unserer Generation am Puls
gefühlt. Wir wollten auf unserer Reise mehr über die Lebenssituation unserer
Altersgenossen/innen, über ihre Werte und Vorstellungen und über ihre
Wahrnehmung des europäischen Projektes erfahren. Unser Weg führte uns dabei
von Schweden über Großbritannien, Belgien, Frankreich, Spanien, Italien,
Griechenland, Bulgarien bis in die Türkei nach Ungarn, Bulgarien, Österreich,
Polen und abschließend in die Ukraine.
Der folgende Bericht gibt in 3 Hauptkapiteln eine Übersicht über das
Forschungsprojekt.
3 2
DAS PROJEKT
2.1 Hintergrund
Europa im Frühjahr 2014. Die europäische Währungs- und Strukturkrise hat das
Vertrauen in die europäischen Institutionen, nationalstaatliche politische Strukturen
und die Ökonomie tief erschüttert. Allen voran Europas junge Generation leidet seit
Jahren unter dem paneuropäischen Krisenzustand, der neben der ökonomischen
auch eine soziale und kulturelle Dimension zum Inhalt zu haben scheint. Mit einer
Jugendarbeitslosenquote von bis zu 70,6%1 in ausgewählten Regionen, teilweise
korrupten Wirtschafts- und Politikeliten2, steigenden Qualifikationsansprüchen auf
dem Arbeitsmarkt, verbunden mit einer strukturellen Benachteiligung junger
Arbeitnehmer/innen3, und dem kontinuierlichen Zerfall familiärer Strukturen und
kulturellen Orientierungsgrößen, blicken junge Menschen in Europa in eine
ungewisse Zukunft.
Die Unzufriedenheit mit der Lage fand und findet ihren Ausdruck in
Jugendprotesten und politischen Bewegungen europaweit. Dennoch, trotz des
Aufbegehrens hat sich die prekäre Situation junger Menschen kaum verändert.
Rechtliche Rahmenbedingungen, so wie ökonomische und politische Strukturen
sind europaweit ähnlich jugendfeindlich geblieben. Zurück bleibt eine frustrierte
junge Generation. Den Medien bietet diese erschütternde Situation filmreifen Stoff,
den sie gerne, oftmals auch dramatisierend, aufgreift. So wird beispielsweise in
verschiedenen europäischen Leitmedien regelmäßig das Lied der „verlorenen
Generation“4 gesungen.
Auf Seiten der Politik beobachten wir wenig ambitionierte Antworten auf die
schwierige Lage junger Menschen in Europa. Es bleibt zumeist bei reinen
symbolischen Gesten. Maßnahmen, wie die 2013 beschlossene
„Jugendgarantie“ sind vom Start an unterfinanziert und undurchdacht konzipiert.5
Eurostat, http://deutsche-­‐wirtschafts-­‐nachrichten.de/2014/06/12/abgehaengt-­‐in-­‐europa-­‐die-­‐10-­‐regionen-­‐der-­‐eu-­‐mit-­‐der-­‐hoechsten-­‐
jugendarbeitslosigkeit/ 2 Transparency International, http://www.wiwo.de/politik/europa/transparency-­‐international-­‐das-­‐sind-­‐die-­‐korruptesten-­‐laender-­‐
europas/7480492.html 3 Policy Paper der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, „Arbeitsmarktpoltische Betrachtungen aus einer jungen Perspektive.“, 06.2014 4 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/europaeische-­‐offensive-­‐gegen-­‐jugendarbeitslosigkeit-­‐verlorene-­‐generation-­‐vergessen-­‐und-­‐betrogen-­‐
1.1684593 5 Friedrich-­‐Ebert-­‐Stiftung, http://www.ipg-­‐journal.de/rubriken/europaeische-­‐integration/artikel/die-­‐vernachlaessigte-­‐generation-­‐418/ 1
4 Im Angesicht dieser Entwicklungen fragten wir uns: Wie sieht das Leben junger
Europäer/innen hinter all den medial und politisch hoch und runter diskutierten
Zahlen, Statistiken und Schreckensbeschreibungen aus?
2.2 Zielsetzung und Reiseroute
Die Betrachtung der Thematik aus einer rein deutschen Perspektive kann nur ein
einseitiges und undifferenziertes Bild der Lage bieten. Ferndiagnosen schlagen
oftmals fehl, ganz besondern wenn es um Gefühle, Perspektiven, Ängste und
allgemeine Lebensumstände junger Menschen geht. Daher war klar, dass nur eine
Reise durch verschiedene Ländern und Regionen den Versuch eines Bildes liefern
kann. Um Europa und seiner Jugend weiterzuhelfen oder sie auch nur im Ansatz
zu verstehen, muss zuerst eine direkte Verbindung zu diesem jungen Europa
geschaffen werden. Die Idee einer Reise erschien daher ein guter Versuch,
Europa jenseits deutscher Perspektiven kennenzulernen, zu erleben und auch zu
untersuchen. Ausgehend davon gestalteten wir die Konzeption für das „Finding
Young Europe“ Projekt. Hierbei war es für uns beide von Anfang an wichtig,
vorherrschende Vorurteile und Stereotypen zu Hause zu lassen, und uns mit
offenen Augen und frischem Geist auf den Weg zu machen. Natürlich war dies
nicht immer leicht, der Anspruch aber blieb bestehen, ein Land, wenn auch nur für
ein paar Tage, in seiner Tiefe so gut wie möglich zu verstehen.
Im Planungsprozess identifizierten wir drei Kern-Fragestellungen:
1) Wie nehmen junge Europäer ihre aktuelle Lebenssituation wahr?
2) Welche Ideen, Werte und Vorstellungen verbindet sie mit ihren europäischen
Altersgenossen über geographische und kulturelle Grenzen hinweg?
3) Was bedeutet „Europa“ für Europas Jugend?
Ziel war es auf Basis dieser Antworten ein möglichst umfassendes Bild vom
jungen Europa zu erhalten. Dabei ging es uns weniger um die Sammlung
statistischer Daten, als die Erfahrungen und Verarbeitung aus den persönlichen
Begegnungen. Wegbegleiter waren dabei unser Notizbuch und ein iPad
Umfragetool.
5 Altersmäßig grenzten wir die Auswahl unserer Gesprächspartner/innen auf die
Altersgruppe zwischen 18 und 36 Jahren ein und waren bestrebt, soweit das im
Rahmen der sprachlichen Barrieren möglich war, auch mit Altersgenossen/innen
aus nicht-akademischen Zirkeln zu sprechen.
Wir erarbeiteten eine Reiseroute, die dem Anspruch eines umfassenden
Generationen- und Zustandsbildes möglichst gerecht wurde. Dabei beschränkten
wir uns nicht nur auf Mitgliedsländer der europäischen Union, sondern fügten
bewusst Stationen in Istanbul und Kiew ein. Im Planungsprozess berücksichtigen
wir auch kulturelle, politische, soziale, ökonomische Gegebenheiten. Herauskam
eine Route, welche uns durch 14 Ländern - 15, wenn man den Vatikan mit
einbezieht – führte.
Die Reiseroute
Wir konzentrierten uns mehrheitlich auf die Hauptstädte der Staaten, da in ihnen
eine bunte Mischung junger Menschen aus allen Teilen der jeweiligen Länder lebt.
Das ermöglichte es uns im gesteckten Zeitrahmen ein möglichst breites Bild der
Lage zu erhalten.
Für die Aufenthalte in südlichen Ländern der EU, die den Monat vor der Reise im
besonderen Licht der Medien gestanden hatten, planten wir mehr Zeit ein und
6 besuchten neben den Hauptstädten auch größere und kleinere Orte im jeweilen
Land.
Aus ökologischen, aber auch praktischen Gründen versuchten wir von Anfang an,
die Anzahl der Flüge gering zu halten. Wir dachten uns, dass Zugreisen eine
besondere Verbindung zu Europa schaffen könnte und planten diese auch zur
Führung von Interviews oder zur Nach- und Vorarbeit zu nutzen. Insgesamt hatten
wir auf der gesamte Reise also nur fünf Flüge. Die restlichen Streckenabschnitte
absolvierten wir überwiegend mit dem Zug, nutzen aber auch Bus, Schiff und lokal
das Fahrrad.
London, 26.2.2014: Schneller als die Metro
2.3 Recherche- und Interviewablauf
Wie erwähnt, lag der Fokus unseres Projektes auf persönlichen Begegnungen und
Interviews mit jungen Menschen vor Ort. Wir trafen aber auch Menschen
außerhalb unserer Altersgruppe, z.B etablierte Meinungsführer wie Robert
Menasse oder Vertreter des Jugendrates des Papstes.
Wie identifizierten wir unsere Gesprächspartner/innen?
In der Regel hielten wir uns an folgendes Schema: Die eine Hälfte der
Interviewpartner identifizierten wir vor und während der Reise über unser Netzwerk
und das Internet. Hierbei griffen wir auf Kontakte aus Medien, Politik und
7 Wirtschaft zurück, nutzen aber auch soziale Medien wie Facebook und Twitter um
z.B. direkt mit Aktivsten vom Taksim-Platz oder Euromaidan zu kommunizieren.
Die andere Hälfte der Gesprächspartner setzte sich aus zufälligen Begegnungen
zusammen. Das hieß konkret, dass wir an den einzelnen Stationen der Reise
belebte Plätze, Schulen und Universitäten, Parks und Bars, Bahnhöfe und
Bushaltestellen aufsuchten und jungen Menschen einfach ansprachen. Diese KaltAcquise funktionierte dank unseres iPad-Umfragetools ausgesprochen gut. Das
technische Spielzeug war ein idealer Gesprächsaufhänger und brach das Eis so
schnell wie die Finger der Interviewten über das Display sausten.
Die Interviews liefen, ausgenommen ist hierbei die Ukraine6, immer nach
folgendem Muster ab. Zum Beginn des Gespräches übergaben wir unserem/r
Partner/innen unsere iPad-Umfrage. Diese bildete eine gute Grundlage für ein
Gespräch und vermittelte eine Idee von der Intention unseres Projektes und
unserer Fragen.
INFOBOX
Die „Finding Young Europe“ Umfrage - Das iPad Tool
Mit Hilfe der Software I-Survey, die wir an dieser Stelle ausdrücklich weiterempfehlen, erstellten wir eine
Umfrage. Nach der Abfrage biografischer Daten, fragten wir unsere drei Kernprojektfragestellungen ab: Aktuelle
Lebenssituation / Identität / Europa. Die einzelnen Frageblöcke bestanden wiederum aus einer Reihe von
Unterfragen. Die Interviewten konnten, je nach Frage, sowohl vorgegeben Antworten anklicken, als auch eigenen
Antworten eingeben. Einzelne Fragen konnten von der Interviewten auf Wunsch auch ausgelassen werden,
andere waren obligatorisch.
Die iSurvey Umfrage kam in allen Ländern, ausgenommen der Ukraine, zum Einsatz. Insgesamt sammelten wir
Datensätze von 195 Personen aus 20 verschiedenen europäischen Ländern. Eine Übersicht über die Ergebnisse
der Umfrage findet sich unter Punkt 3.3 und ausführlich im Anhang.
6
Bei unserer Recherche in der Ukraine stützen wir uns auf ausführliche mündliche Interviews mit unseren Gesprächspartner. 8 Paris, 3. März: Umfrage an der Science Po
Athen, 15. März, Umfrage auf dem Syntagma
Der zweite Teil der Interviews bestand aus tiefergehenden Fragen. Hierbei
berücksichtigen wir die oben erwähnen Kernfragen, sprachen aber auch ganz
offen über ländertypische Gegebenheiten, Probleme, persönliche Geschichten und
weiterreichende Ideen. Dieser zweite Teil war in Regel der für uns persönlich
wichtigste Aspekt der Reise. Hier wurden tiefen Fragen diskutiert, wurden
Herausforderungen aufgezeigt und nicht zuletzt Freundschaften geschlossen. Es
kam mehrfach vor, dass wir im Anschluss an die Gespräche zu privaten Treffen,
Grillabenden oder Stadtrundgängen eingeladen wurden. Wir versuchten von
Anfang an, mit dem natürlich Strom der jeweiligen Stadt mitzugehen und möglichst
spontan zu agieren. Dadurch lernten wir viele junge Menschen jenseits von
Umfragen und Statistiken kennen und waren in der Lage, uns einen tiefen
Eindruck von den Lebensumständen unserer Generation zu machen.
9 Interview mit Studenten an Spaniens größter Universität in Madrid
3
DAS PROJEKTERGEBNIS
3.1 Länderübergreifende Erkenntnisse
Auf unserer Reise sammelten wir eine Reihe von Eindrücken, Erfahrungen und
Erlebnissen. Dennoch sehen wir uns in der Lage, drei große Tendenzen
auszumachen und hier zu präsentieren. In Anbetracht der Tatsache, dass wir über
kulturelle, politisch und ökonomisch sehr unterschiedliche Regionen und Nationen
sprechen, sind die untenstehend aufgeführten Übereinstimmungen besonders
erstaunlich. Bei der Betrachtung ist zu berücksichtigen, dass gewisse
Einflussfaktoren in einigen Ländern stärker, in anderen schwächer ausgeprägt
waren.
Wichtige Anmerkung: Die statistischen Daten, welche wir durch unsere iPad
Umfrage gesammelt haben, zeichnen ein weniger düsteres Bild als unsere
untenstehenden Ausführungen. Ein Erklärungsversuch mag sein, dass wir erst im
Anschluss an die iPad-Umfrage die persönlichen Gespräche führten, in denen
10 dann in der Regel mehr Probleme und Sorgen aufgezeigt wurden. In vielerlei
Hinsicht scheint dies sogar symptomatisch für unsere Generation zu sein, insofern,
dass ein zunächst eher oberflächlicher Eindruck über wahre Gefühle und
Perspektiven hinwegtäuschen kann.
a) KOLLEKTIVES UNSICHERHEITSGEFÜHL
Wir stellen fest: Europas junge Generation ist geeint ihn ihrem
UNSICHERHEITSGEFÜHL. Drei Hauptursachen machen wir aus. Die schwierige
Situation am Jobmarkt (Teilzeitjobs / Arbeitslosigkeit), der daraus resultierende
Erfolgsdruck, wenig erfolgreiche politische Jugendbewegungen und elementare
Defizite in der familiären und bildungsbezogenen Sozialisation haben eine wenig
selbstbewusste, fast schon ängstliche und leise Generation hinterlassen.
Traditionelle Anker der Sicherheit, darunter u.a. Familie, Politik, Arbeit, Ethik oder,
Religion greifen nicht mehr oder stehen in unzureichendem Umfang zur Verfügung,
um jungen Menschen halt und Orientierung zu geben. Auf Basis unserer
Gespräche und im Abgleich mit statistischen Daten stellen wir fest, dass dies eine
europaweite Entwicklung zu sein scheint. Auch im wohlhabenden Schweden.
Junge Europäer/innen, die in der entscheidenden Lebensphase zwischen 18 und
36 Jahren mit Optimismus und Tatendrang ins Leben starten sollten, resignieren
und blicken voller Unsicherheit und Skepsis in ihre Zukunft. Das bindet Potential,
schadet der Politik, Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Zusammenleben. Doch
besonders schadet es den jungen Menschen selbst. Sie fahren mit angezogener
Handbremse durch das eigenen Leben. Weniger im Sinne fehlender Mobilität, - die
Wachstumszahlen und Auslastungskennziffern nach Altersklassen von BilligAirlines sprechen für sich - aber im Sinne einer mentalen Einschränkung.
Angst und fehlendes Selbstwertgefühl hemmen viele jungen Menschen ihre
Fähigkeiten und Potentiale auszuleben. Als vermeintlich einzig übrig gebliebener
Heilsbringer entpuppt sich, und das ist erstaunlicherweise in allen von uns
bereisten Ländern festzustellen, die Konzentration auf die eigenen
Karriereoptionen oder die Sehnsucht nach dem kompletten Rückzug aus dem
politischen und ökonomischen Raum (Aussteiger). In diesen beiden
11 Gegensätzen, so unser Eindruck, wird vielen jungen Menschen jene Sicherheit
vermittelt, die sie sonst vermissen.
Die Folgen:
- Der Leistungsdruck in Folge der Wirtschaftskrise und des offenen Binnen- und
Bildungsmarktes führt zu zwei Entwicklungen. Zum einen zur von uns
sogenannten „Degree-Inflation“. Sie bezeichnet den europaweiten Anstieg der
Studierendenzahlen bei gleichzeitigem Verfall der Wertigkeit der
Hochschulabschlüsse. Da mehr und bessere Abschlüsse jungen Menschen
vermeintlich mehr Sicherheit versprechen, strömen mehr Menschen an die
Universitäten. Dies hat, besonders angeheizt durch die begrenzte Anzahl
verfügbarer Jobs, einen sinkenden Wert akademischer Titel zur Folge.
- Eine zweite Entwicklung ist der Trend zur „CV-Optimization“. Durch Praktika,
Auslandssemester, Sprach- und EDV-Kenntnisse versuchen sich junge Europäer
von ihren Altersgenosse abzugrenzen, um mit einem möglichst einzigartigen
Lebenslauf aus der Masse hervorzustechen. Die stark wachsenden
innereuropäische Migration mit einem daraus resultierenden wachsenden
Konkurrenzdruck unter jungen Europäern befeuert diese Entwicklung. Der
Leistungsdruck ist laut unserer Gesprächspartner/innen enorm, besonders in den
Krisenstaaten. Außerschulisches oder – universitäres Engagement leidet unter der
intragenerationalen Drucksituation. Wer an der eigenen Karriere in der freien
Wirtschaft feilt, hat keine Zeit für soziale Wohltaten.
- Der ökonomische und soziale Druck erschwert die Familien und Lebensplanung.
Kaum einer unserer Interviewten konnte sich vorstellen in den nächsten Jahren
eine Familie zu gründen und/oder sich fest niederzulassen.
b) WENIG VERTRAUEN IN DIE EIGENEN FÄHIGKEITEN
In der Mehrzahl unserer Reiseländer trafen wir auf jungen Menschen, denen es
schwer fällt, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Gestaltungsmöglichkeiten und
Netzwerke zu entwickeln. Die Komplexität der ökonomischen, sozialen und
12 politischen Realität erscheint undurchdringlich und unüberschaubar. Viele junge
Europäer/innen glauben nicht daran, dass ihr Engagement, ihre Ideen und
Konzepte etwas am Gesamtzustand, oft noch nicht einmal an ihrem eigenen
Leben ändern können.
Wir beobachten einen verstärkten Rückzug in die Privatheit und Digitalität,
sowie die Delegation von Verantwortung. „Der Staat“, „die Wirtschaft“, „die
Krise“, „die Politiker“ sind die von unseren Gesprächspartnern oft genannten
Schuldigen für die Lage. Die Schuld wird leicht bei anderen gesucht.
Eigenes, langfristiges und konstantes Engagement für eine Veränderung von
politischen, Strukturen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder sozialen
Zuständen bleibt aus! Es fehlt an positiven Vorbildern und wortstarken jungen
Meinungsführern.
Der Glaube an Systemveränderungen, die auch einen Einfluss auf das eigene
Leben haben kann, scheint aufgegeben worden zu sein. Auch, und das ist
besonders bedenklich, in Ländern mit ehemals starken und breiten
Jugendbewegungen. Hier bei zu nennen sind Spanien und die Türkei. In beiden
Ländern scheiterten die Protestgruppierungen bei der Implementierung der
Forderungen im politischen Raum. In Spanien auf Grund des Missmanagements
und fehlendem dauerhaften Engagement der Demonstrierenden, in der Türkei auf
Grund der Zerschlagung des Protestes durch die Erdogan Regierung. In anderen
europäischen Ländern, ausgenommen der Ukraine, bildete sich von vornherein
überhaupt kein deutlicher oder zumindest substanzieller Jugendprotest.
Wenn es zu politischen Engagement kommt, verharrt es meist ungehört im
digitalen Raum. Es ist eine inflationäre Verbreitung von Online-Petitionen und
Manifesten zu beobachten, diese haben aber bisher keinen nachweisbaren und
deutlichen Einfluss auf die politische Agenda der einzelnen Nationen oder der EUPolitik gehabt.
13 Die Folge:
- Als Folge aus dem Nicht-Engagement junger Menschen leiden europaweit
politische Parteien unter sinkenden Mitgliederzahlen im Bereich der unter 30Jährigen.7 Dieser Trend ist auch deutlich in Deutschland auszumachen und steht
exemplarisch für eine gesamteuropäische Entwicklung (vergleiche untenstehende
Grafik).
Eine Ausnahme bilden radikale und tendenziell nationalistisch orientierte politische
Kräfte. Sie greifen das Unsicherheitsgefühl junger Menschen auf, verzeichnen eine
starken Zulauf und instrumentalisieren die Angstgefühle für ihre machtpolischen
Ambitionen. Deutliches Beispiel für diese Entwicklung ist der 30% Anteil von U-35
Wähler8 des französischen Front National bei der Europawahl.
http://www.dw.de/why-­‐europeans-­‐are-­‐losing-­‐interest-­‐in-­‐politics/a-­‐17102465 http://deutsche-­‐wirtschafts-­‐nachrichten.de/2014/06/01/wahl-­‐analyse-­‐le-­‐pen-­‐bei-­‐den-­‐jungen-­‐erfolgreich-­‐nicht-­‐bei-­‐den-­‐
rentnern/ 7
8
14 - Wir beobachten ein Erstarken der Kultur der Beschuldigung. Die Schuld für
Missstände oder Fehlentwicklungen im eigenen oder gesellschaftlichen Leben wird
in der Mehrzahl der Fälle bei Anderen gesucht. Das kollektive „Opfergefühl“ spaltet
zum einen die Gesellschaften intern, führt aber andererseits innerhalb von
geschlossenen gesellschaftlichen Gruppierungen zu einer akzeptierten Kultur der
Ablenkung von der eigenen Verantwortung. Wenn alle Freunde und die Medien
erzählen, „die Anderen sind Schuld“, dann glaubt man es.
EUROPA - FLUCH UND VERKANNTER SEGEN
In den Ländern der europäischen Union werden die Vorteile und Erfolge der
europäischen Einigung von jungen Menschen überwiegend als
selbstverständlich wahrgenommen. Frieden, Freiheit und Sicherheit sind die
Norm und keine Ziele, die man verteidigen, gar erkämpfen muss. Die jungen
Europäer/innen sind mit der Union aufgewachsen und scheinen wenig über den
Wert und die Einzigartigkeit des europäischen Projektes zu wissen. Die historische
Dimension der europäischen Idee wird als ein staubiges Relikt alter Tage
wahrgenommen, die Gegenwart als Krisendauerzustand und die Zukunft als
schwieriges Feld.
Auch feststellbar ist, die EU ist beliebtes Angriffsziel und Sündenbock. Privat,
wir politisch. Angefeuert, wird das Brüssel-Bashing von Nationalpolitiker/innen,
welche oftmals die Schuld für eigenes Versagen auf die EU schieben. Außerdem
im Spiel: Die Medien. Sie konzentrieren sich in der Berichterstattung primär auf die
negativen und kritischen Aspekte der Union.
Im Gegensatz dazu steht das Verhalten und die Denkweise junger Türken/innen
und Ukrainer/innen. Hier blickt man überwiegend neidvoll und bewundernd auf die
Europäische Union, deren Werte und Strukturen. Der EU-Standard hat hier
Vorbildcharakter, während er EU-intern angegriffen oder gar ignoriert wird. Innenund Außenwahrnehmung der EU unterscheiden sich deutlich.
15 Die Folge:
- Wir beobachten eine Prozess des inneren Zerfalls der Union. Unter
jungen Menschen stellen wir fest: Wertschätzung, Begeisterung und Einsatz
für die europäische Idee ist außerhalb der Union festzustellen, wachsende
Skepsis, aktives Vorgehen gegen die Einigung innerhalb der Union. Diese
Entwicklung ist bedenklich.
- Machtkampf - Nationale Politik und Machtinteressen stehen im Konflikt mit
europaorientierter Politik. Es ist ein Erstarken nationaler Macht zu beobachten.
Europa ist im Alltagsleben auf dem Vormarsch, politisch auf dem Rückzug.
- Die junge Generation verliert vermehrt das Vertrauen in europäische
Institutionen und erkennt nicht ihre Relevanz.
16 3.2
Statistische Daten
Mit unserem elektronischen Umfragetool haben wir Datensätze von 196 jungen Menschen aus ganz
Europa gesammelt. Dabei kamen unsere Befragten aus 20 verschiedenen europäischen Ländern.
Von den 196 Befragten waren 65% weiblich, 33% männlich und 2% wählten eine andere
Kategorisierung.
Der überwiegende Teil unsere Gesprächspartner, knapp 40%, kam aus einem akademischen Umfeld.
17 Erfreulicherweise bezeichnete sich eine knappe Mehrheit unsere Gesprächspartner/innen als
„Europäer/innen“, dicht gefolgt von der Einordnung als Bürger ihrer Nation und auch der
Kategorisierung „Individuum.“ (Mehrfachnennungen waren möglich)
Die aktuelle Lebenssituation wurde von 65 der 196 Befragten als überwiegend positiv bewertet. 79 der
Befragten verorten sich selbst jedoch in den Kategorien „sehr besorgt“ bis „es geht so.“
18 Auf die Frage, wie sie sich unsere Gesprächspartner/innen fühlen wenn sie an ihre eigene Zukunft
denken, überwiegen in unserer Umfrage die optimistischen Einschätzungen. Wie erwähnt, fielen die
Ergebnisse bei den individuellen Interviews jedoch oft auch anders aus.
Auf die Frage, ob sie sich als Teil einer gemeinsamen europäischen jungen Generationen sehen,
antwortete der überwiegende Teil unserer Befragten zustimmend.
19 Dabei wurde als bedeutendste Bindungsfaktoren im Zusammenhalt unserer Generation die offenen
Grenzen, der Eurovision Song Contest und die geografische Nähe zueinander genannt. Sozialen
Medien und die englische Sprache waren weitere wichtige Faktoren.
Erstaunlich sind die Antworten auf die Frage, was ihnen in den Kopf kommt, wenn sie an Europa
denken. Über 50% unserer Gesprächspartner hat den Euro mit Europa verbunden, dicht gefolgt von
der „kulturellen Vielfalt.“ Überraschend ist, dass etwas über 60 der 196 Befragten sowohl die
„Reisefreiheit“, als auch die „Uneinigkeit / Zerissenheit“ nennen.
20 Migration ist ein großes Thema in allen europäischen Ländern. Sowohl im eigenen Leben, als auch im
gesellschaftlichen Kontext (Zu- & Auswanderung). Der überwiegende Teil unserer
Gesprächspartner/innen hat kein Problem damit selbst in ein anderes europäisches Land zu ziehen
und will dies auch. Migrationsbewegungen werden insgesamt mehrheitlich positiv bewertet.
21 Erfreulicherweise wussten über 50% der interviewten jungen Menschen wann die kommende
Europawahl ist. 38% hatten jedoch keinen blassen Schimmer. 53% der Befragten planten zur Wahl zu
gehen, 47% sahen das aber anders. 25% waren entweder unentschlossen und 22% wollten gar nicht
gehen.
22 3.3
Presseauszüge
In nationalen, aber auch internationalen Medien (TV, Online, Print) wurde über das „Finding
Young Europe“ Projekt berichtet.
Pressespiegel des „Finding Young Europe“ Projekts
(In alphabetischer Reihenfolge, Stand: 12, 2014)
The European
„Politische Vorsätze für 2015“
31.12.2014
Cicero
„Die Generation Freiheit“
09.11.2014
SZ
„Auf einmal ist der Krieg wieder da.“
10.10.2014
The European
„Am Wendepunkt“
19.06.2014
CS-Monitor
„Europe’s lost generation. Not yet!.“
06.05.2014
Der Tagesspiegel
„Wir Jungen müssen Europa retten.“
23.05.2014
DW-Agenda Talk Show
„European Poll“
13.05.2014
DW-Agenda Talk Show
„Europe’s Generation Gap.“
18.02.2014
Gulf News
„Constructive Action.“
11.05.2014
iChange Europe
„Wir haben es in der Hand.“
20.05.2014
Salzburger Nachrichten
„Sind wir auch Europäer?“
23.05.2014
The European
„Ein Land sucht sich selbst.“
05.03.2014
The European
„Zerrissen Grande Nation.“
11.03.2014
The European
„Zartes Hoffnungsschimmern.“
20.03.2014
The European
„Gemeinsam gegen die Krise.“
25.03.2014
The European
„Griechenland neu gedacht.“
04.04.2014
The European
„Eine Generation erwacht.“
05.05.2014
The European
„Die Dualität der Revolution.“
16.05.2014
The European
„Am Wendepunkt.“
19.06.2014
TV Berlin Europazeit
„Wo liegt Europa.“
06.02.2014
TV Berlin Europazeit
„Was eint Europa?“
05.06.2014
23 3.4
BILDER (Auszüge)
Rom, Treffen mit Vertretern der jüdischen Gemeinde
Brüssel, Info-Center der EU-Kommission
London, im Gespräch mit jungen Wallisern
Paris, Interview mit Studenten
Neapel, mit Aktivisten an der Uni
Thessaloniki, Bildungsreinrichtung
24 Brüssel, Gespräche mit Jugendvertretern/innen
Sofia, unterwegs im Bus in einen Vorort
Paris, in großer Runde, Gespräche über Leben in Frankreich
Athen, mit jungen Griechen/innen
Kiew, auf dem „Euromaidan“
Sevilla, Gespräche mit jungen Medizinerinnen
25 4. ZUSAMMENFASSUNG & AUSBLICK
Alles in allem sind wir einer Generation begegnet, die europäischer lebt, als jede
Generation zuvor. Das Aufwachsen ohne Angst am Schlagbaum, ohne Ost-WestKonflikt, aber mit Erasmus und uneingeschränkter Reisefreiheit hat für junge
Europäer/innen einen Zustand geschaffen, in denen internationale Beziehungen und
Lebensweisen durchaus zur Norm geworden sind. Auch ist unsere Generation in der
Regel bestens ausgebildet, vernetzt, kreativ und flexibel. Unsere Altersgenossen/innen
halten also einiges an Potential in petto. Leider aber haben wir weniger Anzeichen dafür
gefunden, dass dieses Potential auch wirklich ausgeschöpft und für Europa und die
gemeinsame Zukunft genutzt wird. Im Gegenteil, ein Rückzug ins Private und ein
Konzentrieren auf den eigenen Erfolg oder oftmals eher das eigene Überleben sind die
Folge. Dies schadet uns allen und lässt Europa als Idee wehrlos zurück.
Ansatzpunkte zur Lösung dieser Probleme müssen also von Anfang an folgendes
Berücksichtigen: Es muss Motivation geschaffen werden, nicht Potential. Junge
Menschen müssen Gemeinschaftsgefühle entwickeln und die Vorteile eines
internationalen europäischen Lebensstils bewusst verstehen. In der Regel werden diese
Vorzüge als positiv wahrgenommen, aber eben nicht mit der EU oder einem politischen
Engagement in Verbindung gebracht. Diese Verbindung muss geschaffen werden.
Darüber hinaus fehlt es ganz eindeutig an großen europäischen Vorbildern und Ideen,
die junge Menschen motivieren und mitreißen können. Empörung und Frustration sind
auf Dauer nicht genug. Visionen, Idealismus und Tatkraft sind gefordert und müssen
durch die gesellschaftlichen Eliten, aber auch die Jungen selbst, vorgelebt werden.
Im August 2014 luden wir 10 andere junge Europäer/innen nach Berlin ein um
gemeinsam eine Antwort auf die Problematik zu formulieren. Dabei wurde der Essay
„Who if not us“ verfasst, von jungen Europäern für junge Europäer, welcher 2015
erscheint.
Das Folgeprojekt „Young European Voices “ ist der konkrete Versuch mit einem
schlagkräftigen jungen Team europaweit Vision, Idealismus und Engagement unter
jungen Menschen zurück zu bringen.
26 Wir danken unseren inspirierenden Partnern, Familien und Freunden für die
Unterstützung:
Stiftung Mercator
Heinrich-Böll-Stiftung
Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen
Schwarzkopf-Stiftung
ICONIC
Berlin, Dezember 2014.
Den Bericht verantworten:
Vincent-Immanuel Herr & Martin Speer
[email protected]
www.herrundspeer.de
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